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Einführung in die Prozessorientierte Psychologie (POP) - Pantarhei ...

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<strong>Prozessorientierte</strong> <strong>Psychologie</strong>(<strong>POP</strong>)oderDer Lauf des FlussesDiese Richtung wurde von Arnold M<strong>in</strong>dell begründetund wird von ihm und vielen Kollegen/Innenweiterentwickelt. Sie verb<strong>in</strong>det Ideenund Konzepte aus <strong>Psychologie</strong>, Philosophie,Soziologie, Politik, moderner Physik und verschiedenenspirituellen Richtungen. Die wichtigstenE<strong>in</strong>flüsse kommen von C.G. Jung, der Gestaltpsychologie,dem Schamanismus, der Alchemieund dem Taoismus.Auf Grund der Vielfalt der E<strong>in</strong>flüsse und demganzheitlichen Konzept von <strong>POP</strong>- bei dem e<strong>in</strong>epsychische Krankheit nicht nur als e<strong>in</strong> isoliertesPhänomen der betreffenden Person, sondern alsAusdruck e<strong>in</strong>es Beziehungsgeflechtes von Individuum,Kultur, gesellschaftlichen Rollen, globalenE<strong>in</strong>flüssen und Zeitgeist verstanden wird - istder Begriff <strong>Psychologie</strong> eigentlich nicht mehrganz zutreffend. Mittlerweile werden deshalbteilweise <strong>die</strong> Begriffe Prozeßarbeit und prozessierenverwandt, da sie neutraler und allgeme<strong>in</strong>ers<strong>in</strong>d.Ganzheitlichkeit und Vielfalt s<strong>in</strong>d nicht nur derweltanschauliche H<strong>in</strong>tergrund von <strong>POP</strong>, sondernhaben <strong>die</strong> Konsequenz, daß <strong>POP</strong> auf all <strong>die</strong>senEbenen auch handelt. Deshalb arbeitet <strong>POP</strong>sowohl mit E<strong>in</strong>zelnen, Paaren, Kle<strong>in</strong>- und Großgruppenund greift dabei Themen wie Extremzustände,Sucht, Mißbrauch, sexuelle Ausrichtung,M<strong>in</strong>derheiten und Rassismus auf. E<strong>in</strong>e besondereForm ist das sogenannte Worldwork, bei demMenschen aus allen Teilen der Welt zusammenkommenund ihre aktuellen Themen „prozessieren“und dadurch an sich und der Welt arbeiten.Zur Theorie:E<strong>in</strong> wesentlicher Begriff ist <strong>die</strong> Wortschöpfung –Traumkörper. M<strong>in</strong>dell hatte festgestellt, daß,wenn <strong>die</strong> therapeutische Arbeit e<strong>in</strong>e gewisseIntensität erreicht hatte, <strong>die</strong> Klienten spontan ihreTräume er<strong>in</strong>nerten und sich für sie e<strong>in</strong> relevanterZusammenhang zwischen beidem – dem momentanenProzeß und dem Traum - auftat. Erschloß daraus, daß Träume ke<strong>in</strong> isoliertes psychischesPhänomen s<strong>in</strong>d , sondern <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em übergeordnetenMuster, dem Traumkörper-Prozeßmit dem Körper des Menschen verbunden s<strong>in</strong>d.Der gleiche Prozeß, der nachts <strong>in</strong> unseren Träumenersche<strong>in</strong>t, geht tagsüber <strong>in</strong> unseren Körpernweiter.Erkennen kann man ihn beispielsweise an flüchtigen,unsche<strong>in</strong>baren, undeutlichen oder abgebrochenenBewegungen, <strong>die</strong> mehr oder wenigerunbewußt s<strong>in</strong>d und nicht unserem Willen unterliegen- so als ob sie uns zustießen. Desweiterenkann sich der Traumkörper-Prozeß <strong>in</strong> Körpersymptomenwie Kopfschmerz, Magendruck, Hitze-oder Kälteempf<strong>in</strong>dungen zeigen. Diese Symptomemachen wir nicht, sie geschehen uns,genau wie <strong>die</strong> Träume.Für <strong>die</strong> praktische Arbeit ergeben sich darauszwei Möglichkeiten: ich kann von den Träumenausgehen, um sie mit dem Erleben des Körperszu verb<strong>in</strong>den, oder ich gehe umgekehrt von derKörperwahrnehmung aus.Das Wort Prozeß wird bei <strong>POP</strong> sehr allgeme<strong>in</strong>verwendet und betont <strong>die</strong> Bewegung und denFluß der D<strong>in</strong>ge. Statische Zustände s<strong>in</strong>d aus<strong>die</strong>ser Sichtweise dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>geschlossen. Siehemmen zwar den Lauf der D<strong>in</strong>ge, was e<strong>in</strong>erseitsoft als störend empfunden wird (z.B. <strong>in</strong>Form von Krankheiten), andererseits aber auchsehr wichtig und nützlich se<strong>in</strong> kann, <strong>in</strong>dem mansich bspw. zurückzieht und Erlebnisse verdaut.Letztlich gehören sie also zum Gesamtprozeßdazu und halten ihn nicht wirklich auf.Diese Sichtweise steht <strong>in</strong> starkem Kontrast zuunserer westlichen Kultur, <strong>die</strong> (wissenschaftlich)alles klar def<strong>in</strong>ieren und festlegen möchte. AuchMenschen können so bestimmten Charakteren,Klassen oder Kulturen zugeordnet werden. Wennich glaube, ich oder jemand anders ist e<strong>in</strong>fach sound so, ist es schwer, <strong>die</strong>sen Zustand zu überw<strong>in</strong>den.Es