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Ratgeber Psychosen - Schmerzzentrum Ludwigshafen

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Ein Engagement der betapharmPsychosen,Schizophrenie& Soziales


Liebe Leserin, lieber Leser,betapharm setzt sich seit Jahren aktiv für eine verbesserteVersorgungsqualität im Gesundheitswesen ein. Aus diesemEngagement hat sich betaCare – das Wissenssystem fürKrankheit & Soziales – entwickelt. Mit betaListe, betanet,betafon und vielen weiteren Medien bietet es Antwortenauf alle sozialen Fragen rund um eine Krankheit.Der vorliegende RatgeberPsychosen, Schizophrenie & Soziales“informiert zu sozialrechtlich relevanten Themen wie Krankengeld,Erwerbsminderungsrente und Sozialhilfe sowie zu kritischenrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit schweren psychischenErkrankungen. Darüber hinaus behandelt er alltägliche Themenwie Arbeiten oder Wohnen, die für Psychiatrie-Erfahrene immerauch eine therapeutische Dimension haben können.Die fachliche und inhaltliche Qualität von betaCare garantiertdas gemeinnützige beta Institut für angewandtes Gesundheitsmanage ment. betapharm stellt dieses Wissen zur Verfügung.Weitere Fragen rund um Krankheit und Soziales beantwortendie Experten des beta Instituts am betafon.Telefon 01805 2382366 (14 Ct./Min.)Für Fachkräfte im Gesundheitswesen:Mo–Do 9–18 Uhr und Fr 9–16 UhrFür Patienten und Angehörige:Mo–Do 16–18 UhrMehr Informationen zu betaCare finden Sieunter www.betaCare.deMit herzlichen GrüßenDr. Wolfgang NiedermaierGeschäftsführer betapharmHorst ErhardtGeschäftsführer beta Institut


Grundverständnis 3Vorbemerkung 3Sozialrecht und Psychosen 3Psychosen – ein zutiefst menschliches Phänomen 4InhaltsverzeichnisWissenswertes über Psychosen und Schizophrenie 5Formen psychotischer Störungen 5Auftreten und Verlauf 5Ursachen 6Symptome 6Behandlung 8Stationäre und teilstationäre Behandlung 8Medikamentöse Behandlung 9Psychotherapie 10Soziotherapie 12Psychoedukation 14Ergotherapie 15Psychoseseminare 17Soteria 17Gerontopsychiatrische Einrichtungen 18Sozialpsychiatrischer Dienst 19Arbeit 20Stufenweise Wiedereingliederung 21Schwerbehinderung 22Zweiter Arbeitsmarkt und Integrationsprojekte 23Berufsfindung und Arbeitserprobung 25Arbeitstherapie und Belastungserprobung 26Tagesstätten 26Finanzielle Leistungen bei Arbeitsunfähigkeitund Arbeitslosigkeit 28Arbeitsunfähigkeit 28Entgeltfortzahlung 28Krankengeld 29Arbeitslosengeld 31Arbeitslosengeld bei Arbeitsunfähigkeit 32Grundsicherung für Arbeitssuchende (Hartz IV) 32Arbeitslosengeld II und Sozialgeld 36Rehabilitation 37Bereiche der Rehabilitation 37Zuständigkeit 37Stationäre medizinische Rehabilitation 38Berufliche Rehhabilitation = Teilhabe am Arbeitsleben 40Rehabilitation psychisch kranker Menschen 43Übergangsgeld 44Inhaltsverzeichnis 1


Krankenversicherung 45Verlust des Krankenversicherungsschutzes 45Säumige Beitragszahler 46Zuzahlungsbefreiung 46InhaltsverzeichnisSozialhilfe 48Hilfe zum Lebensunterhalt 49Einsatz von Einkommen und Vermögen 49Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung 51Schwerbehinderung 53Grad der Behinderung 53Schwerbehindertenausweis 54Merkzeichen 55Grad der Behinderung bei Psychosen 55Abgestufte Erwerbsminderungsrente 57Pflege 60Pflegebedürftigkeit 60Leistungen der Pflegekassen 61Pflegegeld 62Psychiatrische Krankenpflege 63Familie und Angehörige 65Umgang miteinander 65Angehörige von Psychose-Patienten 67Selbstschutzmaßnahmen für Betroffene 70Wohnen 72Betreute Wohnformen 72Wohnen in der Familie 75Wohngeld 75Autofahren und Führerschein 77Führerschein und schwere Krankheit 77Zweifel an der Fahrtauglichkeit 78Autofahren bei Psychosen 78Rechtliche Aspekte 80Vorsorge 80Betreuung 80Freiheitsentziehende Maßnahmen 84Krisenpass 85Adressen 86Impressum 88Hinweis:Zur besseren Lesbarkeit wird im Text häufig die männliche Form verwendet.Gemeint sind grundsätzlich weibliche und männliche Personen.2 Inhaltsverzeichnis


GrundverständnisPsychotische Störungen (Psychosen) sind zum Teil schwerexakt zu diagnostizieren.Verkomplizierend kommt hinzu, dass in den letzten Jahren• sich die Haltung „gegenüber“ dem Patienten und die Arbeitmit dem Patienten wandelten,• neue Behandlungsansätze hinzugekommen sind,• verschiedene Lehrmeinungen und Terminologien miteinanderkonkurrieren und• ähnliche Symptome bei den verschiedensten Störungenauftreten.VorbemerkungDieser Ratgeber gibt aus medizinisch-therapeutischer Sicht nureinen kurzen Überblick – im Kern informiert er wie alle betaCare-Ratgeber zu sozialrechtlichen und psychosozialen Themen. Diessoll jedoch nicht heißen, dass die Autoren dem sozialtherapeutischenAnsatz den Vorzug geben. Die Gewichtung medikamentöser,psychologischer und sozialer Therapieelemente liegt in derEntscheidungshoheit von Arzt und Patient.Ursprünglich sollte sich dieser Ratgeber allein mit „Schizophrenie& Soziales“ beschäftigen. Da aber für alle Psychosen dieselbensozialrechtlichen und sozialen Themen relevant sein können, hatsich das Autorenteam für die Erweiterung entschieden.Betroffene, Angehörige und Therapeuten sollten sich bewusstmachen, dass im Sozialrecht Formalitäten wie Anträge undFristen schwerwiegende Auswirkungen auf mögliche (finanzielle)Leistungen und den Versicherungsschutz haben können.Sozialrechtund PsychosenNur sehr selten wird es gelingen, bei Behörden und Versicherungeneine abgelaufene Frist mit dem Hinweis auf eine Akutphase verlängernzu können. Eine besondere Wachsamkeit ist hier beimAuslaufen des Krankengelds und der damit verbundenen Gefahrdes Verlusts des Krankenversicherungsschutzes (siehe S. 45) erforderlich.Das Sozialrecht ist schon für einen „normalen“ Menschennicht leicht verständlich. Patienten mit einer ver-rückten Sichtauf die Welt brauchen hier umso mehr Hilfe, wenn möglich inForm von Hilfe zur Selbsthilfe. In Akutphasen müssen aber auchwachsame Betreuer und Angehörige entsprechende Briefe undFristen ernst nehmen und sofort darauf reagieren.Grundverständnis 3


Psychosen – ein zutiefstmenschliches PhänomenMenschen müssen im Unterschied zu anderen Lebewesen umihr Selbstverständnis ringen. Es gehört zu unseren Möglichkeiten,an uns zu zweifeln, andere(s) zu bezweifeln und dabeiauch zu verzweifeln, über uns hinaus zu denken und uns dabeizu verlieren. Wer lange Zeit verzweifelt ist, ohne Halt undTrost zu finden, wer seine Gefühle nicht mehr mitteilen kannund sie nicht mehr aushält, kann depressiv werden, wer dieFlucht nach vorne ergreift, auch manisch.Wer sich selbst verliert, verliert auch seine Begrenzung undAbgrenzung zu anderen. Entsprechend verändert sich die Art,Dinge und Personen um sich herum wahrzunehmen. DieGedanken werden sprunghaft, probierend und weniger folgerichtig.Dauert dieser Zustand an, sprechen wir von Psychosen. Werpsychotisch wird, ist also kein „Wesen vom anderen Stern“,reagiert nicht menschen-untypisch, sondern zutiefst menschlich.Eine Psychose ist eine tiefe existenzielle Krise, eine meist alleLebensbereiche umfassende Verunsicherung. Subjektiv istnichts mehr, wie es war, auch wenn aus der Sicht von anderengar nicht viel passiert ist. Vorrangig können Stimmung,Lebensgefühl und Lebensenergie wesentlich verändert sein,dann spricht die Psychiatrie von „affektiver Psychose“. Oder eskönnen vorrangig Wahrnehmung, Denken und Sprache betroffensein, das nennen Psychiater „schizophrene/kognitivePsychose“. Letztlich hängen Wahrnehmung und Stimmung (inbeiden Richtungen) zusammen. Und jede Psychose ist anders,so wie jeder Traum anders ist, weil jeder Mensch anders ist.Prof. Dr. Thomas Bock –Universitätsklinikum Hamburg-EppendorfZitat aus:„Es ist normal, verschieden zu sein!“ (Blaue Broschüre).Verständnis und Behandlung von Psychosenerstellt im Dialog von Psychose-Erfahrenen,Angehörigen und Therapeuten/Wissenschaftlernin der AG der Psychoseseminare (Hrsg.)Download der gesamten Broschüre unterwww.irremenschlich.de/downloads/blauebroschuere.pdf4 Grundverständnis


Wissenswertes überPsychosen und SchizophrenieBei den psychotischen Störungen (= Psychosen) werdenfolgende Formen unterschieden:• Organische PsychosenEs gibt eine organische Ursache, z. B. Tumor, Hirnverletzungen.• Psychosen aus dem schizophrenen FormenkreisSehr unterschiedliche Erscheinungsbilder mit einem Schwerpunktauf kognitiven Störungen bei Wahrnehmung und Denken.• Affektive PsychosenVeränderungen der Realitätsverarbeitung im Zusammenhangmit eher affektiven Störungen von Stimmung und Antriebin Richtung einer Depression oder Manie oder in beideRichtungen (= bipolare Störung).• Schizoaffektive PsychosenWechsel von Symptomen einer Schizophrenie,einer Depression und/oder einer Manie.Formenpsychotischer StörungenBei Psychosen handelt es sich oft um vorübergehende Phasen,die einmal oder mehrmals im Leben der Betroffenen auftretenkönnen – meist im Zusammenhang mit Lebenskrisen.Auftreten und VerlaufPsychotische Störungen sind relativ häufig; es wird davon ausgegangen,dass ca. 2 % der Bevölkerung im Lauf des Lebens einePsychose entwickeln, 1% im Sinne von schizophrenen Psychosen,1% im Zusammenhang mit Depression und Manie. Der Verlaufpsychotischer Störungen ist sehr unterschiedlich und hängtneben der diagnostizierten Störungsform auch vom Betroffenenund von den therapeutischen Maßnahmen ab.Psychosen verlaufen in Phasen. In der akuten Phase sind dieSymptome sehr ausgeprägt, die Patienten werden dann möglichstdicht, häufig stationär betreut. In der sich daran anschließendenStabilisierungsphase brauchen viele Patienten Ruhe und Zeit zurErholung. In der dritten, der Remissionsphase, gehen dieSymptome stark zurück oder sind ganz verschwunden.Ein Teil der Betroffenen durchlebt nur eine einmalige Akutphase.Manche müssen in Lebenskrisen mit erneuten Phasen rechnen.Bei anderen kann es zu bleibenden Beeinträchtigungen kommen.Sie müssen lernen damit umzugehen, können mit entsprechendenHilfen aber ein eigenständiges und zufriedenstellendes Lebenführen. In vielen Fällen entwickelt sich die Psychose chronisch undverläuft in Schüben, aber die Betroffenen können den Umgang mitden zeitweisen Störungen lernen und dazwischen ihr Leben leben.Wissenswertes über Psychosen und Schizophrenie 5


UrsachenMit Ausnahme der organischen Psychosen sind die Ursachenweitgehend unbekannt.Vermutet werden zum einen Störungen des Hirnstoffwechsels,zum anderen anlagebedingte Faktoren im Zusammenhang mitäußeren psychischen Belastungen.Das derzeit aktuelle Vulnerabilitäts-Stress-Modell besagt, dassbestimmte Belastungssituationen wie etwa Auszug aus dem Elternhaus,Eheschließung, Tod eines Angehörigen, Drogenkonsum etc.im Zusammenhang mit einer angeborenen Vulnerabilität (Anfälligkeit)eine psychotische Störung auslösen könnten. Das heißt,dass einer Psychose genetisch-biologische und psychosozialeUrsachen zugrunde liegen könnten.Bei extremer Reizüberflutung oder extremem Reizentzug kannjeder Mensch gezwungen sein, aus der Realität auszusteigen. Dasunterstreicht die anthropologische Sicht, dass die Möglichkeit,psychotisch werden, zum Wesen des Menschen gehört (siehe S. 4).SymptomeNachfolgend eine Schilderung von Symptomen einer psychotischenStörung am Beispiel der Schizophrenie.Die Schilderung erfolgt in der Absicht, ein minimales Verständnisfür das Erleben der Patienten zu erreichen. Patienten können versuchen,vertrauten Menschen das zu schildern, was sie in einerakuten Psychose erlebt haben, Angehörige, Betreuer und Therapeutenkönnen versuchen, für diese Erlebnisse ein Verständnis zuentwickeln. Sie sollten jedoch immer beachten, dass der Menschnie nur aus psychotischen Symptomen besteht. Dies kann gegenseitigesVerständnis fördern und Konflikte und gegenseitigeVerletzungen reduzieren.PlussymptomatikIn einer schizophrenen Akutphase erscheint Außenstehenden diegesamte Persönlichkeit des Betroffenen auf verschiedene Artfremdgesteuert.Charakteristisch sind Wahn, Halluzi-nationen, Ich-Störungenund formale Denkstörungen. Diese Störungen werden alsPlussymptomatik bezeichnet.• WahnEine nicht korrigierbare, „falsche“ Beurteilung der Realität.Am häufigsten leiden die Patienten unter Verfolgungs- undBeziehungsideen. Sie beziehen das Verhalten anderer Menschenwahnhaft auf sich selbst. Ein Wahn kann sich sowohlmit als auch ohne äußere Wahrnehmungen entwickeln.6 Wissenswertes über Psychosen und Schizophrenie


• HalluzinationenEmpfunden wird eine Sinneswahrnehmung, der kein realerSinnesreiz zugrunde liegt. Diese Täuschung kann alle Sinnesorganebetreffen, wobei es am häufigsten zu akustischenHalluzinationen kommt. Der Patient hört Stimmen, die ihmBefehle erteilen oder sich über ihn unterhalten.• Ich-StörungenDie Grenze zwischen der eigenen Person und der Umweltwird als durchlässig empfunden. Körper, Gedanken oder/undGefühle werden als fremd erlebt. Auch kann es zu einemGefühl der Beeinflussung oder Eingebung bzw. auch demEntzug der Gedanken kommen. Der Patient lebt zugleich ineiner wirklichen und einer wahnhaften Welt.• Formale DenkstörungenDarunter fallen Verzerrungen des herkömmlichen Denkablaufs,Zerfahrenheit mit sprunghaften und unlogischen Gedankengängenoder Abbruch eines Gedankengangs ohne erkennbarenGrund. Der Patient verschmilzt verwandte Wörter odererfindet neue Wörter.Zu den sogenannten Minussymptomen zählen• sozialer Rückzug,• emotionale Verarmung oder Verflachung,• Antriebsunlust,• Willensschwäche,• mangelnde Körperpflege und• psychomotorische Verlangsamung.MinussymptomatikManche Patienten berichten von einer Überempfindlichkeitgegenüber Licht oder Farben, Geräuschen, Gerüchen oderGeschmacksempfindungen. Auch das Zeitempfinden kann gestörtsein. Die Intelligenz dagegen ist nie beeinträchtigt.Wissenswertes über Psychosen und Schizophrenie 7


BehandlungBei der Therapie von Psychosen wird ein mehrdimensionalerAnsatz verfolgt, bestehend aus medikamentösen, psychotherapeutischenund sozialtherapeutischen Maßnahmen.In der Akutphase erfolgt in der Regel eine stationäre Behandlung,in den darauf folgenden Phasen reicht meist eine ambulanteBetreuung aus. Ein alternativer, ganzheitlicher Behandlungsansatzist das Soteria-Konzept.Stationäre undteilstationäre BehandlungIm Krisenfall erfolgt die Behandlung von Patienten mitPsychosen häufig in psychiatrischen Kliniken bzw. psychiatrischenAbteilungen von Kliniken.Die Krankenhausbehandlung wird von der Krankenkasse getragenoder vom Sozialhilfeträger. Sie beinhaltet alle Leistungen, diefür den Patienten nach Art und Schwere seiner Erkrankung notwendigund im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhausesmöglich sind. Dazu zählt neben der ärztlichen Behandlungauch die Krankenpflege sowie die Versorgung mit Arznei- undVerbandmitteln, Heilmitteln und Hilfsmitteln.ZuzahlungPatienten ab Vollendung des 18. Lebensjahres müssen für die vollstationäreKrankenhausbehandlung eine Zuzahlung von 10,– €pro Tag leisten. Diese Zuzahlung ist auf 28 Tage pro Kalenderjahrbegrenzt. Der Aufnahme- und Entlassungstag zählen jeweils alsganzer Tag.HaushaltshilfeWerden eine Mutter oder ein Vater stationär untergebracht, kanneine Haushaltshilfe beantragt werden. Eine Haushaltshilfe ist einefremde oder verwandte Person, die die tägliche Arbeit im Haushalterledigt. Sie übernimmt alle notwendigen Arbeiten, z. B. Einkauf,Kochen, Waschen oder Kinderbetreuung.Wichtigste Voraussetzungen für die Antragstellung sind:• Keine andere Person im Haushalt kann die Arbeitenübernehmen und• es ist ein Kind unter 12 Jahren zu versorgen.Träger der Leistung kann die Krankenkasse, die Unfallversicherungoder die Rentenversicherung sein, selten auch die Sozialhilfe. DieHaushaltshilfe ist in jedem Fall vorher zu beantragen.8 Behandlung


In der Regel ist an eine psychiatrische Klinik eine Institutsambulanzangebunden, in der psychiatrische Patienten ambulantbehandelt werden. Meist arbeiten dort verschiedene Berufsgruppenzusammen.InstitutsambulanzenDie Übergänge in der Institutsambulanz sind fließend: sowohlzum ambulanten Bereich (z. B. Betreuung in einer Arztpraxis) alsauch zum stationären Bereich (Wiederaufnahme in die Klinik).Zum Teil sind Institutsambulanzen auch in integrierte Versorgungsmodelleeingebunden, das heißt, dass die ambulante undstationäre Versorgung aus einer Hand organisiert wird.Tageskliniken gibt es unabhängig von psychiatrischen Klinikenoder dort angebunden. Sie nehmen Patienten in der Regel nuran Werktagen und tagsüber auf und bieten dort – bei Bedarf –dasselbe Leistungsspektrum wie die Klinik.TagesklinikenMedikamente sind meist wirksam in Bezug auf Positivsymptomewie Halluzinationen, Wahnideen, Ich- und Denkstörungen.Sie können der psychosetypischen Reizüberflutungentgegenwirken und so der Entwicklung von Symptomen vorbeugensowie Symptome abschwächen oder unterdrücken.MedikamentöseBehandlungÜber die medikamentöse Behandlung sollten Arzt und Patientgemeinsam entscheiden. Eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung ist eine wichtige Basis für diese Entscheidung undden weiteren Behandlungsverlauf. Zentrale Probleme bei dieserEntscheidung sind die unterschiedlichen Wirkungs- und Nebenwirkungsprofileder Medikamente sowie die Dosierung, d. h.die Entscheidung darüber, wie viel Schutz bzw. Abschirmungnötig ist und wie viele Erlebnisse auch anders zu verarbeiten sind.Manchmal sind mehrere zeitintensive Anläufe notwenig, bis dasindividuell passende Medikament gefunden wird. Auch über dasEnde der Medikation sollten Arzt und Patient sich abstimmen.Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung, die das 18. Lebensjahrvollendet haben, müssen für viele Medikamente Zuzahlungenin Höhe von 10 % des Abgabepreises bezahlen, mindestens 5,– €und höchstens 10,– € – umgangssprachlich oft als „Rezeptgebühr"bezeichnet. Zuzahlungsbefreiung ist möglich, Detailssiehe S. 46.ZuzahlungManche Arzneimittelwirkstoffe können von der Zuzahlung befreitsein. Auf den Internetseiten der GKV (Die gesetzlichen Krankenkassen),www.gkv.info, steht eine Übersicht über diese Wirkstoffe,ZuzahlungsfreieMedikamenteBehandlung 9


ebenso eine Liste der Arzneimittel, die tatsächlich zuzahlungsbefreitsind. Eine komfortable Suchmöglichkeit für zuzahlungsfreieArzneimittel, Wirkstoffe und Hersteller bietet auch IFAP (Service-Institut für Ärzte und Apotheker GmbH) unter www.ifap.de.Darüber hinaus können Medikamente eines Arzneimittelherstellers,mit dem die Krankenkasse einen Rabattvertrag geschlossenhat, ganz oder zur Hälfte zuzahlungsfrei sein.PsychotherapieDie Psychotherapie orientiert sich an der jeweiligen Erkrankungsphasesowie den individuellen Möglichkeiten desPatienten und seiner Lebenssituation. Die therapeutischeBeziehung kann helfen, sich zu spiegeln, zu spüren und zuvergewissern. Langfristig kann sie helfen, psychotischeSymptome zu entschlüsseln und damit zusammenhängendeKonflikte zu entschärfen. Der Patient muss zu Beginn derPsychotherapie einen gewissen Realitätsbezug aufweisen.KostenBei psychischen Störungen mit Krankheitswert übernimmt dieKrankenkasse die Kosten bestimmter psychotherapeutischerBehandlungen (im Sinne einer Krankenbehandlung, § 27 SGB V).Derzeit von den Kassen anerkannt sind psychoanalytisch begründeteVerfahren und Verhaltenstherapie. Für andere Therapienübernehmen die Kassen die Kosten nur im Einzelfall und aufAntrag.Kognitive VerhaltenstherapieBei der Behandlung von Patienten mit einer Psychose aus demschizophrenen Formenkreis wird häufig die kognitive Verhaltenstherapieeingesetzt. In der Therapie wird zunächst gemeinsam mitdem Patienten ein Verständnis seiner Probleme erarbeitet und erwird über die Störungen und Behandlungsmöglichkeiten informiert.So sollen Ängste und Unsicherheiten abgebaut werden.Dann wird der Patient befähigt, Frühwarnsymptome zu erkennenund Strategien zu entwickeln, wie er darauf reagieren kann, umeinen Rückfall zu vermeiden oder zumindest abzumildern.Weitere wichtige Themen der Therapie sind die Akzeptanz fortbestehenderSymptome und der Medikamenteneinnahme, dieEntwicklung und Stärkung vorhandener Fähigkeiten sowie dieFörderung der Lebensqualität.ZuzahlungWie bei jedem Arztbesuch muss der Patient 10,– € Praxisgebühr(auch Kassengebühr genannt) zahlen – aber nur einmal im Quartalund nur, wenn keine Überweisung von einem anderen Arzt10 Behandlung


vorliegt, bei dem bereits Praxisgebühr entrichtet wurde. DiePraxisgebühr wird auch fällig, wenn z. B. nur ein Rezept ausgestelltoder telefonisch eine Leistung in Anspruch genommen wird.Zuzahlungsbefreiung ist möglich, Details siehe S. 46.Für eine Psychotherapie ist keine Überweisung durch einen Arzterforderlich. Der gewählte Psychotherapeut muss allerdings eineKassenzulassung haben, damit die Krankenkasse die Kosten übernimmt.TherapeutenwahlTherapeuten können entweder Psychologen („psychologischerPsychotherapeut“) oder Mediziner („ärztlicher Psychotherapeut“)sein. Für Patienten mit Psychosen ist es nicht einfach, den richtigenTherapeuten zu finden. Häufig kommen auch noch lange Wartezeitenbis zu Therapiebeginn dazu. Betroffene sollten auf jedenFall darauf achten und danach fragen, ob der Therapeut Erfahrungmit Psychosen hat.Die folgenden Tipps helfen bei der Therapeutensuche.• In den meisten Geschäftsstellen der Kassenärztlichen Vereinigung(KV) auf Länderebene gibt es Vermittlungsstellenfür psychotherapeutische Behandlungen.• Bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung im Internet unterwww.kbv.de/arztsuche/178.html finden sich Links zur Arztsuchein den einzelnen Bundesländern mit Ärzten aller Fachrichtungen,auch der psychologischen Psychotherapeuten.• Einige KVen haben eine sogenannte „KoordinationsstellePsychotherapie“ eingerichtet. Dort werden Patientenüber unterschiedliche Therapiemöglichkeiten und -formeninformiert. Außerdem werden dort freie Psychotherapieplätzevermittelt. Bei der Therapeutensuche hilft außerdemdie Krankenkasse.• Falls ein Patient nachweisen kann, dass erst nach mehrmonatigerWartezeit ein Therapieplatz in der Region frei wird,kann die Krankenkasse auf Antrag auch die Therapie beieinem Psychotherapeuten mit Berufszulassung, jedoch ohneKassenzulassung genehmigen. Daher sollte eine Liste dervergeblichen Suche mit Namen der Psychotherapeuten,Anrufdatum und Wartezeit angefertigt und bei der Krankenkassevorgelegt werden. Diese prüft jedoch selbst nach, obtatsächlich kein Platz bei Therapeuten, mit denen Verträgebestehen, zu bekommen ist. Erst wenn die Genehmigung derKrankenkasse vorliegt, kann die Therapie dort begonnen werden.!PraxistippsBehandlung 11


