Bauen · Wohnen · Einrichten · Energetische Sanierung
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„Jede Zeit hat ihre Erziehung“ ein Gegenentwurf<br />
zu Supernanny. Jesper Juul ist Familientherapeut<br />
und Bestsellerautor. Eltern, Lehrern und<br />
allen die an der Erziehung von Kin dern beteiligt<br />
sind empfehle ich sei ne Bücher. Sie führen zu mehr<br />
Ge lassenheit in der Erziehung. Ganz nach dem<br />
Motto „Entspannte Eltern - entspannte Kinder“.<br />
Hier und in der nächsten Ausgabe des Wendelstein-<br />
Anzeigers ein Auszug aus einem In terview mit<br />
Jesper Juul, das 2010 im ZEITmagazin erschienen<br />
ist.<br />
ZeIt: Ist es heute eine gute Zeit, um ein Kind<br />
zu sein, Herr Juul?<br />
Juul: Eigentlich müsste man die Kinder selbst<br />
fragen, nur werden sie ja leider ohne Geschichte<br />
geboren - sie wissen nicht, wie es früher war. Ich<br />
selbst denke: ja und nein. Es ist eine gute Zeit, denn<br />
die individuelle Freiheit der Kinder hat sich vergrös<br />
sert. Gleichzeitig sind wir allerdings dabei, das<br />
Leben von Kindern mehr und mehr zu begrenzen.<br />
ZeIt: Inwiefern?<br />
Juul: In Skandinavien verbringen 95 Prozent<br />
der Kinder zwischen dem ersten und dem 14. Le -<br />
bensjahr ins gesamt unglaubliche 26.000 Stunden<br />
in pädagogischen Einrichtungen, in denen sie ein<br />
vorgegebenes Programm absolvieren müssen. Wie<br />
Kin der wohnen, wie sie sich durch die Stadt be -<br />
wegen, das alles hat sich verändert, die Grenzen<br />
um die Kin der herum waren nie enger als jetzt. Es<br />
ADHS – Wenn Kinder nicht mehr richtig funktionieren (3. Teil) von Florian Hauch<br />
ist übrigens interessant, dass die Leute ausgerech net<br />
heute immer sa gen: „Kinder brauchen Grenzen.”<br />
ZeIt: Eine Maxime, die man spä ter belächeln,<br />
vielleicht sogar verurteilen wird?<br />
Juul: Ganz sicher. Die armen Kin der haben ja<br />
heute kaum noch Zeit für sich, sie haben keinen<br />
erwachse n enfreien Raum, wie meine Genera tion<br />
ihn noch hatte. Auf der Straße, im Hof, im Wald<br />
- da haben wir frü her soziale Kompetenz er worben,<br />
nicht in der Schule oder zu Hause, wo wir<br />
allenfalls gelernt haben, wie man sich korrekt<br />
und höflich verhält.<br />
ZeIt: Welchen Einfluss hat die Schule auf<br />
die Entwicklung der Kin der?<br />
Juul: In Deutschland haben wir unglücklicherweise<br />
diese verdamm te Schule, in der schon nach<br />
der vier ten Klasse selektiert wird. Dieses Sy stem<br />
passte am Anfang der Industrie gesellschaft, wo man<br />
eine kleine Gruppe brauchte, die führen musste,<br />
und eine große Gruppe, die sich füh ren lassen musste.<br />
Aber heute setzt das System bloß Eltern unter<br />
einen massiven Druck, den sie an die Kin der weitergeben.<br />
Meine Güte, die sind sieben, acht, neun,<br />
und ihnen wird gesagt, wenn du nicht gut ge nug<br />
bist, kannst du nicht an die Uni gehen. Die können<br />
sich überhaupt nichts vorstellen unter einer Uni.<br />
ZeIt: Bildung ist wichtig, das wissen die<br />
El tern - und sorgen sich.<br />
Juul: Vor allem die Politiker re den, als ob Bildung<br />
alle Probleme lösen könnte - und als ob un -<br />
sere Ge sellschaft keine Kellner oder Kö che brauchte,<br />
sondern nur Akademiker. Viel eher sollte man<br />
sich mal die Frage stellen, welche Kinder die<br />
El tern haben wollen - und welche Kin der unsere<br />
