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<strong>juridikum</strong>nr ................... 4.<strong>zeitschrift</strong> im <strong>recht</strong>sstaat2004themaJustizundP.b.b. · Verlagspostamt 1030 · 02Z032221 · Euro 9,90 · ISSN 1019-5394Randgruppen<strong>recht</strong> & <strong>gesellschaft</strong>Recht auf Umweltschutz?Land ohne Gott?Rot wählen?Aus Prinzip: Anti-NS!Für Context herausgegeben von............................................Iris Eisenberger · Ronald Faber · Christian Hiebaum


Straf<strong>recht</strong>Pleischl/SoyerStrafprozessordnung idF des StrafprozessreformgesetzesIn-Kraft-Treten: 1. 1. 2008, Stand: 1. 7. 2004592 Seiten, geb., 3-7046-4410-2, € 48,–Das Strafprozessreformgesetz wird am 1. 1. 2008 in Kraft treten.Es ändert das strafprozessuale Vorverfahren grundlegend,indem es Aufgaben und Kompetenzen zwischen Gericht, Staatsanwaltschaftund Polizei neu verteilt und präzise bzw genau regelt. Diegerichtliche Voruntersuchung entfällt. Die Rechte der Beschuldigtenwerden ebenso eingehend normiert wie jene der Opfer gerichtlichstrafbarer Handlungen. Ermittlungsmaßnahmen undBeweisaufnahmen– auch bisher ungeregelte wie z.B. Observation, verdeckte Ermittlungenund Scheingeschäft sowie Tatrekonstruktion – werden gesetzlichfestgeschrieben.Die Textausgabe enthält die Strafprozessordnung in der Fassungdieses umfassendsten Reformgesetzes seit ihrem Entstehungsjahr1873. Überdies werden aus den Materialien (Erläuterungen zurRegierungsvorlage und Bericht des Justizausschusses) zu den jeweiligenParagrafen jene Passagen übersichtlich – und zitierfähig – wiedergegeben,welche den Wortlaut und die Struktur des neuen Gesetzeserläutern. Das Werk ist daher sowohl zum Nachschlagen geeignetals auch als Lernbehelf für Studenten und Praktiker, die sich mitdem neuen Vorverfahren vertraut machen wollen.MayerhoferStPO – StrafprozessordnungDas österreichische Straf<strong>recht</strong>, Zweiter Teil5. Auflage 2004, 2 Bände, 1.452 Seiten, geb., 3-7046-4249-5, € 240,–Das Ergebnis der Durchsicht der gesamten, auch unveröffentlichtenJudikatur des Obersten Gerichtshofes sowie ausgewählter Entscheidungender Oberlandesgerichte. Der Judikaturteil wird durch die denEntscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalte ergänzt.Mit Anmerkungsteil, Gesetzesmaterialien und Hinweisen auf dasSchrifttum.Bisher erschienen:Strafgesetzbuch, Erster Teil, 5., überarbeitete Auflage, 2000,1.140 Seiten, gebunden, € 216,57, 3-7046-1441-6Nebenstraf<strong>recht</strong>, Dritter Teil (2 Bände), 4., überarbeitete Auflage,1997, 1.886 Seiten, gebunden, € 216,57, 3-7046-1068-2Verordnungen und Erlässe, Vierter Teil, 3., überarbeitete Auflage,2003, 1.704 Seiten, 2 Mappen, Losebl., € 238,–, 3-7046-4098-0MayerhoferStPOStrafprozessordnungDas österreichische Straf<strong>recht</strong>Zweiter Teil5. AuflageTel.: 01-610 77- 315, Fax: - 589order@verlagoesterreich.atwww.verlagoesterreich.at


Gesetzgebung, Rechtsprechung und LiteraturJUSextraa k t u e l l – i n f o r m a t i v – k o m p a k tSchnupperabo um nur € 9,90Inhalt1/21-26 | Bundesgesetzblatt1/26 | Regierungsvorlagen1/26 | Veranstaltungen2/13-18 | Verfassungsgerichtshof3/5-8 | Verwaltungsgerichtshof - A4/7-8 | Verwaltungsgerichtshof - F5/7-8 | OGH - Zivilsachen6/5-10 | OGH - Strafsachen7/9-12 | EuGH – Vorabentscheidungsverfahren8/7-12 | LiteraturHerausgeber:Gerhard Benn-Ibler, Franz Burkert,Gerhart Holzinger, Georg Weißmann


Wir freuen unsauf Ihren Besuch!Die bestsortierteFachbuchhandlung mit200 Jahren ErfahrungRecht● Rechtsliteratur aus österreichischen und internationalen Verlagen● Österreichische Öund internationale juristische Zeitschriften● CD-ROM's (Vorführung und Tests sind jederzeit möglich)Steuern● Nationale und Internationale Fachliteratur● aktuelle Zeitschriften● CD-ROM'sWirtschaft● Bücher aus den Bereichen: Management und Unternehmensführung, Controllingund Finanzen, Marketing, Verkauf, u.v.m.● diverse Ratgeber● FachwörterbücherService● Express-Zustellung, Wien: 3 Stunden, andere Bundesländer: 1 bis 2 Tage● Auf Wunsch erhalten Sie alle 2 Wochen einen Newsletter über Neuerscheinungen● Lesebereiche in angenehmer Atmosphäre (Kaffe auf Wunsch, natürlich gratis!)● An Studenten werden Bücher, gegen Vorlage eines Studienausweises,zum Hörerscheinpreis verkauft.● Alle Bücher können auch zur Ansichtmitgenommen werden● Stammkundenkonditionen● GeschenkgutscheineWollzeile 16, 1010 WienTel.: 01-512 48 85 ● Fax: 01-512 06 63Mo. – Fr. 9 .00–19.00 Uhrwww.jurbooks.at ● order@jurbooks.at


Inhalt<strong>recht</strong> & <strong>gesellschaft</strong>D. Ennöckl/B. Painz Gewährt die EMRK ein Recht auf Umweltschutz? ....................... 163G. Eisenberger/E. Hödl Eine Frage der Ehre? ............................................................. 170Matthias C. Kettemann Land ohne Gott?.................................................................... 173Bernhard Perchinig Kein Wahl<strong>recht</strong> ohne roten Pass .............................................. 178sonderthemaKlaus ZelenyEnthält die österreichische Bundesverfassung einantinationalsozialistisches Grundprinzip? (Teil 1) ....................... 182thema: justiz und randgruppenOliver Scheiber Vorwort ............................................................................... 189Alexia Stuefer„Gewerbsmäßigkeit“ und Untersuchungshaftbei Schwarzafrikanern ............................................................ 191Mira Kadric Sichtbare Ge<strong>recht</strong>igkeit in gedolmetschten Verhandlungen ......... 195Christian Bertel Die normalen Abnormalen –zur Unterbringung nach § 21 Abs 2 StGB.................................. 201Karin Gutiérrez-LobosPsychiatrische Gutachten im Spannungsfeldzwischen Medizin, Recht und Gesellschaft ................................ 203M. Kadric/O. Scheiber Ausgangspunkt Tampere:Unterwegs zum europäischen Strafprozess ............................... 207rubrikenvor.satznach.satzRonald FaberSwing it! .............................................................................. 162Iris KuglerSalzburger Nockerln............................................................... 212impressum ........................................................................................... 169.............................................................<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 161


vor.satz......................................................Swing it!Wer würde bei all dem Unbill in dieserWelt der bis zum Abwinken <strong>recht</strong>schaffenenJurstInnenseele nicht gönnen,sich nach getanem Tagwerk in die Wittmanncouchzu senken, um bei gedämpftenJazzklängen und einem (Riedel)Gläschenzur leichten <strong>juridikum</strong>-Lektüre zu greifen? Schwenken, riechen,kosten, degustieren Sie!Man braucht, um mit dem Unerfreulichenzu beginnen, den obligaten Jahresrückblickgar nicht bis zum bitterenAnfang durchwürgen. Schon die letztenHighlights machen 2004 zu einem<strong>recht</strong>sstaatlichen Jubeljahr: Menschen<strong>recht</strong>sanwältInnenwurde im Innenministeriumendlich die gebührende Aufmerksamkeitgeschenkt, die verwaltungsgerichtlicheKontrolle des Asylwesensvon wechselnden Ressortchefswie auf einem Basar gehandelt, die trägeKonventssuppe weiter eingedickt undmit ihr die Hoffnung, dass die Verfassungaus dem traurigen Schauspiel Österreich-Konventdoch noch unbeschädigthervorgehen könnte, während derfür Demokratie an sich zuständige (ebennicht: Verfassungs-)Gesetzgeber munterdas demokratische Wahlergebnis desStudierendenparlaments umschrieb.Der JuristInnenstand hat sich dieserEntwicklung mit geballtem Standesethosmutig in den Weg gestellt und denMarkt pünktlich zur Weihnachtszeit miteiner weiteren Welle humoriger JuristInnenanekdötchenüberschwemmt, vondenen sich einige in weiser Selbsterkenntnismit dem Adjektiv „ridiculum“gleich selbst qualifizieren 1 . Dazu wurdeeine Sammlung von Weintipps illustrerVertreterInnen unseres Standes kredenzt:„Wenn’s Recht viniert. EinWeinbuch von und für Juristen“ 2 – heisseKandidaten für die Liste der mostwanted-Sponsionsgeschenke............................................Ronald FaberDer moralische Tiefflug schlägt schon inder unlauteren Titelgebung durch, dennnach dem Vorjahreserfolg von „Wenn’sRecht kocht“ durfte Justizia heuer nichtin logischer Fortsetzung „trinken“ oder„saufen“, ausgerechnet „vinieren“ musssie. Das soll ihr wohl den nötigen Anstandgeben, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen,dass es alkoholmäßignicht mehr tiefer geht. Vinieren bedeutetlaut Weinglossar ua, einen Grundweinmit Hochprozentigem anreichern – einrichtiger Absacker also. Wir hoffen aufFortsetzung ähnlich frommer Wortlügenund würden das Recht beim nächstenMal inhalieren (statt tschicken) und koitieren(statt ...) lassen.Das <strong>juridikum</strong>. <strong>zeitschrift</strong> im <strong>recht</strong>sstaatwill dieser Entwicklung selbstverständlichum nichts nachstehen undnicht etwa mit einem Editorial überAsyl- oder Menschen<strong>recht</strong>e langweilen,sondern ein schales Häppchen aus derleidlichen Anekdotenkiste beisteuern.„Wenn’s Recht schmunzelt“, denn echterJuristInnenhumor schmunzelt, erlacht nicht, wie uns die humorigen Anekdotenbüchererklären. Was würdesich zu diesem Zweck besser eignen alsein Streiflicht auf das Prostitutions<strong>recht</strong>,über das es zwar reichlich Ernsthaftes zusagen gäbe, hier aber in nahtloser Einreihungin das juristische Boulevardniveauberichtet werden soll.Die Marktgemeinde Strasshof an derNordbahn im gottgefälligen Niederösterreichwollte dem unmoralischen Treibeninnerhalb ihrer Gemeindemauern einEnde setzen. Sie verbot die öffentlicheAnbahnung und Ausübung der Prostitutionsowie die Errichtung und den Betrieb„so genannter ‚Swingerclubs’ und sonstigerEinrichtungen, die der Anbahnung sexuellerHandlungen dienen, und nichtdem NÖ Prostitutionsgesetz unterliegen“.Prompt landete die Verordnung beimVfGH. Die Beschwerdeführerin erblicktein ihr ein nachgerade josefinistisches„Aufrißverbot“ und malte demhohen Gericht die Schreckensvision einergasthauslosen Marktgemeinde vorAugen: Würde man die Verordnungbeim Wort nehmen, drohe „sämtlichenGastronomiebetrieben in der VerbotszoneStrafe und Schließung ..., da es derallgemeinen Lebenserfahrung entspricht,dass angestrebtem, <strong>recht</strong>mäßigemKopulationsverhalten der Besuchvon Gastronomiebetrieben vorangeht,insbesonders dann, wenn die künftigenKopulanten einander erst kennenlernenwollen. Der Volksmund hat dafür denAusdruck ‚Aufreißen’ geprägt.“Derart argumentativ in die Enge getrieben,rettete sich der VfGH auf densittlich einwandfreien Boden des Prozess<strong>recht</strong>sund wies den Antrag kurzerhandzurück, weil er nicht den strengenVoraussetzungen für die Individualanfechtungvon Verordnungen genüge(VfGH 6.12.2004, V 44/04). Gekonntumschifften die RichterInnen damit einenargumentativen Notstand, denn wermag schon von sich behaupten, noch nie<strong>recht</strong>mäßiges Kopulationsverhalten anstrebendeinen Gastronomiebetrieb besuchtund dabei gar künftige KopulantInnenkennengelernt zu haben?Zu schade: Die <strong>recht</strong>ssuchende Bevölkerungmuss weiter auf ein klärendesWort des Höchstgerichts über die Zulässigkeitvon Vorbereitungshandlungenzu <strong>recht</strong>mäßigem Kopulationsverhaltenwarten. Die Marktgemeinde Strasshofhatte für diese Frage sogar tief in die Taschegegriffen: Sie beantragte Kostenersatz,denn die Beiziehung eines Anwalteswar ihr „aufgrund der Komplexitätder Angelegenheit“ unbedingt erforderlicherschienen.1) Krejci, JuRidiculum. UniVersevon Heinz Krejci. Verlag Österreich2004.2) N. Forgó (Hrsg),Wenn’s Rechtviniert. Ein Weinbuch von und fürJuristen. Manz 2004.Seite 162 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


echt & <strong>gesellschaft</strong>Gewährt die EMRK einRecht auf Umweltschutz?Daniel Ennöckl/Bernhard Painz..................................2. Rechtsprechung des EGMR1. Einleitungwickelt. 5 gemachten Rechten.Ebenso wie das österreichische Verfassungs<strong>recht</strong>zum Umweltschutzenthält auch die Europäi-sche Konvention für Menschen<strong>recht</strong>e(EMRK) kein explizites Recht auf Natur-2.1 Umwelt<strong>recht</strong> undVerfahrensgarantien derKonventionund Umweltschutz. 1 Die Konven-tion ist vielmehr als ein Vertrag zumSchutz des Menschen und seiner Persönlichkeitund insofern anthropozentrischkonzipiert. 2 Erst jüngst hat derEuropäische Gerichtshof für Menschen<strong>recht</strong>e(EGMR) in einem Verfahren,in dem sich die Bf über die Bebauungund die damit verbundene ZerstörungUmweltfragen können in verschiedenenKonstellationen Verfahrensgegenstandvor dem EGMR sein. Berührt das nationaleVerfahren zivile Rechte oder betrifftes straf<strong>recht</strong>liche Anklagen iSdEMRK, 6 kommt Art 6 zur Anwendungund sind in Folge dessen die dort gewährleistetenVerfahrensgarantien einzuhalten.Die Rsp zur Frage, in welcheneines Sumpfgebietes in ihrer Fällen umwelt<strong>recht</strong>liche Genehmi-Nachbarschaft beschwert hatten, festgestellt,dass weder Art 8 EMRK 3 nochirgendeine andere Bestimmung derKonvention speziell dafür ausgerichtetseien, einen einklagbaren Anspruch aufSchutz der Umwelt zu gewähren. 4 Dennochhat der EGMR in den letzten Jahreneine eigene Rsp zur Frage der Vereinbarkeitvon Umweltbeeinträchtigungengungsverfahren zivile Rechte betreffen,erweist sich allerdings als reichlich kasuistisch.So hat der Gerichtshof in zweiFällen, 7 die sich gegen die Betriebsbewilligungvon Atomkraftwerken richteten,die Anwendbarkeit von Art 6 verneint,da es den Bf nicht gelungen sei,glaubhaft zu machen, dass die betreffendenKernkraftwerke eine schwerwiedeponien,durch Fluglärm, Müllgende,konkrete und unmittelbare Gegungsverfahrenverschmutztes Trinkwasser,die Errichtung von Kernkraftwerkenund die Lagerung und Versenkung vonAtommüll im Meer mit den durch dieKonvention geschützten Rechten entfährdungfür ihre Gesundheit oder ihrEigentum bedeuten. Es bestehe daherkein unmittelbarer Zusammenhang zwischenden bekämpften Entscheidungender belangten Behörden und den geltendZu einem anderen Schluss kam derGerichtshof hingegen im Fall Zander. 8Hier hatten die Bf keine Beschwerdemöglichkeitvor einem Tribunal gegen...........................................1) Gutknecht, Das Prinzip Umweltschutzim Österreichischen Verfassungs<strong>recht</strong>,in: Machacek/Pahr/Stadler,Grund- und Menschen<strong>recht</strong>e II (1992)113, 140; Kley-Struller, Der Schutz derUmwelt durch die Europäische Menschen<strong>recht</strong>skonvention,EuGRZ 1995,507 (509).2) Rest, Europäischer Menschen<strong>recht</strong>sschutzals Katalysator für ein verbessertesUmwelt<strong>recht</strong>, NuR 1997, 209(211).3) Im Folgenden beziehen sich Artikelangabenohne nähere Bezeichnungauf die EMRK.4) Kyrtatos g Griechenland, Nr41666/98, 22.5.2003, vgl auch die ZulässigkeitsEX.Y. g Deutschland, Nr7407/76, DR 5, 161; Rayner g VereinigtesKönigreich, Nr 9310/81, Decisionsand Reports (DR) 47, 13.5) Vgl Grabenwarter, EuropäischeMenschen<strong>recht</strong>skonvention (2003) § 22Rz 13; Meyer-Ladewig, Konvention zumSchutz der Menschen<strong>recht</strong>e und Grundfreiheiten(2003) Art 8 Rz 17.6) Zum Begriff der „civil rights“ und„criminal charge“ vgl Grabenwarter,Europäische Menschen<strong>recht</strong>skonvention§ 24 Rz 4 ff, 11 ff mwN.7) Athanassoglou g die Schweiz, Uv 6.4.2000, Nr 27644/95; Balmer-Schafroth g die Schweiz, U v26.8.1997; vgl ecolex 1998, 276; kritAnm Raschauer, RdU 1997, 64 = ÖJZ1998, 436 = EuGRZ 1999, 183, sieheauch Kley, Gerichtliche Kontrolle vonAtombewilligungen, EuGRZ 1999, 177.eine Betriebsbewilligung für eine benachbarteAbfallbehandlungsanlage,durch die die Wasserqualität der Brunnender Bf gefährdet wurde. Die Wasser<strong>recht</strong>eder Bf wurden in diesem Fallals zivile Rechte qualifiziert und eineVerletzung von Art 6 festgestellt. Auchim Fall Fischer, 9 in dem eine wasser<strong>recht</strong>licheAbfallablagerungsbewilligungaus Umweltschutzgründen widerrufenwurde, wurde Art 6 für anwendbarerklärt und eine Verletzung festgestellt,da dem Antrag des Bf auf eine mündlicheVerhandlung vor dem VwGH nichtstattgegeben wurde.2.2 Eingriffe in Konventions<strong>recht</strong> zumSchutz der UmweltEine andere Konstellation, in der UmweltverfahrenProbleme im Hinblick aufdie EMRK aufwerfen können, liegt vor,wenn Maßnahmen zum Schutz der Umweltbeschränkend in Konventions<strong>recht</strong>eeingreifen. Gem der Entscheidung imFall Fredin, 10 in dem eine Betriebsbewilligungfür eine Schottergrube aus Umweltschutzgründenwiderrufen wurde,dürfen staatliche Umweltschutzmaßnahmendas Recht auf Eigentum gem Art 1des 1. ZP einschränken, wenn diese gesetzlichvorgesehen, in Übereinstimmungmit dem Allgemeininteresse – alsozB zum Schutz der Gesundheit und fürdie Erhaltung der Umwelt – erforderlichsind und die Behörden einen ge<strong>recht</strong>enAusgleich zwischen den widerstreitendenInteressen der Parteien angestrebthaben. Umweltschutzmaßnahmen könnendem entsprechend ein AllgemeininteresseiSv Art 1 des 1. ZP darstellen, dasals Schrankenbestimmung einzelnerGrund<strong>recht</strong>e in Frage kommt. Als ge<strong>recht</strong>fertigteEingriffe aus Gründen desUmweltschutzes wertete der Gerichtshofbeispielsweise Nutzungsbeschränkungenfür Grundstücke, die sich in Naturschutzgebietenbefanden. 11 Flächen-8) Zander g Schweden, U v25.10.1993; vgl EuGRZ 1995, 535.9) Fischer g Österreich, U v26.4.1995, vgl RdU 1995, 129 (AnmRaschauer).10) Fredin g Schweden, U vom18.2.1991, Nr 12033/86; vgl ÖJZ 1991,514.11) Herrick g Vereinigtes Königreich,ZulässigkeitsE v 1.3.1985, (DR) 42,275; Chapman g Das Vereinigte Königreich,ZulässigkeitsE v 18.1.2001, Nr27238/95.<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 163


echt & <strong>gesellschaft</strong>widmungsplanänderungen 12 oder dieAuswirkungen eines Umweltschutzprogrammsfür Seen- und Meeresküsten aufdie Eigentums<strong>recht</strong>e der Anwohner. 132.3 Beeinträchtigungen der Umweltals Grund<strong>recht</strong>verletzung.........................................Weiters können durch UmweltbelastungenKonventions<strong>recht</strong>e verletzt werden,wenn diese von Organen des Mitgliedstaatsselbst verursacht werden oderaber die Mitgliedstaaten es verabsäumen,ausreichende Maßnahmen zu derenSchutz zu ergreifen. Die ersten Fälle,mit denen sich die Straßburger Instanzenin diesem Zusammenhang auseinanderzu setzen hatten, betrafen Beschwerdenüber die Immissionen durchFluglärm. In zwei Fällen 14 machten dieBf Lärmbelästigungen geltend, die vomBetrieb der Flughäfen Gatwick und Heathrowausgingen und sie in ihrem Rechtauf Achtung des Privat- und Familienlebensverletzt seien. Die Kommission erklärtedie Beschwerden für zulässig undführte aus, dass „erhebliche Lärmbelästigungdas physische Wohlbefinden einerPerson zweifellos beeinträchtigenund damit in ihr Privatleben eingreifenkann. Sie kann auch eine Person um dieMöglichkeit bringen, die Annehmlichkeitenihrer Wohnung zu genießen.“ ZuSachentscheidungen kam es in diesenFällen jedoch nicht, da sich die Parteiengütlichen einigten.Der Fall Powell und Rayner betrafLiegenschaften, die zwei Kilometerbzw mehrere Meilen vom FlughafenHeathrow entfernt waren. Diese Beschwerdenwurden nach der Zulässigkeitserklärungder Kommission demGerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.15 In der Zulässigkeitsentscheidungstellte die Kommission fest, dass Art 8nicht nur durch unmittelbare Maßnahmenstaatlicher Behörden verletzt werdenkönne, sondern die Vertragsstaatenauch verpflichtet seien, notwendigeMaßnahmen zu ergreifen, um Personenvon mittelbaren Einflüssen zu schützen(„positive obligations“). Weiters stelltesie fest, dass eine beträchtliche Lärmbelästigungzweifelsohne das körperlicheWohlbefinden einer Person beeinträchtigenund daher dem Recht auf Privatlebenzuwiderlaufen und darüber hinausauch die Annehmlichkeiten der Wohnungbeeinträchtigen könne. WelchesAusmaß an Beeinträchtigung vorliegenmuss, damit eine Verletzung vorliegt,entschied die Kommission jedoch nicht.Sie kam zu der Beurteilung, dass einerseitsdie Errichtung und der Betrieb desFlughafens auf einer gesetzlichen Basisberuhe und anderseits seine wirtschaftlicheBedeutung so groß sei, dass dieLärmbelästigung der Anrainer in jedemFall ge<strong>recht</strong>fertigt erscheine. Darüberhinaus habe Großbritannien die internationalüblichen Maßnahmen zur Eindämmungdes Lärms ergriffen.Zum ebenfalls gerügten Art 1 des1. ZP sprach die Kommission aus, dassdiese Bestimmung grundsätzlich keinRecht auf friedlichen Genuss des Eigentumsin intakter Umwelt gewähre. Zwarkönne der Wert eines Grundstückesdurch Flugzeuglärm geschmälert seinund dieses unter Umständen sogar unverkäuflichwerden. Da im vorliegenFall jedoch keine beträchtliche Wertminderungnachgewiesen werden konnte,wurde auch die Beschwerde unter Art1 des 1. ZP als unzulässig zurückgewiesen.Nur hinsichtlich der Frage, die sichim Hinblick auf Art 13 stellte, nämlich,dass die Anrainer kein effektivesRechtsmittel zur Hand hatten, um sichgegen den Flugzeuglärm zur Wehr zusetzen, wurde die Beschwerde für zulässigerklärt und dem Gerichtshof zur Entscheidungvorgelegt. Nach Art 13 müssendie Vertragsstaaten für alle begründetenAnsprüche eine effektiveMöglichkeit der Durchsetzung gewährleisten.16 Da Art 13 jedoch nach der Rspdes EGMR keine allgemeine Rechtschutzgarantiedarstellt, sondern immernur im Zusammenhang mit einer anderenBestimmung der Konvention verletztsein kann, hatte der EGMR in diesemFall Art 13 gemeinsam mit Art 6und 8 zu prüfen.Der EGMR stimmte in seinem Urteilzwar der Kommission zu, dass der Flugzeuglärmdie Lebensqualität und dieAnnehmlichkeiten der Wohnung derBeschwerdeführer beeinträchtigt hatteund bejahte daher insoweit die Anwendbarkeitdes Art 8. Seiner Ansicht nachbegründete das Vorbringen der Bf allerdingskeinen „arguable claim“ unterArt 8 und wies daher auch diesen Teilder Beschwerde als unbegründet ab.Das erste Mal stellte der Gerichtshofeine Verletzung von Art 8 im Zusammenhangmit einem Umweltverfahrenim Fall Lopez Ostra 17 fest. Es handeltesich dabei um eine besonders gravierendeBeeinträchtigung, die nicht nur dieWohnung, sondern auch die Gesundheitder Personen betraf. Neben dem Hausder Bf errichteten die Gerbereien derStadt Lorca eine Abwasser- und Abfallbeseitigungsanlage.Diese verursachtegesundheitsgefährdende Immissionenin Form von üblem Geruch,Lärm und Rauch. Aufgrund dieser Gesundheitsgefährdungwurde die Bf mitihrer Familie – drei Jahre nach Inbetriebnahmeder Anlage – vorübergehendaus ihrem Haus evakuiert und ihr kostenloseine Ersatzwohnung zur Verfügunggestellt.Der Gerichtshof führte aus, dass starkeUmweltverschmutzung das Wohlbefindenvon Individuen beeinträchtigen,dem Recht auf Privatleben zuwiderlaufenund darüber hinaus die Annehmlichkeitender Wohnung beeinträchtigenkönne. Der Gerichtshof prüfte, obdie Behörden ihre positive Pflicht wahrgenommenhatten und angemesseneMaßnahmen ergriffen wurden, um dieInteressen der Anrainer zu wahren unddas Recht der Beschwerdeführerin aufAchtung der Wohnung, des Privat- undFamilienlebens unter Art 8 zu gewährleisten.Sowohl der Gerichtshof alsauch die Kommission werteten denMissstand als Verletzung von Art 8 undstellten fest, dass trotz des Beurteilungsspielraumsdes Staates die Behördenkeinen ge<strong>recht</strong>en Ausgleich zwischendem wirtschaftlichen Interesse12) Berger und Hüttaler g Österreich,ZulässigkeitsE v. 7.4.1994, Nr 21022und 21023/92 (Einbeziehung der ursprünglichals Bauland gewidmetenGrundstücke der Bf in einen Grüngürtel);Haider g Österreich, ZulässigkeitsEv 29.1.2004, Nr 63413/00 (Umwidmungdes als Bauland gewidmetenGrundstücks des Bf in Freiland).13) Uuhiniemi g Finnland, Entscheidungv 10.10.1994, Nr 21343/93.14) Arrondelle g Das Vereinigte Königreich,ZulässigkeitsE v 15.7.1980, Nr7889/77, DR 19, 186; Baggs g Das VereinigteKönigreich, ZulässigkeitsE v16.10.1985, Nr 9310/81.15) Powell u Rayner g Vereinigtes Königsreich,ZulässigkeitsE v 17.10.1985und 16.7.1986, Nr 9310/81; U v21.2.1990, Nr 9310/81, ÖJZ 1990, 418.16) Allgemein zu Art 13 siehe Grabenwarter,Europäische Menschen<strong>recht</strong>skonvention§ 24 Rz 110 ff.17) Lopez Ostra g Spanien, U v9.12.1994, EUGRZ 1995, 347 = ÖJZ1995/24.Seite 164 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


echt & <strong>gesellschaft</strong>der Stadt Lorca und dem Interesse derBf gefunden hatten.Im Rahmen dieser Beschwerde rügtedie Bf auch eine Verletzung von Art 3.Geltend gemacht wurde, dass sie Opfereiner unmenschlichen und erniedrigendenBehandlung geworden sei. Dazusprach der Gerichtshof aus, dass die Bfund ihre Familie zwar jahrelang gewissunter sehr schwierigen Bedingungen gelebthätten, diese aber nicht einer erniedrigendenBehandlung gem Art 3 gleichkommenkönne.Eine wichtige Weiterentwicklung erfuhrdie Rsp im Fall Guerra ua. 18 Die Bflebten in einer Entfernung von einemKilometer zu einer Chemiefabrik, dieals Betrieb iSd Seveso I-Richtlinie 19qualifiziert wurde. Sie brachten vor,dass es die staatlichen Behörden versäumthätten, sie über mögliche Umweltrisikender benachbarten, besondersgefährlichen Fabrik, zu informieren.Die Kommission stellte zunächst eineVerletzung von Art 10 fest. Sie vertratdie Ansicht, dass Art 10 die Staatennicht nur dazu verpflichte, Informationenüber umweltrelevante Sachverhalteder Öffentlichkeit zugänglich zu machen,sondern auch die positive Pflichtauferlege, solche Informationen zu sammeln,aufzubereiten und zu verbreiten.Dieser weiten Auslegung des Art 10schloss sich der Gerichtshof allerdingsnicht an. Er sprach aus, dass Art 10 zwardas Recht auf Zugang zu Informationengewähre, aus dieser Bestimmung jedochkeine positive Pflicht des Staates geschlossenwerden könne, Informationenzu sammeln und zu verbreiten.Hingegen erklärte der Gerichtshof exofficio Art 8 für anwendbar und stelltefest, dass die Gasimmissionen das Rechtauf Privat- und Familienleben der Bf beeinträchtigthatten und prüfte, ob derStaat seiner Schutzpflicht nachgekommenwar. Nach seiner Ansicht hatten dieBehörden es verabsäumt, Informationenzur Verfügung zu stellen, die den Anrainernermöglicht hätten, abzuschätzen,welcher Gefahr sie sich aussetzen, indemsie weiterhin im Einzugsbereichder Chemiefabrik lebten. Genau wie imFalle Lopez Ostra kam er zu dem Ergeb-...........................................18) Guerra ua g Italien, U vom19.2.1998, EUGRZ 1999,188 (AnmSchmidt-Radefeld) = ÖJZ 1999, 33.19) RL 82/501/EG, ABl L 230/1982,mittlerweile abgelöst von Seveso II, RL96/82/EG, ABl L 010/1997.20) Hatton ua g Vereinigtes Königreich,U v 2.10.2001, Nr 36022/97; vglecolex 2002, 392 = ÖJZ 2003/2 = RdU2002, 20 (Anm Kind).21) Zur Kritik an diesem Urteil siehenis, dass die Behörden ihrer Verpflichtungnicht nachgekommen waren, undstellte daher eine Verletzung von Art 8fest. Mit dieser Entscheidung anerkannteder Gerichtshof ein Recht auf Umweltinformation.Das bedeutet, dass dieStaaten verpflichtet sind, Personen überGefahren, die ihre Rechte unter Art 8 gefährdenkönnen, in Kenntnis zu setzen.Als jüngster Fall unter Art 8, der sichmit Fluglärm befasste, ist der Fall Hattonua zu nennen. Wie im Fall Powellund Rayner ging es um die Beeinträchtigungder Rechte der Anrainer desFlughafens Heathrow. In diesem Fallbrachten die Bf vor, dass nach dem In-Kraft-Treten einer neuen Regulierungdes Flugverkehrs eine erhöhte Frequenzder Nachtflüge und der dadurch empfindlichgestiegene Geräuschpegel ihrenSchlaf erheblich beeinträchtigt hättenund dadurch ihre Rechte nach Art 8 verletztseien.In seinem Urteil vom 2.10.2001 20stellte der Gerichtshof noch eine Verletzungder Rechte der Bf im Hinblick aufArt 8 fest, da insb aufgrund des mangelhaftenErhebungsverfahrens der Behördenkein ge<strong>recht</strong>er Ausgleich zwischenden Parteien gefunden wurde. In der Begründungdazu führte der Gerichtshofaus, dass das Ausmaß der wirtschaftlichenBedeutung der Nachtflüge wedervon der Regierung noch durch eine unabhängigeStudie erhoben worden sei.Weiters seien lediglich begrenzte Recherchenauf dem Gebiet der Schlafstörungendurch (Nacht)Fluglärm angestelltworden.Auf Antrag der britischen Regierungwurde der Fall der Großen Kammer vorgelegt.In deren Urteil vom 8.7.2003wird abweichend von der angefochtenenEntscheidung ausgesprochen, dassden Behörden bzw Mitgliedstaaten inallgemeinpolitischen Fragestellungen(wie in Umweltfragen) ein weiter Beurteilungsspielraumzukomme. Die geltendgemachte Beeinträchtigung berühredas Privatleben der Bf nicht in einerWeise, dass die Anwendung eines besondersengen Beurteilungsspielraumsge<strong>recht</strong>fertigt werde könne. Auf der Basisdieser Feststellung wurden die Erhebungender Behörden als ausreichendund die Auswirkungen des Nachtfluglärmsals nicht schwerwiegend beurteilt.21Anders als in den bisher genanntenEntscheidungen stellte der Gerichtshof– sowohl im ersten Urteil, als auch in derGroßen Kammer – eine Verletzung desArt 13 fest. Art 13 gewähre zwar keineBeschwerdemöglichkeit gegen allgemeinpolitischeEntscheidungen als solche.Wenn ein Bf jedoch eine argumentierbareBehauptung einer Konventionsverletzungaufstellt, müsse diesem eineffektives Rechtsmittel zur Verfügungstehen. Nachdem im Urteil vom2.10.2001 eine Verletzung von Art 8festgestellt wurde, kam die Große Kammernicht umhin, das Vorbringen der Bfals „arguable claim“ zu qualifizieren.Im Fall Öneryildiz 22 stellte derEGMR erstmals eine Verletzung vonArt 2 im Zusammenhang mit einem umweltrelevantenSachverhalt fest. Der Bflebte mit seiner Familie in Slums nebeneiner Mülldeponie. Auf dieser ereignetesich eine gewaltige Methangasexplosion,bei der 90 Bewohner der angrenzenden,behördlich nicht bewilligten, aberseit Jahren geduldeten Siedlung ums Lebenkamen, darunter neun Familienmitgliederdes Bf. Im anschließenden Verfahrengegen die verantwortlichen Entscheidungsträgerwurden bedingteGeldstrafen in der Höhe von umgerechnetEUR 9,70 verhängt und dem Bf ineinem langwierigen Verfahren eine Entschädigungvon etwa EUR 2.000 zugesprochen.Zum Beschwerdevorbringen unterArt 2 EMRK stellte der EGMR fest, dasssich das Recht auf Leben nicht imSchutz vor absichtlichen Tötungen erschöpfe,sondern die Mitgliedstaatenauch positive Verpflichtungen treffen,das Leben von Personen unter ihrer Jurisdiktionzu schützen. Wenn auch nichtjede lebensgefährliche Situation die Behördeverpflichte, entsprechende Maßnahmenzu ergreifen, so sei der Sachverhaltanders zu beurteilen, wenn den Behördenreale und unmittelbare Gefahrenfür Leib und Leben bekannt sind, sie esaber verabsäumen, die ihnen zu GebotePainz, Fluglärm und Art 8 EMRK, RdU2004, 111.22) Öneryildiz g Türkei, U v 27.5.2002,Nr 48939/99.<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 165


echt & <strong>gesellschaft</strong>stehenden Maßnahmen zu ergreifen.Weiter führte der Gerichtshof aus, dassVerletzungen von Art 2 im Zusammenhangmit Umweltangelegenheiten nichtnur in den Bereichen der öffentlichenGesundheitsvorsorge und von AtomoderIndustrieanlagen vorstellbar seien,sondern auch in anderen Bereichen, indenen ernste Gefahren für Leib und Lebenentstehen können. Der Gerichtshofstellte fest, dass die Behörden keine geeignetenMaßnahmen ergriffen hätten,um die – den Behörden seit Jahren bekannten– Gefahren, die von der Mülldeponieausgingen, zu beseitigen undauch die Anrainer nicht von diesen Gefahreninformiert worden seien. Da darüberhinaus die dem Unfall folgenden(verwaltungs-)gerichtlichen Verfahrennicht den verfahrens<strong>recht</strong>lichen Anforderungenvon Art 2 genügten, lag eineVerletzung dieses Rechts vor. 23 Da demBf der finanzielle Schaden, der durchdie Explosion entstand nur unzureichendersetzt wurde, stellte der Gerichtshofweiters eine Verletzung vonArt 1 des 1. ZP fest.Dass das Eingriffsniveau jedoch einsehr hohes sein muss, um Art 2 zur Anwendungkommen zu lassen, zeigt sichan Hand des Falles Fadeyeva. 24 Die Bflebt in einer „Sicherheitszone“ rund umein Stahlwerk, in der die Anrainer ausGründen des Gesundheitsschutzes abgesiedeltwerden mussten. Sie brachtevor, dass durch den Betrieb des Stahlwerkesihre Gesundheit und ihr Lebengefährdet sei, die Behörden es jedochverabsäumt hätten, ihr eine Wohnungaußerhalb der Sicherheitszone zur Verfügungzu stellen. Zu Art 2 führte derEGMR aus, dass für das Leben oder dieGesundheit der Bf kein reales und unmittelbaresRisiko vorläge und daherArt 2 nicht zur Anwendung komme. Zurgeltend gemachten Verletzung von Art3 wurde ausgesprochen, dass positiveVerpflichtungen des Staates etwa imZusammenhang mit Haftbedingungenund Misshandlungen in Gefängnissenbestehen. Solche Fragen würden in diesemVerfahren jedoch nicht aufgeworfen.Mit dem Hinweis, dass der Sachverhaltunter Art 8 – nur bezüglich dieserBestimmung wurde die Beschwerde fürzulässig erklärt – geprüft werde, erklärteder Gerichtshof die Beschwerde im Hinblickauf Art 3 für unzulässig.2.4 Zusammenfassende Würdigungder EGMR-Judikatur...........................................23) Unter Hinweis auf die festgestellteVerletzung von Art 2 hielt der EGMReine weitere Prüfung des Beschwerdevorbringensunter den Art 6, 8 und 13nicht für erforderlich.24) Fadyeva g Russland, ZulässigkeitsEv 16.10.2003, Nr 55723/00.25) Vgl etwa Haider g Österreich (FN12). Eine Verletzung des Art 1 des 1. ZPAuch wenn die Rsp bislang ein explizitesRecht des Einzelnen auf Umweltschutzbestritten hat, wird durch die EMRK dennochein Mindestschutz vor übermäßigenUmweltstörungen gewährt. Wie inden oben dargestellten Fällen gezeigt,müssen jedoch gravierende Eingriffevorliegen, damit der EGMR Art 2 und 3im Zusammenhang mit Beeinträchtigungdurch Immissionen für anwendbar hält.Das Recht auf Schutz des Eigentums gemArt 1 des 1. ZP kann demgegenüber konventionskonformdurch Umweltschutzmaßnahmeneingeschränkt werden. Esfinden sich in der Rsp allerdings Hinweise,die darauf hindeuten, dass durch Umweltmaßnahmenerlittene Vermögensschädenersetzt werden müssen 25 bzwdurch vom Staat zu verantwortende Umweltbelastungenerlittene Schäden zu einerVerletzung von Art 1 des 1. ZP führenkönnen. 26 Wenn auch die festgestellteVerletzung von Art 13 im Fall Hattonein spezifisch britisches Problem betrifft,27 ist doch zu konstatieren, dass dieaus Art 13 resultierenden verfahrens<strong>recht</strong>lichenAspekte eine immer größereBedeutung in der Rsp erlangen.Am ehesten eignet sich Art 8, um sichgegen Umweltbelastungen zur Wehr zursetzen. Nach der Rsp können schwereUmweltverschmutzungen das Wohlbefindender Einzelnen beeinträchtigenund sie vom ungestörten Genuss ihrerWohnungen in einer Art 8 verletzendenWeise abhalten, ohne dass auch eineschwere Gefährdung der Gesundheitvorliegen muss. 28 Auch das Recht, überpotentielle Umweltgefahren informiertdurch die Änderung des Flächenwidmungsplanswurde ua deshalb verneint,da eine Wertminderung desGrundstücks nicht substantiiert wurde.26) Vgl etwa die Zulässigkeitsentscheidungim Fall Rayner (FN 15) undÖneryildiz (FN 22).27) Vor dem In-Kraft-Treten des HumanRights Acts 1998 konnten die britischenGerichte Entscheidungen nichtauf ihre Konventionskonformität überprüfen,vgl dazu allgemein Heller, DieEntwicklung der Grund<strong>recht</strong>e in Englandund im Vereinigten Königreich – Historischesund Aktuelles, JBl 2002, 288.28) Vgl etwa den Fall Lopez Ostra (FN17).zu werden, wurde vom EGMR mittlerweileanerkannt. 29Die Prüfung des Gerichtshofs, obdurch Immissionen Konventions<strong>recht</strong>everletzt werden, beinhaltet zwei Aspekte:Zum einen die inhaltliche Vereinbarkeitder materiellen nationalen Entscheidungmit Art 8, zum anderen diePrüfung, ob im Rahmen des Entscheidungsprozessesden Interessen des Einzelnenausreichend Gewicht beigemessenwurde. Die anwendbaren Prinzipienbei der Frage, ob ein Staat hinsichtlichseiner positiven Pflicht ausreichendeMaßnahmen zum Schutz der Rechtenach Art 8 Abs 1 ergriffen hat, oder hinsichtlicheines direkten Eingriffes durcheine Behörde, der gem Art 8 Abs 2 ge<strong>recht</strong>fertigtsein muss, sind im Großenund Ganzen ähnlich. In beiden Fällenmuss zwischen den widerstreitenden Interessendes Einzelnen und der Gemeinschaftals Ganzes ein ausgewogenesGleichgewicht hergestellt werden, wobeiden Staaten bei der Ergreifung dererforderlichen Maßnahmen ein gewisserBeurteilungsspielraum zukommt.Im Fall Hatton hat sich der Gerichtshofausführlich mit der Frage des Beurteilungsspielraumesder Vertragsstaatenin Umweltverfahren befasst und befunden,dass in allgemeinpolitischen sowiein Planungsentscheidungen den Mitgliedstaatenein weiter Beurteilungsspielraumzugestanden wird. 30 Mit dieserKlarstellung hat der EGMR den Mitgliedstaatenein großzügiges Instrumentariumfür die Genehmigung vonGroßprojekten in die Hände gelegt.3. Ist das österreichischeUmwelt<strong>recht</strong> EMRK-konform?Im Hinblick auf die dargestellten Rsp desEGMR zum Schutz gegen Umweltstörungenstellt sich die Frage, ob das österreichischeUmwelt<strong>recht</strong> als EMRK-konformangesehen werden kann. Dabeimuss grundsätzlich zwischen der materiell<strong>recht</strong>lichenZulässigkeit von Umweltbeeinträchtigungeinerseits und der ver-29) Vgl die Fälle Guerra ua (FN 18)und Öneryildiz (FN 22).30) Dies mit der Konsequenz, dass dasim ersten Urteil zu diesem Fall (FN 20)als mangelhaft befundene Verfahren imUrteil der Großen Kammer vom8.7.2003 als ausreichend qualifiziertwurde.Seite 166 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