ist auch ke<strong>in</strong> treffendes Bild der Wirklichkeit,es ist e<strong>in</strong>e Theorie oder Landkarte von der Wirklichkeit.Würde man <strong>in</strong> solchen Momenten denMenschen oder sich selbst genauer wahrnehmen- so <strong>die</strong> <strong>POP</strong>-Theorie oder auch der Zen-Buddhismus - würde man jede Menge an Bewegungund Veränderung sogar von M<strong>in</strong>ute zu M<strong>in</strong>uteerkennen können. Prozesse würden dannimmer noch mal schneller und mal langsamerablaufen, es gäbe aber ke<strong>in</strong>en (aussichtslosen)Stillstand. Diese Ansicht stimmt im übrigen mitder Sichtweise der modernen Physik übere<strong>in</strong>,daß bis <strong>in</strong> den subatomaren Bereich h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> allesständig <strong>in</strong> Bewegung ist, wobei <strong>die</strong> Bewegungennicht völlig chaotisch verlaufen, sondern immermit bestimmten Mustern verbunden s<strong>in</strong>d.<strong>POP</strong> stellt Handwerkszeuge sogenannte Skills(z.B. e<strong>in</strong>en Hammer) und Metaskills (wie ich denHammer benutze) zur Verfügung, um sich <strong>in</strong>nerhalb<strong>die</strong>ser vielfältige Bewegungsmuster orientierenund selber bewegen und/oder bewegen lassenzu können (wie „schwimmen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Fluß“).Der Schwerpunkt der Arbeit liegt darauf, denmomentanen Prozeß sehr genau und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>erganzen Vielfalt bewußt wahrzunehmen und alledar<strong>in</strong> enthaltenen Teile gleichermaßen wertzuschätzenund zu unterstützen (tiefe Demokratie).Dies geschieht <strong>in</strong> dem Vertrauen, daß derProzeß aus sich heraus (nicht durch das Wissenoder <strong>die</strong> Ziele der Therapeuten) se<strong>in</strong>en eigenenWeg f<strong>in</strong>det.©Thomas Wetzorke, Gött<strong>in</strong>gen 2007 1


E<strong>in</strong> weiterer Schritt besteht dar<strong>in</strong>, <strong>die</strong>sen Prozeßim Zusammenhang größerer Prozesse, sogenannterLebensmuster, wahrzunehmen. Dieses<strong>in</strong>d weniger flüssig und wandeln sich nicht soschnell wie der momentan ablaufende Prozeß,ihre Inhalte - <strong>die</strong> Lebensthemen - wiederholensich mit e<strong>in</strong>er gewissen Regelmäßigkeit, so daßder E<strong>in</strong>druck e<strong>in</strong>er gewissen Konstanz oder Festigkeitentsteht. Sie s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong>dividuell,andererseits s<strong>in</strong>d sie <strong>in</strong> kollektive Prozesse (Zeitgeist)e<strong>in</strong>gebunden.Heilsame StörungenDer Umgang mit Störungen spielt bei <strong>POP</strong> e<strong>in</strong>ezentrale Rolle. Während viele psychologischenund sonstige Richtungen <strong>die</strong> meisten Störungenbewußt oder unbewußt vermeiden oder nichtwahrnehmen wollen, heißt <strong>POP</strong> alle Störungenerst e<strong>in</strong>mal willkommen, denn <strong>in</strong> ihnen stecktsehr oft das Potential zur Veränderung und Erneuerung.(Sicherlich gibt es auch Störungen, <strong>die</strong>man <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>en oder anderen Form auch abwehrensollte. Allerd<strong>in</strong>gs sollte man, bevor man<strong>die</strong>s tut, sich bewußt gemacht haben, um was füre<strong>in</strong>e Art von Störung es sich handelt.)Was s<strong>in</strong>d Störungen überhaupt (aus der Sichtder jeweils wahrnehmenden Person) : Es s<strong>in</strong>dMenschen und „D<strong>in</strong>ge“, <strong>die</strong> nicht „richtig“ - nachden eigenen Maßstäben – funktionieren odernicht <strong>in</strong> me<strong>in</strong> Weltbild zu passen sche<strong>in</strong>en, vordenen ich Angst habe oder über <strong>die</strong> ich michärgere. Störungen können von außen kommen,z.B. <strong>in</strong> Form von lauten K<strong>in</strong>dern, une<strong>in</strong>sichtigenBerufskollegen, streitsüchtigen Beziehungspartnern...odervon <strong>in</strong>nen, <strong>in</strong> Form von Krankheiten,Körpersymptomen...Zu unterscheiden ist <strong>die</strong> Störung selbst von me<strong>in</strong>erReaktion auf <strong>die</strong> Störung. Der direkte Momentdes Gestört-werdens ist meist kurz undunmerklich. B<strong>in</strong> ich gestört worden, ist me<strong>in</strong>eerste (unbewußte) Reaktion meist <strong>die</strong> der Abwehr,ich will <strong>die</strong> Störung nicht wahrhaben, sieloswerden oder auf Abstand halten. Ich habeAngst, werde wütend, lethargisch, müde, lenkemich ab, wechsele das Thema...E<strong>in</strong>e Störung, wenn ich sie nicht wahrnehme,wird sich <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>en oder anderen Form immerwiederholen, bis es mir gel<strong>in</strong>gt, sie wahrzunehmenund anzuerkennen und <strong>die</strong> dar<strong>in</strong> enthalteneInformation <strong>in</strong> me<strong>in</strong> Leben