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Winter 08

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– einer Essstörung, bei der es zu periodischen Heißhungeranfällen<br />

mit Verlust der bewussten Kontrolle über das Essen<br />

kommt – sei der Suchtfaktor eindeutig. Unter Ärzten und<br />

Psychologen gibt es allerdings auch bei anderen Varianten<br />

immer wieder Diskussionen, ob im Einzelfall ein Suchtverhalten<br />

vorliegt. Dabei geht es auch um die therapeutische<br />

Schwierigkeit, dass bei Essen nicht die Abstinenz vom<br />

Suchtmittel Grundlage einer Therapie sein kann. „Therapeutisch<br />

können wir keinen Königsweg anbieten, der für jeden<br />

Fall brauchbar wäre“, fasst Frau Kösters zusammen. Gerade<br />

bei frustrierenden Vorgeschichten sei es deshalb wichtig,<br />

an den sehr persönlichen Gründen in der Therapie zu<br />

arbeiten, warum jemand bisher nicht abnehmen konnte.<br />

Viele Übergewichtige müssen erst mühsam lernen, sich für<br />

die eigenen Bedürfnisse einzusetzen und sich gegen Kränkungen<br />

aus dem eigenen Umfeld abzugrenzen. Erst dann<br />

können sie Essen als Problemlösung aufgeben. Es reiche<br />

für eine langfristige Stabilisierung des Gewichts nicht aus,<br />

erneut Anleitung von außen zu bekommen. Genau dies<br />

wird jedoch bei vielen Abnehmprogrammen angeboten.<br />

Das passe gut ins innere Schema vieler Übergewichtiger,<br />

die sich nur äußeren Druck und innere Disziplinierung als<br />

Lösung vorstellen können.<br />

„Druck auf stark übergewichtige Menschen wird ausgeübt,<br />

und er wird stärker, nicht zuletzt von Seiten der Krankenkassen“,<br />

bestätigt Dr. Monika Bernert. Die Fachärztin für<br />

Allgemeinmedizin und Ernährungsmedizinerin mit einer<br />

eigenen Praxis in Usingen begrüßt diesen Druck. „Die<br />

Erfahrung zeigt, dass es anders kaum geht.“ Besonders bei<br />

den kranken Übergewichtigen, also jenen Patienten, die<br />

neben Adipositas noch weitere Diagnosen von der Schulmedizin<br />

wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhalten haben,<br />

sei es dringend geboten, rasch mit Therapien zu beginnen.<br />

Auch für Dr. Bernert ist die Ernährungsumstellung Grundlage<br />

jeder therapeutischen Maßnahme.<br />

„Abnehmen ist nicht nur schwierig, Abnehmen kann auch<br />

richtig ans Geld gehen“, erläutert die Ärztin. Abgesehen<br />

vom Kauf passgerechter Kleidung müsse mit den Kosten für<br />

Medikamente, Formula-Produkte zum Mahlzeitenersatz und<br />

Kurse beziehungsweise Seminare gerechnet werden. Die<br />

Krankenkassen beteiligten sich nur bei schwerer Adipositas<br />

an den Kosten.<br />

Deshalb sieht Dr. Bernert ein Projektmodell als zukunftsweisend,<br />

dem sie selbst seit einiger Zeit angeschlossen ist:<br />

Titel<br />

die Integrierte Versorgung Adipositas. Hierbei haben eine<br />

Krankenkasse, Hausärzte und ein Center der Bodymed AG,<br />

einem Dienstleister auf dem Gebiet der ärztlich betreuten<br />

Ernährungsberatung, einen Versorgungs- und Therapievertrag<br />

geschlossen. Die Hausärzte kontrollieren dabei alle<br />

wichtigen Blutwerte und führen vierteljährlich Kontrolluntersuchungen<br />

durch. Das Bodymed-Ernährungskonzept<br />

setzt parallel dazu ein. Es arbeitet nach dem Prinzip des<br />

eiweißunterstützten Fastens, das sich bei langfristigen<br />

Gewichtsreduktionen schon des Öfteren bewährt hat.<br />

Der Vorteil an diesem Modell liegt nicht nur in der obligatorischen<br />

Kommunikation zwischen Hausarzt und<br />

Behandlungszentrum, sondern auch in der medizinisch<br />

überwachten Dokumentation der Gewichtsabnahme. Zudem<br />

werden sämtliche Beratungskosten sowie die zu Beginn<br />

eingesetzten Formula-Präparate von der Krankenkasse<br />

übernommen. Die Phase des aktiven Abnehmens dauert je<br />

nach Ausgangsgewicht drei bis sechs Monate. Die anschließende<br />

sechs- bis neunmonatige Stabilisierungsphase ist<br />

wichtiger Aspekt der Gesamttherapie.<br />

GEHT MAN DEN URSACHEN VON ADIPOSITAS<br />

AUF DIE SPUR, STÖSST MAN AUF EINE<br />

VIELFALT AN MÖGLICHKEITEN, DIE NICHT<br />

SELTEN AUCH NOCH ZUSAMMENWIRKEN<br />

Kritiker des Integrierte-Versorgung-Modells geben allerdings<br />

zu bedenken, dass bei diesem Angebot die gebotene<br />

individuelle Betreuung kaum vorhanden ist. Bemängelt<br />

wird außerdem, dass die Ernährungsumstellung nach der<br />

Behandlungszeit nicht hinreichend geklärt ist. Langfristige<br />

Untersuchungen, wie die Patienten ohne Formula-Präparate<br />

zurechtkommen, liegen noch nicht vor. Die großen Krankenkassen<br />

hierzulande scheuen sich jedenfalls, dem Modellversuch<br />

einer kleineren Pfälzer Krankenkasse zu folgen.<br />

Aus medizinischer Sicht und aus der Finanzperspektive der<br />

Krankenkassen sind die Kampagnen gegen das Dicksein<br />

also verständlich. Dem widersprechen dicke Menschen<br />

häufig auch gar nicht. Gleichzeitig beklagen sie aber<br />

die Unausgewogenheit und Einseitigkeit der Berichterstattung<br />

in den Medien, die an kollektive Bevormundung<br />

grenzende permanente Aufforderung zum Abnehmen<br />

und den Voyeurismus einer Gesellschaft, die mode- und<br />

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