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15622 ZDF JB 2012_1 V05.indb - ZDF Jahrbuch 2012

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<strong>ZDF</strong>neo, sondern auch für die beiden anderenKanäle <strong>ZDF</strong>info – den Aufsteiger des Jahres – und<strong>ZDF</strong>kultur. Das Trio junger, komplementär ausgerichteter,klar positionierter Zusatzprogramme hatmit neuen Programmakzenten in einem fragmentiertenMarkt nicht nur andere, sondern gezieltjüngere Teile der Gesellschaft dazugewonnen. Dievorherigen Marktanteilsverluste bei der nachwachsendenGeneration im Hauptpro grammkonnten durch Zugewinne mehr als kompensiertwerden.Dabei unterstreichen die besonders ermutigendenZahlen in den künftig relevanten Digitalhaushaltenzusätzlich, wie zukunftswichtig die Digitalstrategiedes <strong>ZDF</strong> ist und wie sehr sie zunehmendaufgeht: Nur dadurch, dass wir auf die verändertenSehgewohnheiten in der digitalen Welt eingehen,können wir unser Gesamtziel erreichen, fürmöglichst viele Zielgruppen attraktiv zu sein unddabei das Durchschnittsalter des Publikumsschrittweise zu senken.Die parallelen Starts von neuen kommerziellenZielgruppenprogrammen ha ben im Übrigen gezeigt,dass die Zeit für digitale Spartensenderkeineswegs vorbei ist und dass die Öffentlich-Rechtlichen das Wirtschaften der kommerziellenKonkurrenz keineswegs behindern. Im Gegenteil:Die hohen Renditen der beiden großen kommerziellenTV-Konzerne, die mit 30 Prozent und mehrdeutlich über den jeweils vergleichbaren Konzernenin allen anderen Ländern Europas liegen, sinddie reiche Ernte einer eindeutigen Unternehmensstrategie:Dort sind die Programmqualität und inzwischenselbst die Gesamtquote vernachlässigbareGrößen geworden, wenn nur Rendite undGewinne stimmen. Das ist der Konkurrenz wahrlichnicht zu neiden, aber es steigert die gesellschaftlicheBedeutung der öffentlich-rechtlichenAnbieter: Kom merzielle Qualitätsmängel sind gesellschaftspolitischnur hinnehmbar, solan ge eseine öffentlich-rechtliche Qualitätssicherung gibt.Die Sicherung des Qualitätsjournalismus mussdabei für den Schirm wie auch das Netz gelten.Gerade im Onlinebereich könnten die Öffentlich-Rechtlichen publizistisch mehr leisten, wenn siedenn dürften. Nach der gesetzlich vorgeschriebenen»Depublizierung« von Inhalten im Netz habenwir unser verbliebenes Angebot <strong>2012</strong> neu gestaltet:Unsere Onlineportale – mit dem Programmportal<strong>ZDF</strong>.de, dem Infoportal heute.de und demSportportal <strong>ZDF</strong>sport.de – sind noch übersichtlicherund attraktiver geworden und sind nunmehrauch multifunktional verwendbar für die verschiedenenEndgeräte. Schwerpunkt der Onlinestrategieist die enge Verknüpfung von Programm undbegleitenden Zusatzinformationen. Mit einer bewegtbildorientiertenPriorität versuchen wir denZeitungsverlagen nicht durch so genannte »Presseähnlichkeit«in die Quere zu kommen. Abgesehendavon, dass die wirtschaftlichen Auswirkungender Telemedienangebote von ARD und <strong>ZDF</strong>auf den Medienmarkt ebenso gering wie vernachlässigbarsind, steht nach wie vor das öffentlichrechtlicheAngebot zu neuen Formen der Zusammenarbeitmit den Verlegern: zur Kooperation derQualitätsmedien im Sinne eines hochwertigenJournalismus.Zur Onlinestrategie des <strong>ZDF</strong> gehört die erfolgreiche<strong>ZDF</strong>mediathek: Sie setzt weiter Maßstäbe undverzeichnet weiter signifikante Reichweitenzuwächse,die insbesondere unseren Informationsprogrammenzugutekommen. Da die neuen, mobilenEndgeräte wie Tablets und Smartphones füreine deutliche Zunahme der zeitversetzten Nutzungvon Fernsehsendungen gesorgt haben,entwickeln wir unsere Mediathek konsequent weiter.Sie wird 2013 ebenfalls einen Relaunch erfahren.Von besonderer Bedeutung waren im Olympia-Jahr <strong>2012</strong> schließlich die Streaming-Angebote vonARD und <strong>ZDF</strong> bei den Sommerspielen in London.Sie waren eine Probe aufs Exempel, wie ein kom-12 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


Der FernsehratKontrolleur und Berater des Intendanten in schwierigen ZeitenRuprecht PolenzVorsitzender des <strong>ZDF</strong>-FernsehratsEin neuer Fernsehrat hat sich im Sommer<strong>2012</strong> konstituiert. Rund ein Drittel der Fernsehratsmitgliedersind neu in das Gremiumentsandt worden. Sie haben ihre neue Aufgabeengagiert in Angriff genommen: Das <strong>ZDF</strong>zu kontrollieren und zu beraten, insbesondere,wenn es um das Programm geht. Das sindfür den Fernsehrat vor allem die strategischenFragen mit Programmbezug bei derUmsetzung der Sparvorgaben der Kommissionzur Ermittlung des Finanzbedarfs derRundfunkanstalten (KEF), die Ansprache jüngerenPublikums, die Ausgestaltung der Digitalkanälesowie die Onlineaktivitäten und derJugendmedienschutz.Strategische Fragen mit ProgrammbezugNicht erst durch die Sparvorgaben der KEF warabsehbar, dass das <strong>ZDF</strong> den Gürtel enger schnallenmuss. Die KEF hat die Zahlen konkretisiert: Bis2016 sind 75 Millionen Euro im Personalbereichoder 400 Köpfe (so genannte Full Time Equivalents)einzusparen. Diese Einsparungen werdensich freilich auf das Programm auswirken.Der Fernsehrat ist durch die Informationen desIntendanten und seiner Geschäftsleitung frühzeitigeinbezogen worden, auch wenn für HaushaltsundPersonalfragen primär der Verwaltungsrat alsAufsichtsgremium zuständig ist. Der Fernsehratist gefragt, wenn Auswirkungen der Personal- undEinsparpolitik auf das Programm bewertet werden.Einhelligkeit besteht bei meinen Kolleginnenund Kollegen darüber, dass die zu treffendenMaßnahmen und Einschnitte weder zu Lasten derProgrammqualität noch zum Nachteil der durchdie Digitalkanäle wieder erstarkten Innovationskraftgehen dürfen. Auch stellt es eine besondereHerausforderung an die Verantwortlichen dar, denPersonalabbau so vorzunehmen, dass das Hausnicht über Gebühr junge, kreative Mitarbeiter verliert,die die Senderfamilie für die Zukunft desProgramms dringend braucht.DigitalkanäleVor dem Hintergrund der Sparvorgaben stellt sichdie Frage nach der Zukunft der Digitalkanäle von<strong>ZDF</strong> und ARD. Anders als bei der ARD sind dieDigitalsender für das <strong>ZDF</strong> existenziell notwendig,um auch als Programmfamilie in der digitalen Weltbestehen zu können. Die pauschale Forderung,bei ARD und <strong>ZDF</strong> ein oder zwei Digitalkanäle zustreichen, berücksichtigt nicht die unterschiedlicheAusgangslage der beiden öffentlich-rechtlichenSysteme. Das <strong>ZDF</strong> setzt seinen staatsvertraglichenAuftrag um, drei Digitalkanäle zu veranstalten,deren Zuschnitt ebenfalls durch dieLänder vorgegeben ist. Diese Entwicklung hin zurProgrammfamilie hat der Fernsehrat immer indem Wissen begleitet und unterstützt, dass sichdie Nachteile eines Einkanalsenders in der digitalenWelt ansonsten potenzieren würden. Die Komplementaritätmit dem Hauptprogramm funktioniert:<strong>ZDF</strong>neo, <strong>ZDF</strong>info und <strong>ZDF</strong>kultur gewinnenbei den 14- bis 49-Jährigen kontinuierlich mehrProzentpunkte hinzu als das <strong>ZDF</strong>-Hauptprogrammdurch die zunehmende Fragmentierungverliert. Auch ist deutlich geworden, dass die dreiDigitalsender eine Experimentierfläche für Programmeund Personen bieten, die der ARD mitden Dritten Programmen schon immer zur Verfügungstand.Sehr sorgfältig ist jedoch zu überlegen, wie Geldund Personal in der <strong>ZDF</strong>-Programmfamilie einzusetzensind. Parallel dazu hat eine medienpolitischeDiskussion in eine ganz andere RichtungFahrt aufgenommen, nämlich hin zur Etablierung14 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


eines eigenen Jugendkanals von ARD und <strong>ZDF</strong>.Auch wenn völlig offen ist, woher die Mittel für einsolches Angebot kommen sollen, wird die Diskussionsicher weitergeführt werden, da es in derMedienpolitik sowohl klare Befürworter als auchdeutliche Skeptiker gibt. Die Rundfunkkommissionder Länder hat ARD und <strong>ZDF</strong> um Vorlage einesfortgeschriebenen Konzepts für die künftige Ausgestaltungder Digitalprogramme bis spätestensApril 2013 gebeten. Meiner Ansicht nach könnteder Digitalkanal <strong>ZDF</strong>kultur ein Baustein sein, dendas <strong>ZDF</strong> in einen möglichen öffentlich-rechtlichenJugendkanal einbringt. Voraussetzung dafür wäreaber ein entsprechender gesetzlicher Auftrag.Auch müssten der erforderliche Personal- undFinanzaufwand vor dem Hintergrund der Umstellungauf den Rundfunkbeitrag und der damit verbundenenDeckelung genau festgelegt werden.OnlineaktivitätenDer Fernsehrat hat vor drei Jahren im Drei-Stufen-Test den Telemedienbestand von <strong>ZDF</strong>, 3sat undPHOENIX auf den Prüfstand gestellt. Nach erfolgreichemAbschluss der Prüfung wurde ein sechsterFernsehratsausschuss eingerichtet, der Telemedienausschuss.Dieser beobachtet und bewertetdie Telemedienangebote fortlaufend;insbesondere prüft das Gremium die Frage, obneue oder wesentlich veränderte Angebote vorliegen,die einen neuen Drei-Stufen-Test erforderlichmachen würden.Mit dem Rechtsstreit um die Frage, ob die»Tagesschau«-App der ARD ein »presseähnliches«Angebot ist, sind die öffentlich-rechtlichenTelemedienangebote wieder in den Fokus geraten.Im Fernsehrat herrscht mit den Verlegerverbändenein offener Dialog, nicht zuletzt wegen derPräsenz von Vertretern des BundesverbandsDeutscher Zeitungsverleger (BDZV) im Fernsehratund auch im Telemedienausschuss. Diese habenimmer wieder bestätigt, dass das <strong>ZDF</strong> hier einenWeg geht, der die Position der Verlage berücksichtigt.Damit wird deutlich, dass sich das nochwährend des Drei-Stufen-Tests belastete Verhältnismerklich entspannt hat und die Fernsehratsarbeitihre befriedende Wirkung entfalten konnte.JugendmedienschutzDer rasante Wandel in den Kommunikationsformenvia Internet bietet auch immer wieder einenAnlass für medienpolitische Diskussionsbeiträge,die eine Zuständigkeit der Landesmedienanstaltennicht nur für die privaten, sondern auch für dieöffentlich-rechtlichen Angebote fordern. DerartigeVorschläge sind zurückzuweisen, weil die Landesmedienanstaltenschon alle Hände voll zu tunhaben, die jugendschutzrechtlichen Verstöße derprivaten Sender wirkungsvoll zu verfolgen.Bei den Programmbeschwerden, die der Fernsehratzu behandeln hat, geht es ganz selten umdie Verletzung des Jugendmedienschutzes. DieseTatsache und der jährliche Bericht des Jugendschutzbeauftragtenzeigen, dass die binnenpluraleAufsicht als Element der programmlichen Qualitätskontrolledurch den Fernsehrat funktioniert.Sie ist wegen ihres präventiv-programmberatendenCharakters der rein repressiven staatlichenKontrolle überlegen. Denn der Jugendschutzbeauftragtedes <strong>ZDF</strong> ist schon bei der Produktionder Sendungen eingebunden, während bei denprivaten Sendern die Landesmedienanstalten inder Regel erst im Nachhinein tätig werden.Strategien zur Ansprache jüngeren PublikumsSeit einigen Jahren begleitet den Fernsehrat dieFrage, wie das <strong>ZDF</strong> mehr Angebote für jüngereZuschauer machen kann. Klar ist, dass sich das<strong>ZDF</strong>-Hauptprogramm mit seinen Inhalten schwertut, die jüngere Zielgruppe zu erreichen und damitden befürchteten Generationenabriss zu verhindern.Bei seinem Amtsantritt hat Intendant ThomasBellut das Ziel ausgegeben, den Trend desansteigenden Durchschnittsalters der ZuschauerDer FernsehratI 15


im Hauptprogramm auf nunmehr 61 Jahre zustoppen und ein weiteres Ansteigen des Durchschnittsaltersin den nächsten zwei Jahren zuverhindern. Spätestens 2014 will er eine Trendwendeeinleiten und das Durchschnittsalter leichtsenken. Hier spielen die Digitalkanäle eine wichtigeRolle, da sie nach seinen Vorgaben in dennächsten Jahren jeweils mindestens zehn Prozentmehr junge Zuschauer erreichen sollen.Der Fernsehrat unterstützt die Strategie der behutsamenkontinuierlichen Modernisierung, ohneaber krampfhaft eine Verjüngung des Publikumszu forcieren. Denn ein öffentlich-rechtlicher Fernsehsenderwie das <strong>ZDF</strong>-Hauptprogramm hat relevantzu sein, das heißt, er muss ein Massenmediumsein, das alle wesentlichen Schichten einerGesellschaft erreicht – altersmäßig, geschlechtsspezifisch,sozial und regional. Das <strong>ZDF</strong> hat nachder Wiedervereinigung bei der Präsenz in OstdeutschlandDefizite gehabt, die inzwischen behobenwurden. Aber im Generationenaufbau gibtes noch viel zu tun, eine der wichtigsten Aufgabendes Intendanten in den nächsten Jahren. Danebenist im Blick zu behalten, dass Deutschlandeine Einwanderungsgesellschaft ist. Daher ist dasThema, wie der nationale Sender <strong>ZDF</strong> von denMigranten gesehen wird, ebenfalls zu berücksichtigen.Reihenfolge der BefassungBei der Umsetzung dieser Ziele und der dafür erforderlichenModernisierungsprozesse wird derFernsehrat den Intendanten beraten und begleiten.Er bekennt sich zu seiner Verantwortung, under ist bereit, die Kompetenzen wahrzunehmen, dieihm vom <strong>ZDF</strong>-Staatsvertrag übertragen wurden.Bei weitreichenden Entscheidungen wie der Umsetzungder Einsparvorgaben hat es sich bewährt,die vom Gedanken der staatsvertraglich garantiertenProgrammhoheit des Intendanten getrageneReihenfolge der Befassung einzuhalten. So hatder <strong>ZDF</strong>-Fernsehrat zunächst die Erwartung anden Intendanten gerichtet, dem Gremium die mitder Umsetzung verbundenen Maßnahmen darzustellen.Diese werden in den zuständigen Ausschüssenund dem Plenum des Fernsehratssorgfältig beraten, bevor die Beratungsergebnisseder interessierten Öffentlichkeit mitgeteilt undmit der Medienpolitik diskutiert werden. Denn dieBeratungen des Fernsehrats sind der richtige Ort,um Weichen für die Zukunft des <strong>ZDF</strong> zu stellen,nicht die Podien von Medientagen oder die Feuilletonsvon Printmedien.16 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


Digitale, konvergente MedienweltNeue Herausforderungen für die MedienpolitikDie Konvergenz von klassischen Rundfunkgerätenund Internettechnologie erweitert dieMöglichkeiten von Nutzern und Inhalteanbieternwie den Rundfunkanstalten. Den Nutzernstehen damit neue Wege des Navigierensoffen. Die Entwicklung birgt aber auch Gefahrenund Risiken für den Zugang der Senderzu den neuen Plattformen und den Schutz derIntegrität ihrer Angebote. Diese Situationstellt die Medienpolitik und Medienregulierungvor neue Herausforderungen.Bisher unterscheiden wir bei den elektronischenMedien lineare Rundfunkdienste und nichtlineareüber das Internet verbreitete Telemedienangebote.Diese Unterscheidung wird, wie die aktuellenEntwicklungen im Bereich HbbTV/Hybridgerätezeigen, zunehmend schwieriger. Fernseh- und Internetangebotekönnen gleichzeitig über den TV-Bildschirm abgerufen werden. Diese Verschmelzungvon Fernsehen und Internet in einem Geräthat weitreichende Folgen, sowohl für das Nutzungsverhaltender Zuschauer, als auch für dieRundfunkanstalten wie das <strong>ZDF</strong> als Programmveranstalterund Anbieter von Medieninhalten. Sokann der Zuschauer per Knopfdruck vom klassischenlinearen Fernsehprogramm unmittelbar zuden im Internet zeitunabhängig angebotenen medialenInhalten wechseln. Er kann sich über einund dasselbe Gerät in Soziale Netzwerke einloggen,im Internet recherchieren oder seine Mailsbearbeiten.Für die Fernsehveranstalter eröffnet diese technischeEntwicklung Möglichkeiten für neue Geschäftsmodelle.Die Konvergenz von Rundfunkgerätenund Internettechnologie wirft jedoch aucheine Reihe neuer Fragen auf. Fragen, die aus derPerspektive der Rundfunk anstalten Themen wieAuffindbarkeit, Zugang, Inhalte, aber auch denSignalschutz betreffen.Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und seine Fernsehprogrammeerfüllen eine essenzielle Aufgabefür unsere demokratische Gesellschaft. Insofernmuss auch künftig gewährleistet sein, dass jederungehinderten Zugang zu diesen Angeboten hat,egal, auf welchem Verbreitungsweg. Dies bedeutet,dass die Rundfunkanstalten ohne technischeSchwierigkeiten und Hindernisse ihren Weg zumZuschauer finden müssen.In dieser Hinsicht stellen hybride Geräte die Empfangbarkeitvon Fernsehprogrammen und Angebotenim Internet vor neue Herausforderungen.Dies gilt insbesondere für Geräte, die mit proprietärenFunktionen einer Onlineplattform ausgestattetsind, bei der neben dem regulären Empfangvon Fernsehprogrammen auch der Zugriff aufausgewählte Internetangebote möglich ist. Damiterfolgt eine Suche nach Medieninhalten nichtmehr nur über den klassischen Fernsehprogrammführer(EPG), sondern zunehmend überdie Portale der verschiedenen Geräte und Plattformanbieter.Hierbei ist nicht ohne weiteres sichergestellt,dass ein Zugreifen der Nutzer, etwaauf das Angebot der Rundfunkanstalten, diskriminierungsfreierfolgen kann. Insofern stellt sich zuRecht die Frage, ob die im Rundfunkstaatsvertragformulierten Anforderungen an eine chancengleicheund diskriminierungsfreie Darstellung auch fürPortale gelten sollen.In diesem Zusammenhang ist von den Rundfunkanstaltenzur Sicherung ihres gesellschaftlichenAuftrags die Forderung erhoben worden, dass imKurt BeckMinisterpräsident des LandesRheinland-Pfalz und Vorsitzenderdes Verwaltungsrats des <strong>ZDF</strong>Digitale, konvergente MedienweltI 17


Medienrecht ein Anspruch auf ein »Must BeFound« geschaffen werden soll, der die Auffindbarkeitim Spektrum der vielfältigen Rundfunkangeboteauch auf hybriden Empfangsgeräten sichert.Dabei wurde der Gedanke aufgegriffen,dass in Übereinstimmung zu den bestehenden»Must-Carry-Regelungen« 1 dies nicht nur für dieProgramme der Öffentlich-Rechtlichen gelten sollte,sondern auch für die privaten Sender, soweitsie zum Rundfunkauftrag beitragen. Dies sindAnsätze, die im Länderkreis im Zusammenhangmit einer zeitgemäßen Plattformregulierung zudiskutieren sind.Eine weitere Frage in diesem Bereich ist, wiesichergestellt werden kann, dass im Hinblick aufden Integritätsschutz von Rundfunkprogrammendas Erscheinungsbild des Rundfunkprogrammsauf dem Bildschirm nur vom Nutzer und nicht vonDritten verändert werden kann. Diese Fragen stellensich angesichts der technischen Möglichkeitenetwa, das Fernsehbild zu verkleinern unddurch Werbung zu ergänzen oder das Fernsehbilddurch optische Signale zu überlagern. Dies istkritisch zu sehen, da Dritte damit Inhalte in derWahrnehmung stark verändern können, ohnedass Zuschauer oder auch Rundfunkanstalten alsInhalteanbieter darauf Einfluss haben. Es ist notwendig,sicherzustellen, dass die Zuschauer nicht»entmündigt« werden und die Selbstbestimmungder Anbieter gewahrt bleibt. Die Anstalten habenein schützenswertes Interesse daran, dass ihreAngebote in der ihnen zugedachten Form erkennbarbleiben. Von Seiten des <strong>ZDF</strong> wird daher in deraktuellen Diskussion gefordert, die Integrität derInhalte (Contentintegrität) auf gesetzlicher Ebene1 Als »Must-Carry«-Regeln werden die gesetzlichen Verbreitungspflichtenbezeichnet, die nach dem Rundfunkstaatsvertrag(RStV) für so genannte Plattformanbieter gelten. »MustCarry«-Regeln finden sich für die digitale Verbreitung in § 52b RStV. Danach hat ein Kabelnetzbetreiber derzeit alle digitalenHörfunk- und Fernsehprogramme von ARD und <strong>ZDF</strong> (inklusiveARTE und Deutschlandradio) einzuspeisenkünftig festzuschreiben, um damit Rechtssicherheitmit Blick auf die geschilderten technischenMöglichkeiten zu schaffen.Zu der Diskussion um die künftige Auffindbarkeitund einen diskriminierungsfreien Zugang zu denAngeboten der öffentlich-rechtlichen Sender gehörenauch Fragen nach der Notwendigkeit einerRegulierung von Suchmaschinen. Angesichts derFülle von Internetseiten ist die Informationssucheim Internet heute effektiv nur noch durch Verwendungvon Suchmaschinen zu bewältigen. Suchmaschinensind zunächst Informationsvermittler,die als Gatekeeper des Internets fungieren. Es istnicht zuletzt die Abhängigkeit des Internetnutzersvon Suchmaschinen, die dessen Meinungsbildungsrelevanzbegründet. Aufgrund der Filterfunktionund der damit einhergehenden Kontrollmöglichkeitbei der Ergebnispräsentation kann dieöffentliche Meinungsbildung wie auch die Meinungsvielfaltbeeinflusst werden, wenn zum Beispielzu einem Suchbegriff als Ergebnis etwa nurInternetseiten von Vertretern einer bestimmtenMeinung als Topergebnisse präsentiert oder sogarbestimmte Ergebnisse vollständig ausgeschlossenwerden. Schließlich stellen Suchmaschinenauch eine wichtige Zugriffsmöglichkeit auf dieAngebote der Rundfunkanstalten dar.Das Kartellrecht allein wird auf die sich stellendenFragen keine abschließenden Antworten gebenkönnen, da seine Instrumente ausschließlich demSchutz des ökonomischen, nicht jedoch demSchutz des publizistischen Wettbewerbs dienen.Es geht jedoch um positive Vielfaltsicherung.Diese hat das Kartellrecht nicht zum Gegenstand.Aus diesem Grund sind Suchmaschinen grundsätzlichin die medienrechtlichen Regelungenmiteinzubeziehen. Insofern muss der Auftrag zurMissbrauchskontrolle durch die Länder nebendem Rundfunk alle journalistisch gestalteten Medienumfassen. Die sich aus ihrer marktbeherrschendenStellung ergebende Verantwortung tra-18 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


gen die Suchmaschinenbetreiber derzeit ohnestaatliche Eingriffsmöglichkeit.Denkbar wären auf Ebene der Länder, nach meinerAnsicht, verschiedene Ansätze für rechtlicheRegelungen, etwa als Missbrauchstatbestand derAusschluss bestimmter Inhalte von der Ergebnisanzeigeohne gerechtfertigten Grund. Ein gerechtfertigterGrund könnten etwa gesetzliche Verboteoder der Jugendschutz sein. Darüber hinaus sollteder aus den klassischen Medien stammendeGrundsatz zur Trennung von Werbung und Inhaltberücksichtigt werden. Dabei sehen die Länderaufgrund der Ausrichtung der Suchmaschinen aufnationale Märkte (vergleiche beispielsweise google.deund google.fr) durchaus Anknüpfungspunktefür nationale gesetzliche Regelungen.Auch die grenzüberschreitende weltweite Verfügbarkeitdes Internets ändert für mich nichts daran,dass wir, vergleichbar zu anderen Rechtsgebieten,im Geltungsbereich des deutschen Rechtsweiterhin hohe Standards festlegen.Bei der künftigen Diskussion um eine Anpassungder medienrechtlichen Rahmenbedingungen aufnationaler Ebene müssen wir immer auch die Vorgabenauf europäischer Ebene im Blick haben.Dort muss es unser Ziel sein, ein technologieneutrales,inhaltsorientiertes Regelungskonzept zuverwirklichen, das zumindest qualitative Mindeststandardsfür die Verbreitung audiovisueller Medienformuliert und auf Dauer gewährleistet. In diesemZusammenhang sollte man unter anderemauch überdenken, ob die in der Richtlinie für audiovisuelleMediendienste vorgenommene Trennungvon linearen und nichtlinearen Dienstennoch zeitgemäß ist.Dies alles zeigt, dass wir die gegenwärtigen Entwicklungenim Länderkreis aufmerksam verfolgenund auf ihren Regelungsbedarf prüfen müssen.Dabei geht es um eine medienrechtliche Fortentwicklungder bisherigen rundfunkstaatsvertraglichenRahmenvorgaben, vor dem Hintergrund,dass das Fernsehen auf absehbare Zeit dasmaßgebliche Leitmedium sein wird.Digitale, konvergente MedienweltI 19


