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Leben in Hülle und Fülle<br />

Vielfältige Wege zur Biodiversität


2<br />

/ Impressum<br />

Impressum<br />

Herausgeber: Umweltdachverband<br />

Verleger: FORUM <strong>Umweltbildung</strong><br />

Beide: Alser Straße 21/1, A-1080 Wien<br />

Tel.: 0043/(0)1/402 47 01, Fax: 0043/(0)1/402 47 05<br />

E-Mail: forum@umweltbildung.at<br />

Internet: www.umweltbildung.at<br />

Das FORUM <strong>Umweltbildung</strong> ist eine Initiative des Bundesministeriums<br />

für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und<br />

Wasserwirtschaft und des Bundesministeriums für Bildung,<br />

Wissenschaft und Kultur.<br />

Projektträger: Umweltdachverband<br />

Redaktion: Mag. Lucia Mackner-Rath, Franz Wimmer<br />

Layout: reiterer grafik<br />

Druck: radinger.print, A-3270 Scheibbs<br />

ISBN: 3-900717-52-4<br />

Wien, November 2002<br />

Coverfotos: Arche Noah: 2.v.li; Reinhard Golebiowsky:<br />

2.v.re. unten; Regina Kobler: 2.v.re. oben;<br />

Hermann Sonntag: 1.v.re, 3.v.li.; Peter Sziemer: 1.v.li.;<br />

Fotos: Arche Noah: S 45, 47, 49, 50; Brigitte Baier: S 66,<br />

67, 68, 69; Jörn Behrens, INKA e.V.: S77;<br />

Julia Birnbaum: S 16, 17, 19, 26, 61, 65; Astrid Blab: S 31,<br />

35, 36; Angelina Blaschke: S 88, 89 re. innen, 90;<br />

Rainer Blaschke: S 89 re. außen; Rainer Bussmann,<br />

INKA e.V.: S 75 oben; Maria Drescher: S 88 li. unten;<br />

Manfred Durchhalter/Martin Scheuch: 33, 101, 102, 103,<br />

104, 123; Barbara Dusek: S 59, 62, 63, 64;<br />

U. Fellenberg: S 125, 128; FORUM <strong>Umweltbildung</strong>: S 27;<br />

G. Geschwend, Biogis Consulting: S 119, 120, 121;<br />

Reinhard Golebiowsky: S 20, 97 re., 98, 99 li. unten, 131;<br />

Luise Kloos: S 94; Regina Kobler: S 13, 34, 55, 56, 57, 58,<br />

71, 72 re. oben, 73; Nikolaus Lackner: S 96 oben;<br />

Sigrun Lange, INKA e.V.: S 7, 76 re., 91, 92;<br />

Lehrerteam Dorfschule Triengen: S 41 oben;<br />

Lehrkarft Romandie: S 41 unten; Jürgen Mayer:S 72 li.;<br />

A. Meier-Dinkel: S 126; Katja Muchow, INKA e.V.: S 76 li.,<br />

78; Waltraud Niel: S 51, 52, 53; Hans Peter Reicher: S 93,<br />

95, 96 unten; Hans Schuster: S 81, 82, 85, 86;<br />

Hermann Sonntag, WWF Österreich: S 113, 114, 115, 116,<br />

117, 118; Staatliches Forstamt Nagold: S 124, 127, 129;<br />

Regina Steiner: S 15, 32, 37, 38;<br />

Monica Stieger-Kamber: S 40, 42; Peter Sziemer: S 97 li.;<br />

WWF Seewinkelhof: S 106, 108, 110;<br />

Klaus Peter Zulka: S 21, 22, 23;<br />

Gertrude Zulka-Schaller: S 99 li. u. re. oben, 100;<br />

www.eduhi.at/regenwald: 79, 80;


Inhalt<br />

5 Vorwort<br />

6 Einleitung<br />

7 VIELFALT<br />

11 BIODIVERSITÄT AUS VERSCHIEDENEN BLICKWINKELN<br />

13 Wertschätzung gefragt<br />

Biodiversität <strong>als</strong> Thema <strong>der</strong> <strong>Umweltbildung</strong><br />

Jürgen Mayer<br />

16 Das Bekenntnis zur Vielfalt ist im Kopf, o<strong>der</strong> es ist nirgendwo ...<br />

Martin Krejcarek<br />

20 Lebensraum-Fragmentation und Biodiversität<br />

Klaus Peter Zulka<br />

26 Biodiversität kommunizieren<br />

Wie kann man Menschen in Schutzgebieten vom Wert <strong>der</strong> Biodiversität überzeugen?<br />

Frits Hesselink<br />

29 BIODIVERSITÄT AUS DER PRAXIS<br />

31 Alles was kreucht und fleucht, krabbelt und wächst<br />

Biodiversität erleben<br />

Astrid Blab<br />

37 Kin<strong>der</strong> für die Natur begeistern<br />

Verena Singeisen-Schnei<strong>der</strong><br />

40 Vielfalt am Schulweg<br />

Petra Lindemann-Matthies<br />

45 „Von blauen Kartoffeln und gestreiften Tomaten“<br />

Eine Führung durch den Schaugarten <strong>der</strong> Arche Noah beim Schloss Schiltern<br />

Birgit Wanker<br />

51 Greisenhaar und Sonnentau<br />

Kin<strong>der</strong> erleben die Vielfalt im Botanischen Garten Wien<br />

Waltraud Niel<br />

55 Die Kräuterspirale<br />

Vielfalt mit allen Sinnen genießen<br />

Regina Kobler<br />

59 Der Umweltfuchs<br />

Das Forschungsmobil<br />

Barbara Dusek<br />

61 Mit Mikroskop und Becherlupe im Einkaufszentrum<br />

Biologische Vielfalt in Taxham bei <strong>der</strong> Scienceweek 2001<br />

Julia Birnbaum, Barbara Dusek<br />

Inhalt / 3


4<br />

/ Inhalt<br />

66 Nahrhafte Landschaft<br />

Erinnerungen an ein überaus fruchtbares Schulprojekt an <strong>der</strong> HLW für wirtschaftliche Berufe<br />

Brigitte Baier<br />

71 Von <strong>der</strong> Färberpflanze zur Pflanzenfarbe<br />

Ein Unterrichtsmodell für nachhaltige Nutzung <strong>der</strong> biologischen Vielfalt<br />

Jürgen Mayer<br />

75 „Come-back“ alter Nutzpflanzen in Schulgärten<br />

Deutsche und ecuadorianische Kin<strong>der</strong> för<strong>der</strong>n und erleben Vielfalt<br />

Katja Muchow<br />

79 Biodiversität in tropischen Regenwäl<strong>der</strong>n<br />

Michaela Pichler<br />

81 Biopiraterie – die neue Kolonialisierung?<br />

Ein Rollenspiel<br />

Hans Schuster<br />

88 Schützt den Regenwald – er geht uns alle an<br />

Regenwaldprojekt an <strong>der</strong> Haupt- und Re<strong>als</strong>chule Graz-Webling<br />

Angelina Blaschke<br />

91 Faszination Anden<br />

Eine Computer-Reise durch tropische Regenwäl<strong>der</strong><br />

Sigrun Lange<br />

93 bananenrot und himbeerblau<br />

Vom Keim <strong>der</strong> Fantasie zur Frucht <strong>der</strong> Erkenntnis<br />

Kurt Zernig<br />

97 Rettungsinseln – Inselrettung<br />

Vermittlung aktueller Naturschutzprobleme im Naturhistorischen Museum Wien<br />

Gertrude Zulka-Schaller<br />

101 „GEO-Tag <strong>der</strong> Artenvielfalt“ am Ökogymnasium Krems<br />

Biodiversität am Beispiel <strong>der</strong> Vegetation des Kremser Kuhberges<br />

Manfred Durchhalter, Martin Scheuch<br />

106 Die Vielfalt im Netz<br />

Von Fischen, Sümpfen und dem Wert <strong>der</strong> Wasserwelten<br />

Bernhard Kohler, Andreas Zahner<br />

113 Riverwatch<br />

Die Artenvielfalt des Lech hautnah erleben<br />

Hermann Sonntag<br />

119 Das EU-Projekt „Trebis“<br />

Multimediales Lernen im Naturkundemuseum Vorarlberg<br />

Paul Schreilechner, Angela Krombass, Detlef Urhahne, Jonathan Jeschke, Ute Harms<br />

123 Kann die Arche Noah eine Lösung sein?<br />

Gefährdung und Bewahrung <strong>der</strong> genetischen Vielfalt im Wald<br />

Wilfried Stichmann<br />

130 Verteidigung des Fe<strong>der</strong>geistchens<br />

Jürgen Dahl


Liebe Leserin, lieber Leser!<br />

Vielfalt in <strong>der</strong> Natur ist für uns selbstverständlich. Oft spüren wir sie kaum. Bewusst wird uns Vielfalt erst, wenn<br />

sie verschwindet: Wenn bunte Feldraine selten werden, wenn Bäche begradigt sind und Hecken gerodet.<br />

Das Bewusstsein für Vielfalt muss langsam wachsen – von Kindheit an. Dazu will diese Broschüre einen Beitrag<br />

leisten. Denn „Biodiversität“, <strong>als</strong>o die große Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten macht Spaß und sie lässt sich hautnah<br />

erleben: im Gemüsegarten, zwischen Weinbergen und Trockenrasen, beim Fischen am Teich, manchmal auch<br />

im Museum o<strong>der</strong> im Supermarkt.<br />

Biodiversität passt gut in die Schule. Sie kann Thema sein für den Englisch-Unterricht, für Mathematik o<strong>der</strong> Leibesübungen.<br />

Lebendige Vielfalt kann Schüler und Schülerinnen, Lehrer und Lehrerinnen und Eltern zusammenführen.<br />

Die Autorinnen und Autoren dieser Broschüre machen Vielfalt erlebbar – mit <strong>der</strong> Kräuterspirale im Schulgarten<br />

genauso wie mit einem Rollenspiel zur Bio-Piraterie. Sie laden zum Handeln ein. Und sie zeigen, wie eng <strong>der</strong> Schutz<br />

<strong>der</strong> Natur mit dem Nutzen für uns Menschen verknüpft ist. Ein Nutzen, <strong>der</strong> sich nicht immer in Euro und Cent ausdrücken<br />

lässt – ein Nutzen, <strong>der</strong> aber immer zu sehen, zu hören, zu riechen o<strong>der</strong> zu kosten ist.<br />

Mag. Wilhelm Molterer Elisabeth Gehrer<br />

Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Bundesministerin für Bildung,<br />

Umwelt und Wasserwirtschaft Wissenschaft und Kultur<br />

Vorwort / 5


6<br />

/ Einleitung<br />

Zur vorliegenden Broschüre<br />

Natur- und Artenschutz haben eine lange Geschichte: 130 Jahre sind seit <strong>der</strong> Gründung des ersten Nationalparks in<br />

Amerika vergangen. Ebenso kann <strong>der</strong> Artenschutz auf eine lange Tradition verweisen: Einige Vogelschutzorganisationen<br />

arbeiten seit fast einhun<strong>der</strong>t Jahren.<br />

Biodiversität ist dagegen ein junges Konzept, erst mit <strong>der</strong> Konferenz in Rio de Janeiro fand <strong>der</strong> Begriff weite Verbreitung.<br />

Was aber ist neu am Konzept, wo liegen die Unterschiede zum traditionellen Naturschutz, wo liegen die<br />

neuen Chancen und Herausfor<strong>der</strong>ungen für die Bildung?<br />

Vielfalt selbst kennzeichnet das Konzept <strong>der</strong> Biodiversität: Die Vielfalt an Lebensräumen, an Arten, schließlich an<br />

genetischer Verschiedenheit ist Biodiversität. Dazu gehören aber auch die Vielfalt an Wechselwirkungen und Funktionen<br />

<strong>der</strong> Lebewesen, ihre Geschichte und ihre Entwicklung. Damit führt Biodiversität zu einem neuen, erweiterten<br />

Verständnis zum Schutze <strong>der</strong> Natur. Vielfältig sind auch die Zugänge zu diesem Thema: Die vorliegende Broschüre<br />

will Ihnen Anknüpfungspunkte, Impulse zum Lernen von Biodiversität liefern.<br />

Im ersten Abschnitt finden Sie Meldungen und kurze Darstellungen zu verschiedenen Aspekten <strong>der</strong> Biodiversität –<br />

<strong>als</strong> Einstieg, zum Nach-Denken und Neu-Denken.<br />

Der zweite Abschnitt will Ihnen Hintergrundinformationen bieten: Er verdeutlicht die Bedeutung <strong>der</strong> Wertschätzung<br />

<strong>der</strong> Vielfalt, ihre Bedrohung durch Zerstörung von Lebensräumen. Möglichkeiten und Schwierigkeiten einer effektiven<br />

Vermittlung von Biodiversität werden angesprochen.<br />

Der umfangreichste Teil <strong>der</strong> <strong>Publikation</strong> ist <strong>der</strong> dritte, praktische Abschnitt. Hier werden ganz verschiedene Projekte<br />

vorgestellt, um die Bandbreite an unterschiedlichen Herangehensweisen zu verdeutlichen. Biologische Vielfalt kann<br />

allen Altersstufen und Zielgruppen spannend und nachhaltig vermittelt werden - bei einem Spaziergang am Nachmittag<br />

o<strong>der</strong> einer Projektwoche an einem See.<br />

Die vorliegende Broschüre will Eltern, LehrerInnen, JugendleiterInnen und FreizeitpädagogInnen ermutigen, das eine<br />

o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Projekt selbst zu erproben. Die Fülle an Themen und Impulsen soll aber auch die Kreativität anregen und<br />

zu neuen Wegen inspirieren. Unser Ziel ist, die Bedeutung <strong>der</strong> biologischen Vielfalt für unsere Erde vielen Menschen<br />

näher zu bringen – auf möglichst vielfältige Weise.<br />

Lucia Mackner-Rath<br />

FORUM <strong>Umweltbildung</strong>


Vielfalt<br />

Köstliche „Papayllo“ entdeckt<br />

Noch bevor das leuchtende Orange <strong>der</strong> faustgroßen Früchte<br />

aus dem Laub sticht, lässt ihr Duft das Wasser im Mund<br />

zusammenlaufen: „Vasconella palandensis“, eine nahe Verwandte<br />

<strong>der</strong> Papaya, wurde erst vor drei Jahren <strong>als</strong> wissenschaftlich<br />

unbekannte Art am Rand des Podocarpus Nationalparks<br />

entdeckt. Die lokale Bevölkerung kennt den kleinen<br />

Baum, dessen Frucht hervorragend nach einer Mischung aus<br />

Pfirsich und Orange schmeckt, <strong>als</strong> „Papayllo“. Die Art<br />

wächst, soweit man weiß, nirgends sonst auf <strong>der</strong> Welt.<br />

Durch Holzeinschlag und Brandrodung wird das Vorkommen<br />

immer mehr zerstört und könnte in wenigen Jahren unwie<strong>der</strong>bringlich<br />

verloren sein. Im Rahmen ihres Projekts „Nachhaltige<br />

Nutzung einheimischer Früchte“ versucht die FCSF<br />

(Organisation „Fundación Científica San Francisco“, welche<br />

die Forschungsstation ECSF in Ecuador betreibt) diese und<br />

an<strong>der</strong>e Arten zu erhalten.<br />

inka-info Juli 2001: Das Vielfalts Blatt. Kultur- und Artenvielfalt in<br />

Ecuador, Peru und Bolvien. INKA e. V., Gravelottestr. 6, D-81667<br />

München. www.inka-ev.de<br />

Tragödie indianischer Lebensmittel<br />

„Die spanische Herrschaft in Lateinamerika brachte nicht<br />

nur neue Formen <strong>der</strong> Bildung und Ausbeutung mit sich,<br />

son<strong>der</strong>n auch neue Ernährungsformen. Einheimische<br />

Lebensmittel verloren ihren sozialen Status, sie wurden<br />

<strong>als</strong> „Indianische Lebensmittel“ abgelehnt. Wenige alte<br />

Kulturpflanzen überdauerten diese soziale Tragödie. Es<br />

ist notwendig, die Ernährungskultur unserer Völker und<br />

unsere einheimischen Kulturpflanzen zu erhalten.“ Galo<br />

Carille (55) ist Lehrer. Er arbeitet für die FCSF (Fundación<br />

Científica San Francisco) und betreut Schulgärten.<br />

inka-info Juli 2001: Das Vielfalts Blatt. Kultur- und Artenvielfalt in<br />

Ecuador, Peru und Bolvien. INKA e. V., Gravelottestr. 6,<br />

D-81667 München.<br />

www.inka-ev.de<br />

Maschinen-Diversität<br />

Noch vor 50 Jahren bevölkerten einen typischen österreichischen<br />

Bauernhof mehr <strong>als</strong> 50 Tier- und Pflanzenarten:<br />

ein paar Kühe, ein Pferd, Hühner, Gänse, Enten, einige<br />

Kaninchen, Katzen und Hunde. An Feldfrüchten wurden<br />

Roggen und Gerste, Hafer, ein Acker Kartoffeln, Rüben, ein<br />

Feld mit Mohn sowie Lein für die Kleidung angebaut. Birnen<br />

und Äpfel zum Essen und für die Mostgewinnung, Kirschen<br />

und Zwetschken, ein Nussbaum standen im Obstgarten.<br />

Johannisbeeren, Stachelbeeren, Himbeeren, aber auch Holler<br />

bereicherten den Speisezettel. Von <strong>der</strong> Vielfalt an Gemüse<br />

und Kräutern im Bauerngarten ganz zu schweigen. Die<br />

Subsistenzwirtschaft produzierte alles zum Leben Notwendige.<br />

Dann kam die Intensivierung und Spezialisierung. Hörndlund<br />

Körndlbauern wurden einan<strong>der</strong> ausschließende Kategorien.<br />

Im Stall eines Rin<strong>der</strong>bauern stehen Rin<strong>der</strong>. Und sonst nichts.<br />