echt & <strong>gesellschaft</strong>fahrens<strong>recht</strong>lichen Stellung der davonBetroffenen andererseits unterscheidenwerden............................................31) Vgl § 3 Z 5 Bgld BauG; § 23 Abs 3lit i Krnt BauO; § 6 Abs 2 Z 2iVm § 48NÖ BauO; § 31 Abs 4 OÖ BauO; § 9 Abs1 Z 6 Slzb BauPolG; § 26 Abs 1 Z 1 StmkBauG; § 25 Abs 3 lit a Tir BauO; § 8 VbgBauG; § 134a Abs 1 lit e Wr BauO.32) § 35 Abs 3 EisbG; vgl Rohregger,Eisenbahn<strong>recht</strong>liche Genehmigungsverfahrenund verfassungs<strong>recht</strong>licherEigentumsschutz, ZfV 1996, 671; Zeleny,Eisenbahnplanungs- und Bau<strong>recht</strong>(1994) 204; Raschauer, Umweltschutz<strong>recht</strong>(1988) 199.33) § 71 Abs 1 lit d LFG.34) § 82 Abs 3 LFG; vgl Funk/Novak/Aicher, Militärische Luftfahrt und Verfassung(1988).35) § 7a Abs 1 BStG; vgl ua Hecht,Die Rechtstellung der von der Planungöffentlicher Straßen Betroffenen(1995); Hintze, Der Bau von Bundesstraßenund das Rechtschutzdefizit derBetroffenen, ZfV 1991, 11.36) Vgl Hecht, Nachbar<strong>recht</strong>licher Untersagungsanspruchund Immissionenvon Straßen, ÖJZ 1993, 289.37) Vgl Anhang 1 des UVP-G 2000.3.1 Aus materiell<strong>recht</strong>licher SichtIn materiell<strong>recht</strong>licher Hinsicht gewährendie Genehmigungserfordernisse desösterreichischen Verwaltungs<strong>recht</strong>s einennahezu lückenlosen Schutz vorEmissionen, die die Grund<strong>recht</strong>spositionder Anrainer beeinträchtigen können.Dass Kernstück stellt das gewerblicheBetriebsanlagen<strong>recht</strong> dar, das in§ 77 GewO sicherstellt, dass keine Anlageerrichtet und in Betrieb genommenwerden darf, die zu einer Gefährdungdes Lebens, der Gesundheit, des Eigentumsoder sonstiger dinglicher Rechteoder zu unzumutbaren Belästigungenoder Beeinträchtigungen führen könnte.Diese Zulassungskriterien der GewOhatten Vorbildcharakter für zahlreicheweitere Genehmigungstatbestände.Ähn-liche Vorschriften zum Schutz derNachbarn finden sich beispielsweise in§ 43 AWG für Anlagen zur Behandlungvon Abfällen, in § 4 LRG-K für Dampfkesselanlagen,in den §§ 116, 119 MinroGfür Gewinnungsbetriebspläne undBergbauanlagen, in § 40 GTG für dieFreisetzung von gentechnisch verändertenOrganismen, in § 20 RohrleitungsGfür Rohrleitungsanlagen oder in § 17UVP-G für umweltverträglichkeitspflichtigeVorhaben. Durch diese Genehmigungsvoraussetzungenwird gewährleistet,dass die Beeinträchtigungdes unmittelbaren Lebensbereiches desEinzelnen durch die wirtschaftliche Tätigkeiteines anderen nicht ein Ausmaßerreicht, dass eine Grund<strong>recht</strong>sverletzungzu befürchten wäre. Für jene Bereiche,die keine dieser behördlichenBewilligungen erfordern, enthalten dieBauordnungen der Länder Vorschriften,die die Nachbarn vor Emissionen, dievon den zu genehmigenden Bauwerkenausgehen, schützen. 31Als weniger streng erweisen sichhingegen die Erfordernisse, die der Gesetzgeberan die Zulassung von Infrastruktureinrichtungenstellt. Projekte,deren Errichtung aufgrund ihrer Bedeutungfür die wirtschaftliche Entwicklung(auch) im öffentlichen Interesse gelegenist, unterliegen einem weniger strengenGenehmigungsregime als rein privateVorhaben. So kann eine eisenbahn<strong>recht</strong>licheBaugenehmigung erteilt werden,wenn der dadurch entstandene Vorteil fürdie Öffentlichkeit größer ist als derNachteil, der den Nachbarn durch dieGenehmigung erwächst. 32 Die Errichtungeines Zivilflugplatzes ist aus Sichtdes Umwelt- und Nachbarschutzes bereitsdann zulässig, wenn seiner Errichtungkeine „sonstigen öffentlichen Interessen“entgegenstehen. 33 Für Militärflugplätzegilt lediglich, dass ihreErrichtung keine unbillige Härte für andie um den geplanten Flugplatz im Bereichder vorgesehenen Sicherheitszonegelegenen Liegenschaften dinglich Be<strong>recht</strong>igtendarstellen darf. 34 Die Beeinträchtigungder Nachbarn durch denVerkehr auf Bundesstraßen muss nursoweit herabgesetzt werden, als diesdurch einen im Hinblick auf denerzielbaren Zweck wirtschaftlich vertretbarenAufwand erreicht werden kann. 35Äußerst unterschiedlich ist das Ausmaß,in dem die Interessen der Nachbarn inden LandesstraßenG der Länder berücksichtigtwerden. Einen garantiertenSchutz vor unzumutbaren Beeinträchtigungengewährt jedoch kein Bundesland.36 Es zeigt sich also, dass für dieGenehmigung von Infrastrukturprojektenein deutlich gelockerter Emissionsschutzbesteht und es grundsätzlichfür ausreichend erachtet wird, wenn dieInteressen der Allgemeinheit an der Realisierungdes Projektes mit jenen derbetroffenen Nachbarn abgewogen werden.Dabei muss jedoch beachtetwerden, dass derartige Infrastrukturvorhaben(mittlerweile) großteils demUVP-G unterliegen und daher diestrengeren Genehmigungsvoraussetzungender §§ 17 und 24h UVP-Gerfüllt sein müssen. Aber selbst jeneProjekte, für die diese mangelsErreichen des die UVP-Pflichtauslösenden Schwellenwertes 37 nichtgelten oder die bereits vor Inkrafttretendes UVP-G 38 bewilligt waren, sindnach der Rsp des EGMR mit Art 8vereinbar. Denn der EGMR räumt denMitgliedstaaten bei der Bewertung vonUmweltangelegenheiten einen weitenBeurteilungsmaßstab ein, weshalb eszulässig ist, Infrastrukturvorhabenauch dann zu bewilligen, wenn unzumutbareBeeinträchtigungen nichtausgeschlossen werden können, sofernnur ein ge<strong>recht</strong>er Ausgleich zwischenden öffentlichen Interessen an derProjektrealisierung einerseits und demSchutz der Anrainer andererseitsangestrebt wird. 39 Dabei kann dieBehörde durchaus, wie die Entscheidungim Fall Hatton zeigt, selbst beigravierenden Beeinträchtigungen zuungunstender Nachbarn entscheiden,ohne deren Grund<strong>recht</strong>sposition zuverletzen. Vor diesem Hintergrunderweist sich das österreichische Umwelt<strong>recht</strong>materiell<strong>recht</strong>lich als in jedemFall EMRK-konform.3.2 Aus verfahrens<strong>recht</strong>licher SichtWeniger eindeutig erscheinthingegen, ob das österreichische Rechtden Vorgaben der Judikatur des EGMRin verfahrens<strong>recht</strong>licher Sicht entspricht.Der VfGH steht in seiner Rspbekanntlich auf dem Standpunkt, dasssich aus dem Verfassungs<strong>recht</strong> keineVerpflichtung ableiten lasse, NachbarnPartei<strong>recht</strong>e in Genehmigungsverfahrenüberhaupt oder in einem bestimmtenUmfang zu gewähren. 40 Die einzigeSchranke, die der Gesetzgeber diesbezüglichzu beachten habe, sei das ausdem Gleichheitssatz abzuleitende Sachlichkeitsgebot.41Nun hat der EGMR in seiner jüngstenRsp – wie oben dargestellt – festgehalten,dass den von einem Projekt38) 1.7.1994 bzw 11.8.2000 idF BGBlI 2000/89.39) Powell and Rayner (FN 15) § 44;Hatton ua (FN 20) § 101, 129.40) Vgl ua VfSlg 6664/1972, 8279/1978, 8397/1978, 11934/1988, 12240/1989, 14512/1996.41) So etwa jüngst VfGH 11.3.2004,G 124/03, 12.12.2000, G 97/00.<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 167


echt & <strong>gesellschaft</strong>betroffenen aufgrund Art 13 jedenfallsein gewisser Rechtsschutz offen stehenmüsse. 42 Auch aus dem Recht auf einewirksame Beschwerde lässt sich aber ansich noch nicht ableiten, dass dieMitgliedstaaten verpflichtet wären, bestimmteProjekte einem administrativenGenehmigungsverfahren zu unterziehenund davon betroffenen DrittenParteistellung einzuräumen. 43 Art 13verpflichtet die Mitgliedstaaten lediglich,eine wirksame Beschwerde innerhalbder nationalen Rechtsordnungeinzurichten, wenn in vertretbarer Weiseeine Konventionsverletzung geltendgemacht wird („arguable claim“). DieKonvention schreibt aber nicht vor, wiediese Beschwerde konkret ausgestaltetsein muss, sondern verlangt nur, dass sie„wirksam“ zu sein hat. 44Die Rsp des EGMR hat dieses Rechtdahingehend präzisiert, dass ein Zugangzu einem effektiven Rechtsmittel danngegeben ist, wenn dieses grundsätzlichgeeignet ist, eine konventionswidrigeSituation zu beseitigen und den <strong>recht</strong>skonformenZustand wiederherzustellen.45 Rechtsbehelfe, die nur derFeststellung einer Rechtswidrigkeit dienen,zu deren Beseitigung aber nichtgeeignet sind, können hingegen nicht alsBeschwerdemöglichkeit im Sinne desArt 13 angesehen werden. 46 BloßenAufsichts-, Disziplinar- oder Volkanwaltsbeschwerdenkommt daher keinRechtmittelcharakter zu. 47 Weiters gilt,dass es sich bei der Beschwerdeinstanzum eine unabhängige und unparteiischeEinrichtung handeln muss, die von jenerBehörde verschieden zu sein hat, die dasin Beschwerde gezogene Verfahrengeführt hat. 48 Der Beschwerdeführermuss einen Rechtsanspruch darauf...........................................42) Hatton ua (FN 20).43) Raschauer, Anlagen<strong>recht</strong> undNachbarschutz aus verfassungs<strong>recht</strong>licherSicht, ZfV 1999, 506 (509).44) Grabenwarter, Europäische Menschen<strong>recht</strong>skonvention§ 24 Rz 114;Holoubek, Das Recht auf eine wirksameBeschwerde bei einer nationalen Instanz,JBl 1992, 137; Matscher, ZurFunktion und Tragweite der Bestimmungdes Art 13 EMRK, in: FS Seidl-Hohenveldern(1988) 315.45) Kaya g Türkei, U vom 19.2.1998,Nr 22729/93.46) Frowein/Peukert, EuropäischeMenschen<strong>recht</strong>skonvention2 (1996)Art 13 Rz 3.47) Bernegger, Das Recht auf einewirksame Beschwerde: Art 13 EMRK,in: Machacek/Pahr/Stadler, Grund- undMenschen<strong>recht</strong>e II (1992) 733 (744).48) Calogero Diana g Italien, U v15.11.1996, Nr 15211/89; RJD 1996-V,1765.49) Frowein/Peukert, EuropäischeMenschen<strong>recht</strong>skonvention Art 13 Rz 4;Grabenwarter, Europäische Menschen<strong>recht</strong>skonvention§ 24 Rz 114.50) Vgl insb Feik, Staatliche Gewährleistungspflichtund Nachbar<strong>recht</strong>e imgewerblichen Betriebsanlagen<strong>recht</strong>, in:Grabenwarter/Thienel, Kontinuität undWandel der EMRK (1998) 205 (208);Raschauer, ZfV 1999, 516; Thienel,Verfassungs<strong>recht</strong>liche Grenzen für dasvereinfachte Genehmigungsverfahrenhaben, dass sein Rechtsmittel inhaltlichbehandelt wird und dass ihm im Rahmeneines förmlichen Verfahrens <strong>recht</strong>lichesGehör eingeräumt wird. 49 Ein österreichischesVerwaltungsverfahren kanndiesen Anforderungen uE nur dannentsprechen, wenn dem Nachbarn, derin vertretbarer Weise eine Verletzungseiner Grund<strong>recht</strong>sphäre geltend macht,Parteistellung eingeräumt wird. Dennnur in diesem Fall wird ihm der Zugangzu den ordentlichen und außerordentlichenRechtmitteln eröffnet, die demvom EGMR entwickelten Begriff der„wirksamen Beschwerde“ entsprechen.Eine faktische Rechtsdurchsetzungohne Parteistellung ist im System desösterreichischen Verfahrens<strong>recht</strong>s nichtmöglich. Nur dort, wo die Materiengesetzeentsprechende subjektive Rechteeinräumen, ist ein effektiver Schutzgrund<strong>recht</strong>lich gewährter Positionen gesichert.50Zu beachten ist jedoch, dass auch dieAnrufung der Zivilgerichte zur Überprüfungder Zulässigkeit von Immissionenein wirksames Rechtsmittel darstellt.Da den österreichischen Gerichtenbei der Entscheidung überImmissionsunterlassungsklagen nach§ 364 ABGB eine umfassende Prüfungsbefugniszukommt, die – andersals jene der britischen Gerichte im FallHatton – im Umfang nicht beschränktist, erfüllt auch der Zivilprozess die Erfordernisseeines wirksamen Beschwerdeverfahrensim Sinne des Art13. 51 Der zivil<strong>recht</strong>liche Nachbarschutzstellt daher aus Sicht der EMRKjedenfalls eine gleichwertige Alternativezur Einräumung der Parteistellungim Genehmigungsverfahren dar. Dasbedeutet in der Konsequenz, dass esnach § 359b GewO, ZfV 2001, 1558;Müller, Der Nachbar im Betriebsanlagen<strong>recht</strong>(1998) 130.51) Vgl Wagner, Die Betriebsanlageim zivilen Nachbar<strong>recht</strong> (1997).52) So auch jüngst OGH 8.7.2003, 4Ob 137/03f, wonach eine im vereinfachtenVerfahren gem § 359b GewOohne Parteistellung der Nachbarn genehmigteBetriebsanlage keine behördlichgenehmigte Anlage im Sinne des §364a ABGB darstellt.53) Bydlinkski, Straßenverkehr undWaldschäden, JBl 1990, 489; Gimpl-Hinteregger, Ersatz von Forstschädeninfolge Salzstreuung, ecolex 1991, 77;dies, Grundlagen der Umwelthaftung(1994), 307; Hecht, ÖJZ 1993, 289;aus Sicht des Art 13 dem Mitgliedstaatüberlassen bleibt, ob er den von einemVorhaben betroffenen Dritten im öffentlich-<strong>recht</strong>lichenVerfahren subjektivePartei<strong>recht</strong>e einräumt oder ihnenden Gang zu den ordentlichen Gerichtenoffen hält. 52Als problematisch erweisen sich imHinblick auf Art 13 allerdings jene Vorhaben,gegen deren Emissionen wedereine ausreichende zivil<strong>recht</strong>liche, nocheine öffentlich-<strong>recht</strong>liche Beschwerdemöglichkeitoffen steht. So qualifiziertdie Rsp des OGH (trotz Kritik in derLiteratur 53 ) öffentliche Straßen als behördlichgenehmigte Anlagen im Sinnedes § 364a ABGB. 54 Gegen von solchenStraßen ausgehende Lärm- und Luftschadstoffbelastungenbesteht daherkein Unterlassungsanspruch, obwohlden Nachbarn – soweit nicht die Vorschriftendes UVP-G zur Anwendunggelangen – keine Parteistellung in den„Straßengenehmigungsverfahren“ zukommt.55 Gleiches gilt nach der Judikaturund dem überwiegenden Teil derLehre auch für Immissionen durch denBetrieb von (ohne Durchführung einerUmweltverträglichkeitsprüfung genehmigten)Eisenbahnen und Flugplätze. 56Auch deren Emissionen sind zivil<strong>recht</strong>lichnicht untersagbar, selbst wenn dieNachbarn zur Frage der Lärm- und Geruchsbelästigungim Genehmigungsverfahrenkeine Parteistellung hatten.Dass dem beeinträchtigten Nachbarnein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruchauf Vergütung des eingetretenenSchadens zukommt, stellt uEkeinen adäquaten Ersatz dar. Zum einenkann die Beeinträchtigungen der Gesundheitdurch eine bloß finanzielleEntschädigung im Regelfall nicht aus-Wagner, Betriebsanlage 29, 233.54) OGH 29.4.2002, 7 Ob 66/02k;20.6.2002, 6 Ob 109/02a, krit AnmWagner, RdU 2002, 59; OGH9.11.1995, 6 Ob 608/95.55) Vgl Hecht, ÖJZ 1993, 289.56) SZ 54/158, 63/49; Spielbücher inRummel, ABGB 2 Rz 4 zu § 364a; Koziol,Österreichisches Haftpflicht<strong>recht</strong> 2 ,Band II (1984), 329; Klang, Kommentarzum ABGB II 2 174; Aicher, Grundfragender Staatshaftung (1978) 298; aA Raschauer,Umweltschutz<strong>recht</strong> 36, 200;Wagner, Betriebsanlage 221, 228; Hauer,Nachbarschutz und Eisenbahnbau(2002) 18.Seite 168 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


echt & <strong>gesellschaft</strong>geglichen werden, zum anderen werdenbloß psychische Beeinträchtigungendurch Emissionen von der Rsp als nichtersatzfähig angesehen. 57Das österreichische Umwelt<strong>recht</strong>weist daher uE bei der Genehmigungvon Infrastruktureinrichtungen aus Sichtdes Nachbarschutzes gewisse Rechtsschutzlückenauf. Projekte, die vor ihrerGenehmigung keiner Umweltverträglichkeitsprüfungzu unterziehen sindoder ohne eine solche bereits errichtetwurden, bieten den davon betroffenenAnrainern keinerlei Rechtsbehelfe, umBeeinträchtigungen ihrer Grund<strong>recht</strong>spositionwirksam bekämpfen zu können.Im Hinblick auf die Immissionsschutzgarantiedes Rechts auf Privat- und Familienlebensind die Anforderungen desArt 13 daher nicht vollständig erfüllt.4. ResümeeAuch wenn die EMRK kein eigenesRecht auf Schutz der Umwelt enthält,zeigen die in den letzten Jahren zu Umweltverfahrenergangenen Urteile undEntscheidungen, dass sich die Judikaturdes EGMR langsam einem solchen annähert.Der großzügig interpretierteSchrankenvorbehalt des Art 8 Abs 2 undder den Mitgliedstaaten bei Umweltfrageneingeräumte weite Beurteilungsspielraumführten bislang allerdings dazu,dass der Gerichtshof teilweise auchschwerwiegende Immissionen als konventionskonformwertete. Insoweit lässtsich aus der EMRK zum derzeitigenStand primär die Pflicht der Mitgliedstaatenzur Ergreifung von angemessenenImmissionsschutzmaßnahmen undzur Gewährung effektiver Beschwerdemöglichkeitenan die betroffenen Nachbarnableiten.Univ.-Ass. Dr. Daniel Ennöckl,LL.M., Institut für Staats- undVerwaltungs<strong>recht</strong> der UniversitätWien; daniel.ennoeckl@univie.ac.at;Mag. Bernhard Painz,Jurist bei der e-control GmbH;bernhard.painz@univie.ac.at.Impressum<strong>juridikum</strong>Zeitschrift im RechtsstaatA-1010 Wien, Kärntner Ring 6/MezzaninHerausgeberInnenUniv.-Ass. Dr in . Iris Eisenberger, MSc. (LSE),Dr. Ronald Faber, LL. M. (Yale),ao. Univ.-Prof. Dr. Christian HiebaumMedieninhaber und Verleger:Verlag Österreich GmbH, Kandlgasse 21A-1070 Wien, Tel. 01/610 77,Abonnements: Kl. 136, 315, Fax: 01/610 77/589,e-Mail: order@verlagoesterreich.at,http://www.jusline.atRedaktionsassistenz: Mag. Peter SpevacekPreis: Jahresabonnement Euro 36,– ,StudentInnenabonnement Euro 25,–,Förderabonnement Euro 55,–,exkl. Euro 9,90 Porto- und Versandkosten (Inland)Erscheinungsweise: vierteljährlichRedaktion:Univ.-Prof. Dr. Nikolaus Benke, Mag a . SimoneDieplinger, Univ.-Ass. Dr. Daniel Ennöckl,Univ.-Ass. Dr in . Elisabeth Hödl, Dr. Roland Kier,Mag a . Elke Hasibeder, Dr in . Nora Melzer-Azodanloo, Lukas Oberndorfer, RAA Dr. FlorianOppitz, Mag. Oliver Scheiber, Mag a . MarianneSchulze, ao. Univ.-Prof. Dr. Alexander Somek, RAUniv.-Doz. Dr. Richard Soyer, Mag. ThomasSperlich, Mag. Dominik A. Thompson, Univ.-Prof.Dr. Ewald Wiederin, RA in . Dr in . Maria WindhaberAutorInnen dieser Ausgabe:Christian Bertel, Georg Eisenberger, DanielEnnöckl, Ronald Faber, Karin Gutierrez-Lobos,Elisabeth Hödl, Mira Kadric, Matthias Kettemann,Iris Kugler, Bernhard Painz, Bernhard Perchinig,Oliver Scheiber, Alexia Stuefer, Klaus ZelenyOffenlegungDer Medieninhaber und Verleger ist zu 100 %Eigentümer des <strong>juridikum</strong>.Grundlegende Richtung des <strong>juridikum</strong>:ergibt sich aus den Context-Statuten und aus demInhalt der veröffentlichten Texte.Erscheinungsort: WienLayout und Satz:BuX. Verlagsservice, www.bux.ccContext ist Mitglied der VAZ (Vereinigung alternativerZeitungen und Zeitschriften)............................................57) Vgl Gimpl-Hinteregger, Der Umweltschadenim österreichischen Privat<strong>recht</strong>,ÖJZ 1992, 561 (568).Reaktionen, Zuschriften und Manuskripte bittean die HerausgeberInnen:Univ.-Ass. Dr in . Iris Eisenberger, MSc. (LSE):Institut für Staats- und Verwaltungs<strong>recht</strong>,Universität Wien, Schottenbastei 10-16,1010 Wien, Tel.: 01/4277-35474,Fax:01/4277-35479;iris.eisenberger@univie.ac.atDr. Ronald Faber, LL. M. (Yale):ronald.faber@wu-wien.ac.atao. Univ.-Prof. Dr. Christian Hiebaum:christian.hiebaum@uni-graz.atDas <strong>juridikum</strong> ist ein „peer reviewed journal“.Beiträge werden anonym an externe Gutachterausgesandt, bevor über eine Veröffentlichungentschieden wird.<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 169


echt & <strong>gesellschaft</strong>Eine Frage der Ehre?Die Sprache des RechtsanwaltesGeorg Eisenberger/Elisabeth Hödl..................................1. Dreiste Wortwahl...........................................Kürzlich hat der VfGH die Beschwerdeeines Rechtsanwaltes abgewiesen, 1 dersich in seiner Meinungsäußerungsfreiheit2 verletzt fühlte, weil ihm vorgeworfenwurde, er habe in einer Berufungsschrifteine unsachliche und beleidigendeSchreibweise gewählt. 3 DerRechtsanwalt hat folgende Formulierungbenutzt: „… darüber hinaus auch dasErstgericht jegliche Prinzipien derRechtsstaatlichkeit beiseite lässt und sicherdreistet, entgegen den ausdrücklichenAusführungen in den abgehaltenen Verwaltungsverfahrendas Verhalten des Privatanklägersfür unkorrekt zu empfinden“.Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission(OBDK) – jene Institution,die letztinstanzlich für die Aufsicht<strong>recht</strong>sanwaltlicher Standespflichten verantwortlichist – befand, es gebe keinesachliche Rechtfertigung dafür, die richterlicheUrteilsfindung und die in diesemZusammenhang vorgenommene Beweiswürdigungmit dem Ausdruck “erdreisten”zu apostrophieren. Eine derartigeWortwahl unterstelle dem erkennendenRichter Dreistigkeit, also Frechheit,Unverschämtheit und Hemmungslosigkeit.Das stelle eine unsachliche, aggressiveund beleidigende Schreibweise dar,welche nicht den Schutz zulässiger Kritikim Sinne der Meinungsäußerungsfreiheitgenieße. Diese standeswidrige Äußerungsei dem Erstrichter, dem Verteidiger undden mit der Erledigung der Berufung befasstenRichtern zur Kenntnis gelangt, seidemnach geeignet gewesen, die Ehre unddas Ansehen des Rechtsanwaltsstandeszu beeinträchtigen und stelle sohin eineBerufspflichtenverletzung dar.Natürlich stellt sich die Frage, ob esnicht überschießend ist, wegen eines Begriffeswie „erdreisten“ in einem aufKonfrontation ausgerichteten GerichtsverfahrenStrafsanktionen auszusprechen.Wenn ein Rechtsanwalt, der die Interessenseines Klienten mit aller Deutlichkeitvertritt, Angst vor Strafe habenmuss, kann dies im Ergebnis sehr wohlals Einschränkung der Meinungsfreiheitbetrachtet werden.1) VfGH 25.02.2003, B 1541/02.2) Art 13 StGG, Art 10 Abs 2 EMRK.3) Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission(OBDK) erkannteden Anwalt schuldig, das Disziplinarvergehender Beeinträchtigung vonEhre und Ansehen des Standes sowieeine Berufspflichtenverletzung begangenzu haben. Wie der VfGH schonmehrmals ausgesprochen hat (vgl VfSlg12.796/1991, 14.233/1995, 15.586/1999), genießen unsachliche und erkennbarbeleidigende Äußerungennicht den Schutz der freien Meinungsäußerung,da in einer demokratischenGesellschaft das dringende soziale Bedürfnisbesteht, das Ansehen derRechtsprechung zu wahren.4) Wie der Anwalt mit Hilfe desFremdwörterbuches von Mackensen/Holander (und nicht etwa Standardwerkender Deutschen Sprache, wiedem Duden, dem Deutschen Universalwörterbuch,dem Sachwörterbuch,dem Brockhaus/Wahring oder demDeutschen Wörterbuch) zu belegenversucht.2. Wie soll ich wissen, dass es dasist, was du meinst?In diesem Sinne beteuert der Beschwerdeführer,er habe entgegen der Auffassungder OBDK dem erkennenden Gerichtnicht Frechheit, Unverschämtheitoder Hemmungslosigkeit unterstellenwollen. Er sei viel mehr der Ansicht gewesen,mit dem Begriff erdreisten einewertneutrale Formulierung gewählt zuhaben. Sich erdreisten könne auch sichherausnehmen bedeuten, sich herausnehmensei eine andere Bezeichnung fürdas Wort anmaßen und dieses wiederumbedeute in Anspruch nehmen bzw sicherlauben. 4Bei dieser Fülle möglicher Bedeutungenfragt sich, wie der Rezipient einesTextes, in dem das Wort „erdreisten“verwendet wird, wissen kann, welcheBedeutung der Verfasser seinemText unterstellt bzw unterstellen will.Zu klären ist vorweg die Frage, wieSchriftsätze inhaltlich zu verfassen undzu interpretieren sind. Für die formalenAspekte eines Schriftsatzes bestehenhinreichende Regeln, deren Verletzungentsprechend sanktioniert wird. Für diesprachliche Umsetzung der inhaltlichenBelange <strong>recht</strong>sanwaltlicher Schriftsätzeexistieren derartige Regeln nicht. Esmuss daher auf allgemeine sprachlicheInterpretationsregeln zurückgegriffenwerden. Aus diesem Grund kann einRechtsanwalt jedenfalls nicht ohne weitereserwarten, dass der Rezipient seinesTextes jene Bedeutung des Wortes annimmt,die er seinen Zeilen (angeblich)unterstellt hat.Davidson beschreibt diese Problematikanhand eines Zwiegesprächs zwischenAlice im Wunderland und HumptyDumpty. 5 Alice sagt: 'Wie soll ich wissen,dass es das ist, was du meinst?' UndHumpty Dumpty erwidert: 'Du kannst esnicht wissen.' Wenn Humpty Dumptyweiß, dass Alice es nicht wissen kann,dann kann er es nach Davidson auch nichtbeabsichtigen, denn man kann nicht beabsichtigen,was man für unmöglich hält.Es kann also sein, dass jemand auf einebestimmte Weise verstanden werdenwill, ohne angemessene Gründe für dieAnnahme zu haben, dass er so verstandenwird. Umgekehrt – für den Rezipientender Botschaft – stellt sich die Frage, wasdieser jemand eigentlich meint. Niemandkann nach Davidson etwas prinzipiellUnverständliches meinen. Er muss demHörer (Leser) angemessene Mittel zurrichtigen Interpretation liefern.In Texten wie der vorliegenden Berufungsschriftmuss daher angenommenwerden, dass Begriffe auf eine Art verwendetund verstanden werden, die ihrVerständnis ohne allzu großen Aufwand 6ermöglicht. Vor dem Hintergrund des5) Siehe Glüer, Donald Davidson zurEinführung (1993) 165.6) Wie etwa dem aufwendigenNachschlagen in Wörterbüchern sowieder Berücksichtigung der rätselhaftenLogik des Beschwerdeführers, der erklärt,dass es einer allgemeinen Lebenserfahrungentspräche, dass “jedereinen negativen Begriff so verstehe,wie er ihn verstehen wolle, somit einWort, welchem im Fremdwörterbuchein neutraler und objektiver Sinn gegebenwerde, sowohl positiv als auch negativverstanden werden könne. Logischin diesem Zusammenhang sei allerdingsnur ein neutraler Begriff, wie“herausnehmen”, “in Anspruch nehmen”.Er betonte, dass jede negativeWortwahl, die dem erkennenden Richter“Dreistigkeit”, sprich “Frechheit undUnverschämtheit bzw Hemmungslosigkeit”vorwerfe, eine einseitige subjektiveNegativbeschreibung des Wortessei, welche nur von denjenigen Personenso aufgefasst werden könne, welcheder gesamten Berufung einen negativenInhalt unterstellen wollten.Seite 170 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


echt & <strong>gesellschaft</strong>Alltagswissens besteht fraglos Konsensdarüber, dass der Ausdruck erdreisten indem vom Rechtsanwalt gewählten Zusammenhangnegativ konnotiert ist. Diesmuss dem Beschwerdeführer als jemandem,der berufsbedingt Sprache zurDurchsetzung der Interessen seines Klienteneinsetzt, bewusst gewesen sein.Um wertneutral zu argumentieren, wärenweitere Hinweise notwendig gewesen.Sämtliche Versuche, die sprachlicheSpitze stumpf zu machen, scheitern daher.3. Raubrittertum führt nichtzwingend zum Recht.........................................7) Berufsregeln der Rechtsanwälteder EU und des EWR angenommen vonden Delegationen der 18 Mitgliedstaatender EU und des EWR, die die Anwaltschaftder Europäischen Gemeinschaftvertreten.8) Auch hier hatte der VfGH in derFolge zu entscheiden, ob der Beschwerdeführerin seiner Meinungsäußerungsfreiheitverletzt wurde. Vgl VfSlg16.436/2002.9) Vgl VfSlg 16.436/2002.10) Dies im Zusammenhang mit derBehauptung des Beschwerdeführers, inpolitischen Diskussionen sei ein derartigerStil und die Wortwohl durchausüblich.11) Diese Vernachlässigung der Konkretisierung<strong>recht</strong>sanwaltlichenSprachgebrauchs, die sich leider auchin der juristischen Ausbildung zeigt,die nur wenig Anleitung und Hilfestellungbei der Entwicklung und Schärfungdes Sprach-Bewusstseins der Juristengibt, macht auch vor der Lehrenicht halt. Sucht man nach fachspezifischenPublikationen zur Frage des<strong>recht</strong>sanwaltlichen Sprachgebrauchs,Was aber verbirgt sich hinter diesemKampf um die Interpretation eines Begriffes?Auf welche Rechtsgrundlagenund Überlegungen stützt sich die stillschweigendeÜbereinkunft, mittels derersich <strong>recht</strong>sanwaltlicher Sprachgebrauchua definiert?Rechtsanwälte stehen untereinanderim Wettbewerb und sind aufgerufen,Angriffs- und Verteidigungs<strong>recht</strong>e geschicktzu gebrauchen, um ihrer Parteizum Recht zu verhelfen. Für dieses Vorgehengibt es jedoch bestimmte gelebteRegeln, die sich im Ergebnis im Standes<strong>recht</strong>der Rechtsanwälte niederschlagen.Gleichzeitig definiert sich durchdiese Regeln das Selbstverständnis desBerufstandes. Der Rechtsanwalt wirddamit zum Bestandteil eines Kollektivs,dem er zwangsläufig folgen muss. Dieseskollektive Bewusstsein reicht sogarüber die innerstaatlichen Grenzen hinausund schlägt sich auch im Gemeinschafts<strong>recht</strong>nieder. Am 28. November1998 wurden in Lyon die Berufsregelnder Rechtsanwälte der EU und des EWRfestgelegt. 7 Dem Rechtsanwalt kommein einer auf die Achtung des Rechtes gegründetenGesellschaft eine “besonderswichtige Funktion” zu, da er im Rechtsstaatsowohl für die Justiz als auch fürden Rechtsuchenden unentbehrlich ist.Für die Gesellschaft ist ein freier, unabhängigerund durch sich selbst auferlegteRegeln integrer Berufsstand ein wesentlichesMittel zur Verteidigung derRechte des einzelnen gegenüber demStaat und gegenüber Dritten. Jeder einzelneAnwalt ist durch sein Handeln,sein Unterlassen und letztlich auchdurch seine Wortwahl der Allgemeinheitgegenüber für die Auf<strong>recht</strong>erhaltungdieses so selbstverständlich gewordenenTeiles unseres Rechtssystemsmitverantwortlich. In diesem Sinne istauch eine weitere Entscheidung derOBDK 8 zu verstehen, mit der einRechtsanwalt ebenfalls der Standespflichtenverletzungwegen unsachlicher,ungehöriger Schreibweise verurteiltwurde. Der Rechtsanwalt hatte ineiner Klage geschrieben: „Die beklagtePartei, die ihren Dienstnehmer kurz vorAbschluss des 15. Dienstjahres kündigte,verstand es in bester Raubrittermanier,diesen in den letzten Jahren seinerTätigkeit um seine ge<strong>recht</strong>fertigten Ansprüchezu verkürzen.“ 9 Der Versuchdes Rechtsanwaltes, die Formulierung„in bester Raubrittermanier“ mit demArgument zu entschärfen, es habe sichum eine „bloß humoristische Behauptung“gehandelt, blieb erfolglos. LautOBDK komme der Ausübung desRechtsanwaltsberufes eine besondereRolle bei der Wahrung des Vertrauensin die Rechtspflege zu. In diesem Zusammenhangsei die im gerichtlichenVerfahren verwendete schriftliche Formulierunginkriminierend. 10 Tatsächlichgeht es hier aber nicht nur um dieWahrung des Vertrauens des einzelnenRechtssuchenden in die Rechtspflege,sondern um die Integrität des Anwaltsstandesund damit die Qualität desRechtsschutzes im Allgemeinen.sind die Quellen rar.12) Hier ist der gesamte <strong>recht</strong>sanwaltlicheSchriftverkehr wie Redaktion, Layoutvon Verträgen, Fachveröffentlichungen,Informationsbriefe, Richtlinienund Profildarstellungenangesprochen.13) Es scheint in der Praxis ein ungeschriebenesGesetz zu sein, dass sichKlienten und Anwälte mit ähnlichen moralischenWertvorstellungen „finden“,also dass sich letztlich jeder Klient beiseiner Anwaltswahl bewusst oder unbewusstan der Frage orientiert, ob er sich4. Jedes Staatsgefüge hat denAnwaltsstand, den esverdientÜber den spezifischen Einsatz <strong>recht</strong>sanwaltlichenSprachgebrauchs ist in denBerufsregeln nichts verankert. 11 Hierfindet sich ein merkwürdiges Paradoxon.Sprache als Teil einer Gesamtkommunikation,als Teil des Außenauftrittsspiegelt vorweg das Selbstverständniseiner Kanzlei wieder, 12 dh die Sprachedes Rechtsanwaltes repräsentiert seineKanzlei nach Außen und ist Teil seinerCorporate Identity. Getreu der Metapher,dass letztlich jeder Klient den Anwaltbekommt, den er „verdient“, 13 istsohin Sprache vor allem Identifikationshilfeund Bindungsfaktor im Verhältniszwischen Anwalt und Klient. Zugleichhaben aber die zitierten Erkenntnisseverdeutlicht, dass <strong>recht</strong>sanwaltlicherSprachgebrauch über die individuelleSelbstdefinition einer Kanzlei und überdie Identifikation mit einer bestimmtenKlientel hinaus pars pro toto steht. Werals Rechtsanwalt in seinen Schriftsätzeneine Sprache wählt, die geeignet ist, Ehreund Ansehen des Standes zu beeinträchtigen,wird unabhängig davon, obsein Klient die gewählten Formulierungenbegrüßt oder gar in dieser Form geforderthat, von der Gemeinschaft sanktioniert.Dahinter steht die Befürchtung,dass aggressive Vortragsweise nicht nurder Beilegung eines bestimmten Rechtsstreitsnachhaltig entgegen wirkenkönnte, sondern darüber hinaus die Beziehungendes gesamten Standes zu Justizund Behörden und somit das bestehendeGefüge unseres Rechtsstaates negativbeeinträchtigen könnte. 14 Wennder Anwalt (unter Außerachtlassung derihm vom System zugeteilten Rolle alszwar parteiischer, aber nicht persönlichin die jeweilige Causa involvierterRechtsvertreter) durch aggressive Wort-mit der Persönlichkeit des Anwalts identifizierenkann.14) Das Verhältnis von Anwalt und Klientensowie die Frage anwaltlichen Gewissensbei der Durchsetzung vonRechtspositionen ist von Somek thematisiertworden. Vgl Somek, ZwischenAnstandsblabla und Rechts<strong>kritik</strong>. Überlegungenzur Beschäftigung mit derEthik der juristischen Berufe, ViennaWorking Papers in Legal Theory. PoliticalPhilosophy and Applied Ethics, No15 (1999); http://www.juridicum.at/forschung/wp15.pdf.<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 171


echt & <strong>gesellschaft</strong>wahl und persönliche Angriffe den Eindruckaufkommen lässt, er sei eins mitseinem Klienten, wird er selbst zum Teilder Beweiswürdigung des Gerichtesund damit zur Zielscheibe richterlicherWertung und Kritik. Die für die ungehinderteAusübung des Anwaltsberufesund damit letztlich für die Auf<strong>recht</strong>erhaltungdes Rechtssystems, wie es unsereVerfassung versteht, erforderliche exakteAbgrenzung zwischen Vertreterund Vertretenem verschwimmt und öffneteiner undifferenzierten Herabsetzungdes Anwaltsstandes, aber vor allemauch der Verfolgung einzelner AnwälteTür und Tor. 15Auf den ersten Blick mögen zwar diezitierten Entscheidungen des VfGH,den Beschwerdeführern nicht Recht zugeben, als Einschränkung persönlicheranwaltlicher Identität empfunden werden.Die analytische Auseinandersetzungführt aber zu einem gegenteiligenErgebnis. Durch die Bestätigung derEntscheidungen der OBDK gibt der Vf-GH dem Kollektiv der Anwälte Rechtund bekräftigt damit letztlich deren Rolleals gleichwertige Partner im Justizgefüge.5. AngemessenerSprachgebrauch stattaggressiver SprachelementeRechtsanwälte verkaufen neben ihrerjuristischen Kompetenz auch das Prestige,über das sie persönlich und der Anwaltsstandals Ganzes verfügen. Klientenwerden ihrem Rechtsanwalt nurdann vertrauen, wenn er bei der Ausübungseiner Tätigkeit die Achtung derGerichte und Behörden genießt und normativenErwartungen ge<strong>recht</strong> wird. Zudiesen normativen Erwartungen gehörenReputation und die damit im Zusammenhangstehenden Codes, durch diesich das anwaltliche Selbstverständnismanifestiert. Dieses wird in entscheidendemMaße über allgemeine Verhaltensregelngegenüber Klienten, der Justizund den Behörden statuiert, zu derenGrundvoraussetzung ein angemessenerSprachgebrauch gehört. Die ungestrafteVerwendung aggressiver Sprachelementedurch einzelne Anwälte kannletztlich zu einer Gefährdung der Stellungdes Anwaltsstandes im Gesamtgefügeder Rechtsordnung führen. 16 DieseErkenntnis macht deutlich, dass derschriftliche Teil anwaltlicher Rechtspraxisnicht allein die Produktion mehroder weniger elegant formulierterSchriftsätze beinhaltet, sondern darüberhinaus auch eine ernstzunehmende Auseinandersetzungmit zwischenmenschlichangemessener Wortwahl voraussetzt.17 Eine disziplinar<strong>recht</strong>lich strengeVerfolgung unsachlicher Herabsetzunganderer Personen oder gar von Organender Rechtspflege in Schriftstücken istsomit insgesamt im Interesse der gesamtenRechtsordnung, aber auch im Interessedes Anwaltsstandes angebracht.Natürlich – dies sei abschließend betont– entbindet dieses Ergebnis weder dieStandesbehörden davon, Bestrafungennur bei tatsächlich überschießenderWortwahl auszusprechen, noch den Anwaltsstanddavon, durch Auslotung derGrenzen zulässiger Wortwahl dieDurchsetzung der Interessen des Einzelnenbestmöglich zu gewährleisten.Dr. Georg Eisenberger istPartner, Dr in . Elisabeth Hödl istwissenschaftliche Mitarbeiterin inder RechtsanwaltskanzleiEisenberger&Herzog in Graz;eisenberger@court.at............................................15) Als Beispiel für die Folgen des fortschreitendenVerschwimmens der Unterscheidungvon Vertretern und Vertretenenseien die Ermittlungen gegendie beiden Libro/Rettberg-Anwälte MichaelLöb und Gerhard Eckert mit anschließenderVerhängung der UntersuchungshaftAnfang 2004 genannt(während gegen den eigentlichenHauptverdächtigen Andre Rettbergnoch nicht einmal ein Haftbefehl vorlag,wurden die zwei Anwälte wegen desVerdachtes der Beteiligung an Untreueund Krida mit dem konkreten Vorwurf,sie seien dem Hauptverdächtigen Rettbergbehilflich gewesen, Millionenbeträgeins Ausland zu verschieben, verhaftet).Ohne hier eine Wertung vornehmenzu wollen, darf dochfestgehalten werden, dass unseres Erachtensdie Kriminalisierung der Tätigkeitdieser Anwälte zu selbstverständlichund zu schnell erfolgte und daherinsgesamt dazu geeignet ist, dem österreichischenRechtsstaat Schaden zuzufügen.16) Auch Erkenntnisse der modernenSpieltheorie geben Anlass zur Vermutung,dass die Wahl aggressiver Kommunikationsmethodendurch Anwältenegative Auswirkungen hat. Bekanntlichbeschäftigt sich die Spieltheorie mitstrategischen Entscheidungssituationen,das sind Situationen, deren Ergebnisvom Verhalten mehrerer Entscheidungsträgerabhängig ist, wobei sichdie Akteure dieser Interdependenz bewusstsind. In der Spieltheorie wird nahegelegt,dass man im Umgang mit anderenam besten fährt, wenn der ersteZug, den man anderen gegenübermacht, freundlich und kooperativ ist.Dieser Grundsatz hat auch für die Kommunikationzwischen Anwälten und derJustiz (sowie anderen Behörden) Gültigkeit.17) Vgl Somek, Anstandsblabla 18.Seite 172 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