• Institutsambulanzen können und sollen bei der Suche nachPsychotherapeuten helfen, die Zeit bis zur Therapie überbrückenund bestimmte psychotherapeutische Leistungenintegriert in einem Gesamtkonzept selbst erbringen. Das giltinsbesondere für Krisengespräche, Gruppentherapien undfamilientherapeutische Gespräche.ProbesitzungenDer Patient kann bis zu 5 Probestunden (bei einer analytischenPsychotherapie bis zu 8) bei einem Therapeuten machen, biser entscheidet, ob er dort die Therapie durchführen will. Nachdiesen „probatorischen“ Sitzungen, auf jeden Fall bevor dieeigentliche Therapie beginnt, muss ein Arzt, z. B. Hausarzt oderNeurologe, aufgesucht werden, der abklärt, ob eine körperlicheErkrankung vorliegt, die zusätzlich medizinisch behandelt werdenmuss. Dieser Arztbesuch ist jedoch nur nötig, wenn es sich beidem behandelnden Therapeuten um einen psychologischenPsychotherapeuten handelt. Bei einem ärztlichen Psychotherapeutenerübrigt sich dieser Arztbesuch.AntragsverfahrenDer Patient muss bei seiner Krankenkasse einen Antrag aufFeststellung der Leistungspflicht für Psychotherapie stellen. Zudiesem Antrag teilt der behandelnde Psychotherapeut derKrankenkasse die Diagnose mit, begründet die Indikation undbeschreibt Art und Dauer der Therapie.DauerNach Klärung der Diagnose und Indikationsstellung werden vorBeginn der Behandlung der Behandlungsumfang und die -frequenzfestgelegt. Die Dauer einer Psychotherapie ist abhängig vonder Art der Behandlung und beträgt z. B. bei einer Verhaltenstherapie45, in besonderen Fällen bis zu 60 Stunden.Die Probesitzungen zählen nicht zur Therapiedauer. Eine Sitzungdauert mindestens 50 Minuten. Eine Überschreitung ist dann zulässig,wenn mit der Beendigung der Therapie das Behandlungszielnicht erreicht werden kann, aber bei Fortführung derTherapie begründete Aussicht darauf besteht.SoziotherapieSoziotherapeutische Maßnahmen beziehen sich auf dassoziale Umfeld des Betroffenen und zielen darauf ab, vorhandenesoziale Fähigkeiten des Betroffenen zu fördern unddie Verstärkung sozialer Defizite zu verhindern.12 Behandlung


Soziotherapie richtet sich vorrangig an Patienten, die krankheitsbedingtin den Bereichen Wohnen, Arbeit, Bestreitung des Lebensunterhalts,Freizeitgestaltung und soziale Beziehungen beeinträchtigtsind, und unterstützt sie in diesen Bereichen. DerBetroffene soll gefördert werden, sein Leben wieder aktiv zugestalten.Menschen mit Psychosen sind oft nicht in der Lage, Leistungen,die ihnen zustehen, in Anspruch zu nehmen. Basis für eine Soziotherapieist, dass der Patient die Therapieziele erreichen kann, erüber die hierzu notwendige Belastbarkeit, Motivierbarkeit undKommunikationsfähigkeit verfügt und in der Lage ist, einfacheAbsprachen einzuhalten.Ziel der Soziotherapie ist der Abbau psychosozialer Defizite,damit Patienten selbstständig und eigenverantwortlichmedizinische Leistungen in Anspruch nehmen können, z. B.:• Koordinierung der Leistungen, d. h. Organisation dernotwendigen medizinischen Maßnahmen, z.B. derenzeitliche Planung• therapiegerechte Eigen-Einnahme von Medikamenten• Motivation zur Verwendung medizinischer Leistungen• Einsicht in die Notwendigkeit medizinischer Leistungen• Bereitschaft zur Inanspruchnahme medizinischer LeistungenZieleFolgende Leistungen sind innerhalb der Soziotherapiein jedem Fall zu erbringen:• Erstellung eines Betreuungsplans• Arbeit im sozialen Umfeld• Soziotherapeutische Dokumentation, d. h. der Soziotherapeutbeschreibt die durchgeführten Maßnahmen (Art und Umfang),den Behandlungsverlauf und die bereits erreichten und nochverbleibenden Therapieziele.Leistungsinhalt derSoziotherapieErbringen können diese Leistungen nur Diplom-Sozialarbeiter,Diplom-Sozialpädagogen und Fachkrankenschwestern für Psychiatriemit Berufserfahrung, die bei der Krankenkasse als Soziotherapeutenzugelassen sind und mit dieser einen Vertrag haben.TherapeutensucheDie Krankenkassen vermitteln Adressen der zugelassenen Soziotherapeuten.Da die Soziotherapie noch eine recht junge Leistungist, gibt es jedoch nicht überall entsprechende Angebote.Ähnliche Leistungen bieten aber mancherorts auch die SozialpsychiatrischenDienste und diese wiederum kennen häufig dieregionalen Soziotherapie-Angebote.Behandlung 13


DauerEine Soziotherapie dauert 120 Stunden innerhalb von 3 Jahren jeKrankheitsfall. „Krankheitsfall“ ist das Krankheitsgeschehen, daseine einheitliche medizinische Ursache hat, z. B. eine Psychose, dieimmer wieder zu Hilfebedürftigkeit führt.ZuzahlungVersicherte müssen eine Zuzahlung von 10 % der kalendertäglichenKosten der Soziotherapie leisten, jedoch mindestens 5,– €,maximal 10,– € pro Tag. Zuzahlungsbefreiung ist möglich,Details siehe S. 46.VerordnungVerordnen dürfen Soziotherapie in der Regel nur Nervenärzte undPsychiater, die von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) eineBefugnis zur Verordnung von Soziotherapie haben. Adressen vonentsprechenden Ärzten erhält man bei der KV. Die Verordnungvon Soziotherapie muss von der Krankenkasse genehmigt werden.Hierzu muss ein soziotherapeutischer Betreuungsplan vorgelegtwerden.In Einzelfällen können auch andere Ärzte, z. B. der Hausarzt, bis zu3 Probestunden verordnen. Ziel ist hierbei die Überweisung zueinem Nervenarzt oder Psychiater mit der entsprechendenBefugnis zur Verordnung der Soziotherapie.Bei Verordnung und Antragstellung sind auch die Soziotherapeutenselbst behilflich.?Wer hilft weiter?Soziotherapeuten sind nicht einfach zu finden, helfen könnenKrankenkasse, Nervenärzte, Psychiater oder die SozialpsychiatrischenDienste (Adressen über www.betanet.de, Suchwort„Sozialpsychiatrischer Dienst“).PsychoedukationBei der Psychoedukation handelt es sich um eine Schulungvon Patienten mit Psychosen und – in getrennten Gruppen –ihren Angehörigen. Eingesetzt wird Psychoedukation vorallem bei Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis.Die Teilnehmer werden über die Erkrankung und die notwendigenBehandlungsmaßnahmen informiert und tauschen Erfahrungenvor dem Hintergrund wissenschaftlicher Forschung aus. Dies solldie Krankheitsbewältigung fördern und zur Therapietreue beitragen,denn ein Patient, der versteht, warum er z. B. bestimmteMedikamente benötigt, wird sie eher einnehmen als ein Patient,14 Behandlung


der von der Notwendigkeit nicht überzeugt ist. Zudem sollenBetroffene und Angehörige für Symptome sensibilisiert werden,die auf eine herannahende Akutphase hindeuten.Psychoedukation erfolgt in der Regel in Gruppen, kann aberauch im Einzelgespräch zwischen Therapeut und Patient bzw.Therapeut und Angehörigem stattfinden. Für Akutpatienten mitpsychotischen Symptomen oder starken Konzentrations- undAufmerksamkeitsstörungen ist eine Psychoedukation nicht geeignet.Betroffene sollten nur in ausreichend stabilisiertem Zustandan einer Gruppe teilnehmen, denn das Risiko einer Psychoedukationist, dass die Information über die Erkrankung und ihremöglichen Folgen und Symptome Betroffene stark belastet.Formen und AnbieterVorteil der Gruppe ist der gegenseitige Austausch unter denBetroffenen. So kann der Patient von Erfahrungen andererPatienten lernen, daraus für sich Strategien für den Umgang mitder Krankheit entwickeln, Anzeichen drohender Rückfälle erkennenund lernen, entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten.Psychoedukation wird zum Teil bereits in der Klinik angeboten,Gruppenleiter sind meist Ärzte, Psychologen, Diplom-Pädagogenoder geschultes pflegerisches Personal.Psychoedukative Gruppen treffen sich ein bis zwei Mal wöchentlich,insgesamt ca. 14 Mal. Die vermittelten Inhalte folgen einem festenCurriculum, so dass die Gruppen in der Regel fest sind, d. h.: ImLauf einer Schulung kommen keine neuen Mitglieder hinzu.Erfolgt die Edukation in der Klinik, wird sie für Patienten imRahmen der stationären oder tagesklinischen Behandlung abgerechnet.Erfolgt sie im ambulanten Bereich von Institutsambulanzen, entstehendem Patienten ebenfalls keine Kosten, er benötigt in derRegel aber eine Überweisung seines Arztes.Kliniken bieten Psychoedukation teilweise auch für Angehörigean, häufig auch kostenfrei.Psychoedukation im Rahmen einer Psychotherapie wird als Teildieser Therapie abgerechnet.KostenübernahmeIm Rahmen einer Ergotherapie geht es für Menschen mitPsychosen vor allem um die sogenannte „psychisch-funktionelleBehandlung“.Diese dient der Therapie krankheitsbedingter psychosozialer undsozioemotionaler Störungen.ErgotherapieBehandlung 15


Das umfasst z. B. Maßnahmen zur Verbesserung• der psychischen Grundleistungsfunktionen wie Antrieb,Motivation, Belastbarkeit, Ausdauer, Flexibilität undSelbstständigkeit in der Tagesstrukturierung,• der Realitätsbezogenheit, der Selbst- und Fremdwahrnehmung,• des situationsgerechten Verhaltens, auch der sozioemotionalenKompetenz und Interaktionsfähigkeit,• der psychischen Stabilisierung und des Selbstvertrauens oder• der eigenständigen Lebensführung und der Grundarbeitsfähigkeiten.VerordnungErgotherapie gehört zu den Heilmitteln, wie z. B. auch Massagenund Krankengymnastik. Sie muss vom Arzt verordnet werdenund wird in der Regel von der Krankenkasse übernommen. Diepsychisch-funktionelle Behandlung kann als Einzel- oder Gruppenbehandlungverordnet werden.ZuzahlungErwachsene gesetzlich Krankenversicherte zahlen 10 % der Kostenplus 10,– € je Verordnung zu. Eine Befreiung von der Zuzahlungist bei Überschreitung der Belastungsgrenze möglich, Detailssiehe S. 46.Therapiebesuch zu HauseDie Verordnung von Ergotherapie außerhalb der Praxis des Therapeuten,insbesondere in Form eines Hausbesuchs, ist ausnahmsweisenur dann zulässig, wenn der Patient aus medizinischenGründen den Therapeuten nicht aufsuchen kann bzw. wenn derHausbesuch aus medizinischen Gründen zwingend notwendig ist.Der Arzt muss dann auf der Verordnung „Hausbesuch“ ankreuzen.Der Patient muss zusätzlich zur Zuzahlung die Fahrtkosten übernehmen.?Wer hilft weiter?Adressen von Ergotherapeuten vermittelt der Verband derErgotherapeuten unter Telefon 07248 9181-0,Mo–Mi 9–12 Uhr und 14–16 Uhr,Do 9–16 Uhr und Fr 9–12 Uhr,per E-Mail info@dve.info oder im Internet unterwww.dve.info/service/praxenverzeichnis.Es gibt Ergotherapie-Praxen mit dem Schwerpunkt Psychiatrie.Darauf sollten Patienten mit Psychosen bei der Ergotherapeutensucheachten.16 Behandlung


Psychoseseminare richten sich an Psychose-Erfahrene, Angehörigeund Therapeuten gleichzeitig und dienen demwechselseitigen Erfahrungsaustausch und der gegenseitigenFortbildung (Trialog). Ziel ist ein breites Verständnis vonPsychosen und eine Unterstützung vielfältiger Bewältigungsstrategien.PsychoseseminareDie Vielfalt des subjektiven Erlebens und der individuellenVerarbeitung von Psychosen nimmt in den Psychoseseminarenbesonders viel Raum ein.• Die Kommunikation auf Augenhöhe stärkt das Selbstwertgefühlder Selbst-Betroffenen und lässt Therapeuten einenentsprechenden wertschätzenden Umgang auch im psychiatrischenAlltag üben.• Für die Patienten ist der Austausch über eigene Erfahrungenin der wohlwollenden Atmosphäre und ohne Veränderungsdruckhilfreich bei der Integration des Erlebten.• Der Austausch erweitert die Perspektive. Er hilft Patienten,sich besser in ihre eigenen Angehörigen hineinzuversetzen,wenn sie mit fremden Angehörigen sprechen. Dasselbe giltfür teilnehmende Angehörige: Sie können sich besser in einenPatienten hineinversetzen, wenn es nicht der Patient in dereigenen Familie ist.• Profis und Auszubildende können ihr Verständnis von Psychosenerweitern und lernen eine Vielfalt von Verarbeitungsmöglichkeitenkennen.Adressen von Psychoseseminaren finden Sie unterwww.psychiatrie.de/hilfenetz/psychoseseminare oder sind zuerfragen beim Dachverband psychosozialer Hilfsvereinigungen,Telefon 0228 632646, dachverband@psychiatrie.de.Soteria ist eine alternative stationäre Behandlungsformspeziell bei Schizophrenie, aber auch bei anderen Psychosen.SoteriaDas Wort Soteria kommt aus dem Griechischen und bedeutet„Wohl, Rettung, Heil“. Die Psychosebegleitung erfolgt in der Formaktiven Dabeiseins („being-with“), mit neuroleptischer Medikationwird zurückhaltend umgegangen und es wird ein milieutherapeutischerAnsatz verfolgt.Soteria erfolgt in kleinen heimartigen Häusern, maximal 10Bewohner werden aufgenommen. Zentraler Gedanke ist dieAbschirmung der Bewohner von verwirrenden Umwelteinflüssen.Sie werden kontinuierlich unterstützt durch tragende zwischenmenschlicheBeziehungen und durch die Geborgenheit derUmgebung, die die Befindlichkeit beeinflusst.Behandlung 17


Die Betreuung erfolgt rund um die Uhr mit einer festen Bezugspersonpro Bewohner. Die Beziehung zwischen Bezugsperson undBewohner wird gleichwertig gestaltet. Es geht darum, eine beruhigende,ausgeglichene Atmosphäre zu schaffen. Die Mitarbeiterunterstützen und fördern je nach individuellem Befindendes Bewohners. Behandlungsziele werden gemeinsam entwickelt.Eine Tagesstruktur wird geschaffen und soll die Bewohner zu alltäglichenVerrichtungen anhalten (Kochen, Putzen etc.). DieseAufgaben sind für die Bewohner überschaubar und die Ergebnisseund Erfolge sind unmittelbar erkennbar.Wichtig ist die Kontinuität in der Betreuung, die durch 24- oder48-Stunden-Dienste der Mitarbeiter ermöglicht wird. Soteria legtzudem großen Wert auf eine enge Zusammenarbeit mit denAngehörigen, weiteren Bezugspersonen und Betreuern.Derzeit gibt es nur wenige Soteria-Einrichtungen in Deutschland,z. B. in Zwiefalten, München, Köln und Leipzig. In manchenpsychiatrischen Kliniken werden Elemente des Soteria-Konzeptsangewandt. Adressen unter www.soteria-netzwerk.de/#soteria.GerontopsychiatrischeEinrichtungenGerontopsychiatrie ist ein Teilgebiet der Psychiatrie, das sichmit der diagnostischen Abklärung und Behandlung psychischerErkrankungen im Alter befasst.Häufig werden Demenzerkrankungen und Depressionen behandelt,aber auch Wahnvorstellungen und Schizophrenien. Manchmalkönnen erst bei einem stationären Aufenthalt diagnostische Maßnahmenergriffen werden und eine sinnvolle medikamentöseEinstellung erfolgen.Die Behandlungsmaßnahmen in gerontopsychiatrischen Einrichtungendienen nicht nur der medikamentösen Therapie derpsychischen Beeinträchtigungen, sondern fördern auch nocherhaltene Fertigkeiten und soziale Kontakte. Ziel ist die Verbesserungder durch die Erkrankung beeinträchtigten Lebensqualitätund die Entlassung des Patienten in seine häuslicheUmgebung.18 Behandlung


Sozialpsychiatrischer DienstEine Schlüsselrolle in der Beratung und Begleitung vonMenschen mit Psychosen nehmen häufig die SozialpsychiatrischenDienste (SpDi) ein. Die Dienste gibt es nahezu überall,meist sind sie an die lokalen Gesundheitsämter angegliedert,zum Teil, vor allem in Süddeutschland, sind aberauch Wohlfahrtsverbände die Träger.Die Aufgaben und die Personalausstattung der SpDi sind sehr unterschiedlichund variieren oft schon von einer Stadt zur nächsten.In der Regel arbeiten Ärzte und Sozialarbeiter beim SpDi, bisweilenauch Krankenschwestern oder Psychologen. In der Regelbieten sie aber weder Psychotherapie an noch dürfen sie Medikamenteverschreiben. Fast überall werden die SpDi bei Krisensituationeninvolviert, wenn es also z. B. um die Begutachtungakut gefährdeter Patienten geht und um die Frage, ob sie stationäruntergebracht werden sollen (siehe Seite 8). Häufig halten sieKontakte zu Menschen mit Psychosen, die sich stark zurückziehenund wenig bis keine anderen sonstigen Kontakte haben. Siemachen auch Hausbesuche bei betroffenen Familien und bietenKontaktmöglichkeiten (z. B. Patientenclubs) und Beratung.Die SpDi sind gut über regionale Hilfen, Angebote und Einrichtungenfür Menschen mit psychotischen Störungen informiert,so dass sie immer eine gute Anlaufstelle bei der Suche nachentsprechenden Adressen sind.Welcher Sozialpsychiatrische Dienst regional zuständig ist,erfährt man beim Gesundheitsamt.?Wer hilft weiter?Sozialpsychiatrischer Dienst 19


ArbeitBei einer Chronifizierung der psychotischen Störung kommtes zu bleibenden bzw. immer wiederkehrenden Beeinträchtigungen,die nicht selten zum Verlust des Arbeitsplatzes führen.Arbeitslosigkeit kann aber ein zusätzlicher Risikofaktor füreine erneute Akutphase sein. Einer Berufstätigkeit ist dahernicht nur aus finanziellen, sondern auch vielen weiterenGründen eine hohe Priorität einzuräumen.Arbeit• schafft soziale Kontakte und Beziehungen.• ermöglicht die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.• fördert Aktivität.• strukturiert den Tagesablauf.• gibt dem Menschen eine anerkannte Rolle und einensozialen Status und unterstützt damit die Bildung einersubjektiven Identität.Dabei muss aber ebenso berücksichtigt werden, dass der Betroffeneeiner wie auch immer gearteten Arbeitstätigkeit gewachsensein muss, denn auch Druck und Überforderung könneneine Akutphase auslösen. Eine besondere Rolle spielt hier dersogenannte Reha-Druck, d. h. die Vorgabe, innerhalb einerbestimmten Frist mit einer bestimmten Maßnahme das vorgegebeneZiel zu erreichen.!PraxistippsFolgende Tipps sind bei Menschen mit psychotischenStörungen zu beachten, die einen Arbeitsplatz haben:• In einer Akutphase kann die Gefahr bestehen, dass der Patientder Arbeit fernbleibt, ohne beim Arzt eine Krankmeldung(= AU-Bescheinigung) zu besorgen. Angehörige können hierhelfen, indem sie zum Arztbesuch motivieren oder beim Arzteinen Hausbesuch erbitten. Die AU-Bescheinigung muss anden Arbeitgeber und an die Krankenkasse geschickt werden.Ohne AU-Bescheinigung gefährdet der Patient sowohl seinenArbeitsplatz als auch eine spätere Krankengeldzahlung(siehe auch S. 29).• Wenn ein Arbeitnehmer gekündigt wird, endet die Pflichtmitgliedschaftin der Krankenkasse. Er muss sich dann rechtzeitigum seinen Krankenversicherungsschutz kümmern,Details siehe S. 45.20 Arbeit


Ziel der Stufenweisen Wiedereingliederung (sogenanntes„Hamburger Modell“) ist, arbeitsunfähige Arbeitnehmer nachlängerer schwerer Krankheit schrittweise an die volle Arbeitsbelastungheranzuführen und so den Übergang zur vollenBerufstätigkeit zu erleichtern.Die Stufenweise Wiedereingliederung ist eine Maßnahme derMedizinischen Rehabilitation, Träger ist meist die Krankenkasse.StufenweiseWiedereingliederungFür eine Stufenweise Wiedereingliederung müssenfolgende Voraussetzungen vorliegen:• Es besteht noch Anspruch auf Krankengeld (siehe S. 29) bzw.der Arbeitnehmer ist noch arbeitsunfähig (siehe S. 28).• Der Versicherte ist mit der Maßnahme einverstanden.• Der Arzt stellt einen Wiedereingliederungsplan auf.• Der Arbeitgeber erklärt sich mit der Maßnahme einverstanden.• Der Versicherte wird am bisherigen Arbeitsplatz eingesetzt.VoraussetzungenDie Dauer der Wiedereingliederung ist abhängig vom individuellengesundheitlichen Zustand des Arbeitnehmers. In der Regel dauertsie 6 Wochen bis 6 Monate.DauerGrundsätzlich erhält der Versicherte während der Wiedereingliederungweiterhin Krankengeld von der Krankenkasse. Fallsder Arbeitgeber während der Maßnahme freiwillig Arbeitsentgeltentrichtet, dann wird dies auf das Krankengeld angerechnet.EntgeltVorgehensweise• Dem Arbeitsversuch muss als Erstes aus medizinischer Sichtzugestimmt werden: Nach Überzeugung des Arztes dürfeneiner Stufenweisen Wiedereingliederung keine medizinischenGründe entgegenstehen.• Der Versicherte muss die Stufenweise Wiedereingliederungselbst wollen.• Arzt und Patient füllen gemeinsam den Antrag aufStufenweise Wiedereingliederung aus. Dieses Formular hatjeder Arzt vorliegen. Es kann bei der Krankenkasse oder beimRentenversicherungsträger angefordert werden.!PraxistippsArbeit 21


