11.07.2015 Aufrufe

Das Leben Dietrich Bonhoeffers als Schule des Glaubens - Ev ...

Das Leben Dietrich Bonhoeffers als Schule des Glaubens - Ev ...

Das Leben Dietrich Bonhoeffers als Schule des Glaubens - Ev ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Pfarrer Dr. Thorsten Jacobi<strong>Das</strong> <strong>Leben</strong> <strong>Dietrich</strong> <strong>Bonhoeffers</strong> <strong>als</strong><strong>Schule</strong> <strong>des</strong> <strong>Glaubens</strong>Vortrag im Vorfeld der Mendener und HemeranerAufführung <strong>des</strong> Liedoratoriums ‚<strong>Dietrich</strong>Bonhoeffer’ von Matthias Nagel und <strong>Dietrich</strong> Storkim November 2009Im Jahre 1931, während seines erstenAufenthaltes in den USA, lernt <strong>Dietrich</strong> Bonhoeffereinen jungen Pfarrer aus Frankreich kennen.Während eines Gespräches stellen sich beidejungen Theologen die Frage, was sie mit ihrem<strong>Leben</strong> eigentlich wollten. Der französischeGeistliche hat nur einen Wunsch, er möchte einHeiliger werden. So sehr auch diese AntwortBonhoeffer beeindruckt, seine Antwort auf diegestellte <strong>Leben</strong>sfrage geht in eine etwas andereRichtung: Ich, sagt Bonhoeffer, ich möchteglauben lernen.<strong>Das</strong> <strong>Leben</strong> <strong>als</strong> <strong>Schule</strong> <strong>des</strong> <strong>Glaubens</strong>, das war fürBonhoeffer kein akademisches Projekt, das warvielmehr ein Anliegen, das zweierlei voraussetzteund einforderte: einerseits das Vertrautsein mitden Anliegen <strong>des</strong> christlichen <strong>Glaubens</strong>,andererseits aber auch die persönliche Teilnahmean den Fragen seiner Zeit. <strong>Das</strong> eigene <strong>Leben</strong> <strong>als</strong><strong>Schule</strong> <strong>des</strong> <strong>Glaubens</strong> zu erfahren, hieß vor allem,am <strong>Leben</strong> derer teilzunehmen, die <strong>Dietrich</strong>Bonhoeffer privat und beruflich anvertraut waren.Es hieß für ihn, teilzuhaben an der Geschichteund den Krisen der Völker, insbesondere amGeschick <strong>des</strong>jenigen Volkes teilzuhaben, dem<strong>Dietrich</strong> Bonhoeffer entstammte und dem er sichbis zum Ende verbunden und verpflichtet fühlte.Wir werden sehen, wie stark diese Aspekte derTeilnahme und Teilhabe den Werdegang <strong>Bonhoeffers</strong>bestimmt haben.Mein folgender Vortrag kann die Lektüre einerBiographie nicht ersetzen. Die Aufgabe, die mirgestellt wurde, zielte darauf, vor allem diezeitgeschichtlichen Hintergründe in Erinnerung zurufen. Mein Vortrag gliedert sich demnach in vierTeile. Die ersten drei nehmen Bezug aufdiejenigen Kontroversen, die für das Denken undHandeln <strong>Dietrich</strong> <strong>Bonhoeffers</strong> eine entscheidendeRolle gespielt haben. Es geht zum einen um dieKontroverse, die für die Weimarer Republik zurSchicks<strong>als</strong>frage wurde, nämlich um die Frage, wiemit den Zumutungen <strong>des</strong> VersaillerFriedensvertrages umzugehen sei. Schon frühbeteiligte sich der junge Bonhoeffer an derDiskussion. Zum anderen wird es um seinePosition gehen, die er gegenüber den deutschenStaatsbürgern jüdischer Herkunft und derenBehandlung durch den nation<strong>als</strong>ozialistischenUnrechtsstaat einnahm, es wird um diesogenannte „Judenfrage“ auch im Blick auf diedamalige Theologie und Kirche gehen. Wirwerden sehen, dass die Stellung, die Bonhoefferbezog, ihm in seiner Kirche eine ausgesprocheneAußenseiterrolle einbrachte. Schließlich wird esum seine Tätigkeit in Kreisen <strong>des</strong> deutschenWiderstan<strong>des</strong> gehen und damit um die Frage, obsein Tun eher politischer oder christlicher Naturwar. Darüber ist gerade nach 1945 eine heftiggeführte Kontroverse ausgebrochen. Im viertenund letzten Teil werden wir ein Fazit ziehen.I. Der Weg <strong>Dietrich</strong> <strong>Bonhoeffers</strong> ins <strong>Leben</strong> unddie erste große Kontroverse (1906-1932):Der Versailler Friedensvertrag <strong>als</strong>Bewährungskrise der Demokratie<strong>Dietrich</strong> Bonhoeffer hätte es sich einfach machenkönnen. Er hätte ein <strong>Leben</strong> in ruhigeren Bahnenführen können. <strong>Das</strong> großbürgerliche Elternhausbot ihm dazu hervorragendeAusgangsbedingungen. Der Vater Karl war einhochgeachteter Universitätsprofessor fürPsychiatrie, lange Jahre tätig <strong>als</strong> Leitender Arztder Charité in Berlin. Die Mutter Paula stammteebenfalls aus großbürgerlichem Hause. Ihr Vaterwar der Theologe Karl Alfred von Hase, zunächstkaiserlich-königlicher Hofprediger in Berlin, dannProfessor für praktische Theologie in Breslau.Dort wird <strong>Dietrich</strong> Bonhoeffer am 04. Februar1906 geboren, 10 Minuten vor seiner ZwillingsschwesterSabine. Obwohl mit Susanne dreiJahre später bereits das achte Kind der Familiedas Licht der Welt erblickt, ist Armut kein Themaim Hause Bonhoeffer. Nach der Übersiedelungnach Berlin führt man einen großzügigen, für diedamalige Zeit jedoch nicht ungewöhnlichen1