Er baut Mais an und nutzt Wiesen. Dafür wurde mechanisch<br />

intensiviert: Die Diversität <strong>der</strong> Lebewesen wurde durch die<br />

Diversität des Maschinenparks ersetzt. Zwei Traktoren stehen<br />

am Hof. Zum Mähen ein Turbomäher, <strong>der</strong> altbewährte<br />

Mähbalken, für die Hänge <strong>der</strong> Motormäher und für unzugängliche<br />

Stellen die Motorsense. Neben dem Heuwen<strong>der</strong><br />

ist noch ein selbst fahren<strong>der</strong> Rechen für kleinere Flächen<br />

vorhanden. Der Schwa<strong>der</strong> ist unverzichtbar, ebenso Ladewagen,<br />

Heupresse und für die Silage die Wickelmaschine. Für<br />

die Maisernte wird ein eigener Pflücker benötigt. Heugebläse<br />

und Belüftungsanlage sind fix installiert, Düngerstreuer,<br />

Frontla<strong>der</strong>, Miststreuwagen sowie eine Sämaschine ergänzen<br />

den Maschinenpark. Im Stall stehen Be- und Entlüfter,<br />

eine Melkanlage, die Entmistungsanlage sowie <strong>der</strong> Kran zur<br />

Verteilung des Futters. Die Liste lässt sich fortsetzen.<br />

Willi Lin<strong>der</strong>


8<br />

/ Vielfalt<br />

Genbanken – die Lösung des Problems?<br />

Genbanken sind ein bekanntes Instrument, um Landsorten<br />

zu erhalten. Genbanken können und dürfen aber nur eine<br />

Teillösung des Problems <strong>der</strong> genetischen Erosion sein. In <strong>der</strong><br />

gekühlten Sicherheit einer Genbank wird nämlich auch die<br />

Evolution einer Pflanze eingefroren. Sie hat damit keine<br />

Chance, sich an neue Klimabedingungen, Krankheiten und<br />

Schädlinge anzupassen; wie<strong>der</strong> belebte Sorten könnten eine<br />

Umwelt vorfinden, in <strong>der</strong> ein Überleben nicht mehr möglich<br />

ist. Es ist daher wichtig, möglichst viele Sorten an natürlichen<br />

Standorten zu erhalten.<br />

In: HOTSPOT „Die Erhaltung <strong>der</strong> Agrobiodiversität“, Mai 2001, <strong>Forum</strong><br />

Biodiversität Bern<br />

Zwei Nutztierrassen pro Woche<br />

In den vergangenen 8000 Jahren hat <strong>der</strong> Mensch eine relativ kleine<br />

Anzahl Arten für die landwirtschaftliche Nutzung domestiziert: Weltweit<br />

liefern lediglich etwa 30 Pflanzen- und sieben Tierarten die<br />

Hauptenergie für die menschliche Ernährung. Innerhalb <strong>der</strong> domestizierten<br />

Arten hat <strong>der</strong> Mensch allerdings im Laufe <strong>der</strong> Jahrtausende<br />

eine ungeheure Vielfalt an regional typischen Sorten und Rassen<br />

selektioniert, die optimal an das örtliche Klima o<strong>der</strong> die dortigen<br />

Krankheiten angepasst sind und dem Geschmack <strong>der</strong> lokalen Bevölkerung<br />

entsprechen.<br />

Dieser Reichtum ist heute bedroht. Aus dem im Dezember 2000 von<br />

<strong>der</strong> Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation <strong>der</strong> Vereinten Nationen<br />

(FAO) veröffentlichten „Weltbericht über die Vielfalt bei Nutztieren“<br />

geht hervor, dass jede Woche zwei Nutztierrassen aussterben. Seit<br />

1900 sind bereits rund 1000 Nutztierrassen für immer verschwunden.<br />

Allein in den letzten fünf Jahren ist <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Säugetierrassen, die<br />

extrem gefährdet sind, von 23 % auf 35 % gestiegen.<br />

In: HOTSPOT „Die Erhaltung <strong>der</strong> Agrobiodiversität“, Mai 2002, <strong>Forum</strong> Biodiversität<br />

Schweiz, Bärenplatz 2, CH-3011 Bern. www.biodiversity.ch<br />

Niete o<strong>der</strong> Crew?<br />

Wenn Naturschützer wie<strong>der</strong> einmal die wirtschaftliche Nutzung<br />

eines intakten Ökosystems verweigern, wollen die<br />

Pragmatiker wissen: Wieviel Vielfalt ist nötig, wie wenig ist<br />

möglich? Darauf gibt es bis heute keine Antwort, wohl aber<br />

zwei Hypothesen. Sie charakterisieren die extremen Standpunkte,<br />

die Experten in dieser heiklen Frage beziehen. Die<br />

eine, die so genannte Nieten-Hypothese, vergleicht Arten<br />

mit jenen kleinen Teilen am Flugzeugrumpf, die ihn zusam-<br />

menhalten: Jede verlorene Niete destabilisiert das Transportmittel<br />

ein wenig, bis es schließlich abstürzt. Dagegen<br />

besagt die Passagier-Hypothese, dass die meisten Arten für<br />

die Natur so überflüssig seien wie Passagiere für die Flugfähigkeit<br />

einer Maschine. Letztlich komme es nur auf wenige<br />

Schlüsselarten an – sprich: auf die Crew.<br />

Claus Peter Simon, GEO Nr. 7/1999<br />

Living Planet<br />

Spät erst, und auch noch nicht überall, setzt sich die Einsicht<br />

durch, dass Biodiversität nur dort erhalten werden<br />

kann, wo sie vorkommt. Arten brauchen zum Überleben<br />

großflächige Gebiete mit genug Individuen, um flexibel auf<br />

plötzliche o<strong>der</strong> langfristige Verän<strong>der</strong>ungen wie<br />

Brände, Überschwemmungen, Dürre, Kälte, Klima-<br />

schwankungen o<strong>der</strong> menschliche Eingriffe reagieren<br />

zu können – um zu fliehen, auszuweichen o<strong>der</strong><br />

sich anzupassen.<br />

Inzwischen steht die Sicherung von Ökosystemen<br />

weltweit obenan. Mit <strong>der</strong> Kampagne „Living Planet“<br />

appelliert zum Beispiel <strong>der</strong> WWF für die Erhaltung<br />

von gut 200 Lebensraum-Typen <strong>der</strong> Erde, die er <strong>als</strong><br />

die wichtigsten ausgemacht hat – wegen ihrer enormen<br />

Vielfalt, ihrer Natürlichkeit, Einmaligkeit,<br />

Ursprünglichkeit, Seltenheit o<strong>der</strong> weil sie nach übereinstimmen<strong>der</strong><br />

Auffassung von Experten eine Schlüsselrolle<br />

in <strong>der</strong> Evolution des Lebens spielen. „Gelingt<br />

es sie zu erhalten“, sagt Hartmut Jungius, <strong>der</strong> für die<br />

Projekte des WWF in Osteuropa und Zentralasien<br />

zuständig ist, „sind schätzungsweise 80 Prozent <strong>der</strong><br />

heutigen Biodiversität gerettet.“<br />

Claus Peter Simon, GEO Nr. 7/1999<br />

Wie <strong>der</strong> Biopiraterie Einhalt gebieten?<br />

In <strong>der</strong> Öffentlichkeit hat sich vor allem ein Begriff eingeprägt,<br />

<strong>der</strong> schlagwortartig die gegenwärtigen Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />

zwischen Staaten mit großer Biodiversität –<br />

zumeist Entwicklungslän<strong>der</strong> – und Staaten mit mächtiger<br />

Gentechnikindustrie und -forschung – zumeist Industriestaaten<br />

– benennt: Biopiraterie.<br />

Vor allem in den USA ist es möglich und landläufige Praxis,<br />

gentechnische Ressourcen inklusive des mit ihrer Nutzung<br />

verbundenen Wissens zu patentieren, ohne dass ein Vorteilsausgleich<br />

stattfindet. Als Gründe gelten neben den<br />

rechtlichen Vorgaben <strong>der</strong> Patentgesetzgebung vor allem die


politisch gewollte strukturelle Schwäche des US-Patentamtes.<br />

Zahlreiche Patentanträge werden genehmigt, obwohl<br />

ihr rechtswidriger Charakter schon bei oberflächlicher Analyse<br />

deutlich wird. Es bleibt nur ein Weg zur Aberkennung<br />

des Patentschutzes: die Klage gegen den Antragssteller, die<br />

unkalkulierbare finanzielle Risiken mit sich zieht. Es gilt <strong>als</strong>o<br />

das Recht des Stärkeren, des Reicheren – <strong>der</strong> Ausdruck Biopiraterie<br />

ist treffend gewählt.<br />

www.forumue.de/forumaktuell/veranstaltungen<br />

Biodiversität<br />

Begriff in aller Munde?<br />

Seit vor zehn Jahren beim Weltgipfel 1992 in Rio de Janeiro<br />

die „Konvention zur Erhaltung <strong>der</strong> biologischen Vielfalt“<br />

unterzeichnet wurde, ist <strong>der</strong> Begriff Biodiversität international<br />

anerkannt. In verschiedensten Bedeutungen<br />

gebraucht, wird dieser Schlüsselbegriff bisweilen auch<br />

missverstanden, eingeengt, sogar angefeindet. Das Konzept<br />

Biodiversität allgemein verständlich darzustellen und<br />

methodisch zu vermitteln, ist allerdings nicht einfach; es<br />

geht über den traditionellen Naturschutz weit hinaus.<br />

Unter Biodiversität versteht man die biologische Vielfalt<br />

innerhalb <strong>der</strong> belebten Natur. Diese Erklärung beruht auf<br />

<strong>der</strong> Erkenntnis, dass Leben Teil eines großen Systems ist.<br />

Biodiversität bedeutet die Vielfalt <strong>der</strong> Organismen mit all<br />

ihren wechselseitigen Abhängigkeiten und ihre Beziehung<br />

zur Umwelt. Man unterscheidet drei Ebenen <strong>der</strong> Biodiversität:<br />

die genetische Vielfalt, die Vielfalt <strong>der</strong> Arten und die<br />

ökologische Vielfalt <strong>der</strong> Lebensräume.<br />

Genetische Vielfalt<br />

Jedes Individuum ist einmalig<br />

Als genetische Vielfalt bezeichnet man die Vielfalt innerhalb<br />

einer Art. Jedes Individuum besitzt seine spezielle Erbinformation<br />

und unterscheidet sich dadurch von allen übrigen<br />

Individuen. Ausgenommen von Son<strong>der</strong>fällen – eineiige Zwillinge<br />

etwa, Klone, parthenogenetischer Nachwuchs – sind<br />

keine zwei Vertreter <strong>der</strong> selben Art genetisch identisch. Zum<br />

Beispiel zeigt sich die genetische Vielfalt einer einzelnen Art<br />

in verschiedenen Rosensorten, Apfelsorten, Hundezüchtungen.<br />

Vielfalt geht nicht erst beim Aussterben einer Art verloren.<br />

Bereits beim Verschwinden bestimmter Merkmale<br />

innerhalb einer Art, etwa einer Apfelsorte, vermin<strong>der</strong> sich<br />

die Vielfalt. Eine gefährdete Art wird daher von ihrer genetischen<br />

Vielfalt bereits viel verloren haben. Genetische Viel-<br />

Vielfalt / 9<br />

falt einer Art ist für <strong>der</strong>en Überleben notwendig: Bei Krankheitsbefall<br />

o<strong>der</strong> sich än<strong>der</strong>nden Umweltbedingungen sind<br />

nicht alle Individuen einer Art gleichermaßen gefährdet.<br />

Artenvielfalt<br />

Leben in Hülle und Fülle<br />

Neue Arten entwickeln sich im Lauf <strong>der</strong> Erdgeschichte,<br />

indem Lebewesen <strong>der</strong> gleichen Art durch geographische<br />

Barrieren wie Flüsse und Gebirge voneinan<strong>der</strong> getrennt<br />

werden. So kann aus je<strong>der</strong> Gruppe mit <strong>der</strong> Zeit eine eigene<br />

Art entstehen. Die Vielfalt <strong>der</strong> Organismen zu erfassen ist<br />

aber bei weitem noch nicht gelungen. Bisher sind etwa 1,75<br />

Millionen Pflanzen- und Tierarten wissenschaftlich<br />

beschrieben. E. O. Wilson 1) schätzt, dass die Zahl <strong>der</strong> Arten<br />

auf <strong>der</strong> Erde zwischen fünf und 30 Millionen liegen wird.<br />

Mehr <strong>als</strong> die Hälfte aller Arten lebt in den Regenwäl<strong>der</strong>n.<br />

Arten entwickeln sich nicht isoliert voneinan<strong>der</strong>. Sie sind<br />

voneinan<strong>der</strong> und vom Ökosystem abhängig; unzählige<br />

Wechselbeziehungen sind dabei maßgeblich. Wird eine Art<br />

ausgelöscht, von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e abhängen, vernichtet das viele<br />

Arten gleichzeitig. Soll <strong>der</strong> Wert einer Art vollständig<br />

bestimmt werden, muss <strong>der</strong> Wert aller an<strong>der</strong>en Arten, die<br />

von ihr abhängig sind, mit einbezogen werden. Festzustellen,<br />

welche charakteristischen Arten am meisten zum Funktionieren<br />

des Ökosystems und zu dessen Produktivität beitragen,<br />

ist eine schwierige Aufgabe. Bestimmte Arten haben<br />

großen Einfluss auf die Strukturen und Funktion von Ökosystemen,<br />

sie werden <strong>als</strong> dominante Arten o<strong>der</strong> Schlüsselarten<br />

bezeichnet.<br />

Ökologische Vielfalt<br />

Leben zwischen Wüste und Gletscher<br />

Die enorme Artenvielfalt konnte sich im Laufe <strong>der</strong> Evolution<br />

nur auf Grund <strong>der</strong> reich strukturierten Landschaft und ihrer<br />

unzähligen Ökosysteme entwickeln. Tropische Regenwäl<strong>der</strong>,<br />

Korallenriffe, <strong>der</strong> Grund <strong>der</strong> Tiefsee und <strong>der</strong> Erdboden von<br />

Savannen sind nach wie vor wenig erforschte Lebensräume,<br />

beherbergen jedoch unzählige Arten von Lebewesen. Die Vielfalt<br />

<strong>der</strong> verschiedenen Lebensräume zu erhalten ist unbedingt<br />

notwendig, soll das natürliche Zusammenspiel <strong>der</strong> Arten im<br />

Gleichgewicht bleiben.