• Arzt und Patient erstellen gemeinsam einen „Wiedereingliederungsplan“,aus dem hervorgeht, mit welcher Tätigkeitund Stundenzahl begonnen wird und in welchem ZeitraumArt und Umfang der Tätigkeit gesteigert werden.• Der Antrag wird dem Arbeitgeber vorgelegt – von ihm hängtdie Stufenweise Wiedereingliederung ab: Er muss seinEinverständnis mit der Maßnahme mit einer Unterschriftbestätigen, ist dazu aber nicht verpflichtet.• Es empfiehlt sich, eine Stellungnahme des Betriebsarztesbzw. des MDK einzuholen.• Der Antrag wird bei der Krankenkasse eingereicht. Dieseprüft, ob sie der Maßnahme zustimmt. Zum Teil beziehtauch die Krankenkasse den MDK mit ein.• Haben alle Beteiligten zugestimmt, kann die Maßnahmebeginnen.• Während der eingeschränkten Beschäftigung bleibt derVersicherte weiterhin arbeitsunfähig geschrieben.?Wer hilft weiter?Informationen geben die Krankenkassen, der behandelnde Arztund der Arbeitgeber.SchwerbehinderungWenn ein Betroffener mit psychotischen Störungen alsschwerbehindert (Details siehe S. 53) anerkannt ist, genießter einen besonderen Kündigungsschutz, bekommt zusätzlichfünf bezahlte Urlaubstage im Jahr und kann eine vorgezogeneAltersrente ab 63 Jahren oder – mit Rentenkürzung – ab 60Jahren beantragen.Personen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50,aber mindestens 30, können sich Schwerbehinderten gleichstellenlassen (Details siehe S. 54), wenn sie dann einen Arbeitsplatzerlangen oder behalten können.?Wer hilft weiter?Hilfreiche Anlaufstelle für alle Fragen zu Arbeit bei Schwerbehinderungsind die Integrationsfachdienste. Sie• unterstützen berufsbegleitend, wenn eine Arbeitsstellevorhanden ist, und• vermitteln in Arbeit, wenn der Betroffene arbeitslos ist.22 Arbeit


Hat der Patient kein Arbeitsverhältnis (mehr) und ist dieAufnahme einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarktnicht möglich, sind Projekte auf dem sogenannten zweitenArbeitsmarkt, insbesondere ABM- oder SAM-Projekte, denkbareArbeitsfelder.Zweiter Arbeitsmarktund IntegrationsprojekteABM steht für Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, SAM steht fürStrukturanpassungsmaßnahme (§ 272 SGB III). Allerdings wurdendie Geldmittel für subventionierte Arbeit im Zuge der Hartz-IV-Reformen sehr stark reduziert.Auf dem zweiten Arbeitsmarkt gibt es eine große Vielfalt vonProjekten, die regional sehr unterschiedlich ausgeprägt sind undmeist von mehreren Kostenträgern gemeinsam getragen werden.Mögliche Träger, Partner und/oder Geldgeber sind z. B.:• Agentur für Arbeit• Integrationsamt, Integrationsfachdienst• Sozialpsychiatrischer Dienst (siehe S. 19),psychosozialer Dienst• Gemeinden, Städte, Landkreise, Bezirke• Ministerien, hier oft Sonderförderprogramme• Aktion Mensch, Lebenshilfe• Behindertenwerkstätten• Wohlfahrtsverbände wie Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz• Kirchen• Stiftungen und Spenden• FirmenFinanzierung und TrägerFür die Beschäftigten handelt es sich dann zum Teil auch um sogenannteEin-Euro-Jobs (= „Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandentschädigungennach SGB II“).Sie geben den Beschäftigten die Möglichkeit, über den öffentlichenund sozialen Sektor im Berufsleben wieder Fuß zu fassenund die tagtägliche Arbeitsfähigkeit zu testen, Details siehe S. 35.Integrationsfirmen können zusammen mit mehreren der ebengenannten Partner betrieben werden, aber auch unabhängigagieren. Sie arbeiten wie ein normales Unternehmen und bietenihre Leistungen an, sind aber gleichzeitig gemeinnützig undwerden gefördert, weil sie einen besonderen Aufwand durch dieStruktur ihrer Mitarbeiter haben. Überwiegend sind diese Unternehmenim handwerklichen und im Dienstleistungssektor aktiv.Nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Integrations-IntegrationsfirmenArbeit 23


firmen gibt es in Deutschland rund 700 Integrationsfirmen und-projekte in den verschiedensten Branchen: von industriellerFertigung über Dienstleistungen, Handel, Handwerk, Hotel- undGaststättengewerbe bis hin zu Multimedia- und IT-Firmen.Die Integrationsziele der Firmen sind unterschiedlich. Sie reichenvon der Ausbildung und Umschulung über die Hilfe zur Vermittlungin den ersten Arbeitsmarkt bis hin zur dauerhaften Beschäftigungunter geschützten Arbeitsbedingungen.Zum Teil bieten auch reguläre Firmen beschützte oder integrativeArbeitsplätze für Menschen mit psychischen Störungen an.ZuverdienstprojekteDas Problem bei den meisten bisher genannten Arbeitsmöglichkeitenist, dass sie von einer kontinuierlichen Vollzeitbeschäftigungausgehen. Das ist eine große Hürde für Menschen mitPsychosen. Hilfreich sind hier sogenannte „Zuverdienstprojekte“für Menschen mit psychischen Störungen.Sie bieten Arbeits- und Trainingsmöglichkeiten für wenigerals 20 Wochenarbeitsstunden und passen ihre Anforderungenmit folgenden Maßnahmen an die Leistungsfähigkeit desjeweiligen Betroffenen an:• Flexible Arbeitszeiten• Flexible Arbeitsgeschwindigkeit und -produktivität,bei Bedarf viele Pausen• Rücksicht auf Leistungsschwankungen und Krankheitsausfälle• Keine zeitliche Befristung der Beschäftigung(Loslösung von Bewilligungszeiträumen)• Kein Reha-Druck mit Zielvorgabe: Mitarbeiter können auch„einfach so“ bleiben.Die Trägerschaft ist ebenso vielfältig wie oben genannt, zum Teilsind die Projekte an Integrationsfirmen (siehe S. 23) oder Tagesstätten(siehe S. 26) angegliedert. Trotz der flexiblen Vorgabenmüssen wirtschaftlich verwertbare Produkte oder Dienstleistungenerbracht werden. Kosten und Gehalt müssen erwirtschaftetwerden, die Qualität der Arbeit muss stimmen und die Entlohnungist abhängig von der Arbeitsleistung.Werkstätten fürbehinderte MenschenManche Werkstätten für behinderte Menschen bieten spezielleArbeitsmöglichkeiten für Menschen mit psychischen Behinderungen.Informationen zur Schwerbehinderung siehe S. 53.24 Arbeit


Auf der Suche nach geeigneten Arbeitsmöglichkeiten helfen derSozialdienst in der Klinik, der ambulante SozialpsychiatrischeDienst (siehe S. 19), alle Träger mit entsprechenden Angeboten,das sind meist Wohlfahrtsverbände, aber auch Gemeinden undVereine, sowie mögliche Kostenträger, z. B. Integrationsamt oderAgentur für Arbeit.?Wer hilft weiter?Berufsfindung und Arbeitserprobung dienen dazu, den geeignetstenWeg der beruflichen (Wieder-)Eingliederung zufinden.Berufsfindung undArbeitserprobungSie zählen zu den Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben (sieheS. 40). In der Regel geht es dabei um das Finden und Erprobeneines neuen beruflichen Umfelds. Die Maßnahmen werden meistin Berufsförderungs- und Berufsfindungswerken durchgeführt.Einige von ihnen haben sich auf die Berufsfindung für psychischkranke Menschen spezialisiert.• Die Berufsfindungklärt das Leistungsvermögen, die Eignung und Neigungsowie die Auswirkungen der Behinderung auf eine spätereberufliche Tätigkeit des Versicherten.• Die Arbeitserprobungsoll nach weitgehender Klärung und Entscheidung für einenBeruf noch bestehende Fragen zu bestimmten AusbildungsundArbeitsplatzanforderungen klären.Beim Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen übernimmtder Rentenversicherungsträger die Kosten. Die Krankenkasse zahltnachrangig. Bei Geringverdienenden oder nicht Versichertenkommt unter Umständen das Sozialamt für die Kosten auf.Die Anmeldung erfolgt durch den Reha-Träger in Abstimmungmit den Fachdiensten der Agentur für Arbeit.Erforderliche Unterlagen:• Eingliederungsplan, der vom Reha-Träger zusammen mit derAgentur für Arbeit vor Ort und dem Behinderten erstellt wird• Eignungsgutachten des Fachpsychologen• ärztliche Gutachten mit Befundunterlagen• Kostenzusage des Reha-TrägersKostenübernahme!PraxistippsEin Verzeichnis der bundesweiten Berufsförderungswerke ist mitder Bestellnummer A 714 erhältlich beim Bundesministerium fürArbeit und Soziales, Telefon 0180 515151-0, www.bmas.bund.de.Arbeit 25


?Wer hilft weiter? Fragenbeantworten der jeweils zuständige Sozialversicherungsträgeroder die Servicestellen. Letztere klären im Zweifelsfall auchab, welcher Träger für die Berufsfindung und Arbeitserprobungzuständig ist.Arbeitstherapieund BelastungserprobungArbeitstherapie und Belastungserprobung unterstützen dieWiedereingliederung in das Arbeitsleben und gehören zu denLeistungen der Medizinischen Rehabilitation (siehe S. 37).Als Arbeitstherapie gelten die Ausbildung und Klärung von• Handfertigkeiten,• handwerklich-technischen Fähigkeiten und/oder• geistig-psychischen Befähigungen (z. B. Interesse, Ausdauer,Pünktlichkeit, Auftreten im Arbeitsmilieu, Kontaktfähigkeit,Kooperationsbereitschaft)zur Vorbereitung auf die Arbeitsaufnahme im alten Beruf.Als Belastungserprobung gelten• die Feststellung der körperlichen und geistig-seelischenLeistungsbreite durch praktische Überprüfung oder Tests.• die Ermittlung der Eignung eines Menschen für die allgemeinesoziale oder berufliche Wiedereingliederung in den erlerntenoder einen neuen, angemessenen Beruf.KostenübernahmeDie Krankenkassen, die Rentenversicherungsträger oder die Berufsgenossenschaftenübernehmen unter bestimmten Voraussetzungendie Kosten. Bei Geringverdienenden oder nicht Versichertenkommt unter Umständen das Sozialamt für die Kosten auf.Die Kosten werden nur übernommen, wenn die Maßnahmen ärztlichverordnet sind und wenn noch nicht abschließend beurteiltwerden kann, welche Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben(siehe S. 40) für den Versicherten notwendig sind.TagesstättenTagesstätten sind Einrichtungen, in denen Menschen mitpsychischen Störungen an Wochentagen tagsüber betreutund zu Beschäftigung angeleitet werden.26 Arbeit


Die Einrichtungen sind immer möglichst niedrigschwellig,je nach Konzept ist das Kommen und Fernbleiben freiwillig oderverbindlich. Mit der Tagesgestaltung in der Tagesstätte beginnendie Betroffenen, eine Tagesstruktur aufzubauen und einfacheAufgaben zu übernehmen.Typische Angebote und Hilfen einer Tagesstätte sind:• Tagesstrukturierende Angebote• Förderung sozialer Kontakte• Kreativkurse oder -arbeit mit Farben, Holz, Ton, Musik,Förderung persönlicher Interessen• Anleitung bei Dingen des alltäglichen Lebens• Kognitive Arbeit (auch am PC)• Entspannung und Bewegung• Ausflüge und Ferienfreizeiten• Unterstützung bei Behörden- und WohnungsangelegenheitenHäufig sind an Tagesstätten Beratungsangebote angegliedert, diebei sozialrechtlichen Fragen helfen oder bei der Suche nach Reha,Therapie- oder Arbeitsmöglichkeiten. Bisweilen machen sie auchselbst solche Angebote. Manche Tagesstätten sind als Vereine oderClubs organisiert. In der Regel stellen sie dann an die sozialenFähigkeiten der Mitglieder höhere Anforderungen und forderneine etwas höhere Verbindlichkeit, z. B. durch die Übernahme vonPflichten zu bestimmten Zeiten.Arbeit 27


Finanzielle Leistungen beiArbeitsunfähigkeit und ArbeitslosigkeitArbeitsunfähigkeitDefinition „Arbeitsunfähigkeit“Arbeitsunfähigkeit (AU) ist ein durch Krankheit oder Unfallhervorgerufener regelwidriger Körper- oder Geisteszustand,aufgrund dessen der in der Kranken- und UnfallversicherungVersicherte seine bisherige Erwerbstätigkeit nicht oder nurunter Gefahr der Verschlimmerung des Zustands weiter ausübenkann. Die AU ist Voraussetzung für Entgeltfortzahlungund Krankengeld. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, demArbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und die voraussichtlicheDauer unverzüglich mitzuteilen.EntgeltfortzahlungEntgeltfortzahlung erhalten alle Arbeitnehmer – auch geringfügigBeschäftigte, unabhängig von der wöchentlichenArbeitszeit –, die ein ununterbrochenes Arbeitsverhältnis vonmindestens 4 Wochen haben.Die AU muss ohne Verschulden des Arbeitnehmers eingetreten sein.Die gesetzliche Anspruchsdauer auf Entgeltfortzahlung beträgt6 Wochen. Die Entgeltfortzahlung beträgt 100 % des bisherigenüblichen Arbeitsentgelts, dazu zählen auch regelmäßig gewährteZulagen sowie Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld. Dauert dieArbeitsunfähigkeit länger als 6 Wochen, erhält der VersicherteKrankengeld, Details siehe S. rechts.VoraussetzungenUm Entgeltfortzahlung zu erhalten, muss man bestimmteVoraussetzungen erfüllen:• Entgeltfortzahlung erhalten alle Arbeitnehmer, auch geringfügigBeschäftigte und Auszubildende, unabhängig von derwöchentlichen Arbeitszeit, die ein ununterbrochenes Arbeitsverhältnisvon mindestens 4 Wochen haben.• Die AU muss ohne Verschulden des Arbeitnehmerseingetreten sein.28 Finanzielle Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit und ArbeitslosigkeitIm Anschluss an die Entgeltfortzahlung erhalten die meistenArbeitnehmer Krankengeld.


Krankengeld erhalten versicherte Patienten von der Krankenkasse,wenn sie länger als 6 Wochen arbeitsunfähig sind. DasKrankengeld ist eine sogenannte Lohnersatzleistung, d. h., siewird nur gezahlt, wenn nach 6 Wochen kein Anspruch (mehr)auf Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber besteht.KrankengeldVoraussetzungen für den Erhalt von Krankengeld:• Grundsätzlicher Anspruch auf Krankengeldbezug durchdie Krankenversicherung• Arbeitsunfähigkeit aufgrund Krankheit oderstationärer Behandlung in Krankenhaus, Vorsorge- oderReha-Einrichtung auf Kosten der Krankenkasse• Es handelt sich immer um dieselbe Krankheit bzw. um eindeutigeFolgeerkrankungen derselben Grunderkrankung.Tritt während der Arbeitsunfähigkeit eine weitere Krankheitauf, verlängert sich die Leistungsdauer dennoch nicht.VoraussetzungenDas Krankengeld beträgt 70 % des regelmäßigen Arbeitsentgelts(sogenanntes regelmäßiges Bruttoentgelt), maximal aber 90 %des regelmäßigen Nettoarbeitsentgelts. Der Höchstbetrag liegtbei 83,13 € täglich.HöheKrankengeld gibt es wegen derselben Krankheit für eine maximaleLeistungsdauer von 78 Wochen innerhalb von je 3 Jahren abBeginn der Arbeitsunfähigkeit. Dabei handelt es sich um die sogenannteBlockfrist.DauerEine Blockfrist beginnt mit dem erstmaligen Eintritt der Arbeitsunfähigkeitfür die ihr zugrunde liegende Krankheit. Bei jederArbeitsunfähigkeit wegen einer anderen Erkrankung beginnt eineneue Blockfrist. Es ist möglich, dass mehrere Blockfristen nebeneinanderlaufen. Wenn jedoch dieselbe Krankheit (z. B. Psychose)einen Krankheitsschub (Akutphase) bewirkt, gilt dieselbe Blockfrist.Die Leistungsdauer verlängert sich auch nicht, wenn währendeiner Arbeitsunfähigkeit eine weitere Krankheit hinzutritt. Es bleibtbei maximal 78 Wochen.Zeiten, in denen der Anspruch auf Krankengeld zwar theoretischbesteht, aber tatsächlich ruht oder versagt wird, werden wieBezugszeiten von Krankengeld angesehen.Finanzielle Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit 29


BeispielDer Arbeitgeber zahlt bei Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmersdessen Arbeitsentgelt bis zu 6 Wochen weiter, d. h.,der Anspruch auf Krankengeld besteht zwar, aber er ruht.Erst danach gibt es Krankengeld. Die 6 Wochen Entgeltfortzahlungwerden aber wie Krankengeldbezugszeiten behandelt,so dass noch maximal 72 Wochen lang (78 Wochen abzüglich6 Wochen = 72 Wochen) Krankengeld gezahlt wird.Ende des KrankengeldsDas Ende des Krankengelds kann maßgeblich von derKrankenkasse gesteuert werden. Dazu hat die Krankenkassefolgende Möglichkeiten:• Wenn die Erwerbsfähigkeit des Versicherten nach ärztlichemGutachten erheblich gefährdet oder gemindert ist, kann dieKrankenkasse dem Versicherten eine Frist von 10 Wochensetzen, um einen Antrag auf Rehamaßnahmen zu stellen.• Ebenso kann die Krankenkasse den Krankengeldempfängerauffordern, einen Antrag auf Rente zu stellen. Dem musser ebenfalls innerhalb von 10 Wochen nachkommen. Hat ernoch Anspruch auf Krankengeld, erhält er dieses weiter, bisüber den Rentenantrag entschieden ist.• Wird ein arbeitsloser Krankengeldempfänger von der Krankenkasseaufgefordert, einen Antrag auf Abgestufte Erwerbsminderungsrente(siehe S. 57) zu stellen, wird die Krankengeldzahlungeingestellt und die Agentur für Arbeit zahltArbeitslosengeld bei Arbeitsunfähigkeit (siehe S. 32).• Wird der Anspruch auf Krankengeld (78 Wochen Arbeitsunfähigkeitinnerhalb von 3 Jahren wegen derselbenErkrankung) ausgeschöpft und ist der Versicherte nochimmer arbeitsunfähig, dann endet seine Mitgliedschaftin der gesetzlichen Krankenversicherung. Dieser Vorgangwird auch Aussteuerung genannt.Drohendes Ende desKrankenversicherungsschutzesEs liegt im Ermessen der Krankenkasse, ob sie den Wegfall desKrankengelds plant und den Versicherten auffordert, innerhalbvon 10 Wochen einen Antrag auf Reha oder Rente zu stellen.30 Finanzielle Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit und ArbeitslosigkeitKommt der Versicherte dieser Aufforderung nicht fristgerechtnach, ruht mit Ablauf der Frist der Anspruch auf Krankengeld unddie Mitgliedschaft in der Krankenkasse endet. Wird der Antragspäter gestellt, lebt der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tagder Antragstellung wieder auf, aber nicht die Mitgliedschaft. MitEnde des Krankengelds endet die Mitgliedschaft auf jeden Fall.


Um weiter krankenversichert zu bleiben, gibt esverschiedene Möglichkeiten:• freiwillige Versicherung bei der Krankenkasse• Familienversicherung (wenn z. B. der Ehemann/die EhefrauMitglied einer gesetzlichen Krankenkasse ist)• Beantragung von Arbeitslosengeld bei Arbeitsunfähigkeit(siehe S. 32)Ist abzusehen, dass der Krankengeldbezug endet, sollten sichder Betroffene oder die Angehörigen unbedingt rechtzeitigmit der Krankenkasse in Verbindung setzen, um den künftigenVersicherungsschutz zu klären.!PraxistippDie Regelungen zum Arbeitslosengeld sind von vielen individuellenVoraussetzungen abhängig und teilweise sehrkompliziert. Genaue und verbindliche Auskünfte geben dieAgenturen für Arbeit.ArbeitslosengeldVoraussetzungen für den Erhalt von Arbeitslosengeld sind:• Arbeitslosigkeit• Bereitschaft, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stehen• Wer länger arbeitsunfähig ist, z. B. in der Akutphase einerPsychose, erfüllt diese Voraussetzung nicht und bekommtkein Arbeitslosengeld.• Persönliche Arbeitslosenmeldung• Erfüllung der AnwartschaftszeitDie Anwartschaftszeit ist erfüllt, wenn der Antragsteller inden letzten 2 Jahren vor der Arbeitslosmeldung und demEintritt der Arbeitslosigkeit mindestens 12 Monate ineinem Versicherungspflichtverhältnis stand.VoraussetzungenTreten bei einem Empfänger von Arbeitslosengeld massive psychotischeStörungen auf, muss er sich bei der Agentur für Arbeitarbeitsunfähig (siehe S. 28) melden. Ab diesem Tag bekommt ernoch 6 Wochen Leistungsfortzahlung und anschließend Krankengeldvon der Krankenkasse (siehe S. 29) in Höhe des Arbeitslosengelds.Krankheitsschubwährend ArbeitslosengeldFinanzielle Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit 31


Arbeitslosengeldbei ArbeitsunfähigkeitIst die Arbeitsfähigkeit eines Arbeitslosen gemindert, gibt esals Sonderform das Arbeitslosengeld bei Arbeitsunfähigkeit,die sogenannte Regelung im Sinne der Nahtlosigkeit.Diese Zahlung überbrückt die Zeit ohne Arbeitslosengeld (weilman nicht vermittelt werden kann), bis eine andere Leistung, z. B.Weiterbildung oder Rente, gezahlt wird.?Wer hilft weiter?Die örtliche Agentur für Arbeit hilft bei allen Fragen des Arbeitslosengeldsund führt individuelle Berechnungen durch.Grundsicherungfür Arbeitssuchende(Hartz IV)Die „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ (SGB II) umfasstLeistungen für erwerbsfähige, hilfebedürftige Menschen von 15bis 64 Jahren. Die bekannteste Leistung ist das Arbeitslosengeld II(= ALG II, siehe S. 36).Leistungsempfänger sind ein Teil der früheren Empfänger vonArbeitslosenhilfe (abgeschafft seit 1.1.2005) und von Sozialhilfe(nur noch für nicht erwerbsfähige Menschen). Leistungen erhaltenauch Personen, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einerBedarfsgemeinschaft leben.Erläuterungen zu den fett gedruckten Begriffen nachfolgend:VoraussetzungErwerbsfähigkeitErwerbsfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderungauf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungendes allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stundentäglich zu arbeiten.32 Finanzielle Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit und ArbeitslosigkeitZumutbarkeit von ArbeitGrundsätzlich ist jede Arbeit zumutbar, auch wenn• sie nicht dem früheren Beruf oder der Ausbildung entspricht.• der Beschäftigungsort weiter entfernt ist als der frühere.• die Bedingungen ungünstiger sind als bei der letztenTätigkeit.Arbeit ist unzumutbar, wenn• der Hilfebedürftige dazu geistig, seelisch und körperlichnicht in der Lage ist.• die Arbeit dem Hilfebedürftigen die künftige Ausübungseiner bisherigen überwiegenden Tätigkeit wesentlicherschweren würde, weil die bisherige Tätigkeit besonderekörperliche Anforderungen stellt.