Die Verbreitung der <strong>ZDF</strong>-Angebote in der digitalen WeltPeter WeberJustitiar des <strong>ZDF</strong>Im Jahr <strong>2012</strong> sind Fragen der Verbreitung vonlinearen Programmen und non-linearen Telemedienangebotendes Rundfunks in die Diskussiongeraten. Die technologische Konvergenzund die Vervielfachung der technischenVerbreitungs- und Empfangsmöglichkeitenaudiovisueller Inhalte in der digitalen Weltschreiten voran. Das <strong>ZDF</strong> muss darauf miteiner konsistenten Verbreitungsstrategie antworten,die Fernsehprogramme und Onlineangebotegleichermaßen umfasst. Voraussetzungfür eine solche Strategie ist freilich dieVergewisserung über den regulatorischenRahmen sowie die der Verbreitung der <strong>ZDF</strong>-Inhalte zugrundeliegenden GeschäftsmodelleDritter. Im Folgenden sollen daher die Verbreitungswegedes <strong>ZDF</strong> eingeordnet und denGeschäftsmodellen Dritter zur Verbreitungunserer linearen Programmangebote überTerrestrik (1), über Kabel einschließlich IP-Verbreitung (2) sowie über Satellit (3) ebensonachgegangen werden wie den Herausforderungenin regulatorischer und vertraglicherHinsicht für die Verbreitung unserer non-linearenOnlineangebote durch Hybridfernsehen(Connected TV) (4).1. Die terrestrische SendungRundfunkprogramme werden in Deutschland terrestrischausschließlich digital verbreitet. Die terrestrischeSendung ist – neben der Ausstrahlungvia Satellit – die originäre Programmverbreitungdurch das <strong>ZDF</strong>, mit der der gesetzliche Verbreitungsauftragerfüllt wird. Sie wird deshalb auch alsPrimärausstrahlung bezeichnet. Im Rahmen derPrimärausstrahlung verbreiten Sendeunternehmenihre Rundfunkangebote über eigene terrestrischeNetze oder aber angemietete terrestrischeSenderkapazität. Das <strong>ZDF</strong> verfügt dazu – andersals die ARD – nicht über ein eigenes Sendernetz,sondern mietet die erforderliche Verbreitungskapazität.Die unverschlüsselte terrestrische Verbreitungder <strong>ZDF</strong>-Angebote ist von hoher Bedeutung,da der Zuschauer über diesen Verbreitungswegunmittelbar erreicht wird, ohne dass sich Drittplattformbetreibermit eigenen Geschäftsmodellenzwischen Sender und Zuschauer schieben können.Aus Sicht des Zuschauers hat die terrestrischeVerbreitung einen hohen Wert, da sie einenortsunabhängigen Empfang ohne weitere häuslicheVerkabelung ermöglicht und eine technischunkomplizierte, kostengünstige Empfangsmöglichkeitdarstellt. Insbesondere in den Ballungsräumen,in denen viele Programme empfangbarsind, nutzen unter Einbezug der Zweit- und Drittgerätemittlerweile bis zu 25 Prozent der TV-HaushalteDVB-T. Für Smartphones und Tablets erfreutsich der mobile Empfang großer und weiter steigenderBeliebtheit.Die DVB-T-Technik wurde dabei weiterentwickelt.Der Standard DVB-T2 wird für die Zuschauer weiterenNutzen bieten. Mit ihm wird die Ausstrahlungvon HD-Kanälen auch terrestrisch möglich. Diemit DVB-T2 verbundenen Einsparungen an Übertragungskapazitätkönnen beispielsweise für barrierefreieAngebote, aber auch für die Verbreitungsämtlicher Programmangebote des <strong>ZDF</strong>, gegebenenfallsauch in HD sowie zugehöriger non-linearerHbbTV-Angebote, also den Zugriff auf die ZD-Fmediathek, genutzt werden.Das <strong>ZDF</strong> ist deshalb daran interessiert, dass dauerhaftausreichend terrestrische Frequenzen zurVerfügung stehen, damit möglichst viele Beitragszahlerden für sie komfortablen und preiswertenÜbertragungsweg nutzen können. Dagegen versuchenMobilfunkbetreiber aufgrund der zuneh-20 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


menden Belastung ihrer Netzinfrastruktur, Teiledes bisher für Rundfunk genutzten Spektrums füreigene Dienste in Anspruch zu nehmen. Aus Artikel5 Grundgesetz folgt die Verpflichtung desStaates zur Schaffung einer positiven Rundfunkordnung,die auch über Rahmenbedingungen fürdie Medien- und Kommunikationsindustrie die Erhaltungund Entwicklung qualitativ hochwertigerInhalte auf den verfügbaren Übertragungswegenermöglicht und fördert. Nur dies garantiert diegrundgesetzlich abgesicherte Freiheit der Meinungsbildungund der Informationsfreiheit. Dieterrestrische Übertragung trägt durch ihre Verfügbarkeitin Ballungsräumen, ihre niedrigen Kostenund die Möglichkeit ihrer mobilen Nutzung erheblichzum Medienpluralismus, also einer Angebotsvielfalt,bei.Aus Sicht der Zuschauer ist die mit der terrestrischenVerbreitung verbundene Auswahlmöglichkeitund der damit einhergehende Wettbewerbverschiedener Verbreitungswege essenziell imHinblick auf verbraucherfreundliche Bedingungendes Rundfunkempfangs. Dies wird der Gesetzgeberbei dem Umgang mit Frequenzressourcen,insbesondere auch im derzeit diskutierten700-MHz-Band, zu beachten haben.2. Die Ausstrahlung der <strong>ZDF</strong>-Angebote überSatellitDie Verbreitung der <strong>ZDF</strong>-Programme über Satellitist der zweite technologische Baustein, mit demdas <strong>ZDF</strong> seinen Verbreitungsauftrag erfüllt. Deranaloge Switch-off wurde für die Verbreitung derRundfunkprogramme über Satellit zum 30. April<strong>2012</strong> erfolgreich abgeschlossen. Auch hierbeihandelt es sich um eine Primärsendung des <strong>ZDF</strong>.Dieses mietet die für die Programmverbreitungerforderliche Transponderkapazität bei dem Satellitenbetreiber,derzeit ASTRA beziehungsweiseEutelsat, an. Die Satellitenverbreitung ist der zurzeitbedeutendste primäre Verbreitungsweg fürdie <strong>ZDF</strong>-Programme.Das <strong>ZDF</strong> setzt dabei auch künftig auf die unverschlüsselteAusstrahlung seiner Angebote. Sieentspricht dem europäischen Grundsatz des »freeflow of information«. Der öffentlich-rechtlicheRundfunk ist zudem entscheidendes Medium undFaktor der gesellschaftlichen Meinungsbildung. Ermuss deshalb entsprechend den Anforderungendes Bundesverfassungsgerichts für jedermannungehindert zugänglich sein.3. Die Weitersendung der Programmangebotedes <strong>ZDF</strong> durch KabelnetzbetreiberDie Kabelweitersendung von Rundfunkangebotendurch Dritte ist grundsätzlich von der eigenenPrimärsendung der Sendeunternehmen zu unterscheiden.Die Primärsendung charakterisiert sich – wie dargestellt– dadurch, dass das Sendeunternehmenunmittelbar selbst unter Nutzung eigener oderangemieteter Verbreitungskapazitäten sendet. DieWeitersendung über Kabel zeichnet hingegenaus, dass das Kabelunternehmen die von denFernsehsendern ausgestrahlten Programme insein Netz einspeist und mit Endkunden Verträgeüber die Zurverfügungstellung von Fernsehprogrammenschließt. Das Kabelunternehmenschiebt sich also aufgrund eigener wirtschaftlicherEntscheidung gleichsam zwischen das Sendeunternehmenund den Zuschauer, für den es eineentgeltliche Dienstleistung erbringt. Ohne die Kabelweitersendungwürde das <strong>ZDF</strong> seine Zuschauerunmittelbar durch seine Primärsendung überSatellit oder terrestrisch erreichen.Für diesen Kabelweitersendevorgang sieht dasUrhebergesetz vor, dass das Kabelunternehmendie notwendigen Rechte von den Rechteinhabern(Sendeunternehmen und Verwertungsgesellschaften)erwerben muss. Bereits aus dieser Bewertungergibt sich, dass der Gesetzgeber voneiner Verwertungshandlung des Kabelunternehmensausgeht.Die Verbreitung der <strong>ZDF</strong>-Angebote in der digitalen WeltI 21


Dem wird von Kabelnetzbetreibern entgegengehalten,sie erbrächten für die Fernsehsender eineDienstleistung, nämlich den Transport des Fernsehsignalszum Fernsehzuschauer. Dass keineTransportdienstleistung der Kabelnetzbetreibervorliegt, wird durch die analoge Verbreitung der<strong>ZDF</strong>-Programme deutlich. Seit 30. April <strong>2012</strong> werdendie Programme vom <strong>ZDF</strong> nur noch digitalausgestrahlt. Die Kabelnetzbetreiber (KNB) sendensie dennoch analog weiter, wozu eine aufwändigeUmwandlung des Sendesignals erforderlichist. Das fortdauernde Angebot analogerProgramme durch die Kabelnetzbetreiber belegt,dass diese sowohl technisch als auch wirtschaftlicheine eigene Weitersendung aufgrund eigenerEntscheidung vornehmen. Wären die Kabelnetzbetreibertatsächlich nur Transporteure für das Signal,würden sie es ohne Veränderung weiterleiten.Nach Auffassung des <strong>ZDF</strong> sind daher die in derVergangenheit an die beiden großen KabelgesellschaftenKabel Deutschland GmbH (KDG) undUnity Media (einschließlich Kabel BW) gezahltenEinspeiseentgelte jedenfalls in der digitalen Weltnicht mehr sachgerecht.Die mit Privatsendern vereinbarten Geschäftsmodellesehen in der digitalen Welt perspektivischebenfalls keine Einspeiseentgelte vor. Dass dieKabelweitersendung keine Dienstleistung im Interessedes Fernsehsenders ist, sondern eine eigennützigeZweitverwertung, ist für die digitaleWelt bereits in den neuen Geschäftsmodellenzwischen Kabelunternehmen und Sendeunternehmennachvollzogen worden. So sind die HD-Programme der privaten Sendeunternehmenauch im Kabel nur gegen eine jährliche Zahlungdes Zuschauers in Höhe von 50 Euro zugänglich.Dieses Entgelt teilen sich Kabelunternehmen undSendeunternehmen. Nach Presseberichten ist dieentsprechende Zahlungsbilanz für die Sendeunternehmenbereits positiv, das heißt, sie erhaltenleicht höhere Einnahmen aus dem Zuschauerentgeltfür den Empfang von HD-Programmen, alssie Einspeiseentgelte an die Kabelunternehmenzahlen. Bei einer wirtschaftlichen Betrachtungzahlen also in Wahrheit die privaten Sendeunternehmenfür die Verbreitung ihrer HD Signale bereitskeine Einspeiseentgelte mehr.Der Wegfall von Einspeiseentgelten entsprichtdabei auch der Vertragsgestaltung in allen europäischenNachbarländern. Nach Kenntnis des<strong>ZDF</strong> zahlt in den benachbarten Ländern kein nationalesVollprogramm für die Weitersendung seinerProgramme Einspeiseentgelte. Auch IPTV-Provider wie die Deutsche Telekom, Mobilfunkbetreibersowie vielfach Kabelnetzbetreiber der sogenannten Netzebene 4 haben in der Vergangenheitkeine Einspeiseentgelte verlangt.Aus dem Must-Carry-Status folgt keine Entgeltpflicht.Kabelunternehmen versuchen Einspeiseentgelteaus der so genannten Must-Carry-Verpflichtungfür öffentlich-rechtliche Programmeabzuleiten. Allerdings ist zu beachten, dass derMust-Carry-Status nicht zugunsten der Rundfunkanstalt,sondern zur Sicherung des gesamtgesellschaftlichenAnliegens unabhängiger, ausgewogenerund pluralistischer Rundfunkangebote imInteresse des Zuschauers besteht. Die europäischenVorgaben zu Must-Carry regeln, dass einnationaler Gesetzgeber eine Entschädigung fürvon ihm geschaffene Must-Carry-Verpflichtungenvorsehen kann. Er ist jedoch dazu nicht verpflichtet.Entscheidet sich ein Gesetzgeber dafür, zuLasten der Fernsehsender einen finanziellen Ausgleichzu regeln, muss er eine solche Leistungspflichtausdrücklich anordnen und gleichzeitigden (Kalkulations-)Maßstab und die Höhe derEntschädigung festlegen. Dies ergibt sich ausParagraf 31 Abs. 2 der Universaldienstrichtlinie.Hiervon hat der deutsche Gesetzgeber aus gutemGrund keinen Gebrauch gemacht.22 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


Eine unveränderte Fortsetzung der bisherigenvertraglichen Vereinbarung über Einspeiseentgelteist daher nicht sachgerecht. Das <strong>ZDF</strong> bleibtunabhängig von diesen prozessualen Auseinandersetzungenbemüht, die gegenseitigen Geschäftsbeziehungenmit den Kabelunternehmenauf dem Verhandlungswege angemessen auszugestalten.4. Die Herausforderungen von Hybridfernsehen(Connected TV)Connected TV steht für die technologische Konvergenz,das Zusammenwachsen von Fernsehenund Internet auf der Endgeräteseite, vor allemaber für das sich weiter verändernde Nutzerverhaltendes Zuschauers, der audiovisuelle Inhaltean Orten und zu Zeiten sowie auf Endgerätenseiner Wahl konsumieren will. Unter dem SchlagwortConnected TV wird gemeinhin die Möglichkeitverstanden, auf einem Fernsehgerät nicht nurFernsehprogramme zu empfangen. Auf demselbenGerät, mit der gleichen Fernbedienung ist derZuschauer in der Lage, neben Fernsehprogrammenauch Onlineangebote zu nutzen. Dabei kannes sich um die Mediatheken der Fernsehsenderhandeln, aber auch um Onlineangebote, die keinerleiBezug zu einem Fernsehprogramm aufweisen.Geräte, die derartige Funktionalitäten aufweisen,verfügen über eine so genannte Hybridplattform,die den Wechsel zwischen Fernsehprogrammund Internet technisch ermöglicht.Die Anpassung der Regulierung an die beschriebenetechnische Konvergenz muss die Inhalte inden Mittelpunkt stellen. Hybridplattformen werdenallein durch Inhalte zum Leben erweckt. Die Regulierungvon Hybridplattformen muss den chancengleichenund diskriminierungsfreien Zugang fürdie Inhalteanbieter zum Ziel haben. Nur dort wirdnachhaltig in audiovisuellen Inhalt investiert.Neben dem Bereich von Eigenproduktionen, wieNachrichten, Magazinen, Dokumentationen undRatgebersendungen investiert allein das <strong>ZDF</strong> jährlichin fiktionale Produktionen über 500 MillionenEuro. Sendeunternehmen sind der entscheidendeMotor für die Schaffung audiovisueller Inhalte inDeutschland.Die Endgeräteindustrie nimmt mit Connected TVstärkeren Einfluss auf die Inhalte. Die in die Fernsehgeräteintegrierten Portale listen nicht nur inForm bekannter EPGs (Elektronische Programmführer)die Programme, nein, sie ordnen auchnon-lineare Inhalte in eigenen Übersichten undermöglichen über Apps einen schnelleren Zugriff,aber eben auch nur auf – möglicherweise vomEndgerätehersteller – vorausgewählte Onlineangebote.Die Plattformregulierung und namentlich der Begriffdes Plattformbetreibers bedürfen daher einerangemessenen Fortschreibung. Plattformbetreiber,die in Portalen Inhalte zusammenstellen, sindebenso meinungsbildend und damit einer Regulierungzu unterwerfen wie Plattformbetreiber, dieüber Übertragungskapazitäten bestimmen. SoweitRundfunkprogramme unter Pluralismusaspektengeschützt sind, weil sie einen Beitrag zurMeinungsvielfalt, zur demokratischen Willensbildungleisten, erscheint das Recht auf Must BeFound, also auf bloße Auffindbarkeit durch dieZuschauer nicht ausreichend. Für diese Rundfunkprogrammeist vielmehr eine bevorzugte Auffindbarkeitim Interesse der Pluralismus- undVielfaltssicherung zu fordern. Dies betrifft nicht alleinProgramme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks,sondern auch Programme privater Sendeunternehmen,soweit sie in dem beschriebenenSinne einen Beitrag leisten.Entsprechende Dialoge mit der Endgeräteindustriewerden sowohl von der EBU als auch von ARDund <strong>ZDF</strong> geführt. Abschließende Verständigungenstehen leider noch aus. Allerdings hat man sich inDeutschland im Rahmen der Diskussion in derDeutschen TV-Plattform auf wichtige GrundsätzeDie Verbreitung der <strong>ZDF</strong>-Angebote in der digitalen WeltI 23


waren die Länder Niedersachsen, Berlin, Hamburg,Schleswig-Holstein und Bremen). Diestimmberechtigten Fernsehratsmitglieder wähltendann im ersten Wahlgang den HannoveranerRechtsanwalt und Vertreter des Deutschen Sportbundes,Dr. Walter Wülfing, zum ersten Vorsitzendendes <strong>ZDF</strong>-Fernsehrats. Zu seinen Stellvertreternwurden der SPD-Vertreter Jockel Fuchs undder CDU-Vertreter Dr. Rainer Barzel bestimmt. Derim Grundgesetz festgelegten Mitwirkung der Parteienbei der politischen Willensbildung des Volkeswurde somit auch im Fernsehrat des <strong>ZDF</strong>Rechnung getragen.Ein »Ausschuss zur Beratung der Geschäftsordnung«des Fernsehrats im März 1962 schlugzwecks effizienter Tätigkeit des Fernsehrats dieEinsetzung von ständigen Ausschüssen vor, diesich entsprechend ihrer Spezialisierung im Vorfeldder Fernsehratssitzungen mit Fachfragen beschäftigtenund dann dem gesamten FernsehratEntscheidungsvorschläge vorzulegen hätten. AbApril 1962 wurden sieben unterschiedlich großeAusschüsse für die Programmgestaltung eingerichtet:Richtlinienausschuss (15 Mitglieder); Ausschussfür Haushalts- und Finanzfragen (11 Mitglieder);Ausschuss für Unterhaltungssendungen(15 Mitglieder); Ausschuss für Werbefernsehprogramme(11 Mitglieder); Ausschuss für Wissenschaft,Bildung, Erziehung (15 Mitglieder); Ausschussfür allgemeine Kultur (15 Mitglieder); Ausschussfür Dokumentation und Zeitgeschehen (21Mitglieder). In den folgenden Sitzungen beschlossder Fernsehrat auftragsgemäß am 2. April 1962die »Satzung des <strong>ZDF</strong>« und am 11. Mai 1962einen »Vorläufigen Haushaltsplan«. Außerdemwirkte er im Frühjahr 1962 bei der Suche nachgeeignetem Personal für die Direktorenposten mitund äußerte sich regelmäßig zu verschiedenstenFragen der Programmgestaltung (beispielsweisezum Programmschema, dem Aufbau der HauptabteilungTagesgeschehen inklusive der Sendezeitder zukünftigen Nachrichtensendung etc.).Auch an organisatorischen Entscheidungen wieder Einrichtung der Auslands- und der Landesstudioswar der Fernsehrat beteiligt (zum BeispielZustimmung des Fernsehrats vom 11. Mai 1962zur Errichtung der <strong>ZDF</strong>-Studios in Bonn und Berlin).Neben dem Fernsehrat gab es mit dem Verwaltungsratnoch ein zweites <strong>ZDF</strong>-Kontrollorgan. DerVerwaltungsrat des <strong>ZDF</strong> war kleiner als der Fernsehrat,er bestand nur aus neun Mitgliedern (dreiVertreter der Bundesländer, fünf vom Fernsehratzu wählende Vertreter und ein Vertreter der Bundesregierung).Der Verwaltungsrat überwachthauptsächlich die Tätigkeit des Intendanten inHaushaltsfragen und kann über seine Beschlussfunktiondes Haushaltsplans, der dann aber nochvom Fernsehrat genehmigt werden muss, sehrstark in die Entwicklung des <strong>ZDF</strong> eingreifen. Zueiner seiner ersten Amtshandlungen nach seinerKonstituierung am 27. Februar 1962 gehörte derErlass einer »Vorläufigen Finanzordnung des <strong>ZDF</strong>«am 9. März 1962. Wie schon der Fernsehrat, bildeteder Verwaltungsrat Fachausschüsse. 1962besaß er drei Ausschüsse: Haushaltskommission(Finanzausschuss), Bauausschuss und Arbeitsausschusszur Vorbereitung der Verwaltungsratssitzungen.Mit der Wahl des rheinland-pfälzischenMinisterpräsident Peter Altmeier zum Vorsitzendendes Verwaltungsrats wurde eine ungeschriebene»Telesibirsk« in Eschborn, 1961von der FFG übernommen undab 1962 zur Vorbereitung desSendestarts im April 1963 genutzt1962 – das ereignisreiche, aber »unsichtbare« erste Jahr des <strong>ZDF</strong>I 27


