16.08.2012 Aufrufe

Rainer: Glanz der Macht. Leseprobe - Folio Verlag

Rainer: Glanz der Macht. Leseprobe - Folio Verlag

Rainer: Glanz der Macht. Leseprobe - Folio Verlag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Paulus rainer<br />

ruhm, ehr’ und Pracht<br />

kunst- und schatzkammer-<br />

Pretiosen als<br />

kryPtomere denkmale<br />

Vor dem Hintergrund <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> kaiserlichen Sammlungen – und vor allem <strong>der</strong><br />

Schatz- und Kunstkammern <strong>der</strong> Habsburger – mag man sich die Frage stellen, worin<br />

<strong>der</strong> Impetus für diese Dynastie bestanden hat, über Jahrhun<strong>der</strong>te hinweg Kunstwerke<br />

und Pretiosen anzuhäufen, sodass trotz aller Abgänge, Einschmelzungen und Verluste<br />

<strong>der</strong> Reichtum und die individuelle Qualität <strong>der</strong> überkommenen Kunstwerke noch heute<br />

schier überwältigend erscheinen. Häufig weist die Literatur dabei auf die Kunstsinnigkeit<br />

und die Sammelleidenschaft einzelner Vertreter des Hauses Habsburg hin. Die kurios anmutenden<br />

Vorlieben des Tiroler Landesfürsten Erzherzog Ferdinand II., <strong>der</strong> verfeinerte<br />

Kunstsinn Kaiser Rudolfs II. und die Kennerschaft Erzherzog Leopold Wilhelms sind fast<br />

schon stehende Topoi in <strong>der</strong> Geschichtsschreibung zu den habsburgischen Sammlungen.<br />

Herausragende Kunstwerke werden – oft zu Recht – mit spezifischen Persönlichkeiten<br />

in Verbindung gebracht, <strong>der</strong> Antrieb für dieses Anhäufen wird vielfach durch<br />

persönliche Neigungen und Motivationen erklärt. Dabei sind wir stets versucht, uns mit<br />

mo<strong>der</strong>nem Blick und zeitgenössischen Anschauungen einem Phänomen zu nähern, das<br />

außerhalb unserer Zeit liegt und nur bedingt mit heutigem Kunstsammeln in Deckung<br />

zu bringen ist. Wir wollen den Sammler hinter <strong>der</strong> Sammlung begreifen, seinem Wesen<br />

und seinen individuellen Eigenheiten vermittels seiner Kunstwerke nachspüren und<br />

nachvollziehen, warum er welches Stück beson<strong>der</strong>s schätzte.<br />

und in <strong>der</strong> Tat können wir auch innerhalb <strong>der</strong> habsburgischen Sammlungen unter-<br />

< Abb. 1: Matthias Steinl,<br />

Kaiser Leopold I. als Sieger über die Türken,<br />

Detail. Wien, um 1690/93.<br />

Wien, Kunsthistorisches Museum,<br />

Kunstkammer,<br />

Inv.-Nr. KK 4662.<br />

( 39 )


( 40 )


schiede in <strong>der</strong> Zusammensetzung verschiedener Sammlungsbereiche, strukturell unter-<br />

scheidbare Zuwächse und auffallende Bestandserweiterungen benennen, die wir gerne<br />

individuellen Passionen zuschreiben. Gewiss sind spezifisches Kunstverständnis und Kennerschaft<br />

bei je<strong>der</strong> Sammlung zu finden, ganz gleichgültig, ob sie im 16. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

o<strong>der</strong> im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t entstand. Für fürstliche Sammlungen und in vermehrtem Maße<br />

für die kaiserliche Sammlung würde dies aber bei weitem zu kurz greifen. Hier müssen<br />

im Beson<strong>der</strong>en die Funktion <strong>der</strong> Sammlung in politischem Sinne und die untrennbare<br />

Verbindung des Sammlers mit seiner politischen Funktion mitbedacht werden. So wie<br />

<strong>der</strong> Herrscher nicht als Einzelperson o<strong>der</strong> Individuum in heutigem Sinne verstanden<br />

werden kann, so ordnet sich auch seine Sammlung <strong>der</strong> Inszenierung und Visualisierung<br />

des politischen Amtes unter. In diesem Sinne ist die Kunstkammer Rudolfs II. in<br />

Prag genauso wenig als Privatsammlung zu verstehen wie die Kunstkammer Erzherzog<br />

Ferdinands II. von Tirol auf Schloss Ambras o<strong>der</strong> die barocke kaiserliche Schatzkammer<br />

in <strong>der</strong> Wiener Hofburg, in die große Teile <strong>der</strong> erstgenannten Sammlungen Eingang<br />

fanden. Je<strong>der</strong> dieser Bestände spiegelt zwar bis zu einem gewissen Grad auch einen Teil<br />

<strong>der</strong> Sammlerpersönlichkeiten wi<strong>der</strong>, vor allem liegen ihnen aber Ideen und Phänomene<br />

zugrunde, die in <strong>der</strong> jeweiligen Zeit mit spezifischen Anfor<strong>der</strong>ungen an das Amt des<br />

Herrschenden o<strong>der</strong> aber mit <strong>der</strong> Stellung, die <strong>der</strong> Besitzer <strong>der</strong> Schätze insgeheim anstrebte,<br />

verbunden waren.<br />

Erzherzog Ferdinand II., <strong>der</strong> zweitgeborene Sohn Kaiser Ferdinands I., etablierte auf<br />

