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Rede Müller, ver.di (pdf-Datei) - Netzwerk Weiterbildung

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Peter Müller, <strong>ver</strong>.<strong>di</strong> Arbeitskreis Berufliche RehabilitationBBW/BFW, <strong>Rede</strong> anlässlich der 11. Heidelberger Fachtagung „BeruflicheRehabilitation – Quo Va<strong>di</strong>s“ am 24. Januar 2005Sehr geehrte Damen und Herren,am heutigen Tag ist bereits soviel richtiges referiert worden. Es sind eine Vielzahlvon überlegenswerten Forderungen für <strong>di</strong>e berufliche Rehabilitation abgeleitetworden. Ich habe mich darum gefragt, wie ist es möglich, da noch weitere neueErkenntnisse zum Thema „Berufliche Rehabilitation – Quo Va<strong>di</strong>s“ beizutragen.Ich halte es in <strong>di</strong>esem Zusammenhang mit dem englischen Staatsmann und PhilosophenFrancis Bacon, dem folgendes Zitat zugeschrieben wird: „Geht ein Menschvon Gewissheiten aus, wird er im Zweifel enden; gibt er sich aber damit zufrieden,von Zweifeln auszugehen, wird er am Ende Gewissheit haben.“ Zitat Ende. Ichmöchte damit keinesfalls, wie das Zitat von Francis Bacon vielleicht andeutenkönnte, den Anschein erwecken, unfehlbar zu sein.Lassen Sie mich aber trotzdem von Zweifeln ausgehen.1. Die aktuellen politischen Rahmenbe<strong>di</strong>ngungenDarum zunächst zu den aktuellen politischen Rahmenbe<strong>di</strong>ngungen. Es ist schonbedenklich, wenn in der aktuellen sozialpolitischen Diskussion <strong>di</strong>e Sozialausgabengerechtfertigt werden müssen, <strong>di</strong>e entstehen, wenn <strong>di</strong>e Risikofälle wie beispielsweise„Arbeitslosigkeit“, „Armut“ oder „Behinderung“ eintreten, für <strong>di</strong>e das sozialeNetz aufgebaut worden ist. Weitgehend nicht hinterfragt bleiben hingegen <strong>di</strong>eProbleme Arbeitsplatz<strong>ver</strong>nichtung, Früh<strong>ver</strong>rentung, Gesundheitsbeeinträchtigung,<strong>di</strong>e auf den Sozialstaat abgewälzt werden.1


Die „großen Lebensrisiken“ wie beispielsweise Arbeitslosigkeit oder Krankheitmüssen vom Sozialstaat aufgefangen werden. In<strong>di</strong>viduelle Gefahren sind gesellschaftlichabzusichern. Dies war der grundlegende Konsens der sozialen Marktwirtschaft.Nun mag unter Wirtschafts- und Sozialpolitiker fast unbestritten sein, dass das bisherigeModell umgebaut werden müsse. Rasante technologische Entwicklung,demografische Tendenzen und <strong>di</strong>e Globalisierung der Finanz- und Wirtschaftstätigkeitmachten neue Überlegungen notwen<strong>di</strong>g.Gegenwärtig bildet sich jedoch ein anderes Sozialsystem heraus, das den bisherigenKonsens grundlegend in Frage stellt, ja ihn aufkün<strong>di</strong>gt. Es handelt sich umeinen System- und Para<strong>di</strong>gmenwechsel.„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“, heißt es seit zehnJahren im Grundgesetz. Ich meine, dass eine Bilanz nach<strong>di</strong>esem Zeitraum eher mager aussieht. Und schlimmer: Seit betriebswirtschaftlichesDenken und Handeln auch <strong>di</strong>e Ausgaben in der Sozialpolitik bestimmen drohtein Rückfall in längst überwunden geglaubte Zeiten, als Behinderte isoliert nebender Gesellschaft lebten.So empfinden besonders bitter blinde Menschen <strong>di</strong>e in den letzten Jahren stän<strong>di</strong>ggekürzten und in Niedersachsen nun mit den Stimmen der CDU und FDP sogarweitestgehend gestrichenen Hilfen. Sie wissen meine Damen und Herren, dassder CDU-Ministerpräsident Christian Wulff und seine Sozialministerin Ursula vonder Leyen von ihren Kollegen in den übrigen Bundesländern forderten, das Gleichezu tun.Sparen wird zur neuen öffentlichen Religion. Dadurch werden Sozialstattlichkeitund gesellschaftliche Solidarität mit den Schwachen zur Disposition gestellt.2


