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(2,56 MB) - .PDF - Söll - Land Tirol

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Am Heiligen Abend ging Mamm<br />

schon um sieben Uhr früh zum<br />

Engelamt in die Kirche,oft in Be<br />

gleitung von uns Kindern. Nach<br />

Hause zurückgekommen,begann<br />

das Backen und Herrichten. Die<br />

handgestrickten Vorhänge, richtige<br />

Kunstwerke von Mamm,wur<br />

den aufgehängt,der Tisch erhielt<br />

eine Decke, frische Handtücher<br />

zierten die Waschstelle,<br />

Kopfkissen und Tuchenten wurden<br />

frisch überzogen. Alles einheitlich<br />

mit Wild- und Tannenzweigmotiven.<br />

Und alles nur für<br />

diesen einen Tag.<br />

Am frühen Nachmittag begann<br />

Mamm mit dem Aufputzen des<br />

Christbaumes,den Tatt aus dem<br />

Wald des Mühlpointbauern geholt<br />

hatte. Geduldig packte<br />

Mamm Lametta und Engelhaar<br />

aus und legte es über die<br />

Zweige. Alles mit großer Sorgfalt<br />

und Genauigkeit, denn alles<br />

Zierat,selbst der kleinste Lamettastreifen,<br />

und die noch nicht<br />

vollständig abgebrannten Kerzen<br />

wurden beim Abräumen des<br />

Baumes wieder eingepackt und<br />

für das nächste Weihnachtsfest<br />

aufbewahrt. Die Kerzen waren<br />

teuer. Es gab nur echte Wachskerzen,<br />

Christbaumkugeln kannten<br />

wir nicht. Drei, vier Äpfel<br />

und ein paar von Mamms wunderbaren<br />

Keksen erfüllten denselben<br />

Zweck. Wenn Mamm mit<br />

dem Aufputzen des Christbaumes<br />

begann, wurden wir Kinder<br />

aus der warmen Stube gejagt.<br />

In der kalten Kammer mußten<br />

wir stundenlang warten, “bis<br />

das Christkind” kam. Natürlich<br />

quälte uns die Neugier, aber<br />

Mamm hatte vorgesorgt. Alle<br />

Fenster waren verhängt, sogar<br />

das Schlüsselloch. Bei Einbruch<br />

der Dämmerung füllte Tatt das<br />

alte Holzkohlenbügeleisen mit<br />

etwas Glut aus dem Herd, legte<br />

Weihrauch auf, drückte dem ältesten<br />

Buben den Weihbrunn in<br />

die Händ, und dann ging es -<br />

die Küchenstube ausgenommen<br />

- durch alle Räume und um das<br />

Haus. Betend “räucherte” Tatt<br />

jeden Winkel aus, und Hias besprengte<br />

alles reichlich mit<br />

Weihwasser. Mamm blieb in der<br />

Küche, sie hatte “am Herd zu<br />

tun”.Nach dem “Raachen” stamperte<br />

uns Mamm wieder in die<br />

Kammer und brachte ihren Ziegen<br />

und Hennen etwas vom “Bu<br />

schn”, getrocknete Kräuter und<br />

Almblumen, die am Hohen Frau-<br />

<strong>Söll</strong>er Akzente • Dezember 2008<br />

Weihnachten bei einem »Kleinhäusler« anno dazumal<br />

Sebastian Haselsberger<br />

aus Going .....<br />

- 14 -<br />

entag vom Pfarrer geweiht worden<br />

waren.<br />

Danach war die Zeit fürs Bad<br />

gekommen. In der Waschküche<br />

schöpfte Tatt das kochende Was<br />

ser aus dem Kessel in das große,<br />

ovale Holzschaff, in dem<br />

Mamm sonst die Wäsche wusch.<br />

In dem Badewasser wurde ein<br />

Kind nach dem anderen abgeschrubbt.<br />

Für den ersten ein<br />

Vergnügen, für die folgenden<br />

weniger. Erst Tatt erhielt wieder<br />

frisches Wasser. Während er in<br />

der “Wanne” hockte, steckte<br />

uns Mamm in saubere und bessere<br />