echt & <strong>gesellschaft</strong>Land ohne Gott?1. EinleitungDer Supreme Court unddie Pledge of AllegianceMatthias C. Kettemann.............................................................................1) No 02-1624.2) Einen umfassenden, wenn auchetwas unkritischen Einblick in die Entwicklungder Pledge of Allegiance ermöglichtBaer, The Pledge of Allegiance,A Centennial History, 1892 -1992.3) Pledge of Allegiance idF Act ofSelbst Urteile, die nicht gefällt werden,können von Bedeutung sein. Das zeigteder United States Supreme Court in seiner8-0 Entscheidung Elk Grove UnifiedSchool District v Newdow 1 vom 14. Juni2004. Vor der Möglichkeit stehend, dieDemarkationslinie von Staat und Kircheneu zu ziehen und mit der Formulierung„one nation under God“ den Gottesbezugwegen Verfassungswidrigkeit ausder Pledge of Allegiance, dem traditionellenamerikanischen Fahneneid, zustreichen, entzog er sich dieser Aufgabeund rekurrierte auf die verfahrens<strong>recht</strong>licheFrage der fehlenden Aktivlegitimation(lack of standing) des Klägers.Als Folge des Systems der dissentingopinions am Supreme Court ist eineFortführung der Diskussion jedoch garantiert.Schließlich schrieben die dreikonservativeren der neun Höchstrichter(Rehnquist, Day O’Connor, Thomas) inihrem abweichenden Urteil fest, wofürsie keine Mehrheit finden konnten. ImErgebnis stimmten sie zwar überein,dass es dem Kläger an standing mangelte,doch erweist sich ihr Begründungswegals differenzierter ausgestaltet alsjener der liberalen Mehrheit. Währendsich der als liberaler eingeschätzte Flügeldes Gerichts (Stevens, Kennedy, Souter,Ginsburg, Breyer) in der majorityopinion auf die Analyse formaler Kriterienbeschränkte, stellten die konservativenRichter fest, dass NewdowsKlage selbst im hypothetischen Fall ihrerZulässigkeit nicht begründet gewesenund „under God“ ausdrücklich verfassungsgemäßsei. Der neunte Höchstrichter,Scalia, hatte sich wegen Befangenheitselbst aus den Beratungenzurückgezogen.Da sich die besondere Relevanz dieses(nicht) gefällten Urteils – sowie derin seinem Rahmen gestellten Fragen –nur vor dem Hintergrund der Entwicklungsgeschichtedes Fahneneides erkennenlässt und erst das Wissen über diespeziellen sozio-religiösen Rahmenbedingungendes Urteils die Dimensionender aktuellen Diskussion zu begreifenerlaubt, werden vor einem Überblicküber die Klagsgeschichte einige Aspektedes Spannungsfeldes von Säkularitätund öffentlichem Glauben in denVereinigten Staaten kritisch beleuchtet.2. Vom Symbol zum StreitobjektBereits ein kurzer Abriss der Entwicklungsgeschichteder Pledge of Allegianceerhellt die Gründe für die Ideologiebehaftetheitder Diskussion um seineInterpretation. 2 Der Fahneneid in seineraktuellen und inkriminierten Fassunglautet: „I pledge allegiance to the flag ofthe United States of America and to theRepublic for which it stands, one nationunder God, indivisible, with liberty andjustice for all.” 3 Die heutige Formulierungentspricht nicht der Urfassung, dievom baptistischen Pastor Francis BellamyEnde des 19. Jahrhunderts noch ohnedie Wortfolge „under God“ formuliertwurde und deren allmorgendliche Verwendungim Schulalltag bald zur nationalenGewohnheit wurde. Einen Platz inJune 14, 1954, ch. 297, § 7, 68 Stat.249 (“Act of 1954”), Hervorhebungdurch den Verfasser.4) Minersville School District v Gobitis,310 U.S. 586 (140).5) In seiner Majority Opinion schriebJustice Frankfurter, dass „national unityis the basis of national security. …True enough, the flag is a symbol, butwe live by symbols. To salute it is thereforea constitutionally allowable part ofa school program, which may be mademandatory. A claim for exceptional immunitymay be refused simply becausegranting it might weaken the effect ofthe exercise.“der <strong>recht</strong>spolitischen Debatte um dieTrennung zwischen Staat und Religionerhielt der Fahneneid erst 1940 durch einUrteil des Supreme Court im Fall MinersvilleSchool District v Gobitis 4 . Dieserbeschied, dass Schülerinnen undSchüler, die den allmorgendlichen Fahneneidverweigern, aus öffentlichenSchulen ausgeschlossen werden können,ohne dass dies eine Verletzung der Religionsfreiheitdarstelle. 5 1942, mitten imZweiten Weltkrieg, wurde die Pledge alsInstrument der patriotischen Besinnungallen öffentlichen Schulen als verpflichtenderBestandteil des Beginns jedes Unterrichtstagesvorgeschrieben. 6Ein Jahr später revidierte der SupremeCourt seine Entscheidung von 1940 undurteilte in einer – gemessen an der kriegsbedingtenStimmungslage im Land –durchaus bemerkenswerten Entscheidungim Fall West Virginia Board of Educationv Barnette 7 , dass die Nichtteilnahmeam Fahneneid eine persönlicheEntscheidung sei und nicht denGrund für einen Schulausschluss darstellenkönne. Gobitis und Barnette, die ersten„Flag Salute Cases“, sind, obwohl siebeide auf Beschwerden von Angehörigender Glaubensgemeinschaft der ZeugenJehovas zurückgingen, primär vordem Hintergrund der Einschränkung derFreiheit der Meinungsäußerung in Zeiteneines nationalen Notstandes zu verstehenund stellen daher keine Präzedenzfälledar, an denen sich der Supreme Court inseiner Entscheidung in Elk Grove UnifiedSchool District v Newdow hätte orientierenkönnen. Dies insbesondere deshalbnicht, weil die Pledge erst ein Jahrzehntspäter, im Juni 1954, fast ein Jahrzehntnach Ende des „heißen“ und zu Beginndes Kalten Krieges, um die streitgegenständlicheFormulierung „under God“ erweitertwurde.Diese letzte und sehr substanzielleÄnderung wurde auf Drängen PräsidentDwight W. Eisenhowers vom Kongressdurchgeführt. 8 Eisenhowers Ziel war es,„[to reaffirm] the transcendence of religiousfaith in America's heritage and fu-6) Pledge of Allegiance to the UnitedStates flag, Act of June 22, 1942, ch.435, § 7, 56 Stat. 380.2.7) West Virginia Board of Educationv Barnette, 319, U.S. 624 (1943).8) Act of June 14, 1954, ch. 297, § 7,68 Stat. 249 (“Act of 1954”).<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 173


echt & <strong>gesellschaft</strong>ture … [to] constantly strengthen thosespiritual weapons which forever will beour country's most powerful resource inpeace and war.“ 9 In einer Radioansprache,die Eisenhower zum Anlassder Beschlussfassung im Kongresshielt, erklärte er, dass die Hinzufügungdieser Worte notwendig sei, damit„from this day forward … school childrenwill daily proclaim … the dedicationof our Nation and our people to theAlmighty.“Schon damals wurde im Rahmen derDebatte in Kongress und Senat die Fragereleviert, ob der Gottesbezug unter Umständenin Konflikt mit der EstablishmentClause des First Amendment stehe,die mit den Worten „Congress shallmake no law respecting an establishmentof religion, or prohibiting the freeexercise thereof; […]“ das Verbot jederbehördlich verordneten Religionsausübungvorsieht. 10 Eine Verletzung derClause wurde in einer gemeinsamen,wenn auch normativ wirkungslosen Erklärungdes Kongresses verneint, welchedie Verfassungskonformität von„under God“ erklärte, zumal „[it is] notan act establishing a religion or one interferingwith the ‚free exercise’ of religion“11 . Allein, die religiöse Dimensiondieser Ergänzung sollte nicht übersehenwerden: Eisenhower intendierte einekonkrete widmungshafte Unterwerfungder Vereinigten Staaten unter eine religiöseAutorität, die vor dem Hintergrunddes Kalten Krieges als bewusstepolitische Akzentuierung des Gegensatzeszwischen einem als gottesfürchtigwahrgenommenen Amerika und derals atheistisch kritisierten kommunistischenSowjetunion zu verstehen war..........................................9) http://www.usflag.org/pledgeofallegiance.html(22.3.2004).10) Die Establishment Clause ist einTeil des im Dezember 1791 im Rahmender sogenannten „Bill of Rights“ angenommenenFirst Amendments zur Constitution.11) H.R. Rep. No. 1693, 83d Cong.,2d Sess. 3 (1954).12) California Education Code § 52720iVm Elk Grove Unified School DistrictPolicy AR 6115.13) Newdow, Respondents Brief onthe Merits, http://www.abanet.org/ publiced/preview/briefs/pdfs_03/1624Resp.pdf (23.3.2004) 1.14) Elk Grove Unified School Districtv Newdow, CA 9, 292 F.3d 597.15) Elk Grove Unified School Districtv Newdow, CA 9, 292 F.3d 597.3. Patriotismus aufdem PrüfstandZurück in die Gegenwart: In Übereinstimmungmit geltendem kalifornischemund bezirksbehördlichem Schul<strong>recht</strong>,das eine „patriotic exercise at thebeginning of every school day“ 12 vorsieht,wird der Fahneneid jeden Morgentausenden Schülerinnen und Schülerndes kalifornischen Elk Grove UnifiedSchool District abgenommen. Eine vonihnen ist die Tochter von Michael A.Newdow. Dieser, ein bekennender Atheist,erachtete sich durch die täglicheRezitation des Fahneneides in seinenelterlichen Rechten verletzt und klagtedie Schulbehörden. „One nation underGod“ müsse als „one nation under oneGod“ gelesen werden. Und „for thosewho do not share the majority’s religiousbelief that there exists a God – and whowish to instill non-Monotheistic valuesin their children – [„under God“] intrudesinto their rights of parenthood.“ 13Newdow wollte erreichen, dass „whenshe [seine Tochter] goes into the publicschools she’s not going to be told everymorning to be asked to stand up, put herhand over her heart, and say your fatheris wrong.”Die erste Instanz gab Newdow in derSache Recht. Newdows Klagsgegner,der Elk Grove Unified School District,dessen Superintendent sowie die Regierungder Vereinigten Staaten als Streithelferberiefen. Doch auch vor demhöchsten staatlichen Berufungsgericht,dem für Kalifornien zuständige CircuitCourt of Appeals for the Ninth Circuit,mussten sie eine 2-1 Niederlage hinnehmen.14Das Urteil des Circuit Court of Appealssteckte bereits den argumentativenRahmen für die Verhandlung vor demSupreme Court ab. Richter Alfred T.Goodwin schrieb in seiner opinion: „Inthe context of the Pledge, the statementthat the United States is a nation ‘underGod’ is an endorsement of religion. It isa profession of a religious belief, namely,a belief in monotheism.“ 15 Es sei weder,wie von Newdows Klagsgegnernvorgebracht, ein „mere acknowledgementthat many Americans believe in adeity“, noch eine Beschreibung der „undeniablehistorical significance of religionin the founding of the Republic“.16) „1) Whether the policy of PetitionerElk Grove Unified School Districtthat requires teachers to lead willingstudents in reciting the Pledge of Allegiance,which includes the words ‘underGod,’ violates the establishment clauseof the First Amendment to the UnitedStates Constitution. 2) Whether a noncustodialparent of a minor child hasstanding in federal court to challengeVielmehr verfüge ‚under God’ im Kontextder Pledge über eine normative Wirkung:Die Pledge zu rezitieren wäre einBekenntnis zu den „values for which theflag stands: unity, indivisibility, liberty,justice, and – since 1954 – monotheism.“Daher sei „one nation ‚underGod’“ gleichbedeutend mit Formulierungenwie „a nation ‚under Jesus,’ a nation‚under Vishnu,’ a nation ‚underZeus,’ or a nation ‘under no god,’“ ImRahmen dieser Bezeugungen gebe eskeine religiöse Neutralität.Der Elk Grove Unified School Districtberief erneut und wandte sich an dasamerikanische Höchstgericht, das beschloss,den Fall zur Verhandlung zuzulassen.Der Supreme Court machte jedochvon seinem Recht Gebrauch, dieVorlagefragen dergestalt umzuformulieren,dass sich die – seines Erachtens– tatsächlich entscheidenden Rechtsfragenherauskristallisierten. Während dievom Elk Grove Unified School Districtursprünglich vorgelegten Fragen 16 primärdie Verfassungskonformität derPledge betrafen, stellte der SupremeCourt die Frage der Aktivlegitimation inder Vordergrund: „1. Whether respondent[Michael A. Newdow] has standingto challenge as unconstitutional a publicschool district policy that requires teachersto lead willing students in recitingthe Pledge of Allegiance. 2. Whether apublic school district policy that requiresteachers to lead willing studentsin reciting the Pledge of Allegiance,which includes the words „under God,“violates the Establishment Clause of theFirst Amendment, as applicable throughthe Fourteenth Amendment.“ 17Bereits die Umformulierung der Vorlagefragenwar ein erster Warnschussfür jene, die eine Entscheidung der Frageder Verfassungsmäßigkeit von „underGod“ durch den Supreme Court erhofften;konnte doch bei Verneinung derersten Frage die zweite unbeantwortetbleiben. Da gleichwohl die zweite Vorlagefrage<strong>recht</strong>sdogmatisch und <strong>recht</strong>s-the policies of a public school districtthat require teachers to lead willing studentsin reciting the Pledge that includesthe words ‘under God,’ when thenon-custodial parent does not have legalauthority to direct either the educationor the religious education of thechild.“17) http://www.supremecourtus.gov/qp/02-01624qp.pdf (27.3.2004).Seite 174 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


echt & <strong>gesellschaft</strong>philosophisch von ungleich höherem Interesseist, wird sie vor dem Hintergrundder Judikatur des Supreme Court zurThematik Staat und Religion im Folgendengenauer beleuchtet werden.4. Religion vor den RichternIn Bezug auf die Frage der Verfassungsmäßigkeitvon „under God“ hatte (bzwhätte) der Supreme Court im Wesentlichenzu klären (gehabt), ob die täglicheBezugnahme auf Gott im Rahmen desFahneneides die Establishment Clauseverletzt. Fand wirklich eine behördliche„monotheistische Indoktrinierung“ statt,wie es Newdow während der mündlichenVerhandlung 18 formulierte? Zeugte „underGod“ eher von einer bestimmten„political philosophy“, wie die Vertreterdes Elk Grove Unified School Districtargumentierten? Oder musste diePledge, was Solicitor General TheodoreB. Olson als Vertreter der Regierung vorbrachte,als „civic invocation“ gesehenund im Kontext seiner „ability to invokecertain principles“ verstanden werden,was ihre Qualifizierung als „religious invocation“19 ausschließen würde?Eine Leitlinie für das Verhältnis von„under God“ zur Establishment Clausestellt die grundsätzliche Judikatur desSupreme Court zum Spannungsfeld vonSäkularität und staatlicher Religion dar.Insbesondere die Urteile der letztenJahrzehnte waren von einem bewusstenund programmatischen Bekenntnis zurTrennung von Staat und Gott geprägtUnter Zugrundelegung eines strengenSäkularitätsmaßstabs entwickelten dieHöchstrichter eine konsistente Judikaturliniezur Trennung von Religion und(staatlichen) Schulen. 20 In Engel vVitale 21 verbot der Supreme Court 1962schulbehördlich vorgeschriebene Gebetszeremonien.Er wies dabei das Argumentzurück, dass „non-denominationalprayers“, die ohne Bezeichnungdes angerufenen Gottes als christlichenauskommen, unter der EstablishmentClause erlaubt seien, und weigerte sich,angesichts des informellen sozialenDrucks durch Mitschüler und Lehrer die...........................................18) Zitate der mündlichen Verhandlungaus: Excerpts From Arguments onthe Meaning of ‚Under God’ in thePledge of Allegiance, http://www.nytimes.com/2004/03/25/national25STEX.html (25.3.2004).19) Excerpts, http://www.nytimes.com/2004/03/25/national25STEX.html (25.3.2004).20) Erhellend zum Hintergrund desWirkungszusammenhangs von Religion,Staat und Freiheit: Haynes, Historyof Religious Liberty in America (1991).Freiwilligkeit der Teilnahme als Rechtfertigungsgrundfür das Bestehen derZeremonien zu sehen. In Lee v Weisman22 erweiterte der Supreme Court1992 das der Establishment Clause entfließendeVerbot auf private, nichtschuldbehördlich vorgesehene Gebete,die im Rahmen von commencementceremonies 23 stattfinden. Der letzte Fallim Beziehungsfeld von Schule und Gebetwar Santa Fe Independent SchoolDistrict v Doe, 24 wo das Höchstgerichtvon Schülervertretern geleitete Gebetszeremonien,die auf schulischen Sportplätzenvor Football-Spielen abgehaltenwerden, wegen ihres offiziösen Charaktersund der de facto bestehenden teilnahmebezogenenPeer Pressure für verfassungswidrigerklärte.Wie schon im Kontext der Flag SaluteCases angedeutet, konnte die erwähnteJudikatur nicht <strong>kritik</strong>los im Sinne desVorbringens Newdows fruchtbar gemachtwerden. Zwar zeigen Engel, Leeund Santa Fe Independent School District,dass der Supreme Court besondersdie Verfassungsmäßigkeit religiöserVerhaltenselemente in Schulen anhandrigider Voraussetzungen prüft, doch unterschiedsich Elk Grove Unified SchoolDistrict v Newdow in einem entscheidendenPunkt von den erwähnten Präzedenzfällen.Während in der bisherigenJudikatur die Religionsbezogenheit derstrittigen Tätigkeiten immer außer Streitgestellt wurde und nur die Zulässigkeitihrer Vornahme Verfahrensgegenstandwar, musste im Fall Newdow die <strong>recht</strong>lichePrüfung bereits eine Stufe zuvoransetzen. Vertreter der Schulbehördenund der Regierung versuchten zu zeigen,dass die Formulierung „under God“nicht ausreiche, um den Fahneneid alsreligiöse Aussage zu qualifizieren; dieseEinordnung indes ist Voraussetzung füreine Prüfung am Maßstab der EstablishmentClause. Nur schulbehördlichverordnetes religiöses Verhalten musssich an der Establishment Clause messen.Lag der Pledge keine schlechthinreligiöse Aussage zugrunde, konnte21) 370 U.S. 421 (1962).22) 505 U.S. 577 (1992).23) Das sind traditionelle Feiern zuSchulbeginn.24) 530 U.S. 290 (2000).25) Zitiert auf http://www.nyti-mes.com/aponline/national/AP-Newdow nicht auf die EstablishmentClause rekurrieren.5. Dimensionen der DebatteVor der Analyse der Vorbringen der Parteienplausibilisiert ein Blick in die amerikanischeÖffentlichkeit die sozialeProblematik des Falles. Medien undMeinungsmacher waren sich dessen bewusst,dass sich der Supreme Court miteiner Grundsatzentscheidung konfrontiertsah, die für das Verhältnis von Staatund Religion entscheidend sein würde.Nach einer Umfrage, 25 die am Tag dermündlichen Verhandlung vor dem SupremeCourt veröffentlicht wurde, befürwortetenfast neun von zehn Amerikanerneine Pledge mit Gottesbezug. Währendsich nur zwölf Prozent für dieEntfernung von „under God“ aussprachen,war die mit einem Prozent im Vergleichzu anderen Umfragen auffallendgeringe Anzahl der Unentschlossenenals Signal der Emotionalität und Aktualitätder Thematik auszudeuten. Ein detachierterZugang unter Zugrundelegungeiner kritischen Würdigungder Argumente Newdows war für einengroßen Teil der US-Gesellschaft nichtmöglich.Der Grund dafür liegt in der für europäischeVerhältnisse sehr starken religiösenDurchdringung Amerikas und dendarob tradierten monotheistischenDenkmustern, die atheistischen Argumentationsansätzennicht unmittelbarzugänglich sind. Der Atheismus als Lebensanschauung,wie Newdow ihn vertritt,ist für einen substanziellen Teil deramerikanischen Gesellschaft politischnicht diskursfähig. Doch nicht nur innerhalbder Bevölkerung konnte einehohe Zahl an Unterstützern des Gottesbezugesausgemacht werden: Sowohlder zu diesem Zeitpunkt amtierende US-Präsident George W. Bush als auch seindemokratischer Gegenkandidat John F.Kerry, die Attorney Generals aller 50Staaten, die National School Boards Associationund die als Gewerkschaft derLehrerinnen und Lehrer fungierendeNational Education Association traten –Pledge-AP-Poll.html (24.3.2004). DieUmfrage fand unter 1,001 erwachsenenUS-Amerikanern statt, Befragungszeitraum:19-21.3.2004. Die Fehlerquotebetrug +/– 3 %.<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 175


echt & <strong>gesellschaft</strong>wenn auch mit unterschiedlichem Gradan Sendungsbewusstsein – für den Erhaltvon „under God“ ein. Desgleichentrugen Kongressabgeordnete und Senatorender Mehrheitsauffassung Rechnung.Zwischen zweitinstanzlichem Urteildes Circuit Court of Appeals undVerhandlung vor dem Supreme Courtbefürwortete der Senat 99-0 eine Pledgemit „under God“, und Kongressmitgliederstimmten gemeinsam in eine vonmehreren Fernsehkanälen übertragenekollektive Rezitation der Pledge ein.6. Die Positionen der ParteienZum Verfahren zurückkehrend, sind dieFragen, die sich der Supreme Court stellenmusste, genauer zu betrachten. Vorerst:Was bedeutet „one nation underGod“? Und in Folge: Ist hinter der Invokationeine religiöse Aussage verborgen,der die Establishment Clause desFirst Amendment entgegensteht? Umgekehrtgefragt: Kann „under God“ alsBeispiel von Religiosität außerhalb jedwedenchristlich-spirituellen Kontextesgelten? Vorschläge, wie diese Streitfragenzu beantworten wären, gab es zuhauf.In den verschiedenen beim SupremeCourt eingelangten briefs (Schriftsätzen)äußerten sich neben denStreitparteien auch mehr als 50 amicicuriae, Streithelfer der klagenden oderder beklagten Partei. 26Ein kurzer Auszug aus der Liste deramici gibt Zeugnis von der Mannigfaltigkeitsozialer und religiöser Gruppierungen,die Interesse am Prozess bekundeten,und gibt ein interessantes Sittenbildder amerikanischen Gesellschaftwider: American Jewish Congress, AssociatedPantheist Groups, Atheists forHuman Rights, Buddhist Temples,Christian Legal Society, United Fathersof America, et al.Die meisten briefs von amici curiaemit atheistischem oder liberalem, bürger<strong>recht</strong>lichemoder minderheiten<strong>recht</strong>lichemHintergrund argumentierten imSinne Newdows, der die Formulierungaufstellte, dass „under God“ nur „one sidein the quintessential religious question‚Does God exist?’“ sei und als Aus-...........................................26) Die vollständige Liste findet sichauf: http://www.supremecourtus.gov/docket/02-1624.htm (25.6.2004).27) Newdow, Respondents Brief onthe Merits, http://www.abanet.org/publiced/preview/briefs/pdfs_03/1624Resp.pdf (23.3.2004) 20.druck eines „sectarian religious dogma“,das keinesfalls in öffentlichenSchulen gefördert werden sollte, für verfassungswidrigzu erklären sei. In seinemRespondent Brief stellt Newdowinsbesondere klar, dass er nur gegen dasEindringen dieser Formulierung „intoan otherwise patriotic exercise“ 27 kämpfe,mithin gegen die religiösen Untertöneder Pledge, nicht aber gegen die „patrioticexcercise“ an sich.Was die Argumentation seiner Streitgegner,der Regierung unter PräsidentBush und des Elk Grove Unified SchoolDistrict als Verteidiger des Fahneneides,betraf, ergaben sich zwei interessanteErkenntnisse: Erstens bestandenaugenfällige Parallelen zu europäischenPräambel-Diskussionen. Verfechter derPräambel im Europäischen Konvent rekurriertenregelmäßig auf das ‚christlicheErbe Europas’, das durch einen Gottesbezugseinen Ausdruck finden sollte.Solicitor General Olson folgte als Vertreterder Regierung dieser historischphilosophischenBetrachtungsweiseund sprach im Antrag der Regierung voneiner patriotischen Anerkennung „[of]the nation’s religious history“ und dem„undeniable historical fact that the nationwas founded by individuals who believedin God.“ 28 Indes – und hier liegtder entscheidende Unterschied zu manchenVerfechtern einer gottesbezüglichenPräambel – stellte Olson fest, dass„under God“ lediglich eine empirischeAussage sei, die keine Gefahr für dieTrennung von Kirche und Staat darstelle.Damit entkäme die Pledge, wie bereitsausgeführt, der Prüfung anhand derEstablishment Clause. Zweitens – unddies ließ auf ein breites Meinungsspektrumauch auf Seiten der Regierungschließen – schienen sich die prozessbezogenenÄußerungen und Schriftsätzedes Department of Justice nicht immermit der Linie Präsident Bushs in Einklangbringen lassen: So hatte dieser ineinem Schreiben an Parteifreunde nochzum Ausdruck gebracht, dass die Formulierung„under God“ ein Weg sei,„our reliance on God“ zu beweisen undzu zeigen, dass die Menschen auch weiterhin„humbly … the wisdom and blessingof divine providence“ suchen würden.Bushs Aussagen wurden von Newdowin der mündlichen Verhandlung releviert,als die Frage zu klären war, obdie Pledge unter Umständen Charakterzügeeines Gebetes aufweise – und damiteine unter der Establishment Clauseverbotene religiöse Aussage darstelle.Das Transkript 29 der Verhandlung gibtfolgende Diskussion wieder: „JusticeO’Connor: … I suppose reasonable peoplecould look at the pledge as not constitutinga prayer. Newdow: Well, PresidentBush said it does constitute a prayer.Chief Justice Rehnquist: Well, but he– we certainly don’t take him as the finalauthority on this.“7. Alltägliche KontextualitätEine im Rahmen der mündlichen Verhandlungvielfach thematisierte Problematikwar das Schicksal jener Ausdrückedes täglichen Lebens, der Wirtschaft,der Politik und des Justizwesens,die sich bei konsequenter Auslegungeindeutig als monotheistisch geprägt erweisen.Sollten sie im Falle der Verfassungswidrigkeitvon „under God“ imFahneneid ebenfalls durch neutrale Formulierungenersetzt werden müssen?Selbst grundlegende Dokumente derAufklärung, Geistesfreiheit und StaatswerdungAmerikas, wie die Declarationof Independence, würden diesfalls dannals vorurteilsbeladen wahrgenommenwerden müssen. Die Unabhängigkeitserklärungnimmt etwa offen Bezug aufeine göttliche Quelle als Legitimationsgrundlagefür die Separation von England.In der vielleicht bekanntesten Formulierungwird die gottesbezügliche,natur<strong>recht</strong>liche Verankerung sogar nochdeutlicher: Während nämlich Regierungenauf den Konsens der Regiertenrückführbar sein müssen, stellen sichbestimmte fundamentale Menschen<strong>recht</strong>eals gottgegeben dar. Es sei „selfevident“,dass „[all Men] are endowedby their Creator with certain unalienableRights.“ Während die Declaration of Independencenoch als historisches Doku-28) Eine Übersicht über die Anträge 29) Excerpts, http://www.der Streitparteien findet sich bei Greenhouse,One Crucial Issue in Pledge Ca-national25STEX.html (25.4.2004).nytimes.com/2004/03/25/se: What Does 'Under God' Mean? NewYork Times (22.3.2004).Seite 176 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


echt & <strong>gesellschaft</strong>ment aus der Debatte genommen werdenkönnte, sind so alltägliche Gegenständewie Zahlungsmittel ebenfallsbetroffen: „In God We Trust“ findet sichseit den Zeiten Lincolns auf dem amerikanischenGeld; auch dies, bei genauerBetrachtung, ein vom FinanzhoheitsträgerStaat verordnetes Bekenntniszum Monotheismus.Schließlich ist selbst der SupremeCourt von einer gottesbezüglichen Formulierungbetroffen. Jede öffentlicheSitzung beginnt mit den Worten des Gerichtsdieners:„God save the United Statesand this honorable court.“ 30 Kann einGerichtshof, der „under God“ im Fahneneidfür verfassungswidrig erklärt, einereligiöse Anrufung in eigener Sachedulden? Wie gleich unten zu zeigen seinwird, verzichtete der Supreme Court aufeine Beantwortung der aufgeworfenenFragen. Newdow fühlte sich in diesemkonkreten Zusammenhang nicht beschwert.Von Justice O’Connor auf dieVerfassungsmäßigkeit des traditionellenEröffnungsvorganges angesprochen,betonte er, dass „nobody’s askedto stand up, place their hand on theirheart and affirm this belief.“ 318. Aktivlegitimation als NotwegNewdow war sich der Implikationen seinerAnfechtung der Pledge von Anfangan bewusst und verglich seinen Fall baldmit Brown v Board of Education 32 , jenembahnbrechenden Urteil, mit demder Supreme Court die Separate butEqual-Doktrin verworfen und die <strong>recht</strong>lichenGrundlagen für ein Ende der Rassentrennungin Amerikas Bildungsinstitutionengelegt hatte. Doch es sollte anderskommen. Angesichts der vorgebrachtenArgumente und der tatsächlichbestehenden <strong>recht</strong>lichen und philosophischenGrundsatzfragen, die NewdowsKlage ausgelöst hatte, erwies sichdas Urteil als eher enttäuschend.Mit der schlichten Begründung, derKläger verfüge über keine ausreichendeAktivlegitimation, da er nicht obsorgebe<strong>recht</strong>igtfür seine Tochter sei und sichin einem gerichtlichen Obsorgestreit mitderen Mutter befinde, entzogen sich jenefünf Richter, welche die majority opinionformulierten, der Frage der Verfassungsmäßigkeitder Pledge. Unter derFührung von Justice Stevens hielten siefest, dass sie den „realm of domestic relations“keiner <strong>recht</strong>lichen Würdigungunterziehen und dem zuständigen Familiengerichtnicht vorgreifen wollten, indemsie Newdows Klage<strong>recht</strong> bestätigten.Während Newdow in der Verhandlungdavon sprach, dass ihm „actual,concrete, discrete, particularized, individualizedharm“ 33 zugefügt werde, sahder Supreme Court dies nicht als gegebenan. Die Mutter des Kindes, SandraL. Banning, teilte übrigens ihrerseits ineiner Eingabe mit, dass sie sowohl diePledge in ihrer derzeitigen Form alsauch die tägliche Rezitation durch ihreTochter unterstütze.Im Ergebnis hatte Newdow vermutlichGlück. Seine Argumente in Bezugauf die Pledge wurden in der majorityopinion nicht <strong>recht</strong>lich gewürdigt – unddaher auch nicht zurückgewiesen. DasThema bleibt daher offen. Obschon, wieeingangs erwähnt, die drei konservativerenMitglieder des Supreme Courts inihrer gemeinsamen opinion weiter gingenund auch die zweite Vorlagefragebeantworteten. Chief Justice Rehnquistund die Justices O'Connor und Thomasbrachten zum Ausdruck, dass die Pledgeverfassungsgemäß sei. Sie kritisiertendie anderen fünf Richter und führtenaus, dass die verfahrens- und familien<strong>recht</strong>licheDimension nicht entscheidendsei. Da Gott auch in vielen anderenUmständen im Laufe der amerikanischenGeschichte angerufen wordensei – so etwa in Lincolns GettysburgAddress und in General Eisenhowers Invasionsbefehlan die Alliierten Streitkräftevom 6. Juni 1944 –, sei die Pledgeein traditionsreiches, legitimes und verfassungskonformesBekenntnis zu einerhöheren Entität.9. SchlusswortOffen bleibt, ob sich nicht bald ein andererKläger findet, der tatsächlich aktivlegitimiert ist. Dann wäre der SupremeCourt erneut vor dieselbe Frage gestelltund müsste eingestehen, dass der easyway out in der Welt des Rechts nicht immerder beste ist. Dabei wäre ein Kompromissvorschlag,der zwar qua Bezugnahmeauf eine übermenschliche Autoritäteinen natur<strong>recht</strong>lichen Ankerbeibehält, jedoch nicht monotheistischeAuffassungen bevorzugt, durchausdenkbar. Eine Formulierung der polnischenVerfassung aufnehmend, würdedie neue Pledge dann lauten: „I pledgeallegiance to the flag of the United Statesof America and to the Republic forwhich it stands, one nation under Godor some other source of truth, justice,good and beauty, indivisible, with libertyand justice for all.” Mit dieser Versionkönnte wohl auch Newdow leben, mitoder ohne ausreichende Aktivlegitimation.Matthias C. Kettemann studiertRechtswissenschaften an derKarl-Franzens-Universität Graz;matthias.kettemann@stud.uni-graz.at............................................30) Vgl Schwartz, A History of the SupremeCourt (1993).31) Excerpts From Arguments on theMeaning of ‚Under God’ in the Pledge ofAllegiance, http://www.nytimes.com/2004/03/25/national25STEX.html(25.4.2004).32) Brown v Board of Education, 347U.S. 483 (1954).33) Excerpts, http://www.nytimes.com/2004/03/25/national25STEX.html (25.4.2004).<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 177


echt & <strong>gesellschaft</strong>Kein Wahl<strong>recht</strong>ohne roten Pass1. Ein pragmatischer SonderwegDie Ausgangslage ist bekannt: Im Jahr2003 beschloss der Wiener Landtag, inZukunft Nicht-EU-BürgerInnen mitzumindest fünfjährigem Aufenthalt inÖsterreich bei Wahlen zu den Bezirksvertretungendas aktive und passiveWahl<strong>recht</strong> zu gewähren. Damit sollteden langansässigen MigrantInnen, diesich noch nicht eingebürgert hatten,die Möglichkeit der politischen Partizipationauf der untersten Ebene derGemeindepolitik gewährt und ein Einstiegin die Kommunalpolitik ermöglichtwerden. Ein logischer Schritt,nachdem UnionsbürgerInnen seit demEU-Beitritt auch das Wahl<strong>recht</strong> aufBezirksebene (und in anderen Städtenzum Gemeinderat) haben, und es keinenlogischen Grund gibt, einem/r inWien lebenden/r PortugiesIn, nichtaber deren/dessen türkischen NachbarIndie Stimmabgabe zu ermöglichen.Neben dem demokratischen Impetushätte dies auch den Druck auf dieParteien, sich MigrantInnenanliegenzu widmen und diesen Karrierewegezu eröffnen, erhöht. Der Schritt wurdedaher von allen MigrantInnenorganisationenund NGOs in dem Feld sowievon der SPÖ und den Grünen begrüßt.Die Wiener Stadtregierung sicherteihre Entscheidung durch verfassungs<strong>recht</strong>licheGutachten und Einschränkungendes Wahl<strong>recht</strong>s ab: Die Bezirksvertretungenbildeten, so die Argumentationder Gutachten, keine all-Das VfGH-Erkenntnis zumAusländerwahl<strong>recht</strong> in Wien(VfGH 30.6.2004, G 218/03) 1Bernhard Perchinig.............................................................................1) Für Anregungen und Kritik bin ich 2) Die Definition der Wahlbe<strong>recht</strong>igtenzum Nationalrat findet sich in Art 26Bedana Bapuly, Ronald Faber und HannesTretter zu Dank verpflichtet. B-VG, zu den Landtagen in Art 95 B-VGund zum Gemeinderat in Art 117 B-VG.gemeinen Vertretungskörper und übten,mit der Ausnahme der BezirksvorsteherInnenund deren StellvertreterInnensowie des Bauausschusses auchkeine Hoheitsaufgaben aus. Die Einführungdes Bezirkswahl<strong>recht</strong>s fürDrittstaatsangehörige würde dahernicht das gemäß Judikatur und herrschenderLehre StaatsbürgerInnenvorbehaltene Wahl<strong>recht</strong> zu einer gesetzgebendenKörperschaft betreffenund wäre somit verfassungskonform,sofern Drittstaatsangehörigen weiterdie Wahl zur BezirksvorsteherIn bzw -stellvertreterIn und zu Mitgliedern(Ersatzmitgliedern) des Bauausschussesverwehrt bliebe. Ein Wahl<strong>recht</strong>zum Gemeinderat war schon deshalbundenkbar, da dieser gemäß Art 108 B-VG gleichzeitig Landtag ist. AuchUnionsbürgerInnen besitzen keinLandtagswahl<strong>recht</strong>.Diese Beschränkungen zeigen deutlich,dass der Schritt von Anfang an einpragmatischer Versuch war, eine nurfür Wien denkbare Regelung in einervermeintlichen verfassungs<strong>recht</strong>lichenRegelungslücke zu etablieren.Denn selbst wenn der Verfassungsgerichtshofdem Wiener Vorstoß zugestimmthätte, wäre zur Einführung desKommunalwahl<strong>recht</strong>s für Drittstaatsangehörigein anderen Gemeindenweiter eine Verfassungsänderung nötiggeblieben. Zum Verständnis derKomplexität der Materie ist ein kurzerAusflug in das Verfassungs<strong>recht</strong> angebracht.2. Wahl<strong>recht</strong> undStaatsbürgerschaftEntgegen landläufiger Ansicht schränktder Text des B-VG das Wahl<strong>recht</strong> zumNationalrat und zu den Landtagen nichtdirekt auf StaatsbürgerInnen ein, sehrwohl jedoch das Wahl<strong>recht</strong> zu Gemeinderäten2 . In der Judikatur und Lehre istjedoch unbestritten, dass auch dasWahl<strong>recht</strong> zum Landtag und Nationalratnur StaatsbürgerInnen zusteht (ua Feik2003, S. 99 f.) Manche Autoren sprechenauch von einem Homogenitätsprinzipim Bereich des Wahl<strong>recht</strong>s, wasbedeutet, dass der Kreis der Wahlbe<strong>recht</strong>igtenzu den allgemeinen Vertretungskörpernim wesentlichen aus dengleichen Personen bestehen muss (uaKoja 1988, S. 101).Staatsbürgerschaft und Wahl<strong>recht</strong>waren historisch jedoch keineswegsimmer so eng verknüpft wie heute: Der§ 28 des Provisorischen Gemeindegesetzes1849 (RGBl 1849/170) sowieder Art 26 Abs 1 B-VG (idF der B-VGNovelle 1929, der erst Ende 1968 außerKraft gesetzt wurde), sahen die – defacto nie realisierte – Möglichkeit vor,unter der Bedingung staatsvertraglichgewährleisteter Gegenseitigkeit dasaktive und passive Wahl<strong>recht</strong> auchNichtösterreicherInnen zuzugestehen(Feik 2003, S. 103). Doch dies ist Geschichte,Art 117 Abs 2 B-VG definierteindeutig:Die Wahlen in den Gemeinderat findenauf Grund des gleichen, unmittelbaren,geheimen und persönlichen Verhältniswahl<strong>recht</strong>saller Staatsbürgerstatt, die in der Gemeinde den Hauptwohnsitzhaben; … Unter den von denLändern festzulegenden Bedingungensteht das aktive und passive Wahl<strong>recht</strong>auch den Staatsbürgern anderer Mitgliedstaatender Europäischen Unionzu.Allein aufgrund dieses Artikels istklar, dass ein allgemeines kommunalesWahl<strong>recht</strong> für Drittstaatsangehörige ohneVerfassungsänderung nicht zu habenist. Mit dem Beitritt Österreichs zur EuropäischenUnion wurde in Umsetzungdes Art 19 Abs 1 (ex-Art 8b Abs 1) EGVdas kommunale Wahl<strong>recht</strong> allerdingsSeite 178 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


echt & <strong>gesellschaft</strong>auf UnionsbürgerInnen ausgedehnt.Diese Bestimmung lautet:„Jeder Unionsbürger mit Wohnsitz ineinem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeiter nicht besitzt, hat in demMitgliedstaat, in dem er seinen Wohnsitzhat, das aktive und passive Wahl<strong>recht</strong>bei Kommunalwahlen, wobei fürihn dieselben Bedingungen gelten wiefür die Angehörigen des betreffendenMitgliedstaates.“Die EG-Kommunalwahlrichtlinie(RL 94/80/EG des Rates vom19.12.1994, ABl L 368, 38, geändertdurch RL 96/30/EG des Rates vom13.5.1996, ABl L 122, 14 vom22.5.1996) definiert in Art. 2 Abs. 1„Kommunalwahlen“ folgendermaßen:„Kommunalwalen: die allgemeinen,unmittelbaren Wahlen, die darauf abzielen,die Mitglieder der Vertretungskörperschaft… einer lokalen Gebietskörperschaftder Grundstufe zu bestimmen.“Die jeweiligen Vertretungskörperschaftender „lokalen Gebietskörperschaftender Grundstufe“ werden wiederumim Anhang der Richtlinie aufgelistet,für Wien wurden in diesemAnhang die Bezirke genannt. UnionsbürgerInnenrealisieren daher ihr Rechtauf Wahl der Mitglieder einer Vertretungskörperschaftauf der Grundstufedurch die Teilnahme an den Wahlen zurBezirksvertretung.Wesentlich ist hier, dass die Ausdehnungdes Wahl<strong>recht</strong>s auf UnionsbürgerInnennicht durch eine Änderung derBestimmung über die Staatsbürgerschaftals Voraussetzung für das kommunaleWahl<strong>recht</strong> im ersten Satz desArt 117 Abs 2 stattfand, sondern durchdas Einfügen einer entsprechenden ergänzendenBestimmung in den Text desB-VG. Damit signalisierte der Verfassungsgesetzgeberklar, dass die Umsetzungdes Art 19 Abs 1 (ex-Art 8b Abs1) EGV keine Änderung der wahl<strong>recht</strong>lichenGrundsätze der Verfassung bewirkte,sondern UnionsbürgerInnen diesesWahl<strong>recht</strong> nur aufgrund der Verpflichtungendes EU-Rechtszugesprochen bekämen. Damit ist einösterreichisches Spezifikum angesprochen:Zwar brachte der Beitritt Österreichszur EU eine grundlegende Änderungder Verfassungsprinzipien mitsich, dies wurde jedoch in der Verfassungsurkundenicht entsprechend nachvollzogen.Die Chance, den EU-BeitrittÖsterreichs zu einer allgemeinen Ausweitungdes kommunalen Wahl<strong>recht</strong>sauf alle legal ansässigen ausländischenStaatsangehörigen zu nutzen, wurdevon der damaligen SPÖ-ÖVP Koalitionnicht wahrgenommen; auch die Zivil<strong>gesellschaft</strong>verschlief damals die Chanceeiner Verfassungsreform.3. Die WienerBezirksvertretungenSo weit, so klar. Doch wie sieht es mitden Wiener Bezirksvertretungen aus?Der Text der Verfassung schweigt überdiese, sie werden allein in der WienerStadtverfassung (LGBl 1968/28 idF1997/41) in der „6.Abteilung“ geregelt.§ 61a Abs 1 bestimmt die Wiener Gemeinderatswahlordnung1996 (LGBl1996/16 idF 1996/31) – ein einfachesLandesgesetz - als für das Wahl<strong>recht</strong> zuständigeRechtsnorm.Nachdem der Verfassungstext zu denWiener Bezirksvertretungen schweigt,stellt sich die Frage, was diese aus verfassungs<strong>recht</strong>licherSicht sind. Gehörensie zu den zitierten „allgemeinen Vertretungskörpern“oder gründen sie alleinauf Länder<strong>recht</strong> und unterliegen somitder „relativen Verfassungsautonomie“der Länder gemäß Art 99 Abs 1 B-VG,die diesen erlaubt, Materien, die dieBundesverfassung nicht berühren, autonomzu regeln?In dieser Frage waren bis zum gegenständlichenErkenntnis zwei unterschiedlicheEinschätzungen möglich:Die Bezirksvertretungen wurden im Gemeindestatut1900 festgeschrieben undwurden auch im § 34 Abs 2 des Verfassungs-Übergangsgesetzes1920 erwähnt,entfielen aber in der B-VG-Novelle1929. Dieses Schweigen der Verfassungwurde unterschiedlich interpretiert:Nach der einen Auffassung habeder Verfassungsgesetzgeber die Bezirksvertretungenbewusst aus der Verfassungentfernt, da er sie nicht als allgemeineVertretungskörper ansah (soHeinz Mayer in seinem Gutachten, zitiertnach VfGH 30.06.2004, G 218/03,S. 19), nach anderer Meinung habe derVerfassungsgesetzgeber diese 1929 bereitsvorgefunden und somit stillschweigendals allgemeine Vertretungskörperzur Kenntnis genommen (Ponzer/Cech2000, S. 89). Je nach Interpretation wäredas Wahl<strong>recht</strong> für Drittstaatsangehörigeauf Bezirksebene als verfassungskonformbzw als verfassungswidrig einzuschätzen.Die Stadt Wien schloss sichder ersten Denkschule an, änderte 2003die Wiener Stadtverfassung und dieWiener Gemeinderatswahlordnung unddehnte das Wahl<strong>recht</strong> auf Bezirksebeneauf Drittstaatsangehörige mit zumindestfünfjährigem ununterbrochenen legalenAufenthalt in Wien aus.4. Das Verfahren vor dem VfGHDiese Bestimmungen wurden von derWiener ÖVP und FPÖ als verfassungswidrigbeim VfGH angefochten.Die Anfechtung entwickelte drei Argumentationsgänge.Erstens behauptetesie, dass die Wiener Bezirksvertretungenzu den allgemeinen Vertretungskörpernzählten und das Wahl<strong>recht</strong> zu diesensomit dem wahl<strong>recht</strong>lichen Homogenitätsprinzipunterliege, daher seieine Ausdehnung auf Drittstaatsangehörigeverfassungswidrig. Zweitens widersprechedas Wahl<strong>recht</strong> für Drittstaatsangehörigedem StaatsbürgerInnenvorbehaltbei der Ausübungöffentlicher Funktionen gemäß Art 3StGG. Der Ausschluss Drittstaatsangehörigervom Recht, zur BezirksvorsteherInund -stellvertreterIn sowie zu Mitgliedernbzw Ersatzmitgliedern desBauausschusses gewählt zu werden, änderedaran nichts, da schon die Teilnahmean der Wahl zu hoheitlichen Organendie Ausübung einer hoheitlichenFunktion darstelle. Schließlich wurdevorgebracht, dass die Ausdehnung desWahl<strong>recht</strong>s auf Drittstaatsangehörigedem Sachlichkeitsgebot widerspreche.Die Stadt Wien bestritt in ihrer Stellungnahme,dass das wahl<strong>recht</strong>licheHomogenitätsprinzip auf die Bezirksvertretungenanzuwenden sei und meinte,dieses sei nur auf die im B-VG direktgenannten Vertretungskörper anzuwenden.Mit Verweis auf das Urteil des Vf-GH zum Zentralausschuss der ÖsterreichischenHochschülerschaft (VfGH10.10.1995, B 70/94) stellte sie fest,dass das Ausmaß der hoheitlichen Tätigkeitenbei der Wahl der BezirksvorsteherInbzw -stellvertreterIn bzw. derMitglieder und Ersatzmitglieder desBauausschusses zu geringfügig sei, umeine Verfassungswidrigkeit zu bewirken.Dem Vorwurf der Unsachlichkeitwurde mit dem Verweis auf das geringepolitische Gewicht der Bezirksvertretungen,der Einschränkung des Wahl<strong>recht</strong>sauf Drittstaatsangehörige mit zumindestfünfjährigem Aufenthalt und<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 179