Darum ist im Rahmen eines sozialpolitischen Diskurses <strong>di</strong>e Zukunft der beruflichenRehabilitation meines Erachtens eher zurückhaltend zu betrachten. Die Politik wirduns <strong>di</strong>e Frage aufdrängen – egal, ob wir es wollen oder nicht – ob <strong>di</strong>e Rehabilitationszielein Deutschland und der Einsatz der Ressourcen im gut ausgebauten bundesdeutschenSystem der beruflichen Rehabilitation nicht grundsätzlich überdachtund neu geordnet werden müssen.Eins ist für mich aber klar: Der Sozialstaat muss darauf ausgerichtet sein, <strong>di</strong>egleichberechtigte Teilhabe an Arbeit und gesellschaftlichen Leben für alle Menschenzu sichern. Er hat für <strong>di</strong>ejenigen einzutreten, deren Startchancen schwierigsind. Sei es aufgrund ihrer sozialen Herkunft, aufgrund einer körperlichen Einschränkung oder aufgrund von Lernschwierigkeiten.2. Die Bedrohung der beruflichen Rehabilitation durch <strong>di</strong>e Praxis Bundesagenturfür ArbeitSehr geehrt Damen und Herren,<strong>di</strong>ese Grundsätze werden durch <strong>di</strong>e Praxis der Bundesagentur für Arbeit in Fragegestellt. Im Zentrum des Hartz – Konzeptes steht das Prinzip „Fordern und Fördern“.Dagegen können wir zunächst nichts einwenden. Denn: Zu den Grundelementensozialpädagogischer Arbeit gehört auch <strong>di</strong>e Verbindung von Fordern undFördern.Aller<strong>di</strong>ngs hat es im Hartz – Konzept nicht mehr <strong>di</strong>e Bedeutung eines sozialpädagogischenKonzeptes. Hinter <strong>di</strong>eser gleichen Formulierung <strong>ver</strong>birgt sich jetzt <strong>di</strong>eSanktionierung von Leistungen.Die Bundesagentur für Arbeit hat für das letzte Geschäftsjahr erstmalig für alleLeistungsangebote der Berufsbildungswerke und Berufsförderungswerke sogenannteDurchschnittskostensätze ermittelt und in den Kostensatzsatz<strong>ver</strong>handlun3


gen durchgesetzt. Wir beobachten bei der Bundesagentur eine Verbetriebswirtschaftlichungihrer Arbeit.In <strong>di</strong>esem Zusammenhang gehört auch das Fachkonzept für berufsvorbereitendeMaßnahmen. Es steht für Kurzmaßnahmen und Teilqualifikationen zu Lasten vonumfassenden Ausbildungen und <strong>di</strong>e <strong>di</strong>rekte unmittelbare Eingliederung mit Vorbereitungauf <strong>di</strong>e Jobsuche. Es geht um schlechtere Personalschlüssel und wenigerQualität. Der Bildungsanspruch der berufsvorbereitenden Maßnahmen in ihrer bisherigenForm wird auf Brauchbarmachung für den Ausbildungsstellen- und Arbeitsmarkteingeengt. Es geht also nur noch um <strong>di</strong>e Herstellung von Beschäftigungsfähigkeit.Deutlich wird meines Erachtens, das nach der Logik der Politik – und damit meineich alle im Bundestag <strong>ver</strong>tretenen Fraktionen – und nach der Logik der Geschäftspolitikder Bundesagentur es auch im Reha Bereich zu Einsparungen