»Heck-Meck«, die Süddeutsche Zeitung sprachvon einem »Mainzer Intendanten-Quiz«. Angesichtsdieser vertrackten Situation musste derFernsehratsvorsitzende die Wahl des Intendantenauf den nächsten Sitzungstermin verschieben undein neues Wahlvorbereitungsgremium einberufen.Dem neuen, nur noch aus sechs Personen bestehendenAusschuss gehörten nun neben denFernsehratsmitgliedern Walter Wülfing, RainerBarzel und Jockel Fuchs auch die VerwaltungsratsmitgliederPeter Altmeier, Heinrich Landahlund Wolfgang Haußmann an.Der Ausschuss einigte sich in seiner Sitzung am9. März 1962 auf vier Vorschläge: Hans Bausch(SDR-Intendant), Berthold Martin (Vorsitzenderdes Bundestagsausschusses für Kulturpolitik undPublizistik), Karl Holzamer (Professor für Philosophie,Pädagogik und Psychologie an der Johannes-Gutenberg-UniversitätMainz) und WilhelmVaillant (Mitinhaber der RIVA Produktions- undAtelierbetriebe München). Die SPD-Gruppe imFernsehrat signalisierte der CDU ihr grundsätzlichesEinverständnis mit allen Kandidaten. DieUnionsgruppe im Fernsehrat lehnte Bausch undVaillant aus unterschiedlichen Gründen ab. EineAbstimmung innerhalb der Gruppe ergab eineMehrheit für den katholischen CDU-Mann undehemaligen Hörfunkreporter Holzamer. Der Wegwar frei für die erfolgreiche Intendantenwahl am12. März 1962. Der Fernsehrat des <strong>ZDF</strong> wählte andiesem Tag im Großen Saal der Staatskanzlei vonRheinland-Pfalz in Mainz mit 44 Ja-Stimmen von58 abgegeben Stimmen (bei neun Gegenstimmen,vier Enthaltungen und einer ungültigen Stimme)den Mainzer Philosophieprofessor Karl Holzamerzum ersten Intendanten des <strong>ZDF</strong>. Mit derWahl wurde das <strong>ZDF</strong> geschäftsfähig und begannnun auch personell zu existieren. Die bisher alleadministrativen Aufgaben für das <strong>ZDF</strong> erledigende»Geschäftsstelle der Fernsehkommission derMinisterpräsidenten« unter Ernst W. Fuhr konnteihre Arbeit beenden.Die Presse beneidete den »Herrn des zweitenFernsehkanals« am nächsten Tag in ihren Kommentarspaltennicht um seine Aufgabe. ProfessorHolzamer versprach den Zuschauern eine »Anstaltfür alle«. Das zukünftige <strong>ZDF</strong>-Programm, soführte Holzamer aus, müsse ein »prägendes, bildendesInstrument und eine Lebenshilfe für Menschen›von heute‹« sein, »nichts sollte verschnulzt,verquizzt oder intellektualisiert« werden. Er freuesich auf ein »schönes, aber schweres Amt«. Derursprüngliche Kompromisskandidat Karl Holzamersollte sich für das <strong>ZDF</strong> als Glücksfall erweisen.Der »Philosoph im Intendantenamt«, wie derehemalige <strong>ZDF</strong>-Intendant Markus Schächter ProfessorHolzamer einmal nannte, führte das <strong>ZDF</strong>von 1962 bis 1977 und machte aus dem Senderinnerhalb kürzester Zeit eine geachtete Fernsehanstaltmit einem beliebten und geschätzten Programm.Bis zum Frühjahr 1962 stimmten auch fast alleLänderparlamente dem <strong>ZDF</strong>-Staatsvertrag zu,und die Ratifizierungsurkunden wurden hinterlegt.Nach der Zustimmung zum Vertrag durch die LänderRheinland-Pfalz, Baden-Württemberg undNordrhein-Westfalen zum 1. Dezember 1961 tratbekanntlich der <strong>ZDF</strong>-Staatsvertrag zu diesemDatum in Kraft (siehe dazu: <strong>ZDF</strong>-<strong>Jahrbuch</strong> 2011,Seite 30–34). Aus der staatsvertraglich manifestiertenWillensbekundung der Bundesländer,einen neuen, für ganz Deutschland tätigen Fern-Peter Altmeier gratuliert Karl Holzamerzu seiner Wahl zum erstenIntendanten des <strong>ZDF</strong>1962 – das ereignisreiche, aber »unsichtbare« erste Jahr des <strong>ZDF</strong>I 29


sehsender zu schaffen, war damit nun institutionelleWirklichkeit geworden. Hessen stimmte nochim Dezember 1961 dem Vertrag zu und ratifizierteihn. Alle anderen Länder verzögerten die Vertragszustimmungund Ratifizierung aus verschiedenenpolitischen, nicht mit dem <strong>ZDF</strong> zusammenhängendenGründen. Das Berliner Parlament hattedem Vertrag zwar am 16. November 1961 zugestimmt,ratifizierte ihn aber aufgrund von ungeklärtenFinanzierungsfragen des Senders Freies Berlin(SFB) erst im Februar 1962. Ebenfalls im Februar1962 ratifizierten Bremen, Hamburg,Niedersachsen und das Saarland den Vertrag.Nur ein Land äußerte Bedenken gegen den <strong>ZDF</strong>-Staatsvertrag: der Freistaat Bayern. Der Intendantdes Bayerischen Rundfunks (BR), Christian Wallenreiter,favorisierte ein zweites Fernsehprogrammfür Bayern. Er dachte noch im Februar1962 an ein eigenes »großes Programm süddeutscherPrägung«. Außerdem fand der BR die Festlegung,dass 30 Prozent der ihm bisher zufließendenFernsehgebühren nach Mainz gehen sollten,inakzeptabel. Der BR behauptete, der <strong>ZDF</strong>-Gründungsstaatsvertragverstoße gegen die bayerischeVerfassung. Ferner könne der BR seine Aufgabennicht mehr erfüllen, wenn er 30 Prozentweniger Fernsehgebühren hätte. Auch der Verwaltungsratdes BR empfahl dem bayerischen Landtagdie Ablehnung des <strong>ZDF</strong>-Staatsvertrags, dieAbgeordneten waren sich uneinig. Der kulturpolitischeAusschuss des bayerischen Landtagesstimmte im Mai 1962 gegen eine ZustimmungBayerns zum <strong>ZDF</strong>-Vertrag, ebenso wie der Haushaltsausschusssowie der Rechts- und Verfassungsausschuss.Nach intensiver politischer Diskussionsowie der Zusage des <strong>ZDF</strong>, dass Münchenfür das <strong>ZDF</strong> ein wichtiger Produktions standortwerden würde, stimmte der bayerische Landtag indritter Lesung mit 96 Ja- und 85 Nein-Stimmen beifünf Enthaltungen mit knapper Mehrheit dem <strong>ZDF</strong>-Staatsvertrag zu. Mit der Hinterlegung der Ratifizierungsurkundeam 9. Juli 1962 trat der <strong>ZDF</strong>-Staatsvertrag unter allen Bundesländern in Kraft.Das juristische Tauziehen um das <strong>ZDF</strong> sollte aberdamit noch nicht beendet sein. Der erste Justitiardes <strong>ZDF</strong>, Dr. Ernst W. Fuhr, musste mit seinemkleinen Team bis in die 1970er Jahre noch einigejuristische »Abwehrschlachten« schlagen.Doch das »bayerische Problem« war im Frühjahr1962 nicht das Wichtigste für den frisch gekürten<strong>ZDF</strong>-Intendanten. Er musste schnellstens geeignetesPersonal für das <strong>ZDF</strong> finden, beginnend mitversierten Fachleuten für die beim Aufbau derAnstalt überaus wichtigen Direktorenposten. Derenge Zeitplan sah vor, dass der <strong>ZDF</strong>-Intendantnoch im März 1962 die Direktoren auswählen sollte,damit diese dann gemeinsam mit dem IntendantenEnde April/Anfang Mai die Leiter derwichtigsten Redaktionen bestimmen konnten.Doch über welche fachlichen und anderweitigenQualifikationen musste ein <strong>ZDF</strong>-Direktor verfügen?Neben fachlichen Erfahrungen im Bereich»Sehfunk« – wie es seinerzeit noch hieß – und allgemeinerFührungskompetenz musste ein zukünftiger<strong>ZDF</strong>-Direktor auch ins damalige »Proporz-Tableau«passen. Entsprechend der Absprachender Parteien untereinander vor der Wahl vonKarl Holzamer zum Intendanten sollte beispielsweisesowohl der Programmdirektor als auch derstellvertretende Intendant ein SPD-Kandidat sein.Auch die anderen Parteien hatten Direktorenpostenfür eigene Parteifreunde reklamiert. Diskussionsloswurde durch den Fernseh- und den Verwaltungsratdie strukturelle Dreiteilung des <strong>ZDF</strong> in»Verwaltung – Programm – Technik« gebilligt. ImGegensatz zur Struktur der meisten Landesrundfunkanstaltender ARD und obwohl das <strong>ZDF</strong> »nur«ein Fernsehsender werden sollte, wurde die Aufteilungdes Programmbereichs in zwei gleichrangigeDirektionen (Programmdirektion und Chefredaktion)von den Gremien akzeptiert. Trotz derBedeutung der Funktionen fand Professor Holzamersehr schnell ihm geeignet erscheinendeMänner für die Spitzenfunktionen des <strong>ZDF</strong>. Schonam 28. März 1962 stimmte der Verwaltungsrat des30 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


<strong>ZDF</strong> den Personalvorschlägen Holzamers für dieFunktionen des Programmdirektors, des Chefredakteursund Verwaltungsdirektors zu.Wen hatte Professor Holzamer für diese Spitzenfunktionenvorgeschlagen? Programmdirektorwurde der 39 Jahre alte Korrespondent und Kommentatordes Bonner Büros des Südwestfunks(SWF) Ulrich Grahlmann, der vor seiner SWF-Tätigkeitals freier Journalist für Tageszeitungen undFachorgane sowie als persönlicher Mitarbeitereines Bundestagsabgeordneten gearbeitet hatte.Chefredakteur wurde der 43-jährige Wolf Dietrich.Dieser hatte nach seinem Studium der Zeitungswissenschaften,Geschichte und Soziologie seineKarriere als Reporter und Kommentator beimRIAS in Berlin begonnen. Er avancierte zum RIAS-Chefreporter und Leiter der »Aktuellen Sendungen«;von 1952 bis 1962 war er Leiter des BonnerBüros des Süddeutschen Rundfunks (SDR). Außerdemstand Dietrich seit 1961 als Vorsitzenderder Bundespressekonferenz vor. Der rheinlandpfälzischeMinisterpräsident und <strong>ZDF</strong>-VerwaltungsratsvorsitzendePeter Altmeier freute sichdaher, dass mit diesen beiden zwei »alte Rundfunk-und Fernsehhasen« für das <strong>ZDF</strong> gewonnenwerden konnten. Verwaltungsdirektor sollte der38-jährige Jurist Kurt Rebmann werden. Rebmannhatte nach seinem Jurastudium promoviert undbei verschiedenen baden-württembergischen Gerichtengearbeitet, bevor er 1956 in die LandesvertretungBaden-Württembergs nach Bonn gewechseltwar. Seit 1959 leitete Rebmann die AbteilungÖffentliches Recht im Justizministerium Baden-Württembergs. Obwohl die Ernennung der dreiDirektoren »im Einvernehmen« mit dem <strong>ZDF</strong>-Verwaltungsraterfolgte, verzögerte sich die Bestätigungder Direktorenverträge durch dieses Gremium.Es gab »einige Uneinigkeiten« zwischen demVerwaltungsrat und den drei zukünftigen Direktoren,sowohl bei den Gehaltsvorstellungen alsauch bei einzelnen Vertragsmodalitäten, wie diedamalige Fachpresse berichtete. Als Anfang Mai1962 der baden-württembergische MinisterpräsidentKiesinger Rebmann bat, wieder nach Stuttgartins Justizministerium zu kommen, beendetedieser nach fünfwöchiger, vertragsloser Zeit am9. Mai 1962 seine Tätigkeit als Verwaltungsdirektor.Die Presse gab der »Verzögerungstaktik« desVerwaltungsratsvorsitzenden und rheinland-pfälzischenMinisterpräsidenten Altmeier die Schuld andiesem ersten kleinen Personalskandal des <strong>ZDF</strong>.Für Rebmann war sein (Rück-)Schritt nach Stuttgartnicht von Nachteil. Nach der Ermordung vonSiegfried Buback 1977 wurde er dessen Nachfolgerals Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof.Erst am 1. Juli 1962 konnte das <strong>ZDF</strong> mitder Berufung des 53-jährigen Juristen und bisherigenHauptgeschäftsführers der Vereinigung MittelrheinischerUnternehmerverbände, Franz Huch,den Posten des Verwaltungsdirektors besetzen.Mit Wirkung vom 1. Mai 1962 war aufgrund seinerErfahrungen im Bereich Planung und Ausführungfernsehtechnischer Projekte sowie seines Organisationstalentsder 46-jährige Rudolf Kaiser, bisdahin Oberingenieur im Bereich Fernsehen derTechnischen Direktion des WDR, zum TechnischenDirektor ernannt worden. Seine wichtigsteAufgabe sollte die Ertüchtigung der provisorischenSendestelle in Eschborn und später derfernsehtechnische Aufbau der Sendeanlagen»Unter den Eichen« in Wiesbaden werden. Mit derErnennung Kaisers war die Geschäftsleitung des<strong>ZDF</strong> offiziell vollständig. Allerdings fehlte nocheine wichtige Personalie für das Funktioniereneiner Rundfunkanstalt: die des Justitiars. AufEmpfehlung des FDP-Politikers Wolfgang Haußmann(die FDP besaß nach interner Abstimmungim Verwaltungsrat ein Vorschlagsrecht für denJustitiarsposten) hatte Professor Holzamer imJuni 1962 einem 35-jährigen Bonner Rechtsanwalt,der auch Mitglied des Fernsehrates war, angeboten,Justitiar des <strong>ZDF</strong> zu werden. DieserRechtsanwalt und FDP-Jungpolitiker lehnte nacheiniger Bedenkzeit Mitte Juli das <strong>ZDF</strong>-Angebot ab,da inzwischen die angedachte »herausgehobene1962 – das ereignisreiche, aber »unsichtbare« erste Jahr des <strong>ZDF</strong>I 31


Position« des Justitiars in die »auf mittlerer Ebeneliegende Stelle des Leiters der Rechtsabteilung«geändert worden war und auch die Vertreterfunktionfür das <strong>ZDF</strong> bei nationalen und internationalenOrganisationen nicht dem Justitiar zugeordnetwerden sollte. Das »Pech« des <strong>ZDF</strong> wurde zumGlücksfall für die Bundesrepublik Deutschland,denn dieser Rechtsanwalt, der später gern gelbePullover trug, war Hans-Dietrich Genscher undsollte als Außenminister große Anerkennung erlangen.Mit der Absage Genschers begann dieSuche nach einem Justitiar von Neuem. Auch dernächste Kandidat, der bisherige Leiter der Geschäftsstelleder Fernsehkommission der Ministerpräsidenten,Oberregierungsrat Ernst W. Fuhr,lehnte im Herbst 1962 aus den gleichen Gründenwie Genscher das Justitiarsamt ab und blieb als»Hauptabteilungsleiter zur besonderen Verwendung(z.b.V.)« bei der <strong>ZDF</strong>-Intendanz. Erst nachstrukturellen und funktionalen Zugeständnissennahm Fuhr zum 1. März 1964 die Stelle als Justitiardes <strong>ZDF</strong> an.Gerhard Prager, Rudolf Radke, Hajo Schedlich,Karl Senne, Rüdiger Freiherr von Wechmar, HansHerbert Westermann, Rudolf Woller oder der <strong>2012</strong>verstorbene Sportjournalist Harry Valérien – umnur einige wenige mit Einstellungsdatum 1962 zunennen. 1Im Mai 1962 fällte der <strong>ZDF</strong>-Intendant nach einemGespräch mit einem jungen Wissenschaftsredakteurdes Saarländischen Rundfunks (SR) einePersonalentscheidung, die für das <strong>ZDF</strong> noch einebesondere Bedeutung erlangen sollte. Dieser28-jährige Redakteur war Holzamer schon alsStudent in Mainz aufgefallen, und nachdem seinMainzer Universitätskollege Professor WisserSiegerinnen des ersten <strong>ZDF</strong>-Ansagerinnen-WettbewerbsDer erste Mitarbeiter des <strong>ZDF</strong> war natürlich ProfessorHolzamer als <strong>ZDF</strong>-Intendant. Aber eigentlichgab es sogar eine Einstellung vorher, dennder Fahrer des zukünftigen Intendanten, SepplMay, hatte seinen »<strong>ZDF</strong>-Arbeitsvertrag« noch vorHolzamer unterschrieben. Nach der Wahl derDirektoren kam der personelle Aufbau des <strong>ZDF</strong> imFrühsommer 1962 richtig in Fahrt. Ab Mitte Maiwurden nach und nach alle wichtigen Redaktionsstellenund Verwaltungsposten besetzt. Das Personaldes <strong>ZDF</strong> wuchs von 184 Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern Ende Juni 1962 auf 371 EndeAugust. Nach einer regelrechten Einstellungswellezum 1. Oktober und weiteren Einstellungen arbeitetenzum Jahresende 1962 schon 1026 Personenbeim <strong>ZDF</strong>. Zur »Gründergeneration« des <strong>ZDF</strong> gehörtenspäter bekannte Fernsehgesichter wie (inalphabetischer Reihenfolge) Wolfgang Brobeil,Gerhard Dambmann, Volker von Hagen, KlausHarpprecht, Sven Hasselblatt, Werner Kaltefleiter,Holzamer empfohlen hatte, sich einen Assistentenzu suchen, der »nicht von einflussreichen Kräftender Politik« 2 entsandt wurde, warb Professor Holzamerden Redakteur Dieter Stolte vom SaarländischenRundfunk ab. Der spätere, sehr erfolgreiche<strong>ZDF</strong>-Intendant Dieter Stolte war somit vonAnfang an engstens mit dem <strong>ZDF</strong> und dessenAufbau verbunden.1 Eigentlich gehören alle Einstellungen der Jahre 1962 und1963 genannt, denn ohne den Enthusiasmus der »Gründergeneration«wäre der schnelle Aufbau und der Programmerfolgdes <strong>ZDF</strong> nicht möglich gewesen2 Stolte, Dieter: Mein Leben mit dem <strong>ZDF</strong>. Geschichte und Geschichten.Mit einem Vorwort von Bernhard Vogel, Berlin: NicolaischeVerlagsbuchhandlung <strong>2012</strong>, S.1932 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


Der schnelle personelle Aufbau brachte für AndereProbleme mit sich. So schimpfte der ARD-VorsitzendeBausch über das aus seiner Sicht »MainzerLaien-Gremium«, denn nicht wenige ARD-Mitarbeiterließen sich zum <strong>ZDF</strong> locken (teils mithöheren Gehältern, teils mit interessanteren Aufgaben).Im Dezember 1962 beschwerte sichBausch im Namen der ARD, dass bisher schon350 ARD-Mitarbeiter zum <strong>ZDF</strong> gewechselt seien,ein Ende nicht absehbar sei und dies für einigeARD-Anstalten sendegefährdend werden könnte.Berühmt wurde der so genannte »Geist vonEschborn«, das heißt, die Arbeitseinstellung derersten <strong>ZDF</strong>-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter,denn diese mussten sehr anpassungsfähig mitden örtlichen Widrigkeiten umgehen. Und damitwaren nicht nur die räumlichen Probleme gemeint.Selbst der Intendant verfügte bis zum Bezug einesBürohausneubaus der Allianz-Versicherung am4. April 1962, in dem das <strong>ZDF</strong> mehrere Etagenangemietet hatte, über kein eigenes Büro, sondernsaß in einer Dachstube in der MainzerStaatskanzlei. Doch das Entscheidende war Flexibilitätbei den auszuübenden Tätigkeiten. Im Gegensatzzu heute hatten sich die Mitarbeiter 1962laut <strong>ZDF</strong>-Geschäftsordnung »nicht nur auf dasihnen zugewiesenen Aufgabengebiet (zu) beschränken,sondern freiwillig dort einzuspringen,wo es jeweils notwendig ist.«Das Hauptziel aller Bemühungen der <strong>ZDF</strong>-Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter war ein zügiger Sendestart.Die Ministerpräsidenten hatten Ende 1961für das <strong>ZDF</strong> – nach anfänglichen Überlegungeneines Sendebeginns sogar zum 1. Januar 1962,die aber schnell verworfen wurden – einen Sendestartzum 1. Juli 1962 gefordert. Doch schonEnde März 1962 teilte Professor Holzamer dem<strong>ZDF</strong>-Verwaltungsrat mit, dass das <strong>ZDF</strong> bei einemSendestart im Juli 1962 eigene Beiträge nur ingeringem Umfang ausstrahlen könne (ungefährzwei Stunden). Grundlage dieses Programmssollte eingekauftes Programm der ARD-Anstaltenund Programm der abgewickelten Freien FernsehenGmbH sein, welches das <strong>ZDF</strong> aber noch aufseine Verwendungsfähigkeit prüfen müsse. Eigene<strong>ZDF</strong>-Beiträge würden im Laufe der Zeit inwachsendem Maße hinzukommen. Mitte Maimusste dann das <strong>ZDF</strong> bekennen, dass es wegender kurzen Anlaufzeit nicht möglich sei, ab dem1. Juli auf Sendung zu gehen. Der Fernsehratstimmte der Bitte des Intendanten zu, den Sendebeginnauf den 1. April 1963 zu verschieben. DieARD-Rundfunkanstalten mussten weiterhin ihrschon seit Juli 1961 ausgestrahltes provisorischeszweites Fernsehprogramm betreiben (später auchals »ARD 2« bezeichnet). Das <strong>ZDF</strong> bleibt im Jahr1962 für die Zuschauer unsichtbar.Aber die <strong>ZDF</strong>-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterwaren nicht untätig. »Wir brauchen Pioniere«,hatte Professor Holzamer bei seiner ersten Pressekonferenzauf die Frage nach den zukünftigenMitarbeitern gesagt. Und die »Gründungspioniere«des <strong>ZDF</strong> erarbeiteten sich trotz widriger Arbeitsbedingungenim ehemaligen FFG-Sendekomplexin Eschborn bei Frankfurt a.M. das notwendigeFernseh-Know-how. Auch die für dasFernsehen erforderliche Logistik wurde aufgebaut.Aus heutiger Sicht mutet es seltsam an,wenn Filmbüchsen mit Nachrichtenmaterial vonFlugzeugen aus an Fallschirmen über Eschbornabgeworfen wurden, aber es gab bekanntlich damalsnoch keine Fernsehsatellitentechnik. Überhauptwar das so genannte Sendezentrum inEschborn alles andere als »fernsehtauglich«. BeiRegen versank alles in Schlamm, die Studioswaren provisorisch in einem ehemaligen Bauernhofgebäudeuntergebracht, das Fernseh- und dasMusikarchiv »logierten« in einem früheren Kuh- beziehungsweiseZiegenstall, Redaktionen saßen inzugigen Holzbaracken, und die Fernsprechanlagenin Mainz beziehungsweise Eschborn reichtennicht aus, um den ganzen Telefonverkehr zu bewältigen,sodass der Intendant im Herbst 1962alle um Nachsicht bitten musste.1962 – das ereignisreiche, aber »unsichtbare« erste Jahr des <strong>ZDF</strong>I 33