echt & <strong>gesellschaft</strong>der Aufgabenstellung der Bezirksvertretungen,nur die unmittelbaren Lebensbedingungenim Bezirk zu regeln,begegnet.5. Das ErkenntnisDer VfGH gab der Anfechtung Rechtund hob die Bestimmungen zur Einführungdes Wahl<strong>recht</strong>s auf Bezirksebenefür Drittstaatsangehörige mit Entscheidvom 30.06.2004 (G 218/03) als verfassungswidrigauf. Er setzte sich nur mitder Frage des Wahl<strong>recht</strong>s auseinander,die anderen in der Anfechtung genanntenPunkte blieben unbehandelt.Die Argumentation des VfGH ist bedenkenswert.Er stellt zuerst fest, dassdas wahl<strong>recht</strong>liche Homogenitätsprinzipein in den Grundzügen einheitlichesWahl<strong>recht</strong> für alle allgemeinen Vertretungskörpernverlange (S. 35 f) und zuklären sei, ob die Wiener Bezirksvertretungensolche allgemeine Vertretungskörperseien. Nach einer Analyseder entsprechenden Bestimmungen derWiener Landesgesetze zählt er die Argumenteauf, die dafür sprechen, ohnesich jedoch festzulegen. In der Folgestellt er fest, dass das das Wahl<strong>recht</strong> zuden Bezirksvertretungen bei Unionsbürgernals Realisierung des ihnen zustehendenWahl<strong>recht</strong>s zu einer „lokalenGebietskörperschaft der Grundstufe“gelte, man hier sehr wohl davonausgehe, dass diese die Repräsentationsorganeauf unterster politischer undadministrativer Stufe seien (S. 46). Allerdingsverfolgt der VfGH dieses Argument,das deutlich gegen die Argumentationslinieder Stadt Wien spricht,die die Bezirksvertretungen nicht alsallgemeine Vertretungskörper qualifiziert,nicht weiter. Möglicherweisedeshalb, da diese Debatte unausweichlichzur Frage geführt hätte, ob nachdem EU-Beitritt Österreichs und derAusweitung des Kommunalwahl<strong>recht</strong>sauf UnionsbürgerInnen die Argumentationeiner wahl<strong>recht</strong>lichen Homogenitätnoch so ohne weiters auf<strong>recht</strong>erhaltenwerden kann.Statt dessen übernimmt der VfGH diePerspektive der Wiener Landesregierung,dass die ausdrücklichen verfassungsgesetzlichenRegeln nur für die imB-VG genannten Vertretungskörpergelten, aus dem B-VG also für die Beantwortungder Frage des Charaktersder Bezirksvertretungen nichts zu gewinnensei. (S. 47).Dieser Abwägung, aus der prima vistaeine Rückweisung der Anfechtungfolgen müsste, folgt jedoch ein Argumentationsschwenk,der aus einemLehrbuch des Nationalismus des 19.Jahrhunderts stammen könnte. Der Vf-GH fährt fort (S. 47 f):„Von entscheidender Bedeutung istaber – und insoferne sind die Antragstellermit ihrer Anfechtung im Recht – dassdie genannten Bestimmungen ..., die dasWahl<strong>recht</strong> zum Nationalrat, zu denLandtagen und zu den Gemeinderäten… österreichischen Staatsbürgerinnenund Staatsbürgern vorbehalten, ihrerseitsnur eine nähere Ausgestaltung desdemokratischen Grundprinzips der österreichischenBundesverfassung darstellen.Dieses ist im Art. 1 B-VG wiefolgt geregelt:‚Österreich ist eine demokratischeRepublik. Ihr Recht geht vom Volk aus.’Der in dieser Bestimmung verwendeteBegriff des Volkes knüpft aber – wieder Verfassungsgerichtshof schon inseinem Erkenntnis VfSlg. 12.023/1989im Zusammenhang mit dem Begriff desBundesvolkes iSd Art. 26 B-VG dargetanhat – an die österreichische Staatsbürgerschaftan. … ‚Auch eine Bedachtnahmeauf Art. 8 Abs. 1 des Staatsvertragsvon Wien, BGBl. 152/1955 …macht … deutlich, dass der Besitz derösterreichischen Staatsbürgerschaft dasmaßgebliche Kriterium für die Zugehörigkeitzum Bundesvolk darstellt.’Die Änderung, die Art. 1 B-VG durchden Abschluss des EU-Beitrittsvertrags… erfuhr und der zu Folge das „Recht“der Republik Österreich nunmehr nichtallein vom „Volk“, sondern zum Teilvon Gemeinschaftsorganen „ausgeht“,ist hier ohne Belang.“Mit diesem Argument verknüpft derVfGH den demokratischen CharakterÖsterreichs mit dem Staatsbürgervorbehaltbeim Wahl<strong>recht</strong> und distanziertsich damit weit von der Demokratieentwicklungin anderen europäischen Ländern,die ua auch durch eine Ausweitungdes kommunalen Wahl<strong>recht</strong>s aufDrittstaatsangehörige gekennzeichnetist. Zudem beruft sich der VfGH auf einvor dem Beitritt Österreichs zur EU ergangenesErkenntnis, ohne die durchden EU-Beitritt eingetretenen Änderungenzu reflektieren. Die Gleichsetzungdes Volksbegriffs mit der Summeder Staatsbürger ist nicht nur ein Rückschrittin eine völkische Staatskonzeptiondes 19. Jahrhundert, die schon zuBeginn des 20. Jahrhunderts massiv kritisiertwurde (sieh zB Jellineks Kritikaus 1914, zit in Feik 2003, FN 24), sondernwiderspricht auch dem im Vertragvon Maastricht zu Recht gewordenemKonzept der Europäischen Bürgerschaft,das EU-BürgerInnen mit Staatsangehörigen,ua beim kommunalenWahl<strong>recht</strong>, weitgehend gleichstellt unddamit die Gleichung Staatsvolk = Summeder StaatsbürgerInnen klar bricht.Schon gar nicht nimmt das Urteil Notizvon den Schlussfolgerungen des EuropäischenRats von Tampere, demgemäßDrittstaatsangehörige nach einer bestimmtenAufenthaltsdauer <strong>recht</strong>lichweitestgehend mit Staatsangehörigengleichgestellt werden sollten. Dass derVfGH nicht auf die Bedeutung der Ausweitungdes kommunalen Wahl<strong>recht</strong>sauf UnionsbürgerInnen für das wahl<strong>recht</strong>licheHomogenitätsprinzip eingeht,sondern stattdessen apodiktischfesthält, dass der Beitritt zur EUschlicht keine Rolle spiele, ist ein weiteresZeichen dafür, dass das Hohe Gerichtmit seiner wortorientierten Auslegungdes Art 1 B-VG noch nicht ganzin Europa angekommen ist: Bei Kommunalwahlensind UnionsbürgerInnenzweifelsohne Teil des Souverän, undnicht umsonst schlug der Präsident desVfGH, Karl Korinek, nach dem BeitrittÖsterreichs zur EU eine entsprechendeAdaptierung des Art 1 B-VG vor.6. Causa finita?Was bedeutet dieses Erkenntnis auf politischerEbene, welche Strategien könnennun eingeschlagen werden?Nachdem mit dem VfGH-Erkenntnisdie Teilnahme von Drittstaatsangehörigenan Kommunal- und Bezirksvertretungswahlenausgeschlossen ist und derVfGH zudem ein zutiefst nationalistischesVerfassungsdenken zeigte, ist eshöchst an der Zeit, dass das Thema„Wahl<strong>recht</strong> für Drittstaatsangehörige“auf die Tagesordnung des Verfassungskonventskommt. Bisher haben sich wederSPÖ noch Grüne dafür besondersstark gemacht, beide kündigen jedochin Reaktion auf das Erkenntnis an, neueSchritte setzen zu wollen. Hierbei wärees vor allem nötig, die Debatte mit dereuropäischen Diskussion der Entwicklungeiner europäischen Zivilbürgerschaftzu verknüpfen, die als Zwischenstatuszwischen AusländerInnen undSeite 180 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


echt & <strong>gesellschaft</strong>StaatsbürgerInnen langansässige MigrantInnenim Wesentlichen mit UnionsbürgerInnengleichstellen sollte. DieEuropäische Kommission hat in diesemZusammenhang mehrfach auf die Bedeutungdes kommunalen Wahl<strong>recht</strong>sals Integrationsinstrument hingewiesen,und eine Gleichstellung mit UnionsbürgerInnenmüsste logischerweiseauch das kommunale Wahl<strong>recht</strong> beinhalten.Dazu ist jedoch innerstaatlicheine Verfassungsänderung nötig, undder zurzeit tagende Konvent bietet einegute Möglichkeit, die Diskussion voranzutreiben.Ob eine derartige Verfassungsänderungpolitisch realisierbar ist, ist jedochfraglich. Daher bedarf es als zweites einerErgänzungsstrategie, nämlich derDurchsetzung leichterer Einbürgerung.Auch in diesem Bereich ist Österreichein europäisches Schlusslicht mit langenWartezeiten, hohen Kosten undschwierigen sonstigen Voraussetzungen.Zudem ist Österreich eines der wenigenLänder Europas, das Doppelstaatsbürgerschaftnicht duldet – es gibtalso genug Handlungsbedarf. Da derZugang zur Unionsbürgerschaft übersehr unterschiedliche nationalstaatlicheEinbürgerungsregeln erfolgt, hat dieEuropäische Kommission hier zwarnoch keine <strong>recht</strong>liche Kompetenz, aberdurchaus einen Fuß in der Tür. Sie plantdaher die regelmäßige Veröffentlichungvon „good practices“ und will so einenKoordinierungsprozess in Gang setzen,dem sich auch Österreich nicht entziehenkönnen wird.Last, but not least, könnten die zukünftigenErweiterungsrunden das Problemquantitativ entschärfen: Mit einemBeitritt der Türkei und später der Balkanländerwürde, da UnionsbürgerInnenja automatisch das kommunale Wahl<strong>recht</strong>besitzen, die quantitative Dimensionder Thematik deutlich schrumpfen,ohne dass das grundlegende Problemgelöst würde.Welche Strategie die meisten Erfolgschancenhat, hängt ganz massiv vomEngagement der VertreterInnen vonSPÖ und Grünen im Konvent sowie davonab, ob sie Reformen in diesem Bereichzu einer Bedingung für die Regierungsteilnahmenach den nächstenWahlen machen. Sowohl die SPÖ wiedie Grünen forderten im Konvent mehrfachdas kommunale Ausländerwahl<strong>recht</strong>für MigrantInnen, dies stieß jedochbei den Regierungsparteien auftaube Ohren. Die kürzlich bestellte WienerIntegrationsstadträtin Sonja Wehselygriff das Thema in mehreren Interviewsund Presseaussendungen engagiertauf, doch bisher fanden dieseVorschläge im Konvent keine Mehrheit.Allerdings forderte kürzlich auch derGrazer ÖVP-Bürgermeister das kommunaleAusländerwahl<strong>recht</strong>, was möglicherweiseauf ein Aufbrechen der starrenLinie in der ÖVP hinweisen könnte.Realistisch gesehen, dürfte die Fragewohl erst nach den Wahlen 2006 bei denKoalitionsverhandlungen geklärt werden.Es ist zu hoffen, dass dann nichtwahltaktische Manöver, sondern dieSorge um die politischen Teilhabe<strong>recht</strong>eeines großen Teils der Bevölkerung dieEntscheidungen bestimmen werden,denn sonst wird es wohl bis nach denletzten Erweiterungsrunden brauchen,bis die größten Gruppen der MigrantInnenzumindest auf kommunaler Ebenemitbestimmen können. Wer dann nochDrittstaatsangehörige/r ist, hat Pech gehabt– denn auch im 21. Jahrhundert istder rote Pass die entscheidende Voraussetzungdafür, eine Wahl zu haben.Literatur:Feik, Rudolf (2003). Staatsbürgerschaftals Mittel oder als Folge der Integrationeiner nichtösterreichischen Person.Zugleich eine Besprechung derStaatsbürgerschaftsgesetz-Kommentarevon Brugger/Unterweger und Matzka/Bezdeka.In: Journal für Rechtspolitik11, S. 96–112.Koja, Friedrich (1988). Das Verfassungs<strong>recht</strong>der Österreichischen Bundesländer.Wien (Springer).Ponzer, Josef/Cech, Gerhard (2000).Die Verfassung der BundeshauptstadtWien. Wien (Orac).Dr. Bernhard Perchinig,Research Fellow am Institut fürEuropäische Integrationsforschungder ÖsterreichischenAkademie der Wissenschaften;bernhard.perchinig@oeaw.ac.at.<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 181


sonderthema1. EinleitungEnthält die österreichischeBundesverfassung einantinationalsozialistischesGrundprinzip?* (Teil 1)........................Schon seit dem Inkrafttreten der Stammfassung des B-VG1920 1 (und auch seit der Wiedereinführung des B-VG 1920idF der Novelle 1929 im Jahre 1945 durch dieUnabhängigkeitserklärung 2 als historisch erster Verfassung 3und den Art 1 des [1.] Verfassungs-ÜberleitungsG 1945, 4uzw spätestens seit 1. 5. 1945 5 ) enthält dieses eine Bestimmungüber die Gesamtänderung der Bundesverfassung;Art 44 Abs 2 (heute unverändert Art 44 Abs 3 6 ) B-VG ordnetan, dass „jede Gesamtänderung der Bundesverfassung ... einerAbstimmung des gesamten Bundesvolkes zu unterziehen[ist]“. 7 Dabei ist nicht näher bestimmt, wann einesolche Gesamtänderung vorliegt. Da das B-VG seit1920 auch die Abänderbarkeit von Verfassungsbestimmungendurch (einfache) Verfassungsgesetze (bis heute)vorsieht (Art 44 Abs 1; Art 44 Abs 2: Teiländerung),ist es schlüssig anzunehmen, dass eine Gesamtänderungals schwieriger zu erzeugende Verfassungsbestimmungnur dann vorliegt, wenn die Bundesverfassungin einem „schwerwiegenden Ausmaß“ verändertwird. Mit der Lit ist anzunehmen, dass damit nicht einebloß formale Erlassung einer neuen Verfassungsurkundegemeint ist, sondern ein inhaltliches Abgehen vonden wesentlichen Grundpositionen des B-VG 1920 – wie jedeVerfassung baut auch das B-VG 1920 auf bestimmten grundsätzlichenpolitischen Ideen auf –, die als Grundprinzipien bezeichnetwurden. 8 Welche Ideen dies im Einzelfall sind, istaus den Bestimmungen der Verfassung, dh etwa des B-VG1920, herauszufiltern; dh, dass nicht programmatische Festlegungen– etwa am Beginn des Verfassungstextes – ausschlaggebendsind, sondern die einzelnen Bestimmungen derVerfassung. 9 Nach dieser Betrachtungsweise sind für dasösterreichische Verfassungs<strong>recht</strong> das demokratische, das republikanische,das bundesstaatliche und das <strong>recht</strong>sstaatlicheGrundprinzip allgemein anerkannt; aber auch das liberale unddas gewaltenteilende Grundprinzip werden überwiegend alssolche betrachtet. 10Werden nun ein oder mehrere Grundprinzipien aufgegebenoder wesentlich geändert oder wird das Verhältnis zwischenden Grundprinzipien wesentlich verändert, so liegt eine Gesamtänderungder Bundesverfassung vor, die den erschwertenErzeugungsbedingungen des Art 44 Abs 2 B-VG zuunterziehen ist. 11 Auf die besondere Problematik der damitanzustellenden materiellen Betrachtungsweise, die darinliegt, dass eine exakte Angabe, ab wann eine Veränderung imZusammenhang mit 12 den Grundprinzipien so wesentlich ist,dass eine Gesamtänderung vorliegt, kaum möglich ist, weilvom B-VG dafür keine exakten Beurteilungskriterien angeordnetsind, sei hingewiesen. 13Als quasi erster „Testfall“ iZm der Gesamtänderung ist dieB-VG-Novelle 1929 14 anzusehen, die eine nicht bloß geringfügigeNovellierung der Bundesverfassung darstellte: Obwohldiese Novelle weitreichende Veränderungen, insb eineStärkung der Stellung des BPräs, 15 mit sich brachte, ging (undgeht) die hL davon aus, dass diese Änderungen offenbar nureine Nuancierung des parlamentarisch-demokratischen Systemsin die Richtung einer Präsidentschaftsrepublik darstellten,ohne dass das parlamentarisch-demokratische Systemaufgegeben bzw wesentlich verändert wurde, sodass keineGesamtänderung vorlag. 16 Hinzuweisen ist darauf, dass Merklbezüglich der RV zur B-VG-Novelle 1929 die Meinungvertrat, dass es sich dabei um eine Gesamtänderung gehandelthätte. 17 Angesichts der durchaus beträchtlichen „Abstriche“bis zur Beschlussfassung scheint die Qualifikation der hL zutreffend.Die Verfassungsgesetzgebung bezüglich der Nationalsozialistenbzw gegen den Nationalsozialismus nach 1945wird Gegenstand der weiteren Überlegungen sein. 18 Dabeimuss insb untersucht werden, ob die verfassungsgesetzlichenMaßnahmen nach 1945 bezüglich der Nationalsozialisten derartschwerwiegende Änderungen eines oder mehrerer Grundprinzipienbedeuteten, dass von einer Gesamtänderung gesprochenwerden kann (bzw die Abschaffung eines oder mehrererGrundprinzipien darstellten bzw das Verhältniszwischen den Grundprinzipien wesentlich veränderten).2. Die Verfassungs<strong>recht</strong>slage bezüglich derNationalsozialisten im Jahr 19452.1 Im Lichte des demokratischen Grundprinzips2.1.1 § 1 VerbotsG 1945§1 VerbotsG 19 ordnet (seit 1945 bis heute) an, dass „die NS-DAP, ihre Wehrverbände (SS, SA, NSKK, NSFK), ihre Gliederungenund angeschlossenen Verbände sowie alle nationalsozialistischenOrganisationen und Einrichtungen überhaupt... aufgelöst [sind]; ihre Neubildung ist verboten“. Durch dasVerbot der politischen Partei NSDAP könnte va das demokratischeGrundprinzip betroffen sein. Daher scheint es sinnvoll,sich mit dem, was das B-VG seit 1920 (und idF 1929) unterdem demokratischen Grundprinzip verstanden hat, näher,wenn auch nicht erschöpfend auseinander zu setzen.2.1.1.1 Inhalt des demokratischen Grundprinzips iSd B-VG1. Die im wesentlichen programmatische Bestimmung desArt 1 B-VG („Österreich ist eine demokratische Republik. IhrRecht geht vom Volk aus.“) erfährt ihre nähere Ausgestaltungdurch andere Bestimmungen des B-VG, va durch Art 26,Art 41 ff und Art 95 ff B-VG. 20 Art 26 legt das gleiche, unmittelbare,geheime und persönliche Wahl<strong>recht</strong> der Männerund Frauen für die Wahlen zum NR fest, weiters das Systemder Verhältniswahl und den Grundsatz des allgemeinen passivenWahl<strong>recht</strong>s. Art 41 Abs 2 stellt das Instrument des Volksbegehrensals einen Ausdruck der unmittelbaren Demokratiezur Verfügung, des weiteren Art 43 die Volksabstimmung,Art 44 Abs 2 die obligatorische Volksabstimmung für Gesamtänderungender Verfassung; Art 45 f regeln die Durch-Seite 182 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


undesverfassungführung der Volksabstimmung genauer. Art 95 ff legen dieeben erwähnten Bestimmungen auch für die Länderebenefest.Damit wird ein System der mittelbaren Demokratie und derparlamentarischen Demokratie eingerichtet. 21 Wie schon erwähntwurde dieses System durch die B-VG-Novelle 1929modifiziert.2. Interessant erscheint, dass das B-VG 1920 (und auchnach der Novelle 1929) die politischen Parteien nicht erwähnt,22 obwohl gerade diese an der Entstehung der1. Republik führend beteiligt waren 23 (wie auch bei der Gründungder 2. Republik 24 ). Bloß Art 35 B-VG spricht von „Parteien“.Doch handelt es sich dabei um die Parlamentspartei 25in den LT und nicht um die politische Partei schlechthin. 26Zumindest dem einfachen Gesetzgeber war die wahlwerbendePartei seit der ReichsratswahlO 1907 27 bekannt. 28 Trotzdemaber erfolgte weder im B-VG noch im sonstigen Verfassungs<strong>recht</strong>oder einfachen Gesetzes<strong>recht</strong> eine nähere, va inhaltlicheRegelung der politischen Parteien, wahlwerbendenParteien oder Parlamentsparteien.Der Gesetzgeber der Monarchie behandelte die politischenParteien als Sonderfall der Vereine. So waren politische Vereinenach dem VereinsG 1867 29 strengeren Bestimmungenunterworfen als andere Vereine. Damit war aber auch die füralle Vereine geltende Auflösungsbefugnis durch die Aufsichtsbehördeverbunden. 30 Zusätzlich sah Art 20 StGG 31 vor,dass unter bestimmten Voraussetzungen bestimmte Teile diesesStGG, ua der Art 12 über die Vereins- und Versammlungsfreiheit,suspendiert werden konnten; das in Ausführungdieses Art ergangene Gesetz 32 sah eine Auflösungsbefugnisua bei inneren Unruhen und hochverräterischen Umtrieben ingrößerem Ausmaß vor. Diese Bestimmungen wurden nicht indie Rechtsordnung der 1. Republik übergeleitet. 33 Damit warendiejenigen Teile des Vereins<strong>recht</strong>s beseitigt, die die Möglichkeitgeboten hätten, die Vereinsfreiheit sehr drastisch einzuschränken.Trotzdem aber blieben „politische Vereine“dem VereinsG und den Sonderbestimmungen desselben unterworfen;es wurde für „politische Parteien“ kein eigenerSonderstatus geschaffen. Die Sonderbestimmungen des VereinsGüber politische Vereine wurden erst mit der VereinsG-Nov 1947 34 beseitigt.3. Vom demokratietheoretischen Hintergrund 35 aus lässtsich folgendes – ohne hier eine erschöpfende Behandlungleisten zu können – festhalten: Demokratie ist der Idee nacheine Staatsform, bei der der „Gemeinschaftswille“ durch dieRechtsunterworfenen erzeugt wird; dadurch soll eine „Identitätvon Herrscher und Beherrschten“ hergestellt werden,wodurch die „Herrschaft des Volkes über das Volk“ verwirklichtwerden soll. Dies entspricht dem Gedanken, dass dasVolk souverän ist, dass die oberste Gewalt vom Volk ausgeht.36 In einer mittelbaren Demokratie schiebt sich zwischendas Volk und die Rechtserzeugung ein – vom Volk bestimmtes– Zwischenorgan, das Parlament. Nach der ursprünglichenliberal-repräsentativen Idee sollten völlig(sowohl voneinander als auch von ihrem Wahlkreis) unabhängigeAbgeordnete die Willensbildung vornehmen. Dochtreten seit dem Ende des 19. Jhdts mit der sukzessiven Ausdehnungdes Kreises der Wahlbe<strong>recht</strong>igten die politischenParteien zwischen das Volk und das Parlament – sozusagenals Mittler des Volkswillens –, was zur Ausprägung der Demokratieals parteienstaatliche Demokratie führt. 37 Kelsenbetrachtet die politischen Parteien als bedeutendstes Elementder Demokratie. 38Die Konzeption des B-VG ist eine liberal-repräsentativeDemokratie, obwohl die politischen Parteien, die maßgeblichan der Gründung der 1. Republik und der Entstehung des B-VG beteiligt waren, schon vorhanden waren, also tatsächlicheine parteienstaatliche Demokratie gegeben war. Diese Diskrepanzist verblüffend. Kelsen soll hiezu 1967 die Meinungvertreten haben, dass das B-VG die politischen Parteien stillschweigendvorausgesetzt habe. 39 Merkl hingegen geht davonaus, dass „mit der Einführung des Verhältniswahl<strong>recht</strong>s dieAnerkennung der politischen Parteien untrennbar verbundensei“. 40Im Ergebnis lässt sich wohl festhalten, dass die politischenParteien, obwohl im B-VG unerwähnt, doch eine wesentlicheAufgabe in der Demokratie nach dem Demokratieverständnisdes B-VG hatten (und bis heute haben). 41Dies entspricht auch einem Gedankengut, das auf möglichsteFreiheit bei der Teilnahme am politischen Prozess gerichtetist. Kelsen stellt die Freiheit des einzelnen als einHauptziel der Demokratie dar, nämlich der Demokratie alspolitische Freiheit. 42 Auch Merkl bezeichnet die Demokratieals „Idee der politischen Freiheit für die Masse“. 43 Dies führtzu einer engen Verknüpfung zwischen demokratischen undliberalen Elementen, wodurch allein der moderne Rechtsstaatverwirklicht werden kann. 44 Die Demokratie soll nur denRahmen abgeben (formale Demokratie 45 ), in dem sich allepolitischen Meinungen frei entfalten können. 46 Gerade um allepolitischen Kräfte auch am parlamentarischen Prozess teilhabenzu lassen, wird das Verhältniswahl<strong>recht</strong> als das gegenüberdem Mehrheitswahl<strong>recht</strong> vorzuziehende System dargestellt.47 Kelsen schreibt 1932: Die Demokratie „ist diejenigeStaatsform, die sich am wenigsten gegen ihre Gegner wehrt.Bleibt sie sich selbst treu, muß sie auch eine auf Vernichtungder Demokratie gerichtete Bewegung dulden, muß sie ihr wiejeder anderen politischen Überzeugung die gleiche Entwicklungsmöglichkeitgewähren.“ 48 Auch Radbruch hat die Toleranzder Demokratie sehr hoch bewertet und sehr absolut genommen:Jede politische Richtung wird geduldet, mag sie diesesPrinzip auch selber ablehnen, weil „die Demokratie dieStaatsform ist, die keiner Machtverschiebung Widerstand entgegensetzt,wenn sie vom Willen der Volksmehrheit getragenist“. 494. Der Gedanke der Freiheit spielt also im Demokratieverständniseine wesentliche Rolle, aber – „psychologisch“ betrachtet– wohl auch in den Ansichten der politischen Parteienbzw der führenden Mitglieder der politischen Parteien: Unterdem monarchischen System waren sie öfters an die Beschränkungen,die ihnen dieses System auferlegte, gestoßen; 50 mühsammussten sie sich Stück um Stück weiteren Freiraum erkämpfen.Nach dem Zusammenbruch der Monarchie stießendie politischen Parteien schnell in das entstandene Machtvakuumvor und unterließen es – um ihre nunmehr (fast) unbeschränkteFreiheit nicht begrenzen zu müssen – in ihrer Rolleals Gesetzgeber (dh als Parlament) die politischen Parteien(dh sich selber) gesetzlichen Bestimmungen zu unterwerfen.So gab es – abgesehen von den vereins<strong>recht</strong>lichenBestimmungen 51 – keine Möglichkeit, sei es auf verfassungsgesetzlichersei es auf einfachgesetzlicher Ebene, politische<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 183


sonderthemaParteien zu beschränken oder gar zu verbieten. 52 Die politischeLandschaft Österreichs kannte schon seit Beginn der1. Republik auch extreme Parteien: Die KP kandidierte seitden NR-Wahlen 1920; schon bei der Wahl zur KonstituierendenNationalversammlung 1919 gab es eine kandidierendeListe „Nationalsozialistische Arbeiterpartei“, die bei den späterenWahlen als „Nationalsozialisten“ auftrat; seit der NR-Wahl 1927 bewarb sich auch die NSDAP um Stimmen. 53Auch kam es seit Beginn der 1920er Jahre immer wieder zublutigen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern derverschiedenen politischen Gruppen. 54 Trotzdem gab es unterder uneingeschränkten Geltung des B-VG keine Parteienverbote;erst nach der sog Selbstausschaltung des Parlaments imJahre 1933 wurden politische Parteien verboten, uzw mit Hilfevon V auf Grund des Kriegswirtschaftlichen ErmächtigungsG55 . 56Auch nach 1945 betrachteten die politischen Parteien dieFreiheit der politischen Parteien als sehr wesentlich: WederSPÖ noch ÖVP noch KPÖ konstituierten sich nach dem Vereins<strong>recht</strong>,wohl um nicht den Sonderbestimmungen des VereinsGunterworfen sein zu müssen. 57 Mit der VereinsG-Novelle1947 wurden schließlich die Sonderbestimmungen überpolitische Vereine aufgehoben. In den EB dazu heißt es, dass„diese Bestimmungen eine durch nichts zu <strong>recht</strong>fertigendeBehinderung des politischen Lebens seien“. 58 Noch anlässlichder Einführung des ParteienG 59 führt Ermacora aus: 60 „Damitist der Status der Freiheit der politischen Parteien in Österreicherstmals unmißverständlich sichergestellt. Das VereinsGfindet ... keine Anwendung. Der BMI hat keine ... Zuständigkeit,Parteien zu verbieten.“ Im Bericht des Verfassungsausschussesheißt es wörtlich, dass „eine solcheverfassungs<strong>recht</strong>liche Verankerung der Parteien keinesfallsdiese in ihrer Tätigkeit einengen darf“. 615. Es kann also wohl festgestellt werden, dass das Verständnisbezüglich der politischen Parteien im Demokratiebegriffdes B-VG ein ausgeprägt freies war, getragen von demGedanken bloß „Spielregeln“ vorzugeben, nach denen derWettbewerb der politischen Kräfte stattfinden sollte, nichtaber irgendwelche Inhalte – sei es auch nur den Inhalt, sichselber schützen zu wollen – zu statuieren. 622.1.1.2 Auswirkung des § 1 VerbotsG1. Daher könnte man mE durchaus argumentieren, dassdurch § 1 VerbotsG, mit dem die NSDAP, insb auch als politischePartei verboten wurde, das demokratische Prinzip ineinem Ausmaß berührt wird, dass von einer Gesamtänderungdes demokratischen Prinzips zu sprechen ist, 63 weilschon das Verbot einer politischen Partei nicht mehr mitdem überaus liberalen Demokratiebegriff des B-VG vereinbarist.2. Daran ändert auch nichts, wenn man in die Betrachtung einbezieht,dass in der staats<strong>recht</strong>lichen Diskussion schon vordem 2. Weltkrieg sich die Sichtweise von einer allzu liberalenDemokratie zu wandeln beginnt, uzw in die Richtung einerweiteren – inhaltlichen – Beschränkung der Demokratie (Radbruchschreibt 1934: „Die Demokratie kann alles tun – nurnicht endgültig auf sich selber verzichten.“ 64 ); finden dochdiese Gedanken mangels Änderung der einschlägigen Bestimmungendes B-VG keinen Eingang in das Demokratieverständnisdes B-VG. 653. Nach dem 2. Weltkrieg freilich beginnen verschiedeneStaaten, dh die politischen Parteien als Mittler des Volkswillens,die Freiheit der politischen Parteien, also ihre eigeneFreiheit, in einer Art Selbstbeschränkung von Staats wegen inoft ausdrücklicher Anerkennung der parteienstaatlichen Demokratiezu beschränken. Das Bonner GG (1949) zeigt diessehr deutlich: Art 21 GG erkennt die politischen Parteien ausdrücklichan, weist sie eindeutig dem demokratischen Gedankenzu, stellt Grundsätze für ihre innere Ordnung auf und unterwirftsie staatlicher Kontrolle, indem die Möglichkeit derFeststellung der Verfassungswidrigkeit durch das BVerfGvorgesehen wird. Verfassungswidrig sind solche Parteien, dieihren Zielen nach oder dem Verhalten ihrer Anhänger nachua darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnungzu beeinträchtigen oder zu beseitigen; das bedeutetdie Möglichkeit des Verbotes antidemokratischer Parteien.Damit wird eine neue Qualität in das Demokratieverständniseingeführt: die sog wehrhafte Demokratie. 66 In der BRD wurdenauf Grund des Art 21 Abs 2 GG die SozialistischeReichspartei und die KPD für verfassungswidrig erklärt. 67Ähnlich, aber kürzer lauten die Art 49 der Verfassung der ItalienischenRepublik (1948) und Art 4 der Verfassung derFranzösischen Republik (1958); wesentlich detaillierter hingegensind die Art 56 f der Verfassung der Türkischen Republik(1961). 68Dass die großen politischen Parteien in Österreich nachdem 2. Weltkrieg auch eine Art Selbstbeschränkung vornahmen,lässt sich aus deren Parteiprogrammen erschließen: ImAktionsprogramm der SPÖ 1947 heißt es, „die SPÖ sei einegrundsätzlich demokratische Partei, sie lehne den Einheitsstaatab und betrachte das freie Kräftespiel politischer Parteienals notwendige Grundlage der Demokratie“. 69 Im Neuen Parteiprogrammder SPÖ 1958 „bekennt sich die SPÖ zur Demokratie,zur politischen Willensbildung durch Mehrheitsbeschlußunter gleichzeitiger Achtung vor den Rechten der Minderheit“.70 In der Schrift „Alles für Österreich“ der ÖVP 1952„bejaht die ÖVP den Mehrparteienstaat“. 71 Im Grundsatzprogramm„Was wir wollen“ der ÖVP 1958 heißt es, „die ÖVPlehne den Einparteienstaat bedingungslos ab und halte die politischenParteien für das Funktionieren der Demokratie unentbehrlich“.72 Gesetzes- oder gar Verfassungsebene erreichtendiese Aussagen aber nicht. In einem Entwurf der ÖVP ausdem Jahre 1967 wurde die Einführung eines Art 1a in das B-VG vorgesehen, der die politischen Parteien als wesentlicheBestandteile der demokratischen Ordnung festschreibt. Weitersenthält dieser Entwurf die Bestimmung, dass die Zielsetzungder politischen Partei den Grundsätzen der Demokratieentsprechen muss.73, 742.1.1.3 Übergang zur wehrhaften Demokratiedurch § 1 VerbotsG?Wenn man annimmt, dass durch § 1 VerbotsG eine Gesamtänderungdes demokratischen Grundprinzips bewirkt wurde,dann stellt sich die weitere Frage, ob dies den Übergang zueiner wehrhaften Demokratie darstellt (und damit die Möglichkeitböte ohne weitere Gesamtänderung auch politischeParteien anderer antidemokratischer Richtungen zu verbieten).Weder aus dem Text des § 1 VerbotsG noch aus dem Systemdes VerbotsG ist ersichtlich, dass die NSDAP deswegenSeite 184 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


undesverfassungverboten wurde, weil sie antidemokratisch war. Die NSDAPwurde deswegen verboten, weil es als ein vordringliches Zielnach dem 2. Weltkrieg angesehen wurde, „den Nazismus auszurotten“.75 Die Möglichkeit eines Verbotes auch andererParteien wird weder auf einfach- noch auf verfassungsgesetzlicherEbene erwähnt. Allerdings gibt es Anklänge in dieseRichtung in den Debatten zum NationalsozialistenG 1947: 76Berichterstatter Migsch führte aus, „wer grundsätzlich einTodfeind der Demokratie und der Freiheits<strong>recht</strong>e des Individuumssei, habe kein Recht, an der politischen Gestaltung einesdemokratischen Staatswesens mitzuwirken. DieserGrundsatz sei ein Selbstschutzelement der Demokratie“. AbgeordneterKoref meinte, „die Demokratie habe aus der Geschichtegelernt. Es sei ihr Recht und ihre Pflicht, sich zuschützen und zu verteidigen. Das sei das Selbstbehauptungs<strong>recht</strong>der Demokratie“. Trotzdem aber stehen alle diese Aussagenimmer im Zusammenhang mit der Vernichtung des Nationalsozialismus.77Rein tatsächlich wurden in Österreich auch nie andere Parteienals die NSDAP verboten; im speziellen wurde etwa dieKPÖ nie verboten, auch nicht im Zuge der kommunistischenPutschversuche 1947 und 1950, obwohl die KPÖ damals erklärtermaßendie Umwandlung Österreichs in eine Volksdemokratieanstrebte, also die bestehende Form der Demokratiebeseitigen wollte. Sicherlich spielte dabei auch eine Rolle,dass die KPÖ politisch nie wirklich gefährlich wurde, 78 aberauch dass Österreich damals zum Teil von sowjetischen Truppenbesetzt war.Im Ergebnis kann daher wohl angenommen werden, dassdas Verbot der NSDAP durch § 1 VerbotsG nicht den Übergangzu einer wehrhaften Demokratie darstellt, sondern nurein Mittel im Kampf gegen den Nationalsozialismus ist. 792.1.2 § 7 WahlG 19451. Allerdings besteht das VerbotsG nicht nur aus seinem § 1und die Nationalsozialistengesetzgebung nicht nur aus demVerbotsG. § 7 WahlG 1945 80 – ein einfaches Gesetz 81 –schließt Angehörige von bestimmten nationalsozialistischenVerbindungen vom aktiven Wahl<strong>recht</strong> aus; § 36 WahlG 1945bestimmt dasselbe für das passive Wahl<strong>recht</strong>. 82Das allgemeine Wahl<strong>recht</strong>, das die Mitwirkung allerStaatsbürger ohne Unterschied (weitere Kriterien sind nur dasAlter, wodurch aber bloß Kinder und Jugendliche ausgeschlossenwerden dürfen, und die Verurteilung wegen bestimmter,schwererer Straftaten bzw früher auch Geisteskrankheit)nach dem Grundsatz der vollen Gleichbe<strong>recht</strong>igungsichert, ist ein sehr wesentlicher Punkt desdemokratischen Grundprinzips des B-VG, der ausdrücklichin Art 26 Abs 1 B-VG normiert ist. 83 Demokratietheoretischbetrachtet ist wiederum Kelsen zu zitieren, der die Gleichheitin der Freiheit als ein (weiteres 84 ) Hauptziel der Demokratiesieht. 85Der Ausschluss einer größeren Personengruppe aus ideologischenGründen vom aktiven und vom passiven Wahl<strong>recht</strong>stellt zweifellos eine starke Einschränkung dieses Ausgestaltungspunktesdes demokratischen Grundprinzips dar. Es stelltsich also die Frage, ob nicht (auch) damit das demokratischeGrundprinzip derart berührt ist, dass eine Gesamtänderungvorliegt.2. Die – wie gesagt einfachgesetzliche – Bestimmung überden Ausschluss bestimmter Nationalsozialisten vom Wahl<strong>recht</strong>wurde beim VfGH – freilich im Zusammenhang mit einerprimär pensions<strong>recht</strong>lichen Frage – als eventuelle Gesamt-änderungthematisiert. Der VfGH kam in VfSlg 1708/1948 dabeizu dem Ergebnis, dass der Ausschluss des Wahl<strong>recht</strong>s für Angehörigevon nationalsozialistischen Verbindungen keine Gesamtänderungdes demokratischen Prinzips sei, weil „eine solchegrundlegende Änderung nicht gegeben sein kann, wenn,wie hier, der Gesetzgeber ein Verfassungsgesetz mit der erklärtenAbsicht geschaffen hat, die Grundlagen der demokratischenRepublik Österreich sicherzustellen, die durch die NS-Bewegung beseitigt worden war“. 86Interessant erscheint, dass der VfGH in seinen BegründungenArgumente verwendet, die auf eine Gesamtänderungdurch die Nationalistengesetzgebung, und zwar in Richtungauf Einführung eines neuen Grundprinzips, deuten. So kannman durchaus annehmen, dass die Begründung von VfSlg1708/1948 wohl folgendes zum Ausdruck bringt: Der Ausschlussvom Wahl<strong>recht</strong> für Angehörige bestimmter nationalsozialistischerVerbindungen ist keine Gesamtänderung desdemokratischen Prinzips, weil der Verfassungsgesetzgeberdiese Bestimmungen nicht in erster Linie im Hinblick auf dasdemokratische Grundprinzip erlassen hat, sondern vielmehrin der Absicht, die durch das nationalsozialistische Regimebeseitigte österreichische Grundordnung wiederher- und fürdie Zukunft sicherzustellen, also im Hinblick auf eine (andere)grundsätzliche politische Idee, die lauten mag: „Ausrottungdes Nationalsozialismus und Verhinderung seines Wiedererstehens.“In diese Richtung geht auch VfSlg 10.705/1985, wo ausgeführtwird, dass „die kompromißlose Ablehnung des Nationalsozialismusein grundlegendes Merkmal der wiedererstandenenRepublik sei. Ausnahmslos jede Staatstätigkeit habesich ...“ daran „... zu orientieren.“ 87 Auch dies geht in dieRichtung der Geltung eines weiteren Grundprinzips – des antinationalsozialistischenGrundprinzips – in der österreichischenVerfassung; 88 eines Grundprinzips, das nicht im B-VGenthalten war, sondern erst nach dem 2. Weltkrieg eingeführtwurde.Teil 2 folgt im nächsten HeftMMag. Dr. Klaus Zeleny ist wissenschaftlicherMitarbeiter am VwGH;klaus.zeleny@vwgh.gv.at.<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 185