kommt. Esist dann wirklich fraglich, ob <strong>di</strong>e Bundesagentur zukünftig <strong>di</strong>e Integration behinderterMenschen in den ersten Arbeitsmarkt als einen zentralen Auftrag der Bundesagenturbegreift.3. Die Bedeutung der ArbeitFür den Einzelnen bedeutet Erwerbsarbeit <strong>di</strong>e notwen<strong>di</strong>ge Voraussetzung zur E-xistenzsicherung, sie bietet aber auch <strong>di</strong>e Chance und eine Voraussetzung zurIntegration in <strong>di</strong>e Gesellschaft. Besonders gilt <strong>di</strong>es für Menschen mit Behinderungen,da ohne Zugang zum und gleichberechtigten Teilhabe am Arbeitsleben <strong>di</strong>eForderungen nach Teilhabe, Gleichstellung und Selbstbestimmung nicht umsetzbarsind.Wir haben bereits in den vorherigen Beiträgen gehört, wie sich <strong>di</strong>e katastrophaleLage auf dem Arbeitsmarkt sich bei behinderten Menschen in noch stärkeremAusmaß bemerkbar macht als im Bevölkerungsdurchschnitt. Während <strong>di</strong>e allgemeineArbeitslosenquote im Jahr 2003 bei 10,4 Prozent betrug, lag <strong>di</strong>e ArbeitslosenquoteSchwerbehinderter bei 17 Prozent.4


Sehr geehrte Damen und Herren,Auch das SGB IX hat daran wenig geändert. Darum scheint es für mich wichtig,dass wir uns den Prozess, in dem gleichberechtigte Teilhabe gewährleistet werdenkann, in seinen beiden Hauptfaktoren anschauen.Der eine Faktor ist <strong>di</strong>e in<strong>di</strong>viduelle Förderung, <strong>di</strong>e Herstellung optimaler Beschäftigungsfähigkeitgemeinsam mit dem Betroffenen selbst durch <strong>di</strong>e unterschiedlichenLeistungen zur Teilhabe, <strong>di</strong>e das SGB IX bereithält. Ich werde später darauf zurückkommen.Der andere Faktor ist <strong>di</strong>e Bereitschaft und <strong>di</strong>e Herstellung der Fähigkeit der Betriebeund Verwaltungen, <strong>di</strong>e geförderten Personen aufzunehmen. Es geht um beides:<strong>di</strong>e in<strong>di</strong>viduellen Stärken des Einzelnen und eine Arbeitswelt, <strong>di</strong>e auch insoweitmenschengerecht ist, dass nicht jeden irgendwie beeinträchtigten Menschen mitseismografischer Präzision hinausfiltert, sondern im Gegenteil, ihm einen Platz mitaller Sorgfalt und Beachtung seiner Stärken und Grenzen schafft, an dem er produktivarbeiten kann.Die Realisierung der Teilhabe ist demnach zweigliederig. Inwieweit wird auf <strong>di</strong>eseZweigliederung von Politik, öffentlichen oder privaten Arbeitgebern hingewiesen?Wie wird sie von der Bundesregierung beachtet?Es waren vor allem der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften, <strong>di</strong>e nach demEnde der Kampagne „50.000 Jobs für Schwerbehinderte“ imOktober 2002 eine Reform des noch jungen SGB IX <strong>ver</strong>langt hatte. Dies warenunsere wichtigsten Forderungen: Echtes Mitbestimmungsrecht über Integrations<strong>ver</strong>einbarungen, echtes Mitbestimmungsrecht über alle auf den Einzelnen bezogenen Maßnahmenzur Ermöglichung und Sicherung von Beschäftigung in Betrieben und5