Karl Holzamer und Ernst W. Fuhrberaten über den Ankauf desFFG-ProgrammvermögensSeit Herbst 1962 wurde bereits »richtig Fernsehengemacht«, die Nachrichtenredaktion beispielsweiseproduzierte erste Beiträge, später ganze Nachrichtensendungen,die aber nie ausgestrahlt wurden.Schon am 25. und 26. August 1962 hatte inSandweiher bei Baden-Baden das <strong>ZDF</strong> als ersteUnterhaltungssendung ein kleines Konzert desamerikanischen Gesangsquartetts »The King Sisters«,begleitet vom Pianisten Horst Jankowski,aufgenommen. Am 4. Oktober 1962 zeichnetedas <strong>ZDF</strong> die UNICEF-Gala »Musik der Welt« mitden Weltstars Marlene Dietrich und Jacques Brel,dem Orchester Max Greger und den BambergerSymphonikern in Düsseldorf auf (im <strong>ZDF</strong> ausgestrahltam 2. Juni 1963). Die Sendearchive fülltensich nach und nach mit sendefähigem Material.Das <strong>ZDF</strong> war (fast) bereit zu starten, es brauchtenur noch wenige Monate Vorbereitungszeit.Viele Geschichten gäbe es noch zu berichten:über den Streit der Nachrichtenredakteure umRudolf Radke, die im Biergarten einer NiederhochstädterGaststätte stritten, ob der Titel »heute«für eine Nachrichtensendung geeignet sei, oderdie beginnende Diskussion, wo denn das <strong>ZDF</strong> inder Stadt Mainz sein endgültiges Sendezentrumbauen solle, und die Versuche der Stadt Wiesbaden,den <strong>ZDF</strong>-Studiokomplex in der hessischenLandeshauptstadt zu behalten, oder von Opel-Blitz-Bussen des <strong>ZDF</strong>, die <strong>ZDF</strong>-Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter zwischen Mainz und Eschbornhin- und herfuhren beziehungsweise von einerBMW-Isetta mit <strong>ZDF</strong>-Aufdruck, die Post- und Kurierfahrtendurch Mainz durchführte, oder derSuche nach fernsehtauglichen Moderatorinnenund Moderatoren für das zukünftige Programm,die sich schwieriger erwies als gedacht, da das»rote Licht« auf der Kamera viele nervös werdenließ.Es war ein »abenteuerlicher Anfang aus demNichts«, wie es das erste <strong>ZDF</strong>-<strong>Jahrbuch</strong> für dieJahre 1962/1964 nannte, gekennzeichnet vondem Willen aller – ob Politiker, <strong>ZDF</strong>-Intendant,<strong>ZDF</strong>-Direktoren oder einfachem Mitarbeiter –, dasvorgegebene Ziel zu erreichen und den Zuschauernab dem Jahr 1963 ein bestmögliches Programmzu bieten. Bis der <strong>ZDF</strong>-Intendant ProfessorHolzamer zum Sendestart am 1. April 1963 dieBegrüßungsworte »Ohne eine feierliche Eröffnung,vielmehr mitten aus dem Alltag der Arbeit, begrüßeich Sie als die Zuschauer ...« sprechen konnte,war viel Arbeit im Jahr 1962 notwendig gewesen.Diese sehr unterschiedlichen Bemühungen hatteder Zuschauer nicht auf seinem Fernsehschirmsehen können, sie waren aber für die Existenz des<strong>ZDF</strong> von großer Bedeutung und bildeten denGrundstein für die heute geachtete Stellung des»Zweiten« in der deutschen und internationalenMedienlandschaft.34 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


Die Euro-Krise


Der Euro – unser SchicksalWie das <strong>ZDF</strong> über die Euro-Krise berichtetMichael OpoczynskiLeiter der HauptredaktionWirtschaft, Recht, Sozialesund UmweltDer Euro konnte im Jahr <strong>2012</strong> seinen zehntenGeburtstag feiern. Ein richtiges Geburtstagsfestmit Glückwünschen von Eltern und Verwandtenwurde es nicht. Aber auch das Endeder Gemeinschaftswährung – wie manchevorhergesagt hatten – wurde nicht beschlossen.Der Euro lebt. Mit ihm verbindet sichEuropas Schicksal.Im Sommer <strong>2012</strong> wird er abgebaut. Der Euro. Dasmeterhohe Euro-Emblem direkt vor dem Terminalam Flughafen Frankfurt muss weg. Jahrelangkonnten ihn alle sehen, die aus dem Ausland einflogen:Der Euro, in Frankfurt zuhause. Jetzt ist erweg – und das hat nach zehn Jahren einen erheblichenSymbolwert. Auch, wenn der Flughafensprecherabwiegelt, das Denkmal sei marode gewesen.Also, rein physisch, versteht sich.Vielleicht ist es schon vergessen, jetzt nach zehnJahren, aber er hatte keine leichte Geburt, derEuro. Mit der schwierigen Schwangerschaft undden Geburtswehen von damals erklären die Kritikerdie Probleme von heute.Gibt es einen Zusammenhang? Zwischen demFall der Mauer und der Abschaffung der DeutschenMark? Kann man sagen, dass damals diestarke deutsche Währung geopfert wurde, um dieZustimmung der europäischen Staatschefs zurWiedervereinigung zu bekommen? Es heißt: »Mitterrandwollte damals das gemeinsame Geld undwehrte sich nicht gegen die deutsche Einheit«(Kurt Kister); bei Kohl sei es umgekehrt gewesen.Beim Gipfel von Maastricht 1991 wird beschlossen,dass acht Jahre später eine gemeinsameWährung Wirklichkeit werden soll. Es gibt keinepolitische Union, keine gemeinsame Finanz- oderSozialpolitik, kein gemeinsames Wirtschaften.Aber es soll ab dem 1. Januar 1999 diese Währungnamens Euro, dann ab 1. Januar 2002 dasgemeinsame Geld mit Euro und Cent, geben.Viele haben damals gewarnt – in der Partei HelmutKohls, in der CSU, auch in der SPD. Der SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping sieht 1995 die Gefahr,die Deutsche Mark »für irgendeine Idee aufzugeben«.Da sieht sich der Euro-BefürworterHelmut Schmidt provoziert. Er verfasst einenflammenden Appell pro Euro und zwingt die SPDzu einem Parteitagsbeschluss zugunsten der europäischenWährung. Auch in CDU und CSU gibtes Widerstand. Peter Gauweiler spricht vom »Esperanto-Geld«.Er wird ruhiggestellt mit dem Beschluss,dass kein Land in der Währungsunionsich über drei Prozent hinaus neu verschuldendürfe. Von Theo Waigel kommt die Bekräftigung:»Drei Komma null heißt drei Komma null!«. Schonim Jahr 2002 werden viele Länder die Hürde reißen.Auch Frankreich und Deutschland verstoßengegen diese Regel. Niemand wird sie dafür zurRechenschaft ziehen. Damals, sagen Kritiker, beganndie Zügellosigkeit, die in die Euro-Schuldenkriseführte. Doch zunächst startet der Euro 2002in seine Ära als Bargeld. Der Tausch Mark gegenEuro gelingt reibungslos. Es gibt eine kurzeSchwächephase im Verhältnis zum Dollar. Dannhebt der Euro ab und gewinnt an Außenwert.Seine Geburtshelfer hoffen auf eine glänzendeZukunft.Zehn Jahre später. An einem sommerlichenSamstag werde ich auf dem Mainzer Wochenmarktangesprochen: »Sie müssen es doch wissen!Also frage ich Sie: Soll ich mein Geld in dieSchweiz bringen?«. Eine Frage wie ein Überfall.Das also bewegt die Menschen. Nein, Sie müssen36 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


Ihr Geld nicht in die Schweiz bringen. Klare Antwort.Aber bin ich vorschnell? Was, wenn die Eurozonezerbricht? Dann werde ich mit meinerselbstsicheren Antwort zur Verantwortung gezogen.Zehn Jahre später gerät die Berichterstattung des<strong>ZDF</strong> über den Euro in den Krisenmodus. Die Titelder Sendungen sprechen für sich: »Ist unser Geldnoch sicher?«, fragt Peter Hahne in seiner Sendung»Was passiert mit dem Euro?«. »Schicksalsjahreeiner Währung« (»<strong>ZDF</strong>-History«). »Zum Euroverurteilt?« (»<strong>ZDF</strong> log in«). Oder am 12. Septemberlive aus Karlsruhe, das »<strong>ZDF</strong> spezial« über dieEntscheidung des Bundesverfassungsgerichtszum Euro-Stabilitätsmechanismus. Eine Entscheidung,die den Weg zum Gesetz über den ESMöffnet, die vorübergehend Euphorie bei den Euro-Befürwortern auslöst und Erleichterung bei denmeisten politischen Parteien.Einerseits liefern wir Nachrichten, Kommentare,Erklärungen und Diskussionen in kurzen Abständen.Die Zuschauer sollen über den Ernst derLage informiert werden: Der Euro steht auf derKippe und mit ihm die Wirtschaft der Euro-Länder,letztlich die ganze Europäische Union. Andererseitsbleibt das Publikum, trotz der Berichte überdiese krisenhafte Entwicklung, ruhig, fast unbewegt.Es läuft gut in der Wirtschaft. Es gibt vielArbeit in Deutschland und weniger Arbeitslose.Die sozialen Sicherungssysteme haben nach langenJahren der Unterfinanzierung genug Geld.Die Kunden kaufen fleißig ein. Was soll sein?Krise? Doch nicht bei uns!Die Korrespondenten und Autoren des <strong>ZDF</strong> besuchendie europäischen Städte, in denen sich dieAuswirkungen der Krise abbilden. Sie zeigen dieSelbstständigen in Griechenland, denen die Aufträgewegbrechen und die ihr Personal entlassenmüssen. Sie zeigen aber auch die griechischenJachthäfen mit weißen Luxusschiffen. GriechischesGeld verlässt das krisengeschüttelte Land,manche bringen sich in Sicherheit, doch die Mehrheitder Menschen kann das nicht.Unsere Reporter gehen nach Lissabon, Madridoder Dublin. Dort werden die jungen Frauen undMänner zu Opfern der Krise. Wo die Hälfte einesjungen Jahrgangs keinen Job findet, wächst dasProtestpotenzial. Manche von ihnen denken ansAuswandern. In Deutschland kommen junge spanischeArbeitnehmer an, gut ausgebildet undhungrig auf Arbeit. Ob ihre Integration gelingt?Die Wirklichkeit schildern, das ist der Auftrag anunsere Autoren. Die Menschen zeigen, die Lageerhellen. Damit können wir Verständnis weckenund mitfühlen lassen. Denn, wenn das deutschePublikum auf den Sachverstand der Ökonomenwarten sollte, wird es enttäuscht. Selten habensich die Fachleute so gestritten wie in dieser Krise.Während Hans-Werner Sinn, der Präsident desIfo-Instituts, den Griechen den Austritt aus demEuro empfiehlt und Euro-Bonds für Teufelswerkhält, rät Professor Peter Bofinger zur Fiskalunionund tritt für Euro-Bonds ein. Während der Chef derEuropäischen Zentralbank den Euro »um jedenPreis retten« will, warnt der Präsident der DeutschenBundesbank vor genau diesem Handeln.Er befürchtet eine galoppierende Inflation – andereFachleute sehen die Gefahr überhaupt nicht.Professor Joachim Starbatty bekämpft den Euroseit seiner Geburtsstunde über Jahrzehnte hinweg,zuletzt auch als Mitkläger gegen den ESMvor dem Bundesverfassungsgericht. Andere Wissenschaftlersehen den Euro als das Mittel, das esbraucht, damit Europa gegenüber anderen Weltmächtenstandhalten kann. Wer all diese Positionenunkommentiert und ohne Einordnung zuWort kommen lässt, trägt eher zur Verwirrung alszur Vermehrung von Einsichten bei.Wer über Europa von heute, die EuropäischeUnion und die Euro-Zone reden will, muss dieDer Euro – unser SchicksalI 37


Euro-Skulptur vor der Zentrale derEuropäischen Zentralbank inFrankfurt am Maineuropäische Geschichte kennen und zu den Zuschauerntransportieren. Die Serie »Weltenbrand«beschreibt, wie mörderisch die europäischenVölker im 20. Jahrhundert miteinander umgingen.Wie sie sich bekämpften im so genannten zweitenDreißigjährigen Krieg, der – wie die Historikersagen – von 1914 bis 1945 dauerte.Die europäische Einigung ist eine Folge der Erkenntnis,dass eine solche Epoche sich in Europanicht wiederholen darf. Es geht um Menschlichkeit,Nachbarschaft, Verständnis. Also müssen wirgegenhalten, wenn andere so leichthin daherredenund Fakten verdrehen, um Nationalismuszu schüren. Manche erwecken den Eindruck,Deutschland allein werde in Euro-Land »zur Kassegebeten«. Sie sehen darüber hinweg, dass auchFrankreich oder Italien mit mehr als 100 MilliardenEuro beim Rettungsschirm engagiert sind undauch die anderen Länder mit einem ihrer ökonomischenStärke angepassten Beitrag. Alle gemeinsamhaben ein vitales Interesse am Zusammenhaltund am Erfolg Europas.Und wenn in anderen Ländern von manchen Publizistenund solchen, die sich dafür halten, dasBild von der Wiederkehr des »deutschen Wesens«gezeichnet wird, das sich wieder einmal breit machenwill, so gilt es an dieser Stelle gegenzuhalten.Manche, denen der deutsche Erfolg unheimlichist, wollen ihn jetzt schlechtreden. Andere, dieEuropa noch nie mochten, sehen ihre Chance.Aber auch die, für die der Begriff Europa weiterhinpositiv besetzt ist, melden sich im Herbst <strong>2012</strong>zu Wort. Sie bekennen Farbe. Der ehemaligeBundeskanzler und ZEIT-Herausgeber HelmutSchmidt ist dabei, auch Ex-BundespräsidentRoman Herzog, die Topmanager Dieter Zetscheund René Obermann, der Fußballstar PhilippLahm. Sie alle sagen: »Ich will Europa!«. Es wirdZeit, dass Prominente sich bekennen, bevor dieEuropagegner Gehör finden. Helmut Schmidtsagt: »Welche Lehren man immer aus der Geschichteder letzten Jahrhunderte ziehen will:Jedenfalls dürfen wir Deutsche nie und nimmerUrsache werden für Stillstand, für Verfall – odergar für Zerfall des großen Projekts der EuropäischenUnion«.Zu diesem Projekt gehört der Euro, die gemeinsameWährung. Er ist unser Schicksal. Vor demGebäude der EZB am Willy-Brandt-Platz in Frankfurtsteht noch ein Euro-Emblem, das gleiche wieam Frankfurter Flughafen, nur größer. Ein 15 Meterhohes Denkmal, ein beliebtes Motiv für Fotografen.Geschaffen vom selben Künstler, der dasMonument am Flughafen aufstellen ließ. Im Jahr2014 will die Europäische Zentralbank in ihrenNeubau am Mainufer umziehen. Das steht fest.Ob der Euro mitkommt? Natürlich sollte er. Abersicher ist es nicht.38 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


Zwischen Luxusjacht und EurobondsDie Krise in Griechenland und ItalienGriechenland und kein Ende. Längst hat dieKrise das südliche Euro-Land fest im Griff,genauso wie Italien. Während sich die Fachleuteüber Eurobonds und Fiskalunion dieKöpfe heiß reden, erkundet Antje Pieper, alsKorrespondentin zuständig für die BerichtsgebieteRom und Athen, die Stimmung in denbetroffenen Ländern und hilft, Unverständnisund Vorurteile abzubauen – eine wichtigeAufgabe in der derzeit äußerst aufgeheiztenSituation.Man kann schon fast die Uhr danach stellen:Wenn Generalstreik in Griechenland ist, eskalierenstets gegen 14 Uhr Ortszeit zunächst friedlicheDemonstrationen. Eine Handvoll Randalierer liefertsich Straßenschlachten mit der Polizei. Für dieKorrespondenten heißt das oft: kein Durchkommenmehr über den Syntagmaplatz, Tränengasüberall. Doch meist ist das Ganze spätestensnach zwei, drei Stunden wieder vorbei. Schon einpaar Querstraßen weiter bekommt man kaumetwas mit von den Auseinandersetzungen. Trotzdemerhalte ich immer wieder besorgte Anrufe:»Kann man überhaupt noch nach Griechenlandfahren?«. Ja, man kann. Das sei auch an dieserStelle noch einmal betont. Natürlich gibt es sie,die »Merkel raus!«-Plakate auf Demonstrationenund Nazifahnen, die demonstrativ verbrannt werden.Doch für diese Aktionen schämen sich vieleGriechen. Von einer generellen Deutschland-Feindlichkeit jedenfalls wird kein Tourist etwasspüren. Im Gegenteil: Die Griechen waren undsind überaus gastfreundlich.Zwar wird manchmal wütend ins <strong>ZDF</strong>-Mikro geschimpft– doch eher über die allgemeine Situation.Die meisten Griechen wissen sehr wohl, dassihre eigenen Politiker jahrelang Misswirtschaft betriebenhaben. Nur, dass der eingeschlageneSparkurs das Land aus der Krise bringt, dieseHoffnung haben inzwischen viele nach fünf JahrenRezession verloren. Über 90 Prozent der Menschenhalten die Sparmaßnahmen für ungerecht,ein Licht am Ende des Tunnels ist nicht zu sehen.Aus dem Ausland wird kaum investiert, Griechenselbst bekommen so gut wie keinen Kredit vonder Bank.»Was machen die denn eigentlich mit unserenMilliarden, wo versickern die denn?«, so fragenmich viele Deutsche. »Von den Milliarden sehenwir doch gar nichts – das geht doch nur für dieRückzahlung der Schulden drauf«, antworten dieGriechen. »Bisher habt ihr doch nur Kredite gegeben!«.Und so reagieren die Griechen auch äußerstempfindlich, wenn deutsche Touristen fragen,ob sie überhaupt noch für das Bier oder dasSouvenir zahlen müssten, sie hätten Griechenlanddoch schon genug Geld gegeben.Unverständnis abbauen – eine wichtige Aufgabeals Korrespondentin in einer zunehmendaufgeheizten Situation. Doch bei allem Verständnisfür die Griechen mit kleinem und mittlerenEinkommen, die extrem unter SteuererhöhungenAntje PieperLeiterin <strong>ZDF</strong>-Studio RomDemonstranten vor demParlamentsgebäude in AthenZwischen Luxusjacht und EurobondsI 39


und Lohnkürzungen leiden, kann man auch nichtdie Augen verschließen vor den Missständen:Noch immer werden Strukturreformen zu langsamumgesetzt und Steuern hinterzogen. Bürokratieund Verwaltung sind eine Dauerbaustelle. Immerhin– inzwischen bekommt man selbst für einenKaugummi eine Quittung – das gibt es in Italiennoch nicht.Zu Beginn der Griechenlandkrise sollte ich einenBericht machen zum Thema: Wie steht es umItaliens Wirtschaft? Drohen griechische Verhältnisse?Ich weiß noch, wie beleidigend die Italienerallein die Frage empfunden haben. Das könneman doch überhaupt nicht vergleichen! Inzwischenstarren auch die Italiener jeden Tag auf den»spread«: Die Bezeichnung für den Risikoaufschlagfür italienische Anleihen im Vergleich zudeutschen ist zum festen Vokabular geworden,Bestandteil jeder Nachrichtensendung. Der»spread« hat es sogar geschafft, den scheinbarunverwüstlichen Silvio Berlusconi aus dem Amt zufegen.Doch ist durch den Wechsel zu Mario Monti wirklichalles gerettet? Vieles hat er geändert, angefangenbeim Regierungsstil: Er verzichtet auf seinGehalt, die Anzahl der berühmt-berüchtigten»macchine blu«, der Dienstwagen rund um Regierungssitzund Parlament, hat deutlich abgenommen.Stil und Humor sind eingezogen, wo andereWitze erzählten. Italien ist wieder ein ernstzunehmenderPartner in Europa. Das als abfällig empfundeneLächeln Merkels und Sarkozys bei einergemeinsamen Pressekonferenz über Berlusconiist vielen Italienern noch immer schmerzlich in Erinnerung.Doch auch hier sieht man: Steuern sindschnell erhöht, Sparmaßnahmen verabschiedet,doch Strukturreformen dauern. Und: Im Frühjahr2013 wird in Italien gewählt. Mario Monti wird imMoment nur geduldet – von der Berlusconi-ParteiPDL, der Mitte-Links-Partei PD und einem kleinerenParteienbündnis in der Mitte. Inzwischen wünschenviele, dass die Technokratenregierungbleibt. Das Misstrauen gegenüber den bisherigenPolitikern ist weiterhin groß – genährt von immerneuen Korruptionsskandalen. So feierten Regionalpolitikerin Latium mitten in der Krise dekadenteTogapartys, verprassten Parteigelder fürLuxusautos und -jachten, um nur ein Beispiel zunennen. Bei einem Zusammentreffen mit italienischenPolitikern am Tag der Deutschen Einheitfragt eine Kollegin den Vorsitzenden der Mitte-Links-Partei PD, warum – wenn die ganze Welt soglücklich ist mit Monti – der Ministerpräsidentnicht einfach bleiben könnte. Die empörteAntwort lautete: Wollt ihr uns die Wahlen verbieten?Auf meine Nachfrage, was man denn tun könne,um aus der Krise zu kommen, heißt es oft als Erstes,Deutschland müsse sich bewegen. Zu vielstehe auf dem Spiel. Wer soll denn all die deutschenAutos sonst kaufen? Auf die Rückfrage:»Und Italien?« heißt es häufig, Italien mache dochschon alles. Die Reformbaustellen wie Bürokratieund öffentliche Verwaltung lässt man da gerneunter den Tisch fallen. Und dass Gerichtsprozesseoft zehn Jahre dauern, verschreckt weiterhinso manchen ausländischen Investor – ganzabgesehen von der Korruption. Einen »spread«gibt es eben nicht nur bei den Zinsen, sondernauch bei der Diagnose der Krisenursachen.Mario Monti warnt stets vor der Gefahr, dass Europain Nord und Süd zerfallen könnte. Eine Befürchtung,die übrigens auch in Italien selbst nichtunbekannt ist. Als publik wurde, dass Abgeordnetein Sizilien 15 000 Euro im Monat verdienen, derPressestab des sizilianischen Regionalpräsidentenfast so groß ist wie der von Obama und diewaldarme Insel sich mehr Forstarbeiter leistet alsSüdtirol, war die Wut groß – vor allem im NordenItaliens. Viel Unverständnis hat sich angestaut, vielzu tun also für eine Korrespondentin in Rom undAthen.40 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