10<br />

/ Vielfalt<br />

Wert <strong>der</strong> Biodiversität<br />

Wozu brauchen wir so viele Arten?<br />

Biodiversität ist wichtig für die Weiterentwicklung <strong>der</strong><br />

Natur. Ihre Anpassungs- und Evolutionsfähigkeit beruhen<br />

auf Biodiversität. Leicht verlieren wir in <strong>der</strong> technisierten<br />

Welt das Gefühl dafür, wie sehr wir eigentlich von <strong>der</strong><br />

natürlichen Vielfalt unseres Planeten abhängen. Am offensichtlichsten<br />

ist dies bei <strong>der</strong> Nahrung. Sie stammt von<br />

Äckern, Weiden, Gewässern und aus Ställen. Von den bisher<br />

bekannten Pflanzenarten hat <strong>der</strong> Mensch nur etwa 150 in<br />

größerem Maßstab kultiviert. Die Natur könnte indes noch<br />

viele wertvolle Nahrungsmittel und Rohstoffe bereit stellen,<br />

die wir bislang nicht kennen. Auch in <strong>der</strong> medizinischen<br />

Versorgung sind wir auf natürliche Quellen angewiesen,<br />

vorwiegend auf Pflanzenextrakte, aber auch auf Substanzen<br />

aus Pilzen, Bakterien und Schlangen. Es wird vermutet, dass<br />

in den Entwicklungslän<strong>der</strong>n bis zu 20.000 Pflanzenarten für<br />

Heilzwecke verwendet werden, von denen die wirksamen<br />

Bestandteile in ihrer chemischen Struktur bis heute vielfach<br />

unbekannt sind. Vielfältig sind <strong>als</strong>o die Schätze, die uns die<br />

Vielfalt beschert. In ihr ist schließlich auch die Schönheit<br />

<strong>der</strong> Natur begründet, die für viele Menschen eine Quelle <strong>der</strong><br />

Freude, Inspiration und Erholung ist.<br />

Ist größer auch besser?<br />

Die Biodiversität eines Lebensraumes ist eng mit dem Klima<br />

und mit <strong>der</strong> Bodenbeschaffenheit verbunden. Eine bedeutende<br />

Rolle spielt jedoch die Länge <strong>der</strong> Zeitspanne, in <strong>der</strong> sich<br />

Flächen ungestört entwickeln können. Neue Untersuchungen<br />

zeigen, dass nicht nur die Qualität <strong>der</strong> Lebensräume, son<strong>der</strong>n<br />

auch <strong>der</strong>en Flächengröße entscheidenden Einfluss auf die<br />

Biodiversität haben. Kleine Flächen beherbergen weniger<br />

Arten und sind auch genetisch weniger vielfältig <strong>als</strong> große<br />

Flächen. Jede Verkleinerung von Ökosystemen führt zur<br />

Reduktion <strong>der</strong> Artenzahl. Eine drastische Abnahme <strong>der</strong> Artenzahl<br />

ist in Lebensräumen zu verzeichnen, wenn die verbleibenden<br />

Restflächen stark voneinan<strong>der</strong> isoliert sind (vgl.<br />

Lebensraum-Fragmentation Seite 20).<br />

Bedrohung <strong>der</strong> Biodiversität<br />

Ursachen des Artensterbens<br />

Das explosive Bevölkerungswachstum führt zum Raubbau<br />

an <strong>der</strong> Umwelt. Landschaften, Ökosysteme und Arten sind<br />

weltweit bedroht durch<br />

• übermäßigen Abbau natürlicher Ressourcen,<br />

• Zerschneidung und Zerstörung <strong>der</strong> Lebensräume etwa<br />

durch Straßen, Dämme und Industrieanlagen,<br />

• Verschmutzung des Bodens und Wassers durch Düngemittel,<br />

Pestizide und Industrie,<br />

• Verschmutzung des Meeres,<br />

• Verringerung <strong>der</strong> genetischen Vielfalt durch industrialisierte<br />

und intensive Landwirtschaft,<br />

• beabsichtigte o<strong>der</strong> zufällige Einfuhr von Exoten<br />

(„alien“).<br />

Man schätzt, dass die Zahl <strong>der</strong> jährlich in den vergangenen<br />

600 Millionen Jahren ausgestorbenen Arten zwischen eins<br />

und zehn liegt. Allein durch die Zerstörung <strong>der</strong> tropischen<br />

Regenwäl<strong>der</strong> dürften jährlich einige tausend Arten heutzutage<br />

verschwinden.<br />

1) Wilson, E. O. 1995: Der Wert <strong>der</strong> Vielfalt. Die Bedrohung des Artenreichtums<br />

und das Überleben des Menschen. Piper Verlag, München


Biodiversität<br />

aus verschiedenen Blickwinkeln<br />

11


Jürgen Mayer<br />

Wertschätzung gefragt<br />

Biodiversität <strong>als</strong> Thema <strong>der</strong> <strong>Umweltbildung</strong><br />

„Biodiversität“ – ein Begriff, <strong>der</strong> seit dem Erdgipfel in Rio<br />

(1992) zum neuen Schlagwort <strong>der</strong> Umweltdiskussion avanciert<br />

ist. In <strong>der</strong> dam<strong>als</strong> verabschiedeten Rio-Konvention zum<br />

Schutz <strong>der</strong> biologischen Vielfalt verpflichteten sich die<br />

Staaten dazu, Bildungsmaßnahmen ins Leben zu rufen.<br />

Nahezu zehn Jahre danach spielt das Thema Biodiversität<br />

innerhalb <strong>der</strong> <strong>Umweltbildung</strong> noch immer eine vergleichsweise<br />

geringe Rolle.<br />

Ein neues Konzept im Umweltschutz?<br />

In neueren Umweltberichten wird über den Stand des<br />

Arten- und Naturschutzes meist unter dem neuen Begriff<br />

<strong>der</strong> Biodiversität berichtet. Handelt es sich dabei lediglich<br />

um einen Anglizismus für den Begriff „Artenvielfalt“ o<strong>der</strong><br />

„Natur“, o<strong>der</strong> steckt doch mehr dahinter? Biodiversität – so<br />

die allgemein anerkannte Definition – umfasst die Vielfalt<br />

<strong>der</strong> ca. 30 Millionen Arten (Artenvielfalt), die genetische<br />

Vielfalt innerhalb <strong>der</strong> Arten sowie die ökologische Vielfalt<br />

<strong>der</strong> Lebensräume. Insofern geht dieser neue Begriff über den<br />

traditionellen Bereich des Arten- und Naturschutzes hinaus,<br />

indem explizit die genetische Vielfalt und damit insbeson<strong>der</strong>e<br />

die Vielfalt <strong>der</strong> Sorten und Rassen von Nutztieren und<br />

Nutzpflanzen einbezogen wird. Darüber hinaus – und dies<br />

ist sicher nicht unproblematisch – die Vielfalt genetischer<br />

Information, die auch außerhalb von Organismen im Rahmen<br />

<strong>der</strong> Gen- und Biotechnik genutzt werden kann. Positiv<br />

zu vermerken ist wie<strong>der</strong>um, dass durch die Integration <strong>der</strong><br />

ökologischen Vielfalt eine Brücke zwischen Arten- und Biotopschutz<br />

geschlagen wurde.<br />

Das grüne Gold<br />

Obwohl „Biodiversität“ ein neues wissenschaftliches Konzept<br />

mit innovativem Gehalt darstellt, reicht dies zur<br />

Erklärung des rasanten Aufstiegs nicht aus. Also bleibt die<br />

Frage, warum dieses große Interesse <strong>der</strong> Umweltpolitik an<br />

Biodiversität? Der Hintergrund dürfte eher ein ökonomischer<br />

<strong>als</strong> ein wissenschaftlicher sein. Die Konvention zum<br />

Schutz <strong>der</strong> Biodiversität, durch die <strong>der</strong> Terminus Eingang in<br />

die Politik gefunden hat, ist vor allem durch den Geist einer<br />

„nachhaltigen Nutzung <strong>der</strong> Biodiversität“ geprägt. Das heißt<br />

im Klartext, es geht um die gerechte Verteilung <strong>der</strong> Biodiversität<br />

<strong>als</strong> wirtschaftlicher Ressource: ertragreiche Pflanzensorten,<br />

nachwachsende Rohstoffe, noch unbekannte<br />

Medikamente u. ä. Deshalb wird Biodiversität auch <strong>als</strong> „grünes<br />

Gold“ bezeichnet. Aus diesem Grunde befasst sich die<br />

Ökonomie intensiv mit dem monetären Wert <strong>der</strong> Biodiversität.<br />

Der wird für Deutschland auf 1,6 bis 2,5 Milliarden<br />

Euro pro Jahr geschätzt wird. Neben dem Eigenwert <strong>der</strong> biologischen<br />

Vielfalt wird in <strong>der</strong> „Konvention über die biologische<br />

Vielfalt“ <strong>der</strong>en Wert in biologischer, ökologischer,<br />

sozialer, wirtschaftlicher, erzieherischer, kultureller und<br />

ästhetischer Hinsicht bekräftigt (siehe Tabelle).<br />

Trotz <strong>der</strong> ökonomischen Bedeutung <strong>der</strong> Biodiversität ist es<br />

im konkreten Fall meist schwierig, die Öffentlichkeit von <strong>der</strong><br />

Notwendigkeit des Artenschutzes zu überzeugen, beson<strong>der</strong>s<br />

13


14<br />

/ Wertschätzung gefragt<br />

wenn dieser hohe Kosten verursacht o<strong>der</strong> mit ökonomischen<br />

Einbußen verbunden ist. Arten- und Naturschutz steigert<br />

we<strong>der</strong> die Lebensqualität noch sichert er die Lebensgrundlagen<br />

des Menschen – so Befragte in empirischen Studien.<br />

Der Gruppe <strong>der</strong> Naturgüter wird lediglich ein „ideeller Wert“<br />

zugeschrieben, wobei keine Verantwortung zum Schutz dieser<br />

Güter empfunden wird. Dementsprechend ist kaum<br />

jemand persönlich betroffen, wenn Tier- und Pflanzenarten<br />

aussterben. Konsequenterweise ist das Umwelthandeln bei<br />

solchen Problemen deutlich am geringsten.<br />

Modeströmung?<br />

Die <strong>Umweltbildung</strong> unterliegt wie auch die Umweltpolitik<br />

Modeströmungen. Themen verlieren an Aktualität (z. B.<br />

Waldsterben). An<strong>der</strong>e kommen neu hinzu (z. B. Mobilität)<br />

und wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e werden konsequent ignoriert (z. B.<br />

Bodendegradierung). Allerdings verwun<strong>der</strong>t es doch, dass<br />

<strong>der</strong> Aktualität <strong>der</strong> Biodiversität in Wissenschaft und Politik<br />

kaum nennenswerte Aktivitäten innerhalb <strong>der</strong> <strong>Umweltbildung</strong><br />

gefolgt sind. Über die Gründe kann nur gemutmaßt<br />

werden: Sicherlich entspricht das Thema nicht dem <strong>der</strong>zeitigen<br />

Mainstream <strong>der</strong> „kulturellen Wende“ <strong>der</strong> <strong>Umweltbildung</strong>.<br />

Vielleicht führt die kritische Haltung zu diesem Konzept<br />

(ökonomische Aspekte, Gentechnik) zu einer Abstinenz,<br />

sich mit dem Thema auseinan<strong>der</strong> zu setzen, o<strong>der</strong> vielleicht<br />

erscheint vielen das Thema lediglich <strong>als</strong> traditioneller<br />

Naturschutzunterricht, nur unter einem neuen Begriff.<br />

Wertschätzung Kriterien Beispiele<br />

Im Folgenden sollen einige Aspekte des Themas aufgelistet<br />

werden, die mögliche Anknüpfungspunkte für die <strong>Umweltbildung</strong><br />

bieten.<br />

Weitreichen<strong>der</strong> Bildungswert<br />

Bereits zu Beginn <strong>der</strong> 90er Jahre wurde eine Delphi-Befragung<br />

zum Bildungswert biologischer Vielfalt für den Biologieunterricht<br />

durchgeführt. Hintergrund waren damalige<br />

Klagen vieler Lehrer, dass sich <strong>der</strong> Biologieunterricht zu sehr<br />

an allgemeinbiologischen Phänomenen wie Stoffwechsel,<br />

Verhalten und Vererbung orientiere und die Vielfalt <strong>der</strong> Tiere<br />

und Pflanzen eine vergleichsweise geringe Rolle spiele. In<br />

dieser Studie wurde u. a. gefragt, warum Schüler etwas über<br />

die biologische Vielfalt lernen sollten. Die häufigsten Antworten<br />

waren, dass dies<br />

• zum Schutz <strong>der</strong> biologischen Vielfalt beiträgt,<br />

• das allgemeine Verständnis <strong>der</strong> Natur för<strong>der</strong>t,<br />

• zur biologischen Grundbildung gehört,<br />

• die individuelle Naturbeziehung för<strong>der</strong>t,<br />

• für die Bewältigung des Alltags qualifiziert.<br />

Diese Antworten deuten an, dass <strong>der</strong> Biodiversität eine<br />

umfassende Bildungsbedeutung zukommt, nicht nur innerhalb<br />

<strong>der</strong> <strong>Umweltbildung</strong>, son<strong>der</strong>n auch darüber hinaus. Die<br />

weiterführenden Arbeiten befassen sich zum einen mit dem<br />

methodischen Zugang zu diesem Thema (Naturerfahrung),<br />

zum an<strong>der</strong>en mit den aktuellen Entwicklungen, d. h. <strong>der</strong><br />

nachhaltigen Nutzung <strong>der</strong> Biodiversität.<br />

Ökonomischer Wert Materieller Nutzen Nahrung, Genussmittel, Arznei,<br />

Futterpflanze, Rohstoff<br />

Ökologischer Wert Ökologische Funktion Stoffabbau, Wasserreinigung,<br />

Bodenbildung, Klimaschwankung<br />

Wissenschaftlicher Wert Information Erfindungsleistung (Bionik),<br />

Bio-Indikatoren, genetische Information<br />

Ästhetischer Wert Schönheit Blumenschmuck, Parks<br />

Psychischer Wert Wohlbefinden Vielfalt zum Schauen, Schmecken, Riechen,<br />

Hören, Landschaftsglie<strong>der</strong>ung


Natur erleben ist wertvoller<br />

<strong>als</strong> jedes Buch<br />

Unmittelbare Erfahrung<br />

bedeutsam<br />

Obwohl die Wertschätzung<br />

unmittelbarer Naturerfahrung<br />

innerhalb <strong>der</strong> <strong>Umweltbildung</strong> in<br />

den letzten Jahren deutlich<br />

abgenommen hat, ist sie nach<br />

wie vor ein bedeutsamer Aspekt<br />

des Lernens. Allerdings darf<br />

Naturerfahrung nicht auf sinnlich-ästhetische<br />

Aspekte beschränkt<br />

bleiben. Die Vermittlung<br />

von Naturerfahrungen<br />

muss vielmehr an die vielfältigen<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Lebenswirklichkeit<br />

<strong>der</strong> Lernenden<br />

anknüpfen und sinnvoll in diese<br />

eingebettet werden. Damit sollen<br />

über das unmittelbare Erleben<br />

hinaus weitgehend verloren<br />

gegangene kulturelle Sinnbezüge<br />

des Umgangs mit <strong>der</strong><br />

biologischen Vielfalt wie<strong>der</strong><br />

hergestellt o<strong>der</strong> neu begründet werden. Dazu gehören erholungsbezogene<br />

Erfahrungen in <strong>der</strong> Freizeit und im Urlaub<br />

ebenso wie die nutzenorientierte Erfahrung beim Pflanzen<br />

und Pflegen von Nutzpflanzen o<strong>der</strong> beim Pflegen von Heimund<br />

Nutztieren. Nur wenn Erfahrungen vermittelt werden,<br />

die über die pädagogische Situation hinaus Bedeutung<br />

haben, können diese dauerhaft im Alltagsleben wirken.<br />

Nachhaltige Nutzung<br />

Ein emotionaler Bezug zur Natur ist wichtig. Die biologische<br />

Vielfalt kann aber nur durch konkretes individuelles und<br />

gesellschaftliches Handeln bewahrt werden. Umwelthandeln<br />

findet in Bereichen wie Konsumverhalten, Ressourceneinsprung<br />

und Verkehrsverhalten statt, <strong>als</strong>o in Bereichen,<br />

die nur mittelbar – und für Schüler nicht unbedingt<br />

einsichtig mit <strong>der</strong> Beeinträchtigung <strong>der</strong> biologischen Vielfalt<br />

verknüpft sind. So ist die geringe Wertschätzung <strong>der</strong><br />

biologischen Vielfalt in <strong>der</strong> Öffentlichkeit sicherlich zum<br />

großen Teil darauf zurückzuführen, dass vielen Menschen<br />

nicht bewusst ist, wie wichtig die biologische Vielfalt für die<br />

Sicherung ihrer Existenz und ihrer Lebensqualität ist. Dabei<br />

lässt sich an einer Vielzahl von Beispielen <strong>der</strong> ökonomische,<br />

