TexT - Deutsches Down-Syndrom InfoCenter
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perspektiven und Potenziale (Ressourcen).<br />
Im Falle vorliegender Arbeit lautet die Frage:<br />
„Nehmen wir an, wenn (…) noch einmal<br />
eine Stotterbehandlung erhalten würde,<br />
was wäre dann in Ihren Augen ein Erfolg?“<br />
Nach Penn (1986) berührt die Überlegung<br />
eine grundlegende Systemeigenschaft, und<br />
zwar ihre Entwicklungsfähigkeit. Das hypothetische<br />
Fragen vermittelt darüber hinaus<br />
der Familie einen Eindruck von ihren eigenen<br />
Problemlösungskapazitäten.<br />
7.1 ergebnisse<br />
Ein Ziel stellt für die Interviewpartner die<br />
Stärkung des Selbstbewusstseins der Untersuchungspersonen<br />
dar. Weiterhin wäre<br />
es ein Erfolg, wenn einzelne Äußerungen<br />
„geraffter“ vermittelt werden könnten. Aber<br />
auch die Fähigkeit, das Stottern kontrollieren<br />
zu können, wird als erstrebenswerte Errungenschaft<br />
angegeben.<br />
Die Interviewpartner nannten nicht nur<br />
Erfolgskriterien, die mit einer Verbesserung<br />
der Stottersymptomatik und psychosozialen<br />
Kompetenz zusammenhängen, sondern<br />
fügten auch andere Perspektiven hinzu. So<br />
wäre es für die Sozialpädagogin und den<br />
Werkstattleiter von Georg ein Erfolg, wenn<br />
die vorhandenen Fähigkeiten im Bereich<br />
der Rede und Sprache im Allgemeinen erhalten<br />
und nicht schlechter werden. Für die<br />
Mutter von Heiko wäre es ein Erfolg, wenn<br />
das Stottern in seiner Ausprägung nicht<br />
mehr so stark variieren, sondern stagnieren<br />
würde. Eine ebenfalls neue Perspektive fügt<br />
auch der Werkstattleiter von Georg hinzu.<br />
Er bezieht mögliche Erfolge nicht nur auf<br />
Georg, sondern auch auf sich selber, indem<br />
er auch in Zukunft versucht, Georg besser<br />
zu verstehen.<br />
8. Schlussgedanken<br />
Die Ambition dieser Arbeit konnte letztlich<br />
keine andere sein, als sich auf einem breit<br />
gefächerten Fragenkatalog diesem Thema<br />
aus aktueller Sicht anzunähern. Dabei<br />
konnte der Forschungsgegenstand lediglich<br />
exploriert werden, um somit einen Anstoß<br />
zu geben, dieses Feld weiter zu beforschen.<br />
Es liegt in der Natur der Grundlagenforschung,<br />
dass der Bereich der Therapie noch<br />
nicht im erforderlichen Umfang angegangen<br />
werden konnte. Autoren (vgl. Cooper,<br />
1986; Preus, 1990; Cabanas, 1954), die darauf<br />
eingegangen sind, bewegen sich noch<br />
sehr auf Allgemeinplätzen, ohne konkrete<br />
Vorschläge für den Praktiker liefern zu können.<br />
Allerdings kann auf eine explorative<br />
Studie von Bray (2003) verwiesen werden,<br />
in der Therapeuten befragt wurden, wie sie<br />
mit stotternden Menschen mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong><br />
arbeiten und welche Erfolge sie damit<br />
erzielen. Interessant ist auch festzustellen,<br />
dass zu einem ähnlichen Zeitpunkt, wie die<br />
Daten zu dieser Arbeit erhoben wurden, im<br />
Sag niemals nie!<br />
<strong>TexT</strong>: BEVERLY BECKHAM, ÜBeRSeTZUNG: GUNDULA MEYER-EPPLER<br />
„Der Zahn fehlt. Der wird nie wachsen.<br />
fehlende Zähne sind sehr häufig bei Kindern<br />
mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>.“ So der Spezialist<br />
zu meiner Tochter und meinem Schwiegersohn<br />
vor mehreren Monaten.<br />
Er hat seine Aussage nicht abgefedert.<br />
Er hat nicht gesagt: „Vielleicht.“ Er<br />
hat „nie“ gesagt. Und dann, letzte Woche,<br />
war der Zahn da – der untere rechte seitliche<br />
Schneidezahn, genau neben dem unteren<br />
rechten mittleren Schneidezahn, genau<br />
dort, wo er hingehört.<br />
„Schau her, Lucy Rose“, sagte ich, als<br />
ich ihre gesamten 90 Zentimeter vor den<br />
Spiegel stellte. „Guck mal, was du da hast<br />
– einen nagelneuen, glänzenden, weißen<br />
Zahn!“ Ich habe meine Tochter in der Arbeit<br />
angerufen. „Ich weiß“, sagte sie, „ich<br />
hab’s heute Morgen gesehen. Schwer zu<br />