Schloss Ambras eine immense und bereits zu seinen Lebzeiten sehr berühmte Kunstkammer,<br />

die gleichsam den gesamten Kosmos im Kleinen abbildete und so den Erzherzog<br />

als mächtigen Herrscher erweisen sollte. Kaiser Rudolfs II. allumfassendes, pansophisch<br />

motiviertes Weltbild und sein ebensolches Herrschaftsverständnis spiegeln sich<br />

in seiner Kunstkammer wi<strong>der</strong>. In beiden Fällen geht es also in erster Linie um das Abbild<br />

des jeweiligen Herrschafts-, <strong>Macht</strong>- und Selbstverständnisses. und unter dieser Prämisse<br />

hatten die ererbten und erworbenen Kunstgegenstände ihre Funktion zu erfüllen. Sie<br />

sollten von Reichtum, Stärke und Weitblick zeugen, den Besucher – ob er nun Familienmitglied,<br />

befreundeter Fürst o<strong>der</strong> Konkurrent war – beeindrucken und ihn von den<br />

fürstlichen Tugenden des Herrschers überzeugen.<br />

In <strong>der</strong> kaiserlichen Schatzkammer in <strong>der</strong> Wiener Hofburg war diese repräsentative Funktion<br />

des Schatzes noch weit ausgedehnter und zentraler. Als Kaiser Ferdinand II. mit<br />

<strong>der</strong> sogenannten Majoratsstiftung von 1621 bzw. 1635 verfügte, dass sämtliche Hauskleinodien<br />

und Kunstschätze <strong>der</strong> Habsburger nach <strong>der</strong> Primogeniturerbfolge als unveräußerliches<br />

Eigentum dem Erzhaus zu gehören hatten und nicht mehr an Land und<br />

Leute gebunden sein sollten1 , waren die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass <strong>der</strong><br />

kaiserliche Schatz zwangsläufig ständig anwuchs und von nun an noch viel weniger personenbezogen<br />

war. Vielmehr wurde er in seiner Gesamtheit lebendiges Denkmal und<br />

Glorienschein des gesamten Hauses Habsburg, wobei er sowohl von <strong>der</strong> ruhmreichen<br />

Vergangenheit als auch von <strong>der</strong> Kontinuität <strong>der</strong> Dynastie Zeugnis abzulegen vermochte.<br />

< Abb. 2: Lorenz Zick,<br />

Sogenannte „Konterfettenkugel“, Detail.<br />

Nürnberg, 2. Drittel 17. Jh.<br />

Wien. Kunsthistorisches Museum,<br />

Kunstkammer,<br />

Inv.-Nr. KK 4503.<br />

( 41 )


( 42 )<br />

Abb. 3: Korallenring mit<br />

dem Brustbild Kaiser<br />

Ferdinands III.<br />

Kat.-Nr. 24.<br />

ausdruck dynastischer kontinuitäten<br />

Betrachten wir die historischen Beschreibungen <strong>der</strong> kaiserlichen Schatzkammer und<br />

ziehen wir ihre Inventare zurate, so fällt auf, dass sich eine klare Linie durch den Bestand<br />

zieht. Altes wird mit Zeitgenössischem verbunden, herausragende Sammlungsgegenstände<br />

sollen durch neue Meisterwerke übertroffen werden. So versuchte je<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> kaiserlichen „Schatzherren“, seine Spuren zu hinterlassen, das bestehende Gefüge<br />

durch bemerkenswerte Zutaten zu erweitern und sich gleichzeitig in eine Linie mit<br />

den Vorgängern im Amte zu stellen. Augenscheinlich wird dies in den kleinformatigen<br />

Gegenständen ebenso wie in opulenten <strong>Glanz</strong>stücken. Die Konterfettenkugel des<br />

Kammerdrechslers Lorenz Zick etwa, die an ihrem Äquator Miniaturbildnisse <strong>der</strong> zwölf<br />

habsburgischen Könige bzw. Kaiser von Rudolf I. bis zu Kaiser Ferdinand III. zeigt, verbindet<br />

höchste künstlerische und handwerkliche Perfektion mit einem klaren dynastischen<br />

Programm (Abb. 2). Der aktuell regierende Kaiser wird bildlich in eine Linie mit<br />

seinen Vorgängern gestellt. Nach dem gleichen Prinzip hatte bereits Kaiser Ferdinand II.


Schmuckstücke anfertigen lassen (vgl. Kat.-Nr. 23). Auch <strong>der</strong> außergewöhnliche Korallenring<br />

(Abb. 3) wie<strong>der</strong>holt den bei <strong>der</strong> Konterfettenkugel erkennbaren Hinweis auf das<br />

Prinzip <strong>der</strong> dynastischen Kontinuität und hebt zugleich den aktuell regierenden Kaiser<br />

hervor. Auf <strong>der</strong> Ringplatte, die als Doppeladler mit Schwert, Szepter und Kaiserkrone<br />

gestaltet ist, erscheint prominent Kaiser Ferdinand III., die Bildnisse seiner Vorgänger<br />

sind entlang <strong>der</strong> Ringschiene angeordnet und rahmen ihn auf diese Weise ein. Trotz ihres<br />

kleinen Formates folgen diese Kunstwerke dem gleichen Ziel wie die monumentale<br />

Kaiserreihe, die sich bei den einzelnen Schatzkammerfenstern durch je „ein eingegossen<br />

o<strong>der</strong> boussirt o<strong>der</strong> ausgehauene halbe Statua, <strong>der</strong> Röm. Kayser“ 2 präsentierte.<br />

Selbstverständlich hatte sich auch Kaiser Ferdinand III. in diese heroische Abfolge eingereiht,<br />

und zwar mit <strong>der</strong> mächtigen Büste Georg Schweiggers (Kat.-Nr. 1), die „bey<br />

dem siebenden Fenster“ 3 Aufstellung fand, so sind wohl die kleinformatigen als auch<br />

die monumentalen Kaiserportraits als Ahnengalerie und dynastisches Denkmal zu verstehen,<br />

das gesellschaftlichen Stand und herrschaftliche Würde symbolisiert, vor allem<br />

aber den kaiserlichen Anspruch durch die über mehrere Generationen ununterbrochene<br />

Kaiserlinie legitimiert.<br />

Nicht so offenkundig verfolgen die in <strong>der</strong> Ausstellung gezeigten alleinstehenden Kaiserund<br />