ästhetische o<strong>der</strong> Erholungs-Wert <strong>der</strong> biologischen Vielfalt<br />

belegen.<br />

Mit Blick auf die Umwelterziehung kommt es deshalb darauf<br />

an, neben dem Wert <strong>der</strong> biologischen Vielfalt, den direkten,<br />

indirekten und potentiellen Nutzen <strong>der</strong> biologischen<br />

Vielfalt für die gegenwärtige und künftige Generationen<br />

deutlich zu machen. Damit soll die Einsicht vermittelt werden,<br />

dass in <strong>der</strong> biologischen Vielfalt ein ungeheures Nutzen-Potenzial<br />

enthalten ist, und die biologische Vielfalt<br />

auch aus diesem Grund zu erhalten ist. Dabei sollte herausgestellt<br />

werden, dass <strong>der</strong> tatsächliche Nutzen heute noch<br />

gar nicht erfasst ist; deshalb muss sich eine Naturschutzstrategie<br />

auf die Gesamtheit <strong>der</strong> biologischen Vielfalt beziehen.<br />

Hinsichtlich <strong>der</strong> Nutzung biologischer Vielfalt ist deutlich<br />

zu machen, dass eine Ausbeutung natürlicher Ressourcen<br />

durch den Menschen nicht das Ziel seines wirtschaftlichen<br />

Handelns sein darf. Eine „nachhaltige“ Nutzung ist<br />

angezeigt, die nicht zum langfristigen Rückgang <strong>der</strong> biologischen<br />

Vielfalt führt. Ziel einer solchen <strong>Umweltbildung</strong> ist,<br />

die Lernenden zu befähigen, zur Sicherung <strong>der</strong> menschlichen<br />

Lebensgrundlagen durch den Schutz <strong>der</strong> biologischen<br />

Vielfalt beizutragen.<br />

Quellennachweis<br />

Umwelt und Bildung 1/00: Die Zukunft <strong>der</strong> Vielfalt,<br />

Literatur<br />

Hrsg: Umweltdachverband ÖGNU, Alserstraße 21, A-1080 Wien<br />

Horn, F. 1994: Biovielfalt – Konsequenzen für den Unterricht. Biologie in<br />

<strong>der</strong> Schule, 43, 1<br />

Kellert, St. R. 1996: The Value of Life: Biological Diversity and Human<br />

Society. Island Press. Washington D.C.<br />

Wertschätzung gefragt / 15<br />

Mayer, J. 1996: Biodiversitätsforschung <strong>als</strong> Zukunftsdisziplin. Ein Beitrag<br />

<strong>der</strong> Biologiedidaktik. Berichte des Instituts für Didaktik <strong>der</strong> Biologie<br />

(IDB), Universität Münster, 5, 19-41.<br />

Mayer, J.; Rupprecht, C. 1998: Nachhaltige Nutzung biologischer Vielfalt.<br />

Unterrichtmaterialien. Kiel: Institut für die Pädagogik <strong>der</strong> Naturwissenschaften<br />

Ritter, M. et. al. 1995: Gesellschaftliche Wahrnehmung, Bewertung und<br />

Umsetzung von Biodiversität. GAIA, 4, 251-260<br />

Prof. Dr. Jürgen Mayer<br />

ist Professor am Institut für Biologiedidaktik <strong>der</strong><br />

Justus-Liebig-Universität Gießen.


16<br />

/ Das Bekenntnis zur Vielfalt<br />

Martin Krejcarek<br />

Das Bekenntnis zur Vielfalt ist im Kopf,<br />

o<strong>der</strong> es ist nirgendwo ...<br />

Als Vorschub drei Erfahrungen:<br />

Manchmal sind die verqueren Gedanken die produktivsten<br />

und die Enttäuschungen die reichhaltigsten Quellen des<br />

Nachdenkens. Und: Manchmal muss man einen Umweg<br />

gehen, um dem Ziel näher zu kommen.<br />

Der ketzerische Gedanke:<br />

Was um alles in <strong>der</strong> Welt hat sich Gott dabei gedacht, dieses<br />

verschwen<strong>der</strong>ische Durcheinan<strong>der</strong> an Arten in die Welt<br />

zu werfen. Ein unaufhörliches Kommen und Vergehen, eine<br />

Getriebenheit und Rücksichtslosigkeit son<strong>der</strong>gleichen. Von<br />

wegen: „Liebe deinen Nächsten“. Nichts <strong>als</strong> ein Haufen egozentrischer<br />

Nahrungsoptimierer, Lichtgierer und Fressfeinde,<br />

die einan<strong>der</strong> am besten den Mensch an den H<strong>als</strong> wünschen.<br />

Der Plan ist die Planlosigkeit. Die Stetigkeit ist <strong>der</strong><br />

Wandel. Vielfalt ist Selbstzweck. Das einzig Sichere ist <strong>der</strong><br />

Tod. Der Gott <strong>der</strong> Tiere und Pflanzen zeigt wenig menschliche<br />

Züge.<br />

Doch dann. Gott wirft den Menschen ins Geschehen. Es<br />

dauert einige hun<strong>der</strong>ttausend Jahre, bis sich die neue Art<br />

aus Chaos und Gegenabhängigkeit <strong>der</strong> organismischen Welt<br />

herausstrudelt. Langsam, aber sicher bestimmen neue -<br />

menschliche - Gedanken das Leben in großen Teilen <strong>der</strong><br />

Erde. Planbarkeit, Ordnung, Stetigkeit, Sicherheit, Machbarkeit.<br />

Gut so. O<strong>der</strong> wollen Sie sich etwa im Winter mit einem<br />

Rudel Wölfe um den mühsam erlegten Hirsch raufen, plädieren<br />

Sie für die Freiheit des Pestbazillus o<strong>der</strong> – um aktueller<br />

zu sein – bereitet es Ihnen Vergnügen, Ihre Salatkultur<br />

<strong>der</strong> Spanischen Wegschnecke zu opfern?<br />

Macht Euch die Erde untertan. Gut gemacht. Jetzt haben<br />

wir <strong>als</strong>o die Macht. Über gut und schlecht, produktiv und<br />

unproduktiv, über wertvoll und wertlos, Vielfalt und Einfalt,<br />

über Leben und Tod.


Und <strong>der</strong> Antagonist, die Gegenkraft, <strong>der</strong> Weichzeichner, die<br />

abwägende Haltung zur Allmacht des Menschen? Sprich:<br />

die Verantwortung. Damit haben wir dann schon weniger<br />

Erfahrung.<br />

Ein Verdacht:<br />

Mich plagt <strong>der</strong> Gedanke, dass <strong>der</strong> Artenschwund-Problematik<br />

Phänomene zugrunde liegen, die uns viel näher sind <strong>als</strong><br />

die 70 Arten, die täglich vollkommen unbemerkt und unbeweint<br />

aus dem Artenpool verschwinden (WILSON 1995).<br />

Liegt <strong>der</strong> Kern <strong>der</strong> Problematik in unseren Köpfen? Der<br />

Artenschwund <strong>als</strong> Symptom von individuellen und gesellschaftlichen<br />

Grundhaltungen?<br />

Gut so. An diesen Fragen entwickelt sich Bildung. Hier wird<br />

um Erfahrungen, Wissen, Erkenntnis und um Haltungen<br />

gerungen.<br />

Die Frage nach dem Nutzen, dem Zweck ...<br />

In einer Welt, in <strong>der</strong> ein Zugang zu „Wert“ sich am Bezugssystem<br />

<strong>der</strong> Zweckmäßigkeit orientiert, wird die Frage nach<br />

dem Nutzen zum Desaster. Auch und vor allem auf <strong>der</strong><br />

Ebene des menschlichen Zusammenlebens.<br />

Lässt sich auf <strong>der</strong> Habenseite ein Plus verbuchen, dann entsteht<br />

in unseren Köpfen eine positive Wertzuschreibung.<br />

Aber wenn nicht? Wenn´s nichts bringt, es keinen Nutzen<br />

hat, wir Menschen nichts davon haben? Dann tut sich <strong>der</strong> –<br />

im wahrsten Sinne des Wortes – oft tödliche Abgrund <strong>der</strong><br />

„Wertlosigkeit“ auf. Artenvielfalt wird zur Verschubmasse,<br />

Nutzlosigkeit zum Schimpfwort, Schädlinge werden zum<br />

Feind <strong>der</strong> Nützlinge, An<strong>der</strong>ssein zur Bedrohung, Meinungsvielfalt<br />

wird zur Mühsal, Behin<strong>der</strong>ung wird zum unwerten<br />

Leben und Toleranz zur Schwäche. Jetzt sind wir mitten drin<br />

im Thema.<br />

Welche Kompetenzen helfen uns, die Verantwortung<br />

gegenüber den Mitgeschöpfen wahrnehmen<br />

zu können?<br />

Das Bewusstsein für unsere eigene Natürlichkeit, für die<br />

Eingebundenheit in Kreisläufe, für die Zusammengehörigkeit<br />

mit allem, was da kreucht und fleucht. Die Frage nach<br />

dem Nutzen hat da keinen Platz. Das Einlassen und Seinlassen<br />

tritt an die Stelle des Machbarkeitswahns. Wie gut es<br />

doch TeilnehmerInnen an einer Wan<strong>der</strong>ung tut, in einem<br />

Regenguss drecknass zu werden und nicht mit dem Handy<br />

das Taxi rufen zu können. Ganz nahe sind wir plötzlich am<br />

Ein Geschenk <strong>der</strong> Natur – Wem nützt´s?<br />

Das Bekenntnis zur Vielfalt / 17<br />

Wesen <strong>der</strong> Artenvielfalt. Es ist wie es ist, ruft uns die Natur<br />

zu. Take it or leave it. Fragen nach dem Nutzen von Gelsen,<br />

bengalischen Tigern o<strong>der</strong> dem Gingko-Baum sind vollkommen<br />

wi<strong>der</strong>natürlich. Die komplexe systemische Abhängigkeit<br />

ermöglicht den Arten so zu leben, wie sie leben. Jede<br />

Art nach ihrer Fasson. Punktum.<br />

Und vor allem brauchen wir die menschlichsten aller Fähigkeiten:<br />

Wissen, unser abwägendes Denken, ein gebildetes<br />

Gewissen und eine Grundhaltung <strong>der</strong> Toleranz, Wertschätzung<br />

und Achtsamkeit, um Entscheidungen treffen zu können.<br />

Hier zeichnet sich schon eine zentrale Anfor<strong>der</strong>ung an<br />

die Bildungsverantwortlichen ab. Kin<strong>der</strong>, Jugendliche und<br />

Erwachsene in die Pflicht zu nehmen, nachzudenken und<br />

Bil<strong>der</strong> – Weltbil<strong>der</strong> – zu entwickeln, in denen das eigene<br />

Handeln schlüssig passieren kann.<br />

Denn daran fehlt es quer durch die Altersstufen, und auch<br />

die Naturschutzbewegung steht hier in einer großen Verantwortung.<br />

In all <strong>der</strong> Sorge um die Natur scheint uns voll-


18<br />

/ Das Bekenntnis zur Vielfalt<br />

kommen aus dem Blick geraten zu sein, dass auch wir Menschen<br />

Natur sind, mit allen Bedürfnissen und Ansprüchen.<br />

Natur ist zu etwas vollkommen außen Liegendem geworden.<br />

Aus dieser Natur haben wir uns in einer fast infantilen<br />

Weltdeutung gänzlich verabschiedet.<br />

Entwe<strong>der</strong> betrachten wir Natur aus <strong>der</strong> technisch-rationalen<br />

Nutzerperspektive. Natur <strong>als</strong> Sauerstoffspen<strong>der</strong>, Nahrungs-<br />

und Rohstofflieferant o<strong>der</strong> Sportgerät, <strong>der</strong> man sich<br />

möglichst uneingeschränkt bedienen kann.<br />

O<strong>der</strong> wir verfallen in eine pseudoreligiöse Überhöhung <strong>der</strong><br />

Natur zum „heiligen Ort“, an dem <strong>der</strong> Mensch <strong>als</strong> größter<br />

Feind <strong>der</strong> Natur nichts verloren hat.<br />

Das Dazwischen haben wir uns wegmoralisiert. Entfremdung<br />

in jedem Fall.<br />

Und so geht nur mehr wenig zusammen in unseren Köpfen.<br />

Da führt die Exkursion mit <strong>der</strong> Seniorengruppe zur wun<strong>der</strong>schönen<br />

Bergmähwiese mit den vielen bunten Blumen.<br />

Erläuterungen zur Bedeutung <strong>der</strong> Artenvielfalt – 60 Arten<br />

auf hun<strong>der</strong>t Quadratmetern. Und natürlich bitte nicht vom<br />

Weg in die Wiese und nichts ausreißen und Begeisterung –<br />

ach wie toll. Und zuhause wird dann wie<strong>der</strong> allsamstäglich<br />

ausgerückt mit Rasenmäher und Gartenschere, um dem<br />

üblen Wildwuchs des Grünzeugs im Garten Herr zu werden.<br />

O<strong>der</strong> die Schülergruppe am Bauernhof. Kühe streicheln und<br />

melken inklusive. Und die kuscheligen Tiere werden doch<br />

nicht etwa geschlachtet, o<strong>der</strong>? Und schauen wir beim<br />

Nachhausefahren eh noch beim McDonalds vorbei?<br />

Eine Erfahrung <strong>der</strong> Ernüchterung:<br />

Das Thema Biodiversität in Bildungsprozessen hat vor allem<br />

eine Qualität: es ist in Zeiten von Natura 2000 gesellschaftlich<br />

en vogue. Darüber hinaus ist es abstrakt, kaum<br />

nachvollziehbar, ohne Betroffenheitspotenzial und fern persönlicher<br />

Erlebbarkeit. Schlechte Karten <strong>als</strong>o, um gerade<br />

Jugendliche und Erwachsene zu begeisterten Verfechtern<br />

<strong>der</strong> Artenvielfalt zu machen.<br />

Arbeit am Wesen <strong>der</strong> Problematik,<br />

am Wesentlichen.<br />

Persönlichkeitsbildung bedarf <strong>der</strong> ganzkörperlichen, kognitiven,<br />

physischen und emotionalen Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />

Haltungen. Wenn wir uns dem Thema Vielfalt widmen, stehen<br />

Verantwortung, Umgang mit Macht, Seinlassen und ein<br />

Bewusstsein für systemische Wechselwirkungen im Zentrum<br />

<strong>der</strong> pädagogischen Bemühungen (alles ist mit allem<br />

verwoben). Bildung muss hier einen Raum aufmachen, in<br />

dem es möglich wird, den eigenen Umgang mit diesen Haltungen<br />

zu hinterfragen. Viele eigene Erfahrungen haben<br />

mich gelehrt, dass für Jugendliche und Erwachsene das<br />

Erfahrungsfeld „soziales Erleben“ sehr viel mehr Betroffenheit<br />

auslöst <strong>als</strong> die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Biodiversität<br />

anhand von Tieren und Pflanzen. Biodiversität lässt sich<br />

allzu gut rational auslagern und betrifft dann hauptsächlich<br />

die an<strong>der</strong>en und nur nicht mich.<br />

Mein Weg zum Thema führt daher über die Arbeit an persönlichen<br />

Erfahrungen im sozialen Feld einer Gruppe. Ein<br />

ganz eigener Weg, ja sicher – vielleicht auch ein Umweg,<br />

aber einer, wo die persönliche Betroffenheit <strong>als</strong> Triebfe<strong>der</strong><br />

für nachhaltige Wertebildung ins Spiel kommt. Nicht die<br />

Tiere und Pflanzen stehen vorerst im Zentrum, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />

Mensch und die Haltungen, die <strong>der</strong> Problematik zugrunde<br />

liegen.<br />

Auf Basis <strong>der</strong> persönlichen Erfahrungen werden Analogien<br />

zu gesellschaftlichen und ökologischen Prozessen gezogen.<br />

Egal, ob es darum geht, einen Bach trockenen Fußes zu<br />

überqueren, sich am Biwakplatz bei strömendem Regen das<br />

Abendessen zuzubereiten o<strong>der</strong> zu entscheiden, wann Pause<br />

gemacht wird. In all diesen Situationen stecken tiefe persönliche<br />

Erfahrungen. Wie gehen wir damit um, wenn wir<br />

Naturgewalten ausgeliefert sind? Schaffen wir es, uns einzulassen<br />

auf neue Erfahrungen und unser Kontrollbedürfnis<br />

sein zu lassen? Wo entsteht das Gefühl eingebunden zu sein<br />

in ein großes Ganzes? Wie gehen wir <strong>als</strong> Gruppe mit Entscheidungsprozessen<br />

um? Nehmen wir uns Zeit abzuwägen<br />

und Entscheidungen zu fällen, die von allen mitgetragen


werden? Wie bahnen wir uns den mühsamen Weg durch die<br />

Vielfalt an Meinungen und Herangehensweisen? Kann sich<br />

eine Gruppe auf schwächere Mitglie<strong>der</strong> einstellen und auch<br />

Verantwortung übernehmen? O<strong>der</strong> wird „drübergefahren“.<br />

Welchen Stellenwert nimmt Toleranz im Gefüge des Teams<br />

ein? Welche Grundstimmung prägt den Umgang miteinan<strong>der</strong>?<br />

Ist „An<strong>der</strong>ssein“ ein Frevel?<br />

Soziales Lernen an Haltungen stellt das Erfahrungsfundament<br />

dar. Erst darauf bauen Schritte auf, die zu Fragen rund<br />

um Biodiversität führen. Was bleibt ist weniger Wissen <strong>als</strong><br />

vielmehr Erkenntnis: Jede/r von uns, ob Mensch, Pflanze<br />

o<strong>der</strong> Tier ist einzigartig in <strong>der</strong> Art, wie Leben Gestalt<br />

annimmt und sich ausprägt. Das Zusammenleben in Vielfalt<br />

ist nicht ganz einfach, weil wir in <strong>der</strong> Befriedigung unserer<br />

Bedürfnisse in Wechselwirkung miteinan<strong>der</strong> stehen. Spannungen<br />

und Konkurrenz gehören dazu und schaffen Differenzierung.<br />

Entscheidungen sind notwendig und bedürfen<br />

<strong>der</strong> Abwägung. Die Grundhaltung muss sein: Achtsamkeit<br />

und Wertschätzung.<br />

Worüber wir jetzt sprechen? Über Beziehungen zwischen<br />

Menschen, zwischen Staaten o<strong>der</strong> unseren Umgang mit <strong>der</strong><br />

Natur?<br />

Egal: Das Bekenntnis zu Vielfalt ist im Kopf,<br />

o<strong>der</strong> es ist nirgendwo.<br />

Das Bekenntnis zur Vielfalt / 19<br />

Gruppengeist<br />

ist hier gefragt<br />

Literatur<br />

Wilson, E. O. 1995: Der Wert <strong>der</strong> Vielfalt. Die Bedrohung des Artenreichtums<br />

und das Überleben des Menschen. Piper Verlag, München<br />

Mag. Martin Krejcarek<br />

lässt sich zum Supervisor ausbilden. Der Biologe und<br />

Erwachsenenbildner leitet das Projekt „Bildung-Landwirtschaft-Naturschutz“<br />

am Ländlichen Fortbildungsinstitut<br />

(LFI) in Oberösterreich; er ist freiberuflicher Trainer und<br />

Mo<strong>der</strong>ator.