sonderthema* Die Fragestellung, um die es in dieser grundsätzlich <strong>recht</strong>sdogmatischkonzipierten Arbeit gehen soll, ist jene, die geltende österr Rechtsordnungdaraufhin zu untersuchen, ob die Bundesverfassung ein antinationalsozialistischesGrundprinzip enthält. Dabei treten viele (<strong>recht</strong>s-)historische Bezugspunkteauf, zum einen weil auch schon aufgehobene Rechtsvorschriftendogmatisch untersucht werden müssen, zum zweiten weil es auch beibis heute geltenden Rechtsvorschriften nicht nur auf ihr heutiges Verständnis,sondern auch auf ihr früheres Verständnis, dh auch auf die damaligeLit, ankommen kann (wenngleich eine Änderung des Inhaltes der Rechtsvorschriftdurch bloße Änderung des Verständnisses in der Lit im B-VG nichtvorgesehen ist und daher sehr wohl einer Anordnung durch eine weitereRechtsvorschrift bedarf; eine solche könnte im Bereich der Grund<strong>recht</strong>edie EMRK sein) (ähnlich ist die Situation in Bezug auf die nach dem B-VGgrundsätzlich einzelfallbezogene Jud) und zum dritten weil auch historischeTatsachen von Bedeutung sind, die sich allerdings nicht immer bis zur völligenKlärung erhellen lassen. Gerade in diesem Zusammenhang, aber auchwegen der in einigen Teilbereichen, insb zu Fragen der Staatslehre (Demokratietheorie)nahezu unüberblickbar gewordenen Lit, letztlich aberauch ganz grundsätzlich sollte schon aus dem Fragezeichen im Titel, aberauch aus dem Umfang der Arbeit deutlich werden, dass diese Untersuchungnur ein Diskussionsbeitrag sein kann, der einige wichtige Punkte zur aufgeworfenenFrage näher, wenn auch, uzw insb in Bezug auf Lit und Jud,nicht abschließend beleuchtet, und keine endgültige Antwort auf die gestellteFrage bzw keine endgültige Antworten auf die vielfältigen, sich imZuge der Untersuchung auftuenden Fragen bieten kann (sofern in der Wissenschaftüberhaupt jemals endgültige Antworten erzielbar sind).Mein besonderer Dank gilt zum einen Herrn em.O.Univ.-Prof. DDr.Dr.h.c.Robert Walter, der mich vor über 10 Jahren auf einen Teilaspekt dieserArbeit aufmerksam gemacht und damit den Beginn meiner Forschungenangestoßen hat, und zum anderen Herrn Präsidenten des VwGH Univ.-Prof.Dr. Clemens Jabloner, der mich, nachdem er ein dem nunmehr veröffentlichtenBeitrag sehr nahe kommendes Manuskript gesehen hatte, immerwieder ermuntert hat, die Publikation vorzunehmen.1) BGBl 1920/1; hier wird in Hinkunft immer die Abkürzung B-VG verwendet,wenn der Stand des B-VG zu Beginn der 2. Republik gemeint ist.2) StGBl 1945/1 (hinfort: UnabhErkl); diese wurde gem dem Abdruckim StGBl am 27. 4. 1945 unterzeichnet und laut den Angaben im Kopf des1. Stückes des StGBl 1945 am 1. 5. 1945 ausgegeben. Im selben Stück desStGBl 1945 ist die Einsetzung einer provisorischen Staatsregierung (StGBl1945/2; hinfort: ProvStReg) und die Regierungserklärung (StGBl 1945/3)kundgemacht (beide wurden ebenfalls am 27. 4. 1945 unterzeichnet).3) Vgl Zeleny, Artikel „Revolution“, in: Mayer (Hrsg), Fachwörterbuchzum Öffentlichen Recht (2003) (hinfort zit als Zeleny, Art „...“; in diesemWerk sind auch jeweils weitere Nachweise insb der Lehrbuchlit angeführt);vgl auch Oberndorfer, in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungs<strong>recht</strong>(3. Lfg, 2000) Rz 4 zu Art 1 B-VG; Jabloner, Verfassungs<strong>recht</strong>licheGrundordnung und historisch erste Verfassung, JRP 2001,34 ff (40); Janko, Gesamtänderung der Bundesverfassung (2004) 111 f;vgl auch Schnizer, Österreichische Verfassungsmythen und Erkenntnis desRechts, JRP 2004, 16 ff, der zwar zunächst beachtliche Argumente gegendiese Sichtweise vorbringt (auf die hier aber nicht eingegangen werdenkann), dann aber aus der (rein tatsächlichen) Annahme der hL, Jud undPraxis, dass die UnabhErkl die historisch erste Verfassung ist, ableitet, dassdies auch in der <strong>recht</strong>sdogmatischen Betrachtungsweise so ist. AA Rill/Schäffer, in: Rill/Schäffer (Hrsg), Bundesverfassungs<strong>recht</strong> (1. Lfg, 2001)Rz 36 FN 112 zu Art 1 B-VG, die meinen, dass sich das zwar von NR undBR einstimmig beschlossene, aber vom Alliierten Rat nicht genehmigte unddaher auf dem Boden der UnabhErkl und des (1.) V-ÜG nicht in Geltunggetretene (3.) V-ÜG (RV 1 BlgNR, V. GP) tatsächlich durchgesetzt hat undsomit die historisch erste Verfassung sei. Vgl auch unten.4) StGBl 1945/4 (hinfort: [1.] V-ÜG); dieses wurde tatsächlich am 13.5. 1945 beschlossen, aber gem Art 6 rückwirkend mit 1. 5. 1945 in Kraftgesetzt und auch im Kopf des 2. Stückes des StGBl 1945 mit dem Ausgabedatum1. 5. 1945 versehen (auf die damit verbundenen Probleme kannhier nicht eingegangen werden); vgl Renner, Denkschrift über die Geschichteder Unabhängigkeitserklärung (1945) 26; Schärf, Österreichs Erneuerung(1955) 51; Neues Österreich vom 15. 5. 1945, 1; zum historischenAblauf vgl auch Schnizer, JRP 2004, 18 ff.5) Auf die Lage zwischen dem 27. 4. und dem 1. 5. 1945 kann hier nichteingegangen werden.6) Hinfort wird nur von dem zum Beginn der 2. Republik geltenden Art44 Abs 2 B-VG gesprochen.7) Hier kann nicht auf das Problem eingegangen werden, dass das B-VG 1920 allein durch die Konstituierende Nationalversammlung, dh ohneVolksabstimmung beschlossen wurde; trotzdem wird mit sehr guten Gründenangenommen, dass auch eine Abschaffung bzw Änderung des Art 44Abs 2 B-VG nur durch Gesamtänderung (also unter den erschwerten Bedingungendes Art 44 Abs 2 B-VG) vorgenommen werden darf, Art 44 Abs2 B-VG also den Rang eines Grundprinzips hat; vgl Mayer, Bundes-Verfassungs<strong>recht</strong> 3 (2002) Anm II.2. zu Art 44 B-VG; Rill/Schäffer, in: Rill/Schäffer (Hrsg), Bundesverfassungs<strong>recht</strong> (1. Lfg, 2001) Rz 17 zu Art 44 B-VG; Mayer, Verfahrensfragen der direkten Demokratie, FS Schambeck(1994) 518; Janko, Gesamtänderung, 261 ff; Zeleny, Art „Grundprinzip“.8) Vgl schon Kelsen/Froehlich/Merkl, Die Bundesverfassung vom 1. Oktober1920 (Neudruck 2003) 124 (wo bezüglich der Änderung der „Grundlagendes Staatswesens“ sowohl eine materielle als auch eine formelleSichtweise als möglich angeführt wird, aber bei letzterer auch eine materielleKomponente verlangt wird); Merkl, Die Baugesetze der österreichischenBundesverfassung, in: Klecatsky (Hrsg), Die Republik Österreich(1968) 79; vgl auch Rill/Schäffer, Rz 13 ff zu Art 44 B-VG; Oberndorfer, Rz8 zu Art 1 B-VG; Jabloner, JRP 2001, 40; Janko, Gesamtänderung, 61 ff;Zeleny, Art „Grundprinzip“.9) Vgl schon Kelsen/Froehlich/Merkl, Bundesverfassung, 65 (zu Art 1 B-VG), 66 (zu Art 2 B-VG); Kelsen, Österreichisches Staats<strong>recht</strong> (1923) 164;Walter, Österreichisches Bundesverfassungs<strong>recht</strong>. System (1972) § 34;Ringhofer, Die österreichische Bundesverfassung (1977) 14; vgl auch Rill/Schäffer, Rz 1 ff zu Art 1 B-VG und Rz 15 zu Art 44 B-VG; Jabloner, JRP2001, 43; Janko, Gesamtänderung, 82 ff; Zeleny, Art „Grundprinzip“.10) Vgl Walter, System, § 33; Loebenstein, Das verfassungswidrige Verfassungsgesetz,FS Walter (1991) 444 f; Rill/Schäffer, Rz 4 zu Art 1 B-VGund Rz 21 zu Art 44 B-VG; Mayer, Bundes-Verfassungs<strong>recht</strong>, Anm II.2. zuArt 44 B-VG; Jabloner, JRP 2001, 41 ff; Zeleny, Art „Grundprinzip“.Gerade in diesem – durch das B-VG 1920 (bis heute) nicht bezüglich allerGrundprinzipien ausdrücklich programmatisch erwähnten – Bereich könntedie oben angedeutete Frage gestellt werden, nämlich ob dem B-VG 1920Grundprinzipien „unterstellt“ werden dürften, die erst später in der Lit angesprochenwurden. Wenn die Argumente, die für die Annahme des Grundprinzipssprechen, dh die verfassungsgesetzlichen Bestimmungen, die dasGrundprinzip konstituieren, schon im B-VG 1920 vorhanden waren, ist mEzwingend, dass das Grundprinzip schon im B-VG 1920 normiert war, abererst später quasi erkannt wurde. Wäre man anderer Meinung, hieße das,dass durch die Lit Grundprinzipien in das B-VG 1920 eingeführt werdenkönnten; dies aber scheint mit Art 44 Abs 2 B-VG unvereinbar, der einebestimmte Form für die Erzeugung bzw Änderung bzw Abschaffung vonGrundprinzipien vorsieht. Vgl dazu auch Janko, Gesamtänderung, 109 ff,der aber schließlich annimmt, dass eine Gesamtänderung nur dann vorliegt,wenn der Verfassungsgesetzgeber vom „gesamt<strong>gesellschaft</strong>lichen“ Verfassungskonsensim jeweiligen Zeitpunkt des Beschlusses der Verfassungsänderungabweicht, der aber nicht empirisch-soziologisch festzustellen ist;damit ist er wohl nahe an der mE nicht zutreffenden Meinung.Anderes könnte man bezüglich des Inhaltes eines Grundprinzipes annehmen,da dieser – in gewissen Grenzen, nämlich jenen der Gesamtänderung– durch einfaches Verfassungs<strong>recht</strong> abänderbar ist; vgl auch Jabloner, JRP2001, 44.11) Vgl etwa Rill/Schäffer, Rz 14 ff zu Art 44 B-VG; Zeleny, Art „Grundprinzip“.Auf die Sonderfälle der Einführung eines neuen Grundprinzips (ohnegleichzeitige Veränderung eines bestehenden Grundprinzips; vgl dazuinsb die Diskussion bezüglich der Einführung der immerwährenden NeutralitätÖsterr; diesfalls ist entscheidend, ob die Rechtsvorschrift unterDurchführung einer Volksabstimmung iSd Art 44 Abs 2 B-VG erzeugt wurdeoder nicht; daher ist die immerwährende Neutralität kein Grundprinzip; vglZeleny, Art „Grundprinzip“ und „Neutralität“), einer Gesamtänderung durchStaatsvertrag (bedarf keiner Volksabstimmung iSd Art 44 Abs 2 B-VG, weilArt 50 B-VG nicht darauf verweist [umstritten]; vgl Mayer, Bundes-Verfassungs<strong>recht</strong>,Anm III. zu Art 50 B-VG) sowie der vom VfGH und von Teilender Lit angenommenen Möglichkeit der sog schleichenden Gesamtänderung,also der Gesamtänderung durch mehrere in zeitlicher Folge ergehenderRechtsakte, die je für sich betrachtet keine Gesamtänderung darstellen(vgl dazu insb VfSlg 11.927/1988; VfSlg 16.327/2001; vgl auch Mayer, Bundes-Verfassungs<strong>recht</strong>,Anm II.3. zu Art 44 B-VG; Zeleny, Art „Grundprinzip“),kann hier nicht eingegangen werden. Zur Entstehungsgeschichte desArt 44 Abs 2 B-VG vgl auch Janko, Gesamtänderung, insb 25 ff.12) Hinfort: iZm.13) Vgl etwa Adamovich, Grundriß des österreichischen Staats<strong>recht</strong>s 2(1932) 275; Walter, System, § 33; Ringhofer, Bundesverfassung, 151; Mayer,Bundes-Verfassungs<strong>recht</strong>, Anm II.2. zu Art 44 B-VG; Mayer, FS Schambeck,512 und 518; Öhlinger, Verfassungs<strong>recht</strong>liche Aspekte eines BeitrittsÖsterreichs zu den EG (1988) 35 ff; Zeleny, Art „Grundprinzip“.14) BGBl 1929/392.15) Vgl zu den einzelnen Punkten nur Walter/Mayer, Bundesverfassungs<strong>recht</strong>9 (2000) Rz 63.16) Vgl Adamovich, Staats<strong>recht</strong>, 45; Merkl, Das <strong>recht</strong>liche Ergebnis desSeite 186 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


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undesverfassungVerfassungskampfes, JBl 1930, 1; vgl auch Janko, Gesamtänderung, 50.17) Merkl, JBl 1930, 1; vgl auch Kelsen, Die Verfassungsreform, JBl 1929,445 ff, 457, der zur – damals sich noch im Vorbereitungsstadium befindlichen– B-VG-Novelle meint, dass „man die Ansicht vertreten kann, dass essich um eine Gesamtänderung handelt“.18) Um diese Problematik anzudeuten, habe ich im Fachwörterbuch desÖffentlichen Rechts Artikel „Grundprinzip“ bzw im gleichnamigen Artikelvon „antinationalsozialistischer Grundtendenz“ gesprochen; vgl auch diedort zit Lehrbuchlit, die zT von einer diesbezüglichen „Staatszielbestimmung“spricht.Auf die anderen in diese Richtung diskussionswürdigen Fälle – Einführungder immerwährenden Neutralität (vgl Zeleny, Art „Neutralität“ und oben),EU-Beitritt (vgl Zeleny, Art „Grundprinzip“; die hL nimmt mE zutreffend an,dass damit eine Gesamtänderung verbunden war; es hat auch eine Volksabstimmungstattgefunden), schleichende Gesamtänderung (vgl Zeleny,Art „Grundprinzip“ und oben) – kann hier nicht eingegangen werden.19) Als Verfassungsgesetz vom 8. 5. 1945 im StGBl 1945/13 mit demAusgabedatum 6. 6. 1945 kundgemacht und gem seinem § 28 mit demTag der Kundmachung in Kraft getreten.20) Vgl schon Kelsen/Froehlich/Merkl, Bundesverfassung, 65 f; vgl auchZeleny, Art „Demokratie“.21) Vgl schon Kelsen, Staats<strong>recht</strong>, 164; Merkl, Der <strong>recht</strong>liche Gehalt derösterreichischen Verfassungsreform vom 7. Dezember 1929, ZÖR 1931,161; Rill/Schäffer, Rz 6 ff zu Art 1 B-VG; Oberndorfer, Rz 10 ff zu Art 1 B-VG; Mayer, Bundes-Verfassungs<strong>recht</strong>, Anm II. zu Art 1 B-VG; Mayer, FSSchambeck, 512; Mayer, Plebiszitäre Instrumente in der staatlichen Willensbildung,FS 75 Jahre Bundesverfassung (1995) 347; vgl auch Zeleny,Art „Demokratie“.22) Schambeck, Politische Parteien und österreichische Staats<strong>recht</strong>sordnung,FS Walter (1991) 606 f.23) Kelsen, Staats<strong>recht</strong> 77; Schambeck, Die Demokratie, in: Schambeck(Hrsg), Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung(1980) 209.24) Nämlich durch die von den Vertretern der drei politischen Parteien(SPÖ, ÖVP und KPÖ) unterzeichnete UnabhErkl.25) Pelinka, Parteien und Verbände, in: Pelinka/Welan, Demokratie undVerfassung in Österreich (1971) 265; Schambeck, Demokratie, 209; Berichtder BReg über ihre Rechtsauffassung betreffend die Stellung der politischenParteien, in: Stiefbold ua (Hrsg), Wahlen und Parteien in Österreich,Band II, Teil B (1966) 871.26) Auf die strikte Unterscheidung der Begriffe „politische Partei“ – „wahlwerbendePartei“ – „Parlamentspartei“ wie zB bei Kostelka, Politische Parteienin der österreichischen Rechtsordnung, FS Floretta (1983) 40 sei nurverwiesen; vgl auch Zeleny, Art „politische Partei“.27) § 23 des Gesetzes betreffend die Wahl der Mitglieder des Abgeordnetenhausesdes Reichsrates RGBl 1907/17; vgl auch Kelsen, Kommentarzur österreichischen Reichsratswahlordnung (1907) 106.28) In der Folge vgl §§ 18 ff WahlO 1918, StGBl 1918/115 und §§ 46 ffWahlO 1923, BGBl 1923/367.29) RGBl 1867/134.30) Nach § 6 VereinsG 1867 konnte die Bildung eines Vereines untersagtwerden, wenn der Verein staatsgefährlich war.31) StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl 1867/142.32) RGBl 1869/66.33) Kelsen, Staats<strong>recht</strong>, 64; StGBl 1918/3, StGBl 1919/249, Art 149 B-VG.34) BGBl 1947/251; vgl dazu Ermacora, Handbuch der Grundfreiheitenund der Menschen<strong>recht</strong>e (1963) 286 f.35) Der hohe Abstraktionsgrad der Grundprinzipien lässt es durchaus vertretbarerscheinen, in die <strong>recht</strong>sdogmatischen Überlegungen auch dieÜberlegungen der Staatslehre zur Entstehungszeit (besser -epoche) des B-VG 1920 einzubeziehen, aber nicht ohne auf die größere Unsicherheit inder Gewichtung aufmerksam zu machen, die insb darin liegt, dass konkreteVerknüpfungen zwischen dem Willen des historischen Gesetzgebers (derKonstituierenden Nationalversammlung) und bestimmten staatstheoretischenGrundpositionen hier nicht aufgefunden wurden, während ausgearbeiteteÄußerungen insb in demokratietheoretischer Richtung von Kelsenzwar vorliegen, dieser aber am Entstehungsprozess des B-VG 1920 als Legistbeteiligt war (vgl in diese Richtung etwa Öhlinger, Verfassungs<strong>recht</strong> 4[1999] Rz 64, wonach Grundprinzipien „im Lichte jener theoretischen Konzeptionenüber Demokratie, Republik, Bundesstaat und auch Rechtsstaatzu interpretieren“ sind, „von denen die Schöpfer der Bundesverfassung geleitetwaren“; sowie Adamovich/Funk/Holzinger, Österreichisches Staats<strong>recht</strong>,Band I [1997] Rz 01.031 mit dem iZm der „Spielregelverfassung“gegebenen Hinweis auf Kelsen). Kelsens demokratietheoretisches Konzeptwar geprägt von der Idee, möglichst alle politischen Kräfte sich am Bewerbum die Mehrheit der Stimmen beteiligen zu lassen (vgl gleich unten), einAspekt, der in der Lit meist als „Spielregelverfassung“ angesprochen wird(vgl auch Zeleny, Art „Demokratie“). Rein tatsächlich, dh politisch betrachtet,bestanden aber innerhalb der meisten politischen Parteien (und damitauch in den Mitgliedern der Konstituierenden Nationalversammlung) Strömungen(uzw während der 1. Republik überhaupt), die unter „Demokratie“etwas anderes, nämlich die Einrichtung des Staates nach ihren Vorstellungen,verstanden. Aber vielleicht ist es gerade deshalb schlüssig, von einemdemokratietheoretischen Konzept des B-VG 1920 zu sprechen, das – alskleinster gemeinsamer Nenner – eben allen diesen Strömungen in sehrliberaler Weise den Bewerb um die Mehrheit der Stimmen gestattet.36) Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie 2 (1929) 14; Leibholz,Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im20. Jahrhundert 2 (1968) 219; Walter, System, § 34; Adamovich, Handbuchdes österreichischen Verfassungs<strong>recht</strong>s 6 (1971) 76.37) Leibholz, Repräsentation, 224 ff; Berchtold (Hrsg), ÖsterreichischeParteiprogramme 1868 – 1966 (1967) 1.38) Kelsen, Demokratie, 19 ff, insb 20: „Nur Selbsttäuschung oder Heucheleikann vermeinen, daß Demokratie ohne politische Parteien möglichist. Die Demokratie ist notwendig und unvermeidlich ein Parteienstaat.“39) Schambeck, Demokratie, 209.40) Merkl, Der Staat und die politischen Parteien, JB des ÖsterreichischenGewerbevereins 1962, 67.41) Während andere Bereiche des demokratischen Prinzips relativ genauim B-VG geregelt wurden, man denke nur an das Wahl<strong>recht</strong>.42) Kelsen, Demokratie, 1 und 93; zum anderen Hauptziel, der Gleichheitin der Freiheit bei der Teilnahme am politischen Prozess, vgl unten.Zur Einschränkung dieser Freiheit durch § 3 VerbotsG siehe unten beimliberalen Grundprinzip unter dem Blickwinkel der Meinungsfreiheit.43) Merkl, Die Zukunft der Demokratie – Hoffnung oder Verhängnis? FSVerdross (1971) 271.44) Merkl, Die Wandlungen des Rechtsstaatsgedankens, ÖVwBl 1937,179; Merkl, Idee und Gestalt der politischen Freiheit, FS Giacometti (1953)175 f; Merkl, Baugesetze, 92; Schambeck, Demokratie, 212.45) Kelsen, Demokratie, 99.46) Kelsen, Demokratie, 101.47) Kelsen, Demokratie, 61.48) Kelsen, Verteidigung der Demokratie, Blätter der Staatspartei, 2. Jg,Heft 3/4, 1932, 98.49) Kaufmann (Hrsg), Gustav Radbruch, Gesamtausgabe Band 1 RechtsphilosophieI (1987) 80; Radbruch, Kulturlehre 2 (1927) 39; Radbruch,Rechtsphilosophie (1932) VIII und 77.50) Kelsen spricht von der Parteienfeindlichkeit der alten Monarchie (Demokratie,20); vgl auch die Ausführungen über das VereinsG RGBl 1867/134.51) Mit Hilfe des Vereins<strong>recht</strong>s wurden tatsächlich auch „Vorfeldorganisationen“verboten (zB Zentralorganisation der Auswanderer nach Sowjetrußland,vgl VfSlg 37/1921; Internationale Rote Hilfe, vgl VfSlg 405/1925;Föderation syndikalistischer Hotel-, Gast- und Kaffeehausangestellter, vglVfSlg 625/1926; Verband der Proletarierjugend Österreichs, vgl VfSlg 1458und 1459/1932), nie aber politische Parteien an sich.52) Etwa durch die Möglichkeit, bestimmten Gruppen die Kandidatur beiden Wahlen zu verbieten, was aber den WahlOn 1918 und 1923 unbekanntwar.53) Alle Angaben aus: Stiefbold ua (Hrsg), Wahlen und Parteien in Österreich(1966), Band III, Teil C, 26 ff.54) Weinzierl/Skalnik, Österreich 1918 – 1938, Band 2 (1983) 1095 ff.55) RGBl 1917/307.56) Verbot der KP vom 26. 5. 1933, BGBl 1933/200; Verbot der NSDAPvom 19. 6. 1933, BGBl 1933/240; Verbot der SP vom 12. 2. 1934, BGBl1934/78.57) Vgl Raschauer, Die Rechtsstellung politischer Parteien, in: Pelinka/Plasser (Hrsg), Das österreichische Parteiensystem (1988) 557.Andere, später gegründete politische Parteien bildeten sich aber sehr wohlnach dem Vereins<strong>recht</strong>.58) 437 BlgNR, V. GP.59) BGBl 1975/404.60) JBl 1976, 85 f.61) 1680 BlgNR, XIII. GP.62) Kelsen, Demokratie, 98 f.Auf die Frage, ob im Lichte des republikanischen Grundprinzips und desgem Art 149 B-VG als Verfassungsgesetz geltenden HabsburgerG, StGBl1919/209, (insb dessen § 1) eine politische Partei, die Werbung für dieAbschaffung des republikanischen Grundprinzips und Wiedererrichtung derHabsburgermonarchie, unzulässig (gewesen) wäre, kann hier nicht eingegangenwerden; vgl zur Problematik auch Kolonovits, Habsburgergesetz,in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungs<strong>recht</strong> (4.<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 187


sonderthemaLfg, 2001) insb Rz 13.63) Vgl auch Knauthe, 3. ÖJT, Band II, 2. Teil, 64, der annimmt, dassdie Nationalsozialistengesetzgebung das demokratische Grundprinzip abgeänderthat.64) Radbruch, Relativismus (1934) 86.65) Methodisch aA Janko, Gesamtänderung, 164 ff, der meint, dass eineGesamtänderung nur dann vorliegt, wenn der Verfassungsgesetzgebervom im Zeitpunkt der Erzeugung des in Frage stehenden Verfassungsgesetzesbestehenden „gesamt<strong>gesellschaft</strong>lichen Verfassungskonsens“ abweicht(dh mE dass dann, wenn der Verfassungsgesetzgeber nur das„nachvollzieht“, was gerade bestehender „gesamt<strong>gesellschaft</strong>licherVerfassungskonsens“ ist, keine Volksabstimmung iSd Art 44 Abs 2 B-VGerforderlich ist, und dass nur dann, wenn der Verfassungsgesetzgeber etwasnormiert, was nicht der gerade bestehende „gesamt<strong>gesellschaft</strong>licheVerfassungskonsens“ ist, eine Volksabstimmung iSd Art 44 Abs 2 B-VGerforderlich ist); der „gesamt<strong>gesellschaft</strong>liche Verfassungskonsens“ seiaber nicht empirisch-soziologisch festzustellen, sondern dies solle so gehandhabtwerden wie der VfGH die Grund<strong>recht</strong>e judiziert. Abgesehen davon,dass mE Art 44 Abs 2 B-VG diese Auslegung nicht trägt, bleibt damitmE auch offen, wie der „gesamt<strong>gesellschaft</strong>liche Verfassungskonsens“ aufeine objektive nachprüfbare Weise festgestellt werden soll (und nicht bloßeine „Ermächtigung“ an den VfGH gemeint ist, nach seinem Gutdünken[was durchaus eine mögliche, die Übertragung der Entscheidung an denVfGH deutlich machende, freilich mE der Normierung durch Gesamtänderungbedürfende Option wäre], freilich bezeichnet als „gesamt<strong>gesellschaft</strong>licherVerfassungskonsens“ [was eine mE als bloße Verschleierungder Entscheidungsbefugnis des VfGH abzulehnende Option ist] zu entscheiden).66) Nach v. Münch, Grundgesetz-Kommentar, Band 2 (1976) 1, ist Art21 Abs 2 GG der Versuch, Lehren aus der Zeit der Weimarer Republik zuziehen, die an ihrer Toleranz gegenüber den Feinden der Demokratie zugrundegegangenist; vgl auch Leibholz/Rinck/Hesselberger, Kommentarzum Grundgesetz 6 , Band 2 (1989) Art 21, Rz 14; Morlok, in: H. Dreier(Hrsg), Grundgesetz, Bd II (1998) insb Rz 135 ff zu Art 21 GG.67) BVerfGE 2, 1 ff und BVerfGE 5, 85 ff.68) Abgedruckt bei: Pelinka, Demokratie, 269.69) Abgedruckt bei Berchtold, Parteiprogramme, 268 ff.70) Abgedruckt bei Berchtold, Parteiprogramme, 286 ff.71) Abgedruckt bei Berchtold, Parteiprogramme, 379 ff.72) Abgedruckt bei Berchtold, Parteiprogramme, 386 ff.73) Vorschläge der ÖVP zur Regelung der Rechtsstellung der Parteien,abgedruckt bei: Pelinka/Welan, Demokratie, 351 ff.74) Auf das ParteienG kann hier nicht eingegangen werden.75) Renner, Drei Monate Aufbauarbeit der Provisorischen Staatsregierungder Republik Österreich (1945) 9 f, gebraucht die im Haupttext angeführtenWorte als Kapitelüberschrift; Neck, Innenpolitische Entwicklung, in: Weinzierl/Skalnik(Hrsg), Die Zweite Republik, Band 1 (1972) 157; vgl auch diezahlreichen diesbezüglichen Wortmeldungen in den Debatten über dasNSG, StProtNR V. GP, 28. S am 24. 7. 1946 und StProtBR, 11. S am 26. 7.1946.76) Erstmals im NR beschlossen am 24. 7. 1946, nach Änderungswünschender Alliierten erneut beschlossen am 6. 2. 1947, BGBl 1947/25 (hinfort:NSG).77) Vgl auch die Ausführungen des Abgeordneten Frisch, vgl unten.78) Pelinka, Auseinandersetzung mit dem Kommunismus, in: Weinzierl/Skalnik (Hrsg), Die Zweite Republik, Band 1 (1972) 180 ff, insb 194: Zitataus Figls Rundfunkansprache vom 18. 1. 1948: „Eine kommunistische Gefahrgibt es in Österreich nicht.“79) Vgl auch Schambeck, FS Walter, 623; Rill/Schäffer, Rz 35 zu Art 1 B-VG sprechen in diesem Zusammenhang von einer „partiell wehrhaften Demokratie“.80) StGBl 1945/198.81) Nicht behandelt werden kann hier die Frage, ob für die Qualifikationeiner Gesamtänderung als solcher ausschließlich Verfassungsbestimmungenherangezogen werden dürfen oder auch die einfachgesetzliche, vielleichtauch die untergesetzliche Rechtslage; in aller Regel werden grundprinzipienwidrigeeinfache G auch gegen einfaches Verfassungs<strong>recht</strong> verstoßen,sodass dies ihre Aufhebbarkeit sicherstellt; der VfGH prüft allerdingsgelegentlich einfache G direkt am Maßstab der Grundprinzipien (vgl Zeleny,Art „Rechtsstaat“). Hier dienen Verweise auf einfache Gesetze idR als weitereIndizien für die antinationalsozialistische Grundhaltung in Österr nachdem 2. Weltkrieg, deren Erheblichkeit für die Annahme einer Gesamtänderungeines bestimmten Grundprinzips schon durch verfassungsgesetzlicheBestimmungen dargetan wurde.82) Vgl auch § 18 VerbotsG idF des NSG.83) Vgl Zeleny, Art „Demokratie“ und „Wahl<strong>recht</strong>sgrundsatz“. Vgl auchRill/Schäffer, Rz 42 zu Art 1 B-VG (allerdings bezogen auf Art 9 Stv v Wien).84) Zum einen Hauptziel, der Freiheit des einzelnen, vgl oben.85) Kelsen, Demokratie, 1 und 93; vgl auch Adamovich, Handbuch, 76;Ringhofer, Kommentar, 14.86) Weiters wurde in diesem Erk auch die Einschränkung des Gleichheitsgrundsatzesdurch die Nationalsozialistengesetzgebung als Gesamtänderungthematisiert, aber vom VfGH verneint; vgl unten. In der Folge ziehtder VfGH immer wieder VfSlg 1708/1948 heran, um generell zu begründen,dass mit der Nationalsozialistengesetzgebung keine Gesamtänderung derVerfassung verbunden sei.87) Dass der VfGH zum Ergebnis kommt, dass keine Gesamtänderungvorliegt, mag vielleicht auch damit zusammenhängen, dass damit das Problem,dass in diesem Zusammenhang nie die von Art 44 Abs 2 B-VG geforderteVolksabstimmung stattgefunden hat, nicht in den Blick kommt.Dass die hier angenommene Gesamtänderung ohne Volksabstimmungdurchaus verfassungskonform ist, wird unten erläutert werden.88) Vgl auch Ucakar, Verfassung – Geschichte und Prinzipien, in: Dachsua, Handbuch des politischen Systems Österreichs (1991) 93.Seite 188 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


justiz und randgruppenthemaJustiz undRandgruppenEinleitungOliver ScheiberDas Recht auf besondere Aufmerksamkeit –neue Herausforderungen für ein faires VerfahrenDer Gleichheitssatz nimmt unter den Grund<strong>recht</strong>en eine besondereStellung ein. Der Staat soll gleiche Sachverhaltegleich behandeln und mit seinen Bürgerinnen und Bürgernnicht ohne sachliche Rechtfertigung unterschiedlich umgehen.Zur Unterstützung dieses Gebots ist in den letzten Jahrenund Jahrzehnten, nicht zuletzt auf europäischer Ebene, eineAntidiskriminierungsgesetzgebung entwickelt worden. Dieseist auch notwendig: keine Gesellschaft ist homogen; überallgibt es Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben. DasAbgleiten an den Rand der Gesellschaft kann vielfältige Ursachenhaben: wirtschaftliche Gründe wie Langzeitarbeitslosigkeitebenso wie Krankheit, einen von der Mehrheit der Bevölkerungabweichenden Lebensstil oder ganz einfach mangelndeKenntnisse der Landessprache, die eine Teilnahme amsozialen Leben verhindern. Die Randsituation führt regelmäßigzu einer besonderen Verletzlichkeit der betroffenen Personengruppe.Sind sich Gesellschaft, Staat und Behörden dieserVerletzlichkeit nicht bewusst, kann das fatale Folgen haben.Die Problematik lässt sich gut am Beispiel gehörloserMenschen illustrieren. Ein gehörloser Mensch wächst gleichsamals Fremder im eigenen Land auf; von klein auf ist ihmschon der Zugang zum führenden Informationsmedium Fernsehenweitgehend abgeschnitten. Daraus resultiert ein hoherProzentsatz an kaum alphabetisierten gehörlosen Personen;aus Scham unterschreiben diese Personen im Alltag Verträge,die sie nicht lesen können, sie erhalten Mahnschreiben, die sienicht verstehen und versäumen deshalb Fristen. Resultierenaus all dem Gerichtsverfahren, stehen dem Gehörlosen vorGericht allzu oft nur unqualifizierte Dolmetscher zur Verfügung.Die vielen Schwierigkeiten gehörloser Menschennimmt die Öffentlichkeit kaum wahr. Viel zu wenig wurdebisher überlegt, wie man Gehörlosen zumindest vor Gerichtein faires Verfahren einräumen kann.Unsere neoliberale Gesellschaft drängt tendenziell immermehr Menschen an den Rand; das Idealbild eines gleichbe<strong>recht</strong>igtenZusammenlebens möglichst vieler (aller) Menschenist weiter entfernt als noch vor einigen Jahren. Umsowichtiger sind Schutzmechanismen für die Schwächeren. Fürdie Justiz bedeutet dies eine besondere Herausforderung. Dergleiche Zugang zum Recht ist wesentliche Voraussetzung fürden Rechtsstaat. Die Einrichtung der Verfahrenshilfe etwa istein erprobtes Mittel, wirtschaftlich benachteiligten Bürgerinnenund Bürgern vor Gericht gleiche Chancen einzuräumen.Der Ausgleich unterschiedlicher wirtschaftlicher Möglichkeitenreicht aber nicht mehr aus; zunehmend steigt die Erkenntnis,dass verschiedenste Bevölkerungsgruppen im Verfahreneiner besonderen Aufmerksamkeit der Behörden undGerichte bedürfen, damit ein faires Verfahren gewährleistetist. Während es früher darum ging, allen den Zugang zu Gerichtzu ermöglichen, sind wir heute einen Schritt weiter: essollen auch alle ein rundum faires Verfahren erhalten. Dabeirückt unter anderem die Frage der Kommunikation in den Mittelpunkt:noch lange sind nicht alle gleichbe<strong>recht</strong>igt in ihrenAusdrucksmöglichkeiten vor Gericht.Sobald es um Fragen von Randgruppen und deren Stellungin Behörden- und Gerichtsverfahren geht, ist eine interdisziplinäreZusammenarbeit gefragt. Die Richterinnen und Richter,ja die Rechtsberufe überhaupt, sind auf die Kompetenzder jeweiligen Experten angewiesen, um Probleme einzelnerGruppen zu erkennen und Lösungen zu finden. Dieser interdisziplinäreAnsatz ist als künftiger Trend jeder Justizgesetzgebungbereits auszumachen. Er war auch selbst gestecktesZiel bei der Gestaltung dieses Heftschwerpunkts.Das Thema dieses Hefts will auf die Schwierigkeiten einzelnerBevölkerungsgruppen bei ihrem Zusammentreffen mitder Justiz aufmerksam machen und die Vertreter der Rechtsberufeauf bisher vielleicht zu wenig beachtete Fragestellungenhinweisen. Auf die Gefahr hin, bestehende Stigmatisierungenzu verstärken, müssen dabei vielfach unbewusste Benachteiligungeneinzelner Gruppen benannt werden. Betroffensind vor Gericht etwa schwarzafrikanische Verdächtige.Viele dieser Personen leiden zum einen an der mangelndenVersorgung während eines laufenden Asylverfahrens (zu wenigUnterbringungsstätten, keine Beschäftigungsmöglichkeiten);wie Alexia Stuefer im ersten Beitrag des Themas belegt,machen die Strafgerichte das Tatbestandsmerkmal der Gewerbsmäßigkeitzu einem kriminalpolitischen Instrument insbesonderegegenüber asylsuchenden Schwarzafrikanern.Mit den schon angesprochenen Kommunikationsfragen befasstsich Mira Kadric in einem Beitrag zum Gerichtsdolmetschen.Die noch junge Disziplin der Translationswissenschaftleistet heute wesentliche Beiträge zur Hebung der Qualität vonGerichtsdolmetschungen. Die Europäische Kommission hateinen intensiven Dialog zwischen Rechts- und Translationswissenschafteingeleitet; für Österreich, das bereits mehrfachim Zusammenhang mit unzureichender Dolmetschung vor Gerichtvom Europäischen Gerichtshof für Menschen<strong>recht</strong>e verurteiltwurde, ein besonders interessanter Bereich.<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 189


themaDie zunehmende Zahl verhaltens- und psychisch auffälligerPersonen, denen sich Gerichte und Strafvollzug gegenübersehen, ist seit längerem ein Thema. Zwei Beiträge befassensich damit: Christian Bertel weist auf die Problematik derUnterbringung nach § 21 Abs 2 StGB hin. An die 300 Personensind derzeit von dieser Unterbringungsmaßnahme betroffen.An die von Christian Bertel diskutierte Fraglichkeit vonPrognoseentscheidungen knüpft Karin Gutiérrez-Lobos auspsychiatrischer Sicht an. Ihre Ausführungen zur Qualität psychiatrischerGutachten und zum Risiko von Gefährlichkeitsprognosenmachen deutlich, dass hier auf Grund der neuerenForschungsergebnisse durchaus legistischer Handlungsbedarfbesteht.Am Schluss steht die Besprechung einer Gesetzesinitiativeder Europäischen Kommission; der von der Kommission vorgeschlageneRahmenbeschluss über bestimmte Verfahrens<strong>recht</strong>ein Strafverfahren unternimmt es, besondere Mechanismenzum Schutz verletzlicher Personen zu schaffen. Diese Initiativeist gleichzeitig einer der ersten Versuche, dieStrafverfahren innerhalb der Europäischen Union anzugleichenund damit eines der spannendsten straf<strong>recht</strong>lichen Projekteder Gegenwart.Oliver Scheiber ist Richter inStraf- und Zivilsachen in Wien.Verlag ÖsterreichKelsen/Froehlich/MerklKommentar zur BundesverfassungDie Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920Kommentiert und herausgegeben in Verbindung mit Georg Froehlichund Adolf Merkl von Hans KelsenNachdruck des ersten und jahrzehntelang einzigen Kommentarszum B-VG 1920mit einem Vorwort und einer Einführung vonem. O. Univ.-Prof. DDr. Dr. h.c. Robert Walter, Geschäftsführer desHans Kelsen-InstitutesEndlich wird das bedeutende Verfassungswerk der interessiertenFachwelt wieder zugänglich gemacht.3-7046-4197-9, 558 Seiten, geb., € 78,–Tel.: 01- 610 77 - 315, Fax: - 589order@verlagoesterreich.atwww.verlagoesterreich.atSeite 190 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


justiz und randgruppenAm 04.08.2004 wurde im Zuge einer Routinekontrolle derGewerbeaufsichtsbehörde in einem für seine gute Küche bekanntenafrikanischen Restaurant der als Gast anwesende JonathanT. (Anm.: Name von der Verfasserin geändert) einerPersonendurchsuchung unterzogen. Laut Anzeige der BundespolizeidirektionWien konnten bei Jonathan T. 14 Suchtgiftkugelnin den Hosentaschen und 21 Suchtgiftkugeln inbeiden Schuhen versteckt gefunden werden. Bei einer genauerenVisitierung wurde in der Unterhose ein in Plastik eingeschweißtesPulver, nämlich Kokain, gefunden. Insgesamtkonnten bei Jonathan T. 13,2 Gramm Heroin und 12,4 GrammKokain sowie ein Bargeldbetrag in der Höhe von € 1.090,–sichergestellt werden (Anm.: die angegebenen Mengen bezeichnenden Bruttogehalt an Suchgift; erfahrungsgemäß liegtdie große Menge für die Erfüllung des (strengeren) Tatbestandes(§ 28 SMG) im Zweifel nicht vor). Jonathan T. wurde invorläufige Verwahrungshaft genommen. In seiner polizeilichenNiederschrift gab er an, dass er das bei ihm gefundeneSuchtgift verkaufen wollte und dass er bisher noch nie Suchtgiftverkauft hat. Das sichergestellte Bargeld hat er nachweislichin einem neben dem Restaurant befindlichen Wettbürogewonnen. Jonathan T. war zum Tatzeitpunkt 17Jahre alt und bislang unbescholten.Nach der niederschriftlichen Einvernahme wurdeder Sachverhalt dem Staatsanwalt mitgeteilt, der denAntrag auf Verhängung der Untersuchungshaft stellte.Am 06.08.2004 wurde über Jonathan T. die Untersuchungshaftantragsgemäß verhängt. Die Begründungdes Beschlusses wird zur Veranschaulichung (auszugsweise)zitiert:„Es liegt dem Beschuldigten aufgrund des Strafantragesder Staatsanwaltschaft vom 05.08.2004 zur Last,am 04.08.2004 in Wien gewerbsmäßig den bevorstehendenVorschriften zuwider Suchtgift potenziellen Suchtgiftkonsumentendurch Verkauf zu überlassen versucht zu haben,indem er 22 Kugeln Heroin und 14 Kugeln Kokain zum Weiterkaufbereit hielt, jedoch zuvor betreten wurde.Die Haftgründe liegen vor, weil der Beschuldigte Ausländerunterstandslos ist und ohne soziale Integration in Österreichist und aufgrund des modus operandi im Zusammenhaltmit seiner Arbeits-, Einkommens, und Vermögenslosigkeitmassive Tatbegehungsgefahr gegeben ist.Die Verhängung der Untersuchungshaft steht zur Bedeutungder Sache sowie der zu erwartenden Strafe nicht außerVerhältnis und die genannten Haftzwecke können durch dieAnwendung gelinderer Mittel nicht erreicht werden, weil eineunbedingte Freiheitsstrafe droht und ein Widerruf drohen unddie oben bereits angeführten Umstände die Anwendung gelindererMittel als nicht ausreichend erscheinen lassen.“Laut Anzeige der Bundespolizeidirektion Wien, Kriminaldirektion2, wurde am 30.06.2004 um ca 23:00 Uhr am Gehsteigin 1020 Wien, Arnezhofergasse 3, der 29 jährige KellyO. (Anm.: Name von der Verfasserin geändert) dabei betreten,wie er offensichtlich Ausschau nach Suchgiftkonsumentenhielt. Kelly O. wurde perlustriert; es konnten insgesamt 5,2Gramm Heroin, ein Samsung Handy sowie ein Bargeldbetragin der Höhe von € 10,– sichergestellt werden. Da – so die Anzeigeweiter – der Verdacht der Begehung einer gerichtlichstrafbaren Handlung, die mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafebedroht ist und daher nicht in die Zuständigkeit der Bezirksgerichtefällt, vorlag und Kelly O. mit Suchtmittel auffrischer Tat betreten wurde, wurde er gemäß § 177 iVm § 175StPO vorläufig festgenommen. In der Anzeige heißt es wörtlich:„Der Verdacht der gewerbsmäßigen Begehung gründetsich auf die Art des Modus operandi beim Suchtgifthandel sowiesonstige Umstände wie insbesondere:– in der konspirativen Verhaltensweise des Tatverdächtigenin seinem gesamten Verhalten (wie insbesondere erhöhteAufmerksamkeit in Form ständiger Rundumbeobachtungder Umgebung, einschätzende (Polizeikräfte)bzw. suchende (Konsumenten) Beobachtung anwesenderPersonen im Umfeld udgl.)– der Beschäftigungslosigkeit der Festgenommenen- wobei aufgrund der von ihnen getragenen/mitgeführtenKleidung, Schuhe, Handy ua. geschlossen werdenkann, dass sie sich durch den <strong>recht</strong>swidrigen Verkaufvon SG eine fortlaufende Einnahme verschaffen bzw.schon geschaffen haben.“- Die Verpackung des Kokains„Gewerbsmäßigkeit“und Untersuchungshaftbei SchwarzafrikanernAlexia Stuefer........................Bei seiner polizeilichen Befragung gab Kelly O. an, dass erbereits am Tag vor seiner Verhaftung gemeinsam mit einerFreundin Kokain konsumiert hat. Weiters sagte er aus, dass erdie Absicht hatte, auch die bei ihm gefundene Suchtgiftmengemit seiner Freundin zu konsumieren.Am 03.07.2004 wurde über Kelly O. die Untersuchungshaftwegen dringenden Verdachts des versuchten gewerbsmäßigenÜberlassens von Suchtgift nach §§ 27 Abs 1, 2 Z 2, 1.Fall SMG und 15 StGB verhängt. In der Begründung des Beschlusseswird konstatiert, dass er zumindest am 30.06.2004im Besitz von Kokain gewesen sei, das er offensichtlich fürden Verkauf bereitgehalten habe. Die Haftgründe seien gegeben,weil der genannte Ausländer ohne hinreichende Inlandsbindungsei, seine Identität ungeklärt erscheine und ihm gewerbsmäßigeTatbegehung angelastet werde.Nach dem von der Staatsanwaltschaft Wien am 08.07.2004eingebrachten Strafantrag wird Kelly O. zur Last gelegt: „Erhat am 30.06.2004 in Wien dadurch versucht, gewerbsmäßigden bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift anderen zuüberlassen, dass er 5,2 Gramm Kokain brutto für den unmittelbarbevorstehenden Weiterverkauf an unbekannte Abnehmerbereithielt.“Zu bemerken ist, dass sich Kelly O. am angeblichen Tatzeitpunktalleine in der Arnezhofergasse befand. Es warenkeine sog „Suchgiftkonsumenten“ in seiner Nähe und konntendaher auch nicht ausfindig gemacht werden. Auch Kelly O.war bisher unbescholten.<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 191