Herrscherportraits aus Stein, Elfenbein, Bernstein, Muschel und Gold dieses Ziel.<br />

Die Dargestellten sind stets in herrschaftlicher Pose, im strengen Profil und mit festem<br />

Ausdruck wie<strong>der</strong>gegeben, Gesten und Mimik vermitteln Eigenschaften, die <strong>der</strong> jeweiligen<br />

politischen Funktion entsprechen. Der Lorbeerkranz und oft auch die antikisierende<br />

Gewandung kennzeichnen die Dargestellten darüber hinaus als Imperatoren und führen<br />

die Herrschaftslegitimation bis zu den römisch-antiken Caesaren zurück. Kaiser Karl V.<br />

wird ebenso heroisch und all’antica dargestellt wie Rudolf II., Ferdinand II., Ferdinand III.,<br />

Leopold I., Franz I. Stephan, Maria Theresia o<strong>der</strong> Franz I. (II.). und dabei stellen wir fest,<br />

dass sich die Art <strong>der</strong> Darstellung in den 250 Jahren kaum verän<strong>der</strong>t hat. Allein das macht<br />

deutlich, dass es bei diesen Beispielen nicht um künstlerische Innovation, son<strong>der</strong>n um<br />

die stets gleiche, deutlich formulierte Aussage geht: die Darstellung und Charakterisierung<br />

des Herrschers in seiner Funktion als Imperator. Indem alle diese Beispiele in<br />

einem gemeinsamen Gefüge innerhalb <strong>der</strong> Schatzkammer aufbewahrt und gezeigt<br />

wurden, nahmen sie natürlich auch Bezug aufeinan<strong>der</strong>, ob dies nun von vornherein<br />

bei ihrer Herstellung intendiert war o<strong>der</strong> nicht. Hier setzt sich die Idee <strong>der</strong> Ahnenreihe<br />

schon allein durch die gemeinsame Verwahrung und Präsentation fort. um die Mitte<br />

des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts befanden sich etwa im ersten Kasten <strong>der</strong> Schatzkammer, <strong>der</strong> von<br />

einem „portrait des Galieni; zur rechten Lucillae, zur linken Hadriani“ bekrönt wurde4 ,<br />

neben Kameen <strong>der</strong> ersten zwölf römischen Kaiser nach Sueton – also von Julius Caesar<br />

bis Domitian – Portraits <strong>der</strong> Kaiser Trajan, Hadrian, Antoninus Pius, Marcus Aurelius,<br />

Commodus, Septimius Severus, Caracalla und Geta. Sie wurden durch Portraitkameen<br />

mit den Bildnissen <strong>der</strong> habsburgischen Monarchen Karl V., Rudolf II., Matthias, Ferdinand<br />

II., Ferdinand III., Leopold I. und des Erzherzogs Leopold Wilhelm ergänzt. Maria<br />

( 43 )


Abb. 4: Hans Fend und<br />

Jeremias Ritter,<br />

Kabinettschrank<br />

Kaiser Ferdinands III.<br />

Augsburg, 1638.<br />

Wien, Kunsthistorisches<br />

Museum, Kunstkammer,<br />

Inv.-Nr. KK 3396.<br />

( 44 )<br />

Theresia vervollständigte im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t das Ensemble durch Kameen mit Portraits<br />

von sich selbst und ihrem Gemahl. In einem gemeinsamen Schrank vereint befanden<br />

sich also römische Imperatorenportraits und habsburgische Kaiserportraits. Der sich hieraus<br />

ergebende inhaltliche Konnex ist offensichtlich.<br />

Bezeichnend ist, dass in <strong>der</strong> Aufzählung des Inventars aus dem Jahr 1750 den „Neunundvierzig<br />

stuck gleich einer ketten auf muschel geschnitene portraits, nehmlich die<br />

männliche succession von haus Oesterreich“ unmittelbar „Die zwölf ersten Römischen<br />

kaiser samt ihren frauen frauen [sic] gemahlinen in basrelief“ folgen5 . In <strong>der</strong> Verortung<br />

innerhalb des Schrankes wurden den zwölf römischen Kaisern (Wien, Kunsthistorisches<br />

Museum, Kunstkammer, Inv.-Nr. ANSA XII 785) also dezidiert die neunundvierzig Fürsten<br />

des Hauses Habsburg zur Seite gestellt (Kunstkammer, Inv.-Nr. ANSA XII 53). Dass<br />

dies kein Zufall, son<strong>der</strong>n Programm ist, belegt auch ein Kabinettschrank <strong>der</strong> Kunstkammer<br />

des Kunsthistorischen Museums (Abb. 4), dessen Bildprogramm sowohl Muschelkameen<br />

antiker Imperatoren als auch solche <strong>der</strong> Kaiser des Reiches von Karl dem<br />

Großen bis zu Ferdinand III. zeigt. Dieser höchst verfeinerte, aus den edlen Materialien


Ebenholz, Silber, Elfenbein und Muschel zusammengesetzte<br />

Prunkschrank diente also in erster Linie nicht<br />

als Aufbewahrungsmöbel, son<strong>der</strong>n als eindrückliches<br />

Schaustück, das einem politisch-propagandistischen<br />

Programm folgt. Die bekrönende Allegorie <strong>der</strong> Germania,<br />

die Figur <strong>der</strong> Justitia und Allegorien <strong>der</strong> vier<br />

Kardinaltugenden vervollständigen das monumentale<br />

Programm und kennzeichnen die dargestellten<br />

Habsburger und ihre Vorgänger als gerechte und<br />

tugendhafte Kaiser des Heiligen Römischen Reiches.<br />

Pracht und brillanz<br />

Neben den Portraitkameen und solchen, denen<br />

ein genealogisch/dynastisches Programm zugrunde<br />

liegt, befand sich in besagtem ersten Kasten<br />

<strong>der</strong> Schatzkammer auch eine Vielzahl von Kameen<br />

und Intagli, die aus <strong>der</strong> unermesslich reichen Prager<br />

Kunstkammer Kaiser Rudolfs II. stammen und demzufolge<br />

auch viel stärker den Prinzipien von Kunstkammerstücken<br />

unterliegen. Neben den in dieser<br />

Ausstellung gezeigten Kameen von Alessandro Masnago<br />

und <strong>der</strong> Mailän<strong>der</strong> Miseroni-Werkstatt (vgl.<br />