• die Arbeit die Erziehung eines Kindes oder des Kindes einesLebenspartners gefährden würde. Die Erziehung eines Kindes,das das 3. Lebensjahr vollendet hat, ist in der Regel nichtgefährdet, soweit seine Betreuung in einer Tageseinrichtungoder in Tagespflege oder auf sonstige Weise sichergestellt ist.• die Arbeit mit der Pflege eines Angehörigen nicht vereinbarwäre und die Pflege nicht auf andere Weise sichergestelltwerden kann.• der Ausübung der Arbeit ein sonstiger wichtiger Grundentgegensteht.Ablehnung von ArbeitWird zumutbare Arbeit oder Ausbildung erstmalig abgelehnt, führtdies zu einer Kürzung der Regelleistung um 30 % für 3 Monate.Bei einer zweiten Pflichtverletzung erfolgt eine Kürzung um60 %. Jede weitere Pflichtverletzung hat zur Folge, dass dasArbeitslosengeld II vollständig wegfällt.Junge Menschen unter 25 Jahren sollen sofort in Arbeit oder Ausbildungvermittelt werden. Lehnen sie eine zumutbare Erwerbstätigkeit,Ausbildung, Eingliederungsmaßnahme oder Arbeitsgelegenheitab, dann erhalten sie für 3 Monate keine Geldleistungen.Auch bei allen anderen gibt es Kürzungen des ALG II,wenn eine zumutbare Ausbildung, Arbeit oder Eingliederungsmaßnahmeabgelehnt wird.Hilfebedürftig sind Menschen, wenn sie ihren Lebensunterhaltnicht aus eigenem Einkommen und Vermögen bestreiten können.Auf die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende werdeneigenes Einkommen und vorhandenes Vermögen angerechnet.VoraussetzungHilfebedürftigkeitZu berücksichtigendes EinkommenGrundsätzlich zählen alle Einnahmen in Geld odergeldwerten Vorteilen zum Einkommen, z. B.:• Einnahmen aus Arbeit (selbstständig oder abhängig beschäftigt)• Arbeitslosengeld oder Krankengeld• Unterhaltsleistungen• Elterngeld über 300,– €(bei doppeltem Bezugszeitraum über 150,– €)Nicht zum Einkommen zählen z. B.:• Kindergeld und Kinderzuschlag (= Einkommen des Kindes)• Elterngeld bis 300,– € bzw. 150,– €• Blindengeld• PflegegeldFinanzielle Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit 33


Vom Einkommen sind unter anderem abzuziehen:• Steuern und Sozialabgaben• Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen,soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oderangemessen sind• geförderte AltersvorsorgebeiträgeEinkommen und FreibetragEinkommen aus Erwerbstätigkeit von ALG-II-Empfängern ist aufdas ALG II anzurechnen, allerdings nicht komplett, sondern es verbleibtein monatlicher Freibetrag beim Erwerbstätigen. Er beträgtmindestens 100,– € (= Grundfreibetrag) und steigt mit steigendemEinkommen. Die individuelle Berechnung macht die Agentur fürArbeit.Zu berücksichtigendes VermögenAls Vermögen sind alle verwertbaren Vermögensgegenständezu berücksichtigen, mit folgenden Ausnahmen:• Schonvermögen– Ein Grundfreibetrag in Höhe von 150,– € je vollendetemLebensjahr des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen undseines Partners, mindestens jeweils 3.100,– €, maximaljeweils 9.750,– €.– Ein Grundfreibetrag in Höhe von 3.100,– € für jedeshilfebedürftige minderjährige Kind.– Bei Menschen, die vor dem 1.1.1948 geboren sind, geltenandere Beträge: Vermögensgrundfreibetrag 520,– € je vollendetemLebensjahr des erwerbsfähigen Hilfebedürftigenund seines Partners, mindestens jeweils 4.100,– €,maximal jeweils 33.800,– €.• Private Altersvorsorge.• Angemessenes Kraftfahrzeug für jeden in derBedarfsgemeinschaft lebenden Hilfebedürftigen.• Selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größeoder eine entsprechende Eigentumswohnung.BedarfsgemeinschaftZur Bedarfsgemeinschaft gehören:• erwerbsfähige Hilfebedürftige• im Haushalt lebende Eltern oder ein im Haushalt lebenderElternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindesunter 25 Jahren und der im Haushalt lebende Partnerdieses Elternteils34 Finanzielle Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit


• Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen• dem Haushalt angehörende unverheiratete Kinder unter25 Jahren des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen oder seinesPartners, soweit sie nicht aus eigenem Einkommen oderVermögen ihren Lebensunterhalt sichern könnenIm Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende bietendie Agentur für Arbeit oder die ARGE folgende Leistungen:• Dienstleistungen, z. B. Information, Beratung und umfassendeUnterstützung mit dem Ziel der Eingliederung in Arbeit.Jeder ALG-II-Empfänger bekommt einen persönlichenAnsprechpartner bei der Agentur für Arbeit, mit dem eineEingliederungsvereinbarung abgeschlossen wird.• Geldleistungen, z. B. zur Eingliederung der erwerbsfähigenHilfebedürftigen in Arbeit (siehe unten) sowie zur Sicherungdes Lebensunterhalts der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen(ALG II, siehe unten) und der mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaftlebenden Personen (= Sozialgeld, siehe unten)• SachleistungenÜberblicküber die LeistungenAußerdem können weitere Leistungen zur Eingliederung inArbeit erbracht werden, z. B.:• Betreuung minderjähriger oder behinderter Kinder oderhäusliche Pflege von Angehörigen• Schuldnerberatung• psychosoziale Betreuung• SuchtberatungAls Leistungen zur Eingliederung gelten die „Arbeitsgelegenheitenmit Mehraufwandentschädigungen“. Dabei handelt es sichum die sogenannten „Ein-Euro-Jobs“.EingliederungFür Empfänger von ALG II, die keine Arbeit finden können,können Kommunen, Verbände der freien Wohlfahrtspflege undStiftungen Arbeitsmöglichkeiten schaffen. Diese Arbeitsgelegenheitendürfen auf keinen Fall reguläre Arbeitsplätze verdrängen.Diese Jobs sollen täglich bis 8 Stunden ausgeübt werden, derALG-II-Empfänger bekommt pro Stunde zwischen 1,– und 2,– €zusätzlich zum ALG II. Es entsteht kein arbeitsrechtliches Verhältnis.Wird diese Arbeitsmöglichkeit abgelehnt, kommt es zuKürzungen des ALG II.Bei entsprechender Auswahl und Begleitung können dieseArbeitsmöglichkeiten auch seelisch beeinträchtigten Menschenbei der Integration in den Arbeitsmarkt oder zu einer Ausbildungverhelfen. Weitere geförderte und betreute Arbeitsmöglichkeitensiehe S. 20.Finanzielle Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit 35


?Wer hilft weiter? Leistungender Grundsicherung für Arbeitssuchende werden inder Regel von den örtlichen Agenturen für Arbeit, den Arbeitsgemeinschaften(ARGE) sowie den kreisfreien Städten und Kreisen(kommunale Träger) erbracht. Sie beraten, betreuen und führenindividuelle Berechnungen durch.Arbeitslosengeld IIund SozialgeldArbeitslosengeld II (ALG II) erhalten Arbeitslose nach demArbeitslosengeld, wenn sie erwerbsfähig und hilfebedürftigsind.Sozialgeld erhalten nicht erwerbsfähige Angehörige, die miterwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben,wenn sie keine Leistungen der Grundsicherung im Alter undbei Erwerbsminderung bekommen.Erklärungen der Begriffe „erwerbsfähig“, „hilfebedürftig“ und„Bedarfsgemeinschaft“ siehe ab S. 32.Höhe und UmfangALG II und Sozialgeld entsprechen dem Niveau der Sozialhilfeund setzen sich im Wesentlichen auch aus denselbenBausteinen zusammen:• Pauschalisierte Regelleistungen (= Leistungen zur Sicherungdes Lebensunterhalts). Diese sollen die Kosten für Ernährung,Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne Heizkosten,Bedarfe des täglichen Lebens und Teilnahme amkulturellen Leben abdecken.• Mehrbedarfe in besonderen Lebenssituationen• Kosten für Unterkunft und HeizungDetails siehe S. 48ALG-ZuschlagZusätzlich können ALG-II-Empfänger einen befristeten Zuschlagim Anschluss an das Arbeitslosengeld bekommen.Der Zuschlag wird maximal 2 Jahre bezahlt und ist imersten Jahr begrenzt auf• maximal 160,– € bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen.• maximal 320,– € bei Partnern.• maximal 60,– € für minderjährige Kinder, die mit dem Zuschlagsberechtigtenin Bedarfsgemeinschaft zusammenleben.Nach Ablauf eines Jahres wird der Zuschlag halbiert.36 Finanzielle Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit


RehabilitationDie Rehabilitation (Reha) ist ein sehr großer und komplexerBereich, für den alle Versicherungsträger zuständig sein können.Grundsätzlich gilt:Reha(bilitation) geht vor Rente (§ 9 SGB VI).Das heißt: Es wird möglichst versucht, mit Rehamaßnahmenden Renteneintritt zu verhindern oder zu verzögern.Ambulant vor stationär (§§ 23 Abs. 4, 40 Abs. 2 SGB V).Das heißt: Erst wenn ambulante Maßnahmen nicht ausreichen,werden stationäre Leistungen erbracht.Hier ein kurzer Überblick über die Bereiche der Rehabilitation:• Medizinische Leistungen zur RehabilitationMedizinische Leistungen zur Rehabilitation dieneninsbesondere der Ausheilung einer Erkrankung undder Wiederherstellung der Gesundheit.• Leistungen zur Teilhabe am ArbeitslebenLeistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (früher „berufsförderndeMaßnahmen“) sollen die ErwerbsfähigkeitBehinderter erhalten, verbessern, (wieder-)herstellen undmöglichst dauerhaft sichern.•Ergänzende Leistungen zur Rehabilitation und TeilhabeErgänzende Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe sindLeistungen zur Wiedereingliederung Behinderter, um das Zielder Rehamaßnahmen zu erreichen und zu sichern. Dazuzählen z. B. Übergangsgeld, Haushaltshilfe, Reisekosten,Kinderbetreuungskosten.Bereicheder RehabilitationNahezu alle Träger der Sozialversicherung übernehmenRehamaßnahmen. Nachfolgend eine Übersicht zurprinzipiellen Zuständigkeit:• Die Krankenkassen sind zuständig bei MedizinischerRehabilitation.• Die Berufsgenossenschaften sind zuständig bei Arbeitsunfall,Wegeunfall oder Berufskrankheit für die gesamte Rehabilitation.ZuständigkeitRehabilitation 37


• Die Rentenversicherungsträger sind zuständig bei erheblicherGefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit und Vorliegender folgenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungenfür die Leistungen zur Medizinischen Rehabilitation und zurTeilhabe am Arbeitsleben.• Die Bundesagentur für Arbeit trägt die Leistungen zurTeilhabe am Arbeitsleben.• Das Sozialamt ist nachrangig zuständig, wenn weder KrankennochRenten- noch Unfallversicherung noch die Bundesagenturfür Arbeit leisten.• Das Jugendamt leistet immer bei Maßnahmen der KinderundJugendhilfe für seelisch Behinderte oder hiervonBedrohte bis zu einem Alter von 26 Jahren.?Wer hilft weiter?Wenn eine Rehabilitation empfohlen, aber noch nicht beantragtwurde, weil erst geklärt werden muss, wer als Kostenträger zuständigist, sind die „Servicestellen“ die richtigen Ansprechpartner.Es gibt sie bei fast allen Kommunen und sie arbeitenrehaträgerübergreifend.Stationäre MedizinischeRehabilitationBei einer stationären Medizinischen Reha(bilitation) (umgangssprachlich„Kur“) wohnt der Patient für die Zeit der Rehamaßnahmein einer entsprechenden Einrichtung. StationäreRehamaßnahmen sind z. B. bei Nachbehandlungen schwererErkrankungen möglich, hierzu zählen auch Psychosen.VoraussetzungenVoraussetzungen für die Beantragung von stationärenRehamaßnahmen sind:• Eine ambulante Rehamaßnahme reicht nicht aus.• Die stationäre Aufnahme ist aus medizinischen Gründenerforderlich.DauerStationäre Rehamaßnahmen dauern längstens 3 Wochen. EineVerlängerung aus medizinischen Gründen ist möglich.AntragDen Antrag auf eine Medizinische Rehamaßnahme beim zuständigenTräger (siehe oben) sollte zweckmäßigerweise der Arztgemeinsam mit dem Patienten stellen. Erforderlich sind ggf. eineärztliche Bescheinigung, Arztbericht(e) und ein eigenes, persönlichesSchreiben. Der Leistungsumfang bei Rehamaßnahmen liegtim Ermessen des Sozialversicherungsträgers und wird aufgrundmedizinischer Erfordernisse festgelegt.38 Rehabilitation


Antragstellung bei der KrankenkasseErkennt der behandelnde Arzt die Notwendigkeit einer Reha, somuss er bei der Krankenkasse einen Antrag auf „Einleitung vonLeistungen zur Rehabilitation oder alternativen Angeboten“ stellen.Kommt nach Ansicht der Krankenkasse eine Rehamaßnahme undsie selbst als Kostenträger in Betracht, dann bekommt der Arztdie „Verordnung von medizinischer Rehabilitation“ zugeschickt.Falls der Antrag bei einem anderen Kostenträger (z. B. Rentenversicherungsträger)gestellt werden muss, wird dies von derKrankenkasse mitgeteilt.!PraxistippsAntragstellung mit ausführlicher BegründungEigentlich genügt bei den Anträgen auf Rehamaßnahmen dieAngabe der Indikationen nach der ICD 10 (Internationale Klassifikationder Krankheiten). Es ist jedoch mittlerweile fast zur Regelgeworden, dass der Arzt die Notwendigkeit der medizinischenRehabilitation ausführlich begründet. Auf jeden Fall vermindertes das Risiko einer Ablehnung beim Kostenträger, wenn demAntrag sofort eine ausführliche ärztliche Begründung beigefügtwird. Es kann durchaus sein, dass der MDK (Medizinischer Dienstder Krankenversicherung) über das ärztliche Attest hinaus denPatienten zu einer Begutachtung einlädt, um die Notwendigkeitder Rehamaßnahme zu prüfen.Stationäre medizinische Rehamaßnahmen dürfen nicht auf denUrlaub angerechnet werden. Deshalb besteht auch Anspruch aufEntgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber (siehe S. 28).UrlaubDie Leistung wird in der Regel im Inland erbracht.• Ist der Kostenträger die Krankenkasse, kann der Patient einezugelassene und zertifizierte Reha-Einrichtung selbst wählen.Sind die Kosten höher als bei den Vertragseinrichtungen derKrankenkasse, zahlt der Patient die Mehrkosten.• Ist der Kostenträger die Rentenversicherung, kann der Arzteine Reha-Einrichtung vorschlagen. Soll die Maßnahme ineiner bestimmten Einrichtung stattfinden, muss der Arzt dasausdrücklich vermerken und möglichst auch begründen. Auchdie persönliche Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, dieFamilie oder die religiösen Bedürfnisse der Betroffenen solltenbei der Wahl eine Rolle spielen und berücksichtigt werden.Wahl der Reha-EinrichtungZwischen 2 bezuschussten Rehamaßnahmen muss in der Regel einZeitraum von 4 Jahren liegen. Nicht anzurechnen sind Leistungenzur medizinischen Vorsorge.WartezeitRehabilitation 39


Ausnahmen macht die Krankenkasse nur bei medizinisch dringenderErforderlichkeit. Dies muss mit Arztberichten oder einem Gutachtendes behandelnden Arztes bei der Krankenkasse begründetwerden.Der Rentenversicherungsträger genehmigt Medizinische Rehamaßnahmenvor Ablauf der 4-Jahres-Frist, wenn vorzeitigeLeistungen aus gesundheitlichen Gründen dringend erforderlichsind, weil ansonsten mit einer weiteren Minderung der Leistungsfähigkeitzu rechnen ist.ZuzahlungVersicherte ab Vollendung des 18. Lebensjahres müssen beifast allen stationären Rehamaßnahmen 10,– € Zuzahlungpro Tag leisten:• Zeitlich unbegrenzt für Rehamaßnahmen der Krankenkasse,außer die stationäre Reha dauert aus medizinischen Gründenlänger als 6 Wochen: Dann begrenzt sich die Zuzahlungauf 28 Tage.• Längstens 42 Tage innerhalb eines Kalenderjahres fürstationäre Medizinische Rehamaßnahmen des Rentenversicherungsträgers.Bereits im selben Kalenderjahrgeleistete Zuzahlungen an den Rentenversicherungsträgerund die Krankenkasse werden angerechnet.• Findet die stationäre Rehamaßnahme als Anschlussheilbehandlungstatt, so begrenzt sich die Zuzahlung bei derKrankenkasse auf 28 Tage und beimRentenversicherungsträgerauf 14 Tage. Eine bereits geleistete Zuzahlung für dievorhergegangene Krankenhausbehandlung wird berücksichtigt.Berufliche Rehabilitation= Teilhabeam Arbeitsleben„Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“ sind die Nachfolgerder ehemaligen „Berufsfördernden Maßnahmen zur Rehabilitation“.Sie werden von den Versicherungsträgern übernommen,um die Erwerbsfähigkeit herzustellen, zu erhaltenoder zu verbessern und die Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern.!PraxistippDie Anträge auf Kostenübernahme für die jeweiligen Leistungenzur Teilhabe am Arbeitsleben sollten gestellt werden, bevor dieMaßnahmen in die Wege geleitet werden.40 Rehabilitaion


Aus Gründen der Art oder Schwere der Behinderung oder zurSicherung des Erfolgs der Reha können die Maßnahmen auchstationär erbracht werden. Das umfasst neben der Unterkunftauch die Verpflegung, wenn die Unterbringung außerhalb deseigenen oder elterlichen Haushalts erforderlich ist, d. h. wennaufgrund der Behinderung ein begleitender medizinischer,psychologischer und sozialer Dienst notwendig ist.Stationäre Leistungen,Unterkunft, VerpflegungEs gibt mehrere Arten von Leistungen zur Teilhabe amArbeitsleben, unter anderem:1. Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzessowie zur Förderung der Arbeitsaufnahme2. Berufsvorbereitung3. Berufliche Bildung4. Leistungen in Werkstätten für BehinderteNachfolgend Informationen zu den einzelnen Leistungen.Leistungen derberuflichen RehabilitationVorrangiges Ziel ist es, den bisherigen Arbeitsplatz zu erhalten. Istdies nicht möglich, wird nach einem anderen, geeigneten Arbeitsplatzim bisherigen oder aber in einem anderen Betrieb gesucht.In diesem Rahmen übernehmen vorwiegend die Berufsgenossenschaftenund Rentenversicherungsträger imZusammenwirken mit der Bundesagentur für Arbeit unteranderem folgende Leistungen:• Umsetzung im Betrieb, Vermittlung eines neuen Arbeitsplatzesin Form beruflicher Anpassung, Weiterbildung undAusbildung.• Gründungszuschussfür Arbeitslose, die sich selbstständig machen, um dadurchdie Arbeitslosigkeit zu beenden oder zu verhindern.• Fahrtkostenbeihilfefür die täglichen Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstelle,soweit der Versicherte ansonsten unzumutbar belastetwäre und das Reha-Ziel absehbar ist.• Trennungskostenbeihilfebei erforderlicher auswärtiger Arbeitsaufnahme und damitverbundener doppelter Haushaltsführung. Das täglichePendeln oder der Umzug der Familie zum Arbeitsort müssenunzumutbar sein.• Übergangsbeihilfebei Arbeitsaufnahme bis zur ersten vollen Lohnzahlung.Die Übergangsbeihilfe wird in der Regel als Darlehen gewährt.• Umzugskostenbeihilfesoweit eine Arbeitsaufnahme am Wohnort unmöglich ist.1. Hilfen zur Erhaltungoder Erlangung einesArbeitsplatzesRehabilitation 41


2. BerufsvorbereitungZu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zählt dieBerufsvorbereitung einschließlich der wegen eines Gesundheitsschadenserforderlichen Grundausbildung.Darunter fallen die ganzheitliche Stabilisierung der Persönlichkeitund des sozialen Umfelds neben Aufbau und Festigung derMotivation und der beruflichen Fähigkeiten.3. Berufliche BildungZur beruflichen Bildung zählen Maßnahmen zur Anpassung anden Beruf, Ausbildung und Weiterbildung einschließlich des dafürerforderlichen Schulabschlusses.Nicht dazu zählen allgemein bildende Maßnahmen.4. Leistungen inWerkstätten für BehinderteDie Rentenversicherungsträger übernehmen vorwiegend diefolgenden berufsfördernden Maßnahmen:• bis zu 4 Wochen, maximal 3 Monaten in einer anerkanntenWerkstatt für Behinderte zur Arbeits- und Berufsförderungim Eingangsverfahren,• bis zu 2 Jahren im Berufsbildungsbereich als berufsvorbereitendeBildungsmaßnahme, aber nur dann über 1 Jahr hinaus,wenn die Leistungsfähigkeit des Behinderten weiterentwickeltoder wiedergewonnen werden kann.Weitere KostenDie Berufsgenossenschaften und Rentenversicherungsträgerübernehmen auch Kosten, die mit den Leistungen zur Teilhabeam Arbeitsleben in unmittelbarem Zusammenhangstehen. Hierzu zählen z. B.:• Lehrgangskosten, Lernmittel,• Arbeitskleidung, Arbeitsgeräte (z. B. Werkzeuge) sowie• Kosten für Unterkunft und Verpflegung, wenn für dieTeilnehmer einer Maßnahme eine Unterbringung außerhalbdes eigenen oder des elterlichen Haushalts nötig ist(z. B. unzumutbar weiter Anfahrtsweg), wegen der Art undSchwere der Behinderung oder zur Sicherung des Erfolgsder Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.DauerDie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sollen für die Zeiterbracht werden, die vorgeschrieben oder allgemein üblich ist, umdas angestrebte Berufsziel zu erreichen.Die berufliche Eingliederung dauert in der Regel bis zur Erreichungdes angestrebten Berufsziels in der hierfür vorgeschriebenen oderallgemein üblichen Zeit im Sinne der notwendigen Ausbildungsdauer.42 Rehabilitation


Die Weiterbildung dauert in der Regel bis zu 2 Jahre bei ganztägigemUnterricht. Eine Teilförderung (eines Ausbildungsabschnitts)innerhalb einer geschlossenen Weiterbildungsmaßnahme ist nichtmöglich.Eine Verlängerung ist denkbar bei:• bestimmter Art und Schwere der Behinderung• Lage und Entwicklung des Arbeitsmarkts• voller Ausschöpfung des Leistungsvermögens des Behinderten• Erlernbarkeit des Ausbildungsberufs nicht unter 2 JahrenBei Teilnahme an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werdenBeiträge zur Kranken-, Unfall-, Pflege- und Rentenversicherungsowie Beiträge zur Arbeitslosenversicherung übernommen.Die Reha-Träger können Leistungen zur Teilhabe am Arbeitslebenauch als Zuschüsse an den Arbeitgeber leisten. Anspruchs- undantragsberechtigt ist der Versicherte; der Arbeitgeber ist „nur“Begünstigter ohne eigenes Antragsrecht.Die Gewährung eines Zuschusses kann von Auflagen und Bedingungenabhängig gemacht werden.Zuschüsse an den Arbeitgeber gibt es z. B. als:• Ausbildungszuschüsse zur betrieblichen Ausführung vonBildungsleistungen,• Eingliederungszuschüsse,• Zuschüsse für Arbeitshilfen im Betrieb,• Kostenerstattung für eine befristete Probebeschäftigung oder• Umschulung, Aus- oder Weiterbildung im Betrieb.Das Integrationsamt und der Integrationsfachdienst helfen beiFragen der beruflichen Integration weiter.Soziale SicherungZuschüssean den Arbeitgeber?Wer hilft weiter?Die „Rehabilitation psychisch kranker Menschen“, kurz RPK,ist ein spezieller Reha-Bereich, bei dem medizinische, beruflicheund psychosoziale Angebote aus der Hand eines multiprofessionellenReha-Teams angeboten und Elemente derstationären und ambulanten Reha kombiniert werden.Rehabilitation psychischkranker MenschenFür den Reha-Teilnehmer wird, orientiert an seinem persönlichenBedarf, ein Hilfeplan erstellt. Durch die enge Verzahnung allerdieser Leistungen kann auf die besonderen Bedürfnisse und dieschwankende Leistungsfähigkeit sehr individuell eingegangenwerden.Rehabilitation 43