glauben, was?“ Ich kann es jetzt glauben.<br />
Weil der Zahn hier vor mir ist. Aber ich hatte<br />
das „nie“ geglaubt. Weil der Spezialist<br />
das gesagt hatte. Und wieder einmal hatte<br />
ich jemandem geglaubt, dem ich nicht<br />
hätte glauben sollen, jemandem, der Lucy<br />
gar nicht wirklich kannte. Sie wird nie laufen<br />
lernen. Er wird nie sprechen lernen. Sie<br />
wird nie ein College besuchen. Sie wird nie<br />
einen kompletten Satz Zähne haben.<br />
Wenn man ein Kind hat mit besonderen<br />
Bedürfnissen – mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>, mit<br />
Autismus, mit Diabetes, mit Muskel-Dystrophie<br />
– mit irgendetwas Chronischem<br />
oder Unheilbarem –, dann hört man sehr<br />
oft dieses „nie“. Ärzte sagen es. fremde sagen<br />
es. Und es hinterlässt Spuren.<br />
Lucy wird bald vier Jahre alt. Lucy mit<br />
ihrem neuen Zahn. Lucy, die die Ärzte<br />
überrascht hat und uns täglich immer wieder<br />
überrascht. Neulich hat sie einen Witz<br />
gemacht. Wir waren in der Küche und das<br />
fenster war auf und ich sagte: „Hör mal<br />
Lulu, ein Vögelchen“, weil ich irgendeinen<br />
Vogel hörte, der im Garten wild krakeelte.<br />
Und Lucy, die sich sehr genau gemerkt<br />
hatte, dass ich sie schon millionenfach geneckt<br />
hatte mit Unsinn wie „Kühe sagen<br />
Quak, Schweine sagen Miau“ und sie mich<br />
dann korrigieren durfte, weil sie weiß, dass<br />
es ein Spiel ist, guckt mich ganz ernst an,<br />
g SPRACHE<br />
angloamerikanischen Raum dieses Thema<br />
wieder – wenn auch nicht im großen Stil –<br />
aufgenommen wurde. <<br />
Ein Literaturverzeichnis zu diesem Artikel ist auf Anfrage<br />
bei der Redaktion von Leben mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> erhältlich.<br />
schüttelt ihren Kopf und macht das Zeichen<br />
für „Maus“.<br />
Maus. Kein Vogel. Siehst du, wie ich dein<br />
Spiel verstanden habe, sagt mir Lucy. Sie ist<br />
schlau. Und erfinderisch. Vor zwei Tagen<br />
versuchte sie mir etwas zu erzählen von einem<br />
Regenbogen und sie machte das Zeichen<br />
für „Bogen“, immer und immer wieder.<br />
Ich hab es einfach nicht verstanden.<br />
Ich versuchte zu raten: „Keks? Ball? Rausgehen?<br />
flugzeug? Tut mir leid, Lucy, ich versteh<br />
einfach nicht.“<br />
Aber Lucy hat weder aus frust wütend<br />
herumgeschrien noch hat sie aufgegeben<br />
– sie gibt eigentlich nie auf –, sie hat<br />
erst einmal überlegt. Dann hüpfte sie vom<br />
Sofa herunter, lief zum CD-Schrank, wühlte<br />
durch die CDs und kam zurück mit einer<br />
CD mit einem Regenbogen vorne drauf.<br />
„Oh einen Regenbogen!“, habe ich gerufen,<br />
so wie ein Teilnehmer bei einem Wettbewerb<br />
im fernsehen, der den Hauptpreis<br />
gewonnen hat, ohne irgendetwas können<br />
zu müssen. „Ja“, sagte Lucy. Sie umarmte<br />
mich und verzieh mir meine Unfähigkeit<br />
und lächelte.<br />
Pränatale Tests zielen auf solche Kinder<br />
wie Lucy und Ärzte entschuldigen sich,<br />
wenn Kinder wie Lucy geboren werden.<br />
Lucy ist ein Kind, das die Welt lieber nicht<br />
haben möchte. Törichte, törichte Welt. Sie<br />
wird nie die Sachen machen können, die<br />
andere Kinder machen. Das ist die Aussage<br />
von den Experten. Was sie aber vergessen<br />
zu erwähnen, sind alle die Sachen, die<br />
Lucy machen wird.<br />
Ich habe neulich etwas im Web gefunden<br />
und mir kopiert: „Häufige Charakteristika<br />
in Menschen mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>:<br />
natürliche Spontanität, echte Wärme,<br />
durchdringende Klarheit in Bezug auf andere<br />
Menschen, Sanftmut, Geduld und<br />
Toleranz, totale Ehrlichkeit und die fähigkeit,<br />
uneingeschränkt das Leben zu<br />
genießen.“ Ich beobachte Lucy und ihre<br />
uneingeschränkte fähigkeit, das Leben<br />
zu genießen. Ich beobachte sie und lerne<br />
von meinem ersten Enkelkind, das ein Geschenk<br />
ist an mich vom Leben. <<br />
Leben mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> Nr. 57 I Januar 2008 33