Kat.-Nrn. 4, 6 und 7) befand sich hier auch „Ein deto [= Basrelief] recht groszes von<br />

Sardonyx, worauf muthmassentlich <strong>der</strong> kaiser Hadrianus und die Pallas, rund gefast in<br />

gold, blau und roth geschmolzen“ (pag. 12, Nr. 64). Bei diesem Stück handelt es sich<br />

um den großen, zwischen 38 und 41 n. Chr. entstandenen Kameo mit <strong>der</strong> Darstellung<br />

von Caligula und Roma <strong>der</strong> Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums (Abb. 5),<br />

<strong>der</strong> von dem für Kaiser Rudolf II. tätigen Goldschmied Andreas Osenbruck um 1610 mit<br />

einer ungemein aufwendigen und raffinierten Fassung in Goldemail versehen wurde6 .<br />

Wie bei kaum einem an<strong>der</strong>en Kameo kann man hier den unterschied zwischen einem<br />

tragbaren Schmuckstück und einem rein <strong>der</strong> Anschauung vorbehaltenen Kunstkammerstück<br />

nachvollziehen. Mit einem blau emaillierten Fassungskasten sowie einem<br />

umlaufenden Rahmen aus zierlichen Rollwerkvoluten und farbenprächtig emaillierten<br />

Fruchtbündeln wurde das antike, unregelmäßig geformte Prunkstück zu einem Tondo<br />

ergänzt. An seiner Oberseite wurde es von Osenbruck mit einer Anhängeröse versehen.<br />

Bei <strong>der</strong> gesamten Gestaltung orientierte sich <strong>der</strong> Goldschmied an Beispielen <strong>der</strong><br />

Schmuckkunst. Er verlieh dem großen Kameo das äußere Erscheinungsbild eines Ket-<br />

Abb. 5: Kameo mit Caligula und Roma.<br />

Römisch, 38 – 41 n. Chr.<br />

Fassung: Andreas Osenbruck zugeschrieben,<br />

Prag, um 1610.<br />

Wien, Kunsthistorisches Museum,<br />

Antikensammlung,<br />

Inv.-Nr. ANSA IXa 59.<br />

( 45 )


Abb. 6: Dionysio Miseroni, Smaragdgefäß.<br />

Prag, 1641.<br />

Wien, Kunsthistorisches Museum,<br />

Kunstkammer,<br />

Inv.-Nr. KK 2048.<br />

( 46 )<br />

tenanhängers bzw. einer Hutzier, ohne dass dieser Kameo aber jemals als Anhänger<br />

o<strong>der</strong> Hutzier hätte getragen werden können. Allein schon seine Größe von 16 x 15,5 cm<br />

und sein Gewicht verhin<strong>der</strong>n dies; auch die Ösengestaltung mit ihren keilförmig auseinan<strong>der</strong>laufenden<br />

Enden erweist sich als nicht funktional. Das verdeutlicht, dass <strong>der</strong><br />

antike Stein als reines Schaustück und Paraphrase eines Schmuckstücks gestaltet wurde.<br />

Durch sein überragendes Format sollte er sich über an<strong>der</strong>e Schmuckstücke erheben, er<br />

sollte durch seine Gestaltung als überdimensioniertes Kleinod verblüffen und so dem<br />

Besitzer die Bewun<strong>der</strong>ung des Betrachters sichern. Diese Funktion besaßen viele <strong>der</strong> in<br />

den Kunstkammern und später in <strong>der</strong> kaiserlichen Schatzkammer versammelten Kunstwerke.<br />

Nicht von ungefähr wird die oben beschriebene Kette mit den habsburgischen<br />

Fürsten im Inventar nicht als Kette, son<strong>der</strong>n als Objekt „gleich einer ketten“ bezeichnet<br />

(s. o.). Es war klar, dass diese Stücke nicht zum Tragen gedacht waren, son<strong>der</strong>n eine<br />

Funktion im Rahmen <strong>der</strong> kaiserlichen Repräsentation zu erfüllen hatten.<br />

Ähnlich verhält es sich mit weiteren glyptischen Arbeiten, die über die Jahrhun<strong>der</strong>te


hindurch in den habsburgischen Sammlungen eine große Rolle spielten, nämlich den<br />

Gefäßen aus Bergkristall und Hartsteinen. Rudolf II. gilt als <strong>der</strong> bedeutendste Sammler<br />

dieser prunkvollen, aus harten Quarzen geschnittenen und geschliffenen Kannen,<br />

Pokale, Schalen und Becken. Die von ihm etablierten glyptischen Hofwerkstätten in<br />

Prag sind außerordentlich gut dokumentiert, doch reicht die Tradition dieser höfischen<br />

Kunstform noch viel weiter zurück. Mit dem Hof-Kristallschnei<strong>der</strong> Caspar war am Innsbrucker<br />

Hof bereits unter Kaiser Maximilian I. ein Meister tätig, <strong>der</strong> nicht nur in <strong>der</strong> Lage<br />

war, zuvor vorgefertigte Gefäße zu dekorieren, son<strong>der</strong>n – eigenen Angaben zufolge<br />

– auch „[…] schachzagel, pret, stoczkin o<strong>der</strong> pecher, lefl, salzfasz nicht ausgenumen<br />

[…] 7 “ ausführen konnte8 . Es ist ferner davon auszugehen, dass in Rudolfs Kunstkammer<br />

eine beträchtliche Anzahl an Hartsteingefäßen seines Vaters Kaiser Maximilian II.<br />