Verwaltungen, also vor allem über behindertengerechte Arbeitsbe<strong>di</strong>ngungen,Arbeitsaufgaben und Arbeitsorganisation, weiter forderten wir eine sanktionsgerechte Pflicht größerer Arbeitgeber, behinderteJugendliche und junge Erwachsene an der betrieblichen Ausbildung teilnehmenzu lassen; und <strong>di</strong>e Ausweitung der Geltung all <strong>di</strong>eser Regeln auf alle Behinderten, also <strong>di</strong>eAufgabe der Beschränkung auf Schwerbehinderte.Auch wenn das Ministerium im Jahre 2003 in ihrem Eckpunktepapier auf dem richtigenWeg war und <strong>di</strong>e Realisierung ein großer Fortschritt gewesen wäre – war dasErgebnis unbefrie<strong>di</strong>gend. Das Instrument der Integrations<strong>ver</strong>einbarungen wurdenicht gestärkt. Das im Gesetz geregelte Integrationsmanagement ist rechtlichkaum durchsetzbar. Eine Ausbildungspflicht gegenüber schwerbehinderten Jugendlichenblieb sanktionslos.Im Ergebnis ist <strong>di</strong>e Verteilung der Lasten im SGB IX fast un<strong>ver</strong>ändert geblieben.Da ist zunächst eine immense Last auf der Seite der Sozial<strong>ver</strong>sicherungen: siehaben <strong>di</strong>e Leistungen zu erbringen, <strong>di</strong>e notwen<strong>di</strong>g sind, um nur ein Teil der Verpflichtungzu zitieren-, <strong>di</strong>e Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungenund Fähigkeiten dauerhaft zu sichern (§ 4 Absatz 1 Ziffer 3 SGB IX).Die Verpflichtungen auf der Arbeitgeberseite bleiben dagegen schwach und beschränkensich mit wenigen Ausnahmen auf <strong>di</strong>e Schwerbehinderten.Das Tragische an der Unausgewogenheit der Verpflichtungen des sozialen Systemseinerseits und der Arbeitgeber andererseits ist, das <strong>di</strong>ese Situation dazuführt, dass <strong>di</strong>e Leistungen des sozialen Systems immer teurer und <strong>di</strong>e Wirkungenimmer schwächer werden. Der Prozess der zunehmenden Ausgliederung behinderterund gesundheitlich beeinträchtigter Menschen aus dem Arbeitsleben ist janur eine Nebenfolge der hohen Arbeitslosigkeit. Er ist gleichzeitig begründet indem überall in Wirtschaft und Verwaltung vorhandenen Streben nach Produktivitätum jeden Preis, das, so lange keine starken gegenwirkenden Verpflichtungen gelten,auf den unterschiedlichsten Wegen zu ununterbrochenen Ausgliederungseffektenführt.6


Im Gesamtschnitt liegt zur Zeit der Wiedereingliederungserfolg für alle Maßnahmender Teilhabe am Arbeitsleben (gemessen an der sozial<strong>ver</strong>sicherungspflichtigenBeschäftigung sechs Monate nach dem Maßnahmeaustritt) bei knapp 40 Prozent.Die durchschnittlichen Kosten einer dreijährigen Ausbildung in einem Berufsbildungswerkgibt <strong>di</strong>e Bundesagentur für Arbeit mit 98.500 Euro an, wo bei Kostenpro Teilnehmer von 2002 zu 2003 bei den Berufsbildungswerk um 0,2 Prozent, beiden Berufsförderungswerken um 1,7 Prozent gesunken sind. In weit höheren Prozentsätzenist dagegen <strong>di</strong>e Teilnehmerzahl gestiegen.Bei den Berufsförderungswerken um plus 9,1 Prozent; bei den Berufsbildungswerkenplus 2,1 Prozent.Es scheint mir, dass <strong>di</strong>ese Zahlen – insbesondere <strong>di</strong>e größere zahl von Maßnahmenbei sinkenden Kosten der Einzelmaßnahme – <strong>di</strong>e Annahme belegen, dassohne stärkere Verpflichtung der Betriebe <strong>di</strong>e Maßnahmen der beruflichen Teilhabeteurer und wirkungsschwächer werden. Das lässt für ihre künftige Entwicklungnichts Gutes ahnen.4. Der Bedarf an beruflicher Rehabilitation steigtEs gibt einen deutlichen Anstieg an psychischen Behinderungen. Die in der Vergangenheitdominierenden Folgen zu großer