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– einer Essstörung, bei der es zu periodischen Heißhungeranfällen<br />
mit Verlust der bewussten Kontrolle über das Essen<br />
kommt – sei der Suchtfaktor eindeutig. Unter Ärzten und<br />
Psychologen gibt es allerdings auch bei anderen Varianten<br />
immer wieder Diskussionen, ob im Einzelfall ein Suchtverhalten<br />
vorliegt. Dabei geht es auch um die therapeutische<br />
Schwierigkeit, dass bei Essen nicht die Abstinenz vom<br />
Suchtmittel Grundlage einer Therapie sein kann. „Therapeutisch<br />
können wir keinen Königsweg anbieten, der für jeden<br />
Fall brauchbar wäre“, fasst Frau Kösters zusammen. Gerade<br />
bei frustrierenden Vorgeschichten sei es deshalb wichtig,<br />
an den sehr persönlichen Gründen in der Therapie zu<br />
arbeiten, warum jemand bisher nicht abnehmen konnte.<br />
Viele Übergewichtige müssen erst mühsam lernen, sich für<br />
die eigenen Bedürfnisse einzusetzen und sich gegen Kränkungen<br />
aus dem eigenen Umfeld abzugrenzen. Erst dann<br />
können sie Essen als Problemlösung aufgeben. Es reiche<br />
für eine langfristige Stabilisierung des Gewichts nicht aus,<br />
erneut Anleitung von außen zu bekommen. Genau dies<br />
wird jedoch bei vielen Abnehmprogrammen angeboten.<br />
Das passe gut ins innere Schema vieler Übergewichtiger,<br />
die sich nur äußeren Druck und innere Disziplinierung als<br />
Lösung vorstellen können.<br />
„Druck auf stark übergewichtige Menschen wird ausgeübt,<br />
und er wird stärker, nicht zuletzt von Seiten der Krankenkassen“,<br />
bestätigt Dr. Monika Bernert. Die Fachärztin für<br />
Allgemeinmedizin und Ernährungsmedizinerin mit einer<br />
eigenen Praxis in Usingen begrüßt diesen Druck. „Die<br />
Erfahrung zeigt, dass es anders kaum geht.“ Besonders bei<br />
den kranken Übergewichtigen, also jenen Patienten, die<br />
neben Adipositas noch weitere Diagnosen von der Schulmedizin<br />
wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhalten haben,<br />
sei es dringend geboten, rasch mit Therapien zu beginnen.<br />
Auch für Dr. Bernert ist die Ernährungsumstellung Grundlage<br />
jeder therapeutischen Maßnahme.<br />
„Abnehmen ist nicht nur schwierig, Abnehmen kann auch<br />
richtig ans Geld gehen“, erläutert die Ärztin. Abgesehen<br />
vom Kauf passgerechter Kleidung müsse mit den Kosten für<br />
Medikamente, Formula-Produkte zum Mahlzeitenersatz und<br />
Kurse beziehungsweise Seminare gerechnet werden. Die<br />
Krankenkassen beteiligten sich nur bei schwerer Adipositas<br />
an den Kosten.<br />
Deshalb sieht Dr. Bernert ein Projektmodell als zukunftsweisend,<br />
dem sie selbst seit einiger Zeit angeschlossen ist:<br />
Titel<br />
die Integrierte Versorgung Adipositas. Hierbei haben eine<br />
Krankenkasse, Hausärzte und ein Center der Bodymed AG,<br />
einem Dienstleister auf dem Gebiet der ärztlich betreuten<br />
Ernährungsberatung, einen Versorgungs- und Therapievertrag<br />
geschlossen. Die Hausärzte kontrollieren dabei alle<br />
wichtigen Blutwerte und führen vierteljährlich Kontrolluntersuchungen<br />
durch. Das Bodymed-Ernährungskonzept<br />
setzt parallel dazu ein. Es arbeitet nach dem Prinzip des<br />
eiweißunterstützten Fastens, das sich bei langfristigen<br />
Gewichtsreduktionen schon des Öfteren bewährt hat.<br />
Der Vorteil an diesem Modell liegt nicht nur in der obligatorischen<br />
Kommunikation zwischen Hausarzt und<br />
Behandlungszentrum, sondern auch in der medizinisch<br />
überwachten Dokumentation der Gewichtsabnahme. Zudem<br />
werden sämtliche Beratungskosten sowie die zu Beginn<br />
eingesetzten Formula-Präparate von der Krankenkasse<br />
übernommen. Die Phase des aktiven Abnehmens dauert je<br />
nach Ausgangsgewicht drei bis sechs Monate. Die anschließende<br />
sechs- bis neunmonatige Stabilisierungsphase ist<br />
wichtiger Aspekt der Gesamttherapie.<br />
GEHT MAN DEN URSACHEN VON ADIPOSITAS<br />
AUF DIE SPUR, STÖSST MAN AUF EINE<br />
VIELFALT AN MÖGLICHKEITEN, DIE NICHT<br />
SELTEN AUCH NOCH ZUSAMMENWIRKEN<br />
Kritiker des Integrierte-Versorgung-Modells geben allerdings<br />
zu bedenken, dass bei diesem Angebot die gebotene<br />
individuelle Betreuung kaum vorhanden ist. Bemängelt<br />
wird außerdem, dass die Ernährungsumstellung nach der<br />
Behandlungszeit nicht hinreichend geklärt ist. Langfristige<br />
Untersuchungen, wie die Patienten ohne Formula-Präparate<br />
zurechtkommen, liegen noch nicht vor. Die großen Krankenkassen<br />
hierzulande scheuen sich jedenfalls, dem Modellversuch<br />
einer kleineren Pfälzer Krankenkasse zu folgen.<br />
Aus medizinischer Sicht und aus der Finanzperspektive der<br />
Krankenkassen sind die Kampagnen gegen das Dicksein<br />
also verständlich. Dem widersprechen dicke Menschen<br />
häufig auch gar nicht. Gleichzeitig beklagen sie aber<br />
die Unausgewogenheit und Einseitigkeit der Berichterstattung<br />
in den Medien, die an kollektive Bevormundung<br />
grenzende permanente Aufforderung zum Abnehmen<br />
und den Voyeurismus einer Gesellschaft, die mode- und<br />
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