Deutschland entscheidet über die Zukunft des EuroMerkel, Brüssel und die EurokratenTransferunion gegen Stabilitätsunion – odergeht beides? Die Europäer ziehen an einemStrang, aber leider nicht immer in dieselbeRichtung. Die Bundesregierung will vor allemdie Staatshaushalte kontrollieren, Schuldenabbauen und solides Wachstum in Europa.Die Südeuropäer drängen auf gemeinschaftlicheStaatsanleihen (Eurobonds) und hättennichts gegen eine Schuldenunion. In diesemSpannungsfeld fanden die letzten EU-Gipfelstatt. Spannende Gipfelthemen für das StudioBrüssel.Die Bundeskanzlerin hat erklärt, es gebe keineBlaupause, um in der Euro-Krise zu handeln. Dasist richtig und erklärt, warum die EuropäischeUnion einige Zeit benötigt hat, um wichtige Weichenzu stellen.Im Mai 2010 wurde für Griechenland ein Hilfspaketim Umfang von 110 Milliarden Euro von EU,Internationalem Währungsfonds und aus bilateralenKrediten der Euro-Partner geschnürt. Der ersteRettungsschirm im Gesamtvolumen von 500 MilliardenEuro war ein klares Zeichen der Solidarität,wenn auch ein Zeichen, das nur mit Hilfe des InternationalenWährungsfonds zustande kam.Hintergründiges und warum Deutschland einebestimmte Position bekleidet, erfährt die Journalistenscharin Brüssel oft im kleinen Kreis beieinem Mittagessen. Hier wird in der Regel gezielteingeladen. Aber auch Hintergrundgespräche vorEU-Gipfeln sind sehr beliebt. Hier versammelnsich die in Brüssel akkreditierten Journalistenmeistens in der Deutschen Botschaft und lauscheneiner Berliner Runde in der Bundespressekonferenz.Von Regierungsseite nehmen in derRegel der Sprecher der Bundesregierung, SteffenSeibert, und der Leiter Europapolitik im Bundeskanzleramt,Nikolaus Meyer-Landrut teil. Die BrüsselerJournalisten formulieren über einen Computerihre Fragen, die der Leiter der Bundespressekonferenzverliest und von den Experten derBundesregierung beantwortet werden.Diese Runden helfen, die deutsche Position in dereinen oder anderen Frage zu verstehen. Um diegesamteuropäische Sicht der Dinge zu hören,stehen die Hintergrundkreise von KommissionspräsidentJosé Manuel Barroso und dem permanentenEU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuyhoch im Kurs.Was darüber hinaus hilft, sind Briefings der anderenNationen, aber auch Gespräche mit Journalistenaus den betroffenen Ländern. GriechischeJournalisten etwa haben mir immer wieder sehrinteressante Dinge über die griechische Mentalitätund ihre Hoffnungen zur Überwindung der Kriseverraten. Natürlich sind dies nur Einzelmeinungen.Aber aus vielen Einzelmeinungen setzt sich oft eininteressantes Bild zusammen.Woran krankt der Koloss Europa?Die EU hat sich den Euro ohne politische Union,ja, ohne ein ausreichendes demokratisches Fundamentgeleistet. Die Kanzlerin hat in letzter Zeitimmer wieder auf die Konstruktionsfehler desEuro verwiesen. Für diese Konstruktionsfehlerstehen die damaligen Staats- und Regierungschefsin der Verantwortung. Frankreich etwa wolltenach dem Mauerfall eine Vormachtstellung derDeutschen Mark verhindern, Deutschland jedenEindruck vermeiden, daran Interesse zu haben.Der Euro hat viele Segnungen, aber eben auchKonstruktionsfehler. Die Bundesregierung hat versucht,mangelnde Eingriffsmöglichkeiten in natio-Kai Niklasch<strong>ZDF</strong>-Studio BrüsselDeutschland entscheidet über die Zukunft des EuroI 41


nale Haushalte zu korrigieren. Der Stabilitätspaktist das Stichwort hierfür.Das Europäische Parlament hat in den letztenJahren immer mehr Macht bekommen. Aber dieKernkompetenzen, die ein Parlament wirklich benötigt,um sich noch mehr Respekt und Ansehenzu erarbeiten, fehlen nach wie vor: Das EU-Parlamentkann keine Regierung wählen. Es hat nichtdas Recht, Gesetze auf den Weg zu bringen(Gesetzgebungsinitiative), es darf aber am Gesetzgebungsverfahrenmitwirken. EU-Parlamentswahlen,bei denen es wirklich um Macht in Europaginge, könnten der europäischen Idee einenenormen Schub geben.Stattdessen leistet sich die EU eine Kommission,deren Bürokratie sich ausdehnt. Deren oft klugeKöpfe von den EU-Bürgerinnen und -Bürgern abernicht gewählt wurden. Das macht ohnmächtigund vergrößert die Kluft zwischen einem bürokratischenMonstrum und dem einfachen EU-Bürger.In Deutschland gibt es einen Länderfinanzausgleichzwischen Nord und Süd und Ost und West.Früher empfing Bayern Geld, heute zahlt es anandere. Das verbindet. Wer den Euro will, müsseauch Eurobonds und die Transferunion befürworten,meint etwa François Hollande, der französischeStaatspräsident. Sonst ginge der Euro unter.Die KernfrageDie Kernfrage lautet: Verbindet Deutsche jetztoder zukünftig ähnlich viel mit Franzosen wieBayern mit Norddeutschen? Wenn die Frage mit»Ja« beantwortet wird, scheinen weitere Integrationsschrittefür ein neues Europa unausweichlich.Für ihre Schulden sind die Krisenländer selbstverantwortlich. Doch es ist nicht klug, Partner wieBittsteller zu behandeln. Das haben die »Geberländer«erkannt.Deutschland profitiert von der Lohnzurückhaltungder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in denletzten zehn Jahren. Andere europäische Partnerhaben wichtige Entwicklungen verschlafen. Früherglichen Länder wie Italien und Spanien ihre Fehlerdurch die Abwertung von Lira und Peseten aus.Das geht mit dem Euro nicht mehr.Mit dem permanenten Rettungsschirm ESM sinddie Weichen für eine Transferunion gestellt. EineTransferunion auf Probe sozusagen, mit demüberschaubaren Einsatz von 700 Milliarden Euro.Doch jetzt kommen wirkliche Nagelproben für dieTransferunion. Die Staaten der Eurozone müssensich entscheiden, ob sie Eurobonds, einer Bankenunionmit gemeinschaftlicher Haftung undeiner »kreativen« Geldpolitik der EuropäischenZentralbank zustimmen wollen. All das fordert derIWF, aber auch Frankreich, Italien und Spanien,die drei größten Volkswirtschaften neben Deutschland.Die Bundesregierung will jedoch zuerst die politischeUnion und eventuell danach weitere gezielteTransfer- und Hilfsmaßnahmen. Doch benötigtsie für ihre Politik Verbündete. Der SozialistHollande, Frankreichs Regierungschef, hat sichauf den Gipfeln Ende Juni und Mitte Oktober <strong>2012</strong>mit Italien und Spanien verbündet. Deutschlandund Frankreich haben in den letzten Monatenkeine Politik aus einem Guss gemacht, wie dasnoch zu Zeiten Nicolas Sarkozys der Fall war.Wie funktioniert eigentlich unsere Arbeit aufEU-Gipfeln?Bei Gipfeln berichten wir über die Ankünfte derStaats- und Regierungschefs. Das sind dann dieersten offiziellen Aussagen, die wir nach all denHintergrundgesprächen erhalten. Sind AngelaMerkel und François Hollande einer Meinung, deckensich ihre Aussagen? Beim Gipfel Mitte Oktober<strong>2012</strong> wurden deutliche Dissonanzen erkennbar.Frankreich setzte sich für die Interessen derSüdeuropäer Spanien und Italien ein. Das wurdebereits in der Frage deutlich, wann die Bankenauf-42 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


sicht voll funktionstüchtig sein sollte. Frankreichbestand auf den 1. Januar 2013, Deutschland wardas zu früh. Die Kanzlerin argumentierte, einederart komplexe Aufgabe für die EuropäischeZentralbank könne nicht in zweieinhalb Monatenbewältigt werden. François Hollande sagte, manhabe genug geredet und wolle Nägel mit Köpfenmachen. Hintergrund war der Wunsch Spaniens,seine Banken zum 1. Januar 2013 direkt mit Kreditenaus dem permanenten Rettungsschirm,dem ESM, zu versorgen. Das hätte für Spanienden Vorteil gehabt, Bankkredite nicht auf die spanischeStaatsschuld anrechnen zu müssen. Daswiederum hätte spanische Staatsanleihen verbilligt.Frankreich machte sich zum Anwalt der spanischenInteressen, blitzte aber bei der Bundeskanzlerinab. Wir vom Studio Brüssel und alle anderenKollegen mussten in der Gipfelnacht langewarten. Dann einigten sich die Teilnehmer, dieBundeskanzlerin und die anderen Delegationengaben ihre Pressekonferenzen. Gegen vier Uhrmorgens verabschiedete sich die Kanzlerin mitden Worten »bis später« in ihre Limousine. Dennnur fünf Stunden später stand sie bereits wiedervor den Kamerateams, um den zweiten Gipfeltagmit ihrem Eingangsstatement zu eröffnen.Wir berichteten in allen Nachrichtensendungenvon der nächtlichen Einigung und konnten bereitsfür das »<strong>ZDF</strong>-Morgenmagazin« um 5.30 Uhr dieErgebnisse servieren. Da hatte die Crew bereitseinen 20-stündigen Arbeitstag hinter sich.Während wir noch am »heute-journal« bastelten,war Angela Merkel am Abend des zweiten Gipfeltagesbereits wieder Gastrednerin in Bayern beimCSU-Parteitag. Die EU muss sich entscheiden, obsie die Politik der kleinen Schritte gehen will, oderob die Kraft zu einem großen Wurf, zu einer neuenEuropäischen Union, reicht.Im Moment hat die Politik der kleinen Schritteetwas zur Beruhigung der Märkte beigetragen. Sofalsch können die Maßnahmen also nicht gewesensein. Damit wurde erst einmal Zeit gewonnen.Doch schon bald könnten grundlegende Entscheidungenanstehen, über die wir weiterhin ausdem Studio Brüssel berichten werden.Deutschland entscheidet über die Zukunft des EuroI 43


Das Sportjahr <strong>2012</strong>


Der Sommer auf UsedomMehr als »nur« die Fußball-EM <strong>2012</strong>Christoph HammStellvertretender Leiterder Hauptredaktion Sport/Programmchef der Fußball-EMAm Anfang standen wir auf Sand – am Endewurden mehr als 80 Stunden <strong>ZDF</strong>-Programmin den verschiedensten Formaten von derOstseeinsel Usedom gesendet. Aus einerIdee wurde ein Mammutprojekt mit besonderenHerausforderungen, und mittendrin: dasFußballereignis des Jahres, die »UEFA-Fußball-EM<strong>2012</strong>«.Im Gegensatz zur Fußball-WM 2010 in Südafrika,als das <strong>ZDF</strong> die erste Weltmeisterschaft auf demafrikanischen Kontinent vor Ort produziert hatte,sollte die Europameisterschaft <strong>2012</strong> mit den GastgebernPolen und Ukraine zum Gemeinschaftserlebnisin Deutschland werden. Public Viewing,so die Grundidee, ist seit der WM 2006 Teil der»Fußball-Erlebniskultur« in Deutschland. Auf derSuche nach einem geeigneten Standort entlangder deutsch-polnischen Grenze landeten wir amStrand von Usedom vor der modernen Pyramideder »Seebrücke Heringsdorf«. Hier war er, dermarkante, exponierte Spot: Der »<strong>ZDF</strong>-Fußballstrand«war entdeckt.Public Viewing am Strand – das war neu, und mitder geteilten deutsch-polnischen OstseeinselUsedom als Moderationsposition waren die örtlichenRahmenbedingungen vorhanden, um inder <strong>ZDF</strong>-Berichterstattung in besonderem Maßauf das historische Verhältnis zwischen Deutschlandund Polen eingehen zu können.Bis zu 1 000 Zuschauer fanden Platz in dieserKulisse auf Usedom. Als zu Beginn der EM dieStrandstühle noch nicht vollständig besetzt waren,sahen wir uns einer medialen Berichterstattungausgesetzt, die unser EM-Programm nachhaltigbeschädigte. In der öffentlichen Wahrnehmungwurde Usedom häufig negativ bewertet. Im Verlaufder EM äußerten sich dann jedoch 64 Prozentder Zuschauer positiv.Der markante Standort auf Usedom mit dem ModeratorenduoKatrin Müller-Hohenstein und OliverKahn bestimmte das <strong>ZDF</strong>-Bild der Europameisterschaft.Die Randberichterstattung, die Hinführungzu den Spielen, die Expertisen von Oliver Kahn,unterstützt durch neueste Analysetechnik undunterhaltende Elemente rund um die deutschpolnischeInsel, bildeten den Rahmen. Eine eigeneCrew begleitete die deutsche Mannschaft.Aktuelle Berichte, Interviews und Schalten zuMichael Steinbrecher, auch in die Sendungen derAktualität, hielten die Zuschauer ganztägig aufDer Fußballstrand auf UsedomKatrin Müller-Hohenstein undOliver Kahn46 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


Public Viewing am StrandWebreporterin Jeannine Michaelsenmit Katrin Müller-Hohensteindem neuesten Stand. Das internationale Fernsehzentrum(IBC) in Warschau beheimatete unsereredaktionelle Basis. Die dort eingesetzten Kollegenproduzierten Beiträge zu allen Mannschaften,aber auch zu Land und Leuten der Gastgeberländer.Auch die kreative Verpackung der EM-Sendungenwurde hier erstellt.Ein besonderes Anliegen war es, die Atmosphäreaus den Spielorten und den Stadien einzufangen.Rudi Cerne und Sven Voss waren in der Ukraineund in Polen unterwegs. Dort sprachen sie mitFans in den Städten und den Stadien und meldetensich mit atmosphärischen Schalten vor undnach den Spielen. Wie bei den Fußballgroßereignissenzuvor, bot das <strong>ZDF</strong> auch bei der »Euro<strong>2012</strong>« exklusive Elemente:●●Ella Poulhalec, eine polnische Kollegin in derHauptredaktion Sport, brachte den Zuschauerndurch eindrucksvolle Hochglanzstücke ihreHeimat, deren Kultur und Lebensstil näher.●●Mit Jeannine Michaelsen präsentierte erstmalsdurchgängig eine Onlinemoderatorin im Sportprogrammund vermittelte den Zuschauern imZusammenspiel mit Katrin Müller-Hohensteinund Oliver Kahn Interessantes aus den SozialenNetzwerken (Twitter, Facebook, etc.). »Vernetztim Strandkorb«, gab sie Inhalte, Meinungsbilderund allgemeine Informationen ausdem Internet wieder. In einem begleitendenBlog wurden diese Auftritte zusammengefasstund zur Diskussion gestellt.●●Die »3D-Rubriken« wurden ausgebaut und modifiziert,den Zuschauern Strategien und Taktikender Teilnehmer vermittelt und erklärt.●●Passend zum Strandambiente traten internationaleMusikgruppen auf, wie »Los Colorados«mit dem offiziellen <strong>ZDF</strong>-Sommerhit »I like tomove it«, »Of Monsters and Men«, RogerCicero und nicht zuletzt Taio Cruz.Aber auch online haben wir das Angebot wesentlicherweitert. Für das Sportportal des <strong>ZDF</strong>,zdfsport.de, war die Europameisterschaft in Polenund der Ukraine die erste Bewährungsprobe nachdem Relaunch der <strong>ZDF</strong>-Onlineangebote EndeApril. Daneben gab es vor der EM eine technischneue Version der <strong>ZDF</strong>mediathek und eine Umgestaltungder Streaming-Abwicklung, die das sogenannte adaptive Streaming sowie ein mobilesStreaming-Angebot möglich machte. Auch überdie Social-Media-Angebote der Redaktion SPORTonline – www.facebook.com/zdfsport sowie www.twitter.com/zdfsport – wurden die Nutzer der Onlineangeboteangesprochen und eingebunden.Ein weiteres, wichtiges Online-Element war einDatencenter, in dem neben Tickermeldungen alleErgebnisse und Tabellen, auch zahlreiche Statistiken,angeboten wurden. Während der Spielewurden die Inhalte live aktualisiert.Der Sommer auf UsedomI 47


An <strong>ZDF</strong>-Sendetagen gab es alle Spiele imLivestream – auch die parallel in <strong>ZDF</strong>info übertragenenBegegnungen. Die Höhepunkte aller EM-Spiele zeigte <strong>ZDF</strong>sport.de im Video, ausgewähltePartien sogar mit 3D-Analyse und in voller Länge.Das Video »Deutschland – Griechenland: DieTore« erzielte mit 92 000 Sichtungen die höchsteNutzung unter den Abrufvideos.Im <strong>ZDF</strong>text konnten alle News, Liveticker, Spieldaten,Statistiken und Tabellen auch per Fernbedienungabgerufen werden. Als einziger deutscherSender präsentierte das <strong>ZDF</strong> mit seinem<strong>ZDF</strong>text die Spielerstatistik mit den Einzelwertenaller Spieler live.Mit den Kollegen der ARD wurde die Infrastrukturdieser EM frühzeitig abgestimmt. Das <strong>ZDF</strong> war fürdie technische Ausstattung und die Betreuung derStadien in der Ukraine zuständig, die ARD fürPolen. Das jeweilige Personal, wie auch die Kollegender Technik im IBC Warschau, arbeitete fürbeide Systeme. Zudem wurden im IBC eine gemeinsameRegie sowie gemeinsame technischeRäume installiert und partnerschaftlich im Schichtbetriebgenutzt.Unter der »Dirigentschaft« von Eckhard Gödickemeiergelang ein effektives Zusammenspiel der<strong>ZDF</strong>-Familie. Von den beteiligten Redaktionengab es ein positives Feedback, viele Sendungenerreichten überdurchschnittliche Quoten. So wurdeninsgesamt 80 <strong>ZDF</strong>-Programmstunden vonUsedom aus gesendet.ZuschauerakzeptanzDie ARD erreichte mit den Übertragungen derSpiele insgesamt einen etwas größeren Zuschauerkreisals das <strong>ZDF</strong>. Dies lag daran, dass die ARDein Spiel der deutschen Mannschaft mehr übertrug,darunter auch das am stärksten eingeschalteteHalbfinale gegen Italien. Im Schnitt sahen15,25 Millionen Zuschauer (51,9 Prozent Marktanteil)die 27 Livespiele (exklusive Parallelspiele) im<strong>ZDF</strong> oder bei der ARD. Im Vergleich zur EM 2008gingen die Akzeptanzwerte leicht zurück. Getrenntnach Sendern lag das <strong>ZDF</strong> (15,5 Millionen/51,8Prozent Marktanteil) in der Sehbeteiligung knappvor der ARD (15,02 Millionen/52 Prozent Marktanteil),obwohl das <strong>ZDF</strong> ja ein deutsches Spielweniger übertrug.Auch wenn wir uns von den schreibenden Kollegenviel Kritik eingehandelt haben: Usedom hateindrucksvolle Bilder geliefert und den Programmsommergeprägt. Ein großes Dankeschön an alle,die uns unterstützt haben bei diesem einmaligen,erfolgreichen, lohnenden Projekt für das <strong>ZDF</strong>.48 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


Fußball ist unser LebenDie »EURO <strong>2012</strong>« in PolenVielleicht schafft das nur König Fußball: Die»EURO <strong>2012</strong>« hat Polen neues Selbstbewusstseingegeben. Beim ersten großenSportereignis in Zentral-Osteuropa konnteder Gastgeber glänzen und sein Image aufpolieren.Ob das jedoch uralte Wunden undKomplexe nachhaltig heilen kann?Es ist der 8. Juni <strong>2012</strong>, der Tag, auf den Polen fünfJahre lang hingearbeitet hat. Damals, vor fünfJahren, hatte die UEFA die »EURO <strong>2012</strong>« an Polenund die Ukraine vergeben. Seitdem schaute ganzEuropa kritisch auf die beiden Gastgeberländer.Würden die Stadien fertig werden? Bringt Polenendlich seine marode Infrastruktur auf Vordermann?Wird das Land Autobahnen bauen? Undlast but not least: Wird nicht die ganze Europameisterschaftbeim ersten Fußballfest in Osteuropaim Chaos versinken?Um es gleich vorwegzunehmen: Das erwarteteChaos blieb aus. An diesem 8. Juni <strong>2012</strong> ist Warschauvor allem voll. 60 000 Gäste aus ganz Europasind in der Stadt. Die meisten Schulen imStadtzentrum bleiben geschlossen, die meistenFirmen haben ihren Mitarbeitern frei gegeben. Inder Stadt gibt es kaum ein Durchkommen. Seitdem Morgen schieben sich Fußballfans durch dieStraßen, mittags ist Warschau in Weiß-Rot getaucht.In Polens Nationalfarben erstrahlt auchdas neu gebaute und pünktlich fertiggestellteStadion: ein Fußballtempel. Die Kosten dafür sindjedoch völlig aus dem Ruder gelaufen: Am Endekostete der Bau fast 500 Millionen Euro (die vergleichbareAllianz Arena in München kostete 340Millionen Euro). Er zählt damit zu den teuerstenStadien, die jemals in Europa gebaut wurden.Doch das soll Polen erst nach der Europameisterschaftbeschäftigen.Vor der EM reisen wir, das Team vom <strong>ZDF</strong>-StudioWarschau, quer durch »unser« Land. Zusammenmit den Kolleginnen und Kollegen aus Moskauwollen wir einen 60-minütigen Film drehen, derkurz vor Beginn der Europameisterschaft ausgestrahltwerden soll, um den deutschen Zuschauerndie beiden Gastgeberländer vorzustellen. DerFilm wird »Rendezvous im wilden Osten« heißen:»Polen, Ukraine und das Sommermärchen«. Gemeintist damit die Verabredung der Gastgeberländerzum Fußball, aber auch das Treffen derKorrespondenten aus Warschau und Moskau amEnde des Films an einem provisorischen Grenzübergangzwischen Polen und der Ukraine.Für uns liegt in dem Projekt die Chance, in denletzten Wochen vor dem Turnier die Stimmung imganzen Land aufzuspüren. Denn in Polen verhältes sich ganz ähnlich wie in Deutschland: Warschau,die Hauptstadt, ist gleichzeitig Zentrumdes Landes und doch auf eine spezielle Art undWeise im Abseits. Die Menschen hier beschäftigenoft ganz andere Themen als die im Rest desLandes. Vieles, was dort von Bedeutung ist, findetgar keinen Eingang in das Bewusstsein der etwaselitären Hauptstädter.Armin CoerperLeiter des <strong>ZDF</strong>-Studios WarschauDas EM-Team um StudioleiterArmin CoerperFußball ist unser LebenI 49


Polnische FußballfansUnsere Drehreise beginnt im äußersten WestenPolens, im EM-Austragungsort Posen, unweit derdeutschen Grenze. Sie führt uns weiter nach Danzig,in eine Stadt, die wie kaum eine andere für dieschwierige Geschichte zwischen Deutschen undPolen steht, weiter durch Masuren, das alte Ostpreußen,über Warschau in die Karpaten bis andie Grenze zur Ukraine. Was uns zuerst auffällt:Polen ist bestens auf die EM vorbereitet. JederSpielort hat ein neues Flughafenterminal eingeweiht,die Stadien sind fertig (drei von vier wurdenkomplett neu gebaut). Auch, was die Straßen angeht,hat das Land einen Riesensprung gemacht.Nur ein Beispiel: Vor gar nicht langer Zeit musstenwir für eine Autofahrt von Warschau nach Danzigsieben Stunden kalkulieren, jetzt schaffen wir es inviereinhalb.Wir nehmen jedoch noch andere Erkenntnissevon unserer Reise mit. Kurz vor der Fußball-Europameisterschafthat sich die Stimmung in Polengewandelt. Polen strotzt auf einmal vor Selbstbewusstsein.Jetzt sieht die Mehrheit im Land die EMals Chance, das Image zu ändern, Polen im RestEuropas bekannter zu machen und vielleichtsogar als Reiseland etablieren zu können. Zweitypisch polnische Eigenschaften treten in denVordergrund und überdecken alle Komplexe: dasuralte polnische Talent, Geschäfte zu machen,das den Menschen hier in schweren Zeiten immergeholfen hat, und die legendäre polnische Gastfreundlichkeit.An jedem Spielort sind riesengroßePlakate angebracht »Polen – wir alle sind Gastgeber«.Wer das jemals vergessen sollte, wird flächendeckenddaran erinnert. Die Verbindung dieserbeiden Eigenschaften manifestiert sich imWohnungsmarkt: Überall treffen wir Menschen,die ihre Wohnungen räumen und an Fußballfansvermieten wollen. Viele ziehen das gleich im großenRahmen auf und gründen Vermittlungsagenturen.Die Idee dazu kam wohl auf, nachdem inden Medien von horrenden Hotelpreisen zur EMdie Rede war. Diese Behauptung entpuppte sichzwar als Ammenmärchen, denn die Hotelpreisebewegten sich am Ende völlig im Rahmen. Aberegal: Die Geschäftsidee war geboren.Was uns noch auffiel: Bei diesem Fußballfestrückten die Nachbarn Polen und Deutschlandnoch enger zusammen. Nachdem man in Polenseit Jahrzehnten unter dem mangelnden Interesseder Deutschen litt, kamen jetzt die Nachbarn inScharen, und die Mehrheit in Polen sah das positiv.In Danzig fragten wir einen jungen Mann, wiedas denn für ihn sei, wenn deutsche Fußballfansmit deutschen Fahnen durch Danzig zögen –durch die Stadt, in der Deutschland den ZweitenWeltkrieg begonnen hatte. »Die anderen werdenauch mit Fahnen kommen, warum also sollten dieDeutschen das nicht dürfen?«, war die Antwort.»Die Deutschen sollen herkommen, am bestengegen uns spielen, verlieren und dann mit unsfeiern.« Dazu kam es am Ende nicht: Im Viertelfinalespielte die deutsche Mannschaft in Danziggegen Griechenland. Polens Nationalelf war daleider schon aus dem Turnier ausgeschieden,was, und auch das ist bemerkenswert, der Stimmungkaum einen Abbruch tat. Ein Rentner, derden Krieg noch als Kind miterlebt hatte und nunseine Wohnung vermieten wollte, zeigte uns ausdem 14. Stock seines Hochhaus-Apartments dieWesterplatte, jene Halbinsel, die die Deutschenam 1. September 1939 angriffen. »Diesmal kommendie doch nur zum Fußball«, meinte der alte50 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