Haushalt: mit Erzieherinnen und Kindermädchen,einer Köchin, einer Küchenhilfe, Serviermädchen,Dienstmädchen zum Putzen, Hilfskräften zumHeizen, für den Garten, zum Anfertigen derKinderkleidung, zum Wäschewaschen. Außerdemgibt es noch einen Chauffeur, einen Tischler undanderes Personal. Im Ruhrgebiet finden sich zurgleichen Zeit Kohlearbeiter und ihre Familie inganz anderen Verhältnissen wieder: Lohnverlusteum mehr <strong>als</strong> 10 %, 10-Stunden-Schichten, Krankheitsseuchen,drohende Arbeitsplatzverlustedurch Rationalisierungsmaßnahmen. Nur mitMühe kann die Reichsregierung den bis dahingrößten Arbeiterstreik im Revier beenden, 3 Tagenachdem <strong>Dietrich</strong> und Sabine geboren waren.Die Bonhoeffer-Kinder werden in Berlin groß.Berlin ist Hauptstadt und Regierungssitz,Wissenschaftsmetropole, aber auch brodeln<strong>des</strong>Zentrum <strong>des</strong> künstlerischen und kulturellen<strong>Leben</strong>s. Hier geht <strong>Dietrich</strong> zur <strong>Schule</strong>, hier wird erspäter an Hochschule und Universität lehren.Berlin wird zugleich das Zentrum der großenpolitischen Auseinandersetzungen werden,1918/19 ebenso wie 1933. <strong>Das</strong> Haus der<strong>Bonhoeffers</strong> liegt in Grunewald, einem gepflegtenAkademikerviertel. Im Hause Bonhoeffer wird vielund gern musiziert. Je<strong>des</strong> Kind erlernt einInstrument, <strong>Dietrich</strong> spielt Klavier. Einewohlbehütete, glückliche Kindheit, ein durch unddurch idyllisches Familienleben, wäre da nicht der1. Weltkrieg, der auch von den <strong>Bonhoeffers</strong> einOpfer fordert: Walter, der zweitälteste Sohn,erliegt mit 17 Jahren seinen schwerenVerwundungen.Ungeachtet <strong>des</strong> erfahrenen Lei<strong>des</strong> geht <strong>Dietrich</strong>seinen Weg. 1923 baut er sein Abitur. Erentscheidet sich für das Theologiestudium. DerVater lässt ihn gewähren. Die Familie ist christlichgeprägt, wenn auch der Kirchgang nicht zu denFamilienritualen gehört, anders <strong>als</strong> etwa dasAbendgebet mit den Kindern. Vater Karl rechnetdamit, dass <strong>Dietrich</strong> irgendwann einmal dasruhige und beschauliche <strong>Leben</strong> eines Dorfpfarrersführen wird. Der Theologiestudent Bonhoeffer isteher auf eine akademische Karriere <strong>als</strong>Hochschullehrer aus. Zu beidem wird es nichtkommen. Die geschichtlichen Umstände nehmeneinen anderen Verlauf. Und <strong>Dietrich</strong> Bonhoefferwird an diesem Verlauf teilnehmen und teilhaben.Denn schon <strong>als</strong> junger Gymnasiast interessiertsich <strong>Dietrich</strong> für Politik, er bekommt die politischenKämpfe mit, die das öffentliche <strong>Leben</strong> in derWeimarer Republik erschüttern. Die Ermordung<strong>des</strong> Außenministers Walter Rathenau erlebt er inunmittelbarer Nähe mit. <strong>Das</strong> Thema, das ihnbesonders beschäftigt, ist die Frage, wieDeutschland aus den bedrückendenVerpflichtungen herauskommen kann, die derVersailler Friedensvertrag dem Land auferlegte.Ich komme damit zur ersten Kontroverse, mit dersich der junge, angehende Theologeauseinandergesetzt hat. Vorweg ein paarGrundinformationen: Der VersaillerFriedensvertrag zwischen dem Deutschen Reichund den alliierten Siegermächten wurde am 10.Januar 1920 unterzeichnet. Mit diesem Vertragging der 1. Weltkrieg offiziell zu Ende. Die Wahl<strong>des</strong> Ortes hatte symbolische Bedeutung: ImSpiegelsaal <strong>des</strong> Versailler Schlosses war 1871das Deutsche Kaiserreich proklamiert worden.Jetzt wird an der Stelle <strong>des</strong> alten TriumphesDeutschland eine tiefe Schmach auferlegt: <strong>Das</strong>Deutsche Reich wird vorerst nicht in denVölkerbund, dem Vorgänger der VereintenNationen, aufgenommen. Statt<strong>des</strong>sen soll es denSiegermächten hohe Reparationszahlungen <strong>als</strong>Wiedergutmachung leisten. Die Höhe ist nochnicht festgelegt. Später werden Summenangesetzt, die Zahlungen bis ins Jahr 1988vorsehen. Die wirtschaftlichen Bestimmungen <strong>des</strong>Vertrags zielen darauf, die deutscheWirtschaftsmacht auf Dauer zu zerstören. DieSchiffe der Handelsflotte sollen zum größten Teilausgeliefert, fast alle Strom- und Telegrafenkabelabgetreten werden, ebenso Kohle und Kohleprodukte.Darüber hinaus wird das gesamtedeutsche Privatvermögen im Auslandbeschlagnahmt, erhebliche Gebiete werden anBelgien, Frankreich und Polen abgetreten. AlleKolonien gehen verloren. Die Größe der Armeewird auf ein Min<strong>des</strong>tmaß beschränkt. Alsbesonders empörend wird der Artikel 231 empfun-2


den: In ihm wird Deutschland die alleinige Schuldam Weltkrieg zugeschrieben. Damit kommt es zueiner politischen und moralischen Ächtung <strong>des</strong>deutschen Volkes. In der Folgezeit erweist sichder Friedensvertrag <strong>als</strong> schwere Erblast für diejunge deutsche Republik. Obwohl Stresemannund Rathenau sich alle Mühe geben, durchdiplomatisches Geschick die Fesseln <strong>des</strong>Vertrags zu lösen, gelingt ihnen und anderenRegierungsvertretern dies nur in einemunzureichenden Maße. Die deutschen<strong>Leben</strong>smöglichkeiten bleiben so sehr eingeschnürt,dass die Republik für die Bürger immermehr zu einem ungeliebten Kind wird. Die Folgen<strong>des</strong> Versailler Friedensvertrages führen dieDemokratie in eine Bewährungskrise, die sie amEnde nicht übersteht.Dabei kann „historisch bewiesen werden, dassder Art. 231 <strong>des</strong> Versailler Vertrags eineUngerechtigkeit gegen unser Land ist und dasswir ein Recht haben zu protestieren.“ So äußertsich 1930 ein junger deutscher Akademiker ineinem Vortrag über den Weltkrieg und seineFolgen. Es ist niemand anderes <strong>als</strong> <strong>Dietrich</strong>Bonhoeffer. Seinen Vortrag hält er jedoch nicht inDeutschland, sondern in Amerika. Mehrfach hat erdort Gelegenheit, über die Not im Heimatland zuberichten, über die Revolution 1918, über dieFolgen der von England verhängtenHungerblockade, über die große Grippewelle, diemehr <strong>als</strong> 100.000 Opfer forderte, von den hartenWiedergutmachungszahlungen und die enormeKriegsschuld, die noch seine Enkel abzuzahlenhätten. Bonhoeffer schildert drastisch dieAuswirkungen der großen Krise von 1929, demZusammenbruch weiter Teile der realenWirtschaft mit immens ansteigenden Arbeitslosenzahlen.Mutig und mit äußerster Klarheit kommt erauf die ungerechte Behandlung Deutschlands zusprechen und dabei vor allem auf denKriegsschuldartikel. Wie eine unheilbare, eiterndeWunde wirke dieser Artikel fort. Bonhoeffer sprichtFragen der Gerechtigkeit, der Humanität, aberauch der Ehre <strong>des</strong> deutschen Volkes an. Mitseinen ergreifenden Schilderungen bewegt er dieHerzen seiner Zuhörer. Er hofft, dass von AmerikaImpulse ausgehen, den Diktatfrieden in einengerechten Frieden umzuwandeln. Bonhoeffernutzt jede Gelegenheit, für sein Land ein gutesWort einzulegen, auch auf der Bun<strong>des</strong>versammlungder Churches of Christ, einer Vereinigungevangelischer Kirchen in den USA. Die kirchlicheVersammlung beschließt, der Behauptung einerdeutschen Alleinschuld nicht zuzustimmen. Auchdie internationale Organisation <strong>des</strong> CVJM hat sovotiert.Am Ende seines Amerika-Aufenthaltes kannBonhoeffer zufrieden sein. Für einen 25jährigenJungdozenten der Berliner Universität, der gera<strong>des</strong>ein 2. Theologisches Examen abgelegt und sichim Bereich der Systematischen Theologiehabilitiert hat, konnte er einiges erreichen. VieleAmerikaner hat er beeindrucken können. DreiMonate vor seiner Ankunft in New York hattebereits ein anderer Deutscher Amerikabeeindrucken können: Max Schmeling war in NewYork Boxweltmeister geworden, nachdem seinGegner wegen unerlaubtem Tiefschlagdisqualifiziert worden war. Zurück in der Heimatstellt Bonhoeffer fest, dass kleine Aufwertungserfolgebitter nötig sind, denn die Feinde derWeimarer Republik blasen zum letzten Angriff aufden demokratischen Rechtsstaat, Kommunistenauf der einen Seite und Nation<strong>als</strong>ozialisten aufder anderen Seite. Obwohl eine LondonerSachverständigenkonferenz Deutschland für einJahr von allen Reparationszahlungen befreit, geht1932 die NSDAP <strong>als</strong> stärkste Kraft aus denWahlen zum Reichstag hervor. Ihre Vertreterversprechen die Befreiung vom Versailler Vertragdurch eine aggressive Politik der Stärke.1931 ist <strong>Dietrich</strong> Bonhoeffer auf dreiAufgabefeldern tätig: Er ist Assistent am Lehrstuhlfür Systematische Theologie und hält sich damitdie Option offen, eine wissenschaftliche Karriereanzugehen. Er ist im Rahmen <strong>des</strong> kirchlichenEntsendungsdienstes zugleich Studentenpfarreran der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg. Nach seiner Ordination wird erzum Stadtsynodalvikar an der Zionskirche in3