körperlicher Belastung nehmen zwarab. Gründe dafür liegen in dem Rückgang Bauwirtschaft mit hohem Belastungspotential,an dem <strong>ver</strong>stärkten Ersatz stark körperlich belastender Arbeiten durchMaschinen.Dafür nehmen Krankheiten und Behinderungen als Folge von Stress und Schadstoffbelastungenam Arbeitsplatz zu.Sowohl Arbeitsdruck be<strong>di</strong>ngt durch Tempo, Arbeitsvolumen, Leistungsanforderungen,<strong>di</strong>e Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes und <strong>di</strong>e Angst aus der Erwerbsarbeitganz herausgedrängt zu werden, erhöhen den Druck auf <strong>di</strong>e Arbeitnehmer7


so stark, dass es zu einer Zunahme aller dadurch be<strong>di</strong>ngten Erkrankungen undBehinderungen kommt.Die psychischen Behinderungen nehmen stark zu. Bei den Teilnehmern in Berufsförderungswerkenist der Anteil von psychisch Behinderten inzwischen bei ca.30 % mit steigender Tendenz. Vorhandene, nicht durch Arbeit <strong>ver</strong>ursachte Krankheitenund Behinderungen, werden durch <strong>di</strong>esen Druck <strong>ver</strong>stärkt.Andrerseits sind <strong>di</strong>e Betriebe immer weniger bereit, sich mit Behinderungen vonArbeitnehmern zu belasten. Da sie bei dem derzeitigen Arbeitsmarkt auswählenkönnen, steigen <strong>di</strong>e Arbeitslosenzahlen der Behinderten. Die Bereitschaft, behinderteJugendliche auszubilden ist stark rückläufig.Ebenso <strong>di</strong>e Bereitschaft, Behinderte betriebsintern umzuschulen. Betriebe <strong>ver</strong>sucheneher, sich möglicher „Problemfälle“ zu entle<strong>di</strong>gen, wenn betriebsbe<strong>di</strong>ngt Personalabgebaut wird.5. Die Anforderungen an <strong>di</strong>e berufliche Rehabilitation steigenDie Anforderungen steigen aus mehreren Gründen:Mehrfachbehinderungen nehmen zu. Beispielsweise bei Teilnehmern in Berufsförderungswerkenach z.Z. durchgeführten Erfassungen zwischen 3 und 4 ICDs jeTeilnehmer. Häufig treten körperliche Einschränkungen mit psychosomatischenErkrankungen und psychischen Erkrankungen kombiniert auf. Beispiel: Wirbelsäulenschaden,Asthma, Allergie, schwere Depression.Der Anteil von Teilnehmern mit psychischen Behinderungen steigt stän<strong>di</strong>g. Er liegtz.Z. bei etwa 30 %. Der Umgang mit <strong>di</strong>esen Teilnehmern - also mit Mehrfachbehinderungenund psychischen Behinderungen - erfordert ein hohes Maß an Fachkompetenzbei dem Personal von Reha-Einrichtungen. Die Beschäftigung von einigenFachleuten (Ärzte, Psychologen und Sozialpädagogen) reicht nicht. Das gesamtePersonal muss auf <strong>di</strong>e Anforderungen <strong>di</strong>eses Klientels eingestellt sein.8


Ein steigender Anteil der Teilnehmer hat starke Defizite in der Sprachbeherrschungund den grundlegenden Kulturtechniken (Ergebnis PISA ca. 25 % derSchüler kann selbst einfache Texte nicht sinngemäß <strong>ver</strong>arbeiten). Bei steigendenAnforderungen in der Berufsausbildung ist <strong>di</strong>e Förderung der Selbstlernfähigkeitein wichtiges Ausbildungsziel. Das setzt <strong>di</strong>e Entwicklung der Lesefähigkeit voraus.Es muss deshalb vor der eigentlichen Berufsausbildung in größerem Umfang Vorförderungund danach ausbildungsbegleitend eine Förderung erfolgen.Die Leistungsvoraussetzungen werden im Durchschnitt geringer, weil ein wachsenderTeil der Bevölkerung über höhere Bildungswege in höherqualifizierte Berufegeht. Die Folge ist, dass <strong>di</strong>e Teilnehmer der dualen Ausbildung zu einem größerenAnteil aus leistungsschwächeren Teilen der Bevölkerung kommen.Inzwischen haben <strong>di</strong>e meisten Teilnehmer Erfahrungen mit der Arbeitslosigkeit.