20<br />

Klaus Peter-Zulka<br />

Lebensraum-Fragmentation<br />

und Biodiversität<br />

Was bedeutet Lebensraum-Fragmentation<br />

für die Artenvielfalt?<br />

Es ist leicht einzusehen, dass Tiere in einem Waldbach, <strong>der</strong><br />

50 cm hoch mit Beton zugeschüttet wird, nicht mehr leben<br />

können. Viel Lebensraum wurde bereits vernichtet und es ist<br />

offensichtlich, dass die Folgen für die Artenvielfalt fatal<br />

sind. Aber es gibt auch subtilere, weit weniger offensichtliche<br />

Möglichkeiten, Lebewesen die Existenzgrundlage zu<br />

entziehen. Angenommen, ein Wald wird durch eine Straße<br />

in zwei Stücke zerteilt. Zunächst hat es den Anschein, <strong>als</strong> sei<br />

gar nicht so viel passiert. Der Flächenverlust beläuft sich<br />

vielleicht nur auf ganz wenige Prozente <strong>der</strong> Waldfläche.<br />

Vielleicht haben Naturschützer sogar durchsetzen können,<br />

dass dieser Verlust an einer an<strong>der</strong>en Stelle durch Aufforstung<br />

ausgeglichen wird. Und doch hat sich die Landschaft<br />

tiefgreifend verän<strong>der</strong>t! Tiere und Pflanzen können nicht<br />

mehr ungehin<strong>der</strong>t wan<strong>der</strong>n, ihr Aktionsradius wird durch<br />

die Straße eingeschränkt. Übervölkerung auf <strong>der</strong> einen Seite<br />

Eine Trockenrasen-Insel erhebt sich in <strong>der</strong> Ferne – Wo ist die nächste?<br />

<strong>der</strong> Straße kann Populationszusammenbrüche auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Seite nicht mehr ohneweiters ausgleichen. Für Arten,<br />

die den Randbereich des Waldes meiden, weil sie dort nicht<br />

leben können, hat <strong>der</strong> Lebensraum viel stärker abgenommen,<br />

<strong>als</strong> es <strong>der</strong> Flächenbilanz nach den Anschein hat. Aber<br />

auch <strong>der</strong> Wald selbst hat sich verän<strong>der</strong>t: die Lichtverhältnisse<br />

und das Mikroklima haben sich geän<strong>der</strong>t. Die Summe<br />

aus zwei Fragmenten eines Waldes ist offensichtlich nicht<br />

das Gleiche wie ein einheitlicher, unfragmentierter Wald.<br />

In vielen Teilen Mitteleuropas gibt es Natur aber überhaupt<br />

nur mehr in Form von Reststücken, die von Äckern, Straßen,<br />

Siedlungen, Autobahnen o<strong>der</strong> künstlichen Anpflanzungen<br />

umgeben sind. Naturnahe Lebensräume sind zu Inseln<br />

geworden. Einigen Tieren und Pflanzen ist es gelungen, auf<br />

diesen Inseln zu überleben. Auf lange Sicht sind aber die<br />

Lebensraum-Inseln zu klein, um diese Arten beherbergen zu<br />

können. Die Organismen werden nicht sofort aus unserer<br />

Landschaft verschwinden, auch nicht in den nächsten Jahren.<br />

Aber ein schlechtes Jahr, ein Pilzbefall hier, ein Krankheitserreger<br />

dort, und immer weniger Populationen bleiben<br />

übrig.<br />

Was bedeutet das für die Biodiversität? Am Beispiel <strong>der</strong><br />

Laufkäfer sei dies kurz illustriert. In Österreich leben etwa<br />

650 Laufkäfer-Arten. Nur etwa ein Dutzend davon kommt<br />

mit Äckern und Fel<strong>der</strong>n gut zurecht. Für sie bedeutet die<br />

Fragmentation von Lebensräumen keinerlei Gefahr, sie finden<br />

auch in Agrarwürsten das Auslangen. Was ist aber mit<br />

den vielen Hun<strong>der</strong>ten Spezialisten, die sehr viel höhere<br />

Ansprüche an den Lebensraum stellen? Für diese Arten sind<br />

Fel<strong>der</strong> und Straßen unüberwindliche Hin<strong>der</strong>nisse. Für über


600 Laufkäfer-Arten – und damit für die Laufkäfer-Biodiversität<br />

in Österreich, tickt eine Zeitbombe. Sie kann nur<br />

entschärft werden, wenn wir beginnen, das Problem <strong>der</strong><br />

Lebensraum-Fragmentation zu verstehen und Maßnahmen<br />

zu ergreifen, um Lebensräume wie<strong>der</strong> zu vernetzen.<br />

Wie kommt es zur Lebensraum-Fragmentation?<br />

Intakte Landschaften (Abbildung 1 ganz links) bestehen<br />

nahezu ganz aus natürlichen Lebensräumen, zum Beispiel<br />

aus Wäl<strong>der</strong>n. Menschliche Siedlungen o<strong>der</strong> Kulturland<br />

machen nur einen ganz kleinen Teil <strong>der</strong> Fläche aus. In Mitteleuropa<br />

sind solche Landschaften praktisch nicht mehr<br />

anzutreffen.<br />

Mit <strong>der</strong> Zunahme menschlicher Kulturtätigkeit vergrößern<br />

sich die Löcher in den ursprünglichen Lebensräumen.<br />

McIntyre & Hobbs (1999) nennen solche Landschaften<br />

„variegated“, was man etwa mit „verbuntet“ übersetzen<br />

könnte (Abbildung 1). Der Artenreichtum nimmt in solchen<br />

Landschaften zunächst einmal gegenüber <strong>der</strong> vollständig<br />

intakten Landschaft zu, da zu den Arten des natürlichen<br />

Lebensraums jetzt Arten hinzukommen, die vom Menschen<br />

geför<strong>der</strong>t werden. Solche „bunten“ Kulturlandschaften<br />

waren in früheren Jahrhun<strong>der</strong>ten in Mitteleuropa gang und<br />

gäbe. Sie sind heute noch in Österreich zum Beispiel im Voralpenland<br />

anzutreffen. Für Tiere, die auf große ungestörte<br />

Lebensräume angewiesen waren, wie Bär, Wolf, Wisent,<br />

Elch, Steinadler und Luchs, war dieser Lochfraß aber bereits<br />

zuviel, die Kontaktlinie mit menschlichen Siedlungen meist<br />

zu lang, <strong>als</strong> dass ein konfliktfreies Nebeneinan<strong>der</strong> möglich<br />

gewesen wäre. Viele dieser Arten wurden in geschichtlicher<br />

Zeit in großen Teilen Europas ausgerottet. Aber auch viele<br />

an<strong>der</strong>e Arten, die die Randzonen <strong>der</strong> Lebensräume meiden,<br />

werden durch diese Auflockerung <strong>der</strong> Landschaft nicht<br />

geför<strong>der</strong>t.<br />

Wenn nun <strong>der</strong> Lebensraum-Verlust fortschreitet, kommt<br />

irgendwann einmal ein kritischer Punkt, an dem das Netz<br />

des Restlebensraums zerreißt und nur mehr Lebensraum-<br />

Inseln übrig bleiben. Spanische Forscher (Bascompte & Solé<br />

1996) haben solch eine Lebensraum-Zerstörung im Computer<br />

simuliert. Sie haben dabei wahllos aus einer Landschaft<br />

immer mehr Quadrate herausgeschnitten und beobachtet,<br />

was passiert (Abbildung 2). Bei etwa 40 % Lebensraumzerstörung<br />

kippt das System um, aus einem zusammenhängenden<br />

Lebensraum werden Inseln. Die Organismen können<br />

Lebensraum-Fragmentation und Biodiversität / 21<br />

Abbildung 1:<br />

Schematische Veranschaulichung <strong>der</strong> Lebensraum-Fragmentation. Nach<br />

McIntyre & Hobbs (1999), verän<strong>der</strong>t.<br />

sich plötzlich nicht mehr frei in <strong>der</strong> Landschaft bewegen.<br />

Solch eine Landschaft bezeichnen McIntyre & Hobbs (1999)<br />

<strong>als</strong> fragmentiert (vgl. Abbildung 1).<br />

Die Strukturen fragmentierter Landschaften können mit den<br />

Begriffen Biotopinsel (Patch), Matrix und Korridor beschrieben<br />

werden (vgl. Forman 1995). In einer Matrix, die in <strong>der</strong><br />

Kulturlandschaft zumeist von Ackerfel<strong>der</strong>n gebildet wird,<br />

liegen einzelne Biotopinseln, zum Beispiel Wäl<strong>der</strong> o<strong>der</strong><br />

Trockenrasen eingebettet. Lineare Strukturen zwischen diesen<br />

Biotopinseln bezeichnet man <strong>als</strong> Korridore. Ob sie auch<br />

wirklich <strong>als</strong> Wan<strong>der</strong>korridore fungieren können, hängt vom<br />

jeweiligen Organismus ab. Ackerrän<strong>der</strong> sind zum Beispiel<br />

Korridore für viele Wildkräuter. Neben Korridoren können<br />

auch Trittsteinbiotope die Verbindung zwischen Lebensräumen<br />

verbessern. Trittsteinbiotope sind Lebensräume, die<br />

nicht unbedingt lebensfähige Populationen beherbergen<br />

müssen, die es aber Organismen erleichtern, von einer Biotopinsel<br />

zur an<strong>der</strong>en zu gelangen.<br />

Abbildung 2:<br />

Lebensraum-Zerstörung und ihre Folgen für die Durchlässigkeit <strong>der</strong> Landschaft.<br />

Links: <strong>der</strong> Lochfraß öffnet die Lebensräume, schafft Randlinien,<br />

aber <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Arten steht wenig im Wege. Mitte: die magische<br />

40%-Schwelle ist überschritten. Aus zusammenhängendem Lebensraum<br />

werden Fragmente – Biotopinseln, die Durchlässigkeit wird schlagartig<br />

dramatisch herabgesetzt. Rechts: eine fragmentierte Landschaft, Wan<strong>der</strong>ung<br />

zwischen den Lebensraum-Resten ist nicht mehr möglich, aus dem<br />

Meer sind Inseln geworden. Nach Bascompte & Solé (1996), verän<strong>der</strong>t.


22<br />

/ Lebensraum-Fragmentation und Biodiversität<br />

Abbildung 3:<br />

Die Form einer Biotopinsel ist für die Randeffekte entscheidend.<br />

Je größer <strong>der</strong> Umfang im Verhältnis zum Inhalt, desto bedeuten<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Randeffekt.<br />

Das letzte Stadium <strong>der</strong> Lebensraum-Fragmentation kann<br />

man mit McIntyre & Hobbs (1999) <strong>als</strong> Relikt-Landschaft<br />

bezeichnen (Abbildung 1). Zwischen den Biotopinseln<br />

bestehen keinerlei Verbindungen mehr, die Biotopinseln sind<br />

nicht mehr in <strong>der</strong> Lage, typische Arten zu beherbergen.<br />

Ohne umfangreiche Rekonstruktionsmaßnahmen ist eine<br />

solche Landschaft für jene Organismen, die auf die Restlebensräume<br />

angewiesen sind, nahezu wertlos.<br />

Begleiterscheinungen <strong>der</strong><br />

Lebensraum-Fragmentation<br />

1. Randeffekte<br />

Die traditionelle Ökologie, die die Beziehung zwischen<br />

Organismus und Umwelt beschreibt, hat es meist vermieden,<br />

die Rän<strong>der</strong> von Lebensräumen zu untersuchen, wo die<br />

Verhältnisse kompliziert und untypisch werden. Mit zunehmen<strong>der</strong><br />

Fragmentation <strong>der</strong> Landschaft nimmt jedoch <strong>der</strong><br />

Anteil <strong>der</strong> Randzonen zu, das Verhältnis von Umfang zu<br />

Inhalt <strong>der</strong> Biotopinseln wächst (Abbildung 3).<br />

Lebensraumrän<strong>der</strong> können die Artenvielfalt erhöhen, wenn<br />

in den Randbereichen Organismen von zwei verschiedenen<br />

Lebensraum-Typen nebeneinan<strong>der</strong> vorkommen; <strong>der</strong> Lebensraum-Rand<br />

<strong>als</strong> Spannungszone zwischen zwei Lebensräumen<br />

mit einem eigenen Gepräge. Dann nennt man den<br />

Randbereich Ökoton.<br />

In den meisten Fällen sind die Bedingungen am Rand für die<br />

Bewohner <strong>der</strong> Biotopinsel jedoch ungünstig. Das Mikroklima<br />

am Rand ist nicht das gleiche wie im Inneren des Lebensraums.<br />

Zum Beispiel beschattet eine Hecke am Rand eines<br />

Trockenrasens eine breite Zone, sodass die Temperatursummen<br />

dort geringer sind <strong>als</strong> im Zentrum. Die wärmebedürftigeren<br />

Arten bekommen nicht genügend Sonne und bleiben<br />

in ihrer Entwicklung stecken. Aus den benachbarten Gebieten<br />

können Beutegreifer (Prädatoren) eindringen. Vogelbruten<br />

haben am Waldrand wesentlich geringere Erfolgsaus-<br />

sichten <strong>als</strong> im Waldinneren. Auch Parasiten und Konkurrenten<br />

dringen vom Rand her in den Lebensraum ein. Die Verbuschung<br />

von Trockenrasen beginnt meist am Rand,<br />

während im Inneren des Rasens Sträucher im dichten Grasfilz<br />

nur wenig Möglichkeit haben, Fuß zu fassen.<br />

Die Form <strong>der</strong> Biotopinsel beeinflusst die Tragweite <strong>der</strong><br />

Randeffekte. Schmale, lange Biotopinseln sind stärker von<br />

Randeffekten beeinflusst <strong>als</strong> runde o<strong>der</strong> quadratische Biotopinseln<br />