Berlin ernannt und erhält den Auftrag, eineKonfirmandengruppe zu betreuen.<strong>Das</strong> Jahr 1931/32 ist für <strong>Dietrich</strong> Bonhoeffer eineentscheidende Zeit. Die Arbeit mit den 50 Konfirmandenaus dem Stadtteil Prenzlauer Berg zeigtihm, dass Arbeitslosigkeit und Armut vieleFamilien in bedrückende Not gebracht haben. Esfehlt den Kindern an allem: an Schuhen, Hosen,ausreichend Essen und Kohlen für die Heizung,aber auch an Anleitung und Zuwendung. UndBonhoeffer sieht, dass kirchliche Seelsorge hierweitgehend versagt. Viele kirchliche Vertretererweisen sich <strong>als</strong> sprach- und hilflos angesichtsder sozialen Nöte. Für Bonhoeffer steht fest: EinZurück in den Elfenbeinturm der reinenWissenschaft stellt für ihn keine Perspektive mehrda. Er beschließt, sich zukünftig den Menschendirekter zu widmen, fern aller weltfremdenTheologie. Aber wo und wie soll er dies tun?Als Studentenpfarrer stellt er fest, dass diemeisten Studierenden der Kirche entfremdet sind.Und außerdem nehmen viele junge Männerseines Alters völlig andere Haltungen ein <strong>als</strong> erselbst. Bonhoeffer stellt wohl zum ersten Malefest, dass er anders denkt und empfindet <strong>als</strong> vieleseiner Zeit- und Altersgenossen. Ein wichtigesUnterscheidungsmerkmal ist seine internationaleErfahrung. Seitdem sein Elternhaus ihm einenStudienaufenthalt in Rom ermöglichte, hat sichseine Sicht auf die Welt und vor allem auf die Vorgängein Deutschland geweitet. SeineInternationalität macht Bonhoeffer immun gegenjede Form von Nationalismus. So absolviert ersein Vikariat im spanischen Barcelona. Und wird1930 von seinem Berliner Superintendenten füreinen Aufenthalt in den USA vorgeschlagen.Ausgestattet mit einem üppigen Stipendium <strong>des</strong>Deutschen Akademischen Austauschdienstesverbringt Bonhoeffer ein Dreivierteljahr am UnionTheological Seminary in New York und lerntzugleich auf Reisen Land und Leute kennen. Wasuns heute nicht ungewöhnlich erscheint, wardam<strong>als</strong> höchst außergewöhnlich: Welcherevangelische Theologe verfügte um 1930 herumüber italienische und spanische Sprachkenntnisse,wer beherrschte flüssiges Konversationsenglisch?Allein dies prä<strong>des</strong>tinierteBonhoeffer geradezu, in die internationaleÖkumenische Begegnungsarbeit einzusteigen. ImSeptember 1931 nimmt er im englischenCambridge <strong>als</strong> Jugenddelegierter an der Jahrestagung<strong>des</strong> ‚Weltbun<strong>des</strong> für internationaleFreundschaftsarbeit der Kirchen’ teil. Bonhoeffer,redegewandt und sicher im öffentlichen Auftritt,wird sofort zu einem der drei Jugendsekretäre gewählt.Die Begegnungen mit gleichgesinntenKirchenvertretern aus anderen Ländern, dergemeinsame Gedankenaustausch und die darausentstehenden Konferenzbeschlüsse schlagen sichin seinen Überzeugungen gleich in zweifacherWeise nieder: Zum einen steht für ihn nun fest,dass Krieg <strong>als</strong> Mittel zur Schlichtunginternationaler Streitigkeiten dem Geist Christi undseiner Kirche widerspricht. Zum anderen mussDeutschland die Gelegenheit erhalten, sich <strong>als</strong>gleichberechtigter Partner an der friedlichenVerständigung der Völker zu beteiligen.Der Großteil der Studenten, mit denen es derPastor Bonhoeffer in Berlin zu tun hat, sieht diesjedoch inzwischen völlig anders. Die meisten sindinfiziert vom völkischen Nationalismus, der sichmit sozialdarwinistischem Gedankengutvermischt. Demnach seien die Deutschen das zurWeltherrschaft berufene Herrenvolk, das sich denihm gebührenden Platz nur mit Kriegzurückerobern könne. Letztlich bestehe dieGeschichte aus dem Kampf der Starken gegendie Schwachen. Der „Kampf ums <strong>Das</strong>ein“, geführtvon einem „Volk ohne Raum“, das sindGedanken, gegen die <strong>Dietrich</strong> Bonhoeffer völligimmun ist. Er sieht jedoch, dass es auch eineganze Reihe national gesinnter Theologen gibt,die so denken und reden. Und die im VersaillerVertrag den Versuch dekadenter Demokratienerblicken, das deutsche ‚Herrenvolk’ von seinerweltgeschichtlichen Sendung abzuhalten, einVersuch, der nur durch Krieg zunichte gemachtwerden könne. Der Studentenpfarrer Bonhoefferregistriert, wie sehr nationalistisches Revanche-Denken Einzug in die Köpfe und Herzen <strong>des</strong>akademischen Nachwuchses gehalten hat. Er4


selbst vermisst in seiner Fakultät eine klare Theologieund entsprechende Gegenstimmen ausseiner Kirche. Er bezeichnet sich selber <strong>als</strong> einen„theologisch Obdachlosen“ und weiß nicht, wosein Platz in dieser Kirche sein soll. Dieüberwiegende Mehrheit <strong>des</strong> deutschenProtestantismus ist antidemokratisch, antiliberal,antiaufklärerisch und antisemitisch. <strong>Bonhoeffers</strong>Bewerbung um ein Pfarramt im Berliner Ostenzerschlägt sich, die Gemeinde wählt einenanderen Theologen, der erfahrener und etablierterist. Es kommt das Jahr 1933, in dem weite Teileder evangelischen Kirche den sog. „nationalenAufbruch“, die „völkische Revolution“ mit frohemHerzen begrüßen. In den Kirchen ist vorher undnachher für keinen Politiker so inbrünstig Fürbittegehalten worden wie für den neuenReichskanzler.5