Herr auf unsere Nachfrage. »Die schauen sichvielleicht an, wie es hier heute aussieht. Aber diebleiben ja nicht.«Auch Polens Politik wurde seit Monaten von demnahenden Fußballereignis dominiert, schließlichgalt das Turnier als größte Herausforderung, vorder das Land seit dem Ende des Kommunismusstand. Seit Monaten wurden Streiks und Boykotteangekündigt. So drohten die Taxifahrer am Tagdes Eröffnungsspiels in Warschau mit Streik. OppositionsführerJaroslaw Kaczynski, bekannt fürschrille Töne, kündigte an, die Stadt am Eröffnungstagmit einer Großdemonstration gegen dieRentenreform der Regierung und Kürzungen imSozialwesen lahmzulegen. Nichts von alledempassierte. Vier Wochen Fußball-EM in Polen hießam Ende: vier Wochen Schweigen der Politik.Vielleicht war gerade deshalb die Stimmung soausgelassen, so fröhlich wie kaum jemals zuvor.Endlich einmal Ruhe von all den Grabenkämpfen,von all den Beschimpfungen zwischen Politikern,die dazu führten, dass die Wahlbeteiligung inPolen unter die 50-Prozent-Marke zu sinkendrohte. Die einzige Politikerin, die täglich im Fernsehenauftrat, war Joanna Mucha, Polens Sportministerin.Premier Donald Tusk hatte sie extra fürdie »EURO« ins Amt berufen und machte siedamit zum Gesicht der EM. Der Plan ging auf: Dieschöne Ministerin strahlte dem Land und seinenBesuchern tagtäglich aus dem Fernsehen entgegen.Die Spielorte sahen aus wie Partyzonen. In Warschaufeierten bei jedem Spiel der polnischenMannschaft 100 000 Fans auf der größten Fanmeiledieser EM im Schatten des Kulturpalastes,jenes Kolosses, der 1955 als zweithöchstes GebäudeEuropas von Josef Stalin als Monumentseiner Macht wie ein Stachel mitten ins Herz derpolnischen Hauptstadt gesetzt wurde. Jetzt zeigtehier das junge Polen, dass eine neue Ära für dasganze Land beginnen konnte. Bei jedem Spiel derPolen war die Fanmeile ein Meer in Weiß-Rot.Soziologen erklärten später, dass die junge Generationbei diesem Fußballfest aus dem Schattender alten getreten sei, dass die Zufriedenen denUnzufriedenen die Flagge des Patriotismus entrissenhätten. Überhaupt zeigte sich hier ein völligneues Lebensgefühl: Zum ersten Mal gingen diePolen zu Tausenden auf die Straße, um zu feiernund nicht, um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen.Solche Menschenmassen im öffentlichenRaum hatte es bisher nur aus zweierlei Gründengegeben: entweder, um sich gegen die Sowjetdiktaturzu stemmen, oder, weil die Kirche dazu aufgerufenhatte. Immer wieder wurde in den Mediendie Stimmung am Eröffnungstag mit der von 1979verglichen, als Papst Johannes Paul II, der Poleaus dem Vatikan, zum ersten Mal in die Heimatzurückkehrte. Doch es war mehr als Fußball, wasdiese Atmosphäre hervorbrachte. Die EM war inPolen ein Erwachen, ein Wendepunkt, an dem diealten Komplexe über Bord geworfen werden konnten,um sich Europa als weltoffen, modern undzutiefst europäisch zu präsentieren.Für Aufsehen hatte im Vorfeld eine Dokumentationder BBC mit dem Titel »Stadien des Hasses«gesorgt. Darin prangerte der Autor mangelndeSicherheitsvorkehrungen an, ferner die Gewaltbereitschaftder polnischen Hooligans sowie dasantisemitische und fremdenfeindliche Gedankengutder Szene. Ein farbiger britischer Nationalspie-Joanna Mucha, die polnischeSportministerinFußball ist unser LebenI 51


ler sagte in dem Film, er könne seinen Landsleutennur raten, nicht zu diesem Turnier zu reisen,man sei in Polen nicht sicher. Auch in deutschenMedien gab es immer wieder Berichte über drohendeAusschreitungen von Hooligans, die esinsbesondere auf Deutsche abgesehen hätten. Inder Tat gab es Anlass zur Sorge: Immer wiederwar es in der polnischen Liga zu Zusammenstößenzwischen Fans der gegeneinander antretendenClubs gekommen. In Polen wurde die Berichterstattungjedoch als Versuch der anderenEuropäer aufgenommen, die EM bereits im Vorfeldschlechtzureden. Entschieden verwahrtensich Premier- und Außenminister gegen die Negativkampagne.Am Ende blieb es ein friedlichesFußballfest, bis auf eine Ausnahme: Als am russischenNationalfeiertag die Elf aus Russland inWarschau gegen Polen antrat, kam es tatsächlichzu den befürchteten Krawallen. Russische Fanshatten darauf bestanden, ihren Feiertag in derpolnischen Hauptstadt zu begehen, und zwar miteinem Marsch zum Stadion. Damit waren dieSicherheitskräfte überfordert. Polnische Hooligansattackierten die Russen, es kam zu zahlreichenVerletzten und Festnahmen. Auch der Fußballkonnte über die jahrhundertealte Feindschaft derbeiden Länder nicht hinwegtäuschen. An dem Tagzeigte sich, dass Fußball in einem Land wie Polenviel erreichen kann, dass vielleicht kein anderesEreignis die Menschen so mobilisiert und ihreHerzen erobert. Doch, wo Hass über Generationenweitergegeben wird, ist auch der Fußballmachtlos.Was hat die »EURO <strong>2012</strong>« Polen letztendlich gebracht?Definitiv einen Zivilisationssprung, dersich in der Infrastruktur zeigt. Daneben haben dieMenschen wenigstens einen Teil der alten Komplexeablegen können. Vielleicht geht man heuteein bisschen entspannter mit sich und den Nachbarnum, nicht mehr jede Äußerung aus Deutschlandwird so streng interpretiert, nicht mehr jedepolitische Auseinandersetzung wird so verbissengeführt. Wenn das in der polnischen Politik zueinem neuen Stil führt, dann hat Fußball ein Wunderbewirkt. Immerhin zeigte sich an einer derFolgen dieser »EURO« durchaus ein Stück neuerSouveränität: Im Nachgang drohte über 100 Baufirmendie Pleite. Viele waren zum Beispiel denexplodierten Kosten beim Bau des Nationalstadionszum Opfer gefallen, da die Bauträger diekleineren Zulieferer nicht bezahlten. Der Auftraggeberfür den Bau, die öffentliche Hand, hatteNachverhandlungen im Preis vertraglich ausgeschlossen.Doch die Regierung handelte schnellund pragmatisch, auch die Opposition verzichtetedarauf, die Not der Firmen für ihre Zwecke auszuschlachten.Vielleicht ist Polen, auch in der Politik,an der »EURO« gereift.Im <strong>ZDF</strong>-Studio Warschau waren die Monate vorund während der Fußball-Europameisterschafteine aufregende Zeit: So groß war das Interessean Berichten aus Polen noch nie. Wenn das Landdas Ziel hatte, sich selbst bekannter zu machen,dann ging das, zumindest soweit es uns betrifft,voll auf. Mit drei großen Dokumentationen undReportagen, die zur besten Sendezeit ausgestrahltwurden, hatten wir die Chance, den DeutschenPolen näherzubringen. Mit unserer »<strong>ZDF</strong>.reportage: Warschau feiert Fußball« konnten wireine Stadt zeigen, die von den Deutschen imZweiten Weltkrieg zerstört wurde wie keine zweitein Europa und die ihr Fußballfest als Wendepunktin ihrer Geschichte zelebriert. Mit über 300 Sendeminutenallein im EM-Monat Juni sollte es unshoffentlich gelungen sein, den deutschen Zuschauernein neues Polen zu zeigen, ein Land,das seine Geschichte niemals vergisst, doch dasmit großem Optimismus in die Zukunft blickt.52 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


Die überraschende UkraineVon katastrophaler Vorbereitung zu einem rasanten GastgeberDie Ukraine ist ein fußballbegeistertes Landund neben Polen Gastgeberland der Fußball-Europameisterschaft <strong>2012</strong>. Welche Bedeutungdas sportliche Großereignis für dieUkraine und die Menschen dieses östlicheneuropäischen Nachbarlandes hat, darüberberichtet Anne Gellinek.Ungefähr einen Monat vor Beginn der Europameisterschaftim Mai fahre ich mit meinem Teamin die Karpaten – wir wollen die schönsten Landschaftendes Gastgebers Ukraine zeigen und sindauf dem Weg zu einem Rafting-Camp in der Nähevon Iwano-Frankiwsk. Unser Auto holpert bergaufüber eine Kiesstraße entlang des Flusses TschornyjTschermosch, als wir plötzlich rechts von derStraße ein Fußballfeld sehen. Aus Klopapier hatein Witzbold die Umrisse eines Fußballplatzes aufeinen steilen Hang gelegt, der zudem noch mitBaumstümpfen übersät ist. Ein paar Kühe grasendazwischen und darunter steht, ebenfalls in Klopapier,geschrieben: »EURO <strong>2012</strong>. Wir sind bereit!«Wir staunen, lachen und filmen das Fußballfeld.Der Künstler ist schnell gefunden. Ein Busfahrer,der uns erklärt, er habe mit seiner Aktion auf denganzen »Irrsinn« dieser EM hinwiesen wollen. »Wirweihen Fußballstadien mit Stars wie Shakira ein,und gleichzeitig fallen die frischverlegten Kachelnschon wieder von den Wänden. Den Leuten hiergeht es davon aber nicht besser!«, sagt unsMaxim Lischowskij. »Die Ukraine ist nicht bereitfür diese Europameisterschaft, und dennoch freuenwir uns darauf.« Diese Meinung hören wir häufigin den Wochen vor Beginn des Ereignisses.Als die Europameisterschaft im April 2007 anPolen und die Ukraine gemeinsam vergeben wird,ist der östlichere Nachbar noch ein Hoffnungsträger.Gerade haben sich die Ukrainer mit ihrerOrangen Revolution für einen demokratischenWeg Richtung Europa entschieden, gerade machtdie Ex-Sowjetrepublik die Erfahrung von Einheitund Zusammenhalt. Die Vergabe der EM an dieUkraine sollte auch eine Anerkennung dieserfriedlichen Revolution sein.Fünf Jahre später, im Frühjahr <strong>2012</strong>, haben sichdie Vorzeichen in dem Land komplett verändert.Die Ikonen der Orangen Revolution, ViktorJuschtschenko und Julia Timoschenko, habensich heillos zerstritten, viele Versprechungen sindunerfüllt geblieben, das proeuropäische Projekt isterst einmal diskreditiert. Die enttäuschten Ukrainerwählen – diesmal demokratisch – den Mann,gegen dessen Wahlbetrug sie noch vor Jahren aufdie Straße gegangen waren: Viktor Janukowitsch.Mit ihm kommt eine russlandfreundliche Clanwirtschaftan die Macht, die nun verspricht, für dasFußballfest alles so zu richten, wie die UEFA eswünscht.Die Idee, die EM an die Ukraine zu vergeben, warkeineswegs absurd: Tatsächlich ist die Ukraine einfußballbegeistertes Land. Schachtjor Donezk,Anne GellinekLeiterin des <strong>ZDF</strong>-Studios MoskauImprovisiertes FußballfeldDie überraschende UkraineI 53


Dynamo Kiew und Metalist Charkiw sind Vereine,die ihre Stadien immer füllen, in denen sich dieFans für ihre Clubs begeistern und sich von ihremmeist harten Alltag erholen können. Diese ukrainischenFans sind glücklich über die Ausrichtungder EM in ihrem Land, doch diese Euphorie sollwährend der letzten Monate der Vorbereitung aufeine harte Probe gestellt werden.Beim Stadionbau wird die allgegenwärtige ukrainischeKorruption für alle sichtbar, die Rundumerneuerungdes Kiewer Olympiastadions ist teurerals der Neubau von Stadien in Südafrika. In fastallen Feldern hinkt die Ukraine den effizientenPolen hinterher. Obwohl einige schwerreiche Oligarchenihre Portemonnaies öffnen, werden dieStraßen nicht fertig, die Eröffnung der Stadienverschoben, es gibt nicht genügend Hotelzimmer,keine Campingplätze, keine Charterflüge.Die Ukraine steht neben dem Musterschüler Polenda wie der ewige Klassenletzte – und die Menschenim Land empfinden das auch so. Vielefürchten eine Blamage, haben Angst, dass dieTouristen enttäuscht sind und niemals wieder in ihrLand reisen werden.Der Super-GAU aber ist die Verhaftung und Verurteilungvon Oppositionsführerin Julia Timoschenko.Präsident Janukowitsch hat möglicherweisedie Folgen unterschätzt, die dieser innenpolitischmotivierte Racheakt international haben würde.Ein Kiewer Gericht verurteilt Julia Timoschenko imOktober 2011 wegen »Amtsmissbrauchs« zu siebenJahren Haft und schickt sie in eine Strafkolonieim ostukrainischen Charkiw.Als wir für die Dokumentation »Rendezvous imwilden Osten« in Charkiw drehen, fahren wir auchzum Gefängnis Nr. 54, in dem Julia Timoschenkoihre Strafe absitzt. Zu unserer Überraschung stehennicht nur ein paar treue Unterstützer mit Plakaten»Free Julia« vor dem Gefängnistor, sondernauch eine Menge ukrainischer Fernsehteams. JuliaTimoschenkos Anwalt hatte sie zusammengetrommeltund kommt wenig später herausgeeilt,um eine Erklärung seiner Mandantin vorzulesen.Julia Timoschenko protestiert gegen ihre Behandlungim Gefängnis und beginnt einen unbefristetenHungerstreik. Ab jetzt lassen sich dieThemen Timoschenko und die EM nicht mehrtrennen. Europa wird aufmerksam, spät, aber immerhin.Die innenpolitische Situation gerät in denFokus – und auch das hat sein Gutes.Sicher, Julia Timoschenko ist keine Heilige, daswissen viele Ukrainer nur zu genau. Wäre sie zurPräsidentin gewählt worden, sagen viele, hätte sieihrem Erzfeind Janukowitsch möglicherweise diegleiche Behandlung angedeihen lassen. Aberdennoch empört der Prozess gegen die Ex-Regierungschefin,die letztlich für »schlechtes Regieren«Anne Gellinek und Armin Coerperan der polnisch-ukrainischenGrenzeKameramann Aleksandr Sokolkow,Producer Aleksej Akulow undCutterin Jewgenija Vinkowa54 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


verurteilt wird – und löst eine Debatte aus, die zudiesem Zeitpunkt eigentlich jeder Grundlage entbehrt:die Debatte über einen Boykott.Wenige Wochen vor dem Eröffnungsspiel mehrensich die Stimmen, die sagen, der Ukraine müssedas Turnier entzogen werden, um Präsident Janukowitschfür seinen Umgang mit Julia Timoschenko,für seinen autoritären Führungsstil und dieKorruption zu bestrafen. Alle Beteiligten wissen,dass es längst zu spät ist, die Stadien sind fertig,die Spielorte ausgelost, die Trainingsquartieregebucht. Und mit einem Boykott würde man dieMenschen in der Ukraine bestrafen, die man jaeigentlich mit der EM belohnen wollte. Denn, wieder ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan, einfußballspielender Dichter, feststellt, ist Fußball dasEinzige, was die Ukraine noch zusammenhält.»Der Fußball ersetzt in diesem Land offenbar sehrerfolgreich die nationale Idee. (...) Der Fußballmacht aus ukrainischen Teenagern ukrainischeBürger und offenbart das Siechtum der vaterländischenBürokraten. Ich übertreibe nur wenig,wenn ich sage, dass das Land vom Fußball lebt.«Die Boykott-Debatte ist also von Anfang an eineGespensterdiskussion, die in der Rückschau nichtviel bewegt hat. Präsident Janukowitsch hat seinenRegierungsstil nicht verändert, Julia Timoschenkositzt weiterhin im Gefängnis und musssich einem zweiten Prozess stellen.Das Turnier findet statt – und nun geschieht dasUnglaubliche: Die von Minderwertigkeitskomplexengeplagten Ukrainer, die selbst kaum darangeglaubt hatten, dass sie würdige Gastgeber seinkönnten, wachsen über sich hinaus.Die Kiewer, die Charkiwer, die Lemberger Fanmeilensind Anziehungspunkte für die doch noch inletzter Minute angereisten Europäer und die verzagtenUkrainer. Jetzt wird gefeiert, und siehe da:Der Funke springt über. Die Ukrainer zeigen sichals freundliche, offenherzige und überaus gastfreundlicheMenschen, die alles tun, um einemverirrten Europäer zu helfen. Und auch bei denGastgebern gibt es erstaunliche Erkenntnisse: Sielernen Menschen aus Europa kennen, die überhauptnicht so sind, wie die endlosen EU-Delegationen,die sie in Sachen Wirtschaftsreformen undDemokratie belehren wollen. Diese Europäer aufden Fanmeilen sind tanzende, bunt verkleidete,sehr angeheiterte und gar nicht arrogante Fußballfans.Menschen zum Anfassen.Die EM ist in dieser Hinsicht ein gelungenes Projektder Völkerverständigung. Bis heute schwärmendie Ukrainer von den unbeschwerten Sommertagen<strong>2012</strong>, als sie zweieinhalb WochenUrlaub hatten vom innenpolitischen Dauerkampf.Der ist nun längst wieder zurück: FußballstarAndrej Schewtschenko hat sich als Zugpferd füreine Pseudo-Partei, die Stimmen von der Oppositionabziehen soll, kaufen lassen, und kämpftgegen Box-Schwergewicht Witalij Klitschko, dertatsächlich für die Opposition ins Feld zieht.Die Ukraine hat es geschafft, uns zu überraschen.Mit Katastrophen im Vorfeld und einer dann entspanntenund pannenfreien Durchführung derFußball-Europameisterschaft. So wie das Bild,das wir für das »Rendezvous im wilden Osten« inden Karpaten gedreht hatten, vom fröhlichen Fußballfeldam Steilhang. »EURO <strong>2012</strong>«, hatte dagestanden, »wir sind bereit!«.Anne Gellinek und holländischeFans: Das orangefarbene<strong>ZDF</strong>-Mikrofon kommt gut anDie überraschende UkraineI 55


Fußball von einem anderen SternDie UEFA Champions League im <strong>ZDF</strong>Monika ThyenHauptredaktion Sport/Champions-League-ProgrammchefinDie UEFA Champions League (UCL) ist einesder populärsten Sportevents Europas. Esfindet weltweite Beachtung. Millionen vonFußballfans verfolgen Jahr für Jahr dieSpiele, bei denen sich die besten Fußballerder Welt präsentieren. Ab dieser Saison(<strong>2012</strong>/2013) wird der wichtigste europäischeWettbewerb im Vereinsfußball für zunächstdrei Jahre im <strong>ZDF</strong> übertragen.Den Text der choralähnlichen Hymne der UCL(»Ce sont les meilleures équipes/Es sind dieallerbesten Mannschaften/The main event …«)kennt vielleicht nicht jeder. Die Melodie, die jedenSpieltag begleitet, ist allerdings fast jedem im Ohr.Sie lässt Champions-League-Spieltage feierlichwirken. Die Topfußballer der Welt bekunden, dassihre Herzen höher schlagen, wenn die Hymne erklingt,und kaum ein Sportreporter oder Fußballfankann sich der Magie dieser Musik und anschließenddem Spiel der Besten entziehen.Nun hat das <strong>ZDF</strong> zum ersten Mal seit Einführungder UEFA Chamions League 1992 die Rechte ander Königsklasse erworben. Zum Rechtepaketdes <strong>ZDF</strong> gehören pro Saison 18 Livespiele. Dasumfasst die Qualifikationsspiele des Viertplatziertender Bundesliga sowie sechs Spiele derGruppenphase, vier Achtelfinalspiele, zwei Viertelfinalspiele,zwei Halbfinalspiele und das Finale.Ebenfalls zum Rechtepaket zählt noch der UEFA-Supercup, in dem der aktuelle Champions-League-Sieger auf den aktuellen Europa-League-Sieger trifft. Zusätzlich zu den Livespielen werdenZusammenfassungen weiterer Champions-League-Spiele gezeigt, sodass sich die Zuschauerinnenund Zuschauer auf mehr als 50 StundenFußballberichterstattung der Extraklasse pro Saisonfreuen können.Auch wenn im <strong>ZDF</strong> seit vielen Jahren erfolgreichauf höchstem Niveau Fußballsendungen (WeltundEuropameisterschaften, Länderspiele, DFB-Pokal und andere) produziert werden, war derEinstieg in die Champions League etwas Besonderes.Zu den erworbenen Rechten gehört aucheine Vielzahl an Pflichten, denn die UCL ist eineFernsehware, die professioneller Vermarktungund höchsten technischen und inhaltlichen Ansprüchenunterliegt. Die UEFA erwartet von ihrennationalen Partnern eine Produktion in höchsterQualität unter Einhaltung zahlreicher Bedingungen,die für jede Saison ein ganzes Handbuch(broadcaster manual) füllen.Somit vergingen die ersten Monate nach demRechteerwerb damit, gemeinsam mit den Kollegender Rechteabteilung und der InternationalenProgrammkoordination (IPK) bei der UEFA denRahmen abzustecken, in dem sich das <strong>ZDF</strong> bewegenkann. Die optische Gestaltung der Übertragungen,wie beispielsweise Grafiken oder Studiodekorationbis hin zu Mikrofonwindschützern,musste, ebenso wie Marketingkampagnen, mitder UEFA abgestimmt werden.Bei aller (optischer) Einheitlichkeit wollen wir durchModeration, Kommentare, Berichte, Analysen undInterviews in unserem unilateralen – nur für das<strong>ZDF</strong> erstellten – Programm Akzente setzen, diedie <strong>ZDF</strong>-Übertragungen von denen der privatenKonkurrenz deutlich abheben. Dabei möchten wirdie Champions League vor allem als ein europäischesEreignis mit zahlreichen Facetten präsentieren.Die europäisch-gesellschaftlichen Bezügesollen sich nicht nur in den Sportformaten widerspiegeln,sondern auch in andere Sendungen wie»heute – in Europa« oder das »auslandsjournal«einfließen.56 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