Angebote und Einrichtungen der RPK sind regional unterschiedlich.Adressen und weitere Informationen bietet die Internetseite derBundesarbeitsgemeinschaft RPK unter www.bagrpk.de/mgvz.htm.ÜbergangsgeldÜbergangsgeld überbrückt einkommenslose Zeiten währendder Teilnahme an Rehamaßnahmen oder an Maßnahmen zurTeilhabe am Arbeitsleben.Übergangsgeld wird je nach Voraussetzungen vom jeweiligenReha-Träger gezahlt. Höhe und Dauer sind im Wesentlichen einheitlichgeregelt, nur die Voraussetzungen unterscheiden sich beiden Leistungsträgern.HöheDie Berechnungsgrundlage des Übergangsgelds beträgt bei allenTrägern 80 % des letzten Bruttoverdienstes, höchstens jedoch denNettoverdienst.Das Übergangsgeld beträgt:• 75 % dieser Berechnungsgrundlage bei Versicherten,– die ein Kind haben oder– die pflegebedürftig sind und durch ihren Ehegattengepflegt werden, der deshalb keine Erwerbstätigkeitausüben kann, oder– deren Ehegatte pflegebedürftig ist und keinen Anspruchauf Leistungen aus der Pflegeversicherung hat.• 68 % dieser Berechnungsgrundlage für die übrigenVersicherten.DauerDie Reha-Träger zahlen Übergangsgeld• für den Zeitraum der Leistung zur MedizinischenRehabilitation bzw. zur Teilhabe am Arbeitsleben.• nach einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben:– maximal 6 Wochen bei gesundheitsbedingter Unterbrechungeiner Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben,– maximal 3 Monate bei anschließender Arbeitslosigkeitnach einer abgeschlossenen Leistung zur Teilhabe amArbeitsleben, soweit kein Anspruch auf Arbeitslosengeldfür 3 Monate besteht.• nach Abschluss von Leistungen zur Medizinischen Rehabilitationbzw. zur Teilhabe am Arbeitsleben bei Erforderlichkeitweiterer Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, soweitArbeitsunfähigkeit vorliegt und kein Anspruch auf Krankengeldoder keine Vermittelbarkeit in eine zumutbare Beschäftigungbesteht.44 Rehabilitation


KrankenversicherungDie gesetzliche Krankenversicherung leistet, soweit es umden Erhalt der Gesundheit oder die Wiederherstellung derGesundheit nach einer Krankheit geht. Zuständig sind dieKrankenkassen.Ein durchgängiger Versicherungsschutz ist die Grundvoraussetzung,um eine adäquate Behandlung zu erhalten.Verlust des KrankenversicherungsschutzesEine Gefahr bei Menschen mit psychotischen Störungen ist, dasssie durch das Verstreichenlassen von Fristen oder die Nichtbeachtungvon Formalitäten ihren Krankenversicherungsschutz verlierenkönnen. Kritisch ist insbesondere das Auslaufen des Krankengelds(Details siehe S. 30) und die damit verbundene Aussteuerung ausder Krankenkasse. Hierauf sollten Patienten, Angehörige undBetreuer/Therapeuten in besonderer Weise achten.Auf folgende Punkte ist beim Krankenversicherungsverhältniszu achten:• Pflichtversicherte Mitglieder der KrankenkasseIhnen kann Aussteuerung drohen (siehe S. 30) und die Weiterversicherungmuss mit der Krankenkasse geregelt werden.Wird einem Arbeitnehmer gekündigt und er erhält keineanderweitigen Leistungen, z. B. Krankengeld oder ArbeitslosengeldII, über die er krankenversichert ist, muss ebenfallsdie Weiterversicherung mit der Krankenkasse geregelt werden.• Freiwillig versicherte Mitglieder der KrankenkasseBesonders zu achten ist auf die Weiterbezahlung der Beiträge,sonst ruhen die Leistungen und der Patient erhält nurLeistungen für unaufschiebbare Behandlungen.• Privat KrankenversicherteBesonders zu achten ist auf die Weiterbezahlung der Beiträge,sonst drohen vertragsrechtliche Konsequenzen.!PraxistippsAuf jeden Fall sollten Angehörige oder Betreuer in einer Akutphaseauf Krankenversicherungsangelegenheiten achten und ggf.Kontakt zur Krankenversicherung aufnehmen, da der Betroffenezum Teil hierzu nicht mehr in der Lage ist und/oder die Konsequenzennicht abschätzen kann.Krankenversicherung 45


?Wer hilft weiter? Mitder Krankenkasse ist abzuklären, wie der Versicherungsschutzund die Beitragszahlungen weiterhin geregelt werden können.Beim Sozialamt oder bei der ARGE gibt es unter bestimmtenVoraussetzungen einen Zuschuss zur Beitragszahlung.Befindet sich der Patient in stationärer Behandlung, kann auchder Sozialdienst der Klinik angesprochen werden, damit dieserden weiteren Versicherungsschutz und ggf. den zuständigenKostenträger klären kann.Säumige BeitragszahlerVersicherte der gesetzlichen Krankenversicherung, die ihre Beiträgenicht zahlen (Rückstand mindestens so hoch wie 2 Monatsbeiträge),obwohl sie dazu in der Lage wären, erhalten nur nochLeistungen für unaufschiebbare Behandlungen, z. B. Behandlungbei akuten Schmerzen, sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft.Der Anspruch für alle sonstigen Krankenversicherungsleistungenruht so lange, bis die rückständigen Beiträge samtSäumniszuschlägen ausgeglichen sind (§ 16 SGB V).?Wer hilft weiter?Fragen zur gesetzlichen Krankenversicherung und zum Versicherungsschutzbeantwortet das Bürgertelefon des Gesundheitsministeriums:Mo–Do 8–18 Uhr und Fr 8–12 Uhr,Telefon 01805 996602 bzw. 01805 996601 (14 Ct./Min.).ZuzahlungsbefreiungBei zahlreichen Leistungen der Krankenversicherung muss derPatient Zuzahlungen leisten. Die Belastungsgrenze sollverhindern, dass insbesondere chronisch Kranke, Behinderte,Versicherte mit einem geringen Einkommen und Sozialhilfeempfängerdurch die Zuzahlungen zu medizinischen Leistungenunzumutbar belastet werden. Die Belastungsgrenze liegt bei2 % des jährlichen Bruttoeinkommens.Chronisch KrankeFür chronisch Kranke, die wegen derselben schwerwiegendenKrankheit in Dauerbehandlung sind, gilt eine andere Belastungsgrenze:Sie gelten bereits dann als „belastet“, wenn sie mehr als1 % der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt fürZuzahlungen ausgeben müssen/mussten.46 Krankenversicherung


Als „schwerwiegend chronisch krank“ gilt, wer sich wenigstens1 Jahr lang wegen derselben Krankheit mindestenseinmal pro Quartal in ärztlicher Behandlung befindet undmindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt:• pflegebedürftig mit Pflegestufe II oder III• Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 60 oder eineMinderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 60 %• Eine kontinuierliche medizinische Versorgung (ärztliche oderpsychotherapeutische Behandlung, Arzneimitteltherapie,Versorgung mit Hilfs- und Heilmitteln) ist erforderlich, ohnedie aufgrund der chronischen Krankheit nach ärztlicherEinschätzung eine lebensbedrohliche Verschlimmerung derErkrankung, eine Verminderung der Lebenserwartung odereine dauerhafte Beeinträchtigung der Lebensqualität zuerwarten ist.Bei Empfängern von Hilfe zum Lebensunterhalt (Sozialhilfe), vonArbeitslosengeld II und von Grundsicherung im Alter und beiErwerbsminderung wird jeweils nur der Regelsatz des Haushaltsvorstandsals Bruttoeinkommen für die gesamte Bedarfsgemeinschaftgezählt, d. h.: Der jährliche Zuzahlungsgesamtbetrag beträgt83,28 €, bei chronisch Kranken 41,64 €.Krankenversicherung 47


SozialhilfeWer nicht in der Lage ist, aus eigenen Kräften und mit eigenenMitteln seinen Lebensunterhalt zu bestreiten oder sich in besonderenLebenslagen selbst zu helfen, hat unter bestimmtenVoraussetzungen Anspruch auf Sozialhilfe.Hilfebedürftige erwerbsfähige Menschen von 15 bis 65 Jahren,die mindestens 3 Stunden am Tag arbeiten können, haben keinenAnspruch auf Leistungen der Sozialhilfe, sondern auf Grundsicherungfür Arbeitssuchende und deren wesentliche Leistung,das Arbeitslosengeld II und Sozialgeld (siehe S. 36). Dieses entsprichtin der Höhe der Sozialhilfe.UmfangDie Sozialhilfe umfasst folgende Leistungen:• Hilfe zum Lebensunterhalt• Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung(siehe S. 51)• Hilfen zur Gesundheit (entspricht den Leistungen derKrankenkassen, inklusive der Pflicht zu Zuzahlungen)• Eingliederungshilfe für behinderte Menschen• Hilfe zur Pflege (entspricht den Leistungen der Pflegekassen)• Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten• Hilfe in anderen LebenslagenAntragAlle Sozialhilfeleistungen müssen beim Sozialamt beantragt werden.NachrangigkeitDie Sozialhilfe ist gegenüber allen anderen Sozialversicherungsträgernnachrangig, d. h. die Sozialhilfe tritt immer erst dann ein,wenn sich der Betroffene nicht selbst und auch nicht durch seineunterhaltspflichtigen Angehörigen (Eltern, Kinder, Ehe- oder Lebenspartner)helfen kann und auch kein anderer Sozialversicherungsträger(wie Krankenkasse, Pflegekasse, Berufsgenossenschaft,Agentur für Arbeit, Jugendamt, Rentenversicherung) zuständig istund Leistungen erbringt.VorleistungIn Vorleistung geht das Sozialamt, wenn sich die Auszahlung vonLeistungen anderer Sozialversicherungsträger verzögert. Dies istz. B. der Fall, wenn bei der Pflegekasse ein Antrag auf Pflegeleistungengestellt wurde, das Überprüfungsverfahren mehrereWochen dauert und die Pflege schon stattfindet.48 Sozialhilfe


Wenn umgangssprachlich von „Sozialhilfe“ gesprochen wird,ist meist die Hilfe zum Lebensunterhalt gemeint. Ihre Höhesummiert sich aus den folgenden Leistungen:• Regelsätze der Sozialhilfe (siehe Tabelle)• Kosten für Unterkunft und Heizung, wenn sie angemessen sind• Mehrbedarfe bei Schwangerschaft, Alleinerziehung,Behinderung oder kostenaufwendiger Ernährung• Einmalige Hilfen für– Erstausstattung für Bekleidung (z. B. nach Brand)– Bekleidung für Schwangere und Erstausstattungenfür Neugeborene– Erstausstattungen für die Wohnung einschließlichHaushaltsgeräten– mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen schulrechtlicherBestimmungen• Beiträge für die Kranken- und PflegeversicherungHilfe zumLebensunterhaltRegelsätze fürHöheHaushaltsvorstand oder Alleinstehende 347,– €Haushaltsangehörige bis zum 14. Geburtstag jeweils 208,– €Haushaltsangehörige ab dem 14. Geburtstag jeweils 278,– €Ehe- oder Lebenspartner jeweils 312,– €Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten nur Personen, die ihrennotwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichendaus eigenen Mitteln, insbesondere aus eigenem Einkommenund Vermögen beschaffen können.Einsatz von Einkommenund VermögenAuch das Einkommen und Vermögen von nicht getrennt lebendenEhegatten oder Lebenspartnern ist zu berücksichtigen. Zudem istbei minderjährigen unverheirateten Kindern im Haushalt derEltern oder eines Elternteils auch das Einkommen und Vermögender Eltern/des Elternteils zu berücksichtigen.Grundsätzlich zählen alle Einnahmen in Geld odergeldwerten Vorteilen zum Einkommen, z. B.:• Einnahmen aus Arbeit (selbstständig oder abhängig beschäftigt)• Arbeitslosengeld oder Krankengeld• Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung• Elterngeld über 300,– € (bei doppeltem Bezugszeitraumüber 150,– €)Zu berücksichtigendesEinkommenSozialhilfe 49


Nicht zum Einkommen zählen z. B.:• Kindergeld und Kinderzuschlag (= Einkommen des Kindes)• Elterngeld bis 300,– € bzw. 150,– €• Blindengeld• PflegegeldVom Einkommen sind unter anderem abzuziehen:• Steuern und Sozialabgaben• Gesetzlich vorgeschriebene oder angemesseneVersicherungsbeiträgeZu berücksichtigendesVermögenAls Vermögen sind alle verwertbaren Vermögensgegenständezu berücksichtigen, mit Ausnahme des sogenannten„Schonvermögens“:• Zusätzliche Altersvorsorge, die staatlich gefördert ist.• Angemessener Hausrat, z. B. Möbel, Haushaltsgegenstände.• Gegenstände zur Berufsausübung, z. B. Pkw bei Handelsvertretern,Arbeitsgeräte, Fachliteratur, Schutzkleidung.• Gegenstände für kulturelle oder wissenschaftliche Bedürfnisse,z. B. Musikinstrumente, Stereoanlage.• Ein nach Größe und Verkehrswert angemessenes und selbstgenutztes Hausgrundstück oder eine solche selbst genutzteEigentumswohnung.• Kleinere Barbeträge oder sonstige Geldwerte bei Hilfe zumLebensunterhalt:– maximal 1.600,– € für Hilfesuchende unter 60 Jahren– maximal 2.600,– €, wenn der Hilfesuchende das60. Lebensjahr vollendet hat, voll erwerbsgemindert imSinne der gesetzlichen Rentenversicherung ist oder Grundsicherungim Alter und bei Erwerbsminderung erhältHinzuverdienstSozialhilfeempfänger können 30 % des aus Erwerbstätigkeiterzielten Einkommens, höchstens jedoch 173,50 € (= 50 % desEckregelsatzes) für sich behalten. Hier wird davon ausgegangen,dass eine Erwerbstätigkeit eines Sozialhilfeempfängers einengeringeren Umfang als 3 Stunden pro Tag hat, denn bei höhererLeistungsfähigkeit würde er Grundsicherung für Arbeitssuchende(siehe S. 32) erhalten.UnterhaltspflichtDas Sozialamt klärt im Zuge seiner Leistung für den Hilfebedürftigen,ob dessen Angehörige unterhaltspflichtig sind. Eswird unterschieden zwischen gesteigert Unterhaltspflichtigen,normal Unterhaltspflichtigen und nicht Unterhaltspflichtigen.50 Sozialhilfe


Gesteigert unterhaltspflichtig sind z. B.:• Eltern gegenüber ihren minderjährigen und unverheiratetenKindern,• Eltern gegenüber ihren volljährigen und unverheiratetenKindern bis zu deren Alter von 21 Jahren, wenn diese imHaushalt der Eltern wohnen und sich in der allgemeinenSchulausbildung befinden, sowie• Ehegatten, gleichgeschlechtliche Lebenspartner und Partnerin eheähnlicher Gemeinschaft untereinander.Zuständig sind die örtlichen Sozialämter und die überörtlichenTräger der Sozialhilfe. Die überörtlichen Träger sind in der Regelfür Hilfen zuständig, die in Einrichtungen gewährt werden;die örtlichen Sozialämter in Landkreisen, großen und kreisfreienStädten für alle anderen Hilfen.Gemeinden sind nicht Träger der Sozialhilfe, können aber als ersteAnlaufstelle genutzt werden und wissen, wie und wo die Ansprechpartnererreichbar sind. Sehr viele Beratungsstellen informierenüber Fragen der Sozialhilfe und angrenzende Gebiete.?Wer hilft weiter?Zentrale Auskunftsstelle bei der Suche nach Beratungsstellen istdie Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen(BAG-SHI). Unter www.bag-shi.de/hilfe finden sichLinks zur Beratungsstellensuche.Telefonisch erreichbar ist die BAG-SHI unter 069 27220898,dienstags von 11.30–14.30 Uhr und donnerstags von 14–17 Uhr.Die Grundsicherung soll den grundlegenden Bedarf für denLebensunterhalt von Menschen sicherstellen, die wegen Altersoder aufgrund voller Erwerbsminderung aus medizinischenGründen endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sindund deren Einkünfte für den notwendigen Lebensunterhaltnicht ausreichen.Grundsicherungim Alter undbei ErwerbsminderungLeistungsberechtigt sind Menschen mit gewöhnlichemAufenthalt in Deutschland,• die das 65. Lebensjahr vollendet haben oder• die das 18. Lebensjahr vollendet haben und – unabhängig vonder jeweiligen Arbeitsmarktlage – aus medizinischen Gründendauerhaft voll erwerbsgemindert sind,wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommenund Vermögen (siehe S. 49) bestreiten können.VoraussetzungenSozialhilfe 51


Nicht leistungsberechtigt sind Personen,• deren zu versteuerndes Gesamteinkommen der Eltern oderKinder jährlich 100.000,– € übersteigt.• die ihre Bedürftigkeit in den letzten 10 Jahren vorsätzlichoder grob fahrlässig herbeigeführt haben.Umfang und HöheDie Grundsicherung ist abhängig von der Bedürftigkeit und entsprichtin der Höhe der Hilfe zum Lebensunterhalt in der Sozialhilfe(siehe S. 49).Die Grundsicherung setzt sich aus folgenden Leistungenzusammen:• Regelsatz der Sozialhilfe• Angemessene tatsächliche Aufwendungen fürUnterkunft und Heizung• Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge,wenn keine Pflichtversicherung besteht• Mehrbedarfszuschläge• Einmalige Leistungen• Hilfe zum Lebensunterhalt in Sonderfällen,insbesondere Übernahme von MietschuldenVon diesem Bedarf werden die eigenen Einkünfte abgezogen, dieDifferenz wird als Grundsicherung ausgezahlt. Sind die Einkünftehöher als der Bedarf, besteht kein Anspruch auf eine Grundsicherungsleistung.DauerDie Grundsicherung wird in der Regel für 12 Kalendermonatebewilligt.• ErstbewilligungDie Auszahlung beginnt am Ersten des Monats, in dem derAntrag gestellt worden ist.• Änderung der LeistungDie Auszahlung beginnt am Ersten des Monats, in dem dieVoraussetzungen für die Änderung eingetreten und mitgeteiltworden sind. Bekommt der Berechtigte infolge der Änderungweniger Leistungen, beginnt der neue Bewilligungszeitraumam Ersten des Folgemonats.?Wer hilft weiter?Der Antrag kann beim zuständigen Sozialamt gestellt werden, indessen Bereich der Antragsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthaltsorthat.52 Sozialhilfe


SchwerbehinderungEine schwere psychotische Störung kann dazu führen, dassPatienten als behindert oder schwerbehindert eingestuftwerden können.Es ist in jedem einzelnen Fall abzuwägen, ob die Anerkennung alsSchwerbehinderter eine Stigmatisierung und/oder Belastung darstellt,die für den Patienten zusätzliche Probleme bereiten kann,oder ob die Anerkennung hilfreich ist, weil dadurch Leistungen inAnspruch genommen werden können, die nur Schwerbehindertenoffenstehen, z. B. in Zusammenhang mit der beruflichen Integration.Der Grad der Behinderung (GdB) beziffert bei Behinderten dieSchwere der Behinderung.Grad der BehinderungEr wird auf Antrag durch das Versorgungsamt festgestellt, soweiter nicht bereits anderweitig festgestellt wurde, z. B. durch Rentenbescheidoder durch eine Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung.Sozialrechtlich gilt ein Mensch mit einem festgestellten GdB vonmindestens 50 als schwerbehindert und kann damit viele Nachteilsausgleichefür sich beanspruchen. Die Schwerbehinderteneigenschaftwird mit dem Schwerbehindertenausweis nachgewiesen(siehe S. 54).Verschlechtert sich der Gesundheitszustand eines schwerbehindertenMenschen oder kommt eine weitere dauerhafteEinschränkung durch eine neue Erkrankung dazu, dann solltebeim Versorgungsamt ein Antrag auf Erhöhung des GdB gestelltwerden. Der Vordruck für den Antrag wird auf Anfrage vomVersorgungsamt zugeschickt und es wird geprüft, ob ein neuerSchwerbehindertenausweis mit evtl. neuen Merkzeichen ausgestelltwird.Antrag auf ErhöhungDie Kündigung eines Schwerbehinderten bedarf in der Regel dervorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Die Kündigungsfristbeträgt mindestens 4 Wochen.KündigungsschutzSchwerbehinderte haben Anspruch auf zusätzlich 5 bezahlteUrlaubstage im Jahr. Bei mehr oder weniger als 5 Arbeitstagenin der Woche erhöht bzw. vermindert sich der Zusatzurlaub entsprechend.ZusatzurlaubSchwerbehinderung 53


Gleichstellung!PraxistippsPersonen mit einem GdB von weniger als 50, aber mindestens30 erhalten dieselben Leistungen wie Schwerbehinderte (außerErmäßigungen bei Fahrkarten), wenn sie infolge ihrer Behinderungkeinen geeigneten Arbeitsplatz erlangen oder behaltenkönnen. Die Gleichstellung stellt die Agentur für Arbeit fest.Gleichgestellte genießen wie Schwerbehinderte einen besonderenKündigungsschutz. Sie haben jedoch im Gegensatz zu Schwerbehindertenkeinen Anspruch auf einen Zusatzurlaub von5 bezahlten Arbeitstagen im Jahr und auf vorgezogene Altersrenteab 60 Jahren.Diese Gleichstellung muss bei der Agentur für Arbeit beantragtwerden. Benötigte Unterlagen: Feststellungsbescheid des Versorgungsamtssowie Arbeitsvertrag und Bescheinigung desArbeitgebers, der den Behinderten als Schwerbehinderten einstellenbzw. weiterbeschäftigen würde.SchwerbehindertenausweisDer Schwerbehindertenausweis belegt Art und Schwere derBehinderung und muss vorgelegt werden, wenn Vergünstigungenfür Schwerbehinderte beantragt oder in Anspruchgenommen werden. Er ist ab einem GdB von 50 erhältlich.AntragDie Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises erfolgt aufAntrag des Schwerbehinderten. Antragsformulare sind beim Versorgungsamterhältlich.!PraxistippsFolgende Tipps können bei der Beantragung einesSchwerbehindertenausweises helfen:• Nicht nur die Grunderkrankung, sondern auch allezusätzlichen Beeinträchtigungen (z. B. Sehfehler) sowieBegleiterscheinungen angeben.• Kliniken und Ärzte anführen, die am besten über dieangeführten Gesundheitsstörungen informiert sind.Dabei unbedingt die dem Antrag beiliegenden Schweigepflichtsentbindungenund Einverständniserklärungen ausfüllen,damit das Versorgungsamt bei den angegebenenStellen die entsprechenden Auskünfte einholen kann.54 Schwerbehinderung


• Antragstellung mit dem behandelnden Arzt absprechen. DerArzt sollte in den Befundberichten die einzelnen Auswirkungender Erkrankung detailliert darstellen. Diese Kriterien, nichtallein die Diagnose, entscheiden über den Grad der Behinderung.Zusätzlich ist eine Beschreibung hilfreich, woringenau die Beeinträchtigung durch die psychotische Störungim Alltag besteht, z. B. in Handlungsunfähigkeit durch dasGefühl von Bedrohung. Eventuell sollten auch die Wahrnehmungenvon vertrauten Personen mit aufgeführt werden.• Bereits vorhandene ärztliche Unterlagen gleich bei Antragstellungmit einreichen, z. B. Krankenhausentlassungsbericht,Reha-Bericht, alle die Erkrankung betreffenden Befundein Kopie.• Lichtbild beilegen.Nach der Feststellung des GdB bekommt der Behinderte vom Versorgungsamteinen sogenannten Feststellungsbescheid.Der Ausweis wird in der Regel für längstens 5 Jahre ausgestellt.GültigkeitsdauerAusnahme: Bei einer voraussichtlich lebenslangen Behinderungkann der Ausweis unbefristet ausgestellt werden.Verlängerung: Die Gültigkeit kann auf Antrag höchstens zweimalverlängert werden. Danach muss ein neuer Ausweis beantragtwerden.Verschiedene Merkzeichen im Schwerbehindertenausweiskennzeichnen die Behinderung und signalisieren, welche Vergünstigungender Behinderte erhält.MerkzeichenBei Psychosen kann unter Umständen das Merkzeichen H (= hilflos)erteilt werden. Dazu muss ein GdB von 100 vorliegen.Das Versorgungsamt richtet sich bei der Feststellung derBehinderung, des GdB und der Ausstellung eines Schwerbehindertenausweisesnach den sogenannten „Anhaltspunktenfür die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrechtund nach dem Schwerbehindertenrecht“.Grad der Behinderungbei PsychosenDie Anhaltspunkte sind Richtlinien, die bundesweit gelten und füreine möglichst einheitliche Praxis sorgen sollen.Diese Anhaltspunkte enthalten allgemeine Beurteilungsregeln undEinzelangaben darüber, wie hoch der GdB bei welchen Erkrankungenfestzusetzen ist. Es handelt sich allerdings nur um einenSchwerbehinderung 55