II. Der Weg <strong>Bonhoeffers</strong> im sog. Kirchenkampfund die zweite große Kontroverse (1933-1939):Die „Judenfrage“ <strong>als</strong> Bewährungskrise derKircheZwei Tage vor Hitlers Machtübernahme hält<strong>Dietrich</strong> Bonhoeffer einen Vortrag im Radio überdie „Wandlungen <strong>des</strong> Führerbegriffs in der jungenGeneration“. Thema und Sendetermin standenschon lange vor dem 30. Januar 1933 fest.Bonhoeffer warnt vor einer Überhöhung <strong>des</strong>Führerbegriffs. Er betont die Verantwortung, diejeder Führer gegenüber den Geführten hat.Wegen einer geringen Zeitüberschreitung wird derSchluss <strong>des</strong> Vortrags nicht mehr gesendet: Imnicht mehr ausgestrahlten Schlussteil warntBonhoeffer davor, dass jeder Führer, der sichnicht in den Dienst der letzten Autorität stelle,sondern sich selbst zum Abgott mache, zumVerführer wird. „Führer und Amt“, so sagt er, „diesich selbst vergotten, spotten Gottes“. Der Vortragwird anschließend in drei Zeitungen vollständigabgedruckt.Von Anfang an befürchtet Bonhoeffer, dass mitder Herrschaft der Nation<strong>als</strong>ozialisten ein großesUnheil heraufziehen werde. Hatte Bonhoeffer inden 20er Jahren mehr Angst vor einer bolschewistischenRevolution durch die Kommunistengehabt, so drohe nun, wie er schreibt, eine„grauenhafte kulturelle Barbarisierung“. Als einenMonat später der Reichstag brennt und der jungeholländische Bauarbeiter Marinus van der Lubbe<strong>als</strong> mutmaßlicher Täter verhaftet wird, beauftragtman <strong>Dietrich</strong>s Vater, Karl Bonhoeffer, mit derpsychiatrischen Begutachtung van der Lubbes.Dieser wird in einem Schauprozess zum Todeverurteilt und Anfang 1934 hingerichtet.Äußerungen von Sohn <strong>Dietrich</strong> zur Rolle <strong>des</strong>Vaters im Dritten Reich fehlen. Auch zu <strong>des</strong>senVerwickelung in Zwangssterilisationsverfahrenäußert sich <strong>Dietrich</strong> nicht. Dafür erhebt er seineStimme für eine Bevölkerungsgruppe, die vonAnfang an im Fokus nation<strong>als</strong>ozialistischerÄchtung und Verfolgung stand, für denjüdischstämmigen Teil der deutschenBevölkerung.Bis 1933 spielte die Auseinandersetzung mit demverbreiteten Antisemitismus in <strong>Bonhoeffers</strong> <strong>Leben</strong>keine Rolle. Anders <strong>als</strong> sein Bruder Karl-Friedrichhatte <strong>Dietrich</strong> keine Parallelen zwischen der Rassendiskriminierungder farbigen Bevölkerung inden USA und den antisemitischen Schikanen inDeutschland gezogen. Doch nach HitlersMachtübernahme wird Bonhoeffer gewahr, dassaus dem Radau-Antisemitismus der WeimarerZeit nun eine offizielle Regierungspolitik wird, dienach der Ächtung und Ausschaltung von Bürgernjüdischer Herkunft aus dem öffentlichen <strong>Leben</strong>trachtet. Am 1. April hatte der von der NSDAPinitiierte Boykott jüdischer Geschäfte, Büros undEinrichtungen begonnen. Sechs Tage späterwurde das Gesetz zur „Wiederherstellung <strong>des</strong>Berufsbeamtentums“ erlassen, das dieAusschaltung von Beamten betrieb, die dernation<strong>als</strong>ozialistischen Rasselehre zufolge nicht<strong>als</strong> ‚arisch’ angesehen werden konnten. <strong>Das</strong>Gesetz richtete sich aber auch gegenSozialdemokraten, Kommunisten undkonservative Regierungskritiker im Staatsdienst.Im September wurden Juden und Judenstämmigeaus dem deutschen Kulturleben ausgegrenzt. Diepreußische Lan<strong>des</strong>kirche, zu der auch <strong>Dietrich</strong>Bonhoeffer gehörte, übernahm im gleichen Monatden sog. Arierparagraphen in ihr Dienstrecht, undzwar auf Empfehlung von Gutachten, die theologischeFakultäten erstellt hatten. Schon im Aprilhatte Bonhoeffer in einem Brief an einen Freundironisch festgestellt: „…die Judenfrage macht derKirche sehr zu schaffen, und hier haben dieverständigen Leute ihren Kopf und ihre Bibelgänzlich verloren.“ <strong>Dietrich</strong> Bonhoeffer wird sich inder Folgezeit <strong>als</strong> ein entschiedener Kritiker <strong>des</strong>‚Arierparagraphen’ und seiner Übernahme durchdie Kirche erweisen. Wie er immun war gegenjede Form von nationalistischem Chauvinismus,so zeigte er sich auch immun gegenüber demAntisemitismus. <strong>Das</strong> hatte bereitsFamilientradition. Es war beispielsweise seineeigene Großmutter Julie Bonhoeffer, die amBoykotttag demonstrativ in das von Judengeführte Kaufhaus <strong>des</strong> Westens ging. Die SA-Posten, die sie daran hindern wollten, schob die6


91jährige entschlossen beiseite mit den Worten,sie habe die Freiheit, dort einzukaufen, wo sie eswolle.Während der angesehene Gener<strong>als</strong>uperintendentOtto Dibelius im März darüber jubelt, dass derBoykott „ohne Zweifel eine Zurückdämmung <strong>des</strong>jüdischen Einflusses im öffentlichen <strong>Leben</strong>Deutschlands“ mit sich bringen werde, macht sichder Synodalvikar Bonhoeffer an die Arbeit, eineSchrift zu verfassen, die unter dem Titel „DieKirche vor der Judenfrage“ dem Rassismus eineklare Absage erteilt, nicht nur im Raum derKirche, sondern auch im Blick auf die gesamteGesellschaft. Nachdem der Inhalt etlicherZigarettenpäckchen aufgebraucht ist, wird derAufsatz Mitte April fertig. Bonhoeffer stellt darinklar, dass Judentum von der Kirche Jesu Christiher gesehen niem<strong>als</strong> ein rassischer, sondernallein ein religiöser Begriff ist. <strong>Das</strong> Ju<strong>des</strong>einhänge nicht am Blut. Deshalb müsstenjudenstämmige Christen auch nicht die Kircheverlassen, da sie getauft seien und zurGemeinschaft der Christen gehörten. Es gehtaber Bonhoeffer nicht nur um Getaufte jüdischerHerkunft. Es geht ihm auch um die anderen, umdie Juden, die aufgrund ihrer Rassezugehörigkeitaus der Gesellschaft gedrängt werden. Die Kirchehabe seiner Meinung nach drei Möglichkeiten:Erstens den Staat nach der Legitimation seinesausgrenzenden Handelns kritisch zu befragen,zweitens den Opfern der Ausgrenzungbeizustehen, und drittens, nicht nur die Opferunter dem Rad zu verbinden, sondern dem Radselbst in die Speichen zu fallen. „Solches Handelnaber“, schreibt Bonhoeffer, „wäre unmittelbarpolitisches Handeln der Kirche und nur dann möglichund gefordert, wenn die Kirche den Staat inseiner Recht und Ordnung schaffenden Funktionversagen sieht.“ Bonhoeffer wünscht sich einevangelisches Konzil, das über die zuergreifenden Möglichkeiten befinden soll. Dochein solches Konzilsprojekt ist im neuen DrittenReich ganz und gar undurchführbar. Zu groß istdie Bereitschaft innerhalb der Kirche, mit denneuen Machthabern auf gutem Fuß zu stehen.Dafür ist man bereit, die staatlichenVerfolgungsmaßnahmen zu begrüßen, zumin<strong>des</strong>taber <strong>als</strong> notwendige Übergangsmaßnahmenhinzunehmen. Widerspruchslos sieht die Kirchezu, wie die Parteiendemokratie aufgelöst und derRechtsstaat demontiert wird.Bonhoeffer hat es mit einer Kirche zu tun, die sichvor allem um sich selber sorgt: Im sogenanntenKirchenkampf ringen große Teile derevangelischen Kirche mit der Frage, ob und wennja, inwieweit sie sich mit demnation<strong>als</strong>ozialistischen Deutschland arrangierensollen. Die Spannbreite der Auffassungen istgroß: zwischen den Vertretern der BekennendenKirche, die auf Abgrenzung setzen und <strong>des</strong>halbdie Vereinnahmungspolitik <strong>des</strong> NS-Staatesbekämpfen, und den sog. Deutschen Christen, diesich selber die ‚SA Jesu Christi’ nennen und derstaatlichen Gleichschaltung der Kirche Vorschubleisten wollen. <strong>Bonhoeffers</strong> Eintreten für die Judeninsgesamt sowie für jüdischstämmige undgetaufte Christen im Besonderen findet in derBekennenden Kirche ein höchst geteiltes Echo.Wenn überhaupt, dann sprechen sich andereVertreter allenfalls gegen den ‚Arierparagraphen’im kirchlichen Dienstrecht aus. Dies sah derGründer <strong>des</strong> sog. Pfarrernotbun<strong>des</strong>, derDahlemer Pfarrer Martin Niemöller, <strong>als</strong> Verletzung<strong>des</strong> christlichen Bekenntnisses an. Und HermannSasse, Kirchengeschichtler in Erlangen, brachtedie absurden Folgen auf den Punkt: Sowohl dieApostel <strong>als</strong> auch Christus selbst müsstenaufgrund ihrer jüdischen Herkunft nachträglichaus der Kirche ausgeschlossen werden. Dochnicht jeder ist bereit, diese Konsequenzen zuerkennen. Niemand möchte das Wohl der Kirchewegen der Juden aufs Spiel zu setzen. DieFreiheit der Kirche ist den meisten wichtiger <strong>als</strong>der Einsatz für Menschen- und Bürgerrechte. Manwendet sich gegen die Einführung <strong>des</strong>Führerprinzips in der Kirche und will Gottesdienstund Verkündigung von bekenntniswidrigenElementen freihalten. Gegen diemenschenverachtende Regierungspolitik dieStimme zu erheben, kommt hingegen nicht inFrage. Genau daran nimmt der berühmte Satz<strong>Dietrich</strong> <strong>Bonhoeffers</strong> Anstoß: „Nur wer für die7