(Abbildung 3). Entscheidend für die Art und Auswirkung<br />

von Randeffekten sind auch die angrenzenden<br />

Lebensräume. So sind in Agrargebieten Stickstoffeintrag<br />

und eingewehte Pestizide die wichtigsten Ursachen für<br />

Randeffekte. Randeffekte sind schon eine unangenehme<br />

Begleiterscheinung von Fragmentation, weil sie den<br />

ohnehin ablaufenden Lebensraum-Verlust verstärken und<br />

den Eindruck entstehen lassen, intakter Lebensraum sei<br />

noch ausgedehnt übrig. In Wirklichkeit bestehen viele kleine<br />

Biotopinseln nur mehr aus Randlebensraum.<br />

2. Probleme kleiner Populationen<br />

Eine weitere Nebenwirkung <strong>der</strong> Lebensraum-Fragmentation<br />

ist noch gravieren<strong>der</strong>. Durch Fragmentation wird eine<br />

ursprünglich große Population von Individuen auf viele kleine<br />

Biotopinseln aufgeteilt; sie wird in Teilpopulationen zerstückelt.<br />

Unter Population versteht man eine Gruppe von<br />

Individuen, die miteinan<strong>der</strong> in Wechselwirkung treten, sich<br />

<strong>als</strong>o beispielsweise paaren und fortpflanzen.<br />

Man könnte annehmen, dass diese Aufteilung keine große<br />

Folgen hat, wenn nur die Gesamtindividuenzahl einigermaßen<br />

gleich bleibt. Wenn nach dem oben bereits geschil<strong>der</strong>ten<br />

Beispiel eine Straße durch einen großen Wald gebaut<br />

wird, so geht dadurch schließlich nur ein geringer Anteil des<br />

Lebensraums verloren. Allerdings wird die Population eines<br />

waldbewohnenden Käfers, <strong>der</strong> die Straße nicht überwinden<br />

kann, in zwei Hälften geteilt.<br />

Populationsbiologische Überlegungen haben gezeigt, dass<br />

man sich das Aussterben aber nicht <strong>als</strong> einen Prozess vorstellen<br />

kann, bei dem die Zahl <strong>der</strong> Individuen beständig<br />

abnimmt, bis schließlich kein Vertreter übrig ist. Aussterben<br />

beginnt viel früher. Ab einer bestimmten Individuenzahl<br />

verstärken sich Mechanismen des Zufalls. Sie ziehen die Art<br />

in einen Aussterbensstrudel, aus dem es kein Entrinnen gibt.<br />

Ausgangspunkt war eine Überlegung des amerikanischen<br />

Biologen Shaffer (1981). Er stellte die Frage, wie groß


Naturschutzgebiete o<strong>der</strong> Nationalparke<br />

dimensioniert sein müssen, damit eine<br />

bestimmte Art auf Dauer darin bewahrt<br />

werden kann. Je größer das Schutzgebiet,<br />

desto mehr Individuen <strong>der</strong> Art können<br />

darin leben. Die Individuenzahl<br />

schwankt jedoch von Jahr zu Jahr. Es<br />

gibt Jahre mit gutem Fortpflanzungserfolg<br />

und Jahre mit wenig o<strong>der</strong> gar keinen<br />

Nachkommen. Seuchen, Krankheiten<br />

o<strong>der</strong> Katastrophen können die Art<br />

stark dezimieren. Wenn die Art auf<br />

Dauer überleben soll, dann muss das<br />

Schutzgebiet so groß bemessen sein,<br />

dass unter Berücksichtigung <strong>der</strong><br />

Schwankungen immer genügend Individuen<br />

übrig bleiben, sodass die Art nicht<br />

ganz verschwindet. Verschiedene Faktoren<br />

können allerdings dabei auf<br />

unheilvolle Art zusammenwirken.<br />

Shaffer (1981) schil<strong>der</strong>t das Schicksal<br />

einer Population des Heidehuhns (Tympanuchus<br />

cupido cupido) auf <strong>der</strong> Insel<br />

Martha's Vineyard. 1876 lebte eine<br />

Population dieser Art auf <strong>der</strong> Atlantikinsel.<br />

1900 umfasste diese Population<br />

etwa 100 Tiere. 1907 wurde ein Schutzgebiet<br />

für die Tiere eingerichtet und<br />

Greifvögel und an<strong>der</strong>e Beutegreifer<br />

wurden bejagt. Das führte dazu, dass<br />

die Population bis 1916 auf 800 Individuen<br />

anwachsen konnte. Im gleichen<br />

Jahr brach jedoch auf <strong>der</strong> Insel ein<br />

Feuer aus, und in <strong>der</strong> Folge herrschte<br />

starker Räuberdruck durch Habichte,<br />

was zur Folge hatte, dass die Population<br />

im Jahre 1917 wie<strong>der</strong> auf 100 bis<br />

150 Individuen schrumpfte. 1920 war<br />

sie zwar wie<strong>der</strong> auf 200 Tiere angewachsen,<br />

aber dann reduzierte eine<br />

Krankheit die Population auf weniger<br />

<strong>als</strong> 100 Individuen. 1932 war das Heidehuhn<br />

auf Martha's Vineyard ausgestorben.<br />

Obgleich das Heidehuhn zwischendurch<br />

auf <strong>der</strong> Insel recht zahlreich vorkam,<br />

genügten einige zufällige Ereignisse<br />

und mehrere sich verstärkende Prozes-<br />

se, und die Art verschwand. Um welche<br />

Prozesse handelt es sich dabei?<br />

A Zufällige Schwankungen <strong>der</strong><br />

Umweltbedingungen –<br />

Umweltstochastizität<br />

Zu den Umweltbedingungen zählen<br />

neben Klimaeinflüssen auch <strong>der</strong> Räuberdruck<br />

und das Nahrungsangebot.<br />

Im Frühjahr 2000 war zum Beispiel <strong>der</strong><br />

Frühling bereits so heiß und trocken,<br />

dass viele Orchideen im Frühsommer<br />

verwelkt waren und erst gar nicht zum<br />

Blühen kamen. Eine Fortpflanzung war<br />

damit nicht möglich. Eine Folge<br />

schlechter Jahre kann Insektenpopulationen<br />

stark dezimieren. Welche Populationen<br />

sind nun beson<strong>der</strong>s gefährdet?<br />

Diese Frage untersuchte <strong>der</strong> amerikanische<br />

Biomathematiker Russell Lande<br />

(1993). Er fand heraus, dass we<strong>der</strong> die<br />

Arten mit beson<strong>der</strong>s hohen noch die<br />

Arten mit beson<strong>der</strong>s geringen Populationsschwankungen<br />

am stärksten gefährdet<br />

sind, son<strong>der</strong>n dass es auf das Verhältnis<br />

<strong>der</strong> Vermehrungsrate zur<br />

Schwankungsrate ankommt. Eine Art ist<br />

<strong>als</strong>o vor Gefahren durch starke Umweltschwankungen<br />

nur dann gefeit, wenn<br />

ihre Vermehrungsrate so hoch ist, dass<br />

sie Verluste je<strong>der</strong>zeit kompensieren<br />

kann.<br />

B Zufälliger Verlust von Erbinformation<br />

– genetische Stochastizität<br />

Auch innerhalb ein und <strong>der</strong>selben Art<br />

ist das genetische Material nicht einheitlich.<br />

Das Erbmaterial, die Gene,<br />

kommt normalerweise in verschiedenen<br />

Ausprägungen vor, in so genannten<br />

Allelen. Die Allele für die menschlichen<br />

Blutgruppen sind beispielsweise die<br />

Allele A und B. Es gibt häufige und seltene<br />

Allele. Wenn eine Population dramatisch<br />

verkleinert wird, ist es wahrscheinlich,<br />

dass seltene Allele aus <strong>der</strong><br />

Population verschwinden (Abbildung 4).<br />

Wenn sich zum Beispiel die wenigen<br />

Lebensraum-Fragmentation und Biodiversität / 23<br />

Abbildung 4:<br />

Genetische Stochastizität. Durch<br />

abrupte Populationsverkleinerung<br />

gehen viele seltene Allele in <strong>der</strong> Population<br />

zufällig verloren, die genetische<br />

Diversität sinkt.<br />

Abbildung 5:<br />

Demographische Stochastizität.<br />

Schwankungen in <strong>der</strong> Populationsgröße<br />

können bei kleinen Populationen<br />

dazu führen, dass nur mehr Vertreter<br />

eines Geschlechts übrig bleiben.


24<br />

/ Lebensraum-Fragmentation und Biodiversität<br />

Träger-Individuen dieser seltenen Allele nicht fortpflanzen,<br />

geht die genetische Information in <strong>der</strong> Population verloren.<br />

Wenn die Population isoliert ist und keine Träger dieser<br />

Allele neu einwan<strong>der</strong>n können, ist <strong>der</strong> Verlust unwie<strong>der</strong>bringlich.<br />

Das hat zur Folge, dass sich die Population verän<strong>der</strong>ten<br />

Umweltbedingungen nur mehr sehr schlecht anpassen<br />

kann. Auch Krankheitserreger haben leichtes Spiel, da<br />

sie bei jedem Organismus ein ähnliches Erbgut vorfinden<br />

und sich damit wirksam in <strong>der</strong> Population ausbreiten können.<br />

Das macht die Population insgesamt empfindlicher<br />

gegen die oben beschriebenen Einflüsse durch Umweltschwankungen.<br />

Sinkt die Populationsgröße auf wenige Dutzend Individuen<br />

ab, dann kommt noch das Problem hinzu, dass sich nur mehr<br />

nah verwandte Individuen paaren können, was zu einer weiteren<br />

Verschlechterung des Populationszustands durch<br />

Inzucht führt.<br />

C Biologische Begleiterscheinungen geringer<br />

Populationsgröße – Allee-Effekt<br />

Unter dem Effekt, benannt nach dem amerikanischen Biologen<br />

Allee, fasst man alle biologischen Begleiterscheinungen<br />

geringer Populationsgröße zusammen, die je nach Art<br />

unterschiedlich bedeutsam sind. Individuen in kleinen Populationen<br />

haben große Schwierigkeiten, einen geeigneten<br />

Partner zu finden, da die Auswahl sehr klein ist. Sozial<br />

jagende Arten können keine effektive Jagdgemeinschaft<br />

aufbauen. Herden können sich nicht mehr erfolgreich gegen<br />

Angreifer verteidigen.<br />

D Schwankungen <strong>der</strong> Nachkommenzahl und des<br />

Geschlechterverhältnisses – demographische<br />

Stochastizität<br />

Obgleich mit einem hochtrabenden Namen bezeichnet, ist<br />

<strong>der</strong> letzte Mechanismus, <strong>der</strong> eine Population zum Aussterben<br />

führt, fast eine Binsenweisheit. Das Verhältnis von<br />

Männchen zu Weibchen beträgt in einer Population im statistischen<br />

Mittel 1 zu 1. Wenn die Population aber sehr klein<br />

ist, kann das Verhältnis von diesem statistischen Mittel<br />

stark abweichen. Schlüpfen etwa aus zwei Zauneidechsengelegen<br />

jeweils 9 weibliche, aber keine männlichen Nachkommen,<br />

dann können die Umweltbedingungen noch so<br />

ideal sein, die beiden Gelege noch so genetisch verschieden,<br />

um die Population ist es dennoch geschehen. Allerdings ist<br />

<strong>der</strong> geschil<strong>der</strong>te Fall schon recht unwahrscheinlich. Genauer<br />

gesagt ist die Wahrscheinlichkeit 0,00076294 %.<br />

Demographische Stochastizität spielt nur bei sehr kleinen<br />

Populationen eine Rolle. Für die Inzucht werden 50 Indivi-<br />

duen <strong>als</strong> kritische Schwelle genannt; für die genetische Verarmung<br />

durch zufällige Allel-Drift 500 Individuen. Diese<br />

50/500-Regel ist aber nur eine Faustformel, ein größenordnungsmäßiger<br />

Anhaltspunkt. Umweltstochastizität kann<br />

sich schon bei großen Populationen auswirken; das Ausmaß<br />

<strong>der</strong> Schwankungen und die Vermehrungskapazität entscheiden<br />

darüber, welche Populationsgröße <strong>als</strong> einigermaßen<br />

gesichert gelten kann. Gegen Katastrophen sind auch sehr<br />

große Populationen nicht gefeit.<br />

Als Fazit all dieser Überlegungen haben die Ökologen den<br />

Schluss gezogen, dass isolierte Populationen grundsätzlich<br />

vom Aussterben bedroht sind. Die Mechanismen verstärken<br />

dabei gegenseitig ihre Wirkung: eine Katastrophe kann die<br />

Populationsgröße so weit reduzieren, dass viele Allele verloren<br />

gehen und die genetische Anpassungsfähigkeit sinkt.<br />

Eine solche Population ist dann anfälliger gegenüber Parasiten<br />

und Umweltschwankungen, was die Populationsgröße<br />

stärker fluktuieren lässt und zu weiteren Verlusten genetischer<br />

Vielfalt führen kann. Ein unglücklicher demographischer<br />

Zufall in einer Phase sehr geringer Bestandsgröße<br />

genügt, und die Population stirbt aus.<br />

3. Metapopulationen<br />

Keine isolierte Population ist vor dem Aussterben gänzlich<br />

gefeit. Bei vielen Arten, die in verinselten Lebensräumen<br />

vorkommen, sind lokale Aussterbensprozesse an <strong>der</strong> Tagesordnung.<br />

Sie tun <strong>der</strong> Art aber dann keinen großen Schaden,<br />

wenn sie durch Neubesiedlung ausgeglichen werden. Man<br />

bezeichnet die Gesamtheit von Populationen, die unabhängig<br />

voneinan<strong>der</strong> in ihrer Größe schwanken, und die durch<br />

gelegentlichen Austausch von Individuen miteinan<strong>der</strong> in<br />

Beziehung stehen, <strong>als</strong> eine Metapopulation. Eine Metapopulation<br />

steht im Gleichgewicht, wenn die Aussterbensrate<br />

<strong>der</strong> Populationen im Mittel genau so groß ist wie die Neubesiedlungsrate.<br />

In <strong>der</strong> Kulturlandschaft ist dieses Gleichgewicht<br />

vielfach gestört. Die Aussterbensrate ist durch<br />

Lebensraum-Verkleinerung, Randeffekte und Störungen<br />

durch den Menschen erhöht. Die Wie<strong>der</strong>besiedlungsrate ist<br />

gleichzeitig durch die vielen Hin<strong>der</strong>nisse in <strong>der</strong> Landschaft<br />

abgesenkt. Solche Metapopulationen befinden sich nicht<br />

mehr im Gleichgewicht, son<strong>der</strong>n auf einem schnurgeraden<br />

Weg zum regionalen Aussterben.