zu <strong>in</strong>tegrieren.E<strong>in</strong>e Möglichkeit, bspw. mit Krankheiten oderKörpersymptomen zu arbeiten, besteht dar<strong>in</strong>, <strong>die</strong>Symptome nicht wie im mediz<strong>in</strong>ischen Modell„wegzumachen“, sondern genau das Gegenteilzu tun, mich ihnen bewußt und aufmerksamzuzuwenden. Ich kann versuchen, sie sogarnoch zu verstärken, <strong>in</strong>dem ich z.B. e<strong>in</strong>en Druckmit me<strong>in</strong>er Hand <strong>in</strong>tensiviere oder mir vorstellee<strong>in</strong>e brennende Hautstelle wird noch heißer. In<strong>die</strong>sem Moment sollte ich sehr genau daraufachten, was alles <strong>in</strong> mir geschieht, wie me<strong>in</strong> Körperdarauf reagiert, ob vielleicht Bilder, Gefühleoder Bewegungen entstehen, <strong>die</strong> es dann weiterzu verfolgen gilt, so daß der Prozeß entfaltetwerden kann. Diese Methode nennt <strong>POP</strong>:Amplifizieren..Unabhängig von <strong>die</strong>sem Beispiel geht es <strong>POP</strong>nicht vordergründig um Heilung, sondern - ganzallgeme<strong>in</strong> und neutral ausgedrückt - um Wandlung.Vielleicht verschw<strong>in</strong>den durch Prozeß-Arbeit me<strong>in</strong>e Krankheitssymptome und ich fühlemich geheilt. Vielleicht bleiben sie aber auchbestehen und trotzdem hat sich me<strong>in</strong> Leben verändert.Ich b<strong>in</strong> durch <strong>die</strong> Erfahrungen bereichertworden und b<strong>in</strong> wieder <strong>in</strong> den Fluß des Lebense<strong>in</strong>getaucht und fühle mich lebendig, obwohl ichaus mediz<strong>in</strong>ischer Sichtweise noch e<strong>in</strong>e Krankheithabe. Dies hieße, mich frei zu machen vonirgendwelchen Def<strong>in</strong>itionen wie krank, gesund,verrückt...und e<strong>in</strong>fach me<strong>in</strong> Leben zu leben <strong>in</strong>dem Vertrauen, daß me<strong>in</strong> Prozeß mich schonrichtig durch me<strong>in</strong> Leben führen wird.Ideale im H<strong>in</strong>tergrundStörungen und Krankheiten werden <strong>in</strong> unsererKultur oft abgewertet und verdrängt, weil sie demmitteleuropäischen Ideal von jungen, dynamischen,erfolgreichen, zufriedenen, nicht zu extremenund sich im Gleichgewicht bef<strong>in</strong>dlichenMenschen nicht entsprechen. Und da viele Therapierichtungenebenfalls Ausdruck ihrer Kulturs<strong>in</strong>d, wollen sie (zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> unseren Breiten)ebenfalls e<strong>in</strong>en mehr oder weniger ausgewogenenGleichgewichtszustand aufrechterhalten(ke<strong>in</strong>e Störungen zulassen) oder wiederherstellen(Störungen beseitigen), was e<strong>in</strong>er Anpassungan <strong>die</strong> kulturellen Ideale entspricht.Mit <strong>die</strong>sem H<strong>in</strong>tergrund werde ich versuchen,Prozesse <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e bestimmte Richtung zu lenken.Als <strong>POP</strong>-Therapeut jedoch verfolge ich ke<strong>in</strong>evorbestimmten Ziele, sondern ich stelle me<strong>in</strong>eWahrnehmung zur Verfügung und unterstützeden Prozeß, so wie er sich zeigt und woh<strong>in</strong> erfließen will. Den H<strong>in</strong>tergrund hierfür beschreibtM<strong>in</strong>dell <strong>in</strong> „Traumkörperarbeit“ so: „Auch Prozeßarbeithat e<strong>in</strong>e Art Theologie im H<strong>in</strong>tergrund.Ähnlich wie e<strong>in</strong>e Naturreligion kennt sie alle Gottheiten.In jeder Sitzung kann <strong>die</strong> Entfaltung desProzesses sowohl scheue Bekenntnisse, ekstatischeExplosionen oder wilde Ausbrüche vonRaserei, als auch analytische Denkprozessebewirken.“ E<strong>in</strong> Stück weiter: „Anthropologischgesprochen ist Prozeßwissenschaft e<strong>in</strong>e ArtStammesreligion von Naturgöttern. AndereStämme stellen ihre Götter über <strong>die</strong> der anderenund schaffen e<strong>in</strong>e hierarchische Mythologie undsomit Fe<strong>in</strong>dseligkeit gegenüber den Göttern ihrerNachbarn. Prozeßwissenschaft jedoch kennt©Thomas Wetzorke, Gött<strong>in</strong>gen 2007 2


ke<strong>in</strong>e Ordnung der Götter, wie Materie vor Psyche,Körper vor Verstand, Sexualität vor Macht,das Hier und Jetzt vor der Vergangenheit.“Bleibt noch <strong>die</strong> Frage, woher <strong>die</strong> Prozesse kommen.M<strong>in</strong>dells Antwort wäre wahrsche<strong>in</strong>lich: ausdem Unbekannten, Mysteriösen oder vom Tao.Es (das Tao) ist immer da, sozusagen der Se<strong>in</strong>sgrundunserer Existenz, und will durch unswahrgenommen und immer mehr entfaltet werden.Letztlich ist es ke<strong>in</strong> anderes oder gegenüber,sondern wir s<strong>in</strong>d es - auch wenn wir esnicht immer wahrnehmen können - <strong>in</strong> jedem e<strong>in</strong>zelnenMoment.ProzeßstrukturenLaut <strong>POP</strong> gibt es ke<strong>in</strong> festumrissenes Ich, vielmehrgibt es lediglich <strong>die</strong> sich ständig veränderndeWahrnehmung von Signalen, <strong>die</strong> dasTao....uns schickt. Manche Signale nehmen wirhäufiger und deutlicher wahr, <strong>die</strong>se s<strong>in</strong>d mit unseremprimären Prozeß verbunden, andereweniger häufig und deutlich, <strong>die</strong>se s<strong>in</strong>d mit unseremsekundären Prozeß verbunden. Weiterh<strong>in</strong>ist der primäre Prozeß etwas, wozu wir „ja“ sagen,womit wir uns identifizieren (z.B. „ich b<strong>in</strong>arbeitsam, <strong>in</strong>telligent, dynamisch...