Juden schreit, darf auch gregorianisch singen“(Oratorium Chanson). Seinen eigenen Schreifasste Bonhoeffer in die Worte: „Der getaufte Judeist Glied unserer Kirche“. Dabei hat er auchAngehörige seiner eigenen Familie vor Augen.Seine Zwillingsschwester Sabine ist mit demJuristen Gerhard Leibholz verheiratet. Er fälltunter die Rassegesetzgebung und wird mit seinerFrau 1938 nach England flüchten.<strong>Bonhoeffers</strong> unnachgiebige Haltung im Blick aufden Arierparagraphen trifft im Kreis der Kollegenund Vorgesetzten auf Zurückhaltung, bisweilensogar auf Unverständnis. Immerhin fordert einekleine Gruppe Berliner Pfarrer die Rücknahme<strong>des</strong> ‚Arierparagraphen’. Sie verlangt darüberhinaus die volle Freiheit evangelischerVerkündigung. Die Erklärung, die auch vonBonhoeffer unterzeichnet ist, wird <strong>als</strong> Flugblatt inWittenberg verteilt, just an dem Tag, an dem dortder Hitler ergebene Ludwig Müller zum neuenReichsbischof der Deutschen evangelischenKirche gewählt werden soll. <strong>Das</strong> Flugblatt ist einSkandal! Bonhoeffer wird drei Tage nach derBischofswahl in das Kirchenamt zum Rapportbestellt. Man macht ihm zum Vorwurf, kirchlicheOpposition zu üben und erklärter Gegner derDeutschen Christen zu sein. Für Bonhoeffer stehterstm<strong>als</strong> etwas auf dem Spiel. Denn er soll inKürze eine Auslandspfarrstelle antreten. EinePerspektive, die für ihn verlockend ist. Einerseitshofft er, der frustrierenden Rolle <strong>des</strong>unverstandenen Außenseiters zu entkommen,andererseits möchte er sich die Kritik an denkirchlichen Entwicklungen nicht verbieten lassen.Nach einem Gespräch mit dem neuenReichsbischof klärt sich die Lage zu seinenGunsten. Über sein zukünftiges Engagement imKirchenkampf lässt Bonhoeffer die Kirchenleitungallerdings nicht im Unklaren. Bevor er für zweiJahre <strong>als</strong> Pfarrer einer deutschen Auslandsgemeindenach London geht, teilt er denVorgesetzten schriftlich mit: „Ich bin nichtDeutscher Christ und kann die Sache derDeutschen Christen auch draußen ehrlicherweisenicht vertreten. Ich würde selbstverständlich inerster Linie Pfarrer der deutschen Gemeinde sein,aber meine Beziehungen zu führenden Kreisender englischen Kirchen von der ökumenischenArbeit her sowie mein persönliches Interesse ander ökumenischen Aufgabe der Kirche macheneine Stellungnahme zu den Fragen der deutschenKirche…m.E. schon darum unvermeidlich, weilman an mich mit entsprechenden Fragenherantreten wird.“ Den Mund verbieten lassen,möchte sich Bonhoeffer nicht. Am 17. Oktober1933 tritt er seine Stelle in London an. Es wird daseinzige Mal sein, dass Bonhoeffer eine eigeneKirchengemeinde hat.III. Der Weg <strong>Bonhoeffers</strong> in den Widerstandund die dritte große Kontroverse (1939-1945):Der politische Widerstand <strong>als</strong>Bewährungskrise <strong>des</strong> ChristentumsIn England findet <strong>Dietrich</strong> Bonhoeffer unter seinenPfarrerkollegen Mitstreiter, die entschlossen sind,<strong>Bonhoeffers</strong> Opposition gegen den Reichsbischofund sein autoritäres Kirchenregiment zuunterstützen. Zugleich findet Bonhoeffergenügend Zeit, sich um seine beidenKirchengemeinden im Londoner Süden und Ostenzu kümmern. Er nimmt sich insbesondere derKinder und Jugendlichen an, aber auch derFlüchtlinge, die immer zahlreicher ausDeutschland herüberkommen. Bonhoeffer ist ein„Mann von Welt“, er ist, wie Hans Jürgen Schultzschreibt, „gewandt im Umgang, wählte seineKleidung mit Geschmack, schätzte Konversationebenso wie gutes Essen und Trinken galt<strong>als</strong> brillanter Pianist“. Deshalb spielt im zugigenLondoner Pfarrhaus auch der Bechstein-Flügeleine zentrale Rolle. Ihn hatte Bonhoeffer extra vonBerlin kommen lassen. Gefrühstückt wird gegenelf Uhr, oft im Kreise von Freunden und Kollegen.Mittags, gegen 14 Uhr, gibt es oft nur leichte Kost.Am Nachmittag folgt die Gemeindearbeit undabends geht es ins Theater oder ins Kino, wo dieschwedische Schauspielerin Greta Garbo vieleBesucher in Verzückung versetzt. Meist aberfinden abends theologische Diskussionen undgemeinschaftliches Musizieren im Pfarrhaus statt,nicht selten bis zwei Uhr nachts. Ein wichtigesEreignis stellt für Bonhoeffer seine Teilnahme an8