Neben dem so genannten unilateralen Programmliegt die besondere Herausforderung in der Erstellungdes multilateral nutzbaren Spielsignals (Weltbild).Dafür trägt das <strong>ZDF</strong> bei den Livespielen inDeutschland die Verantwortung. Als Hostbroadcasterproduzieren wir die Bilder, die alle internationalenRechteinhaber für ihre Berichterstattungnutzen. Allerdings folgt auch die Erstellung desWelt- oder Multibildes (insbesondere vor undnach den Spielen) immer den gleichen Vorgabender so genannten MRO (multilateral running order)der UEFA. Team- und Fanankunftsbilder, Kabinenaufnahmen,Stadion-Beautyshots, das Aufwärmender Mannschaften – alles muss zu einerfestgelegten Uhrzeit im Weltbild angeboten werden.Daran haben sich die <strong>ZDF</strong>-Regisseure zuhalten.Darüber hinaus ist das <strong>ZDF</strong> als Hostbroadcasterverpflichtet, den ausländischen Sendern umfangreicheLeistungen in den deutschen Stadien anzubieten.Liveaufsager, Interviews mit Spielern undTrainern oder Überspielungen werden auf Bestellungund nach Zeitplan für ausländische Kollegenerledigt und nach einheitlicher Preisliste abgerechnet.Die Geschäftsleitung des <strong>ZDF</strong> hat sich entschieden,die UCL mit der Unterstützung eines externenTechnikdienstleisters mit einschlägiger Erfahrungin der Champions League zu produzieren. Inenger Verzahnung mit der <strong>ZDF</strong>-Produktion Sportwurden für die Ausschreibung die unterschiedlichenBedingungen für In- und Auslandsproduktionenerarbeitet, die letztlich in einem Rahmenvertraggebündelt wurden.In unserer ersten Champions-League-Saisondurften wir mit dem FC Bayern, Borussia Dortmundund dem FC Schalke 04 in der Gruppenphasedrei publikumsattraktive deutsche Mannschaftenbegleiten. Die Auslosung am 30. Augustin Monaco hat zudem reizvolle Paarungen hervorgebracht.Da wir vertraglich zunächst auf Spieledeutscher Teams am Mittwoch festgelegt sind,standen die drei Heimspiele des FC Bayern(gegen Valencia, Lille und Borisov) als Liveübertragungenim <strong>ZDF</strong> sofort fest. Bei den anderenSpieltagen musste die Entscheidung jeweils zwischenden Begegnungen von Schalke 04 undBorussia Dortmund fallen, die immer parallel antraten.Angesichts der attraktiven Gegner derDortmunder haben wir uns noch am Tag derAuslosung für das Heimspiel gegen Real Madridund das Auswärtsspiel in Manchester entschieden.Nur beim fünften Spieltag haben wir gewartet,bis die sportliche Relevanz der Begegnungenfür das Weiterkommen der Teams auszumachenwar und uns schließlich auf Schalke gegen OlympiacosPiräus festgelegt.Während sich der Champions-League-Finalist<strong>2012</strong>, der FC Bayern, für die neue Saison kräftigverstärkt hat, wird die Champions League im <strong>ZDF</strong>redaktionell von den bewährten Kräften der HauptredaktionSport bestritten. Einziger Neuzugang inder Hauptredaktion Sport ist Oliver Welke, derzwölf von 18 Sendungen präsentiert. Zweiter Mo-Die Produktion des Livespiels vor Ort ist das eine.Auch in der <strong>ZDF</strong>-Zentrale in Mainz wird intensiv fürdas Produkt gearbeitet, denn hier müssen für dieZusammenfassungen der weiteren Spiele Mitschnitteaufgezeichnet und Schnittplätze zur parallelenBearbeitung bereitgestellt werden.Oliver Welke, Oliver Kahnund Jochen BreyerFußball von einem anderen SternI 57


derator im Team ist Jochen Breyer. Seine Premiereim Rahmen einer Fußballübertragung hat er am30. August beim UEFA Super Cup mit Bravourgemeistert. Beiden Moderatoren steht als Expertewie gewohnt Oliver Kahn zur Seite. Immerhin istder einstige Welttorhüter selbst Champions-League-Sieger (2001 mit dem FC Bayern) undverfügt über vielfältige Erfahrung in der Königsklasse.Schon die ersten Übertragungen haben gezeigt,dass das mit dem Erwerb der Champions-League-Rechte verbundene Ziel, jüngeres Publikuman das <strong>ZDF</strong> zu binden, erreicht wird. Besondersfür diese Zielgruppe ist der zur ChampionsLeague entwickelte Onlineauftritt wichtig. Wie gewohnt,werden die Nutzer auf <strong>ZDF</strong>sport.de auchim Rahmen der Champions League mit aktuellenNachrichten und Hintergrundberichten versorgt.Ein Livestream unserer Übertragung gehört inzwischenzum Standardangebot. Der neuartigeLivestream+ bietet im Rahmen der Champions-League-Übertragungen nun deutlich mehr als diebloße Einspeisung des TV-Signals auf eine Internetseite.Auf Wunsch kann sich der Nutzer zahlreicheZusatzinformationen wie die Aufstellungen,die taktischen Formationen und Steckbriefe zujedem einzelnen Spieler rund um das aktuelleSpiel einblenden lassen.Ebenfalls neu ist eine umfassende und nochnie dagewesene Champions-League-Analysezum jeweiligen Livespiel des <strong>ZDF</strong>. Diese Analysegeht weit über die bekannten Formen und Inhalteeines klassischen Tickers hinaus. Basierend aufeiner Vielzahl von Livedaten und -statistiken erstellenzwei Taktik-Experten ihre Analyse, die auf<strong>ZDF</strong>sport.de sowie in der <strong>ZDF</strong>mediathek in Ticker-Form zu lesen ist.Neben der Analyse zum jeweiligen <strong>ZDF</strong>-Spielkann der Nutzer zu jedem anderen Champions-League-Spiel einen umfassenden Liveticker mitlesenund sich so selbst mit Daten und Statistikenversorgen. Ergänzt wird das Livecenter durch eininteraktives Analysebrett sowie direkte SpielerundTeamvergleiche, die sich der Nutzer ebenfallsselbst zusammenstellen kann.Unter tippcenter.zdf.de können neuerdings auchalle Partien der Königsklasse getippt werden.Neben der Einzelwertung können sich Spielerdabei auch zu Teams zusammenschließen undandere Gruppen zum Tipp-Duell herausfordern.Mitmachen lohnt sich: Der Gesamtführende nachdem Halbfinale gewinnt zwei Karten für das Endspiel.25. Mai 2013, London, Wembley-Stadion, Finale:nicht nur ein wichtiger Termin für die Gewinner desTippcenters – es ist das große Ziel für alle 32 Starterin der Gruppenphase der Champions League<strong>2012</strong>/2013.Das <strong>ZDF</strong> muss sich mit seinem Team nicht qualifizieren.Wir sind dabei, wenn es heißt, die besteder besten Vereinsmannschaften in Europa zufinden und das auf jeden Fall während der nächstendrei Jahre.58 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


Faszination Olympia120 Stunden Livesport aus der britischen HauptstadtEin britisches Sommermärchen – so könnteman die Olympischen Spiele in London ausSicht des Gastgebers beschreiben. StimmungsvolleWettbewerbe in beeindruckenderKulisse, begleitet von einem begeistertenPublikum. Und auch für das <strong>ZDF</strong> waren dieseSommerspiele ein voller Erfolg.Nach der Fußball-Europameisterschaft in Polenund der Ukraine folgte nur wenige Wochen späterdas programmintensivste Projekt der HauptredaktionSport, die Olympischen Spiele in London. 302Entscheidungen in 26 Sportarten, verteilt auf 16Wettkampftage – so schlicht die olympische Formelauch lautet, so komplex war die Aufgabenstellung.Die Gemeinschaftsproduktion mit derARD stand dieses Mal unter der Federführung des<strong>ZDF</strong>, Gesamtteamchef war Sportchef DieterGruschwitz.Die Planungen hatten schon mehr als zwei Jahrezuvor begonnen. Sparzwänge und die Vorgabeeiner limitierten Teamstärke hielten die Planungsgruppe,bestehend aus Kollegen von Redaktion,Produktion und Technik, dazu an, vieles zu hinterfragenund neu zu überdenken. Am Ende diesesProzesses stand ein Konzept, das puristischerwar als in der Vergangenheit, vielleicht hier und daauch weniger exklusiv und flexibel, aber denFokus immer auf das Wesentliche gerichtet hatte:die olympische Vielfalt.Schon immer haben ARD und <strong>ZDF</strong> in der Vorbereitungund Durchführung von Olympischen Spieleneng zusammengearbeitet. Aber die Verkleinerungdes ARD/<strong>ZDF</strong>-Olympiateams um fast 170Personen im Vergleich zu Peking ließ sich nurdurch enges Zusammenrücken realisieren. EinGroßteil der Kollegen von Produktion und Technikarbeitete durchgängig für beide Sender. Auch inder Redaktion wurde Personal geteilt, so beispielsweisebei den Funktionen Regie und MAZ-Redaktion. Ein Maximum an Synergie wurde jedochbei den Reportern erzielt. So kommentiertenbis zu 20 <strong>ZDF</strong>-Reporter an ARD-Sendetagen fürdas gemeinsame Livestreaming-Angebot vonARD und <strong>ZDF</strong>, an <strong>ZDF</strong>-Sendetagen kamen danndie ARD-Kollegen zum Einsatz.Sportarten, deren Existenz vielen Menschen zuvorkaum bekannt ist, rücken in den Fokus und fasziniertenMillionen Zuschauer vor den Fernsehern.Diese Vielfalt abwechslungsreich ablichten, dierichtige Mischung finden zwischen den großenAnke Scholten<strong>ZDF</strong>-Olympia-ProgrammchefinKabelsalat: Hier laufen 515 Bildsignaleein und ausDie Regie am Tag vor derEröffnungsfeierFaszination OlympiaI 59


London gebracht und für einen weiteren Dauereinsatzinstalliert.Superstar Usain Bolt auf demWeg zum dritten Gold in Londonolympischen Kernsportarten wie zum BeispielLeichtathletik und Schwimmen, und den so genanntenkleinen Sportarten – das war ohne Zweifeleine unserer spannendsten redaktionellen Aufgabenin London.Doch vor dem Wettbewerb steht die Vorbereitung,so auch für uns Fernsehmacher. Dieersten ARD/<strong>ZDF</strong>-Techniker begannen ihre Arbeitvor Ort im Internationalen Fernsehzentrum (IBC)Mitte Juni. Studio, Regie und Schaltraum – dieHerzstücke aus technischer Sicht – und dazunoch diverse andere Arbeitplätze mussten eingerichtetwerden. Eben all das, was benötigt wird,um mehrere hundert Stunden Programm vor Ortsendefertig zusammenzustellen. Und da dasOlympiaprogramm zwar im IBC konfektioniertwird, der Sport aber »draußen« stattfindet, wurdeauch an einigen Sportstätten eigene Technikinstalliert, so beispielweise beim Schwimmen,Rudern und Reiten sowie bei der Leichtathletik.Ein Großteil des technischen Equipments wurdedirekt von der Fußball-EM aus Warschau nachDie Zusammenarbeit mit dem Organisationskomiteegestaltete sich in der Vorlaufphase schwierigerals je zuvor bei Olympischen Spielen. Vor allemdie Kollegen von Produktion und Technik wurdenschwer geprüft, denn die Sicherheitsauflagen undVorschriften nahmen in London eine Dimensionan, die so niemand erwartet hatte. So musstebeispielsweise jeder Mitarbeiter, der vor Ort inLondon zum Team gehörte, vor der Einreise eineschriftliche Sicherheitsprüfung ablegen. Als dieVorbereitungen abgeschlossen waren, wurdenauch die strengen Auflagen gelockert, und dieZusammenarbeit mit den britischen Kollegen gestaltetesich als sehr angenehm und deutlich entspannter,als man das zuvor erwarten durfte.Am 27. Juli war es dann, nach langen Monatender Vorbereitung, endlich so weit. Die Übertragungder Eröffnungsfeier war der Auftakt zu rund120 Stunden »<strong>ZDF</strong> Olympia live« aus London. DieFeier – ein beeindruckendes Spektakel, bei demsich London als lässige Metropole mit viel Humorpräsentierte, kam auch bei den deutschen Fernsehzuschauernan. Mit 11,46 Millionen Zuschauernin der Spitze und einem Marktanteil von 43,5Prozent stieß der Olympiaauftakt auf großen Zuspruchund schraubte die Erwartungen für diefolgenden Wettkampftage in die Höhe.Danach folgten im täglichen Wechsel mit der ARDnoch acht Sendetage, jeweils 15 Stunden, nurunterbrochen von den Nachrichtensendungen.Dreh- und Angelpunkt der Berichterstattung wardas Olympiastudio im IBC. Von dort führtenMichael Steinbrecher und Rudi Cerne durch dielangen Wettkampf- und Sendetage, begrüßtenzahlreiche Gäste und schalteten zu den Außenstellen,wo die Reporter und Moderatoren ganznah am Geschehen waren. Erstmals bei OlympischenSpielen wurde im deutschen Fernsehen60 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


auch der Zusammenhang von Sport und Psychologiein den Mittelpunkt gerückt. Dazu holte das<strong>ZDF</strong> den bekannten Sportpsychologen HansDieter Hermann in sein Team, der schon zahlreicheAthleten betreut hat und seit Jahren psychologischerBetreuer der Fußballnationalmannschaftist. Das <strong>ZDF</strong> beleuchtete in einer täglichenRubrik, welchen Stellenwert die mentale Krafteines Athleten hat. Aktuelle Fälle, aber auch bekannteMomente aus der Vergangenheit wurdenaufgegriffen und erläutert. Der Athlet als Menschund nicht als Maschine stand im Mittelpunkt.Aber trotz aller begleitenden Berichterstattung –das Herzstück Olympischer Spiele ist immer derLivesport. Und so standen natürlich die Ereignissein den Hallen und Stadien im Mittelpunkt der Berichterstattung.Rund 80 bis 90 Prozent der Sportberichterstattunglief im <strong>ZDF</strong> live, der Rest folgte inzeitnahen Zusammenfassungen, wenn mehrerewichtige Entscheidungen zeitgleich stattfanden.Die olympische Vielfalt stand immer im Mittelpunkt.Ein Zahlenspiel:●●Täglich gab es 300 bis 450 Stunden bewegteBilder von Wettbewerben, dazu rund 100 StundenZusatzmaterial;●●Bis zu 50 Bildquellen standen parallel zur Auswahl;●●Bis zu zwölf Wettbewerbe wurden zeitgleichausgestrahlt;●●Insgesamt gab es 26 Sportarten mit mehr als300 Wettbewerben.Kein anderes Sportereignis ist so vielfältig wieOlympische Sommerspiele, bei keinem anderenSportereignis findet so viel attraktiver Sport zurgleichen Zeit statt. Oder anders gesagt: Bei keinemanderen Sportereignis ist die Kunst desWeglassens so gefragt wie hier. Um den Zuschauerndennoch so viel Olympia wie möglich zu bieten,wurde ein umfangreiches Online-Livestreamingangeboten (siehe Seite 66).Insgesamt wurde die Berichterstattung des <strong>ZDF</strong> inder Presse durchweg positiv gesehen, als abwechslungsreich,kurzweilig und kompetent bewertet.Eine zu Beginn der Spiele aufkeimendeKritik, es würde mehr aufgezeichnet als live gesendet,konnte mit Livewerten von mehr als 80Prozent entkräftet werden. Auch in einer repräsentativenUmfrage unter den Zuschauern gab esüberwiegend gute Noten für die olympische Berichterstattung.73 Prozent der Befragten wertetendie Sendungen als gut oder sehr gut, vor allemdie Machart und Kompetenz wurde gelobt underzielte Werte von über 90 Prozent.Schaut man insgesamt auf diese Sommerspielezurück, bleibt für uns als Programm-Macher dasschöne Gefühl, dieses Ereignis erfolgreich übertragenzu haben. Aber es bleibt noch viel mehr.Besondere Momente, die wir denen zu verdankenhaben, um die es beim weltgrößten Sportereignisging: den Athletinnen und Athleten. Keiner wirdden Fechtkrimi mit Britta Heidemann so schnellvergessen, ebenso wenig wie den Sieg des Ruder-Achters,der Hockey-Herren oder des Beachvolleyball-Duos.Unzählige nationale und internationale Beispielekönnte man auflisten. Diese besonderen Momentelassen sich nicht vorhersagen, schon garnicht programmieren. Aber genau das macht dieFaszination Olympia aus.Der deutsche Ruder-Achter:munter oder geschafftFaszination OlympiaI 61


»Behindertensport in der Mitte der Gesellschaft«Bundespräsident Gauck würdigt Paralympics im <strong>ZDF</strong>Peter KaadtmannARD/<strong>ZDF</strong>-Paralympics-TeamchefDie bisher größten Paralympics wurden indiesem Jahr zweieinhalb Wochen nach denOlympischen Spielen in London ausgetragen.Die Hauptredaktion Sport hat über dieseVeranstaltung so umfangreich wie noch nieberichtet und weist damit zugleich dem Behindertensporteinen immer stärker werdendenPlatz zu, der ihm nicht nur ausreinem Programmauftrag gebührt.Es war die spannende Schlussphase im Viertelfinaleder Rollstuhl-Basketballer. Deutschland hattesouverän gegen die USA begonnen, verlor abergegen Spielende den berühmten Faden und lagnun um einige Punkte zurück. Als der deutscheSpielmacher ein weiteres Mal den Korb verfehlte,kritisierte Norbert Galeske, Reporter der Liveübertragungim <strong>ZDF</strong>, den Spieler und seinen Fehlwurfmit harten Worten: »Jan Haller – ein Totalausfall!«Der so Gescholtene konnte vor lauter Ärger überdiesen niederschmetternden Kommentar in derNacht kaum schlafen, wachte aber am nächstenMorgen mit der freudigen und stolzen Erkenntnisauf, endlich als Leistungssportler bewertet wordenzu sein. Sein unglückliches Spiel hatte die harscheKritik hervorgerufen. Auf seine Behinderungwurde hier keinerlei Rücksicht genommen.Nichts beschreibt den Wunsch der meisten Athletenbesser als diese kleine Begebenheit: Sietreten als Sportler an, austrainiert, leistungsfixiertund mit allerhöchsten Erwartungen an sich selbst.Behinderung spielt in ihren Köpfen nur insoferneine Rolle, als sie diese mit bester Physis undmodernen technischen Hilfsmitteln ausgleichenwollen. Mittlerweile sind die Ergebnisse nicht nurphänomenal, die Bewegungsabläufe folgen bereitshöchsten Gütekriterien der Trainingslehre –vorbildlich zu sehen bei dem Weltrekordsprungauf 7,35 Meter des unterschenkelamputiertenMarkus Rehm mit einer Federprothese.In den Paralympics-Tagen von London ertappteman sich selbst dabei, angesichts solcher Ästhetikder Bewegung und Spannung in den Wettkämpfendie Behinderung zu übersehen. Als gäbees sie nicht mehr. Vielleicht ist das die unabwendbareFolge unserer Art der Berichterstattung: Beschreibungder körperlichen Beeinträchtigungund die daraus abzuleitenden Folgen für jedeneinzelnen, dann aber im Hauptsächlichen diesportliche Auseinandersetzung in den Mittelpunktstellen und ihr viel Raum geben. SchreibendenKollegen sind wir da offensichtlich um einiges voraus:»Journalisten gehen unheimlich gern auf dieGute Laune inklusive:Mexikanische Band mit Bobbyim Olympischen ParkMarkus Rehm siegt im Weitsprungmit 7,35 Metern62 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


Einzelschicksale von behinderten Sportlern ein –und die wiederum finden die Reduzierung in derRegel besonders schlimm.« (KommunikationsundMedienwissenschaftler Thomas Schierl inFaktor Sport 3/<strong>2012</strong>).Seit 2000, als im <strong>ZDF</strong> die großflächige Darstellungder Paralympics begann, hat die HauptredaktionSport ihren Auftrag stets im Sinne der Athletenverstanden. Ziel ist die Emanzipation, also die(konzeptionelle) Gleichbehandlung nichtbehinderterund behinderter Teilnehmer der Olympischenund Paralympischen Spiele. Das mag manchenZuschauer zunächst erschrecken, wenn, wie imoben genannten Beispiel, so »gefühllos« journalistischseziert wird – und es mag auch manchenerschrecken, die Menschen in all ihrer Ungelenkheitund mit fehlenden Körperteilen in Großaufnahmepräsentiert zu bekommen. Jede Form derverbalen und optischen Beschönigung oder gar»deutscher Betroffenheitspose« (SchriftstellerMaximilian Dorner, Rollstuhlfahrer) wäre abernichts anderes als jene hyperkorrekte Haltung, dieals ebenso manipulativ wie gönnerhaft empfundenwerden kann.Ruprecht Polenz, Vorsitzender des <strong>ZDF</strong>-Fernsehrats,hat jüngst in einem Interview mit der <strong>ZDF</strong>-Mitarbeiterzeitschrift Kontakt erklärt: »Ein öffentlich-rechtlicherFernsehsender hat relevant zusein, was bedeutet: Er muss ein Massenmediumsein, das alle Schichten der Gesellschaft erreicht– altersmäßig, geschlechtsspezifisch, sozial undregional«. Das schließt, so darf angenommenwerden, umgekehrt die uneingeschränkte Berücksichtigungall dieser Schichten in Sendungen mitein. Für den Sport hat sich das <strong>ZDF</strong> in seinerSelbstverpflichtungserklärung auferlegt, dassneben der Übertragung größerer nationaler undinternationaler Wettbewerbe auch die individuellenund gesellschaftlichen Funktionen desSports aufzugreifen sind.Igel rotweiß: Ausstellungs- undAktionsbau im Olympic Park7,3 Millionen schwerbehinderte Menschen lebenin Deutschland – das sind immerhin 8,9 Prozentder Gesamtbevölkerung. Ihnen kann und mussfolglich das Recht zugestanden werden, aus »innerer«Betrachtung – wenn das denn irgend möglichist –, zumindest mit höchstmöglicher Kennt-Mehr als 2,7 MillionenZuschauer besuchen dieParalympics»Behindertensport in der Mitte der Gesellschaft«I 63