Eingang gefunden hatte. Festzuhalten bleibt in diesem Zusammenhang jedenfalls, dass<br />

alle diese Gefäße in ihrer äußeren Form zwar Gebrauchsgefäßen angeglichen sind, dass<br />

sie aber nur in den seltensten Fällen auch als solche verwendet wurden. Sie dienten<br />

hauptsächlich dem fürstlichen Dekorum.<br />

Nur selten wurden einzelne Bergkristallpokale als Willkomm, also zum Kredenzen des<br />

Willkommenstrunks, verwendet. Dies legt etwa ein Eintrag im Ambraser Inventar von<br />

1666 nahe, in dem „ain klein christallenes glaß, in ovado, darauf zway steent und vier<br />

ligende figuren geschnitten, unden auf dem fueß wie auch oben an dem knopf ein<br />

guldenes geschmelztes raifl, ohne luckh, <strong>der</strong> frauenzimer willkumb genant“ angeführt<br />

wird (Kasten 19, fol. 208). Der Großteil <strong>der</strong> formvollendet ausgeführten und kunstvoll<br />

verzierten Gefäße diente aber „keinem an<strong>der</strong>en Zweck als dem, betrachtet zu werden<br />

und Zeugnis abzulegen für den Reichtum, den <strong>Glanz</strong> und den Kunstsinn des Eigentümers“<br />

9 . So ist Rudolfs Sammlung an Hartsteingefäßen im Grunde genommen auch als<br />

künstlerisch veredelte Mineraliensammlung zu verstehen, in <strong>der</strong> Gefäße aus exotischen<br />

Hartsteinen, aber vor allem aus Steinen aus seinem Herrschaftsgebiet versammelt waren.<br />

Dadurch sind diese Gefäße zugleich Zeugnis des territorialen Anspruchs des Kaisers<br />

und Beleg <strong>der</strong> Ausdehnung des Reiches und seines Reichtums an mineralischen Bodenschätzen.<br />

Ihre Einzigartigkeit und Seltenheit sowie die Tatsache, dass man über Hartsteingefäße<br />

nicht beliebig verfügen konnte, machten diese letztendlich auch zu Repräsentationsgegenständen<br />

par exellence. Im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t, in <strong>der</strong> Mariatheresianischen Schatzkammer,<br />

kamen die Gefäße aus Hartsteinen in vier Kästen zur Aufstellung und waren<br />

noch immer <strong>der</strong> prominenteste und wesentlichste Sammlungsbestandteil, obwohl die<br />

Verarbeitung von Quarzen im Zeitalter des Barock beträchtlich an Bedeutung verloren<br />

hatte. Der dritte und <strong>der</strong> vierte Kasten in <strong>der</strong> Schatzkammer nahmen dabei „verschiedene<br />

vasen und geschier aus Orientalischen und Occidentalischen steinern“ auf, während<br />

die „aus bergkrystal beson<strong>der</strong>s schöne grosze, mitter und kleine verfertigte stuck“ in<br />

den beiden darauffolgenden Kästen untergebracht waren10 . Hier fand <strong>der</strong> riesige sechskantige<br />

Krug, den Dionysio Miseroni aus einem Stück Schweizer Riesenbergkristall ge-<br />

( 47 )


Abb. 7: Sogenannter<br />

„Hofbecher Philipps des Guten“.<br />

Burgundische Nie<strong>der</strong>lande,<br />

zwischen 1453 und 1467.<br />

Wien, Kunsthistorisches<br />

Museum, Kunstkammer,<br />

Inv.-Nr. KK 27.<br />

( 48 )<br />

schliffen hatte (Kunstkammer, Inv.-Nr. KK 2076), ebenso Aufstellung wie seine enorme,<br />

knapp eineinhalb Meter hohe Bergkristallpyramide (Kunstkammer, Inv.-Nrn. KK 2251<br />

– KK 2254). Diese hatte bereits zu Lebzeiten des Künstlers Berühmtheit erlangt und<br />

wurde von dessen Zeitgenossen Joachim von Sandrart in seiner Teutsche[n] Academie<br />

folgen<strong>der</strong>maßen beschrieben: „Son<strong>der</strong>lich ist Weltkündig das herrliche Manns-große<br />

Geschirr / das er aus vier / in Schweitzerland gefundenen / zwey Schuh hohen / und<br />

einen halben Schuh breiten / Crystallen bereitet / indem er diese auf einan<strong>der</strong> gesetzt /<br />

sehr zierlich / in schöner Ordnung / und mit guter Proportion also ausgearbeitet / dass<br />

es billich den Vorzug vor allen an<strong>der</strong>n <strong>der</strong>gleichen Kunststucken behält.“ 11<br />

Dionysio Miseronis Smaragdgefäß (Abb. 6) hingegen wurde im zweiten Kasten verwahrt,<br />

<strong>der</strong> „die cronen und mehrere pretiosa“ enthielt. Der kaiserliche Edelsteinschnei<strong>der</strong><br />

schnitt das Kleinod, das im fertigen Zustand trotz des durch den Schliff bedingten Materialverlustes<br />

noch immer 2680 Karat wiegt, aus einem großen kolumbianischen Smaragdkristall<br />

und erhielt dafür 12.000 Gulden. Bereits <strong>der</strong> Rohstein wurde auf 100.000<br />

Gulden, das fertige Gefäß wurde auf 450.000 Gulden geschätzt12 . 1677 wird das Gefäß<br />

als „ein kleines Trinkgeschirr, wie ein Dopff, aus orientalischen Smaragd geschnitten,<br />

deßgleichen kein Herr o<strong>der</strong> Potentat haben soll“ beschrieben13 . In dem kurzen Nebensatz<br />

– dass „deßgleichen kein Herr o<strong>der</strong> Potentat haben soll“ – wird deutlich, worauf<br />

es bei <strong>der</strong> Anfertigung solcher Mirabilien ankam und wodurch sie motiviert war. Die<br />

absolute Exklusivität dieser Gegenstände sollte die kaiserliche Sammlung von an<strong>der</strong>en<br />

unterscheiden und somit auch das Kaiserhaus über an<strong>der</strong>e erheben.<br />