Inselrettung<br />

Die Situation wäre fatal und hätte schon längst das Aussterben<br />

von einem Großteil unserer mitteleuropäischen<br />

Fauna und Flora nach sich gezogen, wenn solche Aussterbensprozesse<br />

nicht sehr lange Zeit dauern würden. Eine<br />

Metapopulation ist aber erst dann verschwunden, wenn alle<br />

ihre Einzelpopulationen aufgrund von zufälligen Einflüssen<br />

ausgestorben sind und keine Neubesiedlung dieses Aussterben<br />

kompensiert hat. Das kann Jahrzehnte bis Jahrhun<strong>der</strong>te<br />

dauern. Dennoch ist für manche Arten absehbar, dass sie<br />

unter den herrschenden Bedingungen auf lange Sicht nicht<br />

überleben können.<br />

Den Trend können wir umkehren, wenn es uns gelingt, die<br />

Inseln wie<strong>der</strong> so groß zu machen, dass die Aussterbenswahrscheinlichkeit<br />

verringert wird, wenn es zudem gelingt,<br />

Trittstein-Biotope und Korridore zu schaffen, die die Wie<strong>der</strong>besiedlungsmöglichkeiten<br />

verbessern. Ob es effektiver<br />

ist, Flächen zu vergrößern, Brachen anzulegen, Feldraine<br />

miteinan<strong>der</strong> zu verbinden o<strong>der</strong> Biotopinseln von Randeffekten<br />

abzuschirmen, muss von Art zu Art beurteilt werden.<br />

Mehrere Maßnahmen können miteinan<strong>der</strong> kombiniert werden.<br />

Korridore kosten nur wenig Fläche und können die<br />

Durchlässigkeit <strong>der</strong> Landschaft verbessern. Lei<strong>der</strong> wissen wir<br />

nicht genau, wie Korridore aussehen müssen, damit sie<br />

bestimmte Arten <strong>als</strong> Verbindungswege nutzen können.<br />

Hecken können <strong>als</strong> Korridore für Waldarten dienen, aber<br />

Arten, die nur im Waldesinneren leben können, werden von<br />

ihnen nur wenig profitieren. Ackerwertstreifen dienen für<br />

viele Arten, die mit dem Störungsniveau <strong>der</strong> hoch technisierten<br />

Intensivlandwirtschaft nicht zu Rande kommen, <strong>als</strong><br />

Ausbreitungskorridore o<strong>der</strong> gar <strong>als</strong> Refugien. Biotopbrücken<br />

über Autobahnen können die verheerenden Auswirkungen<br />

solcher Wunden in <strong>der</strong> Landschaft natürlich nicht gänzlich<br />

ausgleichen, aber doch <strong>der</strong> einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Art die<br />

Besiedlung verlorenen Territoriums wie<strong>der</strong> ermöglichen.<br />

Brachen dienen nicht nur dazu, Agrarüberschüsse zu<br />

begrenzen, sie sind auch für viele Arten die einzigen Trittstein-Biotope<br />

in <strong>der</strong> Agrarwüste. Breite Weg- und Straßenraine,<br />

die nicht regelmäßig kurz geschoren werden, Gstätten,<br />

Gebüsche, feuchte Gräben, <strong>als</strong>o all jene Strukturen in<br />

<strong>der</strong> Landschaft, die allzu ordnungsliebenden Planern ein<br />

Dorn im Auge sein mögen, sind vielleicht die Anknüpfungspunkte<br />

für zukünftige Biotopverbundsysteme. Auf lange<br />

Sicht wird aber nur ein großräumig intaktes Netzwerk von<br />

natürlichen Lebensräumen die Biodiversität in Österreich<br />

erhalten und sichern können.<br />

Lebensraum-Fragmentation und Biodiversität / 25<br />

Literatur<br />

Bascompte, J. & Solé, R. V. 1996: Habitat fragmentation and extinction<br />

thresholds in spatially explicit models. Journal of Animal Ecology<br />

65: 465–473.<br />

Forman, R. T. T. 1995: Land Mosaics. The ecology of landscapes and regions.<br />

Cambridge University Press, Cambridge.<br />

Lande, R. 1993: Risks of population extinction from demographic and<br />

environmental stochasticity and random catastrophes. American<br />

Naturalist 142: 911–927.<br />

McIntyre, S. & Hobbs, R. 1999: A framework for conceptualizing human<br />

effects on landscapes and its relevance to management and research<br />

models. Conservation Biology 13: 1282–1292.<br />

Shaffer, M. L. 1981: Minimum population sizes for species conservation.<br />

BioScience 31: 131–134.<br />

Dr. Klaus Peter Zulka<br />

betreut am Umweltbundesamt das Projekt „Neufassung <strong>der</strong><br />

Roten Liste gefährdeter Tiere Österreichs“. Der Zoologe<br />

arbeitete unter an<strong>der</strong>em mit Laufkäfern, Spinnen, Tausendfüßlern<br />

und Asseln und unterrichtet <strong>als</strong> Lektor an <strong>der</strong> Universität<br />

Wien.


26<br />

Frits Hesselink<br />

Biodiversität kommunizieren<br />

Wie kann man Menschen in Schutzgebieten vom Wert <strong>der</strong> Biodiversität<br />

überzeugen?<br />

Kürzlich traf ich den Manager eines mitteleuropäischen<br />

Naturparks. Er war jung, intelligent und sehr kommunikativ:<br />

ein begabter Redner. Wir kamen ins Gespräch und ich<br />

bemerkte, dass er ziemlich frustriert über seinen Park war.<br />

Dieser war vor einigen Jahrzehnten per amtlicher Verfügung<br />

errichtet worden, hat aber nie wirklich „funktioniert“.<br />

„Es ist ein Park auf dem Papier, die Menchen waren und sind<br />

nach wie vor dagegen“, erzählte er mir. „Der Erlass wurde<br />

ohne ihre Mitwirkung gemacht, er war viel zu bürokratisch<br />

und er brachte den Leuten in und um das Gebiet keinerlei<br />

Vorteile. Das Gebiet ist wichtig für die Erhaltung <strong>der</strong> Artenvielfalt,<br />

es muss geschützt werden. Es ist ganz klar, dass wir<br />

einen neuen Erlass brauchen, <strong>der</strong> diese Dinge positiv zur<br />

Sprache bringt“, sagte er. „Aber das Problem ist, dass die<br />

Leute keinen neuen Erlass wollen. Wir wüssten genau, was<br />

zu tun ist, um die Biodiversität zu erhalten und das Leben<br />

<strong>der</strong> Leute hier zu verbessern, aber sie wollen nicht einmal<br />

zuhören, ist das nicht unglaublich?“<br />

Der Wert <strong>der</strong> Biodiversität in geschützten Gebieten wird von<br />

Biologen und an<strong>der</strong>en Experten definiert und in einem Gutachten,<br />

einer bestimmten sprachlichen Norm entsprechend,<br />

beschrieben. In den meisten Fällen ist es das Schutzgebiet<br />

selbst, das mit seinen Parkstatuten <strong>als</strong> Rechtsgrundlage für<br />

die Erhaltung dieser Werte zuständig ist. Das heißt jedoch<br />

nicht, dass diese Werte von den Menschen in und um das<br />

Landschaftsschutzgebiet ebenso geschätzt werden und<br />

schon gar nicht von <strong>der</strong> Mehrheit <strong>der</strong> Bevölkerung. Für sie<br />

mag die geschützte Region eine ganz an<strong>der</strong>e Bedeutung<br />

haben, die mit dem Wert <strong>der</strong> Biodiversität nichts zu tun hat.<br />

Dem jungen Landschaftsschutzbeauftragten war dies sehr<br />

wohl bewusst.<br />

Die wirtschaftliche o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Nutzung eines Schutzgebietes<br />

war nicht immer gleich. Im Laufe <strong>der</strong> Zeit haben sich<br />

Nutzung und <strong>der</strong> damit verbundene Wert des Gebietes verän<strong>der</strong>t.<br />

Was wir heute <strong>als</strong> beson<strong>der</strong>s schützens- und erhaltenswert<br />

erachten, mag vor 50 bis 100 Jahren ganz an<strong>der</strong>s<br />

betrachtet worden sein – und das könnte sich auch in<br />

Zukunft wie<strong>der</strong> än<strong>der</strong>n. Die wirtschaftliche Entwicklung und<br />

die Nutzung des Gebietes, seine soziale Bedeutung und <strong>der</strong><br />

Bevölkerungsdruck in und um das Schutzgebiet bestimmen,<br />

welchen „sozialen“ Wert die Biodiversität hat. Auf diese<br />

Aspekte angesprochen, erzählt <strong>der</strong> junge Mann, dass das<br />

Land vor 50 Jahren von den Bauern <strong>als</strong> Weideland genutzt<br />

wurde. „Nun wurden sie vom Markt gezwungen, das Weideland<br />

aufzugeben, während <strong>der</strong> Park die Beweidung aber<br />

braucht. Wir wollen diese Landschaft so erhalten, wie sie


seit Generationen ist. Wir müssen die traditionelle Landwirtschaft<br />

– und zwar in Kombination mit Ökotourismus –<br />

wie<strong>der</strong> einführen, sodass sie für die Bauern etwas bringt.“<br />

Die Gesellschaft hat sich in den letzten 50 bis 100 Jahren<br />

rapide verän<strong>der</strong>t und sie wird es auch weiterhin tun. Das<br />

bedeutet massive Verän<strong>der</strong>ungen im Verhalten, in den<br />

Anschauungen und Wahrnehmungen <strong>der</strong> Leute, wenn man<br />

die gegenwärtige Generation mit den Menschen vor 50 bis<br />

100 Jahren vergleicht. Eine <strong>der</strong> größten Verän<strong>der</strong>ungen ist<br />

<strong>der</strong> wachsende Trend zur Individualisierung. Wie wir Natur<br />

und Artenvielfalt wahrnehmen und schätzen, hängt nicht<br />

mehr von sozialer Schicht, Einkommen und Bildungsgrad<br />

ab; je<strong>der</strong> hat seine persönliche Meinung, seine eigene<br />

Wahrnehmung und eigene Werte. Und noch dazu verän<strong>der</strong>n<br />

sich diese auch je nach <strong>der</strong> spezifischen Situation, in <strong>der</strong><br />

sich <strong>der</strong> Einzelne befindet. Was an einem Tag wichtig ist,<br />

kann zu einem an<strong>der</strong>en Zeitpunkt unbedeutend sein. Der<br />

Park-Manager erzählte mir, dass er heutzutage nicht nur<br />

mit den in <strong>der</strong> Region lebenden Bauern Probleme habe, son<strong>der</strong>n<br />

auch mit Städtern, die entwe<strong>der</strong> hierher pendeln o<strong>der</strong><br />

in <strong>der</strong> Gegend Wochenendhäuser besitzen. „Sie schätzen<br />

das Land um ihre umgebauten Bauernhäuser nicht wirklich<br />

und mähen es daher auch nicht, obwohl einige <strong>der</strong> Zugezo-<br />

genen sogar Mitglie<strong>der</strong> des Vogelklubs sind. Wir müssen sie<br />

von <strong>der</strong> traditionellen Landschaftspflege und Lebensweise<br />

in <strong>der</strong> Region überzeugen.“<br />

In dieser sich verän<strong>der</strong>nden Welt ist es eine wichtige Aufgabe<br />

<strong>der</strong> Park-Manager, den Wert <strong>der</strong> Artenvielfalt zu vermitteln,<br />

die Existenzgrundlage ihres Schutzgebietes. Kom-<br />

Biodiversität kommunizieren / 27<br />

munikation kann man hier <strong>als</strong> „Sprech- und Zuhör-Intervention“<br />

(unter Verwendung einer Palette von Medien) definieren,<br />

um eine bestehende Situation in eine gewünschte<br />

umzuwandeln. Es sollen <strong>als</strong>o Einstellungen, Werte, Wahrnehmungen<br />

und Verhalten unserer Zielgruppen so entwickelt<br />

und verän<strong>der</strong>t werden, dass durch ihr Handeln<br />

Biodiversität erhalten bleibt o<strong>der</strong> nachhaltig genutzt wird.<br />

Ich fragte meinen Gesprächspartner: „Haben Sie selber<br />

schon mit den Bewohnern Ihres Landschaftsschutzgebietes<br />

geredet?“ „Ich habe keine Zeit!“ war seine Antwort, „aber<br />

ich weiß, dass wir kommunizieren müssen, um die Situation<br />

zu än<strong>der</strong>n. Wir haben schon eine Menge Unterlagen und<br />

Broschüren vorbereitet.“<br />

Um <strong>der</strong> Bevölkerung die erhaltenswerte Artenvielfalt ihrer<br />

Region bewusst zu machen, gibt es grundsätzlich zwei Strategien,<br />

die auf unterschiedlichen Paradigmen beruhen.<br />

Der erste Weg ist darauf ausgerichtet, die Zielgruppe zu<br />

(Amateur-)Experten und zumindest zeitweiligen Bewun<strong>der</strong>ern<br />

<strong>der</strong> Artenvielfalt zu machen. Diese Strategie geht von<br />

<strong>der</strong> Annahme aus, dass „wir Biodiversitäts-Experten wissen,<br />

was für die Gesellschaft und für dich gut ist“. Sie ist in <strong>der</strong><br />

Regel sehr instrumentell und verläuft top-down. Verwendet<br />

werden Poster, Broschüren, Dokumentationen, Informationspakete<br />

für Schulen und Naturerfahrungsangebote wie<br />

Lehrpfade etc. Die Kommunikation ist eher auf „Sprechen“<br />

o<strong>der</strong> „Senden“ gerichtet und weniger darauf, zuzuhören was<br />

<strong>der</strong> „Empfänger“ zu sagen hat. „Wir müssen die traditionelle<br />

Landwirtschaft wie<strong>der</strong> einführen und die Leute überzeugen<br />

…“<br />

Der zweite Weg geht von <strong>der</strong> Tatsache aus, dass, egal ob es<br />

sich um Politik, Spiel, Kunst, Musik o<strong>der</strong> Biodiversität handelt,<br />

es auf jeden Fall mehr Uninteressierte <strong>als</strong> Interessierte<br />

gibt. Hier ist die Kommunikation mehr auf das „Zuhören“<br />

gerichtet. In diesem Fall lässt <strong>der</strong> Vermittler das Thema<br />

Biodiversität zunächst einmal links liegen und geht auf die<br />

Visionen, Gedanken, Interessen und Motive <strong>der</strong> Zielgruppe<br />

ein. Er versucht Emotionen und mögliche Motive zu entdecken,<br />

die zu einem Verhalten führen können, welches<br />

letztendlich die Erhaltung bzw. nachhaltige Nutzung <strong>der</strong><br />

Biodiversität för<strong>der</strong>t, auch ohne <strong>der</strong>en (genauen) biologischen<br />

Wert zu kennen. „Weil die Leute keine Rin<strong>der</strong> mehr<br />

haben, vernachlässigen sie auch ihre Dorfteiche und die<br />

Artenvielfalt darin geht verloren“, erzählte mir <strong>der</strong> Parkmanager.<br />

„Vielleicht sollten wir unter den heutigen Dorfbewohnern<br />

Gründe suchen, diese Teiche zu bewahren, etwa<br />

einen neuen gesellschaftlichen Nutzen dafür finden, etwas,


28<br />

/ Biodiversität kommunizieren<br />

das die Leute mögen. So könnte <strong>der</strong> Artenreichtum auch<br />

erhalten bleiben“, war meine Antwort.<br />

Die Wahl <strong>der</strong> Strategie hat viel damit zu tun, wie weit man<br />

alle Beteiligten einbeziehen kann o<strong>der</strong> möchte.<br />

Die Fähigkeiten, die ein Landschaftspark-Manager daher<br />

braucht, um seine Ziele effizient unter die Leute zu bringen,<br />

sind folgende:<br />

• In <strong>der</strong> Lage zu sein die Ansichten, Interessen, Motive<br />

an<strong>der</strong>er bedingungslos zu akzeptieren<br />

• Wirklich zuzuhören (bevor man selber spricht)<br />

• Sich „auf die Zunge zu beißen“, (zu vergessen, dass man<br />

es besser weiß und die Fakten in <strong>der</strong> Tasche hat)<br />

• Motive zu finden, die Win-win-Situationen för<strong>der</strong>n<br />

können<br />

• Zu wissen, wo die eigenen Kommunikationsdefizite<br />

liegen und sich Hilfe von Experten zu holen<br />

Biodiversität zum Thema machen:<br />

Zehn beinharte Tatsachen<br />

1. Für jedes Thema – sogar für die Erhaltung <strong>der</strong><br />

Artenvielfalt – gibt es immer viel mehr Leute, die sich<br />

nicht dafür interessieren (mindestens 80 %) <strong>als</strong> solche,<br />

die Interesse haben.<br />

2. Die Erfahrungen aus <strong>der</strong> Vergangenheit haben gezeigt,<br />

dass <strong>der</strong> Erfolg von Naturschutzmaßnahmen zu 90 %<br />

das Resultat von Kommunikation und nur zu 10 % das<br />

Ergebnis eines technischen o<strong>der</strong> gesetzlichen Lösungsansatzes<br />

ist.<br />

3. Information über Biodiversität hat nur akademischen<br />

Wert, wenn sie nicht mit <strong>der</strong> konkreten Möglichkeit für<br />

die Adressaten verbunden ist, zu handeln und zur Erhaltung<br />

<strong>der</strong> Artenvielfalt beizutragen.<br />

4. Die Leute än<strong>der</strong>n ihr Verhalten nicht deshalb, weil sie<br />

darum gebeten werden, son<strong>der</strong>n erst nach sorgfältiger<br />

Prüfung <strong>der</strong> Kosten und Nutzen einer Verhaltensän<strong>der</strong>ung.<br />

5. Was über Biodiversität gesagt wird, wird nicht unbedingt<br />

gehört, was gehört wird, wird nicht unbedingt<br />

verstanden, was verstanden wird, ist nicht immer<br />

akzeptiert, was akzeptiert ist, wird nicht unbedingt<br />

umgesetzt, einmal etwas umzusetzen bedeutet nicht,<br />

dass dieses Verhalten auch wie<strong>der</strong>holt wird.<br />

6. Für Laien ist die Sprache <strong>der</strong> Biodiversitäts-Experten<br />

unverständlich. Sie wollen konkrete kurze Geschichten<br />

höre, die sie interessieren und betreffen und zwar von<br />

Menschen, denen sie vertrauen, von Freunden, von Ver-<br />

wandten, von ihresgleichen.<br />

7. Bil<strong>der</strong> über die Artenvielfalt sind tausendmal wirkungsvoller<br />

<strong>als</strong> Worte, aber Gespräche von Mensch zu<br />

Mensch sind noch effektiver <strong>als</strong> die Massenmedien.<br />

8. Die Menschen wollen persönlich angesprochen werden:<br />

ein persönlicher Brief ist wirksamer <strong>als</strong> ein Rundbrief,<br />

ein Telefonanruf bewirkt mehr <strong>als</strong> ein Inserat, ein Treffen<br />

ist überzeugen<strong>der</strong> <strong>als</strong> eine <strong>Publikation</strong>. Mit Vermittlern<br />

zu arbeiten, die <strong>der</strong> Zielgruppe nahe stehen, bringt<br />

mehr <strong>als</strong> rigide top-down Kommunikation.<br />

9. Jede Kommunikation beginnt mit internen Gesprächen:<br />

Warum sollten an<strong>der</strong>e Sektionen die Erhaltung <strong>der</strong><br />

Artenvielfalt <strong>als</strong> Thema in ihre Politik aufnehmen, wenn<br />

Biodiversität für so manche Abteilung des Umweltministeriums<br />

selbst noch kein Thema ist?<br />

10. Im Sinne effektiver Kommunikation ist es wirkungsvoller,<br />

sich nicht auf Themen <strong>der</strong> Biodiversität zu konzentrieren,<br />

son<strong>der</strong>n lieber auf Dinge, die die Leute anregen<br />

sich so zu verhalten, dass es für die Erhaltung <strong>der</strong><br />

Artenvielfalt am besten ist.<br />

Quellennachweis<br />

Dieser Artikel ist die gekürzte Version eines Vortrages von Frits Hesselink,<br />

gehalten anlässlich <strong>der</strong> IUCN Konferenz 2001 in Rom<br />

(Übersetzung: Christa Rauch)<br />

Newsletter Central and Eastern Europe, Published by: IUCN Czech Project<br />

v<br />

Coordination Unit, Kalisnicka 4, P.O. Box 85, 130 23 Praha 3. Czech<br />

Republic.<br />

Frits Hesselink<br />

Experte für <strong>Umweltbildung</strong> und Umweltkommunikation, ist<br />

Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> CEC/IUCN (Commission on Education and<br />

Communication <strong>der</strong> IUCN), Konsulent <strong>der</strong> Europäischen<br />

Kommission des Europarates in Bildungsfragen. Er lebt in<br />

Holland und betreibt dort die Firma HECT Consultancy.