themaDie Annahme der Gewerbsmäßigkeit und ihre FolgenBei richtiger <strong>recht</strong>licher Würdigung der dargestellten Sachverhaltelässt sich daraus der Verdacht auf die versuchte gewerbsmäßigeWeitergabe von Suchtgift nicht ableiten. Ein<strong>recht</strong>lich sicherer Schluss ist lediglich auf die Verwirklichungdes Deliktes des Besitzes bzw allenfalls des versuchten Überlassensvon Suchtgift möglich. Die hier interessierenden Delikteund die daran anknüpfenden verfahrens<strong>recht</strong>lichen Konsequenzenwerden kurz skizziert: Gemäß § 27 Abs 1 SMG istmit einer Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder einerGeldstrafe bis zu 360 Tagsätzen zu bestrafen, wer den bestehendenVorschriften zuwider ein Suchtgift erwirbt, besitzt, erzeugt,einführt, ausführt oder einem anderen überlässt oderverschafft. Gemäß § 27 Abs 2 Z 2 1. Fall SMG ist mit einerFreiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen, wer die im Abs1 des § 27 SMG bezeichnete Tat gewerbsmäßig begeht.Gemäß § 9 StPO obliegt den Bezirksgerichten das Strafverfahrengrundsätzlich wegen aller Vergehen, für die nur eineGeldstrafe oder eine Freiheitsstrafe angedroht ist, derenHöchstmaß ein Jahr nicht übersteigt. Gemäß § 10 Z 1 und Z2 StPO sind die Gerichtshöfe erster Instanz zur Führung vonVorerhebungen und Voruntersuchungen wegen aller Verbrechenund der nicht den Bezirksgerichten zur Aburteilung zugewiesenenVergehen sowie zur Hauptverhandlung und Urteilsfällungwegen aller Verbrechen und Vergehen, die wederden Geschworenengerichten noch den Bezirksgerichten zurAburteilung zugewiesen sind, berufen.Während somit für den Tatbestand des unerlaubten Besitzesbzw des Überlassens von Suchtgift gemäß § 27 Abs 1SMG die Bezirksgerichte zuständig sind und die Verhängungder Untersuchungshaft ausschließlich wegen der Haftgründeder Flucht – und Verdunkelungsgefahr zulässig ist (vgl § 452Z 3 StPO), ist im Falle der gewerbsmäßigen Weitergabe vonSuchtgift (bei einer Strafdrohung bis zu drei Jahren) gemäߧ§ 10 Z 2, 13 Abs 1 und Abs 2 StPO der Untersuchungsrichterzu Führung der Voruntersuchung und der Gerichtshof ersterInstanz als Einzelrichter zur Urteilsfällung zuständig. Gemäߧ 180 StPO ist die Untersuchungshaft zu verhängen, wenn eindringender Tatverdacht und einer der in § 180 Abs 2 StPOaufgezählten Haftgründe vorliegt. Neben den bereits erwähntenHaftgründen der Flucht – und Verdunkelungsgefahr sinddies die Tatbegehungsgefahr und die Ausführungsgefahr (vgl§ 180 Abs 2 Z 3 lit a, b, c und d StPO). § 180 Abs 1 letzterSatz StPO bestimmt, dass die Untersuchungshaft nicht verhängtoder nicht auf<strong>recht</strong>erhalten werden darf, soweit sie zurBedeutung der Sache außer Verhältnis steht oder durch gelindereMittel erreicht werden kann.Die aufgezeigten Sachverhalte veranschaulichen, dass ohnedie Annahme des Tatbestandselementes der Gewerbsmäßigkeitdie Verhängung der Untersuchungshaft <strong>recht</strong>lich nichtmöglich gewesen wäre. Hätten die Strafverfolgungsbehördenin concreto lediglich das Delikt des unerlaubten Besitzes oderallenfalls des versuchten Überlassens von Suchtgift gemäß §27 Abs 1 2. und 6. Fall SMG als verwirklicht angesehen, wäredie Verhängung der Untersuchungshaft <strong>recht</strong>swidrig gewesen.Denn angesichts der Strafdrohung bis zu sechs Monatenwäre eine (wenn auch nur kurze) Untersuchungshaft unverhältnismäßigim Sinne des § 180 Abs 1 StPO. § 27 Abs 2 Z 2SMG droht hingegen eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren anund <strong>recht</strong>fertigt daher schon aufgrund der Strafdrohung dieVerhängung und Auf<strong>recht</strong>erhaltung der Untersuchungshaft.Als Haftgründe dienen die Flucht – und Tatbegehungsgefahr,zu deren Begründung die „mangelnde soziale Integration imInland“ und die „Vermögens – und Beschäftigungslosigkeit“herangezogen wird. So gesehen, liegen bei schwarzafrikanischen– und generell bei fremden – meist asylsuchenden Verdächtigenallein aufgrund ihrer Herkunft und ihrer Lebenssituationimmer Haftgründe vor.Die Legaldefinition der „Gewerbsmäßigen Begehung“ istim § 70 StGB geregelt und lautet: „Gewerbsmäßig begeht einestrafbare Handlung, wer sie in der Absicht vornimmt, sichdurch ihre wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahmezu verschaffen.“ Die einheitliche Definition des § 70StGB gilt auch für die auf Gewerbsmäßigkeit abstellendenStrafnormen außerhalb des StGB. In Rechtssprechung undSchrifttum besteht Einigkeit darüber, dass der gewerbsmäßighandelnde Täter ein besonderes Gefahrenmoment für die Gesellschaftdarstellt (vgl Jerabek WK 2 § 70 Rz 1). Ihn charakterisierteine besonders gefährliche innere Einstellung und damitein hohes Maß an Charakterschuld, eine Neigung zu chronischerKriminalität, deren Bekämpfung die gesonderteTatbegehung in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen dient(vgl Leukauf-Steininger Komm 3 § 70 RN 1; Bertel Die Gewerbsmäßigkeit.Eine kriminalpolitische Betrachtung, JRP1998, 265 ).Nach den Kommentierungen und der st Rsp handelt gewerbsmäßig,wer – auch nur eine einzige (auch versuchte) –strafbare Handlung in der Absicht begeht (§ 5 Abs 2 StGB),sich selbst durch wiederholte Begehung solcher Taten einefortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen. Der Täter mussalso darauf abzielen, sich eine regelmäßige und ständige Einnahmezu verschaffen. Die innere Einstellung ergibt sich ausdem Gesamtverhalten des Täters vor und nach der Tat (vglFrabrizy StGB 8 § 70 Rz 1). Ob eine Handlung gewerbsmäßigbegangen wurde, ist als Tatfrage nach dem inneren Vorhabendes Täters zu klären, das sich in einem äußeren Geschehenwiederspiegeln kann, aber nicht muss; das Gesamtverhaltendes Täters nicht nur zur Tatzeit, sondern auch vor und nachder Tat, seine persönlichen Verhältnisse und die Begleitumständeder Tat sind maßgebliche Beurteilungskriterien (vglJerabek aaO Rz 2).Nach der Diktion der Rsp muss es nicht tatsächlich zurWiederholung gekommen sein, sofern nur das inkriminierteVerhalten unter Berücksichtigung seiner Begleitumständeund Nebenumstände die begriffsessentielle Tendenz des Tätersklar, sinnfällig und unmissverständlich zum Ausdruckbringt (15 Os 100/97; 15 Os 181/98; 11 Os 83/75; 9 Os 91/85). Die in der Legaldefinition der Gewerbsmäßigkeit verwendetenBegriffe „wiederkehrend“ und „fortlaufend“ sindnicht mit „zeitlich unbegrenzt“ gleichzusetzen. Gemeinsambringen sie zum Ausdruck, dass es dem gewerbsmäßig handelndenTäter darauf ankommt, sich durch die wiederkehrendeBegehung strafbarer Handlungen eine zumindest für einenlängeren Zeitraum wirkende Einnahmequelle zu erschließen,ohne dass die Einnahme während dieses Zeitraumes regelmäßigund dauernd fließen muss (vgl Jerabek aaO Rz 7; 12 Os163/87; 14 Os 112/91). Zu Recht verweisen Ch. Grafl et al.darauf, dass die höchstrichterliche Judikatur konturlos ist:zum einen wird uU bereits ein deliktischer Angriff als ausrei-Seite 192 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


justiz und randgruppenchend angesehen, um eine von einer entsprechenden Absichtgetragenes Handeln als gewerbsmäßig zu qualifizieren. Andererseitsbietet ein mehrfaches Delinquieren für sich alleinenoch keinen ausreichenden Anhaltspunkt, um eine Gewerbsmäßigkeitanzunehmen (vgl Ch. Grafl et al. KriminalpolitischeInitiative: Mehr Sicherheit durch weniger Haft, JRP2004, 62f).Gewerbsmäßigkeit alskriminalpolitisches InstrumentMisst man die dargestellten Sachverhalte an den Erfordernissendes Vorliegens der Gewerbsmäßigkeit, so ist klar zu erkennen,dass keine Indizien für deren Annahme vorlagen. WederJonathan T. noch Kelly O. hatten ein getrübtes Vorleben.Es lagen keine Umstände vor, die nahe legen, dass es ihnendarauf ankommt, die ihnen zur Last gelegte Tat wiederkehrendzu begehen, um sich daraus eine fortlaufende Einnahmezu verschaffen. Ebenso wenig lässt sich aus den Begleitumständender Tat eine Wiederholungsabsicht ableiten. Allenfallskann im ersten Fall das versuchte Überlassen von Suchtgiftgemäß § 27 Abs 1 SMG als verwirklicht angesehen werden.Zu bedenken ist aber auch hier, dass (noch) keine derAusführung der Tathandlung unmittelbar vorangehendeHandlung gesetzt wurde und damit kein Versuch gemäß § 15StGB vorliegt. Das Delikt des § 27 Abs 1 6. Fall SMG wurdesomit nicht einmal versucht, geschweige dem ist der Verdachtauf das versuchte gewerbsmäßige Überlassen von Suchtgiftindiziert.Die Fälle zeigen, dass das Tatbestandsmerkmal der Gewerbsmäßigkeitzu einem kriminalpolitischen Instrumentinsbesondere gegenüber asylsuchenden Schwarzafrikanernund ganz generell gegenüber Fremden „verkommen“ ist.Von den Strafverfolgungsbehörden (Polizei und Staatsanwaltschaft)bleibt offenbar nichts unversucht, um zur Annahmeder Gewerbsmäßigkeit zu gelangen. Sogar die vomVerdächtigen getragene Kleidung oder der Besitz eines Handyssollen Indizien für eine Absicht zur wiederholten Tatbegehungund der dadurch zu verschaffenden fortlaufendenEinnahme sein. Auch ein „konspiratives“ Verhalten soll denVerdacht der gewerbsmäßigen Begehungsweise begründen(vgl das oben dargestellte Beispiel Kelly O.). Im Dunkelnbleibt, wie sich jemand ohne Anwesenheit eines möglichenSuchtgiftkonsumenten oder Komplizen – und somit mit sichselbst – konspirativ verhalten kann. Mag den polizeilichenErmittlungsorganen die <strong>recht</strong>liche (Fehl-)Beurteilung dergewerbsmäßigen Begehung nachgesehen werden, für dieStaatsanwaltschaft als Antragstellerin der Untersuchungshaftund den UntersuchungsrichterInnen kann und darf diesnicht gelten. Gemäß § 3 StPO haben alle im Strafverfahrentätigen Behörden die zur Belastung und die zur Verteidigungdes Beschuldigten dienenden Umstände mit gleicher Sorgfaltzu berücksichtigen. Für Jonathan T. und Kelly O. hätteeine eingehendere <strong>recht</strong>liche Würdigung der Anzeige dieVermeidung der Untersuchungshaft bedeutet. Entgegen denAnträgen der Staatsanwaltschaft erfolgte keine Verurteilungwegen versuchtem gewerbsmäßigen Überlassen von Suchtgift:Der 18 jährige Jonathan T. wurde wegen unerlaubtemBesitz von Suchtgift gemäß § 27 Abs 1 2. Fall SMG zu einemMonat Freiheitsstrafe verurteilt. Gemäß § 43 wurde derVollzug der Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit inder Dauer von 3 Jahren bedingt nachgesehen. Die Untersuchungshaftin der Dauer von 21 Tagen wurde ihm auf dieverhängte Freiheitsstrafe angerechnet. Auch Kelly O. wurdewegen unerlaubtem Besitz von Suchtgift gemäß § 27 Abs 12. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 4 Monatenverurteilt, die Freiheitsstrafe wurde unter Setzung einerProbezeit in der Dauer von 3 Jahren bedingt nachgesehen.Auch ihm wurde die 10 Tage andauernde Untersuchungshaftauf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet.Ein Exkurs in den Bereich der Vermögenskriminalitätzeigt, dass die so ausgelegte gewerbsmäßige Begehung insbesonderebei aus dem osteuropäischen Raum stammendenund meist unbescholtenen Verdächtigen zur Verhängung derUntersuchungshaft führt. Hauptanwendungsgebiet ist vor allemdas Delikt des Diebstahles, insbesondere des Ladendiebstahles.§ 127 StGB droht eine Freiheitsstrafe bis sechs Monatenan, gemäß § 9 StPO sind die Bezirksgerichte zur Urteilsfällungberufen. Wer einen Diebstahl gewerbsmäßigbegeht, ist mit Freiheitsstrafe von fünf Monaten bis zu fünfJahren zu bestrafen (§ 130 1. Fall StGB). Der Gerichtshof 1.Instanz ist zuständig. Zur Begründung der Gewerbsmäßigkeitwird meist auf die „Vermögens- und Beschäftigungslosigkeit“oder beispielsweise auf die „besondere Fingerfertigkeit“bei der Tatausführung verwiesen. Das so angewandte Tatbestandsmerkmalder Gewerbsmäßigkeit führt dazu, dass Verdächtigeoft wegen Schadensbeträgen im untersten Bereich(häufig übersteigt der Wert der gestohlenen Waren nicht € 10– € 100) über Monate in Untersuchungshaft verbringen. Aufder Hand liegt, dass die so gehandhabte Annahme der Gewerbsmäßigkeitzu der in der Öffentlichkeit viel beklagtenÜberbelegung der Justizanstalten führt.Sie schlägt sich auch in den signifikant gestiegenen Zahlender Kriminalstatistik nieder. Beim Verbrechen des gewerbsmäßigenDiebstahls stiegen zwischen 2001 und 2002 die bekanntgewordenen Fälle um 31,7% an (vgl Ch. Grafl et al.aaO).SchlussfolgerungenDie geschilderten Beispiele machen deutlich, dass das Tatbestandsmerkmalder gewerbsmäßigen Begehungsweise gemäߧ 70 durch diese Auslegung und Anwendung seinen Zweckverfehlt. Der Zweck der Regelung ist es, vor den besonderenGefahren zu schützen, die von einem Täter ausgehen, der seinkriminelles Handeln zum Gewerbe (vgl Bertel aaO) macht.Bertel fordert, dass der Gesetzgeber die Gewerbsmäßigkeit sodefinieren sollte, dass die Definition wenigstens annähernd jenekriminelle Lebensform erfasst, die vom Gesetz verhindertwerden will, nämlich die des gewerbsmäßig handelnden Tätersals Negativbild des redlichen Menschen. Zutreffend verlangter die Objektivierung der Gewerbsmäßigkeit durch denGesetzgeber: Die Lebensform eines Täters kann nicht in einer„grundsätzlichen Entschlossenheit“, sondern nur in einemkonkreten Verhalten bestehen, das der Täter wirklich an denTag gelegt hat. Neben einem Beobachtungszeitraum in derDauer von einem Jahr und der Begehung von mindestens dreigleichartigen Taten, die voneinander und von der zuletzt begangenenTat durch Abstände von wenigstens zwei Monatengetrennt sind, fordert er einen beträchtlichen Gewinn (undnicht nur „geringfügige Nebeneinkünfte“) aus den strafbarenHandlungen (vgl Bertel aaO).<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 193


themaZu Recht noch weiter gehen Ch. Grafl et al., indem sie dieBindung der Gewerbsmäßigkeit an objektive Kriterien, wiedie tatsächliche, mindestens fünffache Tatwiederholung fordern(vgl Ch. Grafl et al. aaO).Auch meines Erachtens ist eine gesetzgeberische Reaktiondringend geboten, da die beschriebene Auslegung des Tatbestandsmerkmaleszu einer immer mehr ansteigenden Bereitschaftzu (unge<strong>recht</strong>fertigten) Inhaftierungen von Verdächtigenführt. In Zeiten, in denen das Bedürfnis nach Sicherheitsteigt und die strenge Ahndung von Straftaten durch die Verhängungvon unbedingten Freiheitsstrafen insbesondere inder öffentlichen Meinung beruhigend wirkt, ist eine gesetzgeberischeInitiative derzeit kaum zu erwarten. Umso mehr sinddie in der Straf<strong>recht</strong>spflege tätigen Behörden – und nicht nurdie VerteidigerInnen – aufgefordert, die Voraussetzungen dergewerbsmäßigen Tatbegehung mit größter Sorgfalt zu würdigen.Mag a . Alexia Stuefer ist Rechtsanwaltsanwärterin inWien und war als RAA in für RA Univ. Doz. Dr. RichardSoyer und RA Mag. Josef Phillip Bischof an beidenVerfahren beteiligt.Verlag ÖsterreichJaukExekutive und Menschen<strong>recht</strong>eAnalyse eines Spannungsfeldes zwischen Schutz und Bedrohung2004, 548 Seiten, br., 3-7046-4418-8, € 60,–Die Arbeit bietet eine ausführliche Analyse des Spannungsfeldes, indem sich polizeiliche Arbeit im Verhältnis zu den Menschen<strong>recht</strong>enbewegt, dies unter Einbeziehung umfangreicher Judikatur von VfGHund EGMR und der Beobachtungen ua des Europäischen Komiteeszur Verhütung der Folter. Dieser theoretischen Aufarbeitung wurde einepraktische Untersuchung durch Befragung steirischer Gendarmerie-und PolizeibeamtInnen gegenübergestellt, um die exekutivinterneSicht des angesprochenen Spannungsfeldes zu durchleuchten.Polizei und Menschen<strong>recht</strong>e bzw.Folter- und Misshandlungsverbot•Folter und Misshandlung•Grund<strong>recht</strong>ssensibilität der PolizeiarbeitJudikaturspiegel zum Folter- und MisshandlungsverbotRechtliche Rahmenbedingungen zum Schutz vorExekutivinterne Sichtweisen zur Menschen<strong>recht</strong>sthematikTel.: 01- 610 77 - 315, Fax: - 589order@verlagoesterreich.atwww.verlagoesterreich.atSeite 194 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


justiz und randgruppen1. EinleitungDie Beiziehung von Dolmetscherinnen zu Gerichtsverfahrenwird allgemein als selbstverständliche Einrichtung desRechtsstaats angesehen, die durch internationale Abkommenabgesichert ist und in den nationalen Rechtsordnungen näherausgeformt wird.Auf die für Österreich maßgeblichen Rechtsgrundlagen(Art. 5 und 6 EMRK, § 82 Abs 1 Geo, §§ 38a, 163 und 164StPO) soll hier nicht im Detail eingegangen werden. Die genanntenBestimmungen – sowohl des nationalen als auch desinternationalen Rechts – haben die gleiche Grundintention:faire Verfahren in Zivil- und Strafsachen nach dem Prinzipder sichtbaren Ge<strong>recht</strong>igkeit.Der vom Europäischen Gerichtshof für Menschen<strong>recht</strong>eaus Art. 6 EMRK entwickelte und vom Verfassungsgerichtshofübernommene Grundsatz der sichtbaren Ge<strong>recht</strong>igkeitbedeutet, dass in einem fairen Verfahren die Unvoreingenommenheitund Unparteilichkeit des Gerichtes, insbesonderefür die Partei, auch subjektiv sichtbar undwahrnehmbar sein muss. („Justice must not only bedone, it must also be seen to be done“). Diese Forderungrichtet sich nicht nur an die Richterin oder den Richter,sondern auch an Sachverständige und an dieDolmetscherin oder den Dolmetscher. 1 Es ist also keinZufall, dass die Dolmetscherin vom Gericht bestelltwird, und nicht etwa von einer Partei vorgeschlagenwerden kann.In Zivilsachen bedeuten diese Erfordernisse des fairenVerfahrens auch sichtbare Herstellung von Chancen-bzw. Waffengleichheit: die Parteien müssen mitgleichen prozessualen Rechten ausgestattet sein. ImStrafverfahren geht es vor allem um die Wahrung der vollenVerteidigungs<strong>recht</strong>e der/des Angeklagten sowie um die Schaffungder besten Voraussetzungen für die angestrebte objektiveWahrheitsfindung. So weit die gesetzliche Selbstverständlichkeit,man könnte auch sagen: die Theorie. Die Praxis folgt oftanderen Gesetzen.Vor der Betrachtung der Praxis des österreichischen Gerichtssaalsempfiehlt sich zunächst ein Blick auf die Erwartungender „Klientel“ von Dolmetschleistungen. Das sind ausder Sicht der Dolmetscherin einerseits die fremdsprachigenVerfahrensbeteiligten, andererseits das Gericht, also die Richterinnenund Richter. Die Bedeutung des Gerichtsdolmetschensim speziellen, also für die einzelnen Interaktionspartner,kann als mehrstelliger Beziehungsbegriff aufgefasstwerden. In diesem Sinne sollen hier zunächst die einzelnenSichtweisen und Erwartungen der Fremdsprachigen und desGerichts näher beleuchtet werden, damit die Erwartungen aneine Dolmetschung im Gerichtssaal und damit an dieGerichtsdolmetscherin1) transparenter werden und2) auf mögliche Handlungsweisen der Dolmetscherin hindeuten,die nicht in der derzeitigen Ausübung der Tätigkeitvorkommen, möglicherweise aber von Wichtigkeitsind............................................1) Im folgenden wird einfachheitshalber nur dieweibliche Form verwendet. Dolmetscher sindselbstverständlich mitgemeint.Bei den Erwartungen der Fremdsprachigen im Gerichtsverfahreninteressiert hier vor allem die fremdsprachige Verfahrenspartei,also der/die Angeklagte im Strafverfahren bzw.die Partei des Zivilverfahrens. (Für die Parteien steht in derRegel mehr auf dem Spiel als für Zeugen. Natürlich habenauch fremdsprachige Zeugen die Erwartung, dass ihre Aussagevollständig gedolmetscht wird und die Kommunikation mitdem Gericht funktioniert; für die gegenständliche, grund<strong>recht</strong>sorientierteErörterung soll das Hauptaugenmerk aberdoch auf der stärker involvierten Partei liegen.)An die Darstellung der Erwartungen der Klientel soll danndie Prüfung der Praxis anschließen; dabei geht es darum, welcheDolmetschung im österreichischen Gerichtssaal gebotenwird, ob etwa nur Teile der Verhandlung oder die gesamteVerhandlung für eine fremdsprachige Partei gedolmetschtwerden. Abschließend sollen dann Verbesserungsmöglichkeitender aktuellen Situation aus der Dolmetschperspektiveangedacht werden.Sichtbare Ge<strong>recht</strong>igkeitin gedolmetschtenVerhandlungenMira Kadric........................2. Erwartungen der FremdsprachigenDie Kommunikationssituationen, die sich im Rahmen des gerichtlichenDolmetschens ergeben, sind durch unterschiedlicheErwartungen der Kommunikationspartner gekennzeichnet:Während sich die Behördenvertreter (Richterinnen undRichter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte) der für ihrenBereich geltenden Normen und Konventionen bedienen undbestimmte Erwartungen haben, haben fremdsprachige Beteiligte(meist unbewusst) eine Erwartungshaltung, die eherkommunikationspsychologisch Relevanz findet. WennFremdsprachige vor Behörden auf Dolmetschdienste zurückgreifen,so wissen sie zumeist nur soviel, dass sie „das Rechtauf Dolmetschung haben“. Was dieses „Recht“ genau beinhaltensoll, darüber bestehen in der Regel eher diffuse Vorstellungen.Die Erwartungen der Fremdsprachigen habenaber zumeist nicht nur mit der Sache, mit Sachinformationenzu tun, sondern beinhalten auch einen emotionalen Aspekt.In fast jeder gedolmetschten Verhandlung kommen folgendean die Dolmetscherin gerichtete Äußerungen vor: „Sie müssenihnen [dem Gericht] alles erzählen, auch wie ich michfühle“, oder „Sie müssen ihnen erklären, was ich meine“. Esgeht dabei vorwiegend um das „Wie“ der Kommunikationspartnerzueinander. In Teilen der Verhandlung, die<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 195


themanicht gedolmetscht werden, richten Fremdsprachige Fragenwie: „Was passiert jetzt?“ an die Dolmetscherin. In der subjektivenErwartungshaltung der Fremdsprachigen ist zu beobachten,dass sie von der Dolmetscherin erwarten, dass sieihre Position einnehmen, für sie sprechen und im allgemeinenihre Helferin sein soll. Wenn Fremdsprachige beispielsweiseim Zivilverfahren einen Kostenvorschuss für die Dolmetschungerlegen müssen, erachten sie die Dolmetscherinhäufig als eine Art Rechtsbeistand („wird ja von mir bezahlt“).Diese Erwartungen – wie auch die Beispiele zeigen– basieren eher auf einer kommunikationspsychologischenErwartungshaltung. Das verwundert nicht, denn wir wissenspätestens seit Watzlawick, dass sich das menschliche Kommunikationsverhaltenauf zwei Ebenen bewegt: auf Inhaltsebeneund Beziehungsebene. Der Inhaltsaspekt liefert die reinenInformationen, der Beziehungsaspekt drückt aus, wiediese Informationen aufzufassen sind, oder wie es Watzlawick(1969/2003:56) im zweiten Axiom der Kommunikationzusammenfasst: „Jede Kommunikation hat einen Inhaltsundeinen Beziehungsaspekt, derart, dass letzterer den ersterenbestimmt und daher eine Metakommunikation ist.“ Dieserkommunikationspsychologische Grundsatz korrespondiertmit dem Grundsatz der sichtbaren Ge<strong>recht</strong>igkeit in einemfairen Verfahren.Auch objektiv baut eine Gerichtsverhandlung insgesamt aufeinem komplexen Kommunikationsgeschehen auf. Die jeweiligenKommunikationspartner bringen in die Kommunikationssituationunterschiedliche Positionen ein. Dem Gericht„alles erzählen“ bzw. „erklären“ gehört zum nötigen Komplexprozessualer Aussichten, Möglichkeiten und Lasten. Die Handlungender Parteien – sohin auch der Fremdsprachigen – sindauf ein bestimmtes Ziel gerichtet, nämlich das Verfahren erfolgreichzu beenden, ungeachtet dessen, ob es sich dabei umStraffreiheit bzw. ein mildes Urteil im Strafverfahren handelt,oder ob es darum geht, im Zivilverfahren zu obsiegen bzw.zumindest nicht zur Gänze zu unterliegen. Zu diesem Zweckwerden im Verfahren verschiedene, individuelle Strategienangewandt – auch von Fremdsprachigen. Mit diesen Strategienversuchen die Beteiligten, durch bestimmte Verhaltensweisenund ihr Auftreten und Vorbringen auf das Gericht einzuwirken,einen bestimmten Eindruck zu machen, um so die gerichtlicheEntscheidung zu beeinflussen. Auch objektiv hängt die gerichtlicheEntscheidung von dem beim Gericht entstehenden Eindruckab. Zusammenfassend erwarten die Prozessparteien daher,dass sie die Möglichkeit erhalten, der Verhandlung zu folgenund sich dem Gericht zu präsentieren; bei fremdsprachigenParteien ist damit untrennbar die Forderung und Erwartungnach einer umfassenden Dolmetschung verbunden. Aus derSicht der fremdsprachigen Verfahrensbeteiligten ist die Dolmetscherindie einzige Person, die sie versteht – sprachlich undkulturell – und in diesem Sinne erwarten sie, dass die Dolmetscherinals ihr Medium, ihr Hilfsorgan, auftritt.des Gerichts die Rede. Um diese Behauptung zu illustrieren,wird hier auf eine Studie zurückgegriffen, die sich mit der Praxisder Dolmetschtätigkeit bei Gericht beschäftigt. 3 Diese ersteBestandsaufnahme der Sicht der Richterinnen und Richter betreffenddie Dolmetschtätigkeit lieferte eine im Jahr 1999 anWiener Bezirksgerichten durchgeführte Studie, an der sich 133Richterinnen und Richter beteiligten. Die Befragung wurde mitdem Ziel durchgeführt, die derzeitige gerichtliche Praxis derKommunikation mit Fremdsprachigen zu erfassen, Problembereichezu dokumentieren und Alternativen aus translationswissenschaftlicherund <strong>recht</strong>licher Perspektive aufzuzeigenund auf ihre Akzeptanz hin zu beurteilen. Die Studie wurde mittelsFragebögen erstellt, die von den Richterinnen und Richternanonym ausgefüllt wurden. Der Fragebogen umfasste 15 Fragenmit den dazugehörigen Subfragen und -punkten. Die Fragengruppenbetrafen zusammenfassend:1) Zahl, Sprache und Aufenthaltsstatus der fremdsprachigenProzessbeteiligten;2) die Kriterien für die Auswahl und Wiederbestellung desDolmetschers;3) die Erwartungen an den Dolmetscher;4) die gerichtliche Praxis in Bezug auf den Umfang der Dolmetschung,die Verlängerung der Verhandlung durch dieDolmetschung sowie die Zufriedenheit der befragtenRichterinnen und Richter mit der aktuellen Praxis und5) die Bewertung von alternativen Vorgangsweisen.In Anknüpfung an die Ausführungen zu den Erwartungender fremdsprachigen Prozessbeteiligten wird im folgendenzunächst ein Punkt aus dieser Studie herausgegriffen, nämlichdie Frage nach Funktion und Aufgabenbereich der Dolmetscherin.Die Frage an die Wiener Richterinnen und Richterlautete: Wie würden Sie die Funktion der Dolmetscherin amehesten charakterisieren? Zur Auswahl standen folgendeMöglichkeiten, wobei Mehrfachnennungen möglich waren:• Sachverständige für die Fremdsprache• Sachverständige für interkulturelle Kommunikation• Sachverständige für die Fremdsprache und -kultur• umfassende Sprach- und Kulturmittlerin• Sprachmittlerin• Hilfsorgan des Gerichtes• Helferin der fremdsprachigen Person• SonstigesDie Antworten der Richterinnen und Richter auf diese Frageverteilten sich wie folgt:3. Erwartungen des GerichtsWährend der Oberste Gerichtshof 2 den Dolmetscher technischals Sachverständigen für die Fremdsprache bezeichnet hat, istim gerichtlichen Alltag oft vom Sprachmittler oder Hilfsorgan...........................................2) OGH 21.1.1964, EvBl 1964/259. 3) Kadric, Dolmetschen bei Gericht (2001) 93ff.Seite 196 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


justiz und randgruppenMit 65% sieht die große Mehrheit der befragten Richterinnenund Richter die Dolmetscherin als ”Hilfsorgan des Gerichts”.Die Funktion ”Helferin der fremdsprachigen Person”fand dagegen mit nur 19% die zweitgeringste Zustimmungunter den gebotenen Optionen. Besonders auffallend ist dieniedrige Zustimmung von nur 8% beim Punkt „Sachverständigefür interkulturelle Kommunikation“.4. Umfang der Dolmetschung in der VerhandlungDiese Verteilung zeigt, dass die Erwartung des Gerichtes eineandere ist als die der Fremdsprachigen. Im Ergebnis sind jedochdie Erwartungen beider Seiten, der fremdsprachigenProzessbeteiligten einerseits und der Richterinnen und Richterandererseits, ähnlich: beide Seiten sehen in der Dolmetscherinihr „Hilfsorgan“, beide Seiten versuchen, in derKommunikationssituation die Dolmetscherin zu vereinnahmen.Das Gericht ist – wie nicht anders zu erwarten – in dieserBemühung stärker. Es ist damit nicht nur die Natur der institutionellenKommunikation an sich gemeint, wo ein Austauschvon Informationen in der Weise erfolgt, dass die Richterinbzw. der Richter das Thema vorgibt, fordert, reglementiert,Informationen filtert usw und die Prozessbeteiligtenreagieren, sondern auch die kommunikationspsychologischeMachtausübung gegenüber Fremdsprachigen im Gerichtssaal.Neben der institutionalisiert organisierten Kommunikationsasymmetrie,die durch die Autorität einer staatlichen Institutionvorgegeben ist, ist es das Ausüben dieser Autorität:Es ist das oben angeführte „Wie“ des Umgangs der Richterinnenund Richter mit Fremdsprachigen. Als einfaches Beispielsoll hier die Raumwahrnehmung als Kommunikationsobjektdienen, konkret: die Sitzposition der Dolmetscherin.Österreichische Gerichtssäle verfügen überkeine Dolmetschanlagen, sodass die Dolmetscherin ihrenSitzplatz in der Regel nach Anweisung der prozessführendenRichterin oder des prozessführenden Richters wählt. Zumeistwird sie angewiesen, neben der Richterin oder dem RichterPlatz zu nehmen. Diese Vorgangsweise wird auch durch dieoben erwähnte Studie bestätigt: In der Studie wurde nämlichauch die Frage nach der Sitzposition gestellt; die Antwort derBezirksrichterinnen und -richter, die sich sowohl auf Zivilalsauch Strafverfahren bezog, lautete zu 95% „neben demRichter“. (In Strafverfahren am Oberlandesgericht Wien beispielsweisesitzt die Dolmetscherin in der Regel neben derVertretung der Anklagebehörde; an sonstigen Wiener Strafgerichtenist das auch häufig der Fall, allerdings zumeistdann, wenn auf der Richterbank kein Platz frei ist.) Kommunikationspsychologischist diese Sitzposition ein deutlichesSignal dafür, dass die Dolmetscherin für das Gericht bzw. fürdie Staatsanwaltschaft und nicht für die fremdsprachige Parteitätig sein soll.Sachlich betrachtet könnte man die Ansicht vertreten,dass die Beziehungsebene in der institutionellen Kommunikationkeine Rolle spielen darf. Beziehungsebene und Inhaltsebenesind aber untrennbar miteinander verbunden –in welcher Weise, wird im folgenden gezeigt. Zur besserenIllustration werden zunächst einzelne Punkte im Ablauf 4 einerStrafverhandlung mit fremdsprachigem Angeklagtenchronologisch angeführt und jene Stellen markiert, woDolmetschungen stattfinden............................................4) Die Unterteilung erfolgt aus dolmetschtechnischerPerspektive. Es geht also nicht um eine prozess<strong>recht</strong>licheEinteilung, sondern um die Bildungvon Verfahrensabschnitten zur Feststellung des Dolmetschumfangs.5) Und zwar auf Erfahrungswerten einer mehr alszehnjährigen Praxis der Autorin als Dolmetscherin mitregelmäßigen Dolmetscheinsätzen bei Gericht undzahlreichen Gesprächen mit Richterinnen und Richternsowie Dolmetschkolleginnen und -kollegen.Die vorstehende Tabelle basiert auf Erfahrungswerten. 5Als empirische Bestätigung für die Richtigkeit dieser Erfahrungswertekann die angeführte Studie dienen, in derauch die Frage nach dem Umfang der Dolmetschung in derVerhandlung gestellt wurde. Die entsprechende Frage wurdefolgendermaßen formuliert: „Wenn ein(e) Partei/Beschuldigterfremdsprachig ist, lassen Sie dolmetschen: ...“Als mögliche Antworten waren vorgegeben:• die Vernehmung der fremdsprachigen Partei• wesentliche, für das Verfahren notwendige Teile derVerhandlung• die gesamte VerhandlungDie möglichen Antworten waren auf einer Häufigkeitsskalavon „nie“ über „manchmal“ und „häufig“ bis „immer“einzustufen. Um dem unterschiedlichen Charakter vonStraf- und Zivilverfahren Rechnung zu tragen, wurde in dieserFragestellung den Richterinnen und Richtern die Möglichkeitgeboten, zwischen Straf- und Zivilsachen zu unterscheiden.Im folgenden wird die Verteilung der Antworten,die sich auf die Frage nach der Dolmetschung der gesamtenVerhandlung bezieht, grafisch dargestellt.<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 197


themaDie Verteilung der Antworten macht deutlich, dass beiVerhandlungen mit fremdsprachigen Verfahrensparteienmehrheitlich nicht die gesamte Verhandlung gedolmetschtwird: in Zivilverfahren wird in 62% und in Strafverfahrenin 38% der Verhandlungen nie die gesamte Verhandlung gedolmetscht.Über den Umfang der gebotenen Dolmetschungentscheidet das Gericht. Diese Entscheidung orientiert sichregelmäßig daran, wie viel an Information die prozessführendeRichterin oder der prozessführende Richter für ihrbzw. sein Urteil benötigt. Eine darüber hinaus gehende Dolmetschunghängt einzig und allein vom Willen des Gerichtsab; das Gericht wird eine umfassendere Dolmetschung insbesonderedann unterbinden, wenn es der Meinung ist, dieVerhandlung würde dadurch gestört oder zeitlich „unnötig“verlängert.5. Diskussion der ErgebnisseFür die fremdsprachigen Beteiligten, die auf diese Weise nureinem Teil der Verhandlung folgen können, ist so – auf derBeziehungsebene – weder die Unvoreingenommenheit nochUnparteilichkeit des Gerichtes subjektiv sichtbar und wahrnehmbar.Auch auf der Inhaltsebene kann die beschriebeneVorgangsweise nicht befürwortet werden: Die Prozesschanceneines Verfahrensbeteiligten hängen entscheidend von seinerProzessführung ab. Um am Verfahren aktiv teilnehmenzu können, muss die Partei die Möglichkeit zur Äußerung erhalten.Genau so wichtig ist aber, dass die Partei ein umfassendesVerständnis der Vorgänge vor Gericht erhält. Wer eineSituation nicht versteht, kann nicht angemessen reagieren.Aus der Tabelle, die den gewöhnlichen Umfang der Dolmetschungin einer Strafverhandlung illustriert, ergibt sich, dassin der Hauptverhandlung in der Praxis oft nur die Vernehmungdes fremdsprachigen Beschuldigten gedolmetscht wird.Zeugenaussagen werden dem Beschuldigten gar nicht, oderin einem zusammenfassenden Satz übermittelt und vorgehalten.Auf diese Weise kann der Beschuldigte weder dem Gangder Verhandlung folgen noch sein Frage<strong>recht</strong> wahrnehmen.Ein faires Verfahren im Sinne des Art. 6 EMRK würde eineumfassendere Dolmetschung erfordern; in Art. 6 Abs. 2 lit. dheißt es ja u.a.:Jeder Angeklagte hat mindestens bzw. insbesondere diefolgenden Rechte:[...] Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellenzu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugenunter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugenzu erwirken.Der Europäische Gerichtshof für Menschen<strong>recht</strong>e hat zuArt. 5 und 6 EMRK eine reiche und dynamische Rechtssprechungentwickelt. Dabei vertritt der EGMR ein modernesVerständnis der Bestimmungen der EMRK und fasst Art. 5und 6 als umfassende Garantie eines fairen Verfahrens auf.Es mangelt also weder an gesetzlichen Vorgaben noch anRechtsprechung. Entscheidend ist im Zusammenhang mit derDolmetschung, eine höhere Sichtbarkeit der Verfahrensgarantienherzustellen und so die Kenntnis der Rechte bei allenBeteiligten im Strafverfahren zu verbessern und damit dieEinhaltung dieser Rechte zu stärken. Zu diesem Zweck undauf Grund der dargestellten Dolmetschpraxis hat die EuropäischeKommission auf dem Gebiet des Strafverfahrens Initiativenergriffen.Ein Schwerpunkt der Initiativen der Kommission ist die Erforschungder Übersetzungs- und Dolmetschpraxis vor deneuropäischen Gerichten und die Gewährleistung umfassenderund qualitativ einwandfreier Übersetzungs- und Dolmetschleistungenvor Gericht. Ziel der Initiativen auf EU-Ebeneist es nicht, neue Rechte zu begründen, sondern die bestehendenRechte zu benennen und sichtbar zu machen. Die Ergebnissesind u.a. in ein Grünbuch der Kommission und in denEntwurf für einen Rahmenbeschluss des Rates über bestimmteVerfahrens<strong>recht</strong>e in Strafverfahren innerhalb der EuropäischenUnion eingeflossen (siehe den Beitrag „AusgangspunktTampere“ in diesem Heft).Im Entwurf des Rahmenbeschlusses wird ausführlich aufdie Problematik im Zusammenhang mit der Nichteinhaltungder vorgeschriebenen Mindeststandards in gedolmetschtenVerhandlungen eingegangen. So wird im Punkt „Das Rechtauf unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers und Übersetzers“unter anderem ausgeführt, dass sich die Mitgliedstaatendieser Pflicht zwar theoretisch bewusst sind, sie in derPraxis aber unzureichend erfüllen. Insbesondere wird dabeiauf die Forderung des Artikel 6 Abs. 2 lit. e EMRK auf„unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers“ eingegangenund die dabei verbreitete Vorgangsweise der Gerichtekritisiert:... Dolmetscher [scheinen] manchmal eher für den Richterund/oder Staatsanwalt als den Angeklagten beigezogenworden zu sein. In einigen Fällen wurden dieAusführungen des Richters und Staatsanwalts nicht für dieAngeklagten gedolmetscht, und die Rolle desDolmetschers beschränkte sich darauf, die direkten Fragendes Richters an den Angeklagten und seine Antworten fürden Richter zu dolmetschen, statt sicherzustellen, dass derAngeklagte das Verfahren versteht. (KOM(2004)328endg.:10f)Seite 198 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