der Jugendkonferenz <strong>des</strong> internationalenWeltbun<strong>des</strong> auf der dänischen Insel Fanö dar.Zum einen ist es ihm zuzuschreiben, dass <strong>als</strong>vertretungsberechtigter Teil der <strong>Ev</strong>angelischenKirchen Deutschlands die Bekennende KircheAnerkennung findet. Zum anderen wird seinPazifismus verstärkt. Der Gewissensentscheidung<strong>des</strong> Einzelnen komme mehr Gewicht zu <strong>als</strong> denInteressen <strong>des</strong> Staates. Die Verweigerung <strong>des</strong>Kriegsdienstes ist moralisch zu rechtfertigen. UndKrieg, ganz gleich aus welchem Grund und inwelcher Form, ist grundsätzlich ‚Sünde’. <strong>Das</strong>sman sich damit der Gefahr aussetzt, demGewalttätigen zu unterliegen, <strong>des</strong>sen war sichBonhoeffer bewusst. Und dennoch: „Es gibtkeinen Weg zum Frieden auf dem Weg derSicherheit.“ (Oratorium „Friedenslied“).Als 1935 Bonhoeffer nach Deutschlandzurückkehrt, erwartet ihn dort bereits eine neueAufgabe. Die Leitung der Bekennenden Kirche inPreußen vertraut ihm die Leitung <strong>des</strong>Predigerseminars und später der sogenanntenSammelvikariate an. Da die Bekennende Kirchevom Staat und von den durch ihn bestimmtenKirchenleitungen offiziell nicht anerkannt ist,handelt es sich um Einrichtungen, die <strong>als</strong> ‚illegal’gelten. Bonhoeffer bekommt damit von derBekennenden Kirche eine ehrenvolle und wichtigeAufgabe, soll er sich doch um den theologischenNachwuchs kümmern. Zugleich wird er aber auchaus der Schusslinie genommen: Finkenwalde istnicht Berlin, die Sammelvikariate in Pommernliegen abseits der Kampfzonen theologischer,kirchenpolitischer und ideologischerAuseinandersetzungen. In diesen Jahren, in derZeit zwischen 1935 und 1939, schreibt Bonhoefferzwei wichtige, einflussreiche Büchlein: Die unterdem Titel „Nachfolge“ erscheinende Auslegungder Bergpredigt Jesu und das vom Geist derBrüderlichkeit erfüllte Buch „Gemeinsames<strong>Leben</strong>“, eine Anleitung zu Formengemeinschaftlich gelebter Frömmigkeit.Gleichwohl scheint in den Aussagen immerwieder der Kirchenkampf durch: Es ist viel vonchristlichem Gehorsam die Rede und vonpersönlicher Entscheidung, von billiger Gnade fürdie, deren Christsein folgenlos bleibt, und vonteurer Gnade im Blick auf jene, die mit ihremChristsein auch in der Öffentlichkeit Ernst machenwollen. Schließlich findet sich in den Gedankendieser Jahre auch die theologische wie geistlicheGrundüberzeugung <strong>Bonhoeffers</strong> wieder: <strong>Das</strong>s das<strong>Leben</strong> Jesu Christi auf dieser Erde weitergeht.„Christus lebt es weiter in dem <strong>Leben</strong> seinerNachfolger.“ (Oratorium Kanon „<strong>Das</strong> <strong>Leben</strong> JesuChristi“)Als die Sammelvikariate 1940 geschlossenwerden, befindet sich Bonhoeffer bereits in einertiefen Umbruchsphase. 1939 hatte sichBonhoeffer noch einmal mit Gesinnungsfreundenin London getroffen. Unter seinenGesprächspartnern befand sich auch George Bell,der anglikanische Bischof von Chichester, derBonhoeffer außerordentlich schätzt. <strong>Bonhoeffers</strong>Einschätzungen der innenpolitischen Lage inDeutschland sind Bell willkommen, verfügt dochdieser Kirchenmann über einen Sitz im englischenOberhaus und damit über hochkarätige Kontaktebis in britische Regierungskreise hinein.Bonhoeffer und Bell werden sich noch einmalbegegnen, 1942 bei einer ökumenischenKonferenz in Schweden. George Bell werden<strong>Bonhoeffers</strong> letzte Worte vor der Hinrichtunggewidmet sein: Sag ihm, das ist das Ende – fürmich der Beginn der <strong>Leben</strong>s. Mit ihm glaube ichan die Prinzipien unserer weltumspannendenchristlichen Brüderlichkeit, über alle nationalenInteressen hinweg. Ich glaube, unser Sieg istgewiss! (Oratorium Litanei)Doch noch sind wir im Jahr 1939. Nach Londonreist Bonhoeffer weiter nach New York. Man bietetihm dort eine Professur an. Freunde bedrängenihn, dem drohenden Krieg auszuweichen unddazubleiben. Doch so verlockend die Aussichtensind, <strong>Dietrich</strong> Bonhoeffer plagen Schuldgefühle fürden Fall, dass er das Angebot annimmt. ZumEntsetzen der amerikanischen Freunde schlägt erihr Angebot aus und kehrt bereits nach vierWochen zurück nach Deutschland. Er willteilnehmen an dem, was auf sein Land zukommt,9


will teilhaben am Geschick seines Volkes. Ausdem Theologen und Kirchenmann wird das, was<strong>Bonhoeffers</strong> Biograph Eberhard Bethge <strong>als</strong> „DieWendung <strong>des</strong> Christen zum Zeitgenossen“bezeichnet hat. Bonhoeffer ist entschlossen, „demRad in die Speichen zu fallen“. DochHitlerdeutschland ist vorgewarnt. 1940 erhältBonhoeffer Redeverbot wegen „volkszersetzenderTätigkeit“. Ein Jahr später folgen ein Druck- undVeröffentlichungsverbot sowie ein dienstlichesAufenthaltsverbot in Berlin. Die Kirche selbst hatfür Bonhoeffer keine Verwendung. Erstm<strong>als</strong> stehtBonhoeffer ohne Stelle da. Es droht ihm derEinzug zur Wehrmacht. Bonhoeffer schwanktzwischenKriegsdienstverweigerung,Auswanderung, Missionsdienst oderSanitätsdienst. Als er sich für den letzterenbewirbt, wird er abgelehnt.Bonhoeffer entschließt sich, nicht mehr nur inGedanken und Worten Widerstand zu leisten,sondern nun auch mit der Tat. Und er tut es dort,wo man dam<strong>als</strong> Widerstand am wenigstenvermutete, nämlich in der Auslandsabteilung derdeutschen Spionageabwehr, im Kreis um AdmiralCanaris. <strong>Bonhoeffers</strong> Aufgabe <strong>als</strong> V-Mann bestehtdarin, seine ökumenischen Auslandskontakte zunutzen. Er soll den Kriegsgegnern von derExistenz deutschen Widerstan<strong>des</strong> Botschaftgeben, Friedenssignale vermitteln und möglicheWaffenstillstandsbedingungen erfragen. „Wennman in einen f<strong>als</strong>chen Zug einsteigt, nützt esnichts, wenn man im Gang lediglich entgegen derFahrtrichtung läuft“ (Oratorium Chanson).Nach 1945 ist in Deutschland, anders <strong>als</strong> inEngland, darüber gestritten worden, ob<strong>Bonhoeffers</strong> Weg in den konspirativen WiderstandAusdruck eines christlichen Engagements gewesenist oder bloß auf der Linie eines politischenKalküls lag. Ist <strong>Dietrich</strong> Bonhoeffer <strong>als</strong> Märtyrer fürseinen christlichen Glauben gestorben? Oder warer nur ein patriotischer Held, dem es um dieZukunft seines Lan<strong>des</strong> geht? Hans von Dohnanyi,der Schwager <strong>Dietrich</strong> <strong>Bonhoeffers</strong> und wie dieserebenfalls im Widerstand aktiv, spricht von einem„zwangsläufige(n) Gang eines anständigenMenschen“. Als 1953 in der evangelischen Kirchezu Flossenbürg, dem Hinrichtungsort, eineGedenktafel für Bonhoeffer angebracht werdensoll, sagt der bayerische Lan<strong>des</strong>bischof seineTeilnahme an der Veranstaltung ab mit derBegründung, <strong>Bonhoeffers</strong> Widerstand sei ja bloßpolitisch motiviert gewesen. Bereits 1948 hatteneinige Bielefelder Pastoren gegenStraßenbenennungen nach Bonhoeffer protestiert.Sie wollten "die Namen ihrer Amtsbrüder, die umihres <strong>Glaubens</strong> willen getötet worden sind, nicht ineine Reihe mit politischen Märtyrern gestelltwissen." Erst relativ spät erkennt dasevangelische Deutschland, dass die Alternative„christlich oder politisch“ <strong>als</strong> Bewertungskategorienicht greift. Alles, was Bonhoeffer tat, tat er auseiner christlichen Grundeinstellung heraus, auseinem biblisch geschärften Gewissen. Schon imBuch „Nachfolge“ hatte er geschrieben: „Es istwichtig, dass Jesus seine Jünger auch dort seligpreist, wo sie nicht unmittelbar um <strong>des</strong> Bekenntnisses…willen,sondern um einer gerechtenSache willen leiden“. Heutiges Christsein, so hattesich bereits der Gefangene in Tegel geäußert,werde zukünftig nur in zweierlei bestehen: „imBeten und im Tun <strong>des</strong> Gerechten“ (OratoriumKanon). Bonhoeffer hoffte darauf, dassChristentum aus der gegenwärtigen Krisegestärkt, aber auch verwandelt hervorgehenwerde.Schon vor 1945 finden die kirchenleitendenBehörden kein Verständnis dafür, dassBonhoeffer für die Spionageabwehr arbeitet. Wasein ordinierter Pfarrer da zu suchen habe,erschließt sich ihnen nicht. Schon während seinerHaft wird <strong>Dietrich</strong> Bonhoeffer von den Fürbittlistender Kirchengemeinden gestrichen. <strong>Das</strong>s er bereits1936 weite Teile der Kirche düpiert hatte, hatteman ihm auch noch nicht vergessen. Dam<strong>als</strong>hatte er in einem Aufsatz behauptet, wer sich vomkompromisslosen Teil der Bekennenden Kirchewissentlich trenne, der trenne sich auch vom Heil.Seitdem galt Bonhoeffer <strong>als</strong> ein verirrterFanatiker. Erst später wird man verstehen, wasWorte wie diese eigentlich gemeint haben: „Nichtdas Beliebige, sondern das Rechte tun und10