Über <strong>di</strong>e Hälfte kommen aus einer Langzeitarbeitslosigkeit in ein Berufsförderungswerk.Die Arbeitslosigkeit ist oft Folge ihrer Behinderung oder zumindeststark davon beeinflusst. Lange Zeit des Lohn<strong>ver</strong>lustes haben für viele einen sozialenAbstieg in Gang gesetztmit Verschuldung und sozialer Destabilisierung. Und sie hat für viele Teilnehmerbereits zur Resignation geführt. Deshalb gehört es für einen Teil der Teilnehmer zuden wichtigsten Aufgaben in der Reha-Maßnahme, ihnen wieder Mut zu machenund Vertrauen in ihre Leistungsfähigkeit zurückzugeben.Auffälliges Sozial<strong>ver</strong>halten nimmt zu. Das kann Folge der schon erfolgten Ausgrenzungsein, oder auch zur Ausgrenzung beigetragen haben. Entscheidend istnicht <strong>di</strong>e Ursache, sondern der Tatbestand.Daraus ergeben sich folgende Forderungen Die Reha-Einrichtungen haben hohe Qualitätsstandards zu erfüllen. Das giltsowohl für <strong>di</strong>e Struktur, <strong>di</strong>e Abläufe und <strong>di</strong>e Ergebnisse (Qualitätsanforderungder BAR aus 2003). Diese Qualität muss von den Reha-Einrichtungen9


nachgewiesen werden. Maßstab kann dabei nur das Interesse der Behindertenan Schaffung der Voraussetzungen für eine Wiedereingliederung, fürden Erhalt aller notwen<strong>di</strong>gen Hilfen um <strong>di</strong>eses Ziel zu erreichen. Diese Anforderungen sind, zumindest in der Ultima-ratio Einrichtungen Berufsförderungs-und Berufsbildungswerke, nur mit hochqualifiziertem Personalzu erfüllen. Da es für <strong>di</strong>ese Aufgabe keine speziellen Ausbildungsgängegibt, ist zur Sicherung der Professionalität und damit der Qualität der Rehabilitationeine umfangreiche Fortbildung für nahezu alle Beschäftigten notwen<strong>di</strong>g.Für das Ausbildungspersonal ergibt zusätzlich <strong>di</strong>e Notwen<strong>di</strong>gkeiteiner pädagogischen Langzeitfortbildung, <strong>di</strong>e auf <strong>di</strong>e vorgenannten Anforderungenzugeschnitten ist. Honorarbeschäftigung und Arbeitskräftefluktuationsind damit weitgehend ausgeschlossen. Die Vorhaltung hochqualifizierten Personals ist nur möglich, wenn <strong>di</strong>e Reha-Träger eine Struktur<strong>ver</strong>antwortung für <strong>di</strong>ese Einrichtungen übernehmen undwenn <strong>di</strong>e Kostensätze so bemessen sind, dass <strong>di</strong>e berechtigten Qualitätsanforderungenauch erfüllt werden können. Ausschreibung von Maßnahmensind unter <strong>di</strong>esen Be<strong>di</strong>ngungen kontraproduktiv. Zu <strong>di</strong>esen allgemeinen Anforderungen sind für einige Behindertengruppenspezielle Angebote zu entwickeln. Frauen sind in der beruflichen Rehabilitationunterrepräsentiert. Die Reha-Angebote müssen so gestaltet werden,dass vor allem allein erziehende Frauen Ausbildung und Kinderbetreuung<strong>ver</strong>binden können (Anspruch aus § 33 SGB IX ). Für psychisch Behinderte ist zu prüfen, ob Maßnahmen betrieblicher Rehabilitationmit mittelfristiger Unterstützung durch Fördermaßnahmen und sozialpädagogischebzw. psychotherapeutische Begleitung geeigneter sind alszeitlich begrenzte stationäre Reha-Maßnahmen.10