Orientierungsrahmen, die Berechnung des GdB ist vom individuellenEinzelfall abhängig. Maßgeblich für den GdB ist vor allemdie tatsächliche Leistungseinschränkung durch die Erkrankungbzw. Behinderung. Bei der Beurteilung ist vom klinischen Bild undvon den Funktionseinschränkungen im Alltag auszugehen. DieGdB von mehreren Erkrankungen werden dabei nicht zusammengerechnet.Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnenFunktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigungihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.AnhaltspunkteAnhaltspunkte für die Festsetzung des GdB für „Schizophreneund affektive Psychosen“:• Langdauernde (über ein halbes Jahranhaltende) Psychose im floriden Stadiumje nach Einbuße beruflicher und sozialerAnpassungsmöglichkeiten• Schizophrener Residualzustand(z. B. Konzentrationsstörung, Kontaktschwäche,Vitalitätseinbuße, affektive Nivellierung)– mit geringen und einzelnen Restsymptomenohne soziale AnpassungsschwierigkeitenGdB50–10010–20–mit leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten 30–40–mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten50–70– mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten 80–100• Affektive Psychose mit relativ kurz dauernden,aber häufig wiederkehrenden Phasen– bei 1 bis 2 Phasen im Jahr von mehrwöchiger30–50Dauer je nach Art und Ausprägung– bei häufigeren Phasen von mehrwöchiger Dauer 60–100• Nach dem Abklingen lang dauernderpsychotischer Episoden ist im Allgemeinen(Ausnahme siehe unten) eine Heilungsbewährungvon 2 Jahren abzuwarten.– wenn bereits mehrere manische oder manische30und depressive Phasen vorangegangen sind– sonst 50Ausnahme: Eine Heilungsbewährung braucht nicht abgewartetzu werden, wenn eine monopolar verlaufene depressive Phasevorgelegen hat, die als erste Krankheitsphase oder erst mehr als10 Jahre nach einer früheren Krankheitsphase aufgetreten ist.56 Schwerbehinderung


Abgestufte ErwerbsminderungsrenteEs gibt zwei Arten von Erwerbsminderungsrente: die volleErwerbsminderungsrente und die teilweise Erwerbsminderungsrente.Sie ersetzen seit 1.1.2001 die „Rente wegen Berufsunfähigkeit“und die „Rente wegen Erwerbsunfähigkeit“.Sie werden in allen Fällen nur auf Antrag gezahlt. Anspruchauf die Abgestufte Erwerbsminderungsrente besteht bis zurVollendung des 65. Lebensjahres.Voll erwerbsgemindert ist, wer aus gesundheitlichen Gründen aufnicht absehbare Zeit nur eine berufliche Tätigkeit von wenigerals 3 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinenArbeitsmarktes ausüben kann.Volle ErwerbsminderungsrenteTeilweise erwerbsgemindert ist, wer aus gesundheitlichen Gründenauf nicht absehbare Zeit eine berufliche Tätigkeit von mindestens3, aber weniger als 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungendes allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann.Teilweise ErwerbsminderungsrenteBerufschutz teilweise noch gültigFür vor dem 2.1.1961 Geborene gelten weiterhin• die Regelung der Berufsunfähigkeitsrente, d. h. der bisherigeBeruf kann nur noch weniger als 6 Stunden täglich ausgeübtwerden, und• der sogenannte „Berufsschutz“, d. h. der erreichte beruflicheStatus ist so weit wie möglich zu erhalten, was bei derErwerbsminderungsrente nicht der Fall ist, da hier von „denüblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes“ ausgegangenund geprüft wird, ob jemand auch in anderen Berufszweigeneinsetzbar ist.Für den Erhalt von Erwerbsminderungsrente müssenfolgende Voraussetzungen erfüllt sein:• Erfüllung der Wartezeit von 5 Jahren(= Mindestversicherungszeit) und• in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung3 Jahre Pflichtbeiträge.VoraussetzungenDie Erwerbsminderungsrente ist in der Regel befristet auf längstens3 Jahre.Danach kann sie wiederholt beantragt werden. Unbefristet wirddie Rentenleistung nur gewährt, wenn keine Verbesserung derErwerbsminderung mehr absehbar ist; davon ist nach einerGesamtdauer der Befristung von 9 Jahren auszugehen (§ 102 Abs.2 SGB VI).BefristungAbgestufte Erwerbsminderungsrente 57


!PraxistippBei Notwendigkeit der Weiterführung der Rente ist ein neuerbzw. ein Verlängerungsantrag nötig. Im Antrag sind die Einschränkungendes Versicherten durch den Arzt möglichst genau zubeschreiben bzw. die Angaben aus dem Erstantrag zu bestätigen,falls keine Verbesserung eingetreten ist.Der Versicherte kann dabei mithelfen, indem er sich selbst genaubeobachtet bzw. sich von seiner Umgebung beobachten lässt, umfestzustellen, worin er im Vergleich zu anderen Gleichaltrigenbehindert/eingeschränkt ist. Die meisten Ärzte schätzen es sehr,wenn der Patient diese Aufzeichnungen mit zur Sprechstundebringt.RentenabschlägeFür jeden Monat, den die Rente vor den 63. Geburtstag vorgezogenwird, gibt es einen Rentenabschlag von je 0,3 %, höchstensaber von 10,8 %.Das heißt: Bei einem Rentenbeginn vor dem 60. Lebensjahr beträgtder Abschlag immer 10,8 %, bei einem Rentenbeginn nachdem 63. Lebensjahr gibt es keinen Abschlag. Diese Rentenkürzungist dauerhaft, d. h. sie fällt mit dem Eintritt in eine Altersrentenicht weg und führt nach dem Tod des Versicherten auch zu einerKürzung der Hinterbliebenenrente.Vorgezogene MonateDauerhafte Kürzungvor dem 63. Geburtstag der Rente um1 Monat 0,3 %2 Monate 0,6 %3 Monate 0,9 %4 Monate 1,2 %... ...33 Monate 9,9 %34 Monate 10,2 %35 Monate 10,5 %36 Monate 10,8 %HinzuverdienstFür die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bei Berufsunfähigkeitund die Renten wegen teilweiser Erwerbsminderunggelten individuelle Hinzuverdienstgrenzen, die sich unter anderemaus dem Einkommen der letzten 3 Kalenderjahre vor Eintritt derLeistungsminderung ergeben. Bei Rente wegen voller Erwerbsminderungbeträgt die Hinzuverdienstgrenze bei voller Rentenhöhe350,– € pro Monat. Bei höherem Hinzuverdienst wird dieRente nur noch in geringerer Höhe oder überhaupt nicht mehrausgezahlt.58 Abgestufte Erwerbsminderungsrente


Bei der teilweisen Erwerbsminderungsrente kann die Berechnungder individuellen Hinzuverdienstgrenzen beim Rentenversicherungsträgeroder z. B. bei einem Rentenberater durchgeführt werden.Dem Rentenantrag sind zweckmäßige ärztliche Unterlagen (z. B.Befundbericht des Hausarztes) sowie alle Versicherungsnachweisebeizufügen, damit er möglichst schnell bearbeitet werden kann.!PraxistippsAuskünfte und Beratungsstellen vor Ort vermitteln die Rentenversicherungsträger,die auch individuelle Berechnungen derRentenhöhe sowie gegebenenfalls des Hinzuverdienstes vornehmen.?Wer hilft weiter?Abgestufte Erwerbsminderungsrente 59


PflegePsychotische Störungen können bei sehr schwerem, chronischemVerlauf manchmal zu einer Pflegebedürftigkeit führen.PflegebedürftigkeitDefinition „Pflegebedürftigkeit“Pflegebedürftig im Sinne der Pflegekassen ist, wer wegeneiner körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oderBehinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrendenVerrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens aufDauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate, in erheblichemoder höherem Maße der Hilfe bedarf.Grundlage für die Feststellung der Pflegebedürftigkeit ist derHilfebedarf eines Menschen, den er in den BereichenKörperpflege, Ernährung, Mobilität und hauswirtschaftlicheVersorgung hat.Die Schwere der Pflegebedürftigkeit wird in Pflegestufen eingeteilt.Damit eine Pflegebedürftigkeit festgestellt und der Patientin eine Pflegestufe eingestuft wird, muss die Fähigkeit, bestimmteVerrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auszuüben, eingeschränktoder nicht vorhanden ist. Dies ist auch dann gegeben,wenn der Pflegebedürftige die Verrichtung zwar motorisch ausüben,ihre Notwendigkeit jedoch nicht erkennen oder nicht insinnvoll zielgerichtetes Handeln umsetzen kann. So kann einMensch mit psychotischer Störung zwar durchaus körperlich inder Lage sein, sich selbst zu waschen, zu kämmen und Nahrung zusich zu nehmen, doch er braucht Hilfen, um diese Tätigkeiten inAngriff zu nehmen.Anleitung undBeaufsichtigungAls Anleitung und Beaufsichtigung im Sinne derPflegeversicherung gelten:• Unterstützung bei den pflegerelevanten Verrichtungen destäglichen Lebens• Teilweise oder vollständige Übernahme dieser Verrichtungen• Beaufsichtigung der Ausführung oder Anleitung zurSelbstvornahme dieser VerrichtungenFür eine vorübergehende Pflegebedürftigkeit unter 6 Monatenkommt unter Umständen die gesetzliche Krankenversicherungauf. Die entsprechende Leistung ist die sogenannte HäuslicheKrankenpflege, die es speziell für Menschen mit Psychosen inForm der psychiatrischen Krankenpflege (siehe S. 63) gibt.60 Pflege


Die Leistungen der Pflegekassen werden im Folgenden nurauszugsweise dargestellt. Über Details informieren diePflegekassen. Grundsätzlich wird unterschieden zwischen:• Häuslicher PflegeDer Patient wird im häuslichen Umfeld gepflegt.• Vollstationärer PflegeDer Patient wird im Heim gepflegt.Leistungen derPflegekassenBei der häuslichen Pflege ist entscheidend, ob ein Angehörigeroder ein Pflegedienst die Pflege übernimmt.Häusliche PflegeAngehöriger pflegt: PflegegeldWenn ein Angehöriger oder eine nicht berufsmäßig tätige Pflegekraftden Patienten pflegt, erhält der Patient ein monatlichesPflegegeld von:• Pflegestufe I → 205,– €• Pflegestufe II → 410,– €• Pflegestufe III → 665,– €Weitere Details siehe rechts.Pflegedienst (Sozialstation) pflegt: PflegesachleistungWenn ein Pflegedienst den Patienten zu Hause versorgt, erhältder Patient die sogenannte Pflegesachleistung. Der Pflegedienstrechnet monatlich mit der Pflegekasse ab.• Pflegestufe I → 384,– €• Pflegestufe II → 921,– €• Pflegestufe III → 1.432,– €• Härtefall der Stufe III → 1.918,– € monatlichKombinationsleistungPflegesachleistung (= Pflegedienst pflegt) und Pflegegeld (= Angehörigerpflegt) können auch miteinander kombiniert werdenund werden dann anteilig von der Pflegekasse gezahlt.Betreuungsleistungen bei erheblichem BetreuungsbedarfFür Pflegebedürftige mit schwerer psychischer Erkrankung kanndie Pflegekasse zusätzliche Betreuungsleistungen in Höhe vonmaximal 460,– € pro Jahr übernehmen. Die Mittel müssen nachweislichzweckgebunden eingesetzt werden.Eine vollstationäre Pflege in einem Heim finanziert die Pflegekassenur, wenn häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich sind.Monatliche Höhe:• Pflegestufe I → 1.023,– €• Pflegestufe II → 1.279,– €• Pflegestufe III → 1.432,– €• Härtefälle → 1.688,– €Vollstationäre PflegePflege 61


Die Kosten für Unterkunft und Verpflegung im Heim (die sogenannten„Hotelkosten“) und eventuelle Mehrkosten bei der Pflegemuss der Pflegebedürftige selbst zahlen. Wenn er sich das nichtleisten kann, hilft unter Umständen das Sozialamt.PflegegeldPflegegeld bekommt ein Pflegebedürftiger, um eine selbstbeschaffte Pflegekraft zu bezahlen.Dabei kann es sich z. B. um Angehörige, ehrenamtliche Pflegepersonen,erwerbsmäßige Pflegekräfte oder eine vom Pflegebedürftigenangestellte Pflegeperson handeln. Pflegegeld gehörtim Rahmen der Pflegeversicherung zur Häuslichen Pflege undstellt die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgungin geeigneter Weise sicher. Für Nichtmitglieder derPflegeversicherung tritt unter bestimmten Voraussetzungen dasSozialamt ein.Pflegegeld ist kein Einkommen des Pflegebedürftigen. Wenn derPflegebedürftige das Pflegegeld an die pflegende Person weiterleitet,gilt dies ebenfalls nicht als Einkommen, außer der Pflegendewird im Rahmen eines Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnissesfür den Pflegebedürftigen tätig.Sozialhilfe?Wer hilft weiter?Wenn die vorrangige Pflegekasse nicht oder nicht in vollemUmfang leistet, kann das Sozialamt nachrangig eintreten.Beim Pflegegeld der Sozialhilfe gelten bestimmte Einkommensgrenzen.Das Pflegegeld der Sozialhilfe wird unter bestimmtenVoraussetzungen gekürzt:• Werden der Pflegeperson neben dem Pflegegeld Aufwendungenerstattet oder einer Pflegefachkraft angemesseneKosten gewährt, kann das Pflegegeld um bis zu zwei Drittelgekürzt werden.• Bei teilstationärer Betreuung (Tages- oder Nachtpflege) desPflegebedürftigen kann das Pflegegeld angemessen gekürztwerden.Individuelle Auskünfte erteilen die Pflegekassen unddas Sozialamt.62 Pflege


Sozialrechtlich gesehen ist die psychiatrische Krankenpflegeein Teil der häuslichen Krankenpflege, die von der Krankenkasseübernommen wird. In der Praxis wird häufig von „AmbulanterPsychiatrischer Pflege“ gesprochen.PsychiatrischeKrankenpflegeBei zahlreichen psychotischen Störungen kann psychiatrischeKrankenpflege verordnet werden. Eine detaillierte Auflistungder Diagnosen findet sich in den Richtlinien über die Verordnunghäuslicher Krankenpflege unter Punkt 27a „PsychiatrischeKrankenpflege“, Download im Internet unter www.g-ba.de/downloads/36-232-11/RL-Haeusliche-2006-12-19.pdf.Die psychiatrische Krankenpflege dient• der Erarbeitung der Pflegeakzeptanz (Beziehungsaufbau),• der Durchführung von Maßnahmen zur Bewältigung vonKrisensituationen und• der Entwicklung kompensatorischer Hilfen bei krankheitsbedingtenFähigkeitsstörungen.Der Krankenkasse ist ein Behandlungsplan vorzulegen.Allgemeine Voraussetzungen für die Verordnung häuslicherKrankenpflege:• Die Pflege ist ärztlich verordnet zur Sicherung derärztlichen Behandlung.• Keine im Haushalt lebende Person kann den Patientenim erforderlichen Umfang pflegen und versorgen.• Eine Krankenhausbehandlung ist erforderlich,aber nicht ausführbar (z. B. Bettenmangel), oderwird vermieden/verkürzt oder es handelt sich um bloßeBehandlungspflege, die zur Sicherung der ärztlichenBehandlungsziele erforderlich ist.VoraussetzungenSpezielle Voraussetzungen für die Verordnungpsychiatrischer Krankenpflege:• Der Patient weist eine ausreichende Behandlungsfähigkeit auf,damit bestehende Funktionsstörungen durch die Maßnahmenim Pflegeprozess positiv beeinflusst werden können.• Es ist zu erwarten, dass die Therapieziele vom Patientenerreicht werden können.Können diese Voraussetzungen bei erstmaliger Verordnung nichteingeschätzt werden, ist eine Erstverordnung über einen Zeitraumvon bis zu 14 Tagen zur Erarbeitung der Pflegeakzeptanz und zumBeziehungsaufbau möglich. Dabei kann auch die Anleitung derAngehörigen des Patienten im Umgang mit dessen ErkrankungGegenstand der Leistung sein. Zeichnet sich in diesem Zeitraumab, dass Pflegeakzeptanz und Beziehungsaufbau nicht erreichtwerden können, ist eine Folgeverordnung nicht möglich.Pflege 63


Verordnung undBehandlungsplanDie ärztliche Verordnung der psychiatrischen Krankenpflege erfolgtdurch einen Vertragsarzt des Fachgebiets Nervenheilkunde,Neurologie, Psychiatrie oder Psychotherapeutische Medizin oderdurch einen Arzt mit der Zusatzbezeichnung Psychotherapie. DieVerordnung durch den Hausarzt erfordert eine vorherige Diagnosesicherungdurch einen der oben genannten Fachärzte.Zur Verordnung gehören der Verordnungsvordruck zur häuslichenKrankenpflege und ein vom Arzt erstellter Behandlungsplan.Dieser muss die Indikation, die Fähigkeitsstörungen, die Zielsetzungder Behandlung und die Behandlungsschritte (Behandlungsfrequenzenund -dauer) enthalten.Maßnahmen der psychiatrischen Krankenpflege und der Soziotherapie(siehe S. 12) können in der Regel nur nacheinander, nichtzeitlich nebeneinander verordnet werden. Ausnahme: DieMaßnahmen ergänzen sich aufgrund ihrer jeweiligen Zielsetzung.Diese Abgrenzung gegeneinander ist dann sowohl im Behandlungsplander psychiatrischen Krankenpflege als auch im soziotherapeutischenBetreuungsplan darzulegen.Dauer und HäufigkeitPsychiatrische Krankenpflege kann bis zu 4 Monate lang mit biszu 14 Einheiten pro Woche (abnehmende Frequenz) verordnetwerden.Zuzahlung!PraxistippVersicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, zahlen 10 %der Kosten pro Tag für längstens 28 Tage im Kalenderjahr sowie10,– € pro Verordnung. Eine Zuzahlungsbefreiung ist möglich,siehe S. 46.Herkömmliche ambulante Pflegedienste haben ihren Schwerpunktin der Regel auf der Pflege älterer Patienten. PsychiatrischeKrankenpflege auf Verordnung kann aber nur ein spezialisierterDienst für psychiatrische Krankenpflege erbringen, der mit derKrankenkasse des Patienten einen Versorgungsvertrag habenmuss. Nicht in jedem Bundesland gibt es entsprechende Dienste.64 Pflege


Familie und AngehörigeDie Familie merkt oft bald, dass mit dem Angehörigen „etwasnicht stimmt“. Doch als Ursachen werden eher eine Sinneswandlungoder eine vorübergehende Krise angenommen. Biszur Diagnosestellung können Jahre vergehen und zwischenzeitlichbrechen Freundschaften auseinander und manchmalsogar die Familie.Für den Betroffenen kann die Psychose dagegen plötzlich kommen.Denken und Fühlen, Wahrnehmung von Körper und Umfeld sindgestört und führen – manchmal unmerklich – dazu, dass gewohnteLebensbahnen verlassen werden. Es kann zum Verlust des Arbeitsplatzeskommen, zum Abbruch eines Studiums, zu Auseinandersetzungenmit und Trennungen von Freunden, Verwandten oderLebenspartnern. Rückzug aus dem gewohnten Umfeld undfehlende soziale Kontakte sind die Folgen.Im Umgang mit Menschen mit psychotischen Störungensind grundsätzlich akute Phasen von Zeiten der Remission zuunterscheiden. In der Akutphase sind zum Teil stationäreAufenthalte erforderlich. In der Remissionsphase helfen häufigvertraute Bezugspersonen und ein geregelter Tagesablauf –allerdings ist es sehr schwierig, hier allgemein gültige Aussagenzu machen, da die Bedürfnisse der Menschen sehrunterschiedlich sind und auch bei den einzelnen Personen jenach Befindlichkeit stark schwanken können.Umgang miteinanderMenschen mit einer Psychose sind verletzlicher und dünnhäutigerals gesunde Menschen. Durch eine ständige Rücksichtnahmeseitens der Angehörigen können diese aber bald ihrerseitsüberfordert sein. Leitlinien des Umgangs miteinander sollteneine weitestgehende Offenheit und gegenseitige Anerkennungder Bedürfnisse und Sichtweisen sein. Die besondere Schutzbedürftigkeitdes Patienten darf keine Selbstaufgabe derAngehörigen zur Folge haben. Als auf Dauer hilfreicher hat sichdas Bemühen um Verständnis und das Hineinversetzen in die Weltdes Betroffenen erwiesen. Details siehe auch S. 68.Achtsamkeitfür sich und andereFamilie und Angehörige 65


„Hilfen im Dialog“Fragt man psychoseerfahrene Menschen, was sie in akutenKrisen brauchen, oder im Nachhinein, was zur Genesungbeigetragen hat, so sind scheinbar unbedeutende Dingewichtig:• authentische, selbstverständliche, also das„normale“ Selbstverständnis fördernde Erlebnisse,• Erfahrungen von Normalität,• Zeit, Ruhe, Geduld,• Rückzugsraum, „Spielraum“,• Gewohnheiten und Eigenarten, die den „Eigen-Sinn“fördern (Träume, Tagebücher, Naturerlebnisse usw.) sowie• Angehörige und Freunde, die zu einem halten,Menschen, die einfach nur „da“ sind.“(Zitat aus: Die Blaue Broschüre, Details siehe S. 4)Die Situation akzeptierenWichtig ist für den Betroffenen und die Angehörigen, die psychotischeStörung zu erkennen und diese Situation zu akzeptieren– wobei mit Akzeptieren kein Resignieren gemeint ist. Vielproduktiver ist ein „spielerischer“ Umgang mit den ver-rücktenWahrnehmungen/Äußerungen. Mit „spielerisch“ ist hier gemeint:sehen und hören, offen und neugierig sein, näher betrachtenoder sich auch wieder zurückziehen, Erfahrungen sammeln mitdem Ungewohnten und ihm auf diese Weise seine Fremdheit undseinen Schrecken nehmen, dabei aber nie die oft existenziell allumfassendeDimension der Erkrankung verharmlosen. Schuldzuweisungensollen nicht vorgenommen werden.Die große Hürde auf dem Weg zur Akzeptanz ist, dass psychischeErkrankungen mit vielen falschen Vorurteilen belegt sind – in derRegel sowohl bei den Betroffenen und ihren Angehörigen alsauch im Umfeld. „Unberechenbar, gefährlich, träge, dumm,unheilbar“ – in dieser Bandbreite bewegt sich das allgemeine Bild.„Gespaltene Persönlichkeiten“, „genetische Veranlagung“ und„das Elternhaus“ sind weitere Bausteine der Vorurteile, die dieBetroffenen in eine (mentale) Ecke stellen, aus der sie nur schwerherausfinden. Angesichts dieser Vorurteile ist es nur allzu verständlich,dass viele Betroffene und Angehörige lange um eineAkzeptanz ringen müssen, mit sich und mit dem Umfeld.Inzwischen gibt es an vielen Orten trialogische Informations- undAufklärungsprojekte unter Beteiligung von Experten, Psychose-Erfahrenen und Angehörigen, die diesen Fehleinschätzungenentgegenwirken, z. B. www.irremenschlich.de (siehe auch PsychoseseminareS. 17).66 Familie und Angehörige


