Der Schimmelreiter
Der Schimmelreiter
Der Schimmelreiter
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Der</strong> <strong>Schimmelreiter</strong><br />
Schauspiel von Francis Mohr<br />
nach der Novelle von Theodor Storm<br />
Trien Jans auf dem Weg zu Tede Haien’s Haus. Sie schreit ins Off, in der Hand<br />
einen Sack.<br />
Trien (Wütend. Jammernd.) Tot! Tot! Hauke Haien, Du sollst verflucht<br />
sein! Du hast ihn totgeschlagen, meinen guten Kater. Meinen<br />
Spanier. Er war der Letzte, der bei mir blieb. Erst verliere ich<br />
meinen Sohn und nun erschlägst Du meinen Kater. Du<br />
nichtsnutziger Strandläufer. Du warst es nicht wert, ihm den<br />
Schwanz zu bürsten. Verflucht! Verflucht sollst Du sein!<br />
Trien kommt an der Tür von Tede Haiens Haus an und donnert mit der Faust<br />
dagegen. Tede tritt vor die Tür.<br />
Tede Na, Trien! Was bringt Sie Neues in Ihrem Sack?<br />
Trien Erst lass Er mich in die Stube, Tede Haien. Dann soll Er’s sehen.<br />
Tede So komm Sie!<br />
Trien Bring Er den alten Tabakskasten und das Schreibzeug von dem<br />
Tisch. Was hat Er denn immer zu schreiben? So und nun wisch Er<br />
den Tisch sauber ab. (Trien schüttet den Katerleichnam auf den<br />
Tisch. Wütend.) Da hat Er ihn. Sein Hauke hat ihn totgeschlagen.<br />
(Weint, den Kater liebkosend.) Mein Kleiner. Mein Weißer. Warum<br />
hat er das getan? Mein Getreuer. Mein Einziger.<br />
Tede So!? Hauke hat ihn totgeschlagen?<br />
Trien Ja, ja, so Gott, das hat er getan. Kein Kind, kein Lebigs mehr. Und<br />
Er weiß es ja auch wohl, uns Alten, wenn’s nach Allerheiligen<br />
kommt, frieren abends im Bett die Beine, und statt zu schlafen,<br />
hören wir den Nordwest an unseren Fensterläden rappeln. Ich hör’s<br />
nicht gern, Tede Haien, er kommt daher, wo mein Junge im Schlick<br />
versank. (Auf ihren Kater zeigend und ihn steichelnd.) <strong>Der</strong> aber,<br />
wenn ich winters am Spinnrad saß, dann saß er bei mir und spann<br />
Seite 1 / 3
auch und sah mich an mit seinen grünen Augen! Und kroch ich,<br />
wenn’s mir kalt wurde, in mein Bett – es dauerte nicht lang, so<br />
sprang er zu mir und legte sich auf meine frierenden Beine, und wir<br />
schliefen so warm mitsammen, als hätte ich noch meinen jungen<br />
Schatz im Bett.<br />
Tede Ich weiß Ihr einen Rat, Trien Jans. (Geht zur Schatulle und entnimmt<br />
eine Silbermünze.) Sie sagt, dass Ihr Hauke das Tier vom Leben<br />
gebracht hat, und ich weiß, Sie lügt nicht. Aber hier ist ein Krontaler<br />
von Christian dem Vierten. Damit kauf Sie sich ein gegerbtes<br />
Lammfell für Ihre kalten Beine! Und wenn unsere Katze nächstens<br />
Junge wirft, so mag Sie sich das größte davon aussuchen. Das<br />
zusammen tut wohl einen altersschwachen Angorakater. Und nun<br />
nehm Sie das Vieh und bring Sie es meinethalb an den Racker in<br />
der Stadt, und halt Sie das Maul, dass es hier auf meinem ehrlichen<br />
Tisch gelegen hat. (Tede wirft Trien den Taler zu, den diese gierig<br />
auffängt.)<br />
Trien (Im Hinausgehen.) Vergesse Er mir nur den jungen Kater nicht!<br />
Geht ab.<br />
Hauke betritt die Stube und wirft einen bunten Vogel auf den Tisch. Dabei<br />
entdeckt er einen Blutfleck auf der Tischplatte.<br />
Hauke Was ist denn das?<br />
Tede Das ist Blut, was Du hast fließen machen.<br />
Hauke Ist denn Trien‘ Jans mit ihrem Kater hier gewesen?<br />
Tede (Nickend.) Weshalb hast Du ihn totgeschlagen?<br />
Hauke Seinen blutigen Arm entblößend. (Deshalb! Er hat mir den Vogel<br />
fortgerissen und zugleich seine scharfen Krallen in mein Fleisch<br />
geschlagen.)<br />
Ruhe. Tede geht schweigend einige Zeit in der Stube auf und ab.<br />
Tede Das mit dem Kater habe ich rein gemacht. Aber, siehst Du, Hauke,<br />
die Kate ist hier zu klein. Zwei Herren können darauf nicht sitzen.<br />
Es ist nun Zeit, Du musst Dir einen Dienst besorgen!<br />
Hauke Ja, Vater, hab dergleichen auch gedacht.<br />
Seite 2 / 3
Tede Warum?<br />
Hauke Ja, man wird grimmig in sich, wenn man’s nicht an einem<br />
ordentlichen Stück Arbeit auslassen kann.<br />
Tede So? Und darum hast Du den Angorer totgeschlagen? Das könnte<br />
leicht noch schlimmer werden?<br />
Hauke Er mag wohl Recht haben, Vater. Aber der Deichgraf hat seinen<br />
Kleinknecht fortgejagt. Das könnt ich schon verrichten!<br />
Tede <strong>Der</strong> Deichgraf ist ein Dummkopf, dumm wie ‘ne Saatgans! Er ist nur<br />
Deichgraf, weil sein Vater und Großvater es gewesen sind, und<br />
wegen seiner neunundzwanzig Fennen. Wenn Martine herankommt<br />
und hernach die Deich- und Sielrechnungen abgetan werden<br />
müssen, dann füttert er den Schulmeister mit Gansbraten und Met<br />
und Weizenkringeln und sitzt dabei und nickt, wenn er mit seiner<br />
Feder die Zahlenreihen hinunterläuft, und sagt: „Ja, ja,<br />
Schulmeister, Gott vergönn’s Ihm! Was kann er rechnen.“ Wenn<br />
aber der Schulmeister einmal nicht kann oder auch nicht will, dann<br />
muss er selber dran und sitzt und schreibt und streicht wieder<br />
raus. Und der große dumme Kopf wird ihm rot und heiß, und die<br />
Augen quellen wie Glaskugeln, als wollte das bisschen Verstand da<br />
hinaus.<br />
Hauke Ja, Gott tröst’! Dumm ist er wohl, aber seine Tochter Elke, die kann<br />
rechnen.<br />
Tede (Scharfer Blick auf Hauke.) Ahoi, Hauke, was weißt Du von Elke<br />
Volkerts?<br />
Hauke Nichts Vater, der Schulmeister hat’s mir nur erzählt.<br />
Tede (Bedächtig.) Und Du denkst, Du wirst dort auch mitrechnen können.<br />
Hauke O ja, Vater, das möchte schon gehen.<br />
Tede Nun, aber meinethalben, versuch einmal Dein Glück.<br />
Hauke Dank auch, Vater.<br />
Übrigens: Viele weitere Leseproben finden Sie auch auf<br />
unserer Website www.whalesongs.de<br />
Seite 3 / 3