6. Arbeitsbe<strong>di</strong>ngungen in der BrancheDie sich wandelnden Anforderungen in <strong>di</strong>e berufliche Rehabilitation stehen in einemengen Verhältnis zu den Arbeitsbe<strong>di</strong>ngungen der in den Einrichtungen beschäftigtenVerwaltungsangestellten, Ausbildern, Pädagogen, Psychologen undÄrzten.Darum möchte einen Aspekt der beruflichen Rehabilitation ansprechen, der <strong>di</strong>esenTagungen in der Vergangenheit eher eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Dassind <strong>di</strong>e Arbeitsbe<strong>di</strong>ngungen in den Einrichtungen Beschäftigtren. Wir haben es miteinem bunten Flickenteppich von Arbeitsbe<strong>di</strong>ngungen zu tun. Wir haben eine Vielzahlvon tarif<strong>ver</strong>traglich geregelten Be<strong>di</strong>ngungen. Wir haben Regelungen in Betriebs-und Dienst<strong>ver</strong>einbarungen. Wir haben Regelungen von Kirchlichen Dienstgebern.Und wir haben auch einige Einrichtungen ohne kollektive Vereinbarungen,so dass nur einzel<strong>ver</strong>tragliche Regelungen gelten.In meinem Aufgabenbereich beobachte ich den Beginn einer Dumpingspirale derArbeitsbe<strong>di</strong>ngungen nach unten. Ich zitiere aus einem Schreiben eines <strong>ver</strong>.<strong>di</strong> Bezirkssekretärsvon mir: „ Letztens war ich im Berufsförderungswerk X. Aufgrundder zu erwartenden Maßnahmen ab 1. Januar 2005 sollen Einsparungen seitensdes Personals vorgenommen werden. Dienbezüglich will der Arbeitsgeber an denBetriebsrat herantreten und Maßnahmen wie Streichung des Urlaubsgeldes, Erhöhungder Arbeitszeit, Aufspaltung eines Vollzeitarbeits<strong>ver</strong>hältnisses in ein Teilzeitarbeits<strong>ver</strong>hältnisund 400 Euro Minijob durchführen.“. Zitat Ende.In <strong>di</strong>esem Zusammenhang ist <strong>di</strong>e Rolle der Arbeitgebergruppen bzw. der Fach<strong>ver</strong>bändeauf Arbeitgeberseite zu thematisieren. Lassen sie einen Dumping-Wettbewerb in <strong>di</strong>eser Branche zu oder werden sie als bundesweite Zusammenschlüssedagegen steuern?Mitarbeiter<strong>ver</strong>tretungen und Betriebsräte bebachten, das psychische und psychosomatischeErkrankungen unter den Kolleginnen und Kollegen zunehmen. DasArbeitsklima wird zunehmend kälter. Mobbingfälle häufen sich.11


Die fachliche und soziale Kompetenz der Beschäftigten in den Einrichtungen derberuflichen Rehabilitation und ein hohes Maß an Identifikation mit dem Betrieb sind<strong>di</strong>e Voraussetzungen erfolgreicher Integrationsarbeit. Nur wer <strong>di</strong>ese Voraussetzungenschafft, legt den Grundstein einer gesicherten Zukunft beruflicher Rehabilitation.7. Um den Anspruch auf Teilhabe der Behinderten zu sichern sind Veränderungennotwen<strong>di</strong>gDie Leistungen für <strong>di</strong>e berufliche Rehabilitation sind in einem Gesetz, eben imSGB IX zusammenzufassen. Bisher enthält das SGB IX Rechtsansprüche aufTeilhabe an der Gesellschaft ohne entsprechende Leistungsgarantien. Alle Leistungen,<strong>di</strong>e <strong>di</strong>e Rehabilitation erst möglich machen, sind in anderen Gesetzen geregelt(z. B. SGB III).Die Eignungsfeststellung muss sehr professionell und möglichst trägerunabhängigerfolgen. Je besser <strong>di</strong>e Eignungs<strong>di</strong>agnose in den Assessment-Maßnahmen, destogeringer wird <strong>di</strong>e Abbruchquote während der Ausbildung. Das hilft Kosten sparenund <strong>ver</strong>meidet Misserfolgserlebnisse der Teilnehmer. So lange keine TrägerunabhängigenEinrichtungen vorhanden sind, ist auf das dafür qualifizierte Personal der Berufsbildungs-und Berufsförderungswerke zurückzugreifen. Die Entscheidungen über <strong>di</strong>enotwen<strong>di</strong>gen Reha-Maßnahmen sollten hier (unabhängig von der jeweiligen Haushaltslageeines Reha-Trägers) getroffen werden.Es ist zu prüfen, ob <strong>di</strong>e Zustän<strong>di</strong>gkeit für <strong>di</strong>e Rehabilitation - also für <strong>di</strong>e me<strong>di</strong>zinischeund berufliche Rehabilitation - in einer Behörde zusammen gefasst werdensollte. Die Zustän<strong>di</strong>gkeit sollte beim Sozialministerium liegen.In <strong>di</strong>esem Zusammenhang gehört auch <strong>di</strong>e Überlegung, das Förderrecht zu <strong>ver</strong>einheitlichen.Die Vermittlungseinrichtungen <strong>ver</strong>weisen auf <strong>di</strong>e Arbeitsbelastungen,12


<strong>di</strong>e heute aus Zustän<strong>di</strong>gkeitserklärungen, Mehrfachanträgen und damit <strong>ver</strong>bundenenBegründungen, Dokumentationen und Bescheiden erwachsen.Die Arbeitgeber müssen <strong>ver</strong>pflichtet werden behinderte Jugendliche auszubilden(Pflichtquote). Die Prävention im Betrieb (SGB IX) muss kontrolliert und Missachtungsanktioniert werden. Die berufliche Rehabilitation Erwachsener im Betriebmuss ebenfalls mit Pflichtquoten gefördert werden.Für Teilnehmer der beruflichen Rehabilitation, <strong>di</strong>e nicht der besonderen Hilfen derBerufsförderungswerke und Berufsbildungswerke bedürfen, sind ebenso hoheQualitätsanforderungen zu stellen, wie an Berufsbildungs- und Berufsförderungwerkemit der Ausnahme, dass <strong>di</strong>ese Betriebe keine me<strong>di</strong>zinische, sozialpädagogischeund psychologische Betreuung garantieren müssen. Die AusbildungsspezifischenQualitätsanforderungen müssen in gleicher Weise gelten.Sehr geehrte Damen und Herren,lassen Sie mich abschließend noch einmal auf <strong>di</strong>e gesetzlichen Rahmenbe<strong>di</strong>ngungenzurückkommen. Die Agenda 2010, <strong>di</strong>e Hartz – Gesetze und <strong>di</strong>e damit einhergehendePraxis der Bundesagentur führt zu einer erheblichen Unruhe auch in denEinrichtungen der beruflichen Rehabilitation. Wir alle müssen damit umgehen.Lassen sie uns aber auch immer wieder auf <strong>di</strong>e Konsequenzen <strong>di</strong>eser Politik hinweisen.Berufliche Rehabilitation darf nicht auf fiskalische Zielsetzungen reduziertwerden. Die Beschäftigten in der beruflichen Rehabilitation sind in <strong>ver</strong>.<strong>di</strong> in demArbeitskreis berufliche Rehabilitation auf Bundesebene <strong>ver</strong>treten. Dieser Arbeitskreissteht für eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungenam Arbeitsmarkt und hat das Ziel, <strong>di</strong>e berufliche Rehabilitation zu sichern und zufördern. Wir werden <strong>di</strong>e Wirkungen der Politik abschätzen und Verbesserungeneinfordern.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.13

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