justiz und randgruppenWie die oben dargestellte Umfrage zeigt, entspricht dieseBeschreibung durchaus der österreichischen Situation.Gründe für diese Praxis könnten viele genannt werden. Hiersollen zunächst drei wichtige Faktoren herausgenommenwerden: Ein Grund ist sicherlich die Zahl gedolmetschterVerhandlungen, die auf Grund verschiedener Faktoren steigtund eine für das Gericht lästige Verlängerung derVerhandlung mit sich bringt. Ein weiterer Grund für verkürzteDolmetschungen ist aber auch eine falsch verstandene„Loyalität“ der Dolmetscherinnen gegenüber den Gerichten.Durch die Auftragsvergabe sowie Honorarabwicklung überdas Gericht bilden Dolmetscherinnen und Dolmetscher nichtselten mental Allianzen mit dem Gericht. So machen sie auchnicht auf Möglichkeiten aufmerksam, umfassend zudolmetschen, ohne dass die Verhandlung verlängert wird.Dies ist nicht weiter verwunderlich; die oben zitierte Studiehat auch ergeben, dass Richterinnen und Richter alsAuftraggeber (was einen nicht unwichtigen Faktor darstellt!)in der Dolmetscherin ihr „Hilfsorgan“ sehen und nicht seltenerwarten, dass sich in der Erbringung der Dolmetschleistungdie Zielsetzung der Dolmetscherin mit ihrer eigenenZielsetzung deckt. Ein weiterer nicht zu unterschätzenderFaktor ist die Tatsache, dass im Zusammenhang mit dersteigenden Zahl gedolmetschter Verhandlungen immer häufigerunqualifizierte Dolmetscherinnen und Dolmetscher eingesetztwerden. Diese „Dolmetscher“ wissen in der Regelnicht, was ihre Aufgaben sind, sie sind vielmehr auf dieAnleitungen der Richterin oder des Richters angewiesen.6. Möglichkeiten für eine umfassendeDolmetschung...........................................6) Die Sitzposition der Dolmetscherin kann jaauch wechseln. So ist ein Platz neben der Richterinoder dem Richter während der Vernehmung derfremdsprachigen Person durchaus zweckmäßig, fürden Rest der Verhandlung sollte die Dolmetscherinjedoch in unmittelbarer Nähe der fremdsprachigenPerson Platz nehmen.7) In einem am 28. November 2004 vom OberlandesgerichtLinz veranstalteten Seminar „InterkulturelleKommunikation bei Gericht“ für Richteramtsanwärterwurde in einer nachgestellten Gerichtsverhandlungdie Möglichkeit der umfassendenDolmetschung erprobt. Eine Türkisch-Dolmetscherinund ein türkischsprachiger „Beschuldigter“ stelltensich zur Verfügung. Die Dolmetschung in dersimulierten Verhandlung wurde so gestaltet, dassdie Dolmetscherin die gesamte Zeit neben dem Beschuldigtenpositioniert war (zuerst im Zeugenstand,anschließend auf der Parteienbank). Die Verhandlungwurde vollständig gedolmetscht und zwarso, dass die Vernehmung des Beschuldigten für dasGericht bzw. alle Anwesenden laut und alle anderenWie lässt sich die bestehende Situation verbessern? EineMöglichkeit und Notwendigkeit ist, dass prozessleitendeRichterinnen und Richter dafür sorgen, dass in der Verhandlungalles gedolmetscht wird. Hier stellt sich sofort eine fürdie Gerichte entscheidende Frage: kann diese umfassendeDolmetschung ohne wesentliche Verlängerung der Verhandlungenerreicht werden? In diesem Zusammenhang ist insbesondereauf die Möglichkeit des Flüsterdolmetschens zu verweisen,von der viel zu wenig Gebrauch gemacht wird. Flüsterdolmetschenist eine Form des Simultandolmetschens undkommt zum Einsatz, wenn keine Dolmetschanlagen zur Verfügungstehen. Beim Flüsterdolmetschen nimmt die Dolmetscherinneben der fremdsprachigen Person Platz und dolmetschtihr gleichsam simultan die gesamte Verhandlung –und zwar so leise, dass die Verhandlung dadurch nicht gestörtwird. Dadurch entsteht auch kein Zeitverlust, der von denRichtern zumeist als Argument gegen umfassende Dolmetschungenverwendet wird. Flüsterdolmetschen bei Gerichtgehört in Europa zum Standard und könnte in Österreichdurch eine bloße Änderung der Sitzposition der Dolmetscherinumgesetzt werden. An Stelle des tradierten Platzes nebender Richterin oder dem Richter wäre eine Sitzposition derDolmetscherin neben der fremdsprachigen Person zweckmäßig(was im übrigen im Ausland eine Selbstverständlichkeitist). 6 Eine Änderung der Sitzposition würde sohin einerseitsder fremdsprachigen Person eine umfassende Dolmetschungund damit ein umfassendes Verständnis vom Ablauf der Verhandlunggewährleisten; aus kommunikationspsychologischerPerspektive wäre die neue Sitzposition für die fremdsprachigePerson ein Signal sichtbarer Ge<strong>recht</strong>igkeit. Zum anderenhätte das Gericht den Vorteil, dass durch dievollständige Dolmetschung mögliche Verfahrensfehler ausgeschlossenwerden. Allen späteren Einwendungen, der Angeklagtehabe auf Grund der nur zusammenfassenden Dolmetschungsein Frage<strong>recht</strong> nicht wahrnehmen können, er habeim Ergebnis kein faires Verfahren erhalten, ist so vonvornherein der Boden entzogen. 7Wie bereits ausgeführt, unterscheiden sich die Verhaltensmusterder Kommunikationspartner, der Behördenvertretereinerseits und der vor Gericht erscheinenden Bürgerandererseits, diametral voneinander. Dieser Unterschiedist durch das Institutionswissen und die Herrschaftsrolleeinerseits und das Unwissen und die Ohnmacht der Laienandererseits begründet. In einer solchen Konstellationerfolgt die Arbeit der Dolmetscherin: die Dolmetscherinsorgt für Verständigung, ist aber ihrerseits auf dasVerständnis ihrer Kunden angewiesen. Die Erwartungen derAuftraggeber, die Erwartungen der fremdsprachigen Prozessbeteiligtenund die Bestimmungen der EMRK und derProzessordnungen geben der Dolmetscherin einen Handlungsrahmenvor; wie dieser Rahmen und die darin enthaltenenStrategien mit Inhalten gefüllt werden, kann dieDolmetscherin zwar selbst definieren, die Ausführung hängtaber nicht allein von ihr ab, sie ist vielmehr auf dieUnterstützung des Gerichtes angewiesen. Natürlich ist auchdie Kommunikation zwischen der Dolmetscherin und demGericht vom Verhältnis der Über- und Unterordnung gekennzeichnet.8 Grundsätzlich wäre es einfach, mittelsDolmetschung das Verständigungsinteresse beider Seiten zubefriedigen. Zur Erinnerung: Im Zentrum der aktuellen Dometschpraxisstehen aus der Sicht der fremdsprachigenPerson folgende Erwartungen:• umfassendes Verständnis des Verfahrensgangs• Verschaffung von Gehör, Möglichkeit zur Vermittlungdes “guten Eindrucks”Teile der Verhandlung für den Beschuldigten imFlüsterton gedolmetscht wurden. Dadurch entstandkeine unnötige Verlängerung der Verhandlung,gleichzeitig wurden die Beschuldigten<strong>recht</strong>e abervoll gewahrt. Die geübte Vorgangsweise stieß aufungeteilte Zustimmung der Seminarteilnehmer.8) Auch vorsichtige Aufklärungen der Richterinnenund Richter über umfassende Dolmetschungführen häufig dazu, dass die „lästige“ Dolmetscherinvom Gericht einfach nicht mehr bestellt wird.<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 199


themaAus der Sicht des Gerichts lauten die Erwartungen:• reibungslose Verständigung mit der fremdsprachigenPerson• Sicherung des störungsfreien GerichtsbetriebsGrundsätzlich wollen also alle am Verfahren Beteiligtenumfassend verstehen und umfassend verstanden werden. FürDolmetscherinnen und Dolmetscher bedeutet dies, dass alsEndergebnis ihrer Arbeit die erfolgreiche Herstellung vonKommunikation stehen sollte, indem das Verständigungsinteresseeines jeden an der Kommunikation Beteiligten zurGänze befriedigt wird, unabhängig davon, ob es sich umfremdsprachige Verfahrensbeteiligte oder Gerichtspersonenhandelt. Und verlangt nicht der Grundsatz des fairen Verfahrensgenau dies, nämlich dass in einer Gerichtsverhandlungdie gleichwertige Handlungsmöglichkeit für alle Verfahrensbeteiligtengewährleistet wird? Im übrigen kommuniziert derMensch als Ganzheit und wird als Ganzheit rezipiert – das giltsowohl für Richterinnen und Richter als auch für fremdsprachigeBeteiligte vor Gericht.Mira Kadric ist Assistenzprofessorin am Zentrum fürTranslationswissenschaft der Universität Wien undpraktizierende Gerichtsdolmetscherin. Zum Thema istvon ihr die Monographie „Dolmetschen bei Gericht. Erwartungen,Anforderungen, Kompetenzen.“ 2001.Wien: WUV, erschienen.Verlag ÖsterreichCharbordHuman Rights of Internally DisplacedPersons in Bosnia and Herzegovina2005, 478 Seiten, br., 3-7046-4472-2, € 58,–The war in Bosnia and Herzegovina was characterised by a policy ofethnic cleansing, leading to the internal displacement of almost1.3 million individuals. This book is a thorough analysis of these internallydisplaced persons' human rights, covering the period between1992 and 2003.Anne Charbord obtained her Doctorate Degree in Law in 2004 atthe University of Vienna (Ludwig Boltzmann Institute of HumanRights). She has carried out several field Missions for the OSCE in theBalkans and is currently based in Sarajevo.Tel.: 01- 610 77 - 315, Fax: - 589order@verlagoesterreich.atwww.verlagoesterreich.atSeite 200 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


justiz und randgruppenAuch Zurechnungsfähige können in einer Anstalt für geistigabnorme Rechtsbrecher untergebracht werden. Drei Voraussetzungensind dafür notwendig: 1. Der Täter muss eine geistigeoder seelische Abartigkeit höheren Grades aufweisen; 2.er muss unter deren Einfluss eine Tat begangen haben, die mitFreiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht ist; und 3. ermuss befürchten lassen, er werde unter dem Einfluss seinerAbartigkeit eine Tat mit schweren Folgen begehen (§ 21Abs 2 StGB). Die Unterbringung dauert auf unbestimmte Zeit(§ 25 Abs 1 StGB): Der Täter wird festgehalten, bis seine Abartigkeitoder seine Gefährlichkeit aufhört, er kann aus derUnterbringung nur bedingt entlassen werden (§ 47 Abs 1StGB). Aber neben der Unterbringung wird der Täter auch zueiner Strafe verurteilt: Wenn seine Abartigkeit oder Gefährlichkeitaufhörte, bevor er aus der Strafe bedingt oder unbedingtentlassen werden kann, müsste die Unterbringung beendetund die Strafe weiter vollstreckt werden. Die offizielleRechtfertigung für die Unterbringung nach § 21 Abs 2 StGB:Die Gesellschaft müsse vor abartigen gefährlichen Rechtsbrechernauch über die Dauer der Strafe hinaus geschütztwerden.Die Zahl der nach § 21 Abs 2 StGB Untergebrachtenist nicht groß, aber sie steigt gerade in letzter Zeit bedenklichan. Am 1.12.2001 befanden sich 233 Personenin dieser Unterbringung, 2002 waren es schon 248,2003 gar 285. 1 Die Unterbringung nach § 21 Abs 2StGB ist eine der vielen Lügen, an denen die österreichischeStraf<strong>recht</strong>spflege krankt.1) Was ist eine geistige oder seelische Abartigkeithöheren Grades? Alle Menschen sind verschieden, esgibt sonderliche und weniger sonderliche, gestörte undweniger gestörte Menschen. Es ist schon schwierig genug,einen Kreis von Menschen auszusondern, derenBesonderheiten einem der Krankheitsbilder der Psychiatrieentsprechen oder ihnen nahe kommen; sie sind zurechnungsunfähig(§ 11 StGB) und kommen hier nicht weiter inBetracht. Aber wie soll man unter den zurechnungsfähigen,also „normalen“ und darum <strong>recht</strong>lich verantwortlichen, Täternwieder eine Gruppe als abartig ausscheiden? Es heißt, 2die Abartigkeit müsse „eindeutig außerhalb der Variationsbreitedes Normalen liegen“. Sehr schön! Aber wo hört dieVariationsbreite des Normalen auf? In der Regel werden diegeistigen und seelischen Besonderheiten, die der Richter alsAbartigkeit beurteilt, in vagen Floskeln beschrieben, die sichauf sehr viele Menschen anwenden lassen: „Psychopathie“,„sexuelle Perversion“, „soziale Instabilität“ usw. Freilichmuss der Richter, bevor er eine Unterbringung anordnet, einenSachverständigen hören (§ 439 Abs 2 StPO). Aber dashilft nicht weiter: Auch wenn es dem Sachverständigen gelänge,die geistigen und seelischen Eigenschaften des Täterswertfrei, anschaulich und konkret zu schildern, wüsste derRichter noch immer nicht, ob diese Eigenschaften noch normaloder schon abnorm sind. Sehr häufig verwenden auchSachverständige leere Floskeln. 3...........................................1) Sicherheitsbericht 2003, 367.2) Leukauf/Steininger, StGB 3 § 21 Rz 20.3) Gratz, Die Praxis der Unterbringung zurechnungsfähigergeistig abnormer Rechtsbrecher2) Freilich beschränkt das Gesetz die Unterbringung aufTäter, die eine Tat begangen haben die mit mehr als einemJahr Freiheitsstrafe bedroht ist. Aber was ist in Österreichnicht alles mit dieser Strafe bedroht? Ein Einbruchsdiebstahlnach § 129 Z 2 StGB (6 Monate bis 5 Jahre) zB kann auchdarin bestehen, dass der Täter die Geldkassette an einem Zeitungsverkaufsstandaufbricht und 30 € stiehlt.In sehr vielen Fällen kann die Tat, die zur Unterbringungführte, wirklich nicht schwer gewesen sein. Das sieht man ander Strafe, die neben der Unterbringung verhängt wird. Fürdie Strafzumessung spielen die Schwere der Tat, die Zahl derTaten und die Vorstrafen die entscheidende Rolle. Meist sinddie Untergebrachten vorbestraft oder Mehrfachtäter. Manmöchte erwarten, dass sie schwere Strafen erhalten, zumalRichter, wenn sie eine Unterbringung anordnen, eher zu höherenStrafen neigen; niedrige Strafen könnten ja an der Gefährlichkeitdes Täters zweifeln lassen. Aber von den zwischen1975 und 1998 Untergebrachten haben 6,8 % eine Strafevon nicht einmal einem Jahr erhalten; 23,9 % eine StrafeDie normalenAbnormalen –zur Unterbringung nach§ 21 Abs 2 StGBChristian Bertel........................zwischen ein und zwei Jahren, 20,2 % eine Strafe zwischenzwei und drei Jahren. In 50,9 % der Fälle betrug die Strafealso nicht einmal drei Jahre. 4 Die Frage nach der Art der Taten,die zur Einweisung führen, ist nicht leicht zu beantworten,weil Untergebrachte häufig wegen mehrerer Taten verurteiltwerden. Von den zwischen 1975 bis 1998 untergebrachtenMännern waren 43,6 % wegen Delikten verurteilt worden,von denen das schwerste ein Sexualdelikt war, in 56,4 % wardas schwerste Delikt ein Nichtsexualdelikt. Und unter diesenbilden die verschiedenen Formen der Diebstähle die Hauptgruppe.5 Präzisere Schlüsse wage ich aus den mir vorliegendenUnterlagen nicht zu ziehen.Der Verdacht, dass unter den Untergebrachten Täter mittelschwererDiebstähle eine beträchtliche Rolle spielen, kannman durch Beispiele belegen. Eines sei hier herausgegriffen.Ein junger Mann, schon als Hauptschüler in heilpädagogischerBehandlung, „aus dem Familienverband unmotiviertausgebrochen“, hatte schon mehrere Lehren abgebrochen,war inzwischen mehrfach vorbestraft und schon im Strafvollzuggewesen; nun wurde er wieder wegen mehrerer Ein-(1986) 69ff.nahmenvollzug – eine Zwischenbilanz (2001) 56f;4) Gutierrez-Lobos ua, Der österreichische Maßnahmenvollzugnach § 21 Abs 2 öStGB, in: Gutier-5) Gutierrez-Lobos, Maßnahmenvollzug 54f,Gratz, Unterbringung 48.rez-Lobos/Katschnig/Pilgram (Hrsg), 25 Jahre Maß-Gratz, Unterbringung 50.<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 201


themabruchsdiebstähle iSd § 129 StGB zu einer Freiheitsstrafe vonzwei Jahren verurteilt und nach § 21 Abs 2 StGB untergebracht(12 Os 181/94). Seine geistig- seelische Abartigkeit bestandnach Meinung des Richters in einer „hochgradig gestörtenPersönlichkeitsstruktur durch psychische und soziale Instabilität“.Die Instabilität dieses Täters zeigt sein Lebenslauf;welche geistigen und seelischen Besonderheiten dafür ursächlichsind, haben weder der Sachverständige noch der Richterherausgefunden. Bei diesem Vorleben und wirklich schwerenTaten wäre die Strafe anders ausgefallen. Welche Tat mitschweren Folgen hat das Gericht wohl von diesem Täter befürchtet?3) Taten mit schweren Folgen sind Taten, von denen jedeeinzelne über den Rahmen alltäglicher Vorsatzkriminalitätdeutlich hinausgeht, weil der Schaden besonders groß ist oderweil sie verbreitet Unruhe und Besorgnis auslöst; bei Vermögensdeliktenverlangt man gewöhnlich einen Schaden vonmehr als 40.000 €. 6 Die Einbrüche, die dieser Täter wohlauch in Zukunft begangen hätte, wären in ihrer Gesamtheitsicher sehr störend gewesen; jede einzelne Tat für sich genommenwohl nicht. Wie konnte es dennoch zur Unterbringungkommen? Gewöhnlich stellen die Richter in ihren Urteilennicht fest, welche konkreten Taten sie vom Beschuldigtenerwarten, prüfen auch nicht, ob die erwarteten Tatensolche mit schweren Folgen sind, sondern schreiben lediglich,es sei zu befürchten, der Beschuldigte werde unter demEinfluss seiner Abnormität Taten mit schweren Folgen begehen.Was der Richter befürchtet und was er unter Taten mitschweren Folgen versteht, bleibt damit im Ungewissen; derlockere Umgang mit dem Gesetz wird etwas verdeckt.Aber vielleicht wollte das Gericht etwas Vernünftiges tun:Und dafür sorgen, dass der Täter eine Behandlung erhält, dieihm zu sozialer Anpassung verhilft. Dann hat sich der Richtergründlich geirrt.Einen einigermaßen therapeutischen Vollzug erhalten dieUntergebrachten in der Sonderanstalt Mittersteig. Dort aberbefanden sich am 1.12.2003 nur 114 Untergebrachte, 168 dagegenin Sonderabteilungen allgemeiner Justizanstalten. 7 DieUnterbringung unterscheidet sich dort vom gewöhnlichenStrafvollzug so gut wie gar nicht. Für mehr als die Hälfte dernach § 21 Abs 2 StGB Untergebrachten hat die Unterbringungnur eine Konsequenz: Sie müssen damit rechnen, dasssie über die Strafzeit hinaus im Vollzug festgehalten werden.Diese Gefahr ist gerade bei Untergebrachten, die zu kleinerenFreiheitsstrafen verurteilt wurden, besonders groß. Gerade fürTäter kleiner Nichtsexualdelikte geschieht in der Unterbringungso gut wie gar nichts, gerade sie werden dort häufig überdie Strafzeit hinaus festgehalten.Untergebrachte mit längeren Strafen, vor allem Sexualtäter,haben bessere Aussichten, nach Mittersteig zu kommen;das aber erst, wenn sie einen Großteil ihrer Strafe in einer Sonderabteilungdes allgemeinen Strafvollzugs verbüßt haben.Dann muss die Therapie in Mittersteig zunächst einmal beginnen,die seelischen Schäden der Haft abzubauen. Undwenn es dann gelingt, den Untergebrachten soweit zu bringen,dass man ihn – mit Hilfe und Betreuung – ein Leben in Freiheitführen lassen könnte und sollte, muss der Anstaltsleiter erstnoch damit rechnen, dass das Gericht die bedingte Entlassungverweigert. Der Untergebrachte verliert dann das Interesse anTherapie und Behandlung, die Therapeuten sehen sich in ihrerArbeit gestört und behindert, der weitere Aufenthalt in Mittersteigkann dem Untergebrachten nicht weiterhelfen, aberer nimmt dort anderen, die eine Behandlung dringend brauchten,den Platz weg. Schließlich gibt es viele Gefangene, dienicht zu einer Unterbringung verurteilt wurden, die aber eineTherapie und einen begleiteten Übergang in die Freiheit dringendnötig hätten. Aber nur für die wenigsten von ihnen findetsich in Mittersteig Platz.Die Unterbringung nach § 21 Abs 2 StGB ist eine Maßnahme,die von Richtern nach Belieben angeordnet werden kann;eine Maßnahme, die zur längeren Anhaltung gerade von Täternkleinerer Taten führt; eine Maßnahme, die zur Sicherungder Gesellschaft vor schweren Taten gefährlicher Täter nichtnotwendig ist, weil sie ohnehin zu hohen Strafen verurteiltwerden; eine Maßnahme, die zur Behandlung und Förderungder Untergebrachten gar nichts oder erst beiträgt, wenn sieschon durch die Strafhaft geschädigt wurden; eine Maßnahmeüberdies, die den rationellen Einsatz der wenigen Therapieplätzeerschwert. Sie sollte endlich ersatzlos abgeschafft unddie vorhandenen Therapiemöglichkeiten an die Gefangenenvergeben werden, die dafür am besten geeignet sind. 8Auch in diesem Zusammenhang ist eine Reform der bedingtenEntlassung unbedingt notwendig. Über die bedingteEntlassung sollten in allen Instanzen Personen entscheiden,die vom Strafvollzug, von Therapie und Betreuung Entlassenerwenigstens ein gewisses Maß von Erfahrung haben. Richterhaben diese Erfahrung leider nicht.Christian Bertel ist o.Universitätsprofessor am und derzeitigerLeiter des Instituts für Straf<strong>recht</strong> und sonstigeKriminalwissenschaften der Universität Innsbruck............................................6) Leukauf/Steininger, StGB 3 § 21 Rz 14. 7) Sicherheitsbericht 2003, 368. 8) Gratz, Unterbringung 239ff.Seite 202 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


justiz und randgruppenDie Psychiatrie arbeitet im Grenzbereich zwischen biologischorientierter Medizin, Psychologie und Soziologie und hat daherauch eine eindeutig politische Dimension. Die in der PsychiatrieTätigen haben somit die Aufgabe, sich immer wieder mitder eigenen Position und jener der PatientInnen im Spannungsfeldzwischen Gesellschaft, Macht und Recht auseinanderzusetzen.Und das betrifft besonders die Tätigkeit als Gerichtsgutachter/in.In der Gesetzgebung sind traditionellerweise die BegriffeBestrafung, Schuldfähigkeit und Abwe-senheit einerpsychischen Störung untrennbar miteinander verbunden. WederKriminalität noch psychische Störung existieren aber unabhängigvon <strong>gesellschaft</strong>lichen Strömungen. Definitionsgemäßsind der/die Sachverständige unparteiische Personen, die wegenihrer Fachkenntnisse <strong>recht</strong>serhebliche Umstände vor Gerichtunter Wahrheitspflicht aussagen; sie werden vom Gerichtbestellt, gegenüber dem Auftraggeber besteht keine Verschwiegenheitspflicht.Eine Ablehnung des Gutachtensauftrages hatzu erfolgen, wenn sich der/die Sachverständige befangen fühltbzw. wenn er/sie in den Verdacht der Befangenheit gerät.Der/die Sachverständige soll objektiv sein und sein/ihrGutachten soll auf wissenschaftlicher Basis stehen. Soweit die formalen Anforderungen. Warum gerade psychiatrischeGutachten immer wieder im Kreuzfeuer derKritik stehen, dafür gibt es viele unterschiedliche Gründe.Einer davon ist die <strong>gesellschaft</strong>liche Einstellung gegenüberder Psychiatrie und ihren PatientInnen, die geprägtist von Vorurteilen und Stigmatisierung. „Im Bewusstseinder Öffentlichkeit werden die Außenseiter derGesellschaft entweder zu milde oder zu hart angefasst.Die forensische Psychiatrie, von der Gesellschaft mit derVerwaltung der doppelt Stigmatisierten beauftragt, hatauch den doppelten Tadel zu erwarten.“ stellte Rasch(1986) folgerichtig fest. Im Folgenden sollen drei Kernbereichediskutiert werden, die sich auf die generelle Qualitätund die Objektivität von psychiatrischen Gutachten sowie dieProblematik der Gefährlichkeitsprognosen beziehen.Qualität psychiatrischer GutachtenDie Qualität psychiatrischer Gutachten und die mangelndeVergleichbarkeit von Gutachtensergebnissen sind in der Vergangenheit– auch von psychiatrischen Sachverständigenselbst - wiederholt kritisch hinterfragt worden. Ausgehendvon der Streitschrift Tilman Mosers „Repressive Kriminalpsychiatrie“im Jahr 1971 sind im deutschen Sprachraum ersteVersuche unternommen worden, um die „Geheimwissenschaft“der Gutachtenserstellung empirisch zu beleuchten.Die bisher vorliegenden Untersuchungsergebnisse werfen inder Tat ein eher düsteres Bild auf die Qualität von psychiatrischenGutachten. Von Erhebungsmängeln, abwertender undverurteilender Sprache, mangelnder Vergleichbarkeit beiMehrfachgutachten, der Vorwegnahme richterlicher Entscheidungen,dem Verdacht der willfährigen „Haus- und Hofgutachter“uäm ist die Rede. Pfäfflin (1976) hat als Erster imdeutschen Sprachraum Gutachten über Sexualstraftäter untersucht.In 75% der untersuchten Gutachten wurde Schwachsinnbehauptet ohne einen entsprechenden Intelligenztestdurchgeführt zu haben, in 55% fanden sich keine verwertbarenund in 25% überhaupt keine Angaben zur Sexualanamnese,in 30% der Gutachten fand sich eine vorurteilsbehafteteTerminologie wie „abartig, minderwertig, primitiv, stumpfsinnig“.In einer eigenen Untersuchung (Gutierrez et al 2001)waren nur in 48% der Gutachten über in den Maßnahmenvollzugeingewiesene Sexualstraftäter Angaben zur Sexualanamnesezu finden, eine entsprechende nach international üblichenKriterien erstellte Diagnose fand sich gar nur in etwa 9%der Gutachten. Nowara (1995) und Konrad (1995) haben nachder Analyse von Mehrfachbegutachteten festgestellt, dass 2/3 der Gutachten divergieren und darauf hingewiesen, dass esunter den Sachverständigen keinen Konsens über Erhebungsbereiche,Standardkriterien und Gewichtung der Kriterien gebe.Dass das aber keine neuen Probleme sind, beweist bereitsdie von Robert Musil anlässlich der Begutachtung von Moosbruggerin „Der Mann ohne Eigenschaften“ geäußerte Feststellung:„Es stehen sich in der Beurteilung eines solchenGrenzfalls auch zwei Schulen gegenüber. Wenn ihre Verhandlungund Untersuchung in Würzburg stattgefunden hätte, wärensie wegen Unzurechnungsfähigkeit freigesprochen worden,hier werden sie verurteilt werden.”Psychiatrische Gutachtenim Spannungsfeldzwischen Medizin, Rechtund GesellschaftKarin Gutiérrez-Lobos........................Die Illusion der Objektivität –psychiatrische BegutachtungDie Psychiatrie an sich und so auch die Begutachtung benütztkeine objektive von der Person losgelöste Diagnostik. Es machtauch einen Unterschied ob ein/eine Sachverständige/r eine biologischeAuffassung von psychischer Störung, eine tiefenpsychologischeoder eine andere Theorie zur Genese psychischerStörungen vertritt. In jede psychiatrische Tätigkeit fließen darüberhinaus eigene Meinung, Erfahrungen, Werte und Ethik ein.Unschwer zu erkennen, dass sich diese Faktoren auf die Interpretationauswirken und auch auswirken müssen. Dass dieseUmstände psychiatrische Gutachten und ihre Ergebnisse beeinflussen,ist zwar bekannt, aber bisher nicht ausreichend untersuchtund bei der Würdigung der Gutachten miteinbezogenworden. Zu fordern, der/die psychiatrische Sachverständigemüsse sich über solche Ideologie hinwegsetzen können, greiftaber zu kurz. Die Begegnung zwischen GutachterInnen undProbandInnen stellt für beide eine völlig neue Erfahrung dar.Beide wollen auf ihre Weise und mit unterschiedlicher Motivationetwas von einander wissen. Darin unterscheidet sich dieseBeziehung auch gar nicht von anderen Beziehungen. Der Unterschiedliegt jedoch in der Konsequenz, die diese Beziehungsqualität,wenn sie unreflektiert in die Beurteilung einfließt, habenkann. So wie der/die ProbandIn dem/der Gutachter/in gegenüberempfindet auch der/die Sachverständige dem/der zuUntersuchenden gegenüber positive und negative Gefühle, Erwartungenund Ängste, Sympathie oder Antipathie. Oft wird<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 203


themadie Leugnung dieser emotionalen und subjektiven Anteilefälschlicherweise als Ausdruck von „Objektivität“ und damitvon Professionalität interpretiert. Eine psychiatrische Explorationist aber in jedem Fall ein interaktiver Vorgang, bei dem ProbandInnenund Sachverständige ihre Erfahrungen und Emotionenaufeinander projizieren. Die Darstellung der Lebensgeschichteeines/einer Täters/Täterin und ihre Interpretationkönnen folglich gar nicht objektiv sein, es sind immer mehrereInterpretationen möglich, von denen mehr oder weniger unbewussteine für die Schlussfolgerungen im Gutachten ausgewähltwird. Je bewusster sich Sachverständige ihrer Gegenübertragungund Subjektivität sind und je ausführlicher sie Gegenübertragungund die Denkschule, auf der ihre Ergebnisseberuhen und welche alternativen Schlüsse möglich wären, imGutachten darstellen, desto „objektiver“ kann das Gutachtensein und umso mehr wird der Anspruch es nach „bestem Wissenund Gewissen“ erstattet zu haben, erfüllt.Besonders problematisch ist die psychiatrische Begutachtungin jenen Fällen, wo der Täter/die Täterin nicht geständigist. Zu den im vorigen Absatz beschriebenen subjektiven Fehlerquellenkommt eine weitere: Kann sich ein/eine GutachterInvorurteilsfrei mit der Frage der Schuldfähigkeit beschäftigenohne die Frage der Täterschaft zu berühren, ohne also gleichsamauch „Ermittlungstätigkeit“ durchzuführen? Es scheint fastunmöglich, dass sich der/die Sachverständige nicht auch mitdieser Frage beschäftigt und zu einer vorerst sehr persönlichenMeinung darüber gelangt. Dass diese Meinung aber bei derDurchführung der Exploration – welche Fragen wonach wieausführlich gestellt werden – und dem darauf basierenden Gutachtenergebniskeine Rolle spielt, ist nicht vorstellbar. Haddenbrock(1981) hat so auch die Frage gestellt, ob ein Gutachtenin diesen Fällen nicht generell die Gefahr in sich birgt, zur unwillkürlichenIndizienbeschaffung herangezogen zu werden.Ausführliches dazu findet sich auch in der aktuellen österreichischenLiteratur, etwa in Pollacks „Anklage Vatermord“, worinein historischer Kriminalfall aus den 30-iger Jahren beschriebenwird. Im Vatermordprozess gegen Philipp Halsmann, derdiese Tat übrigens immer bestritten hat, wurde ein Gutachtender Medizinischen Fakultät Innsbruck in Auftrag gegeben. Darinwird festgestellt, dass der Verdächtige für die kritische Zeiteinem Verdrängungsmechanismus zum Opfer gefallen ist, sodass er sich nicht an den Mord erinnern könne und dass dasVorhandensein einer erotischen Leidenschaft der Mutter gegenüber,also ein Ödipuskomplex, nicht unwahrscheinlich sei,ohne diese Annahmen jedoch anhand der individuellen Angabenund Lebensgeschichte des Verdächtigen zu begründen.Diese Darstellung ermöglichte es der Staatsanwaltschaft quasiim Umkehrschluss Halsmann gerade wegen dieses angeblichenÖdipuskomplexes, der als „Indiz“ gewertet wurde, zu verurteilen.Sigmund Freud hat dazu festgestellt, dass bei Nichterbringungdes Nachweises der Täterschaft, die Erwähnung des Ödipuskomplexesjedoch irreführend ist. Psychiatrische Aussagenzur Schuldfähigkeit sind immer post-hoc Feststellungen, die anbestimmte Gegebenheiten – zumindest aber an die Eindeutigkeitder Täterschaft – gebunden sind, ohne diese Eindeutigkeitsind die Gutachten jedoch wertlos. Es ist und kann nicht Aufgabeder Psychiatrie sein, dem Gericht pseudowissenschaftlicheErklärungen dafür anzubieten, warum jemand aufgrundseiner psychischen Disposition bei nicht erwiesener Täterschaftder/die TäterIn sein könnte.Auch die Diagnostik mittels psychologischer Tests oder anhandvon Kriterienkatalogen ist nicht viel objektiver. Schon dieAuswahl von Tests, die Durchführung und Interpretation bietengenügend Quellen für Subjektivität. Als Beispiel sei der MMPI,ein Test zur Persönlichkeitsdiagnostik, erwähnt, der breite Anwendungbei den unterschiedlichsten Begutachtungen findet.Untersuchungen haben ergeben, dass durch diesen Test beispielsweiseErgebnisse durch geschlechtsstereotype Fragenund Auswertungen beeinflusst werden können. So sollen etwaFragen wie „Gehen sie gerne ins Theater?“ von Frauen mit jaund von Männern mit nein beantwortet werden, um geschlechtskonkordantes– damit persönlichkeitsmäßig unauffälligesVerhalten – zu dokumentieren. Manche Items der Geschlechtsrollenskalenwerden aber auch zur Beurteilung andererSkalen herangezogen: „Ich bin in der Liebe enttäuschtworden“ wird bei Beantwortung mit ja durch Männer auf derPsychopathieskala und damit in Richtung Auffälligkeit verrechnet,bei Frauen aber auf der Weiblichkeitsskala, was als geschlechtskonformund damit als unauffällig gewertet wird. Imschlimmsten Fall – also wenn bei einem Mann oder einer Fraugegen das dort postulierte Geschlechtsrollenstereotyp verstoßenwird – können extrem nachteilige Folgen für die Begutachtetenentstehen. Darüber hinaus sind auch Rechtsbegriffe, wieetwa bei der Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit, wo Kategorienwie schwer, erheblich oder tiefgreifend angeführt sind,an sich schon dazu geeignet eine subjektive Darstellung zu provozieren.Noch weniger ist über die Auswirkungen auf und Rezeptionder Begutachtungssituation durch die ProbandInnen bekannt.Die meisten Untersuchungen und Lehrbücher widmen sichdem Umgang mit den ProbandInnen gar nicht oder nur in wenigenSätzen. Wie oben bereits ausgeführt, sind die Konsequenzenaber u.U. erheblich. Ein derzeit nicht bestimmbarer Anteilan „Wertungsfehlern“ geht auf Störungen in der Interaktion zurückund ist damit als „Untersuchungsfehler“ zu werten (Heinz1986). Littmann (1988) hat ProbandInnen untersucht und ihreErwartungshaltungen vor der Begutachtung und die subjektiveBefindlichkeit, die Wahrnehmung der Gutachtenssituation sowieihre Einschätzung der Kommunikationsstile der GutachterInnennach der Begutachtung erhoben. Auffällig war, dass nurca. 2/3 der ProbandInnen durch die AuftraggeberInnen auf dieGutachtenssituation vorbereitet wurden. Durchschnittlich 1/3der Untersuchten äußerten vor der Begutachtung Ängste undBefürchtungen. 1/3 der Begutachteten fühlten sich durch dieBegutachtungssituation belastet, jeder Vierte bemängelte denzu kurzen Zeitaufwand durch die GutachterInnen. Besonderswichtig für die Gutachtensbewertung ist aber das Ergebnis, dassein hohes Ausmaß beiderseits zugestandener Sympathie häufigerbei sich als straf<strong>recht</strong>lich verantwortlich deklarierender ProbandInnenaufgetreten ist, die keine Erwartung an die Hilfestellungdurch die GutachterInnen hatten. Diese ProbandInnenscheinen womöglich dem ärztlichen Rollenverständnis eherentgegenzukommen. Auf jene ProbandInnen, die sich als nichtvoll verantwortlich einschätzten, es nach Meinung der GutachterInnenaber waren, reagierten die GutachterInnen hingegenmit Abwehr und relativer Antipathie.Im Sinne einer „Schärfung des Sachverständigengewissens“(Müller-Luckmann 1972) besteht dringender Forschungsbedarfzu untersuchen, in welcher Form von den SachverständigenFragen wie Gegenübertragung und psychiatrische Denk-Seite 204 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


justiz und randgruppenschule bewusst wahrgenommen werden, wie sie diese beidenFaktoren im Rahmen der Gutachtenserstellung bewerten undwelchen Stellenwert sie ihnen zumessen, welche Erwartungenund Bedürfnisse die ProbandInnen aufweisen und wie sie dieBegutachtungssituation erleben.Das Risiko von GefährlichkeitsprognosenPrognostizieren ist eine Alltagstätigkeit, die sich in sämtlichenBereichen des Lebens findet und unser Handeln und seine Auswirkungbestimmt. Wie man im täglichen Leben zu einer Prognosedes Verhaltens kommt, ist relativ wenig untersucht. Jedezielgerichtete soziale Aktion basiert auf einer Prognose der Aktionund Reaktionen anderer Beteiligter. Im Alltag handelt essich gewöhnlich um bestimmte Situationen, die das Verhalteneines anderen interessant machen. Die verschiedenen Situationseinflüsse,auch des eigenen Einflusses darauf, sind weitgehendbekannt, die Reaktion anderer darauf lassen sich aufgrundvon Erfahrungen einschätzen. Wir prognostizieren dabei in ersterLinie die Stärke einer Gewohnheit und nicht das Auftreteneines gänzlich neuen Verhaltens (Steinert 1969). Im Falle einerGefährlichkeitsprognose ist die Situation aber komplexer: dieReaktion des Betroffenen in Situationen, in die er kommenkann oder sich bringen wird, ist wie sein Verhalten in diesenSituationen unbestimmt. Auch der Effekt der verfügbaren therapeutischenoder anderer Maßnahmen wird damit beurteilt.Gleichzeitig ist jede mitgeteilte Prognose auch eine Rollenzuschreibung,die als solche ebenfalls Wirkung hat: man kann dieVoraussagbarkeit benützen, um das voraussagbare Verhaltenzu beeinflussen, zu verändern. Die Prognose wird umso unzuverlässigerausfallen, je weiter sie in die Zukunft gerichtet ist.Menschliches Verhalten ist ein Verhalten in einer unvorhersagbarenUmwelt, es folgt einer innerpsychischen Dynamik, diesich einer objektiven Beurteilung weitgehend entzieht. Die Angemessenheitder Zielsetzung, nämlich menschliches Verhaltenvorauszusagen, kann unter diesem Blickwinkel nur in Fragegestellt werden. Es ist menschlichem Verhalten nicht angemessen,es als prognostizierbar zu betrachten. Für die Politik unddie Gesetzgebung steht die Angemessenheit der Zielsetzung jedochaußer Frage.Bei der vom Gesetz geforderten Prognoseerstellung handeltes sich um eine normative Beurteilung bestimmter Risikosachverhalte.Strafbares Verhalten und diesbezüglicheRückfälligkeit sind jedoch nicht ident mit Gefährlichkeit. Gefährlichkeitwird von anderen wahrgenommen auf der Basisvon dem, was eine Person gesagt oder getan hat. Daraus wirdkünftiges gefährliches Verhalten abgeleitet. Gefährlichkeit istein soziales Konstrukt, keine psychiatrische Diagnose. Es verwundertdaher auch nicht, dass PsychiaterInnen bei der Prognosevon künftigem gefährlichem Verhalten nicht besser abschneidenals Laien. Der Baxstrom-Fall in den USA eröffnetedurch die Entlassung von als gefährlich eingestuften PatientInnendie Möglichkeit, die Einschätzung der „irrtümlich“für gefährlich gehaltenen Personen zu überprüfen. Baxstromwurde aufgrund eines Verfahrensfehlers entgegen den Empfehlungender PsychiaterInnen entlassen. Aufgrund dieserEntscheidung wurden weitere 967 als gefährlich eingestufteTäterInnen entlassen. Lediglich 20 % dieser TäterInnen wurdenwieder gewalttätig (Monahan 1973).Die Analyse von Vollzugslockerungsentscheidungen undEntlassungsgutachten im Maßnahmenvollzug – wo die Abnahmeder Gefährlichkeit als entscheidende Entlassungsvoraussetzunggilt – zeigt darüber hinaus, dass trotz aller Forschungsbemühungen,nach wie vor das aktuelle Delikt sowie die Vorstrafenmehr die Gefährlichkeitsbeurteilung beeinflussen, alspsychiatrische Daten. Dieser Umstand macht eine psychiatrischeBegutachtung eigentlich überflüssig, da das Gericht dieseFakten auch ohne Unterstützung eines/einer Sachverständigenbeurteilen könnte.Gefährlichkeitsprognosen sind zweifellos riskant, denn siesind ungeeignet, menschliches Verhalten in einer unbekanntenZukunft vorauszusagen. Ihre Gefährlichkeit besteht letztendlichin der Vortäuschung einer falschen Sicherheit, dennGefährlichkeitsprognosen tragen kaum zur öffentlichen Sicherheitbei. Nur bei einer kleinen und extrem selektiertenMinderheit der Bevölkerung findet überhaupt eine Gefährlichkeitsbeurteilungstatt: bei psychisch Kranken und Personen,die Gewaltdelikte begangen haben. Gefahren und Gewalttätigkeitsind jedoch so verbreitet und drohen der Gesellschaftvon verschiedenen Seiten (rücksichtsloses Autofahren,Ignorieren von Sicherheitsbestimmungen von Fabriken, Fluglinien,etc.), dass der Effekt eine ausgewählte Minderheit dahingehendzu untersuchen und wegzusperren, insignifikantfür die Sicherheit im allgemeinen ist. Das Risiko der Gefährlichkeitsprognoseist kein Methodenproblem. ZuverlässigePrognosen gibt es nicht. Es geht mehr um eine politische Fragestellungals um eine psychiatrische: Wieviel Risiko ist zumutbarund wer soll es tragen? Wenn sich etwa das prognostizierteVerhalten Gewalttätigkeit – wie im oben zitierten Baxstrom-Fall– nur bei jedem/jeder fünften TäterIn bestätigt, soist es in erster Linie eine Frage des <strong>gesellschaft</strong>lichen Konsenseszu entscheiden, ob riskiert wird, dass 4/5 der TäterInnentrotz unzutreffender Prognose weiter in Haft sind oderdass jeder/jede fünfte TäterIn rückfällig wird. In diesem Zusammenhangsind GutachterInnen und JuristInnen aufgefordert,auch aktuelle politische Entwicklungen zu hinterfragen.Werden psychiatrische Gutachten in Zukunft aus anderen Anlässenals bisher angefordert werden? Etwa im Sinne einer Sicherheitspolitik,die sich weg vom Gedanken der Behandlungund Resozialisierung hin zur Identifizierung von für „gefährlich“gehaltener Gruppen wie AusländerInnen, Drogenabhängigen,psychisch Kranken etc. entwickelt und sich damit <strong>gesellschaft</strong>spolitischerEntscheidungen entledigen und diese anExpertInnen delegieren möchte?Begutachten und urteilenAuch der Frage nach der Fähigkeit von RichterInnen undStaatsanwältInnen, fehlerhafte Gutachten zu erkennen, wurdein einigen Untersuchungen nachgegangen. Während Plewig(1983) konstatierte, dass sich JuristInnen der Argumentationvon Sachverständigen häufig ausgeliefert fühlen, wurde in eineranderen Untersuchung (Dittmann 1988) eine hohe Kritikfähigkeitgegenüber Gutachten feststellt. Interessant ist eineUntersuchung von Wolff (1995), der anhand einer Diskursanalysezu folgendem Schluss kommt: "Aus soziologischer Sichtreduziert sich die Rolle der Psychiatrie in juristischen Verfahrenweder auf die Bereitstellung von Diagnosen, erfahrungswissenschaftlichenErgebnissen und Gesetzen, noch darauf, derJustiz nach dem Munde zu reden. Vielmehr arbeitet die Psychiatriean der praktischen Bewältigung bestimmter zentraler Systemproblemejuristischer Verfahren mit, die in keinem unmit-<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 205