Gesellschaft haben will. Man sollte aufhören,<br />
Kinder als reine Ressource anzusehen.<br />
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ZeIt: Janusz Korczak, der be rühmte Pädagoge,<br />
postulierte das Recht des Kindes auf den<br />
heutigen Tag. Das Verharren in der Gegenwart<br />
war mal das Privileg der Kind heit - gilt das<br />
heute nicht mehr, weil wir immerzu daran denken,<br />
was aus dem Kind mal werden soll?<br />
Juul: Die heutigen Kinder haben unglaublich<br />
viel Stress - daher rüh ren viele Probleme, die sie<br />
gerade haben. Hier und jetzt sein zu dürfen, das<br />
vermissen Kinder. Wenn ich heu te Abend nach<br />
diesem Interview heim komme, wird mein Enkel<br />
unter Ga rantie sagen: Ich will mit dir aufs Tram p olin.<br />
Und wenn ich sage, nein, das ist jetzt zu spät,<br />
dann ist das bru tal. Das Kind sagt ja nur: Ich habe<br />
dich vermisst, ich möchte mit dir spielen - und spie l en<br />
ist immer so fort. Die Leichtigkeit, darauf ein zu gehen,<br />
fehlt oft im Alltag. Kinder können von ihren<br />
Eltern nicht mehr lernen, wie man sich entspannt.<br />
ZeIt: Weil die Eltern selbst nie entspannt sind.<br />
Der Job, der Partner, die Lehrer, die Kinder selbst,<br />
alle stellen Ansprüche an sie - ist es eine schlechte<br />
Zeit, um Vater oder Mutter zu sein?<br />
Juul: Ja, denn es gibt diesen An spruch, der gern<br />
von Politikern über 70 geäußert wird: Kinder sollen<br />
folg sam sein. Damals, also in den fünf ziger,<br />
sechziger, sogar in den siebziger Jahren, hat das<br />
irgendwie ge passt. Es war die Zeit des Wieder aufbaus<br />
nach dem Krieg, da brauch te man Disziplin.<br />
ZeIt: Sie würden die Werte die ser Zeit nicht<br />
verteufeln?<br />
Juul: Nein, aus damaliger Sicht waren sie<br />
durchaus richtig.<br />
ZeIt: Wenn jede Zeit ihre Er ziehung hat, heißt<br />
das auch, dass je der Vater und jede Mutter eine<br />
eige ne Erziehung hat? Kann oder muss also je der<br />
seine Kinder so erziehen, wie es zu ihm passt?<br />
Das hieße, ein Mensch, der selbst nicht allzu konsequent<br />
ist, würde auch in der Er ziehung darauf<br />
verzichten, konsequent zu sein.<br />
Juul: Dass die Idee der Konsequenz so er folgreich<br />
ist, hat mit einem Missverständnis zu tun. In<br />
den dreißiger Jahren und nach dem Krieg hat man<br />
sich mit verhaltensauffälli gen Kindern beschäftigt<br />
und sich ge fragt, was da eigentlich los ist. Man<br />
hat festgestellt, dass Eltern solcher Kinder in konsequent<br />
waren. Daraus hat man geschlossen, dass<br />
Konsequenz wichtig sei. Doch das Problem der<br />
Kinder war nicht, dass die El tern nicht konsequent<br />
waren - es gab kei ne Konsistenz zwischen ihren<br />
Wert vorstellungen und ihrem Verhalten. Es ist tatsächlich<br />
so: Ich kann nicht als Mensch inkonsequent<br />
sein und dann die Mutterrolle spielen und<br />
sa gen, jetzt muss ich aber konsequent sein.<br />
Fortsetzung in der nächsten Ausgabe. Die Heilpraktiker<br />
Andrea Dorok und Florian Hauch haben<br />
in Rosenheim eine Arbeitsge meinschaft ADHS<br />
gegründet. Ziel ist es die Kinder ganzheitlich und<br />
ver haltenstherapeutisch zu unterstützen.<br />
arbeitsgemeinschaft adhs: andrea dorok,<br />
florian hauch (heilpraktiker); kontakt:<br />
nikolaistr. 8, rosenheim, tel. 0 80 31797 69 60<br />
32 Wendelstein-Anzeiger / InnFormativ<br />
März 2012