Stolz schreibt <strong>der</strong> Verfasser <strong>der</strong> Schatzkammerbeschreibung von 1677, dass „<strong>der</strong> Grose-<br />

Herzog von Florenz 3 Thonnen Goldes“ für das veredelte Juwel bieten wollte. Es ist nicht<br />

ganz selbstverständlich, dass man das mediceische Angebot – so es ein solches tatsächlich<br />

gegeben hat und diese Anmerkung nicht als reine Propaganda zu werten ist – nicht<br />

annahm. Das Kaiserhaus hatte immer wie<strong>der</strong> mit großen finanziellen Schwierigkeiten<br />

zu kämpfen, denen man auch durch Veräußerungen o<strong>der</strong> Verpfändungen aus dem<br />

Schatzkammerbestand entgegentrat. Kaiser Maximilian I. etwa sah sich häufig gezwungen,<br />

Tapisserien, Juwelen und kostbares Geschirr zu verpfänden, um die gewaltigen<br />

Summen, die seine Politik verschlang, aufbringen zu können. Ein Gutteil dieser Stücke<br />

stammte aus dem einst unermesslich reichen Burgun<strong>der</strong>schatz, von dem ein Teil durch<br />

die Heirat Maximilians mit <strong>der</strong> Tochter Karls des Kühnen, Maria von Burgund, an das<br />

Haus Habsburg gefallen war. Im Jahr 1489 schätzt ein Verzeichnis <strong>der</strong> burgundischen<br />

Kleinodien den Wert <strong>der</strong> von Maximilian verpfändeten Stücke auf 801.000 Gulden14 .<br />

Nur wenige Stücke gelangten später wie<strong>der</strong> in den Habsburgerschatz zurück, wie etwa<br />

das Ainkhürn-Schwert (Schatzkammer, Inv.-Nr. WS XIV 3) o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Burgundische Hofbecher<br />

(Abb. 7a und b). Letzteren hatte Erzherzog Ferdinand II. zusammen mit <strong>der</strong> Saliera<br />

des Benvenuto Cellini (Kunstkammer, Inv.-Nr. KK 881), dem sogenannten Michaelsbecher<br />

(Kunstkammer, Inv.-Nr. KK 1120) und <strong>der</strong> sogenannten Onyxkanne (Kunstkammer,<br />

Inv.-Nr. KK 1096) von König Karl IX. von Frankreich als Dank für die Vertretung bei des-


( 49 )


abbildung in den ecken ergänzen<br />

Abb. 8: Deckelhumpen aus<br />

Serpentin. Kat.-Nr. 34,<br />

Detail.<br />

( 50 )<br />

sen prokuratorischer Hochzeit mit Erzherzogin Elisabeth<br />

im Jahr 1570 erhalten. Das Ainkhürnschwert<br />

gelangte sechzig Jahre später wie<strong>der</strong> in habsburgischen<br />

Besitz.<br />

Sowohl <strong>der</strong> Burgundische Hofbecher als auch das<br />

Ainkhürnschwert war in dem Moment, in dem sie<br />

zurück in die habsburgischen Sammlungen gelangten,<br />

stilistisch gesehen veraltet. Dennoch besaßen<br />

beide Stücke eminente Bedeutung für das<br />

dynastische Selbstverständnis, konnten sie doch<br />

die Verbindungen des Hauses Habsburg mit dem<br />

Haus Valois und im Beson<strong>der</strong>en mit den burgundischen<br />

Herzögen Philipp dem Guten und Karl dem<br />

Kühnen anschaulich belegen. Schwert und Becher<br />

stammen aus dem Besitz Herzog Philipps des Guten<br />

und waren somit in <strong>der</strong> Wiener Schatzkammer<br />

Zeugnis des burgundischen Erbes, durch welches<br />

erst das gewaltige Ausmaß des weltumspannenden<br />

Reichs Kaiser Karls V. ermöglicht worden war, in dem die Sonne nie unterging.<br />

Als Memorabilie galt auch „Ein rundes krügel von ordinairen serpentinstein mit einer<br />

handhab und deckel, die fassung silber und vergold, mit welchen sich Philippus Bonus,<br />

stüfter des hochen toisonorden bedienet, aus welcher aber ein mehreres in <strong>der</strong> darin<br />

befindlichen schrift zu ersehen“ 15 (Abb. 8). Zwar stammt zumindest die Fassung dieses<br />

Humpens aus dem 16. Jahrhun<strong>der</strong>t, sie kann also keinesfalls mit Philipp dem Guten o<strong>der</strong><br />

Karl dem Kühnen in Verbindung gebracht werden, doch trägt <strong>der</strong> Boden des Serpentingefäßes<br />

die Devise Karls des Kühnen und die Anrufung des hl. Andreas, des Schutzpatrons<br />

des Hauses Burgund („IE. LAY. EM. PRIS + MON. IOYE. S. ANDRIEV“). Auch wenn<br />

bei diesem Stück die Provenienz eine konstruierte sein sollte, erweist es doch das starke<br />

und bewusste Bestreben, Schatzkammerstücke mit historischen Persönlichkeiten in Verbindung<br />

zu bringen und diese Werke damit zu personalisieren. Der Wert <strong>der</strong> Stücke<br />

sollte durch eine historisch/herrschaftsrelevante Dimension noch erhöht werden.<br />

Selbst die große Achatschale (Schatzkammer, Inv.-Nr. WS XIV I), die im 4. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

in Konstantinopel entstanden sein dürfte und die als eines <strong>der</strong> beiden unveräußerlichen<br />

Erbstücke des Hauses Österreich stets ein Hauptwerk <strong>der</strong> kaiserlichen Schatzkammer<br />

war, wurde zeitweise mit Burgund in Verbindung gebracht. So schreibt etwa Johann<br />