Auch ein Mensch mit psychotischen Störungen sollte weiterhinund ganz bewusst in Familienangelegenheiten einbezogen sein. Ersollte seine Meinung zu Themen äußern, die für ihn von Belangsind. Angehörige sind oft versucht, dem Betroffenen alles abzunehmen.Dies kann jedoch die Minussymptomatik verstärken. Zielmuss sein, trotz der Psychose eine weitgehende Selbstständigkeitzu erhalten oder wiederzuerlangen.In die FamilieeinbeziehenPsychose-Erkrankten fehlen häufig Antrieb und Energie. Dies kannentweder in der Negativsymptomatik (verminderte Aufmerksamkeit,Sprachverarmung, Gemütsverflachung, Interessenschwundund anderes) begründet sein oder als Nebenwirkung der Psychopharmakaauftreten. Hilfreich für den Patienten ist, wenn erermutigt und unterstützt wird, so viel zu tun, wie ihm möglich ist.Dabei sollten kleine, allmähliche Schritte anvisiert werden,damit Erfolgserlebnisse möglich sind. Wichtige Bereiche, in denenBetroffene solche Unterstützung brauchen, sind Hygiene, Körperpflegeund kleinere Aufgaben im Haushalt.Das MachbareanstrebenManche Betroffene empfinden es als angenehm, mit einem Angehörigeneher nonverbalen Aktivitäten nachzugehen, z. B. einenSpaziergang zu unternehmen, gemeinsam fernzusehen oder zulesen. Auch wird es von Betroffenen als hilfreich angesehen, wennsie ihre Gefühle und Gedanken durch kreatives Gestalten ausdrückenkönnen, z. B. durch Schreiben, Malen, Musizieren oderTöpfern. Ehrliche und positive Rückmeldungen sind dabei sehrwichtig, ein falsches Lob kann die unbedingt notwendigeVertrauensbasis schnell und auf lange Zeit zerstören.GemeinsameUnternehmungenBei einer psychotischen Störung wie z. B. Schizophrenie sinddie Angehörigen in besonderer Weise mitbetroffen.Angehörige vonPsychose-PatientenDie Diagnose stellt eine Belastung für das ganze familiäre Umfelddar. Deshalb ist es ratsam, dass auch die Angehörigen professionelleHilfe in Anspruch nehmen. Der Patient sollte davon wissen,damit er nicht das Gefühl bekommt, dass hinter seinem Rückengehandelt wird.Familie und Angehörige 67


Nachfolgend Anhaltspunkte für Angehörige zum Umgang mitPsychose-Patienten. Sie sind der „Blauen Broschüre“ entnommen,genaue Angaben siehe S. 4. Ergänzungen, Veränderungen undAuslassungen sind mit [eckigen Klammern] gekennzeichnet.OrientierungWenn eine Psychose mit einer Verunsicherung des inneren Selbst,vielleicht auch mit dem Verlust der eigenen Grenzen einhergeht,dann macht es keinen Sinn, wenn die Mitmenschen „selbstlos“sind und handeln. Es ist zwar wichtig, Rücksicht zu nehmen unddie Erkrankten immer wieder so selbstverständlich wie möglichins Familienleben einzubeziehen. Wenn Angehörige sich aber„aufopfern“ und die eigenen Interessen und Gewohnheiten vernachlässigen,wird die Orientierung für alle schwieriger.Entwicklung[Die Gleichzeitigkeit sehr unterschiedlicher Verhaltensweisen]fordert vor allem Angehörigen eine schwierige Gratwanderungab, einerseits Verständnis für kindlich [wirkende Verhaltensweisen]zu zeigen, andererseits die reale Person und ihren altersgemäßenEntwicklungsstand zu respektieren.RätselWenn Psychosen Rätsel aufgeben, dann steckt darin auch für Angehörigedie Chance, mehr über sich selbst, die Wahrnehmungendes anderen und die Bedingungen des Zusammenlebens zu erfahren.Das kann schmerzhaft sein und befreiend. Die psychotischeKommunikation ist vielleicht der einzige Ausweg aus derZwickmühle. Alle sind gefordert, ihre Wahrnehmung zu vervollständigenund mehr von sich selbst wahr zu machen. Jeweilseigene Fragen und Antworten zu finden, ist nicht leicht. Wechselwirkungenzu erkennen, ohne Schuld zuzuweisen, ist eine hoheKunst, die oft erst mit zeitlichem Abstand gelingen kann undmanchmal auch therapeutischer Hilfe bedarf.ExistenzsicherungWenn eine Psychose zum Verlust der eigenen Grenzen führt, kanndas große Gefahr bedeuten. Eher für den Betreffenden selbst,seltener auch für andere. Dann ist Widerstandskraft gefordert. Andie Grenzen anderer zu stoßen, kann der letzte Anhaltspunkt sein.Die Sicherung der eigenen Existenz kann vom Handeln andererabhängen. Standhaft zu sein, ohne den anderen klein zu machen,braucht Mut und Selbstachtung. In lebensbedrohlichen Krisenkann es notwendig sein, sich und dem anderen Hilfe zu holen.Dabei-seinWenn Psychosen mit panischen Ängsten verbunden sind, dannkönnen sich diese quasi durch die Poren auf andere übertragen.Das macht es schwer, Notwendiges zu verwirklichen: zuversichtlicheGelassenheit und Geduld, räumliche Geborgenheit, Ruheohne neue angstauslösende Reize, körperliche Nähe ohneGrenzüberschreitung, Anwesenheit ohne Forderung …68 Familie und Angehörige


Wenn eine Psychose zum Abbruch (fast) aller Kontakte führt, dannkann man das auch als Flucht/Schutz vor Überforderung durchein Zuviel an Beziehung(en) verstehen. Das jeweils bekömmlicheMaß an Nähe und Distanz kann jeder Mensch nur für sich selbstherausfinden und immer wieder ins Gleichgewicht bringen.KontaktWenn eine Psychose aus menschlicher Isolation erwächst oder sichdarin verstärkt, dann folgt daraus die Notwendigkeit und Schwierigkeit,den Kontakt zu halten oder (wieder-)herzustellen. Dazubraucht es oft ein langwieriges Ringen. Angehörige sind in dieserSituation besonders gefordert. Auch scheinbar banale Kontaktekönnen bedeutsam sein, wenn sie „selbstverständlich“ sind. Auchseltene Kontakte können Halt geben, wenn sie verlässlich sind.Alltägliche Kontakte zu Nachbarn, zum Postboten oder zur Verkäuferinusw. haben den Vorteil, dass sie „ungefährlich“ sind.In Psychosen Kontakt zu knüpfen und zu halten ist schwierig, weilnotwendige Nähe und gefürchtete Grenzüberschreitung nahebeieinander liegen. Bei dieser Gratwanderung brauchen Angehörigeund Profis Rückhalt durch Angehörigen- oder Supervisionsgruppen,damit sie den Kontakt zu sich selbst nicht verlieren.Die Psychose sollte freilich nicht zum alle(s) beherrschendenThema werden. Jedes Familienmitglied hat Anspruch auf Achtungseiner Bedürfnisse. Das gilt besonders auch für (kleine) Kinder. AlsAngehörige erleben sie tiefe Verunsicherung und sind auf altersgemäßeHilfen angewiesen, um nicht Hilfstherapeuten, sondernweiterhin Kinder sein zu dürfen.Wenn ein Mensch sich in der Psychose unverständlich macht, soschützt er sich damit auch vor dem Verstandenwerden: Er prüftgewissermaßen das Bemühen der anderen um Verständnis undentflieht gleichzeitig in einen Bereich, in den letztlich niemandfolgen kann. Das bedeutet Einsamkeit und unangreifbare Eigenheit.Menschen in Psychosen senden somit eine widersprüchlicheBotschaft aus, die zutiefst menschlich ist: Im Spannungsfeldzwischen dem sozialen Angewiesensein und der unausweichlichenEinsamkeit eines jeden Menschen muss jeder sich zurechtfinden.Um Verständnis zu ringen, ohne Verstehbarkeit zu fordern, Eigenheitund Schutzbedürfnis zu respektieren, ohne den anderen zubedrängen, erfordert Gelassenheit und innere Ruhe.Grenzen des VerstehensHilfen bieten Selbsthilfegruppen für Angehörige, örtliche Beratungsstellen,psychiatrische Kliniken, Gesundheitsämter undVolkshochschulen. In den Gruppen können Angehörige sich austauschen,mit anderen Angehörigen oder auch mit Fachleutenwie Ärzten, Psychologen oder Sozialpädagogen ihre ProblemeSelbsthilfegruppen undandere AnlaufstellenFamilie und Angehörige 69


?Wer hilft weiter?erörtern und nach besseren Bewältigungsstrategien suchen.Dadurch werden Angehörige entlastet und finden mehr Ruhe undGelassenheit im Umgang mit dem Patienten.Adressen für Selbsthilfegruppen vermitteln das betafon, derBundesverband der Angehörigen psychisch Kranker und andereSelbsthilfeverbände, Adressen siehe S. 86.Selbstschutzmaßnahmenfür BetroffeneDie nachfolgenden Hinweise richten sich direkt an Betroffene,ihre Lektüre empfiehlt sich aber auch für alle Menschen, dieprivat oder beruflich mit psychoseerfahrenen Menschen zutun haben.Sie sind der „Blauen Broschüre“ (Details siehe S. 4) entnommen,weil aus ihnen vor allem eines spricht: das hohe Ziel eines achtsamenund respektvollen Umgangs miteinander. Ergänzungen,Auslassungen und Veränderungen sind mit [eckigen Klammern]gekennzeichnet.• Wenn Sie in eine existenzielle Krise geraten und dabeipsychotisch werden, ist es hilfreich, in gewohnter Umgebungzu sein mit Menschen, die Ihnen vertraut sind, ohne allzuviel zu wollen.• Es kann hilfreich sein, gewohnte Aktivitäten beizubehalten.Bei depressiven Tendenzen sollten Sie sich für jede kleinsteKleinigkeit, die Sie noch schaffen, loben und belohnen.Vermeiden Sie fremde Maßstäbe, suchen Sie Ihre eigenen.Neigen Sie eher zu Manien, versuchen Sie herauszufinden,wie Ungewöhnliches auch im Alltag zu integrieren ist.Immer gilt: Sie müssen Ihre eigenen Maßstäbe finden.Schön ist es, wenn Sie eine neutrale (therapeutische) Personhaben, auf deren Beziehungs- und Tragfähigkeit Sie sichverlassen können und deren Urteil Sie trauen.• Wenn Sie Medikamente brauchen und nehmen wollen,bestehen Sie auf einer sorgfältigen Auswahl und Abstimmung,auch wenn es möglicherweise mehrere Versuche braucht, bisdas für Sie passende Medikament und seine optimale Dosierunggefunden ist. Achten Sie auf Nebenwirkungen und besprechenSie alle Reaktionen Ihres Körpers mit Ihrem Arzt. Er sollteIhnen zuhören, auch wenn es lange dauert. Besprechen Sieauch die Befristung der Medikation und beachten Sie, dassAbsetzversuche immer möglichst langsam erfolgen sollten.70 Familie und Angehörige


• Lassen Sie sich nicht einreden, Ihre Krise sei nur körperlichbedingt, die Psychose nur eine Transmitterstörung.Transmitter sind Zwischenglieder im komplexen Zusammenhangvon Körper, Seele und Geist. Verweisen Sie auf dendifferenzierten Umgang von Internisten mit Fieber,verlangen Sie auch ein Nachdenken über die Hintergründedes aktuellen Konflikts.• Wenn Sie an einer Psychoedukation teilnehmen, hören Siegut zu: Sie werden entdecken, dass auch das Wissen derPsychiater relativ begrenzt ist. [Individuelle Antwortenlassen sich nicht nur per Edukation finden, sondern erfordernden Dialog.]• Achten Sie auf die für Sie persönlich wichtigen Frühsignale,lassen Sie sich aber nicht dazu verführen, ständig alarmbereitalles zu hinterfragen und sich dauernd durch die Krankheitsbrillezu beobachten. Das kann nur verwirren und dasschönste Leben vermiesen. Suchen Sie auch Selbsthilfegruppenauf, um gemeinsam auf sich aufzupassen[, oderbesuchen Sie ein Psychoseseminar.]• Achten Sie auf Ihre Grundbedürfnisse: auf gesundes Essenund Trinken, auf regelmäßigen Schlaf, auf frische Luft.• Versuchen Sie einen Aktivitätsgrad zu finden, der für Sierichtig ist, nicht zu viel und nicht zu wenig. Abwechslung,aber nicht Verwirrung; Beständigkeit, aber nicht Monotonie.Was für jeden ungesund ist (z.B. Schichtarbeit), ist in derRegel auch für psychoseerfahrene Menschen nicht besonderszu empfehlen.• Achten Sie auch bei Kontakten und Beziehungen auf Ihreganz persönlichen Maßstäbe und Bedürfnisse: Wenige guteFreunde sind besser als viele schlechte. Manchmal kann auchRückzug schützen; aber ein wenig Austausch braucht wohljeder. Auch entferntere, aber zuverlässige Kontakte könnenHalt geben.• Sie sind ein Mensch mit Bedürfnissen wie jeder andere.Ihr Leben wird Krisen bringen, die nicht zu vermeiden sind.Achten Sie auf sich, seien Sie sich selbst ein Freund.Das haben viele Menschen verlernt. Machen Sie sich zumMaßstab, nicht die Psychose.Adressen für Selbsthilfegruppen vermitteln das betafon, derBundesverband Psychiatrie-Erfahrener und andere Selbsthilfeverbände,Adressen siehe S. 86.?Wer hilft weiter?Familie und Angehörige 71


WohnenRückzugsraum zu haben, in eine soziale Gemeinschaft eingebundenzu sein, alltägliche Pflichten wie Putzen oderKochen sowie eine Tagesstruktur zu haben, Selbstständigkeitgewinnen – das sind für psychoseerfahrene Menschen oftzentrale Herausforderungen. Der Wohnsituation kommt deswegengroße Bedeutung zu, sowohl in der ersten Zeit nachder klinischen Behandlung als auch als langfristige Lebensfrage.Neben dem Wohnen im bisherigen Familienumfeld gibt es,regional stark unterschiedlich, verschiedenste geförderte undbegleitete Wohnformen. Nachfolgend ein kurzer Überblick überdie theoretischen Möglichkeiten. Was in der einzelnen Regiontatsächlich zur Verfügung steht, inklusive Aufnahmebedingungenund (häufig) Wartezeiten, wissen in der Regel die SozialpsychiatrischenDienste sowie die Sozialdienste in den Kliniken.Betreute WohnformenIm Bereich „Wohnen für psychisch kranke Menschen“ ist inden letzten Jahren viel in Bewegung gekommen ist. In demMaß, wie die klinische Behandlung zeitlich verkürzt wird, entstehenAngebote für betreute Wohnformen.Am deutlichsten sichtbar wird das bei den psychiatrischenKliniken, die mancherorts Klinikraum umwidmen und für offeneWohnangebote nutzen.Bei betreuten Wohnformen stehen dem Bewohner Sozialarbeiter,Ärzte, Therapeuten oder Schwestern/Pfleger zur Seite. Die fachlicheAusrichtung ist je nach Konzept unterschiedlich. Im Idealfallkommen die Betreuer aus verschiedenen Berufsgruppen undarbeiten eng zusammen. Die Betreuung richtet sich immer nachdem individuellen Bedarf und unterscheidet sich deshalb ebenfallssehr stark, sowohl was die Themen und Ziele angeht als auchin der Intensität. Wichtig ist, dass es verbindliche Absprachengibt, gemeinsam festgelegte Betreuungsziele und ein Netz imHintergrund, mit dem jederzeit auf Veränderungen und Krisenreagiert werden kann.Die Betreuungsangebote umfassen z. B.• Tagesstrukturierende Hilfen• Hilfen und Anleitung im Haushalt: Putzen, Waschen, Kochen72 Wohnen


• Freizeitangebote: Sport, Ausflüge, kreatives Gestalten,kulturelle Aktivitäten, Reisen• Sozialrechtliche und finanzielle Beratung• Hilfe im Umgang mit Geld• Hilfe bei der Beantragung und Aufrechterhaltungvon Rehamaßnahmen• Hilfen zur Erlangung von Arbeitsmöglichkeiten• Sicherung der medizinischen Versorgung• Einzel- und Gruppengespräche• KriseninterventionDie Betreuer werden von den Trägern gestellt und finanziert,und auch hier herrscht große Vielfalt. Viele Wohnprojekte habenmehrere Träger oder einen Träger, der mit verschiedenen Partnernkooperiert. Infrage kommen z. B. der Sozialpsychiatrische Dienst,der Allgemeine Sozialdienst oder Wohlfahrtsverbände. Auch anpsychiatrische Akutkliniken, Behindertenwohnheime, Werkstättenfür Behinderte oder Integrationsprojekte sind teilweiseWohnmöglichkeiten angebunden.TrägerDer Aufenthalt in den meisten betreuten Wohnformen ist befristet.Die Dauer reicht von wenigen Monaten bis einigen Jahren.Die oben genannten Angebote gibt es in mannigfachenKombinationen mit den folgenden Wohnungsformen:• Betreutes EinzelwohnenDabei erfolgt die Unterstützung in der eigenen Wohnung.In der Regel besucht ein Betreuer den Klienten mehrmals inder Woche zu Hause zu fest ausgemachten Terminen, nachtserfolgt keine Betreuung. Betreutes Einzelwohnen kommt insbesonderefür Menschen in Frage, die schon relativ sicher mitihrer Psychose umgehen und selbst ihren Tag strukturierenkönnen. Ziel ist, größtmögliche Selbstständigkeit zu erreichenoder ganz ohne Betreuung zu leben.• AppartementwohnenAppartementwohnen ist eine Zwischenform zwischen betreutemEinzelwohnen und Wohngruppe. Jeder Appartementbewohnerist eigenständig, hat ein eigenes Bad und einekleine Küche, wohnt aber in einem Appartementhaus mitanderen Betroffenen. Gemeinschaftseinrichtungen ermöglichensoziale Kontakte, aber es ist auch der völlige Rückzugmöglich. Betreuer und Therapeuten haben separate Räume.WohnformenWohnen 73


• (Therapeutische) WohngemeinschaftIn einer Wohngemeinschaft (WG) wohnen mehrere Betroffenezusammen. Jeder hat ein Zimmer für sich, Bad, Wohn- undEsszimmer sowie die Küche werden gemeinschaftlich genutzt.Bei therapeutischen WGs (TWG) liegt ein deutlicherer Akzentauf dem therapeutischen Konzept, doch in der Praxis sind dieÜbergänge fließend und konzeptabhängig: Im einen Fall wirddie Therapie betont, im anderen ist es Teil des Konzepts, dieNormalität zu betonen und zu leben.In jedem Fall fördert der „normale“ Tagesablauf die Selbstständigkeitder Bewohner: durch die Tagesstruktur, dasWechselspiel von sozialem Miteinander und Rückzug indas eigene Zimmer sowie die Übernahme von Pflichtenin der Gemeinschaft.In der Regel ist ein Zimmer oder Büro in der WG für dietherapeutischen Begleiter reserviert. Diese sind je nachBedarf und Konzept zeitweise oder ganztags oder auchüber Nacht vor Ort.• WohngruppeVon einer Wohngruppe spricht man meist im Zusammenhangmit einem Heim. Die Bewohner bilden innerhalb eines Heimseine Art WG, lernen soziales Miteinander und die Übernahmevon Pflichten wie Kochen, Waschen und Putzen.• LangzeitwohnprojekteIm Gegensatz zu den bisher genannten Formen sind Langzeitwohnprojekteauf Dauer angelegt. Bewohner sind chronischpsychisch kranke Menschen. Als Wohnformen werden Wohngruppen,WGs oder ganze Häuser genutzt. Meist haben dieBewohner einen höheren Schutz- und Betreuungsbedarf alsin den oben genannten Formen.• Eine besondere Form der Wohngemeinschaft sindSoteria-Häuser, Details siehe S. 17.• WohnheimIn einem Wohnheim nutzt der Bewohner sein Zimmer, alleanderen Einrichtungen sind Gemeinschaftseinrichtungen.Das Wohnen im Heim kann eine dauerhafte Lebensform sein,aber es besteht zunehmend die Tendenz, die Bewohner zumöglichst viel Selbstständigkeit und sozialen Wohnformenzu befähigen: über die Wohngruppe im Heim hin zur heimunabhängigenWG.?Wer hilft weiter?74 WohnenAuf der Suche nach betreutem Wohnen helfen der Sozialdienst inder Klinik, der ambulante Sozialpsychiatrische Dienst sowie alleTräger mit entsprechenden Angeboten – das sind meist Wohlfahrtsverbände,aber auch Gemeinden und Vereine.


Das Zusammenleben mit der Familie sollte – wenn möglich –bewusst geprüft und entschieden werden.Wohnen in der FamilieJe nach Alter und Störungsbild kann das Familienleben die erstrebenswerteWohnform sein, weil die vertraute Umgebungund die Angehörigen Sicherheit und Geborgenheit geben. Aberebenso kann eine familienunabhängige Wohnform Selbstständigkeitund Entwicklung erst ermöglichen.Kommt ein Patient nach einem Klinikaufenthalt (wieder) nachHause, sollte eine ambulante Nachsorge durch ärztliche Behandlung,Beratungsstellen, Ambulanzen und/oder Tagesstätten fürpsychisch kranke Menschen (siehe S. 26) gewährleistet sein. DemBetroffenen sollte ermöglicht werden, eine Balance zwischenRückzug und Teilnahme am Familienleben zu finden. Dazu solltenihm räumliche Rückzugsmöglichkeiten geschaffen werden.Details zum Umgang miteinander siehe S. 65.Ein wichtiges Thema ist der Auszug junger, psychotisch erkrankterMenschen aus der elterlichen Wohnung. Fast allen Eltern fällt esschwer, ihre Kinder gehen zu lassen, für ein psychisch gefährdetesKind gilt das umso mehr. Für den jungen Erwachsenen ist die Loslösungaus dem Elternhaus ein großer Schritt, der mit einemTherapeuten sorgfältig geplant werden sollte. Denn der Umbruchkann sowohl positiv als auch negativ wirken. Stützend kann hierder Umzug in eine der oben aufgeführten betreuten Wohnformenwirken.Wohngeld ist ein staatlicher Zuschuss zu den Kosten fürWohnraum. Dieser Zuschuss wird entweder als Mietzuschussfür Mieter einer Wohnung oder als Lastenzuschuss für Eigentümereines Hauses oder einer Wohnung gewährt.WohngeldWohngeld ist abhängig von der Zahl der Familienmitglieder, derenEinkommen und der regional unterschiedlichen Höhe der zuschussfähigenMiete oder Belastung. Das Wohngeld wird in derRegel für 12 Monate gewährt und muss möglichst vor Ablauf derBezugszeit neu beantragt werden.Keinen Anspruch auf Wohngeld haben Empfänger von• Arbeitslosengeld II und Sozialgeld,• Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderungsrenteund• Hilfe zum Lebensunterhalt im Rahmen der Sozialhilfe,bei deren Leistungen bereits Kosten für Unterkunft und Heizungberücksichtigt und abgedeckt worden sind.Wohnen 75


Schwerbehinderte –Besonderer FreibetragBei Patienten, die eine Anerkennung als Schwerbehindertehaben, wird bei der Ermittlung des für das Wohngeld maßgeblichenJahreseinkommens ein Freibetrag abgezogen:• Schwerbehinderte mit einem Gradder Behinderung (GdB) von 100 → 1.500,– €• Schwerbehinderte mit einem GdB von mindestens80 und häuslicher Pflegebedürftigkeit → 1.500,– €• Schwerbehinderte mit einem GdB von unter80 bis 50 und häuslicher Pflegebedürftigkeit → 1.200,– €?Wer hilft weiter?• Der Antrag auf Wohngeld erfolgt bei der örtlichen Wohngeldstelle,die auch weitere Auskünfte erteilt. Hier könnenauch die lokalen Wohngeldtabellen eingesehen werden.Die Stadt- oder Gemeindeverwaltung des Wohnorts nenntdie zuständige Stelle bzw. das zuständige Amt für Wohngeld.• Informationen und Downloads beim Bundesministeriumfür Verkehr, Bau und Stadtentwicklung,www.bmvbs.de/Staedtebau-und-Wohnungswesen/Wohnraumfoerderung-,1567/Wohngeld.htm.Unter anderem gibt es dort die Broschüre„Wohngeld 2007 – Ratschläge und Hinweise“.76 Wohnen