“) . und dersekundäre Prozeß etwas, was wir teilweise odergar nicht bewußt wahrnehmen, oder als außerhalbvon uns liegend (me<strong>in</strong> Freund ist dumm,faul...), oder als irgend e<strong>in</strong>e Art von Störung, mitder wir uns gar nicht oder nur sehr schwer identifizieren.Zwischen beiden Prozessen gibt es e<strong>in</strong>e Grenzeoder Grenzbereich. Die sogenannten Grenzfiguren/wesen(oft „Kritiker“) „bewachen“ <strong>die</strong>Grenze und schützen und erhalten den primärenProzeß, und wollen ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gl<strong>in</strong>ge (das Sekundäre,Neue) h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>lassen. Und genau <strong>die</strong>sesWechselspiel zwischen Primärem und Sekundärem(Bestehendem und Neuem oder Konservativemund Progressivem) macht <strong>die</strong> Dynamik vonWachstum aus.Woher wissen wir, ob wir den primären, sekundärenProzeß oder e<strong>in</strong>e Grenze wahrnehmen ?Diese, das Ganze wahrnehmende, Instanz nenntM<strong>in</strong>dell Metakommunikator. Im Unterschied zue<strong>in</strong>igen spirituellen Richtungen, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>en passivbeobachtenden, sogenannten „<strong>in</strong>neren Zeugen“postulieren, ist der Metakommunikator e<strong>in</strong>e Instanz,<strong>die</strong> nicht nur bewußt das Ganze und se<strong>in</strong>eunterschiedlichen Teile wahrnehmen, sondernauch darüber mit anderen kommunizieren kann.Dies ist <strong>in</strong>sbesondere für <strong>die</strong> Therapeutenrollesehr wichtig.Allgeme<strong>in</strong> möchte ich noch darauf h<strong>in</strong>weisen,daß ich alles, was ich wahrnehme, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gewissenArt und Weise auch b<strong>in</strong>. Ich b<strong>in</strong> das, wasich wahrnehme. Wenn ich <strong>die</strong>ses „ich“ oder <strong>die</strong>seWahrnehmung, <strong>die</strong> <strong>die</strong>ses „ich“ zu e<strong>in</strong>em gegebenenZeitpunkt hat, weiter differenziere, kannich <strong>die</strong>se Wahrnehmung <strong>in</strong> primäre und sekundäreAnteile und den Bereich der Grenze e<strong>in</strong>teilen.Ich kann sogar noch weiter differenzieren, <strong>in</strong>demich <strong>in</strong> mehr oder weniger primär oder mehr oderweniger sekundär e<strong>in</strong>teile: So entsteht e<strong>in</strong> Wahrnehmungskont<strong>in</strong>uum,das bei primär beg<strong>in</strong>nt,weniger primär wird, an e<strong>in</strong>en Grenzbereich gelangth<strong>in</strong>ter dem das Sekundäre beg<strong>in</strong>nt, was mitgrößerem Abstand immer undeutlicher und unklarerwird und mit dem ich mich immer wenigeridentifizieren mag und kann.Das Flußbett oder „Kanäle“Der Ort, wo <strong>die</strong> eben genannten Prozesse stattf<strong>in</strong>den,s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> sogenannten Kanäle, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>eenge Verb<strong>in</strong>dung zu den S<strong>in</strong>nesorganen aufweisen.Die wichtigsten Kanäle ,laut <strong>POP</strong>, s<strong>in</strong>d :Der visuelle Kanal - das Sehen betreffend(spezialisiert: Maltherapie und Traumdeutung).Der auditive Kanal - das Hören betreffend(spezialisiert: Musik- Stimm- u. Gesprächstherapie).Der propriozeptive Kanal - das Spüren vonSpannung/Entspannung, Wärme/Kälte, Druckund Hautempf<strong>in</strong>dungen betreffend(spezialisiert: Massagetherapien , Akupressur,...).Der k<strong>in</strong>ästhetische Kanal - <strong>die</strong> Bewegung betreffend( spezialisiert: Tanz- u. Bewegungstherapie, teilweiseKampfsportarten, Bioenergetik...).Prozesse können <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zelnen oder mehrerenKanälen gleichzeitig ablaufen oder auchschnell zwischen verschiedenen Kanälen h<strong>in</strong>undher wechseln. Das Besondere an <strong>POP</strong> liegtdar<strong>in</strong>, alle Kanäle zu benutzen. So ist es möglich,<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch (auditiver Kanal) e<strong>in</strong>e Handbewegung(k<strong>in</strong>ästhetischer Kanal) aufzugreifen,sich <strong>die</strong>ser zuzuwenden bis vielleicht der ganzeKörper <strong>in</strong> Bewegung ist. Taucht dann e<strong>in</strong>e Empf<strong>in</strong>dungwie z.B. Magendruck (propriozeptiverKanal) auf, könnte man mit der Bewegung aufhörenund sich ganz dem Magendruck zuwenden.Hier entsteht vielleicht e<strong>in</strong> <strong>in</strong>neres Bild (visuellerKanal), das man auf e<strong>in</strong> Blatt Papier malt...E<strong>in</strong> grundlegendes Schema könnte wie folgt aussehen:a) <strong>die</strong> Signale wahrnehmen und erkennenb) sie aufgreifen und sich ihnen zuwenden c) dasSignal erkunden (amplifizieren) durch Verstärken,Vertiefen, Variieren, um <strong>die</strong> dar<strong>in</strong> enthalteneInformation wahrzunehmen und/oder <strong>in</strong> den Flußzu den nächsten Signalen zu kommen, (manchmalwird <strong>die</strong> Information e<strong>in</strong>es Signals erst imweiteren Verlauf deutlich).©Thomas Wetzorke, Gött<strong>in</strong>gen 2007 3


Vere<strong>in</strong>facht könnte man sagen, daß das Tao unsdurch <strong>die</strong> verschiedenen Kanäle immer wiederBotschaften schickt, <strong>die</strong> wir aufnehmen und lebensollen (verstehen alle<strong>in</strong> reicht meistensnicht). Diese Botschaften/Informationen könnenaber nicht nur durch <strong>die</strong> eben genannten Grundkanälefließen, sondern auch durch den sogenanntenBeziehungskanal, der <strong>die</strong> eben genanntenGrundkanäle mitbenutzt, sie aber <strong>in</strong>e<strong>in</strong>en umfassenderen Zusammenhang stellt. DieInformation kommt hier durch e<strong>in</strong>zelne Menschenzu uns, <strong>in</strong>dem wir ihnen auf <strong>die</strong> unterschiedlichsteArt und Weise begegnen, sie sehen, hören...undvor allem: uns auf sie beziehen. Es istnicht so entscheidend, ob ich <strong>die</strong> entsprechendePerson kenne oder mit ihr <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er Weisefreundschaftlich verbunden b<strong>in</strong>. Wichtig ist, daß<strong>die</strong> Begegnung mit e<strong>in</strong>er gewissen Intensität desErlebens verbunden ist: ich fühle mich betroffen,berührt, gestört...Der Begriff „Beziehungskanal“ ist wertfrei zu verstehen,er be<strong>in</strong>haltet weder e<strong>in</strong>e Aussage überden Inhalt - ob <strong>die</strong> Beziehung/Begegnung z.B.angenehm oder unangenehm verläuft - noch,was im weiteren daraus entsteht. Im nächstenKapitel komme ich auf <strong>die</strong>sen Punkt noch e<strong>in</strong>malzurück.Wird me<strong>in</strong>e Wahrnehmung noch weiter und ichbeziehe mich auf mehrere Menschen (e<strong>in</strong>e Gruppe),viele Menschen (me<strong>in</strong> soziales Umfeld),noch mehr Menschen (me<strong>in</strong> Land) oder alleMenschen oder Ereignisse <strong>in</strong> der Welt, dannbef<strong>in</strong>de ich mich im Weltkanal. Zur ganzen Weltgehören nicht nur alle Menschen, sondern alles,was wir <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Welt wahrnehmen können:Menschen, Tiere, Pflanzen, Ste<strong>in</strong>e...Auch durchsie, kann das, was das Tao uns sagen will, zuuns gelangen.Außerdem können wir uns durch <strong>die</strong> „Welt“ angesprochenoder aufgerufen fühlen, uns mit großenoder kle<strong>in</strong>en Problemen unserer Mitmenschenoder der Umwelt ause<strong>in</strong>anderzusetzen,uns sozial oder politisch zu engagieren.Beziehungs- und Weltkanal s<strong>in</strong>d Mischkanäle,d.h. im Beziehungskanal s<strong>in</strong>d u.U. alle vierGrundkanäle und im Weltkanal u.U. alle vierGrundkanäle und der Beziehungskanal enthalten.Somit ist der Weltkanal der komplexesteKanal von allen, da alle anderen <strong>in</strong> ihn e<strong>in</strong>gebundens<strong>in</strong>d.Um <strong>die</strong> Beziehung der Kanäle zue<strong>in</strong>ander zuverdeutlichen gebe ich e<strong>in</strong> kurzes, konstruiertesBeispiel:Nehmen wir an, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em (sekundären) Prozeßgeht es darum, lauter zu werden. Dies könntesich wie folgt zeigen: Im auditiven Kanal rutschenmir immer wieder mal laute Worte heraus. Impropriozeptiven Kanal spüre ich e<strong>in</strong>en Druck imHals, der nach außen strebt. Im Beziehungskanalwerde ich von me<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong>/Freund immerwieder laut „angemacht“ oder provoziert. ImWeltkanal begegne ich <strong>in</strong> Gruppen immer wiederMenschen, <strong>die</strong> sich sehr laut unterhalten oderschreien oder das Laute begegnet mir <strong>in</strong> lautenEreignissen/Begegnungen mit Tieren, D<strong>in</strong>genoder Masch<strong>in</strong>en.Nun könnte man argumentieren, daß das, wasmir begegnet, nämlich so viele laute Ereignisse,re<strong>in</strong>er Zufall sei. Nun ist aber unsere Wahrnehmungnicht zufällig, sondern selektiv. BestimmteErsche<strong>in</strong>ungen können wir bewußt selektieren,<strong>in</strong>dem wir uns z.B. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Stimmengewirr nurauf e<strong>in</strong>e Stimme konzentrieren. Und genau sokann auch unser sekundärer Prozeß, D<strong>in</strong>ge, <strong>die</strong>wir wahrnehmen und andere, <strong>die</strong> wir nicht wahrnehmen,unbewußt für uns selektieren.H<strong>in</strong>zu kommt, daß wir das, was wir wahrnehmen,unterschiedlich <strong>in</strong>tensiv wahrnehmen. Haben wire<strong>in</strong>e starke Reaktion, spricht <strong>POP</strong> von positivemFeedback, haben wir e<strong>in</strong>e schwache Reaktion,von negativem Feedback. Diese Unterscheidung<strong>die</strong>nt <strong>in</strong> der therapeutischen Arbeit als Orientierung,und zwar als Orientierung, womit icharbeiten kann. Als <strong>POP</strong>-Therapeut arbeite ich <strong>in</strong>der Regel mit dem positivem Feedback. PositivesFeedback me<strong>in</strong>t nicht e<strong>in</strong>en spezifischen (positiven)Inhalt, es me<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e gewisse Stärke derReaktion, und <strong>die</strong> kann sowohl etwas Angenehmesals auch etwas Unangenehmes be<strong>in</strong>halten.„Kanal-Arbeit“E<strong>in</strong> sehr wichtiges Handwerkzeug der Prozeß-Arbeit ist <strong>die</strong> Arbeit mit und <strong>in</strong> den Kanälen. Kanälekönnen besetzt (vom primären Prozeß ausgesehen) oder unbesetzt (ebenfalls vom primärenProzeß aus gesehen) se<strong>in</strong>. Dies kann manzu jedem gegeben Moment ziemlich genau herausf<strong>in</strong>den.Aus der Sicht e<strong>in</strong>es längeren Zeitraums (densogenannten Langzeitprozessen) s<strong>in</strong>d mir besetzteKanäle vertraut, ich verstehe ihre Spracheund ich halte mich oft dar<strong>in</strong> auf. Unbesetzte Kanäles<strong>in</strong>d mir nicht so vertraut. Wenn ich mich mitme<strong>in</strong>er Wahrnehmung dar<strong>in</strong> aufhalte, macht mirdas meistens Angst. Ich kann <strong>die</strong> Sprache <strong>die</strong>sesKanals nicht so gut verstehen und <strong>die</strong> dar<strong>in</strong> enthaltenenInformationen schlecht oder gar nichtaufnehmen. Es geht <strong>in</strong> der Arbeit also nicht nurdarum, <strong>die</strong> aktuellen Informationen des Tao aufzunehmenund zu verarbeiten, sondern auchdarum, „Kanalfertigkeiten“ über e<strong>in</strong>en längerenZeitraum zu erlangen, also z.B. mich bewußtbewegen zu lernen (wenn der k<strong>in</strong>ästhetischenKanal sekundär also unbesetzt ist).Als Therapeut kann mir das Wissen um besetzteund unbesetzte Kanäle <strong>in</strong> mehrfacher H<strong>in</strong>sicht<strong>die</strong>nlich se<strong>in</strong>. Besetzte Kanäle kann ich dazubenutzten, um dem Klienten e<strong>in</strong> Gefühl von Sicherheitzu vermitteln oder um neue Inhalte zu©Thomas Wetzorke, Gött<strong>in</strong>gen 2007 4


<strong>in</strong>tegrieren (Sekundäres wird Primär). Ich kannauch sekundäres Material, welches im unbesetztemKanal zu bedrohlich wird, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en besetztenKanal „umleiten“. Ist z.B. der k<strong>in</strong>ästhetische Kanalunbesetzt und e<strong>in</strong>e bestimmte Bewegungsehr bedrohlich für e<strong>in</strong>en Klienten, kann ich <strong>die</strong>sePerson auffordern, e<strong>in</strong> <strong>in</strong>neres Bild <strong>die</strong>ser Bewegungzu suchen. Ich wechsele also den Kanal,bleibe aber am gleichen Prozeß.Ich kann auch besetzte und unbesetzte Kanälemite<strong>in</strong>ander koppeln. Nehmen wir wieder an, daßder k<strong>in</strong>ästhetische Kanal unbesetzt ist und <strong>die</strong>smalder auditive Kanal e<strong>in</strong>er Person besetzt ist.Diese Person könnte ich auffordern, sich zu bewegenund dabei zu mir zu sprechen. Das Sprechenwäre somit e<strong>in</strong> gewisser Anker <strong>in</strong> der eigenen(primären) Identität.Weiterh<strong>in</strong> können Kanäle <strong>in</strong>trovertiert oder extrovertiertse<strong>in</strong>, d.h. ich ordne <strong>die</strong> Erfahrungdem Inneren oder dem Äußeren zu (z.B. <strong>in</strong>nereBilder oder äußere „reale“ Bilder).Nun zur konkreten Anwendung:Der erste Schritt <strong>in</strong> der Arbeit besteht dar<strong>in</strong>, herauszuf<strong>in</strong>den,<strong>in</strong> welchem Kanal e<strong>in</strong>e Person sichbef<strong>in</strong>det – welche (Kanal)Worte benutzt jemand,besonders welche Verben, und was tut der Körper– hört er, sieht er, fühlt er oder bewegt ersich? Im nächsten Schritt geht es darum, <strong>die</strong>Person tiefer <strong>in</strong> ihre Erfahrung zu führen, umsensory grounded <strong>in</strong>formation zu bekommen,was ich etwas umständlich mit „auf der körperlichen,s<strong>in</strong>nlichen Erfahrung basierende Information“übersetzen möchte.Stelle ich Fragen über Ideen, Zusammenhänge,Gründe und Ziele (Warum? Weshalb? Wozu?Was?...), wird <strong>die</strong> entsprechende Person wahrsche<strong>in</strong>lichvom spontanen Erleben und Handeln<strong>in</strong>s Reflektieren (symbolisches Quasi-Handeln)und damit wahrsche<strong>in</strong>lich ebenfalls <strong>in</strong> ihren primärenProzeß kommen. Die Person wird aus derSicht ihrer gewohnten, „normalen“ Identität überdas Ungewohnte, Neue reden und dabei Gedankenüber etwas entwickeln (anstatt es weiterauszuprobieren). Prozeß-Arbeit besteht aberhauptsächlich dar<strong>in</strong>, das Ungewohnte, Neue aussich heraus <strong>in</strong> dem entsprechenden Kanal entstehenund entfalten zu lassen (das Neue, Ungewohntezeigt selbst den Weg).Ist e<strong>in</strong> Prozeß entfaltet, hat er se<strong>in</strong>e ihm entsprechendeForm und Gestaltung gefunden, so wirdauch se<strong>in</strong> S<strong>in</strong>n deutlich, weil se<strong>in</strong>e Gestalt da ist.Er ist offen-sichtlich, und damit kann ich ihn auchverstehen. Diese Art des Verstehens ist ohneAnstrengung, mühelos, sie stellt sich fast automatische<strong>in</strong>. Das heißt nicht, daß der dazugehörigeProzeß nicht schwierig, schmerzhaft...se<strong>in</strong>kann, aber <strong>die</strong> Schwierigkeiten liegen im Erlebenselbst, nicht im anstrengenden Nachdenken darüber.Jeder Kanal hat dabei se<strong>in</strong>e eigene Sprache undse<strong>in</strong>e eigenen Aussagen, <strong>die</strong> ich gleichermaßenwertschätzen sollte. E<strong>in</strong> Prozeß kann sich zwar<strong>in</strong> unterschiedlichen Kanälen ausdrücken, aberdabei ist ke<strong>in</strong> Kanal besser oder schlechter alsder andere. Jeder Kanal hilft auf se<strong>in</strong>e Weise,den entsprechenden Prozeß wahrzunehmen, zuverstehen und zu leben.Dazu noch e<strong>in</strong>e bildliche Beschreibung von Prozeß-Arbeit:wenn es e<strong>in</strong>e Tür zum Unbewußtengäbe, würde ich bei e<strong>in</strong>er Prozeß-Arbeit durch<strong>die</strong>se Tür h<strong>in</strong>durchgehen, dadurch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en mehroder weniger stark veränderten Bewußtse<strong>in</strong>szustandkommen und mich solange <strong>in</strong> <strong>die</strong>semRaum aufhalten, bis me<strong>in</strong> Thema sich entfaltetoder weiterentwickelt hat. Damit wäre <strong>die</strong> hauptsächlicheArbeit getan und ich könnte <strong>die</strong>senRaum wieder verlassen.Wie kann ich also den unbekannten Raum f<strong>in</strong>denund mich dar<strong>in</strong> zurechtf<strong>in</strong>den? Dieser Raum istauf e<strong>in</strong>e Art viel e<strong>in</strong>facher zu f<strong>in</strong>den, als wirwahrsche<strong>in</strong>lich vermuten. Viele (tiefenpsychologischen)Therapierichtungen gehen davon aus,daß man <strong>in</strong> der Tiefe „bohren“ muß, um das Wesentlichezu f<strong>in</strong>den. <strong>POP</strong> me<strong>in</strong>t, ich f<strong>in</strong>de es deshalboft nicht, weil es so dicht vor me<strong>in</strong>er Naseliegt. Eigentlich bräuchte ich es nur genau jetztganz genau anzusehen, anzuhören, anzufassen...Leider fällt mir genau das meistens sehrschwer.Deshalb e<strong>in</strong>ige Ideen, <strong>die</strong> das Erleben undWahrnehmen <strong>in</strong> den Kanälen direkt ansprechenund unterstützen.AmplifizierenVisueller Kanal:In unserer Kultur ist <strong>die</strong>ser Kanal tendenziellbesetzt.Frage nach Farbe, Form, Größe, was ist auffälligund was ist unauffällig, <strong>in</strong> welchem größerenZusammenhang ist das Bild oder wie ist <strong>die</strong> Umgebung,ist es statisch oder gibt es Bewegung,versuch e<strong>in</strong>en Film daraus zu machen. - Sieh mitder Person.Auditiver Kanal (Worte, Musik, Klang oder denmusikalischen Aspekt der Worte betreffend) :Auch <strong>die</strong>ser Kanal ist <strong>in</strong> unserer Kultur meistbesetzt, wobei der Schwerpunkt meist auf demInhalt der Worte liegt.Wie ist Klangfülle, Klangfarbe, Lautstärke, Melo<strong>die</strong>,Tonhöhe, Geschw<strong>in</strong>digkeit, Rhythmus, Akzent,Versprecher, Sound (gibt es e<strong>in</strong>e dazugehörigeFigur wie z.B. „Mutter, König<strong>in</strong>...“). – Oftist es hilfreich, nur den Rhythmus oder <strong>die</strong> Melo<strong>die</strong>e<strong>in</strong>es Satzes zu wiederholen oder <strong>die</strong> Personaufzufordern, nur Töne und Geräusche zu machen.Propriozeptiver Kanal:Ist <strong>in</strong> unserer Kultur meist weniger besetzt.©Thomas Wetzorke, Gött<strong>in</strong>gen 2007 5