Basilius Küchelbecker über diese monumentale „Agathene Schaale, so 9. Spannen in<br />

<strong>der</strong> Peripherie hat, in welcher die Buchstaben B. Kristo R. M. ganz deutlich und ausdrücklich<br />

von Natur zu sehen […] es soll dieselbe als ein Fidei Commiss des Hauses<br />

Burgund auf die Nachkommen gebracht worden seyn“ 16 .


historische dimensionen<br />

Vor allem ab dem 17. Jahrhun<strong>der</strong>t und im Beson<strong>der</strong>en seit <strong>der</strong> Regierungszeit Kaiser<br />

Ferdinands II. werden in <strong>der</strong> künstlerischen Propaganda <strong>der</strong>artige Versuche einer historischen<br />

Einbettung deutlich erkennbar. Über ihren materiellen und künstlerischen Wert<br />

hinaus sollten die Kunstwerke <strong>der</strong> Schatzkammer um eine historische Dimension bereichert<br />

werden und so auf die lange Geschichte und die allein schon in <strong>der</strong> Historie begründete<br />

Bedeutung <strong>der</strong> Dynastie des Erzhauses verweisen. In einem solchen Kontext<br />

sind auch die Stücke <strong>der</strong> Erinnerung an Mitglie<strong>der</strong> des Kaiserhauses zu verstehen. Die<br />

eigentümliche Korngarbe, die in ihrem Inneren Instrumente zur körperlichen Hygiene<br />

enthält (Kat.-Nr. 49), wurde von Maria Theresia selbst am 9. Februar 1768 in die Schatzkammer<br />

gegeben, ebenso wie die goldene Dose für Schönheitsutensilien (Kat.-Nr. 50).<br />

Das „goldene nachtzeig von weiland ihro kais. königl. apostolischen maj. <strong>der</strong> kaiserinkönigin“<br />

(Abb. 9) wurde nach dem Tod <strong>der</strong> Monarchin im Andenken an sie und ihren<br />

Gemahl Franz Stephan Bestandteil <strong>der</strong> Schatzkammer.<br />

Zum „weiland seiner Römisch kais maj. Francisco Imo höchstseeliger gedächtnüs“ wurde<br />

Ende 1765 eine Fülle an Objekten aus dem Nachlass von Franz I. Stephan in die<br />

Schatzkammer gegeben – unter ihnen die Kameen von Louis Siries (Kat.-Nrn. 14–18),<br />

<strong>der</strong> Kameo mit dem Brustbild eines „Mohren“ (Kat.-Nr. 37), das Achatköpfchen (Kat.-<br />

Nr. 22), die prachtvolle Goldfiligrankassette (Kat.-Nr. 38) und <strong>der</strong> Cofanetto mit Parfümfläschchen<br />

aus dem Nachlass <strong>der</strong> letzten Medici – Anna Maria Luisa, Kurfürstin von<br />

<strong>der</strong> Pfalz (Kat.-Nr. 45). Das herzförmige Medaillon mit einem Geflecht aus Haaren Maria<br />

Theresias (Kat.-Nr. 27) wurde erst in <strong>der</strong> Regierungszeit Kaiser Franz Josephs Teil des<br />

Schatzkammerbestandes und belegt somit, dass dieser bis ins frühe 20. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

hinein noch einen ausgeprägten Memoria-Charakter hatte. Auch in diesem Sinne sind<br />

die teilweise kleinformatigen und oft nicht einmal vor<strong>der</strong>gründig repräsentativ wirkenden<br />

Pretiosen <strong>der</strong> Schatzkammer als Denkmäler zu verstehen, sie sind als Kunstwerke zu<br />

interpretieren, die das Angedenken an die Mitglie<strong>der</strong> des Kaiserhauses erhalten und an<br />

die Nachwelt weitervermitteln sollten. und dieses Ziel war mit Schatzkammerstücken<br />

wohl besser zu erreichen als mit an<strong>der</strong>en Kunstwerken.<br />

Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist, dass man im Jahr 1730 „vor Besehung<br />

<strong>der</strong> Schatz=Cammer […] 25. K fl. und vor die Bil<strong>der</strong>=Gallerie 12 K fl. zahlen“ 17 musste.<br />

Für die Besichtigung <strong>der</strong> kaiserlichen Gemäldegalerie, die immerhin in zehn Räumen<br />

Aufstellung gefunden hatte und „welche wegen Vielheit <strong>der</strong> schönen und raren Schil<strong>der</strong>eyen<br />

und Gemählden, des prächtigen Arrangements und magnifiqven Zimmern,<br />

alle an<strong>der</strong>e, so nirgends gefunden werden, entwe<strong>der</strong> übertrifft, o<strong>der</strong> solchen zum wenigsten<br />

gleich kommt“ 18 , musste man also nur knapp die Hälfte des Preises entrichten,<br />

<strong>der</strong> für die Besichtigung <strong>der</strong> Schatzkammer zu bezahlen war. Hierin ist sicher auch die<br />

höhere Wertschätzung abzulesen, die man Schatz- und Kunstkammerwerken im Ver-<br />

( 51 )


Abb. 9: Anton Matthias<br />

Domanek (Domanöck),<br />

Teile des Frühstücksservices<br />

Maria Theresias, Wien,<br />

um 1750.<br />

Wien, Kunsthistorisches<br />

Museum, Kunstkammer,<br />

Inv.-Nr. KK 1197–1224.<br />

( 52 )<br />

gleich zu Gemälden entgegenbrachte. Sie waren materiell wertvoller, wurden häufig –<br />

wie dargelegt – durch die Verquickung mit einer historischen Dimension überhöht und<br />

vermochten den <strong>Glanz</strong> des Hauses Habsburg anschaulicher zu vermitteln als dies eine<br />

umfangreiche Gemäldegalerie zu tun imstande war.<br />

Doch auch im Fall des Sammelns und in Auftrag Gebens von Gemälden scheint es<br />

zumindest im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t entscheidend gewesen zu sein, auf eine lange Tradition<br />

des Mäzenatentums und des Kunstverständnisses hinweisen zu können. In <strong>der</strong> Beschreibung<br />