Kleider, wir wurden gekämmt<br />

und geschneuzt. Dann<br />

begann die Warterei in der kalten<br />

Kammer.Tatt hütete die Küche,<br />

während Mamm in seinem<br />

Absud badete.<br />

An dieser Stelle darf ich einfügen,<br />

daß in unserem Daheim<br />

das ganze Jahr hindurch<br />

Schmalhans Küchenmeister war.<br />

An den Werktagen kam ein<br />

Türkenkoch (oder ein Mus) auf<br />

den Tisch, an den Sonn- und<br />

Feiertagen erfreuten wir uns an<br />

Erdäpfelgulasch, Speckknödeln<br />

oder Fastenknödeln, und an den<br />

Samstagen stand Rohrnudeln<br />

auf dem Speiseplan.<br />

Weihnachten war auch darin eine<br />

besondere Zeit.Nun durften<br />

wir endlich in die Küche, in der<br />

alles Weihnachtliche verhüllt<br />

und verhängt war. Alle knieten<br />

nieder, wir beteten mehrere<br />

Rosenkränze und Litaneien.<br />

Nach dem Gebet servierte<br />

Mamm das Weihnachtsmahl.<br />

Zuerst eine dicke Gerstensuppe<br />

mit vielen Speckschwarten drinnen,<br />

dann ausgezogene Germkiachl<br />

mit Zwetschkenkompott.<br />

Obwohl es dieses Festmahl nur<br />

dreimal im Jahr gab, schmeckte<br />

es uns zu Weihnachten am wenigsten.<br />

Zu groß war die Erwartung<br />

und von der ganzen kulinarischen<br />

Köstlichkeit hatten<br />

wir das abschließende Tischgebet<br />

am liebsten.<br />

Wir waren nicht arme, wir waren<br />

bettelarme Leute in einer<br />

insgesamt schlechten Zeit.<br />

Mamm und Tatt mußten sich<br />

das Wenige, das uns das “Christ<br />

kind” bescherte im wahrsten<br />

Sinne des Wortes vom Mund absparen.<br />

Wir erhielten, gemessen an<br />

dem, was andere unter dem<br />

Christbaum fanden, wenig - und<br />

Fortsetzung Seite 15<br />

Wastl Haselsberger wurde<br />

am 14.11.1939 beim Bergbauernhof<br />

“Grübler” zu<br />

Hinterstein/ Scheffau geboren.<br />

Da die Eltern nicht die Hoferben<br />

waren, kam die Familie<br />

über <strong>Söll</strong> (1941 - 1946)<br />

nach Going, wo Wastl auch<br />

zur Schule ging.<br />

Seine gesamte Schulzeit<br />

betrug höchstens 5 Jahre,<br />

da er sich mit 10 Jahren<br />

sein Brot selbst verdienen<br />

musste.<br />

Lebensgeschichten<br />

gibt es viele..<br />

Der “Kleinhäusler”<br />

ist eine besondere,<br />

weil sie packend und versöhnlich<br />

ist.<br />

Wastl beschreibt darin seine<br />

harte Kindheit, seine vielen<br />

Krankheiten sowie andere<br />

zahlreiche Probleme...<br />

Sebastian Haselsberger zeich<br />

net nicht nur eine Sittengeschichte<br />

vergangener Zeiten,<br />

sondern schildert sein damaliges<br />

Umfeld tief- und hinter<br />

gründig, beschreibt <strong>Land</strong> und<br />

Leute vom <strong>Söll</strong>andl und weiß<br />

das Brauchtum von einst und<br />

heute ungeschminkt zu zeich<br />

nen.Wastl Haselsberger-seit<br />

1970 mit seiner Frau Wiltrud<br />

verheiratet und in Rottendorf<br />

/ Würzburg ansässig, hat als<br />

Hobbys das Bergwandern, be<br />

sonders jedoch die Mundartpflege<br />

und das Bücherschreiben,<br />

von denen er bis jetzt 6<br />

Bücher veröffentlicht hat.<br />

Alle seine Bücher sind auch<br />

im Tourismusbüro <strong>Söll</strong><br />

erhältlich.

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