Frage nach Druck, Empf<strong>in</strong>den von Wärme/Kälte,Gewicht, Haut und Berührung. – Benütze dabeie<strong>in</strong>e leise, <strong>in</strong>nere und langsame Stimme.K<strong>in</strong>ästhetischer Kanal:Ist <strong>in</strong> unserer und den meisten anderen Kulturen,der am wenigsten besetzte Kanal.Frage nach Geschw<strong>in</strong>digkeit, Krafte<strong>in</strong>satz,Rhythmus, Richtung, Form. Fokussiere auf e<strong>in</strong>zelneKörperteile oder laß <strong>die</strong> Bewegung sich aufden ganzen Körper ausbreiten– Oft ist es hilfreich,sich mit der Person mitzubewegen.Sekundäre Prozesse f<strong>in</strong>den und unterstützenSekundäre Prozesse zeigen sich, wie schonerwähnt, <strong>in</strong> Form von Störungen oder <strong>in</strong> dem,was e<strong>in</strong>er Person geschieht, was ihr zustößt. ImUnterschied dazu ist der primäre Prozeß das,was e<strong>in</strong>e Person will oder womit sie sich identifiziert.Aus der Sicht von Langzeitprozessen wirdSekundäres Material meistens <strong>in</strong> den für <strong>die</strong>sePerson gewöhnlich unbesetzten Kanälen auftauchen.Wenn ich also <strong>die</strong> unbesetzten Kanälee<strong>in</strong>er Person kenne, kann mir das e<strong>in</strong>e Hilfe se<strong>in</strong>,<strong>die</strong> sekundären Prozesse <strong>die</strong>ser Person deutlicherund schneller wahrzunehmen.Es ist aber auch möglich, daß sekundäres Material<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kanal auftaucht, der normalerweisebesetzt ist. Ist e<strong>in</strong>e Person bspw. hauptsächlichvisuell orientiert und betrachtet e<strong>in</strong>en Baum, sokönnte sekundäres Material dadurch auftauchen,daß sie <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Baum plötzlich ihren Vater„h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>sieht.Interventionen und Therapeutenverhalten:Sekundäre Prozesse s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Regel unbekannt,angstbesetzt und unerwünscht. Lade siee<strong>in</strong> durch Ermutigung, Humor, erwartungsvolleNeugierde und Begeisterung für sie, oder durchMitmachen und Vormachen.Benütze e<strong>in</strong>en offenen Zugang ohne Zielvorgabe(Blank access) und e<strong>in</strong>e offene Form der Unterstützung,<strong>in</strong>dem du unterstützende Töne machstwie „mmm“ „aa“ u.s.w. Durch Worte wie z.B. „ja“(richtig), „gut“ kann sich <strong>die</strong> Person u.U. bewertetfühlen. Wenn du Worte benutzt, achte darauf, obdu dabei e<strong>in</strong>e ab-/ bewertende oder e<strong>in</strong>e unterstützendeHaltung e<strong>in</strong>nimmst.Frage nicht so sehr nach dem Inhalt oder Ideen,sondern wiederhole e<strong>in</strong>zelne Worte oder Melo<strong>die</strong>und Rhythmus oder Phrasen, wenn du de<strong>in</strong>enKlienten Worte, Bewegungen...zurückspiegelst.Um das Erleben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kanal zu verstärken,kann es auch nützlich se<strong>in</strong>, <strong>die</strong> anderen Kanäle,so gut es geht, auszuschalten (z.B. <strong>die</strong> Augen zuschließen, um besser zu spüren). Soviel zu e<strong>in</strong>igengrundsätzlichen Arbeitsmöglichkeiten.Schlußbemerkung:Der „wahre Geist“ von <strong>POP</strong> offenbart sich me<strong>in</strong>esErachtens nur im direkten Erleben. Ich vergleiche<strong>POP</strong>-Sitzungen manchmal mit Jazzimprovisationen.Der Jazz lebt <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie ausder Ungewißheit des Momentes heraus, aus derAtmosphäre, dem Zusammenspiel der Akteure.Im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> kann man zwar gewisse Strukturenerkennen und beschreiben, aber das ist nichtdas Wesentliche. Ich kann noch so viele Strukturenoder Techniken beherrschen, wenn ich improvisiere,ist das bestenfalls me<strong>in</strong> Handwerkszeug.Das Entscheidende ist, daß ich mich öffne- me<strong>in</strong>er Spontanität, me<strong>in</strong>er Kreativität und demNeuen. Und bis zu e<strong>in</strong>em gewissen Grad sollteich bereit se<strong>in</strong>, alles was ich bisher gelernt habe,zu vergessen. Und trotzdem muß ich dabei wachse<strong>in</strong>, so wach, daß ich jeden Moment möglichstvoll und ganz erfasse. Und <strong>die</strong>s sollte <strong>in</strong>nerlichgelöst und entspannt geschehen, sonst würdeich e<strong>in</strong> längeres Konzert kaum durchstehen und<strong>die</strong> Musik würde wahrsche<strong>in</strong>lich auch mehr oderweniger angespannt kl<strong>in</strong>gen. Der Reiz des Jazzbesteht dar<strong>in</strong>, daß niemand genau weiß, was imnächsten Moment passiert, alles ist möglich.Mit <strong>die</strong>ser E<strong>in</strong>stellung wird auch Therapie zue<strong>in</strong>em Erlebnis, daß mich als Therapeut dazuauffordert, mich jeder Situation wieder ganz neuzu stellen. Das macht <strong>die</strong>se Arbeit so herausforderndund lebendig, so daß beide, Klient undTherapeut, daran wachsen können, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emProzeß, der praktisch nie wirklich beendet ist.Literaturempfehlung:Arnold M<strong>in</strong>dell: TraumkörperArbeit oder: Der Laufdes Flusses. Junfermann 1993Arnold und Amy M<strong>in</strong>dell: Rid<strong>in</strong>g the horse backwardsProcsess Work <strong>in</strong> theory and practicePengu<strong>in</strong> 1992.©Thomas Wetzorke, Gött<strong>in</strong>gen 2007 6

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