Zeitschrift SENIOREN - Senioren Zeitschrift Frankfurt
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Aktuelles und Berichte<br />
Schluss mit billigen Pflegekräften aus dem Osten?<br />
Die Freizügigkeit für die jungen EU-Mitglieder bietet neue Perspektiven<br />
Seit dem 1. Mai 2011 gilt die „Freizü<br />
gigkeit“ innerhalb der EU auch fü r<br />
Estland, Lettland, Litauen, Polen, die<br />
Slowakei, Slowenien, Tschechien und<br />
Ungarn. Was das fü r den hiesigen<br />
Pflegemarkt bedeutet, darü ber sind<br />
Experten geteilter Meinung.<br />
Zunächst einmal bedeutet die volle<br />
Arbeitnehmerfreizügigkeit, dass Pflegekräfte<br />
aus diesen Ländern jetzt ganz<br />
legal und nach Tarif bezahlt in Deutschland<br />
arbeiten können. Seit dem 1. Mai<br />
kann sich jetzt zum Beispiel eine polnische<br />
oder slowakische Pflegekraft eine<br />
reguläre Arbeit in Deutschland suchen.<br />
Deutsche Anbieter<br />
profitieren nicht unbedingt<br />
Der Bundesverband privater Anbieter<br />
sozialer Dienste (bpa) geht davon aus,<br />
dass in Deutschland etwa 300.000<br />
Arbeitskräfte in der Pflege fehlen. So gesehen<br />
ist die Grenzöffnung für die professionellen<br />
Pflegeanbieter in Deutschland<br />
eigentlich eine gute Nachricht. Das<br />
Ganze hat jedoch mehrere Haken: Die<br />
ausländischen Berufsabschlüsse sind in<br />
Deutschland häufig nicht anerkannt.<br />
Eine Krankenschwester aus Polen kann<br />
folglich nicht automatisch in Deutschland<br />
als Krankenschwester beschäftigt<br />
werden. Sollte es doch gelingen, erhält<br />
sie in Deutschland für ihre Arbeit weniger<br />
Lohn. Der finanzielle Anreiz, sich<br />
für eine Arbeit auf dem Pflegemarkt in<br />
Deutschland zu entscheiden, ist also<br />
gering.<br />
Privathaushalte benötigen<br />
bezahlbare Hilfen<br />
Was die Pflege Älterer angeht, so ist es<br />
in Deutschland bisher nicht gelungen,<br />
Rahmenbedingungen für eine bezahlbare<br />
Lösung im eigenen Heim zu schaffen.<br />
Deshalb sind viele Privathaushalte darauf<br />
angewiesen, Pflegekräfte aus dem<br />
Ausland – viele kamen bisher aus Polen<br />
– zu beschäftigen, und zwar in sogenannten<br />
prekären Beschäftigungsverhältnissen,<br />
die nicht legal sind. Deutschland<br />
gehört mit Österreich, Polen und<br />
Italien zu den Ländern Europas, die<br />
einen besonders hohen Anteil an illega-<br />
24 SZ 4 / 2011<br />
Die Rahmenbedingungen für häusliche Pflegekräfte<br />
müssen dringend geändert werden.<br />
Foto: Ergo Direkt Versicherungen Fürth<br />
ler Beschäftigung in Privathaushalten<br />
Älterer haben. Man spricht von einem<br />
„grauen Pflegemarkt“. Sigrid Rand vom<br />
Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur<br />
(IWAK) in <strong>Frankfurt</strong> am Main geht<br />
davon aus, dass in Deutschland etwa<br />
300.000 bis 600.000 Beschäftigte in<br />
Privathaushalten älterer Menschen leben.<br />
90 bis 95 Prozent dieser Beschäftigten<br />
in Privathaushalten arbeiten nicht<br />
legal. Sozialabgaben von etwa 40 Prozent<br />
und die hohe Mehrwertsteuer sorgen<br />
dafür, dass der „offizielle“ Stundenlohn<br />
nicht unter 18 Euro liegen kann. Die<br />
Schwarzarbeit mit etwa acht Euro pro<br />
Stunde ist also unschlagbar günstig.<br />
Aber werden die illegal Beschäftigten<br />
jetzt in legale Beschäftigungsverhältnisse,<br />
vielleicht sogar in anderen Branchen,<br />
abwandern? Das Deutsche Ärzteblatt<br />
geht davon aus, dass die illegal<br />
Beschäftigten von der EU-Reform nicht<br />
betroffen sind. Viele illegal Beschäftigte<br />
stammen aus Ländern wie der Ukraine,<br />
Weißrussland oder Kroatien, und die<br />
neue Freizügigkeit bezieht sie nicht ein.<br />
Auch Sigrid Rand sieht bisher die<br />
Erwartungen nicht bestätigt. Haushalts-<br />
hilfen und Pflegekräfte aus beispielsweise<br />
Polen oder der Slowakei sind nicht<br />
unbedingt auf der Suche nach einem<br />
festen, legalen Beschäftigungsverhältnis.<br />
„Viele schätzen einfach die Flexibilität.<br />
Sie haben zum Beispiel selbst<br />
Angehörige, die Pflege benötigen, oder<br />
Kinder zu Hause und möchten sich gar<br />
nicht dauerhaft in Deutschland einrichten“,<br />
berichtet die Expertin.<br />
Von Frankreich lernen<br />
Im Gegensatz zu Deutschland ist es in<br />
Frankreich gelungen, die Schwarzarbeit<br />
in Privathaushalten zu reduzieren. Der<br />
damalige Arbeitsminister Jean-Louis<br />
Borloo hat 2004 einen Reformprozess in<br />
Gang gesetzt. Mit seinem Borloo-Plan,<br />
einem Bündel mit 19 Maßnahmen, ist es<br />
gelungen, die Schwarzarbeit innerhalb<br />
von nur vier Jahren um mehr als zwei<br />
Drittel zu senken. Gleichzeitig fanden<br />
600.000 Menschen eine legale Beschäftigung<br />
in Privathaushalten. „Vieles lässt<br />
sich auch in Deutschland realisieren“,<br />
meint Sigrid Rand. Dazu gehören einerseits<br />
subventionierte Pflegegutscheine<br />
für Bedürftige oder Steuervorteile für<br />
ältere Arbeitgeber. Andererseits müssen<br />
aber auch die Arbeitsbedingungen in Privathaushalten<br />
standardisiert werden.<br />
Deutschland steht hier ganz am Anfang.<br />
Von einer Legalisierung des grauen Pflegemarktes<br />
profitiert nicht nur der Staat<br />
durch zusätzliche Steuereinnahmen.<br />
Auch die Beschäftigten und nicht zuletzt<br />
die Familien und älteren Menschen<br />
gewinnen durch sie mehr Qualität und<br />
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