<strong>der</strong> kaiserlichen Gemäldegalerie rühmt <strong>der</strong> bereits erwähnte Küchelbecker die<br />

Kennerschaft <strong>der</strong> Kaiser Leopold und Joseph, verweist aber vor allem auf jene des aktuell<br />

regierenden Monarchen Karl VI., <strong>der</strong> „hierinnen Dero Allerdurchlauchtigsten Vorfahren<br />

keineswegs etwas nach[stehe]“ 19 . Die Bedeutung <strong>der</strong> Vorfahren und die Einbettung<br />

des aktuellen Regenten in die Sammlertradition werden dezidiert betont. Küchelbecker<br />

stellt die kaiserlichen Sammler in die Tradition Alexan<strong>der</strong>s des Großen und Julius<br />

Caesars und verweist auf Kaiser Karl V. und König Ludwig XIII. von Frankreich. Wie<br />

bei den Schatzkammerstücken kann man auch bei <strong>der</strong> Gemäldegalerie das Bestreben<br />

erkennen, den Bogen vom aktuellen Kaiser bis in die Antike zurück zu spannen und so<br />

mittels <strong>der</strong> Kunst das Fundament für die herrschaftliche Legitimation zu verbreitern<br />

sowie diese zu veranschaulichen.


Die Rolle des Herrschers als För<strong>der</strong>er <strong>der</strong> Künste, die seiner fürstlichen Tugend <strong>der</strong><br />

Magnificentia (Großartigkeit) Ausdruck verleihen sollte, ist hier gleichfalls von immanenter<br />

Bedeutung. Spätestens ab dem Zeitpunkt, als Thomas von Aquin den Kanon<br />

<strong>der</strong> Tugenden um die Sapientia (Weisheit), die Scientia (Wissenschaft), den Intellektus<br />

(Intellekt) und die Ars (Kunst) erweitert hatte, konnte die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Künste und<br />

Wissenschaften zu den Tugenden eines idealen Fürsten zählen. In diesem Sinne ist auch<br />

die Programmatik des Kameos von Louis Siries zu verstehen, <strong>der</strong> Maria Theresia als<br />

Beschützerin von Kunst, Wissenschaft und Handwerk darstellt (Kat.-Nr. 18). Das kleinformatige<br />

Werk sollte nicht nur durch seine künstlerische Gestaltung sowie durch die<br />

Verwendung <strong>der</strong> ausgewählten Materialien Gold und Lapislazuli beeindrucken; es sollte<br />

vielmehr auch einem Denkmal gleich die Tugenden <strong>der</strong> Herrscherin herausstreichen<br />

und propagieren.<br />

Dazu passt die Tatsache, dass <strong>der</strong> Gelehrte Joannon de Saint Laurent bereits 1747 eine<br />

ausführliche Beschreibung dieses Kameos veröffentlichte, in <strong>der</strong> er auf über 140 Seiten<br />

dessen komplexe Ikonographie, aber auch mineralogische und vor allem ethische<br />

Aspekte abhandelt20 . Der Kameo sollte also nicht nur innerhalb <strong>der</strong> Schatzkammer<br />

Zeugnis vom Ruhm und von <strong>der</strong> Tugendhaftigkeit des Kaiserhauses und seines Oberhauptes<br />

ablegen, son<strong>der</strong>n durch seine Veröffentlichung auch darüber hinaus ausstrahlen.<br />

In ähnlicher Absicht wurden im 17. Jahrhun<strong>der</strong>t die oben angesprochenen monumentalen<br />

Bergkristallgefäße Dionysio Miseronis in Kaltnadelradierungen von Dancker<br />

Dankerts einer erweiterten Öffentlichkeit vorgestellt. Auch <strong>der</strong> 1771 erschienene Versuch<br />

einer Beschreibung <strong>der</strong> kaiserlich=königlichen Schatzkammer zu Wien (Nürnberg, Gabriel<br />

Nicolaus Raspe), <strong>der</strong> als erster gedruckter Katalog <strong>der</strong> Weltlichen und <strong>der</strong> Geistlichen<br />

Schatzkammer in Wien gilt, trug zur Propagierung <strong>der</strong> Schatzkammer und ihres Inhaltes<br />

bei. So wie die gesamte, in prunkvoll ausgestatteten Räumen präsentierte Sammlung<br />

als habsburgisches Ehrenmal zu verstehen ist, so sollte jedes einzelne <strong>der</strong> Kunstwerke<br />

innerhalb <strong>der</strong> kaiserlichen Sammlungen dazu beitragen, die Geltung, den Ruhm und<br />

die <strong>Macht</strong> <strong>der</strong> kaiserlichen Familie und des Hauses Österreich zu vermehren.<br />

saalmonumente<br />

Dass dabei Schatzkammerstücke oft auch ganz ausdrücklich als Denkmäler verstanden<br />

wurden, zeigt sich an einzelnen Beispielen kleinformatiger Ehrenmale. Vor allem aus <strong>der</strong><br />

Regierungszeit Kaiser Leopolds I. haben sich solche Monumente en miniature erhalten.<br />

Ein knapp siebzig Zentimeter hohes Triumphdenkmal aus Elfenbein hat die Apotheose<br />

Kaiser Leopolds zum Thema und verherrlicht seine Siege über die Türken und ungarn<br />

(Kunstkammer, Inv.-Nr. KK 4560). Der deutsche Elfenbein- und Bernsteinschnitzer<br />

Christoph Maucher stellte den Kaiser und seinen Sohn Joseph thronend über einem<br />

imaginären Schlachtfeld dar. Bekrönt werden die beiden von einer Wolkenglorie, in<br />

( 53 )


( 54 )

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!