wagen, nicht im Möglichen schweben, das Wirklichetapfer ergreifen, nicht in der Flucht derGedanken, allein in der Tat ist die Freiheit“(Oratorium <strong>Leben</strong>slied im Tode).Im April 1943 wird <strong>Dietrich</strong> Bonhoeffer verhaftet.Er kommt insWehrmachtsuntersuchungsgefängnis in Berlin-Tegel. Erst nach einer Weile wird Anklageerhoben, nicht wegen Lan<strong>des</strong>verrats, sondern ausMangel an Beweisen zunächst wegen gezielterVerweigerung, den Wehrdienst zu erfüllen. DieHaftbedingungen sind einigermaßen komfortabel,dem Onkel von <strong>Dietrich</strong> Bonhoeffer untersteht dasGefängnis. In der Haft entstehen große Texte:zum einen die Briefe an seine Braut, die fast 20Jahre jüngere Maria von Wedemeyer, mit der sich<strong>Dietrich</strong> im Januar 1943 verlobt hatte, zumanderen Text, die im Buch „Widerstand undErgebung“ gesammelt worden sind, darunter diepersönliche Bilanz „Nach zehn Jahren“ oder das<strong>Glaubens</strong>bekenntnis, das mit den Worten beginnt„Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus demBösesten, Gutes entstehen lassen kann und will“,ferner ergreifende Briefe an die Eltern und an denFreund Eberhard Bethge, dazu die berühmtenGedichte wie das Morgengebet „In mir ist esfinster, aber bei Dir ist das Licht“ oder „Christenund Heiden“: „Menschen gehen zu Gott in ihrerNot, flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot…finden ihn arm, geschmäht, ohne Obdach undBrot. Christen stehen bei Gott in Seinen Leiden.“Nicht zu vergessen das letzte und bekanntesteGedicht vom Sylvestertag 1944 „Von gutenMächten wunderbar geborgen, erwarten wirgetrost, was kommen mag“.Für <strong>Dietrich</strong> Bonhoeffer selbst war es nach Tegelerst einmal zur Überführung ins berüchtigteGestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straßegekommen. Nach dem missglückten Attentat vom20. Juli 1944 waren im Zuge verstärkterErmittlungen Akten aufgetaucht, die einunverstelltes Licht auf die Widerstandsarbeit<strong>Dietrich</strong> <strong>Bonhoeffers</strong> warfen. Eine Verbindungzum Stauffenberg-Kreis konnte Bonhoeffer zwarnicht nachgewiesen werden. Es ist auch imNachhinein unwahrscheinlich, dass Bonhoefferden elitären Stän<strong>des</strong>taat <strong>des</strong> militärischenWiderstan<strong>des</strong> <strong>als</strong> Alternative zu Hitlerdeutschlandgutgeheißen hätte. Im September 1944 stößtjedoch die Gestapo auf einen verschlossenenPanzerschrank der Abwehr-Abteilung. In ihmfinden die Schergen Dokumente, die Hans vonDohnanyi für eine spätere Anklage gegen Hitlerund seine Getreuen aufbewahrt hatte, außerdemProtokolle von konspirativen Unterredungen imVatikan über geplante Friedensgespräche mitEngland sowie das Szenario für einenStaatsstreich von General Oster, dem Hauptverantwortlichender Deutschen Abwehr mitkonkreten Vorschlägen für eineÜbergangsregierung. Dabei werden auch diewahren Ziele der Auslandskontakte <strong>Dietrich</strong><strong>Bonhoeffers</strong> deutlich. Im Gestapo-Gefängnis gehtman mit den überführten Hochverrätern nichtzimperlich um. Schon bei der ersten Vernehmungwird Bonhoeffer unverblümt mit Folter gedroht.Auch Bruder Klaus und Schwager RüdigerSchleicher sind inzwischen verhaftet. Sie werdenEnde April ’45 zusammen mit anderenWiderstandskämpfern in Berlin erschossen. Nacheinem verheerenden Bombenangriff auf dieReichshauptstadt im Februar 1945 wird eineReihe von Gefangenen ins KZ Buchenwaldverlegt. Seit diesem Zeitpunkt reißen alle Kontaktzur Familie, zu den Eltern und zu Maria ab.Anfang April werden einige Gefangene, darunterBonhoeffer, über Umwege weiter ins oberpfälzischeFlossenbürg gebracht. Die Amerikanerrücken bereits vor. Hitler befiehlt persönlich dieErmordung der ehemaligen Abwehrgruppe,Kaltenbrunner wird mit der Ausführung beauftragt.Gegen Hans von Dohnanyi wird im KZSachsenhausen am 05. April ein Standgerichtabgehalten, gegen Admiral Canaris, GeneralOster, Pastor Bonhoeffer und andere am 08. Aprilim KZ Flossenbürg. Der Vorsitzende <strong>des</strong> Standgerichts,ein SS-Richter, hält es für bewiesen,dass Bonhoeffer im Auftrag <strong>des</strong> Widerstandskreisesnach Schweden Verbindungenaufgenommen habe, um die Möglichkeiten einerVerständigung mit den Westmächten im Falle11