thematelbaren Zusammenhang mit psychiatrischer Diagnostik undTherapie stehen: Psychiater bzw. ihre Gutachten machen in`schwierigen Fällen` Entscheidungen möglich und bestandssicher.Sie tun dies, indem sie interpretative Räume ausfüllen helfen,die offensichtlich rein juristisch bzw. auf der Ebene desgerichtlichen Wirklichkeitsverständnisses allein nicht befriedigend,d.h. in <strong>gesellschaft</strong>lich akzeptabler Weise zu schließengewesen wären." Ob die in Zusammenhang mit der gutachterlichenSubjektivität geforderte Offenlegung der subjektivenAnteile und Diskussion alternativer Möglichkeiten von den Gerichtenüberhaupt positiv rezipiert werden würde, bleibt damitfraglich. Bennet und Feldman (1981) zeigten in einer Analysevon Strafverfahren, dass bei RichterInnen der Anschein derWahrheit weit mehr zählt als die Wahrheit selbst. So gewinntin Prozessen häufig die Seite, die die wenigsten Widersprüchein ihrer Argumentation aufweist, unabhängig von der Wahrheit.Tatsächlich gibt es hierfür experimentelle Befunde. Holstein(1985) zeigte in Simulationsstudien, dass das Vorliegen verschiedenerInterpretationen eines Sachverhaltes – auch wennbeide für die Unschuld eines/einer Angeklagten sprechen –nachteilige Konsequenzen für das Erreichen eines positiven Urteilesfür den/die Angeklagten/Angeklagte bedingt. Auch dieRichterInnen unterscheiden sich in ihren Wertehaltungen undsubjektiven Erfahrungen. Tetlock, Bernzweig und Gallant(1985) konnten z.B. für die RichterInnen des Obersten Gerichtshofsder Vereinigten Staaten konsistente Unterschiede inihrer „Liberalität“ nachweisen, die auch über verschiedene Fällehinweg konstant blieben. Zudem spielen Attributionsfehler,die sich je nach Lage des Falles unterschiedlich auswirken können,für RichterInnen eine Rolle. Reue des/der Täters/Täterin,Leiden des Opfers, Attraktivität des Täters und andere Faktorenbeeinflussen stark die Zuschreibung z.B. der Absicht für die Tatals hinterhältig, unbeabsichtigt, kaltblütig, etc.Garber und Maslach (1977) stellten z.B. fest, dass die Verhandlungenüber Strafaussetzungen im erfolgreichen Fall zweiMinuten dauern und im für den Straftäter nicht erfolgreichenFall eine Minute. Das Ergebnis stand bereits vor der Verhandlungfest und wurde in der Verhandlung bestätigt. So wurdenPersonen, deren Strafaussetzung abgelehnt wurde, zu ihrenProblemen im Strafvollzug befragt, während im erfolgreichenFall Fragen nach der Zukunftsplanung im Vordergrund standen.Konecni und Ebbenson (1979, 1982) gingen zunächst vonder Annahme aus, dass man angesichts der großen Komplexitätder einzelnen Fälle einer gutangelegten archivarischen Datenbankbedürfe, um die Zusammenhänge aller Faktoren und Tatsachendes Falles mit dem letztendlichen Urteil aufzudecken.Nach einer Analyse von 400 Fällen in San Diego zeigte sichjedoch ein anderes Bild. Nur drei Faktoren bestimmten das Urteilsverhaltenvieler RichterInnen in zahlreichen Fällen:Schwere des Verstoßes, Zahl früher begangener Verstöße, polizeilicheBewertung der „Gefährlichkeit“. „Man kann begründetdavon ausgehen, dass vor verschiedenen Gerichten für spezifischeVerbrechen verschiedene Normen oder ‘Pauschalen’existieren“ Stephenson (1990, S. 463). Und hier schließt sichder Kreis zu den psychiatrischen Gutachten und relativiert auchderen oft mangelnde Qualität und Objektivität. Urteilen und begutachtenscheint auf vielfältige Weise einer ähnlichen Dynamikzu unterliegen.In den letzten Jahren setzt sich immer mehr das Verständnisdafür durch, dass es keine allgemeingültigen professionellenStandards im Beurteilungsprozess geben kann. UnterschiedlicheMethoden weisen ebenso unterschiedliche Vor- und Nachteileauf. Der blinde Fleck der einen Methode ist die Stärke deranderen. In der Literatur zur Diagnostik wird von daher eineMethodenvielfalt angeregt. Durch die Nutzung streng standardisierterdiagnostischer Instrumente wie Fragebögen kommt esnämlich zu einer starken Einengung des Blickwinkels. Um diestatistischen Gütekriterien von Fragebögen hoch zu halten, istin der Regel eine Konzentration auf einige wenige Aspekte unerlässlich.So bilden Fragebögen in der Regel nur schmal umgrenzteBereiche ab, so dass allein von daher schon die Anwendungverschiedener Diagnoseinstrumente gefordert ist. Aberauch dann ist die Verbindung der einzelnen Befunde nicht immereinfach. Die den verschiedenen Fragebögen zugrundeliegendentheoretischen Perspektiven widersprechen einandernicht selten. Die Gewichtung und Einordnung der Befunde inein Gesamtbild bleibt damit eine rein subjektive Leistung derBeurteilerInnen. Es entsteht damit zwangsläufig die Gefahr,objektive Fragebogenergebnisse als Rechtfertigung schon bestehendersubjektiver Auffassungen zu nutzen. Diagnostikdient dann nicht mehr der Entscheidungsfindung, sondern derEntscheidungs<strong>recht</strong>fertigung. Dieser Gefahr gilt es entgegenzuwirken,indem sowohl objektive Daten als auch subjektivemöglichst transparent zur Entscheidungsfindung herangezogenwerden. Die PsychiaterInnen müssen mehr als bisher klarstellen,was sie aufgrund ihrer fachlichen Kenntnisse leisten können,und das ist eine Menge. Sie müssen aber auch auf das hinweisen,was nicht in ihren Kompetenzbereich fällt. Und dieGutachterInnen und JuristInnen sind zum gemeinsamen kritischenDiskurs, zur Streitrede im besten wissenschaftlichenSinn aufgerufen, wollen sie nicht an der Entwicklung eines„Sachverständigen neuen Typs“, wie ihn Nicolas Becker(1993) in seinem Artikel „Der gute und der schlechte Sachverständige“charakterisiert hat, mitwirken: „Er ist ungefähr 38Jahre alt und hält sich nicht für konservativ. Er hasst und verachtetden Probanden nicht. Seine Empathiefähigkeit ist allerdingsziemlich beschränkt. In der Exploration stellt er dem Probanden„natürlich“ auch unangenehme Fragen. … Eine saubereTrennung zwischen explorativem und wertendem Teil im Gutachtenist für ihn selbstverständlich. Er verwendet jede MengeTests. Die relevante Rechtssprechung des BHG ist ihm geläufig.…. Seine Phantasie hält sich in engen Grenzen. Nichts, waser in seinem Beruf tut, ist ihm `persönlichkeitsfremd`. Er istnicht anderweitig seelisch abartig. Schwere Erschütterungenhat er nicht erlebt. Er macht keine Fehler, aber er ist banaler undvielleicht schrecklicher als die großen Reaktionäre“.Karin Gutiérrez-Lobos ist Fachärztin für Psychiatrie undNeurologie, Psychotherapeutin und Universitätsprofessorinund Leiterin der Hauptambulanz und der forensisch-sozialtherapeutischenAmbulanz an der Universitätsklinikfür Psychiatrie der Medizinischen UniversitätWien. 1996-2001 Leiterin des psychiatrisch-psychotherapeutischenBetreuungsbereichs der Justizanstalt Mittersteig.Forschungsschwerpunkte: Forensische Psychiatrieund Gender medicine. Literaturauskünfte zum obigenBeitrag sind bei der Verfasserin erhältlich:karin.gutierrez-lobos@meduniwien.ac.at.Seite 206 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


justiz und randgruppenDas Straf<strong>recht</strong> gehört zu den Kernbereichen staatlichen Handelns.Jedem Land fällt es schwer, in diesem Bereich Kompetenzenabzugeben, selbst wenn es um die Übertragung vonAufgaben an die Vereinten Nationen oder die EuropäischeUnion geht. Die Schwierigkeiten bei der Schaffung einesStrafgerichtshofs der Vereinten Nationen oder die späte Einräumungvon (ohnedies sehr limitierten) EU-Zuständigkeitenim Straf<strong>recht</strong>sbereich belegen das Misstrauen der Einzelstaaten,wenn es um die Abgabe straf<strong>recht</strong>licher Alleinkompetenzengeht. In Rechtshilfe- oder Auslieferungsverfahren wirdnicht selten die Frage gestellt, ob der eigene Staatsbürger imStrafverfahren in diesem oder jenem europäischen Land auch„ordentlich“ oder fair behandelt wurde.Dem Misstrauen der Mitgliedstaaten stehen auf europa<strong>recht</strong>licherEbene seit einigen Jahren Ambitionen der Kommission,die Straf<strong>recht</strong>ssysteme anzugleichen, gegenüber.In der erst vor wenigen Jahren eingerichteten Generaldirektionfür Justiz, Freiheit und Sicherheit ist manmit Schwung an der Arbeit. 1 In der Angleichung derStraf- und Strafprozessordnungen sieht die Kommissioneine der kommenden Herausforderungen des europäischenProjekts – nach der Schaffung des Binnenmarktssoll der gemeinsame Rechtsraum Europa Wirklichkeitwerden. Die Schaffung von Eurojust und einesEuropäischen Haftbefehls und Maßnahmen zur Stellungvon Opfern im Strafverfahren 2 bedeuten erste,symbolkräftige Erfolge der Kommission, auch wenn essich eher um Maßnahmen einer engeren Zusammenarbeitdenn um Rechtsangleichungen handelt. 3Vor kurzem hat die Kommission nun einen Vorschlagfür einen Rahmenbeschluss des Rates über bestimmteVerfahrens<strong>recht</strong>e im Strafverfahren 4 (im folgendenkurz: Kommissionsvorschlag) vorgelegt. DerVorschlag wird seit einigen Monaten in Rat und Parlamentverhandelt und unternimmt den Versuch einer Mindestharmonisierungder Strafverfahren der Mitgliedstaaten in einigengrund<strong>recht</strong>lich wichtigen Punkten. Im folgenden solleinleitend die noch junge Geschichte der europäischen Straf<strong>recht</strong>sangleichungnachgezeichnet werden; anschließend sollendie Bestimmungen des Kommissionsvorschlags besprochenund bewertet werden.1. Ausgangspunkt TampereDer Europäische Rat nutzte rasch die der Union durch denAmsterdamer Vertrag eingeräumten neuen Kompetenzen.Kaum war der neue Vertrag am 1. Mai 1999 in Kraft getreten,beraumte die finnische Ratspräsidentschaft schon einen Sondergipfelfür Justiz und Inneres an. Die Schlussfolgerungen...........................................des Europäischen Rates auf diesem Treffen von Tampere (15.und 16. Oktober 1999) formulierten die gegenseitige Anerkennunggerichtlicher Entscheidungen als Ziel der Justizpolitikauf europäischer Ebene. Zugleich betonte der EuropäischeRat, dass die gegenseitige Anerkennung und die notwendigeAnnäherung der Rechtsvorschriften den Schutz derRechte des einzelnen durch die Justiz erleichtern würde. DerAufforderung des Europäischen Rates folgend legte die Kommissioneine Mitteilung über die gegenseitige Anerkennungstrafgerichtlicher Entscheidungen vor. 5 Eine der zentralenBotschaften der Mitteilung ist die Forderung, es müsse sichergestelltwerden, dass die Behandlung verdächtiger Personenund die Wahrung der Verteidigungs<strong>recht</strong>e durch die Anwendungdes Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung nichtnur nicht beeinträchtigt, sondern verbessert werden. DiesesAusgangspunktTampere: Unterwegszum europäischenStrafprozessGedanken zum Vorschlag der Kommissionfür einen Rahmenbeschluss über bestimmteVerfahrens<strong>recht</strong>e in Strafverfahreninnerhalb der Europäischen UnionMira Kadric und Oliver Scheiber........................1) vgl die Homepage der Generaldirektion: http://europa.eu.int/comm/dgs/justice_home/index_de.htm (Stand: Dezember 2004).2) Beschluss des Rates vom 28. Februar 2002über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkungder Bekämpfung der schweren Kriminalität (ABl L63 vom 6.3.2002); Homepage: http://www.eurojust.eu.int(Stand: Dezember 2004); Rahmenbeschluss2002/584/JI des Rates über den EuropäischenHaftbefehl und die Übergabeverfahren zwischenden Mitgliedstaaten (ABl L 190 vom18.07.2002); Rahmenbeschluss 2002/22/JI des Ratesvom 15. März 2001 über die Stellung von Opfernin Strafverfahren (ABl L 82 vom 22.3.2001); Richtlinie2004/80/EG des Rates vom 29. April 2004 zurEntschädigung der Opfer von Straftaten (ABl L 261vom 6.8.2004).3) In Richtung Angleichung der Strafprozessordnungengeht es dagegen beim bereits erwähntenRahmenbeschluss über die Stellung von Opfern inStrafverfahren – vgl FN 2.4) Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Ratesüber bestimmte Verfahrens<strong>recht</strong>e in Strafverfahreninnerhalb der Europäischen UnionZiel wurde bald darauf in einem gemeinsamen Maßnahmenprogrammdes Rates und der Kommission 6 wiederholt.Die Arbeiten in den europäischen Institutionen zur Erreichungder gegenseitigen Anerkennung strafgerichtlicher Entscheidungengestalten sich jedoch schwierig; die Mitgliedstaatenhaben bei der Frage der gegenseitigen Anerkennung strafgerichtlicherUrteile und Beschlüsse ganz offenbar Bedenken,ob die Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten in qualitativhochwertigen Verfahren zustande kommen (dabei wird nichtselten ein allzu kritischer Maßstab bei der Prüfung fremderEntscheidungen angelegt; vergessen wird – man denke nur andie Fragwürdigkeit österreichischer Abwesenheitsurteile – aufdie Unzulänglichkeiten und Schwächen des eigenen Systems).Die Kommission geht daher seit Jahren von der Überlegung[KOM(2004)328endg. - nicht im Amtsblatt veröffentlicht].5) Mitteilung der Kommission an den Rat und dasEuropäische Parlament vom 26. Juli 2000 über diegegenseitige Anerkennung strafgerichtlicher Entscheidungen[KOM(2000)495endg. vom29.7.2000].6) Maßnahmenprogramm des Rates und derKommission zur Umsetzung des Grundsatzes dergegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungenin Strafsachen (ABl C 12 vom 15.1.2001,Seite 10).<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 207


themaaus, dass es nur dann zu einer vollen wechselseitigen Anerkennunggerichtlicher Entscheidungen kommen wird, wenn zuerstMindestnormen für die gerichtlichen Verfahren aufgestellt, dieStrafverfahren der Mitgliedstaaten also aneinander angeglichenwerden. Es sollen zunächst die Rechte aller Verdächtigenund Angeklagten harmonisiert werden. Nach Erreichen eineseinheitlichen Schutzniveaus für Verdächtige und Angeklagteinnerhalb der Europäischen Union, so die nachvollziehbareÜberlegung der Kommission, müsste es den Mitgliedstaatenleichter fallen, strafgerichtliche Entscheidungen im vollenUmfang gegenseitig anzuerkennen.Im Bemühen um die Schaffung gemeinsamer Mindestnormenfür den Strafprozess legt die Kommission einen Schwerpunktauf den angemessenen Schutz ausländischer Verdächtigerund Angeklagter, zumal die Zahl ausländischer Angeklagterin allen Mitgliedstaaten aufgrund der höherenberuflichen Mobilität, des wachsenden Tourismus sowie aufgrundder Migrations- und Flüchtlingsbewegungen ansteigt.Schließlich hat auch die organisierte Kriminalität zunehmendgrenzüberschreitenden Charakter. Der Kommissionsvorschlagfür einen Rahmenbeschluss schließt eine erste Etappeder Arbeiten der Kommission auf diesem Gebiet ab. AlsRechtsgrundlage für einen Rahmenbeschluss beruft sich dieKommission auf Artikel 31 EUV in der Fassung des Vertragsvon Nizza.2. Der Inhalt des KommissionsvorschlagsDie im Kommissionsvorschlag vorgesehenen Verfahrens<strong>recht</strong>elassen sich in fünf Blöcke einteilen:1. Das Recht auf (unentgeltlichen) Rechtsbeistand (Artikel2, 3, 4 und 5 des Vorschlags):Der Vorschlag sieht ein Recht auf Rechtsbeistand, im Falleder Einkommenslosigkeit auch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand,in ähnlicher Form vor, wie dies aus der österreichischenStrafprozessordnung bekannt ist. Demnach soll jederVerdächtige einen Rechtsbeistand konsultieren können, bevorer Fragen in Bezug auf die Anklage beantwortet. In bestimmtenSituationen muss jedenfalls ein Rechtsbeistand vorhandensein, so etwa für die Dauer der Untersuchungshaft,nach Anklage einer komplexeren Straftat (bei mehr als einemJahr Haftstrafdrohung) oder generell im Fall von Minderjährigen.Auch Personen, die aufgrund ihres Alters, ihrer mentalen,physischen oder emotionalen Verfassung nicht in der Lagescheinen, den Inhalt oder die Bedeutung des Strafverfahrenszu verstehen oder dem Verfahren zu folgen, muss injedem Fall ein Rechtsbeistand zur Verfügung gestellt werden.2. Recht auf Dolmetschung und Übersetzung der maßgeblichenDokumente (Artikel 6, 7, 8 und 9 des Vorschlags):Nach dem Vorschlag haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen,dass einer verdächtigen Person, die die Verfahrenssprachenicht versteht, unentgeltlich ein Dolmetscher beigestelltwird, und zwar auch für Besprechungen mit dem Rechtsbeistand.Ausdrücklich im Gesetzestext findet sich dieFeststellung, dass das Recht auf unentgeltliche Beiziehung einesDolmetschers auf Personen mit Hör- oder SprachbehinderungenAnwendung findet. Damit ist also das Recht auf Gebärdensprachdolmetschunggewährleistet. Zum Recht auf unentgeltlicheÜbersetzung ist hervorzuheben, dass nach demKommissionsvorschlag zwar grundsätzlich die zuständigenBehörden entscheiden, welche Dokumente zu übersetzensind. Der Rechtsanwalt des Verdächtigen kann jedoch dieÜbersetzung weiterer Dokumente verlangen (Artikel 7 Ziffer2 des Vorschlags). Darüber hinaus schreibt der Entwurf ausdrücklichden Einsatz “hinreichend qualifizierter” Übersetzerund Dolmetscher vor. Eine echte Innovation aus österreichischerSicht würde die im Entwurf (Artikel 9) vorgesehene Audio-oder Videoaufzeichnung jeder Strafverhandlung, in derein Dolmetscher beigezogen wird, bedeuten. Die Parteien sollenim Streitfall eine Kopie der Aufzeichnung erhalten. Ansonstenist die Verwendung der Aufzeichnung auf die Überprüfung,ob die Dolmetschung korrekt erfolgt ist, beschränkt.3. Recht auf besondere Aufmerksamkeit (Artikel 10 desVorschlags):Ein weiterer innovativer Ansatz des Kommissionsvorschlagsliegt in den umfassenden Schutz<strong>recht</strong>en, die allen Personeneingeräumt werden sollen, die aufgrund ihres Alters, ihrermentalen, physischen oder emotionalen Verfassung demVerfahren nicht umfassend folgen können. Diesen Personensoll „besondere Aufmerksamkeit“ zuteil werden. Nach der Begründung(Punkt 40) des Vorschlags sollen sich alle Strafverfolgungsbehördenund Gerichte verstärkt der Probleme dieserPersonen bewusst werden; es soll von ihnen verlangt werdenzu prüfen, ob eine verdächtige Person in irgendeiner Weise besondereAufmerksamkeit benötigt. Wenn ja, soll diese besondereAufmerksamkeit sichergestellt werden. Die Rücksichtnahmesoll im Einzelfall etwa durch die Anwesenheit der Elternwährend der Befragung eines Kindes oder durch Hinweiseüber die Möglichkeiten ärztlicher Hilfe für psychisch krankePersonen bestehen. Die Ausgestaltung wird im einzelnen denMitgliedstaaten überlassen. Die Pflicht zur Gewährung besondererAufmerksamkeit soll während des gesamten Strafverfahrensbestehen und der Förderung eines fairen Verfahrens undder Vermeidung möglicher Fehlentscheidungen aufgrund derVerletzlichkeit der betreffenden Personen dienen. Ziel derKommission ist es, dass sich etwa Richter die Frage stellen, obder Verdächtige angesichts seines Alters oder seiner mentalen,physischen oder emotionalen Verfassung in der Lage ist, dasVerfahren zu verstehen bzw. diesem zu folgen. AllfälligeSchritte, die zur Durchführung dieses Rechts ergriffen werden,sollen schriftlich als Aktenvermerk festgehalten werden.Zur Durchsetzung des Rechts auf besondere Aufmerksamkeitsoll wie im Falle der Dolmetschung eine Audio- oder Videoaufzeichnungder betroffenen Verfahren bzw. der Verhöreim Vorverfahren angefertigt werden.4. Recht auf Kommunikation (Artikel 11 - 13 des Vorschlags):Der Entwurf sieht das Recht auf Kommunikation Verdächtigerbzw. in Untersuchungshaft genommener Personen mitihren Angehörigen, Vertrauenspersonen bzw. Konsularbehördenvor. Dabei handelt es sich im wesentlichen um Rechte,wie sie in der österreichischen Strafprozessordnung bereitsumfassend vorgesehen sind.5. Informations<strong>recht</strong>e (Artikel 14 des Vorschlags):Jeder Verdächtige soll durch eine schriftliche Mitteilung(letter of rights) über die maßgeblichen Verfahrens<strong>recht</strong>e informiertwerden. Die Mitgliedstaaten sollen sicherstellen,dass diese schriftlichen Mitteilungen in allen Amtssprachender EU in den Polizeidienststellen aufliegen, damit eine festgenommenePerson sofort in einer ihr verständlichen Spracheüber ihre Rechte informiert werden kann.Seite 208 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


justiz und randgruppen3. BewertungDie Kommission weist in der Begründung ihres Vorschlagszu Recht darauf hin, dass ein modernes Verständnis des fairenVerfahrens nach Art 6 MRK die im Rahmenbeschluss vorgesehenenBeschuldigten<strong>recht</strong>e einschließt; auch die Grund<strong>recht</strong>schartader EU verlange umfassende Verteidigungs<strong>recht</strong>efür jeden Verdächtigen im Strafverfahren. Dennoch gehtder Kommissionsvorschlag in einzelnen Punkten über das bisherigeSchutzniveau der Strafverfahren in einigen Mitgliedstaatenhinaus. Aus österreichischer Sicht sind mehrere Aspektedes Kommissionsvorschlags beachtlich: zum einen dieumfangreichen Vorarbeiten der Kommission mit ihrem interdisziplinärenAnsatz; inhaltlich interessiert vor allem der Gedankeder Audio- oder Videoaufzeichnung aller Strafverhandlungen,in denen Dolmetschungen erfolgen oder an denenbesonders schützenswerte Personen beteiligt sind.Die Vorarbeiten zum EntwurfDie Kommission hat in die Vorarbeiten gedanklich wie finanziellviel investiert; das Konsultationsverfahren war überausbreit angelegt. Dabei hat die Kommission nicht nur nationaleMinisterien und Vertreter der Rechtsberufe einbezogen, sondernsich insbesondere auch an die Translationswissenschaftund an praktizierende Dolmetscher und Übersetzer gewandt.So wurden bisher zur Frage der Dolmetschung und Übersetzungvor Gericht drei internationale Konferenzen (2001 inPrag, 2002 in Antwerpen und 2004 in Den Haag) abgehalten,an denen jeweils ein Austausch zwischen Juristen und Translationswissenschaftlern,Dolmetschern und Übersetzern stattfand.Auf Grund der Ergebnisse der ersten beiden Konferenzenlegte die Kommission im Februar 2003 ein Grünbuchvor. 7 Auf das Grünbuch erhielt die Kommission insgesamt 78schriftliche Antworten; ergänzend veranstaltete die Kommissionim Juni 2003 eine öffentliche Anhörung über Verfahrensgarantien.Zu dieser Anhörung lud die Kommission wiederumalle beteiligten Fachkreise und all jene Personen und Institutionenein, die zum Grünbuch Stellung genommen hatten.Schließlich wurde bei der dritten Konferenz bewusst DenHaag als Tagungsort gewählt, um das Know-how der dort vorhandeneninternationalen Einrichtungen (Internationaler Gerichtshof,Ständiger Schiedsgerichtshof, InternationalerStrafgerichtshof, Internationales Tribunal für das frühere Jugoslawien,Europol und Eurojust usw) auf dem DolmetschundÜbersetzungswesen zu nutzen. Das aufwändige, interdisziplinärangelegte Konsultationsverfahren ist sicher entscheidendfür die hohe Qualität des Kommissionsvorschlags.Audio- und Videoaufzeichnung bestimmterStrafverhandlungenInhaltlich hat die Kommission mit den Schwerpunkten derPrüfung der Qualität von Dolmetschungen und Übersetzungensowie dem Schutz von Personen, die aufgrund ihres Altersoder gesundheitlicher Probleme dem Verfahren nicht folgenkönnen, zentrale Problembereiche der europäischen Strafverfahrenerkannt. Der Kommissionsvorschlag bringt die Frage...........................................7) Grünbuch der Kommission über Verfahrensgarantienin Strafverfahren [KOM(2003)75endg. vom19.2.2003].8) Näher dazu Kadric in Soyer (2004), Strafverteidigung– Konflikte und Lösungen, 81.des Schutzes von Menschen, die aufgrund ihres Alters oderihres Gesundheitszustandes im Verfahren benachteiligt sind,in Erwägungsgrund 14 auf den Punkt: “Die Pflicht, für verdächtigePersonen, die das Verfahren nicht verstehen oderihm nicht folgen können, Sorge zu tragen, ist Grundlage füreine faire Justiz. Wenn sich eine verdächtige Person aufgrundihres Alters, ihrer mentalen, physischen oder emotionalenVerfassung in einer potenziell schwachen Position befindet,kann das Kräfteverhältnis zu Gunsten der Anklage, der Strafverfolgungsbehördenund der Justiz verschoben werden. DieseBehörden müssen sich daher einer möglichen Verletzbarkeitsolcher Personen bewusst sein und geeignete Schritte ergreifen,damit das Gleichgewicht wieder hergestellt wird. Mitdiesem Rahmenbeschluss soll daher die Stellung dieser Personenverbessert werden, indem spezielle Rechte festgelegtwerden”.Was Gerichtsdolmetschungen betrifft, lässt sich aus der österreichischenstrafgerichtlichen Praxis zunächst die Ansichtder Kommission bestätigen, dass in vielen Sprachen keineausreichend qualifizierten Dolmetscher zur Verfügung stehen.An den österreichischen Universitäten gibt es nur für dieWeltsprachen bzw. einzelne andere Sprachen eine qualifizierteAusbildung. 8 Für viele im Gerichtsalltag wichtige Sprachenwie etwa Hindi bzw. sämtliche afrikanische Sprachen gibt eskeinerlei Ausbildung in Österreich. Dementsprechend sindfür diese Sprachen auch keine oder nicht ausreichend qualifiziertePersonen in die Liste der gerichtlich beeideten und zertifiziertenDolmetscher eingetragen. Das gilt auch für die Gebärdensprache:erst seit dem Jahr 2002 existiert in Graz diebisher einzige universitäre Ausbildung für Gebärdensprachdolmetscherin Österreich; 9 die Absolventen werden erst inden nächsten Jahren zur Gerichtsdolmetscherprüfung antreten.In anderen Mitgliedstaaten ist die Situation ähnlich. Darausergibt sich zweierlei: Zum einen muss, wie von der Kommissionvorgeschlagen, sichergestellt werden, dass Dolmetschungenund Übersetzungen im Verfahren selbst überprüftwerden können. Zum anderen werden Anstrengungen zu unternehmensein, die Ausbildung der Gerichtsdolmetscher europaweitzu verbessern bzw. zu standardisieren. Daneben bestehtin Österreich – wie in vielen anderen Mitgliedstaaten,die Kommission weist in der Begründung des Vorschlags zumRahmenbeschluss darauf hin – das Problem, dass viele Strafgerichtenur unzureichend Dolmetschungen zulassen. Vielfachist einfach fehlendes Wissen bei den Vertretern derRechtsberufe über professionelle und zeitsparende DolmetschtechnikenGrund für mangelnde Dolmetschungen unddamit für Verletzungen des Prinzips des fairen Verfahrens. 10Gerade deshalb ist der interdisziplinäre Ansatz der Kommissionder einzig zielführende.Die von der Kommission vorgeschlagene Kontrolle der Dolmetschungenund Übersetzungen durch Audio- oder Videoaufzeichnungenist zu begrüßen. Um so mehr ist es zu bedauern,dass nach Berichten aus Kommissionskreisen unter anderemDeutschland und Österreich in der zuständigen Ratsarbeitsgruppesolche Audio- und Videoaufzeichnungen strikt ableh-9) Näheres im Internet unter: http://www-gewi.uni-graz.at/uedo/signhome(Stand Dezember2004).<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 209


themanen. Die angegebenen Kostengründe können nicht überzeugen;Audioaufzeichnungen etwa lassen sich mit geringem Aufwandherstellen. Die Anschaffung eines Tonaufnahmegeräts übersteigtwohl kaum das durchschnittliche Entgelt für einen Dolmetscherin einer einzigen Strafverhandlung. Im übrigen stehenan jedem größeren Gericht Videorecorder und Aufnahmegerätefür die im österreichischen Recht seit Jahren vorgesehenen Videovernehmungenzur Verfügung. Auch das von einem deutschenVertreter auf der Konferenz in Den Haag ins Treffen geführteArgument, Zeugen könnten bei einer audio- oder videoaufgezeichnetenVerhandlung Hemmungen haben, auszusagen,geht ins Leere. Die Praxis einer großen Zahl von Mitgliedstaaten,wo Video- und Audioaufzeichnungen von Polizei- undGerichtsvernehmungen bereits eine Selbstverständlichkeitsind, steht solchen Vermutungen entgegen. Spanien und Polenhaben erst vor kurzem das bisherige System der Protokollierungvon Strafverhandlungen auf Audio- und Videoaufzeichnungumgestellt. Die technischen Systeme wurden eigens denBedürfnissen der Gerichte angepasst. 11 Die Einwände gegendie Aufzeichnung von Gerichtsverfahren, die ausschließlichder Überprüfung der Dolmetschqualität dienen soll, ist im Hinblickauf die Öffentlichkeit der Verhandlungen unverständlich.Aus österreichischer Sicht erschiene insbesondere die Aufzeichnungder von den Sicherheitsbehörden durchgeführtenVernehmungen wichtig. Während die Gerichte überwiegendauf gerichtlich beeidete und zertifizierte Dolmetscher zurückgreifen,treten bei der Polizei – aus welchen Gründen auch immer– allzu oft unqualifizierte Dolmetscher in Erscheinung.Das führt nicht zuletzt zu aufwändigen Erörterungen und Beweisaufnahmenin der Hauptverhandlung darüber, ob vor derPolizei korrekt gedolmetscht wurde und was der Verdächtigebei der polizeilichen Vernehmung tatsächlich ausgesagt hat.Durch die mit vergleichsweise geringem Aufwand zu bewerkstelligendeAudioaufzeichnung der Polizeivernehmung ließensich Kosteneinsparungen im Gerichtsverfahren erzielen; dieZahl unbe<strong>recht</strong>igter Vorwürfe gegen den Dolmetscher würderasch zurückgehen. Es liegt jedenfalls auf der Hand, dass dieQualität der Verfahren insgesamt steigt, wenn die Vernehmungenund Verhandlungen auf Band aufgezeichnet werden.Auf Grund des bisherigen Verlaufs der Verhandlungenüber den Kommissionsvorschlag im Rat muss damit gerechnetwerden, dass Audio- und Videoaufzeichnungen gedolmetschterVernehmungen und Strafverhandlungen derzeitnicht konsensfähig sind. Im Hinblick auf das Ziel, die Qualitätder Gerichtsdolmetschung zu erhöhen, bietet sich als Alternativedie Verpflichtung der Mitgliedstaaten an, durch geeigneteMaßnahmen für eine ausreichende Zahl qualifizierter Übersetzerund Dolmetscher zu sorgen, sprich die Ausbildung derGerichtsdolmetscher zu verbessern.Auch wenn derzeit noch nicht alle Vorschläge der Kommissionangenommen werden sollten: es ist ein großes Verdienstder Kommission, mit dem Vorschlag für einen Rahmenbeschlussauf die Schwierigkeiten fremdsprachiger Verdächtigerund von Personen, die sich aufgrund ihres Alters,ihrer mentalen, physischen oder emotionalen Verfassung in...........................................10) Zur Frage des Umfangs der Dolmetschung undmöglicher Techniken wie etwa dem Flüsterdolmetschenvgl. den Beitrag von Mira Kadric, Sichtbare Ge<strong>recht</strong>igkeitin gedolmetschten Verfahren, in diesemHeft.11) Eine andere Frage ist, was die Protokollierungeiner potenziell schwachen Position befinden, aufmerksamgemacht zu haben. Allein diese Bewusstseinsbildung ist einebleibende Leistung dieses Gesetzesprojekts der Kommission.4. Zusammenfassung und AusblickIm Rahmen der bereits erwähnten interdisziplinären Konferenzin Den Haag ist der Kommissionsvorschlag auf breiteAnerkennung gestoßen. Die Ergebnisse der Diskussionen lassensich so zusammenfassen:1. Der vorgeschlagene Rahmenbeschluss soll bei den Vertreternder Rechtsberufe (Richtern, Staatsanwälten, Polizeijuristen,Rechtsanwälten) vor allem das Bewusstsein für die Bedeutungder Dolmetschung stärken. Es handelt sich um eingrundsätzliches Verfahrens<strong>recht</strong> des Beschuldigten, dass vorGericht professionelle und gute Dolmetscher eingesetzt werden.Dies bedeutet auch, dass die Gerichte bereits bei der Auswahlder Dolmetscher nach Qualitätskriterien entscheidenmüssen.2. Die Qualität und Professionalisierung bei den Dolmetschernmuss erhöht werden. Es müssen europaweit Ausbildungsstättenund gemeinsame Qualitätsanforderungen fürGerichtsdolmetscher geschaffen werden.3. Zur Erreichung dieser Ziele sollten Dolmetscher undÜbersetzer verstärkt Publikationen in juristischen Zeitschriftenplatzieren, um das Bewusstsein bei den Juristen für qualitativhochwertige Dolmetschungen und Übersetzungen zuerzeugen. Die Vertreter der Rechtsberufe sollen Kenntnissedarüber erhalten, woran man einen professionellen bzw. unprofessionellenDolmetscher erkennt; zweckmäßig wäre etwadie Erstellung spezieller Arbeitsunterlagen zum ThemenkreisDolmetschen/Übersetzen für Vertreter juristischer Berufe.4. Die Bedeutung interdisziplinärer Expertentreffen wirdin Zukunft weiter zunehmen.Es bleibt anzuwarten, welche Veränderungen der Kommissionsvorschlagbis zu seiner Annahme in Rat und Parlamenterfährt. Die Qualität des Kommissionsvorschlags ist jedenfallsein Beweis für die Leistungsfähigkeit der EU-Dienststellenund macht Lust auf weitere europäische Harmonisierungsprojekteauf dem Gebiet des Straf- und Strafprozess<strong>recht</strong>s.Mira Kadric ist Assistenzprofessorin am Zentrum fürTranslationswissenschaft der Universität Wien undpraktizierende Gerichtsdolmetscherin; Oliver Scheiberist Richter in Straf- und Zivilsachen in Wien.Weiterführende Literatur:Hertog (Hg.)(2001), Aequitas - Access to Justice acrossLanguage and Culture in the EU, Antwerpen, Lessius Hogeschool.Hertog (Hg.)(2003), Aequalitas - Equal Access to Justiceacross Language and Culture in the EU, Antwerpen, LessiusHogeschool.Vgl. auch die Homepage des EU-Projekts zum Gerichtsdolmetschen:http://www.legalinttrans.info (alle Angaben zuInternetseiten mit Stand vom Dezember 2004).durch Audio-/Videoaufzeichnung für die Rechtsmittelverfahrenbedeutet – wie das spanische und polnischeBeispiel zeigt, gibt es dafür Lösungen.Seite 210 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4


Verlag ÖsterreichSeilerStraf<strong>recht</strong>, Allgemeiner Teil IILehrbuch2005, 158 Seiten, br., 3-7046-4656-3, € 15,–•Praxisnahes Lehrbuch•Leichte Lesbarkeit•Ausführliche Judikaturhinweise•Umfassendes StichwortverzeichnisPleischl/Soyer (Hg.)Straf<strong>recht</strong>Gesetzbuch, 6. Auflage, Stand 1. 3. 2005600 Seiten, br., 3-7046-4642-3, € 22,50, Abo- und Hörerscheinpreis € 18,–•Strafprozessnovelle 2005•Sozialbetrugsgesetz•SPG-Novelle 2005•Suchtmittelgesetz und Suchtgift-Grenzmengenverordnung•Straf<strong>recht</strong>liches Entschädigungsgesetz 2005Tel.: 01- 610 77 - 315, Fax: - 589order@verlagoesterreich.atwww.verlagoesterreich.atVerlag ÖsterreichKelsen/Froehlich/MerklKommentar zur BundesverfassungDie Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920Kommentiert und herausgegeben in Verbindung mit Georg Froehlichund Adolf Merkl von Hans KelsenNachdruck des ersten und jahrzehntelang einzigen Kommentarszum B-VG 1920mit einem Vorwort und einer Einführung vonem. O. Univ.-Prof. DDr. Dr. h.c. Robert Walter, Geschäftsführer desHans Kelsen-InstitutesEndlich wird das bedeutende Verfassungswerk der interessiertenFachwelt wieder zugänglich gemacht.3-7046-4197-9, 558 Seiten, geb., € 78,–Tel.: 01- 610 77 - 315, Fax: - 589order@verlagoesterreich.atwww.verlagoesterreich.at<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 211


nach.satz......................................................Salzburger NockerlnRückengestärkt und offensichtlich gutfinanziert rülpsten sich in Salzburg katholisch-fundamentalistischeHüterInnender untersten Schubladen hoch. Undnur darüber zu schreiben ist bereits zuviel der Ehr, zumal es kaum vorstellbaranmutet, wie spurlos die Aufklärung anihnen vorübergezogen ist. Deren polnischeGesinnungskollegInnen forderten„ganz demokratisch“ den Rücktritt derpolnischen Frauenbeauftragten, weildiese es gewagt hatte, einen Zusammenhangzwischen der Frauenpolitik der katholischenKirche und der Gewalt gegenFrauen herzustellen.Hierzulande ist der Würgegriff nichtmehr ganz so eng, aber wie eng spürteGabi Burgstaller. Wer nicht weiß, wasalles unter Gewalt gegen Frauen zu verstehenist, sei auf eine die Landeshauptfraudiffamierende vorweihnachtlicheComiczeichnung verwiesen, wo ihr unterstelltwird, Maria anlässlich der Herbergssucheanzuraten, es doch zu lassenund stattdessen eine Abtreibung durchzuführen.So stark und zahlreich wie in den70er Jahren Dohnalseidank Frauen undMänner die Fristenlösung durchgesetzthaben, so wenig zahlreich aber sich umsostärker fühlend treten derzeit derenGegnerInnen auf. Die Mehrheit der österreichischenBevölkerung, dies ist inmehreren Studien belegt, ist mit der momentanenRegelung der Fristenlösungeinverstanden. Es handelt sich daher nurum einzelne RepräsentantInnen des Paläozoikums.Diese verfügen aber übererstaunliche Ressourcen und einen langenfinanziellen Atem.Dass ihnen Maß und Ziel der Formdes Umgangs in der politischen Auseinandersetzungabhanden gekommen ist,verwundert nicht, da auf Regierungsebenevorgelebt wird, dass faktisch jedesMittel Recht ist, sich durchzusetzen.Zwar ist der Minister der „Mensch bleibenwollte“ (wer hätte das ahnen sollen)mittlerweile abhanden gekommen, abersein demokratischer Tabubruch der politischenVerfolgung von Menschen<strong>recht</strong>saktivistInnenhatte historische Dimensionund war einmal mehr prägendfür das politische Klima.Oder sein Kollege aus dem Verteidigungsministerium,der zunächst couragiertVerantwortliche für die Folterungenvon Grundwehrdienern aus demVerkehr gezogen hat, nur um jäh seinTun vor möglichen Bekannten und Verwandtenzu unterbrechen. Gerade fürdas menschen<strong>recht</strong>lich sensible Innenressortwar denn auch die interimistischeLösung mit Günther Platter keingesundes Signal.Häufiges Signal ist derzeit vielmehr,dass egal was passiert und wie tief Menschenverletzt werden, dies ohnehin keineKonsequenzen hat. Ob es sich bei denMenschen nun um Asylwerbende handelt,die sich umständebedingt oft genugmit glatter Rechtsverweigerung konfrontiertsehen, wenn sie sich ohne Dolmetschund Rechtsberatung in Schubhaftwiederfinden, oder um Kinder, diein kaputtgesparten Schulen das europäischeNiveau nicht mehr erreichen. Ummit ihnen Politik zu machen, sind sienoch allemal gut genug.Den Frauen ergeht es hier nicht anders.Vertreten sind sie derzeit durch eineFrauenministerin, die zur Problematikder geringen Pensionseinkommenteilzeitarbeitender Frauen meint:„Wenn man wenig einzahlt, kann mannicht eine Höchstpension erwarten. DieEntscheidung muss jede Frau treffen,das ist ein Teil ihrer Wahlfreiheit. JedeFrau kann freiwillig höhere Beiträge ...einzahlen, damit sie später mehr Pensionbekommt.“ Und weiter: „Für Frauen,die einen gut verdienenden Mann haben,ist das die Möglichkeit – dass sie trotzTeilzeit Pensionsbeiträge wie für Vollzeiteinzahlen.“ Wenn sie den Frauennicht reiches Heiraten als Daseinsvorsorgeempfiehlt und somit ihr frauenpolitischesProgramm outet, ist vor allemin der Salzburger Debatte erstaunlichnichts von ihr zu hören – und auch dasohne Konsequenzen. Ähnlich sinnstiftend,kreativ und innovativ sind dennIris Kuglerauch die Vorschläge zur Gesundheitsreform– auch ohne Konsequenzen.Bei diesem Stichwort nicht fehlensollte der völlig unbe<strong>recht</strong>igt wieder ausden Medien entschwundene Finanzministermit seiner PR-Maschine namensIndustriellenvereinigung. Ob es sich umsimple Belohnung für seine Politik zugunstendes Promilleanteils der Großindustriellendieser Bevölkerung handelteoder die Gegenleistung noch ausständigist – man wird es wohl nie erfahren.Gut, diese Liste erhebt keinen Anspruchauf Vollständigkeit, kann aberErklärungsansatz für die Hochblüte dieserSorte von Salzburger Nockerln sein.Der Geist und die mentalen Defizite, diedurch all diese Erscheinungen vonMachtmissbrauch und Charakterlosigkeitwehen, seien am besten mit einemVorfall anlässlich des vorletzten Opernballsumschrieben. Hubsi Kramer, originelles,ungebremstes Kreativbündel,kam als großer Führer und konnte zunächstproblemlos den Eingang passieren.Danach wurde er äußerst grob, umnicht zu sagen mit Gewalt von der Polizeiabgeführt. Die Reaktionen zeigtenihm, so sagte er in einem Interview fürden Sender Arte, dass der Führer für dieAnwesenden noch keinesfalls tot war.Dieser war für die Menschen noch sehrlebendig und er spürte teils Angst, teilsEhrfurcht und Aggression. Dass er nichtals Persiflage, als Witzfigur erkannt undbehandelt wurde, zeige auch, dass esnun Anzeigen wegen Wiederbetätigunggegen ihn gebe.Wenn es immer noch ein Verfahrenbraucht um diesen Begriff umfassendund erschöpfend zu klären, dann ist dieseine geistige Bankrotterklärung. Und soist auch die Debatte in Salzburg dasgeistige Kind dieser Denkstrukturenund Ausdruck für den intellektuellenund <strong>gesellschaft</strong>spolitischen Konkursdieses Landes.<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 212

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