Autofahren und FührerscheinDie meisten Menschen wollen selbstständig und mobil sein unddeshalb Auto fahren. Doch wer sich infolge körperlicher odergeistiger Mängel (dazu können auch psychotische Störungenzählen) nicht sicher im Verkehr bewegen kann, darf am Verkehrnur teilnehmen, wenn er selbst Vorsorge getroffen hat, dass erandere nicht gefährdet (§ 2 Abs. 1 Fahrerlaubnis-Verordnung).Ist ein Patient fahruntauglich und steuert dennoch ein Kraftfahrzeug,macht er sich strafbar und muss für mögliche Schädenselbst aufkommen. Bei einem Unfall muss er mit strafrechtlichenund versicherungsrechtlichen Konsequenzen rechnen.Der Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis ist bei der Führerscheinstelleim Landratsamt oder bei der Stadtverwaltung zustellen. Die Antragstellung kann auch über die Fahrschule erfolgen.Bei diesem Antrag ist anzugeben, ob eine körperliche odergeistige Einschränkung vorliegt. Dies sollte der Antragstellerwahrheitsgemäß angeben. Die Führerscheinstelle entscheidetdann, ob und welche Gutachten beizubringen sind und wer dieseerstellen kann.Erstantrag auf FührerscheinNach schweren Krankheitsphasen ist der behandelnde Arztverpflichtet, Führerscheininhaber auf mögliche Einschränkungenund Gefahren hinzuweisen.Führerschein undschwere KrankheitDer Arzt lässt den Patienten in der Regel auch schriftlich bestätigen,dass er auf die Gefahr hingewiesen wurde, andernfallskann der Arzt für die Kosten möglicher Unfälle haftbar gemachtwerden. Oft steht diese Empfehlung auch im Abschlussberichtvon Rehamaßnahmen.Ob der Patient dies dann bei der zuständigen Führerschein- bzw.Kfz-Zulassungsstelle meldet und seine Fahrtauglichkeit überprüfenlässt, bleibt diesem selbst überlassen.Auch Fahrradfahrer, die nach einer schweren Erkrankung amVerkehr teilnehmen und aufgrund ihres Gesundheitszustandseinen Unfall verursachen, können ihren Führerschein verlieren.Bei entsprechendem Verdacht macht die Polizei eine Mitteilungan die Führerscheinstelle, welche dann den Patienten auffordert,die Fahrtauglichkeit prüfen zu lassen.Autofahren und Führerschein 77


Zweifel an derFahrtauglichkeitBestehen Zweifel an der Fahrtauglichkeit, z. B. bei einer Verkehrsroutinekontrolledurch die Polizei, fordert die Führerscheinstellein der Regel ein fachärztliches Gutachten. DerFacharzt sollte nicht der behandelnde Arzt sein.Bestehen laut diesem Facharztgutachten noch immer Bedenken,fordert die Führerscheinstelle ein medizinisch-psychologischesGutachten bzw. eine medizinisch-psychologische Untersuchung(MPU).Die Untersuchung teilt sich in zwei Bereiche auf,den medizinischen und den psychologischen.• Medizinischer BereichKörperlicher Allgemeinzustand, Sinnesfunktionen, fachärztlicherBefund, neurologischer Befund (falls erforderlich)und Medikamenteneinnahme werden berücksichtigt.• Psychologischer BereichWahrnehmung, Aufmerksamkeit, Orientierung undReaktion/Belastbarkeit werden beurteilt.Im Gespräch mit dem Arzt und Psychologen geht es um die Einstellungenzum Straßenverkehr (Vorausschauen, Planen, Erkennenvon Gefahren), aber auch um die Fähigkeit zur Selbsteinschätzungund den Umgang mit Schwierigkeiten.Autofahrenbei PsychosenIn der Akutphase einer Psychose darf kein Fahrzeug geführtwerden. Nach dem Abklingen der akuten Symptome darf einFahrzeug geführt werden, allerdings abhängig von der Artund Prognose des Grundleidens:• Organisch-psychische StörungenEin Fahrzeug darf wieder geführt werden, wenn das Grundleideneine positive Beurteilung zulässt und weder Restsymptomenoch ein chronisches, hirnorganisches Psychosyndromvorliegen. In der Regel sind regelmäßige Nachuntersuchungenerforderlich.• Affektive PsychosenEin Fahrzeug darf wieder geführt werden, wenn nicht mitdem Wiederauftreten der Symptome gerechnet werden muss.Auswirkungen der Antidepressiva sind zu berücksichtigen, insbesonderebei Veränderung der Dosierung oder des Wirkstoffs.• Schizophrene PsychosenEin Fahrzeug darf wieder geführt werden, wenn keineStörungen (z. B. Wahn, Halluzination, schwere kognitiveStörung) mehr nachweisbar sind, die das Realitätsurteilerheblich beeinträchtigen. Sind weitere Akutphasen zuerwarten, sind regelmäßige Untersuchungen durchzuführen.78 Autofahren und Führerschein


Psychopharmaka (auch bei Langzeitbehandlung) sind grundsätzlichkein Hindernis: Sie können sowohl stabilisierendwirken (also die Fahreignung fördern) als auch die Fahreignungbeeinträchtigen. Die medikamentöse Behandlung solltedurch den behandelnden Facharzt dokumentiert werden.Bei nachgewiesenen Intoxikationen und anderen Wirkungen vonArzneimitteln, die die Leistungsfähigkeit zum Führen eines Kraftfahrzeugesbeeinträchtigen, ist bis zu deren völligem Abklingendie Voraussetzung zum Führen von Kraftfahrzeugen aller Artnicht gegeben.Dauerbehandlungmit ArzneimittelnDer Patient muss grundsätzlich wissen, dass er für die Fahrtüchtigkeitselbst verantwortlich ist. Er muss sich kritisch beobachten,bevor er ein Fahrzeug steuert. Im Zweifel sollte er das Auto lieberstehen lassen. Gerade Psychopharmaka, die eine dämpfendeWirkung haben, können die Reaktionszeit verlängern und somit dieFahrtauglichkeit einschränken. Autofahrer, die Psychopharmakaeinnehmen, sollten auf jedem Fall mit ihrem Arzt besprechen, obsie mit den verordneten Medikamenten fahrtauglich sind.Bei Fragen helfen der behandelnde Arzt, die Führerscheinstelle,TÜV oder DEKRA sowie Stellen, die medizinisch-psychologischeUntersuchungen durchführen.?Wer hilft weiter?Autofahren und Führerschein 79


Rechtliche AspektePsychotische Störungen können, insbesondere in akutenPhasen, zu tiefgreifenden Verhaltensänderungen, Wahrnehmungsstörungenund zu einer völlig ver-rückten Beurteilungvon Sachverhalten weit außerhalb der gesellschaftlichenNorm führen. Die Geschäftsfähigkeit ist dann zum Teil nichtmehr gegeben.Definition„Geschäftsfähig“ ist, wer seine Willenserklärungen oderrechtsgeschäftlichen Handlungen selbst beurteilen und verstehenkann.„Geschäftsunfähig“ ist demgegenüber unter anderem, wersich in einem Zustand krankhafter und dauerhaft gestörterGeistestätigkeit befindet, der die freie Willensbildung ausschließt.Die Geschäftsunfähigkeit ist allerdings nicht automatisch mitErreichen eines bestimmten Krankheitsstadiums zu vermuten,sondern muss konkret festgestellt werden.VorsorgeIn der Akutphase einer Psychose sind Patienten in der Regelgeschäftsunfähig. Dann erledigt häufig ein Betreuer (sieheunten) die notwendigen persönlichen Angelegenheiten. Aufdiese fremdbestimmten Regelungen können Menschen aberim Vorfeld Einfluss nehmen, indem sie eine Vorsorgevollmachtoder Betreuungsverfügung erstellen:• In einer Vorsorgevollmacht legt der Verfasser fest, wen er fürwelche Aufgabenbereiche als Bevollmächtigten einsetzt, wenner selbst entscheidungsunfähig ist. Liegt eine ausreichendeVorsorgevollmacht vor, darf kein Betreuer eingesetzt werden.• In einer Betreuungsverfügung legt der Verfügende fest, wer– oder wer auf keinen Fall – im Bedarfsfall als Betreuer eingesetztwird und welche Wünsche der Betreuer zu beachten hat.Betreuungsverfügung und/oder Vorsorgevollmacht sollten aufjeden Fall mit den gewünschten Betreuern/Bevollmächtigtenabgesprochen werden.BetreuungBetreuung ist eine Fürsorgeform, in deren Rahmen eingerichtlich bestellter Betreuer die Angelegenheiten desBetroffenen erledigt. Betreuer wird in der Regel ein naherAngehöriger, in einigen Fällen auch ein neutraler Dritter.80 Rechtliche Aspekte


Die Betreuung wird (im Gegensatz zur früheren „Entmündigung“)zeitlich begrenzt und nur für die Aufgabenbereicheeingerichtet, für die sie erforderlich ist. Nur ein Teilder Patienten mit psychotischen Störungen braucht einenBetreuer zur Regelung persönlicher Angelegenheiten.Wenn offensichtlich wird, dass ein Mensch im Alltag nicht mehrzurechtkommt, dann kann jeder, dem das auffällt, z. B. Arzt,Apotheker, Nachbar, eine Betreuung beim Vormundschaftsgerichtanregen. Anzeichen dafür, dass jemand nicht mehr ohne Hilfezurechtkommt, sind beispielsweise zunehmende Verwahrlosungder Wohnung und des äußeren Erscheinungsbildes, Ablehnungvon ärztlicher Hilfe und Versorgung, Auffälligkeiten bei finanziellenGeschäften.Im Rahmen des Betreuungsverfahrens verschafft sich derVormundschaftsrichter in der Wohnung des Betroffenen oder ineiner betreuten Wohnform einen persönlichen Eindruck von derGesamtsituation und der Erforderlichkeit einer Betreuung. Dabeiwerden auch die Aufgabenkreise des künftigen Betreuers erläutertund bestimmt.Das Vormundschaftsgericht bestellt einen Betreuer,wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:• Der Betroffene kann aufgrund seiner Erkrankung seineAngelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr selbsterledigen. Dies wird regelmäßig durch ein fachärztlichesGutachten festgestellt.• Die Betreuung ist erforderlich, d. h.: Es liegen Angelegenheitenvor, die geregelt werden müssen, und es gibt keinenBevollmächtigten, der sie regeln kann.VoraussetzungBei einer Betreuung bleibt die Geschäftsfähigkeit des Betreuten –im Gegensatz zur früheren Entmündigung – in der Regel erhalten.Wenn es aber zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für diePerson oder das Vermögen des Betreuten erforderlich ist, kann dasVormundschaftsgericht anordnen, dass Erklärungen des Betreutenzu ihrer Wirksamkeit der Einwilligung des Betreuers bedürfen.EinwilligungsvorbehaltDas kann in der Praxis bedeuten, dass der Betreuer der Bank einenBetrag (z. B. 200,– €) nennt, den der Betreute in der Woche abhebendarf. Will er mehr Geld haben, muss die Bank mit demBetreuer Rücksprache halten.Kein Einwilligungsvorbehalt ist möglich bei „Willenserklärungen,die auf Eingehung einer Ehe gerichtet sind“, und „Verfügungenvon Todes wegen“.!PraxistippRechtliche Aspekte 81


AufgabenkreiseDie Bestellung eines Betreuers führt zu einer Einschränkung desSelbstbestimmungsrechts des Betreuten.Der Betreuer kann, wenn es zum Wohl des Betreuten erforderlichist, Maßnahmen gegen den Willen des Betreuten einleiten, soweitdiese zum Aufgabenkreis des Betreuers gehören.Aufgabenkreise des Betreuers können u. a. sein:• Gesundheitsfürsorge– Veranlassung von ärztlicher Behandlung– Zustimmung zu Operationen und Medikamentengabe– Behandlung in einem Krankenhaus• Aufenthaltsbestimmung– Mietangelegenheiten– Suche einer geeigneten Wohnform– Entscheidung über Umzug in ein Heim– Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung gegenden Willen des Betreuten (nur mit Zustimmung desVormundschaftsgerichts)• Vermögenssorge– Verwaltung von Vermögen und laufendem Einkommen– Antragstellung auf Sozialhilfe, Renten und andereöffentliche Leistungen– ErbschaftsangelegenheitenDas Prinzip der Betreuung besteht darin, dem Patienten zu helfen,dabei jedoch seine Fähigkeiten zur Selbstbestimmung so weitals möglich zu achten. Dieses Selbstbestimmungsrecht findetseine Grenzen, wenn die Wünsche des Patienten seinem Wohlentgegenstehen.Zustimmung desVormundschaftsgerichtsBei weitreichenden Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte desBetreuten muss der Betreuer die Zustimmung des Vormundschaftsgerichtseinholen. Dies gilt z. B. bei• Heilbehandlungen oder ärztlichen Eingriffen, wenn diebegründete Gefahr besteht, dass der Betreute aufgrundder Maßnahme einen schweren und länger dauerndengesundheitlichen Schaden erleidet oder stirbt• Sterilisation des Betreuten• Kündigung der Wohnung des Betreuten• einer mit Freiheitsentziehung verbundenen Unterbringung(Details siehe S. 84)Darüber hinaus muss der Betreuer dem VormundschaftsgerichtRechenschaft ablegen und haftet für die Verletzung seinerPflichten.82 Rechtliche Aspekte


Bei einer Betreuung entstehen folgende Kosten:• Gerichtsgebührenz. B. in Form von gerichtlichen Gebühren und als Auslagen,Letztere insbesondere für das Sachverständigengutachtenüber die Ermittlung der Notwendigkeit, den Umfang unddie voraussichtliche Dauer der Betreuung. Diese Kosten mussder Betreute nur tragen, wenn sein Vermögen nach Abzugder Verbindlichkeiten mehr als 25.000,– € beträgt.Eine Eigentumswohnung oder ein eigenes Haus, das derBetreute allein oder mit Angehörigen bewohnt, bleibtunberücksichtigt und wird nicht zum Vermögen gerechnet.Bei einem Reinvermögen über 25.000,– € wird für einedauerhafte Betreuung eine Jahresgebühr fällig. Sie beträgt5,– € für jede angefangenen 5.000,– €, die über demVermögen von 25.000,– € liegen.• Gebühren für BerufsbetreuerBei einem Reinvermögen ab 2.600,– € müssen der Betreuteoder seine Unterhaltspflichtigen (z. B. Ehegatte, Kinder) dieKosten für einen Berufsbetreuer prinzipiell selbst tragen.Berufsbetreuer haben bestimmte Stundensätze, abhängigvon ihrer Vorbildung:– Ohne besondere Kenntnisse: 27,– € plus Mehrwertsteuer.– Abgeschlossene Ausbildung: 33,50 € plus Mehrwertsteuer.– Abgeschlossenes Studium: 44,– € plus Mehrwertsteuer.•Ehrenamtlicher BetreuerDieser kostet entweder eine Aufwandspauschale von jährlich323,– € plus Mehrwertsteuer, oder er erhält eine individuellzu belegende Aufwandsentschädigung.KostenOb ein Berufs- oder ein ehrenamtlicher Betreuer eingesetzt wird,entscheidet das Vormundschaftsgericht.Folgende Punkte sind in der Praxis zu beachten:• Anregung der Einrichtung einer Betreuung: Wer meint, dasseine Betreuung für einen Menschen nötig ist, kann sich andas Vormundschaftsgericht oder an die örtliche Betreuungsstellewenden. Das Vormundschaftsgericht wird dann imRahmen seiner Amtserhebungspflicht tätig.• Es ist immer zu beachten, ob es eine Betreuungsverfügunggibt, in der der Betroffene festgelegt hat, wen er unterwelchen Bedingungen als Betreuer haben möchte.• Aufhebung oder Änderung einer Betreuung müssen beimVormundschaftsgericht schriftlich oder persönlich vomBetroffenen oder seinem Betreuer beantragt werden.!PraxistippsRechtliche Aspekte 83


?Wer hilft weiter?Zuständig für Betreuungssachen ist das Vormundschaftsgerichtbeim örtlich zuständigen Amtsgericht. Informationen und Aufklärungleisten auch die Betreuungsbehörden bei der örtlichenKreis- bzw. Stadtverwaltung und Betreuungsvereine.FreiheitsentziehendeMaßnahmenAls freiheitsentziehende Maßnahmen werden Maßnahmenbezeichnet, die die Bewegungsfreiheit eines Menschen gegendessen Willen einschränken.Alle nachfolgend aufgeführten Maßnahmen sind nur im Akutfallzum Schutz des Patienten und seiner Umgebung erlaubt. Auflängere Sicht muss immer eine richterliche Genehmigung durchdas Vormundschaftsgericht eingeholt werden. Die Maßnahmenmüssen vom Pflegepersonal täglich dokumentiert und auf ihreNotwendigkeit geprüft werden.Unterbringung im NotfallDie zwangsweise Einweisung zur medizinischen Behandlung indie geschlossene Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauseswird als „Unterbringung“ bezeichnet.Diese ist nur im Notfall zulässig, wenn der Patient sich selbstund/oder andere erheblich gefährdet. Oft ist ein Mensch in einerakuten Psychose aber nicht in der Lage, zu erkennen, dass er sichselbst oder andere gefährdet. In solchen Fällen kann eine Unterbringunggegen seinen Willen notwendig werden. Anzeichen sindz. B. Verwahrlosung des Patienten in der eigenen Wohnung,Erkrankung oder Unterernährung in Verbindung mit der Ablehnungjeglicher Hilfe. Zudem können Patienten in Akutphasendurch Unfälle gefährdet sein, weil sie Gefahren falsch einschätzenoder sich für „allmächtig“ oder „unverletzlich“ halten.Eine medizinische Behandlungsbedürftigkeit allein, die derPatient aufgrund seiner Erkrankung nicht einsehen kann, oder dieGefährdung seines Vermögens sind keine ausreichenden Gründefür eine Unterbringung.Sehen Ärzte, Angehörige oder Nachbarn Anzeichen für eineSelbst- oder Fremdgefährdung, sollten sie sich an den Betreuerdes Betroffenen oder den Sozialpsychiatrischen Dienst wenden.Im Notfall sind Polizei, Ordnungs- oder Gesundheitsamt weitereAnsprechpartner, in manchen Städten gibt es auch psychiatrischeKrisendienste. Durch das Einschalten kompetenter Stellen undderen Intervention kann eine Unterbringung oft vermieden werden,denn immer mehr Therapeuten bemühen sich darum, sich indie Lage der Patienten zu versetzen und so auf sie einzuwirken,dass sie sich freiwillig in stationäre Behandlung begeben. Beieiner Unterbringung gegen Widerstand besteht immer auch dieGefahr einer Traumatisierung.84 Rechtliche Aspekte


Das Verfahren zur zwangsweisen Unterbringung von psychischkranken Menschen ist in jedem Bundesland unterschiedlich geregelt.In jedem Fall ist für eine solche Unterbringung dasVormundschaftsgericht zuständig.Weitere freiheitsentziehende Maßnahmen sind mechanischeMaßnahmen, z. B. Fixiergurte, Bettgitter oder andere Methoden,die einem Menschen die Möglichkeit nehmen, das Bett, den Stuhloder den Raum zu verlassen. Sie werden bei psychotischenStörungen nur sehr selten eingesetzt.Mechanische MaßnahmenAuch sedierende (ruhigstellende) Medikamente zählen zu denfreiheitsentziehenden Maßnahmen. Sedierende Medikamentebewirken eine Verlangsamung auf körperlicher und geistiger Ebeneund können bis zu Apathie und Dauerschläfrigkeit führen. DerArzt darf solche Psychopharmaka nur zum Zweck der Heilungoder Linderung bei Krankheitszuständen (z. B. momentane AngstoderWahnvorstellungen) oder in Notfällen verordnen.Sedierende MedikamenteWerden sedierende Medikamente jedoch dauerhaft über Wochenzum Zweck der Ruhigstellung verordnet, ist dies eine freiheitsentziehendeMaßnahme, die in die Persönlichkeitsrechte desPatienten eingreift. Eine solche Medikamentengabe muss vomVormundschaftsgericht genehmigt werden.Durch die Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung istmeist die Gefahr abgewendet. Eine zusätzliche Zwangsbehandlungmit Psychopharmaka ist rechtlich problematisch und nur inseltenen Fällen vor dem Vormundschaftsgericht zu rechtfertigen.Bei Fragen und Unsicherheiten hilft das Vormundschaftsgericht.?Wer hilft weiter?Beim Psychiatrie-Verlag ist für Betroffene ein Krisenpasserhältlich, der im Notfall informiert über• die aktuelle Medikation und Dosierung,• erfahrungsgemäß hilfreiche Medikation im Krisenfall,• Personen, die benachrichtigt werden sollen,• Behandlungsvereinbarungen,• unverträgliche Medikamente,• spezielle Wünsche des Patienten im Krisenfall und gegebenenfallsweitere Erkrankungen wie Allergien etc.Der direkte Download aus dem Internet ist möglich unter derAdresse http://psychiatrie.de/data/pdf/31/00/00/krisenpass.pdf.KrisenpassRechtliche Aspekte 85


AdressenBundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V.Wittener Str. 87, 44789 BochumTelefon 0234 68705552 oder 6405102Fax 0234 6405103E-Mail kontakt-info@bpe-online.dewww.bpe-online.deDachverband Gemeindepsychiatrie e.V.Thomas-Mann-Str. 9, 53111 BonnTelefon 0228 632646Fax 0228 658063E-Mail dachverband@psychiatrie.dewww.psychiatrie.deDeutsche Gesellschaft für soziale PsychiatrieZeltinger Str. 9, 50969 KölnTelefon 0221 511002Fax 0221 529903E-Mail dgsp@netcologne.dewww.psychiatrie.deDachverband Psychosozialer HilfsvereinigungenAm Michaelshof 4b, 53117 BonnTelefon 0228 691759Fax 0228 658063E-Mail dachverband@psychiatrie.dewww.psychiatrie.de/dachverbandFamilien-Selbsthilfe Psychiatrie/Bundesverband derAngehörigen psychisch Kranker (BApK)Am Michaelshof 4b, 53177 BonnTelefon 0228 632646Fax 0228 658063E-Mail bapk@psychiatrie.dewww.bapk.deAktion Psychisch Kranke e.V.Oppelner Straße 130, 53119 BonnTelefon 0228 676740 oder 676741Fax 0228 676742E-Mail apk@psychiatrie.dewww.psychiatrie.de/apk86 Adressen


Irre menschlich Hamburg e.V.Öffentlichkeitsarbeit im Bereich psychische Erkrankungc/o Klinik für Psychiatrie und Psychotherapiedes Universitätsklinikums Hamburg-EppendorfMartinistraße 52, 20246 HamburgTelefon 040 42803-9259Fax 040 42803-5455E-Mail mail@irremenschlich.dewww.irremenschlich.deInternationale Arbeitsgemeinschaft Soteria (IAS)Klinikum München-OstRingstr. 14, 85529 HaarE-Mail hurtz@krankenhaus-haar.dewww.soteria-netzwerk.deVerband der Ergotherapeuten e.V.Postfach 22 08, 76303 KarlsbadTelefon 07248 9181-0Fax 07248 918171E-Mail info@dve.infoInternet:www.betanet.deSuchmaschine für Sozialfragen im Gesundheitswesen mitSozialrechtsinformationen und zahlreichen Selbsthilfe-Adressen.www.psychiatrie.deInternetseite des Psychiatrienetzes mit umfangreichenInformationen und Materialien sowie vielen weiterführendenLinks sowohl für Betroffene als auch Angehörige und Helfer/Therapeuten.Adressene 87


ImpressumHerausgeberbetapharm Arzneimittel GmbHKobelweg 95, 86156 AugsburgTelefon 0821 748810, Telefax 0821 74881420Redaktionbeta InstitutInstitut für angewandtes Gesundheitsmanagement,Entwicklung und Forschung in der Sozialmedizingemeinnützige GmbHKobelweg 95, 86156 AugsburgTextSabine PeterAndrea NaglTanja GüntnerAchim SaarWir danken den Verfassern der Blauen Broschüre, der AG derPsychoseseminare, stellvertretend Prof. Dr. Thomas Bock,Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Psychiatrie, für dieÜberlassung der Texte auf den Seiten 4, 66 und 68–71, sowiefür das Gegenlesen.KorrektoratGabriele MaderGrafik und LayoutManuela MahlSatzRainer Wassermann1. Auflage Oktober 2007Autoren und Herausgeber übernehmen keine Haftung fürdie Angaben in dieser Broschüre.88 Impressum

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