eines gewaltsamen Regimewechsels zuerkunden. Er habe Kontakte zu anderen Widerständlerngepflegt, auch zu Carl Goerdeler. Nacheiner gut halbstündigen Beratung wird Bonhoefferwegen Hoch- und Kriegsverrat zum Todeverurteilt. Am nächsten Morgen erfolgt dieHinrichtung. Der KZ-Arzt schildert später, er habein seiner fast 50jährigen Tätigkeit kaum je einenMann so gottergeben sterben sehen. AlleVerurteilten werden nackt erhängt, ihre Leichenwerden verbrannt, die Aschenreste in eine Grubegekippt. Tausende haben hier ihr unwürdigesGrab gefunden – darunter <strong>Dietrich</strong> Bonhoeffer.Sein Schwager Hans von Dohnanyi wird zurselben Zeit in Sachsenhausen hingerichtet. Ergehörte wie viele andere Mitglieder derBonhoeffer-Familie von der ersten Stunde an zuden erklärten Gegnern Hitlers. Seiner Tätigkeit <strong>als</strong>Büroleiter <strong>des</strong> Justizministers und dann, nachkurzem Zwischenspiel am Leipziger Reichsgericht,<strong>als</strong> Mitarbeiter im Amt der Abwehr ist es zuverdanken, dass Bonhoeffer sowohl über dieRegierungspolitik <strong>als</strong> auch über weite Teile derpolitischen Widerstandsarbeit bestens informiertwar.In den Fünfziger Jahren wurden im Übrigen diebeiden Schergen der Standgerichtsprozesseangeklagt. Zweimal wurden sie freigesprochen, dasie nach Maßgabe der dam<strong>als</strong> gültigen GesetzeRecht gesprochen hätten. Nur einer von ihnenwird beim dritten Anlauf zu sechs JahreZuchthaus verurteilt, weil er es versäumt habe,die ausgesprochenen Urteile in Berlin bestätigenzu lassen. <strong>Das</strong>s die Standgerichtsverfahren nurzum Schein durchgeführt worden und <strong>des</strong>halb <strong>als</strong>Justizmord anzusehen sind, können die Richterzum damaligen Zeitpunkt noch nichtnachvollziehen. Die Ermordung <strong>Bonhoeffers</strong>, vonDohnanyis und der anderen bleibt ungesühnt. <strong>Das</strong>To<strong>des</strong>urteil gegen sie galt bis in die 90er Jahreoffiziell <strong>als</strong> rechtsgültig. Erst durch einenBun<strong>des</strong>tagsbeschluss wurden die NS-Unrechtsurteile für nichtig erklärt.IV. Der Weg <strong>Dietrich</strong> <strong>Bonhoeffers</strong> in die volleDiesseitigkeit <strong>des</strong> <strong>Leben</strong>s:Die Moderne <strong>als</strong> Bewährungskrise <strong>des</strong>christlichen <strong>Glaubens</strong>Es war der Wunsch <strong>Dietrich</strong> <strong>Bonhoeffers</strong>gewesen, glauben zu lernen. Am Ende seiner„Reise in die Wirklichkeit“, wie er es nannte, hatBonhoeffer die Fähigkeit zu glauben gefunden: inder vollen Diesseitigkeit. Denn „das <strong>Leben</strong> istGottes Ziel mit uns“ (Oratorium Lob aus derKrise). Bonhoeffer wird fündig nicht <strong>als</strong> christlichsozialisierter Mensch, der seinen Glauben <strong>als</strong> Teilseiner Innerlichkeit pflegt, sondern <strong>als</strong> Zeitgenosse,der sich den Herausforderungen derGegenwart entschlossen stellt. Indem sich Bonhoefferder kalten Zugluft der Moderne aussetzt(Schlingensiepen), beginnt sein Glaube auf neueWeise zu glühen.Erst <strong>als</strong> er sich von einer Kirche abwendet, diesich in erster Linie um sich selber kümmert statt„Kirche für andere“ zu sein, erst <strong>als</strong> er sich voneiner Religion lossagt, die aus Gott einen bloßenLückenbüßer und Trostpflaster für die Bedürftigengemacht hatte, da erst lernt Bonhoeffer zuglauben. Zu glauben, dass Christus auch der Herrder gegenwärtigen, der modernen Welt ist unddass er immer wieder Menschen herausruft undsie an die Welt und ihre Probleme verweist. Eserscheint von daher kaum vorstellbar, dassBonhoeffer seinen Platz in einer Kirche gefundenhätte, die nach 1945 in Deutschland wieder dortweitermachen wollte, wo sie 1933 aufgehört hatte.Neuanfang statt Wiederaufbau <strong>des</strong> Alten,Innovation statt Restaurierung, geistlicherAufbruch statt erneute Verkirchlichung, dies alleshätte eher auf seiner Linie gelegen. Bonhoefferwünschte sich ein Christentum, das, wie HansJürgen Schultz formulierte, „nicht machtvoll ist,sondern vollmächtig, das nicht wehrhaft ist,sondern wahrhaft, …das nicht repräsentativ,sondern präsent ist“.Es heißt, dass Bonhoeffer bei einem Stop aufdem Transport nach Flossenbürg fast vergessenworden wäre. Hätte er die Gunst <strong>des</strong> Augenblicksgenutzt und wäre er entkommen, er hätte sich in12


der Kirche Nachkriegsdeutschlands vermutlichnicht wohl gefühlt. Ich vermute, dass er mit seinerjungen Frau Maria erst einmal nach Indiengegangen wäre, ein Vorhaben, das er bereits seitlangem hegte. Bereits 1934 hatte MahatmaGandhi eine persönliche Einladung für zweiPersonen übermitteln lassen. Sein Projekt <strong>des</strong>gewaltlosen Widerstan<strong>des</strong> interessierteBonhoeffer ebenso wie die Möglichkeit, asiatischeReligionen vor Ort kennen zu lernen. Gut möglich,dass Bonhoeffer dann in die USA gegangen wäre.Dorthin, wo sich Maria von Wedemeyer nachihrem Mathematik-Studium tatsächlichniedergelassen hat. Nicht <strong>als</strong> klassischerProfessor für Theologie, sondern <strong>als</strong> Dozent fürein neues, womöglich interdisziplinäres Fach mitNamen „<strong>Leben</strong>swissenschaften“ hätte Bonhoefferentscheidende Brücken schlagen können:zwischen den Bedingungen der westlichenModerne und der Orientierungskraftabendländischer Denktraditionen, vor allemzwischen theologischer Gewissheit undnaturwissenschaftlicher Erkenntnis, zwischenhumaner Ethik und neuen Hochleistungstechnologien.Er hätte sich gewiss <strong>als</strong> politischerZeitgenosse der Bürgerrechtsbewegung umMartin Luther King angeschlossen undentschieden gegen Apartheid demonstriert. Erhätte bei Besuchen in Deutschland gegen dieWiederbewaffnung und weltweit gegen dasatomare Wettrüsten in Ost und West protestiert. Inder alten Heimat wäre er mit Sicherheit <strong>als</strong> linkerTheologe verschrien gewesen, in der neuen hätteer sich frühzeitig gegen den Vietnamkriegausgesprochen. Denkbar, dass er Ende der 70erJahren zusammen mit Martin Niemöller zumväterlichen Mentor der jungen deutschenFriedensbewegung aufgestiegen wäre. Doch <strong>Dietrich</strong>Bonhoeffer wurde für Christen nur zumWegweiser, den Weg selber mussten und müssenwir ohne ihn gehen. Angesichts der übergroßenProbleme wie Klimaveränderung, Krieg der Kulturenund Kapitalismuskrise hören wir sein Wort ausdem Weihnachtsrundbrief von 1942: „Mag sein,dass der jüngste Tag morgen anbricht, dannwollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zeitaus der Hand legen, vorher aber nicht.“(Oratorium Vermächtnissong)Ich danke für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit.13

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!