Internationales Fernsehzentumund Riverside Arena imOlympic ParkDie Paralympischen Sommerspieleim Quotenüberblicknis, ihre Lebenswelt, auch die des Leistungssportswiderzuspiegeln.ProgrammstatistikSo klar statische Kennzahlen erscheinen mögen,so sehr sind gelegentliche Erklärungen und Ergänzungennotwendig.Ort2000 Sydney2004 Athen2008 Peking<strong>2012</strong> LondonÜbertragungenQuotenSender Länge Gesamt Ø Mio Ø MAARD 07:530,78 9,615:56<strong>ZDF</strong> 08:03 0,66 8,7ARD 05:030,73 8,410:57<strong>ZDF</strong> 05:54 0,74 7,3ARD 13:020,90 7,630:03<strong>ZDF</strong> 17:01 0,85 9,1ARD 28:050,93 8,856:03<strong>ZDF</strong> 27:58 0,75 8,6Die Übersicht verrät ein über Jahre annäherndgleichbleibendes, mittleres Zuschauerinteresse.Da aber die Übertragungen von Beginn an ins VorundNachmittagsprogramm gelegt wurden, istdas zu diesem Zeitpunkt erreichbare Zuschauerpotenzialeher gering – dennoch zum Vorteil einesbesseren prozentualen Marktanteils. In diesemJahr sahen 6,54 Millionen Zuschauer zumindesteine der Sendungen im <strong>ZDF</strong>, die in der Regel von10.30 bis 16 Uhr ausgestrahlt wurden. Die ARDhatte kürzere Sendungen drei Mal über den Tagverteilt. Deren Potenzial lag mit 15,96 Millionen umdas Zweieinhalbfache höher als das des <strong>ZDF</strong>.Etwas mehr als ein Viertel der deutschen Gesamtbevölkerungkam demnach auf einem der beidenSender mit den Paralympics <strong>2012</strong> in Berührung.Beachtlich ist auch der PAP-Wert 1 , der mit 9,0 vonmöglichen zehn Punkten (ARD 8,9) zwar knappunter dem von vor vier Jahren in Peking rangiert(<strong>ZDF</strong> 9,2/ARD 9,3), dennoch aber den Sendungenein fast überragendes Niveau bescheinigt. BeiKriterien wie »modern/zeitgemäß«, »lebendig-dynamisch«,»unterhaltsam« und »abwechslungsreich«streifen oder erreichen die Beurteilungendie Zehn-Punkte-Grenze.Im Quervergleich zu den Olympischen Sommerspielenist ein leicht besseres Ergebnis auszumachen:ARD und <strong>ZDF</strong> werden dort mit 8,6 bewertet.Zieht man als weitere Bezugsgröße noch denSenderschnitt mit je 8,5 hinzu, erzielen die Paralympics-Sendungenein überdurchschnittlichesErgebnis.Damit findet das Gestaltungskonzept eine überauserfreuliche Bestätigung. Die Angleichung andie Olympia-Übertragungen – besonders erkennbarunter anderem an dem identischen Studiound weiteren, grafischen Elementen – ist gelungen.Die gezielte, ständig aktualisierte Dramaturgiemit einer Mischung aus spannenden Liveabschnitten,gelungenen Reportagen und Hintergrundberichtensowie die Studiogespräche mit1 Program Appreciation Panel (Programmbewertungs-Panel):Instrument der <strong>ZDF</strong>-Medienforschung zur kontinuierlichenErfassung der Zuschauerzufriedenheit64 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


den Siegern ist inhaltlich vergleichbar. Nur die erklärendenBeiträge sind anders und ausführlicherwegen der oft recht komplizierten Materie desBehindertensports. Außerdem steht mit MatthiasBerg seit nunmehr zwölf Jahren ein Experte bereit,dem es als contergangeschädigtem, mehrfachemParalympics-Sieger im Sommer und Winter gelingt,die unerlässliche interne Perspektive behinderterSportler geradezu beispielhaft und sprachgewandtzu vermitteln.Nicht zu vergessen aber auch die Leidenschaft,mit der alle beteiligten Kolleginnen und Kollegenan den Sendungen mitgewirkt haben. Produktionund Technik – oft senderübergreifend – habenbeste Arbeitsvoraussetzungen geschaffen undsorgten für pannenfreie Übertragungen. Und dieRedakteure lassen in ihren Bewertungen erkennen,wie wichtig ihnen die Mitarbeit im <strong>ZDF</strong>-Teammittlerweile geworden ist, einem Team, das seineStärke aus steigender Fachlichkeit und Kooperationsbereitschaftbezieht.Aus vielen Programmhöhepunkten ragte gleicham ersten Sendetag des <strong>ZDF</strong> das Studiogesprächmit Bundespräsident Joachim Gauck heraus.Sichtlich engagiert hob er die Haltung vonBehindertensportlern als Symbol für unser Daseinin unserer politischen Welt heraus. Viele Menschenwürden die Zeiten und Politiker als schlechtbezeichnen, erlahmen und nicht zur Wahl gehen.Sportler mit Behinderung dagegen würden an ihreLeistungsgrenzen gehen, ihre Möglichkeiten erkennen,erweitern und sich trotz ungenügenderLebensumstände engagieren.Im Frühjahr 2014 werden die Winter-Paralympicsim russischen Sotschi ausgetragen. Das <strong>ZDF</strong> wirdwieder mit dabei sein. Aus mehrfacher Überzeugung!Auszüge aus dem Studiointerview mit BundespräsidentJoachim Gauck am 30. September<strong>2012</strong> in »<strong>ZDF</strong> Paralympics live«. Darin mahnteer Respekt vor Menschen an, die Hochleistungenbrächten und sich noch mehr anstrengenmüssten als andere Leistungssportler:»Deren Leben ist nun weiß Gott nicht rosig,sondern sie haben ein deutliches Handicap,und dann machen sie etwas daraus und gehenan ihre Leistungsgrenzen, erweitern diese Leistungsgrenzen,und sie werden dabei nicht unglücklicher,sondern sie haben total großartigeLebensgefühle und zeigen damit, dass nichtdas Dasein im Mangel oder mit einer Behinderungetwas ist, was uns dauernd binden mussan schlechte Gefühle. Und darum denke ich,dass diese Sportler mit ihrem Leistungsvermögenauch ein Symbol sind für unsere Definition:Wie verstehen wir unser Leben? Sind wir nur betrübtüber die Mängel oder engagieren wir uns?Behindertensportler sind Botschafter für dieMöglichkeiten, die in uns stecken, sie zu sehenund nicht nur zu sagen: Ich bin ja eigentlichganz begabt mit allem, sondern mit den Mitteln,die ich habe, mich einzubringen und meine Potenzialezu erkennen und zu erweitern. (…) DieParalympics im Vergleich zu den OlympischenSpielen: Es reißt mich mehr mit, will ich Ihnensagen. Es ist einfach für mich noch faszinierender,diesen Mut dieser Menschen zu sehenund auch dieses ›Ja‹ zu einem Leben, das nichtperfekt ist. Aber es ist mein Leben, und ich willes gestalten! Das ist toll!«Bundespräsident Gauck unterstreichtden Vorbildcharakter vonBehindertensportlern»Behindertensport in der Mitte der Gesellschaft«I 65


Sechs Streams rund um die fünf RingeOlympische Rekorde für die <strong>ZDF</strong>mediathekAndreas HeckLeiter der Redaktion Sport onlineSparsam mit den Ressourcen umgehen undgleichzeitig die Vielfalt des olympischenLivesports darstellen. Für die Onlineangebotedes <strong>ZDF</strong>, die erst Ende April in überarbeitetenVersionen ins Netz gegangen sind,war das parallele Livestreaming zu den Sommerspielen<strong>2012</strong> in mancher Hinsicht eineneue Herausforderung.Dass die Eröffnungsfeier in voller Länge, eine Zusammenfassungmit Ausschnitten daraus und die»Kompakt«-Nachrichten zu den erfolgreichstenAbrufvideos der Olympischen Spiele gehören, warkeine Überraschung. Die Frage, ob und wie einLivestreaming mit bis zu sechs parallelen Übertragungenvon Wettbewerben der Londoner Spielerealisiert werden kann, versprach da schon mehrSpannung. Grundlage war ein gemeinsamer Beschlussvon ARD und <strong>ZDF</strong>, die Liveübertragungenneben dem Hauptprogramm nicht mehr in denDigitalkanälen, sondern über Internet-Ausspielwegezu den Zuschauern zu bringen. Der Markthält dazu inzwischen weitgehend konfektionierteLösungen bereit, die beeindruckende Möglichkeitenversprechen, aber auch ebensolchefinanzielle Mittel erfordern und am Ende Insellösungendarstellen, die nur bei den OlympischenSpielen hätten eingesetzt werden können.Am Ende gab es neben dem Plan, die Kosten undden Personaleinsatz gegenüber den Spielen vonPeking 2008 zu reduzieren, einen weiteren gutenGrund, das Projekt zu einem großen Teil im <strong>ZDF</strong>zu realisieren. Die damit verbundene Weiterentwicklungdes Online-Innovationsmotors <strong>ZDF</strong>mediathekund die mögliche Nutzung für weiteresportliche Großereignisse wie die ChampionsLeague und darüber hinaus auch für Formate außerhalbdes Sports.Auch für das Streamingprojekt wurde eine engeZusammenarbeit mit der ARD angestrebt, wie siebei der Kommentierung der zusätzlichen Liveübertragungenmit »Auswärtsspielen« der Reporterin den Digitalkanälen schon Tradition hatte.Damit diese Zusammenarbeit für beide Seiten mitmöglichst geringem Aufwand verbunden bleibenkonnte, musste es ein gemeinsames Redaktionssystemgeben. Es musste auf der einen Seite eineeinheitliche, übersichtliche Planung der Reportereinsätzeerlauben, auf der anderen Seite die Ergebnissedieser Sendeplanungen an die Systemevon ARD und <strong>ZDF</strong> weitergeben, wo sie in den jeweiligenelektronischen Programmführern unterschiedlichdargestellt werden sollten.Das Projektteam aus der Hauptredaktion NeueMedien um Eckart Köberich und Alexander Pfeifferrealisierte das ECMS (Event Content ManagementSystem) als Weiterentwicklung eines Tools,das bereits für die Aufbereitung der interaktiven»heute-journal plus«-Ausgaben genutzt wird. Einzentrales neues Element war ein EPG (ElektronischerProgramm-Guide) in der <strong>ZDF</strong>mediathek,der die Nutzer durch das Liveprogramm führteund den notwendigen Orientierungspunkt darstellte,da Anfang und Ende der Übertragungenvon Wettbewerben nicht in herkömmlichen Musternlinearer Programme beschrieben werdenkönnen.Für die einzelnen Streams selbst gab es danneine ganze Reihe von technischen Neuerungenund Features. So wurde kurz vor den OlympischenSpielen das so genannte adaptive Streamingeingeführt – eine Technik, die die Qualitätdes laufenden Signals an die Bandbreite beziehungsweisedie aktuellen Netzwerkbedingungenbeim Empfänger anpasst. Weitere neue Option:66 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


Der EPG mit dem Olympia-Livestream-Programm in der<strong>ZDF</strong>mediathekDie zuschaltbaren interaktivenFeatures zum laufenden Bilddie Pausentaste inklusive Rücksprungfunktion.Die Zuschauer konnten den Stream nicht nur anhaltenund zu einem späteren Zeitpunkt weiterschauen.Wer zu spät einschaltete, konnte bis zu60 Minuten auf der Zeitachse einer Übertragungzurückspringen. Das Livestreaming wurde auchfür mobile Plattformen im Rahmen der <strong>ZDF</strong>mediathekumgesetzt und war so mit Geräten wieTablet-Computern und Smartphones erreichbar.Die Zuschauer konnten beim Betrachten der einzelnenStreams noch weitere Features nutzen. Sogab es etwa die Möglichkeit, redaktionelle Nachrichtenoder Sportdaten mit Ergebnissen oderStartlisten zu den jeweiligen Wettbewerben einzublenden,zugeordnete Abrufvideos mit Hintergrundbeiträgenanzusteuern oder über eine einfacheÜbersicht in andere laufende Liveübertragungenspringen zu können. Die Nachrichten, mitdenen zum Beispiel der Beginn von Übertragungenauf einem anderen Kanal angekündigtwurde, konnte, wie der Ticker, der die Übertragungenmit kurzen Textmeldungen begleitete, individuellangepasst werden.Die Nutzer hatten die Möglichkeit, die Sportartenvorauszuwählen, zu denen sie entsprechende Informationenbekommen wollten. Die entscheidendePhase in der Umsetzung dieses Onlineprojektslief parallel zum Relaunch der gesamtenOnlineangebote des <strong>ZDF</strong>, in den viele am Projektbeteiligte Kollegen ebenfalls eingebunden waren –eine besondere Herausforderung an das Arbeitspensumder beteiligten Abteilungen. Beeindruckendwar dann die Punktlandung, mit derdieser Abschnitt des Projekts abgeschlossen unddas System zur Befüllung an die Sportredaktionübergeben werden konnte.Der Leiter des Livestreamingprojekts in der HauptredaktionSport, Daniel Wever, übernahm gemeinsammit einer Kollegin des NDR die Planung derÜbertragungen im Vorfeld der Spiele und währendder Sendetage sowie die Disposition der Reporter.Während für die lineare Darstellung in den Digitalprogrammeneinst noch komplexe Regien erforderlichwaren, wurden in London die Streams nurnoch von zwei Tontechnikern im Schichtbetriebund jeweils einem Senderedakteur betreut. Die soentstandenen Signale wurden nach Deutschlandübertragen und in Hamburg beziehungsweise inMainz in die jeweiligen Onlineformate der Mediathekenumgewandelt. Gesendet wurden dieLivestreams gleichzeitig in den Onlineangebotenvon ARD und <strong>ZDF</strong>, unabhängig von der Anstalt,die am jeweiligen Sendetag das olympischeHauptprogramm gestaltete.An <strong>ZDF</strong>-Hauptprogramm-Sendetagen waren dieARD-Fachreporter für die Livestreams im Einsatz,an ARD-Tagen entsprechend die <strong>ZDF</strong>-Reporter.Auf diese Weise konnten die deutschen Zuschau-Sechs Streams rund um die fünf RingeI 67


Das ECMS: Redaktionssystem fürdie Planung und Darstellung derOlympia-Streamser mehr als 1 000 Stunden Olympia zusätzlichzum Hauptprogramm sehen, mehr als 75 Prozentkommentiert von ARD- und <strong>ZDF</strong>-Kollegen. Die imVorfeld der Spiele angekündigten Prognosen von900 Stunden – und davon zwei Drittel kommentiertenStreams – konnten noch gesteigert werden.Lange Sendestrecken von Sportartenwie Bogenschießen oder Synchronschwimmenwurden auf diesem Weg angeboten. DasZiel, die olympische Vielfalt darzustellen undsie gleichzeitig journalistisch zu begleiten, wurdeerreicht. Der Zuspruch der Nutzer übertrafdabei selbst hohe Erwartungen und ergab neueRekordwerte in der Zuschauerakzeptanz der <strong>ZDF</strong>mediathek.Neben der erfreulichen Zuschauerakzeptanzgab es ein sehr positives Medienechound begeisterten Zuspruch von Kollegen, die erwartenlassen, dass das Projekt kein Einzelfallbleibt. Die neuen Features gehören inzwischenzum Standardrepertoire bei wichtigen Sportübertragungen,und Freunde der olympischen Vielfaltdürfen sich auf die Curling-Wettbewerbe bei dennächsten Winterspielen in Sotschi im Februar2014 freuen.68 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


Ein britisches SommermärchenLondon <strong>2012</strong>: Eine Stadt entdeckt sich neuEs war ein einmaliger Sommer in London:Thronjubiläum, Olympische und ParalympischeSpiele. Die größte Show aller Zeitenhatten die Briten versprochen. Und am Endezeigte die ganze Nation der Welt und sichselbst eine völlig neue Seite: selbstbewussteGewinner statt höflicher Verlierer.Um 15 Uhr Ortszeit läuteten am 3. Juni <strong>2012</strong> inLondon und ganz Großbritannien die Glocken. Eswar der Beginn eines Jahrhundertfests. Eineganze Nation feierte ihre Königin. Mit einerSchiffsparade, so prächtig, wie es sie noch nie aufder Themse gegeben hat, mit zehntausendenZuschauern an den Ufern und Millionen vor denFernsehschirmen.Ganz vorne, auf der königlichen Barkasse: diegesamte »Firma«, wie Prinz Philip sie gerne nennt,die wichtigsten Mitglieder der königlichen Familieinklusive den Glamour-Stars Prinz William undseine Frau Kate. Die Queen hatte trotz Sicherheitsbedenkendarauf bestanden, dass alle anihrer Seite waren.Da wurde eine Frau geehrt, die sich in 60 Jahrenauf dem Thron als derzeit dienstälteste Monarchinder Welt mit ihrer Verlässlichkeit und Berechenbarkeitgroßen Respekt verschafft hat. Die ihremLand Stabilität vermittelt, besonders in schwerenZeiten.Kalter Krieg, der Zerfall des Britischen Empires,Beatles und Minirock, Terroranschläge undFinanzkrise, zwölf britische Premierminister undüber 150 ausländische Staats- und Regierungschefs:All das hat sie erlebt. Was auch immerpassierte – die Scheidungen ihrer Kinder und jedeMenge Skandale: Die Queen hat es durchgestanden.»Sie ist für uns eine Mutterfigur«, sagte uns ArthurEdwards, der sie seit Jahrzehnten als Fotografbegleitet. »Sie ist auf jeder Münze, auf jedemGeldschein, unsere Schiffe tragen ihren Titel. DieQueen ist wie ein Fels in der Brandung, sie istallgegenwärtig.«Nach neuesten Umfragen wollen fast 80 Prozentder Briten Elizabeth II. als ihr Staatsoberhauptbehalten. Auch junge Leute begeistert sie ganzoffensichtlich. Für sie ist die Queen ein Vorbild anDisziplin und Pflichterfüllung. Und selbst überzeugteRepublikaner meinen, dass sie bei allerSusanne GelhardLeiterin des <strong>ZDF</strong>-Studios LondonBritischer Olympia-FanMarathon rund um Big BenEin britisches SommermärchenI 69


und der schlimmsten Rezession seit Jahrzehnten,mit dem Niedergang der britischen Industrie undmit Sparmaßnahmen, die nur schwer zu vermittelnsind. Da hilft ein bisschen Glanz und Glamour, umganz nebenbei auch das eigene Image aufzupolieren.London im Olympia-FieberKritik an der Institution Monarchie beeindrucktsind von der Lebensleistung der Queen.In Dutzenden Beiträgen, einer großen 45-Minuten-Dokumentation und einer 15-minütigen Zusammenfassungam Tag der offiziellen Feierlichkeitenberichtete unser Team vom <strong>ZDF</strong>-Studio Londonausführlich über die Hintergründe, Vorbereitungenund Höhepunkte des Thronjubiläums. Wir sprachenmit Verwandten, Freunden, Zeitzeugen undExperten. Wir ließen begeisterte, aber auch nachdenklicheund kritische Stimmen zu Wort kommen.Wir mischten uns unter die Queen-Fans, umunsere Zuschauer teilhaben zu lassen an diesemfröhlichen, manchmal exzentrischen und sehrbritischen Fest.Vier Tage lang feierte die ganze Nation im Juni<strong>2012</strong> ihre Königin. Und sie feierte damit auch sichselbst. Großbritannien nahm das Jubiläum zumAnlass, um sich mit viel Party und gehörigem Pathosan seine glorreiche Vergangenheit zu erinnern,an die großen Zeiten des die halbe Weltumfassenden Britischen Empire, das Königin ElizabethII. zu Beginn ihrer Regentschaft im Jahr1953 noch erlebte.Das Diamantene Jubiläum war ein Glücksfall fürden britischen Premierminister David Cameron,der gehörig unter Druck steht. Seine Regierungkämpft mit den Folgen von Euro- und FinanzkriseRoyaler Pomp und Prunk: Ja, sie haben doch soihre Leidenschaften, die kühlen Briten. Besonders,wenn es um ihre Königin geht und um denSport. Und somit waren die Olympischen undParalympischen Spiele in London der zweitegroße Höhepunkt dieses Sommers, an dessenEnde eine Nation zu bewundern war, die der Weltund sich selbst eine völlig neue Seite zeigte:selbstbewusste Gewinner statt höflicher Verlierer.Doch zunächst sah alles ganz anders aus. Dasgroßartige olympische Fest, über Jahre vorbereitetund als »größte Show aller Zeiten« angekündigt,drohte im letzten Augenblick zur organisatorischenKatastrophe zu werden. Olympia-Alarmüberall: Die Kosten explodierten von drei auf 13Milliarden Euro. Die Londoner Tube, die ältesteU-Bahn der Welt, drohte trotz aller Umbauarbeiten,unter dem Ansturm von elf Millionen Besuchernzu kollabieren. Immer dichtere Staus legtendas Zentrum von London völlig lahm. Die Taxifahrerund Busfahrer streikten für höhere Löhne undbessere Arbeitsbedingungen. Plötzlich entdecktedie private Security-Firma, die die Spiele sichernsollte, dass ihr Tausende qualifizierte Mitarbeiterfehlten. Und über all dem hing der graue britischeRegen.Als dann kurz vor Eintreffen der ersten Sportlerauch noch das Grenzpersonal am FlughafenHeathrow die Arbeit niederlegen wollte, da schienendie Sommerspiele, bevor sie überhaupt begonnenhatten, ins Wasser zu fallen.»Schluss mit dem Gejammere!«. Mit einem dramatischenAufruf rief der Londoner Bürgermeister70 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>


Boris Johnson seine Landsleute zur Ordnung.Und wieder einmal bewies sich das britische Talent,Chaos auf wunderbare Weise zu lichten: mitEinfallsreichtum, Humor und »stiff upper lip«. DieGrenzer sagten ihren Streik ab, Tausende Soldatensprangen für die Sicherheit ein, viele Londonerflüchteten in den Urlaub und machten Straßenund U-Bahn frei für Touristen und Sportler. Sogarder Regen hörte auf.Als dann noch die Queen höchstpersönlich beider Eröffnungsfeier im Olympiastadion am 27. Juli<strong>2012</strong> einen atemberaubenden Auftritt als BondGirl hinlegte, war endgültig klar: Das werden einmaligeOlympische Sommerspiele. Vergessen dieNegativschlagzeilen, willkommen im Olympiataumel.Die Stimmung auf dem Olympiagelände und denanderen Sportstätten stieg mit jedem Tag. Bereitsam ersten Wochenende säumten Hunderttausendedie Wettkampfstrecken in der Stadt, der britischeSportsgeist steckte alle an. Das Beachvolleyball-Stadionzwischen Downing Street undBuckingham-Palast entwickelte sich zur heißenPartyzone. Beatles-Ikone Paul McCartney jubelteden Sportlern mit »Hey Jude« zu – Seite an Seitemit William und Kate.Wir vom <strong>ZDF</strong>-Studio London waren mittendrin. Mitausführlicher Berichterstattung über das, wasnicht nur in den Sportstätten, sondern auch außerhalbstattfand, ergänzten wir die Übertragungenunserer Sportkollegen. Sicherheit und Stimmung,Touristen und Tickets, Organisation in olympischenZeiten: Das waren unsere Themen in über100 Beiträgen. Mit einer 30-minütigen Dokumentation»Very British« und einer 30-minütigen Reportage»Hallo London« stimmten wir unsere Zuschauerauf die Olympischen Spiele ein.Die Stars waren natürlich die Sportler – und diebritischen mit an der Spitze. Das Millionen-Förderungsprogrammder britischen Sportförderungzahlte sich aus, Großbritannien erlebte einen wahrenGoldregen. Die Zeitungen überschlugen sichmit Jubel-Schlagzeilen und Sonderdrucken. UndAndy Murray, bis dahin ewiger Verlierer bei Wimbledon,gewann dort nun endlich olympischesGold. Selbst die härtesten Männer brachen vorlaufenden Kameras in Tränen aus.Die britische Klassengesellschaft entdeckte mitden Sommerspielen Multikulti im eigenen Land:den zweifachen Langstrecken-GoldmedaillengewinnerMo Farah, der im Alter von acht Jahren alssomalisches Flüchtlingskind ins Land gekommenwar, oder die farbige Boxerin Nicole Adams, dieam gleichen Tag Gold gewann wie die Dressur-Queen Charlotte Dujardin. Gold überwindetsoziale Gräben, jubelte Britannien.Einmal tief durchatmen – und es folgten die bestenParalympischen Spiele aller Zeiten, wie späternicht nur die Londoner sagten, sondern auchSportler, Fans und Funktionäre. Es waren ParalympischeSpiele der Superlative: Mit 2,7 MillionenTickets zum ersten Mal ausverkauft, mit Liveübertragungenvon nie dagewesenem Ausmaß, auchim <strong>ZDF</strong>. Der britische Sender Channel 4 stilisiertedie Paralympics mit seiner Berichterstattung undeiner Werbekampagne zum Kult. »Treffen Sie dieÜbermenschlichen«, so der Slogan. So mancherRollstuhlfahrer, der sich täglich mühsam durchDas Beachvolleyballstadion anden Royal Horse GuardsEin britisches SommermärchenI 71


London kämpfen muss, konnte da nur hoffen,dass diese Begeisterung auch ihre Auswirkungenauf die Zeit nach den Spielen hat.»Inspire a Generation« – die Jüngeren inspirieren.Das war Motto und Anliegen dieser OlympischenSpiele. Viele hoffen jetzt, dass die Krise, in dersich das Land befindet, nicht nur für ein paarWochen weggefeiert wurde, sondern dass derolympische Geist nachhaltig Wirkung zeigt.So mancher versucht, aus dem olympischen Erfolgpolitisches Kapital zu schlagen. Boris Johnsonzum Beispiel, der Bürgermeister von London,ist zu einem der gefährlichsten Rivalen von PremierDavid Cameron geworden. Der musste sich aufdem Parteitag der Konservativen im Oktober bereitsdie guten Ratschläge seines Parteifreundesanhören: »Wir sollten uns die Lektion der OlympischenSpiele zu Herzen nehmen. Den Moment,als wir wiederentdeckten, dass wir ein Land sind,das es kann. Ein kreatives Land voller Zuversicht.So bekommen wir die Goldmedaille der Weltwirtschaft«,meinte Boris Johnson da.Nach drei Monaten britischem Sommermärchenfolgt wieder der schwierige Alltag. Doch vielleichtwird er trotz allem ein bisschen leichter – meinenjedenfalls einige Kommentatoren, beispielsweiseder des Independent: »Großbritannien ist jetzt einbesseres, fröhlicheres und selbstbewussteresLand, auch in diesen schweren Zeiten.«72 I<strong>2012</strong>.<strong>Jahrbuch</strong>

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