Biodiversität aus <strong>der</strong> Praxis<br />

29


Astrid Blab<br />

Alles was kreucht und fleucht,<br />

krabbelt und wächst<br />

Biodiversität erleben<br />

„Unendlich ist die Herrlichkeit <strong>der</strong> Natur … doch ihre wun<strong>der</strong>barste<br />

Gabe ist ihre Bereitschaft uns Selbsterkenntnis zu<br />

lehren. Und wenn wir lernen uns selbst und die uns umgebende<br />

Welt zu sehen und zu verstehen, dann werden wir<br />

Menschen zur höchsten Vollendung <strong>der</strong> Natur: denn durch<br />

den Menschen kann sich die Natur in ihrer lebendigen Fülle<br />

wahrnehmen und erkennen.“ (Cornell, 1999)<br />

Verständnis für die Natur können wir nur lernen, wenn wir<br />

Gefühl für ihre Schönheit und Verletzlichkeit entwickeln.<br />

Der nachfolgende Beitrag soll <strong>als</strong> Anregung dienen, die<br />

wichtigsten Aspekte <strong>der</strong> Biodiversität im Schulunterricht<br />

„erleb- und erspürbar“ zu gestalten.<br />

Die Übungen orientieren sich größtenteils an dem wun<strong>der</strong>baren<br />

Buch von Joseph Cornell „Mit Kin<strong>der</strong>n die Natur erleben“.<br />

Sie sind für Kin<strong>der</strong> aller Alterstufen geeignet.<br />

Was ist Biodiversität?<br />

Biodiversität ist ein neuer Begriff für etwas Uraltes: den<br />

Ausgang genommen hat die Entwicklung <strong>der</strong> Biodiversität<br />

vor etwa 3 Milliarden Jahren, <strong>als</strong> aus <strong>der</strong> „Ursuppe“ das<br />

Leben auf <strong>der</strong> Erde entstand. Seither hat sich im Lauf <strong>der</strong><br />

Evolution eine unübersehbare Vielfalt an Lebensformen entwickelt.<br />

Neue Arten entstanden und verschwanden, um<br />

durch an<strong>der</strong>e Arten abgelöst zu werden. Aus Einzellern wurden<br />

Vielzeller und aus im Wasser lebenden Pflanzen und<br />

Tieren entwickelten sich Landformen.<br />

Neben dem natürlichen Wandel im Zuge <strong>der</strong> Evolution hat<br />

auch <strong>der</strong> Mensch durch Rodung, Ackerbau und Viehzucht<br />

Pflanzen, Tiere und Ökosysteme nachhaltig geprägt. Die<br />

Vielfalt des Lebens wird unter dem Begriff Biodiversität<br />

zusammengefasst. Sie umfasst drei Niveaus: auf Zellebene<br />

die genetische Vielfalt des Erbgutes, auf Artebene die Vielfalt<br />

<strong>der</strong> verschiedenen Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen<br />

und zuletzt, auf Ökosystemebene, die Vielfalt an verschiedenen<br />

Lebensräumen.<br />

Unter dem Mikroskop: die genetische Vielfalt<br />

Auch Lebewesen <strong>der</strong>selben Art sind nicht gleich: es gibt verschiedene<br />

Hunde- und Pfer<strong>der</strong>assen, Apfel- und Birnensorten.<br />

Die Eigenschaften jedes Lebewesens sind in den Genen<br />

festgelegt. So bestimmt auch beim Menschen das individuelle<br />

genetische Muster, ob wir beispielsweise blaue o<strong>der</strong><br />

braune Augen, schwarzes o<strong>der</strong> blondes Haar besitzen.<br />

Diese genetische Diversität ist eine Grundvoraussetzung für<br />

das Überleben <strong>der</strong> Arten: ohne den Genaustausch käme es<br />

zu Inzucht und in <strong>der</strong> Folge zu defekten Nachkommen. Das<br />

ist auch das Problem von sehr kleinen Populationen wie


32<br />

/ Alles was kreucht und fleucht, krabbelt und wächst<br />

z. B. jenen von stark dezimierten Arten o<strong>der</strong> auf natürliche<br />

o<strong>der</strong> künstlich geschaffene Inseln beschränkte Arten (vgl.<br />

Lebensraum-Fragmentation Seite 20).<br />

Neben <strong>der</strong> Arterhaltung ist die genetische Verschiedenheit<br />

innerhalb einer Art aber auch eine <strong>der</strong> Grundlagen für die<br />

Entwicklung neuer Arten im Zuge <strong>der</strong> Evolution. Sind die<br />

durch Mutation o<strong>der</strong> den Genfluss entstandenen Eigenschaften<br />

unter den gegebenen Umweltbedingungen von<br />

Vorteil, können sie sich allmählich durchsetzen. So kann<br />

sich, mit zunehmen<strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> ursprünglichen Art,<br />

im Lauf <strong>der</strong> Zeit eine neue Art entwickeln.<br />

Diesen Prozess <strong>der</strong> Auslese hat auch <strong>der</strong> Mensch angewandt,<br />

um eine erstaunliche Fülle an Kulturpflanzen sowie<br />

Nutz- und Haustieren zu züchten. Allerdings bevorzugt die<br />

mo<strong>der</strong>ne Landwirtschaft so genannte Hochleistungssorten.<br />

Die flächendeckende Verbreitung dieser genetisch eng verwandten<br />

Hochleistungssorten hat in den letzten hun<strong>der</strong>t<br />

Jahren zu einem Verlust von 75 % <strong>der</strong> genetischen Vielfalt<br />

geführt! Von den 400 Apfelsorten finden sich im Supermarkt<br />

nur noch Golden Delicious und Granny Smith. Mit<br />

dieser Einengung des Angebotes schränken wir nicht nur die<br />

Geschmacksvielfalt unserer Nahrungsmittel erheblich ein,<br />

son<strong>der</strong>n verlieren auch genetisches Potenzial, das für die<br />

Züchtung in Zukunft sehr wichtig sein kann. Denn auch<br />

wenn die Gentechnologie unglaubliche Fortschritte macht –<br />

sie kann selber keine Gene herstellen, son<strong>der</strong>n nur die in <strong>der</strong><br />

Natur vorkommenden Gene nutzen. Die alten Kultursorten<br />

sind vielfach wi<strong>der</strong>standsfähiger <strong>als</strong> unsere Hochleistungspflanzen<br />

und -tiere. Eigenschaften, die wir durch das Einkreuzen<br />

<strong>der</strong> alten Rassen nutzen könnten, wenn wir sie<br />

nicht vorher aussterben lassen.<br />

Übung (im Klassenzimmer):<br />

Die Schüler malen ihre Lieblingshun<strong>der</strong>asse. Die Bil<strong>der</strong> werden<br />

zu einem Riesenposter zusammengefügt – unglaublich,<br />

dass diese ganz verschieden aussehenden Tiere alle Ausprägungen<br />

einer Art sind! In einer Nachbesprechung kann diskutiert<br />

werden, warum trotzdem alle Kin<strong>der</strong> sofort einen<br />

Hund erkennen und was wohl die Züchtungsziele (Dachshund,<br />

Rettungshund, Apportierhund etc.) für die verschiedenen<br />

Rassen waren?<br />

Übung (im Klassenzimmer):<br />

Jedes Kind bekommt die Aufgabe jeweils zwei Sorten einer<br />

Obst- o<strong>der</strong> Gemüseart mitzubringen (geeignet sind Äpfel,<br />

Birnen, Weintrauben, Paradeiser, Paprika, Zwiebel, Salat) –<br />

nach eingehen<strong>der</strong> Betrachtung können die Unterschiede <strong>der</strong><br />

Sorten in einer großen Verkostung getestet werden.<br />

Alles was kreucht und fleucht, krabbelt und wächst:<br />

die Artenvielfalt<br />

Obwohl wir in den Weltraum reisen und auf dem Mond spazieren<br />

gehen können, wissen wir noch sehr wenig über die<br />

Bewohner unseres Planeten. Sind es nun 13 o<strong>der</strong> gar 100<br />

Millionen Arten, die die Erde bevölkern? Wir wissen es nicht.<br />

Sicher ist nur, dass die weltweit bislang beschriebenen<br />

1,7 Millionen Arten nur einen Bruchteil <strong>der</strong> <strong>gesamten</strong><br />

Artenfülle ausmachen. In Lebensräumen wie dem tropischen<br />

Regenwald o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Tiefsee stehen wir erst am<br />

Beginn <strong>der</strong> Erforschung. Auch über die Vielfalt <strong>der</strong> Mikroorganismen<br />

wissen wir noch viel zu wenig.<br />

Rascher <strong>als</strong> das Kennenlernen <strong>der</strong> Arten erfolgt lei<strong>der</strong> ihre<br />

Ausrottung: von den in Österreich bekannten 2.950 „höheren“<br />

Pflanzen sind 36 Arten bereits ausgestorben und weitere<br />

172 sind vom Aussterben bedroht. Insgesamt gelten<br />

etwa 60 % <strong>der</strong> heimischen Pflanzen <strong>als</strong> stark bis potenziell<br />

gefährdet.<br />

Auch von den etwa 30.000 heimischen Tierarten dürfte<br />

mehr <strong>als</strong> die Hälfte gefährdet o<strong>der</strong> zumindest potenziell<br />

gefährdet sein.<br />

Die Verteilung <strong>der</strong> Artenvielfalt ist nicht gleichmäßig, son<strong>der</strong>n<br />

folgt umweltbedingten Mustern. Klima, Boden und<br />

strukturelle Gegebenheiten sind ausschlaggebend, welche<br />

und wie viele Arten vorkommen können. Die weltweit größte<br />

Artenvielfalt ist in den tropischen Regenwäl<strong>der</strong>n zu finden.<br />

Sie beherbergen mindestens 50 % aller Arten dieser<br />

Erde!<br />

Aber Leben ist überall. Selbst unter extremsten Bedingungen<br />

wie im Eis <strong>der</strong> Antarktis, in <strong>der</strong> Tiefsee o<strong>der</strong> in heißen<br />

Quellen können einige Spezialisten existieren.<br />

Allgemein gilt: umso reicher strukturiert eine Landschaft ist,<br />

umso mehr Tieren und Pflanzen kann sie Lebensraum bieten,<br />

während riesige intensiv bewirtschaftete Fel<strong>der</strong> o<strong>der</strong><br />

monotone Fichtenforste nur wenige Arten beherbergen.<br />

... <strong>der</strong> Unterschied?


Wegen dieser Abhängigkeit vom Lebensraum ist <strong>der</strong> Schutz<br />

<strong>der</strong> Artenvielfalt untrennbar mit dem Schutz <strong>der</strong> Ökosystemvielfalt<br />

verbunden (sog. ökosystemarer Ansatz).<br />

Übung (im Freien):<br />

Als Naturforscher unterwegs: Jede Gruppe (ca. 2-3 Kin<strong>der</strong>)<br />

markiert mit einer roten Schnur einen 1–2-m-Bereich (am<br />

besten in einem Magerrasen) – nun gilt es, ausgestattet mit<br />

Lupen, herauszufinden was da alles kreucht und fleucht,<br />

krabbelt und wächst. Die Kin<strong>der</strong> sollen Aufzeichnungen<br />

machen, was sie alles bemerkt haben, und den verschiedenen<br />

Arten Phantasienamen geben (z. B. quer gestreifter Schnelllaufkäfer<br />

o<strong>der</strong> stachelige Schirmpflanze). Wichtig ist, dass<br />

die Kin<strong>der</strong> auch die vielen verschiedenen vegetativen Pflanzen<br />

bemerken - die Wiese ist kein Einheitsgrün! Ist die Erforschung<br />

abgeschlossen, werden im Kreis <strong>der</strong> ganzen Klasse<br />

die Entdeckungen ausgetauscht – <strong>der</strong> Lehrer kann noch<br />

etwas zum Lebensraum sagen und das eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Geheimnis lüften. (Nach Cornell, 1999)<br />

Was wächst und krabbelt wohl in diesem begrenzten Bereich?<br />

Übung (im Klassenzimmer o<strong>der</strong> auf einer Wiese – es sollte<br />

eine ruhige Umgebung sein):<br />

Die Vielfalt mit den Sinnen wahrnehmen, am besten mit<br />

einem Helfer (je nach Klassengröße).<br />

Vorbereitung: Der Lehrer sammelt, ausgestattet mit<br />

Taschenmesser und mehreren Tüten und kleinen Schachteln,<br />

Pflanzen- und Tierteile (Blüten, Früchte, Samen, Blätter,<br />

Fe<strong>der</strong>n etc.). Dabei wird darauf geachtet, dass sie einem <strong>der</strong><br />

folgenden Sinne zugeordnet werden können: Schmecken (z.<br />

B. süße Beeren, Nüsse, Wurzeln von Wil<strong>der</strong> Möhre o<strong>der</strong><br />

Pastinak), Riechen (z. B. Blätter von Wildpflanzen, die ätherische<br />

Öle enthalten, Wilde Möhre, Harz, nach Honig duften-<br />

Alles was kreucht und fleucht, krabbelt und wächst / 33<br />

de Blüten), Tasten/Fühlen (z. B. Fe<strong>der</strong>, schön geformte Früchte,<br />

etwas Raues, etwas Glattes, etwas Weiches), Hören (z. B.<br />

ein Zweig mit trockenem Laub, Trockenfrüchte mit rasselnden<br />

Samen, dürre Zweige) – pro Sinn etwa fünf Gegenstände.<br />

Die Gegenstände werden zum Teil noch aufbereitet (z. B. Zerschneiden<br />

<strong>der</strong> Wurzeln, Zerreiben von Blättern etc.) und auf<br />

kleinen Tellern vorbereitet. Der an<strong>der</strong>e Teil (in möglichst<br />

ganzem Zustand) wird in <strong>der</strong> Mitte des Raumes auf einem<br />

Tuch drapiert und schön angerichtet.<br />

Die Kin<strong>der</strong> werden mit verbundenen Augen in das Klassenzimmer<br />

geführt und bekommen im Kreis einen Platz zugewiesen.<br />

Am schönsten ist diese Übung, wenn es möglichst<br />

still ist – so sind die Sinne am besten geschärft. Von zwei Seiten<br />

beginnend, gehen Lehrer und Helfer auf leisen Sohlen<br />

von Kind zu Kind und lassen sie an den aromatischen Blättern<br />

schnuppern, streichen sachte mit einer Fe<strong>der</strong> über die<br />

Wange, legen ihnen eine schöne, glatte Kastanie in die Hand<br />

und rascheln sachte mit dem dürren Laub neben dem Ohr ...<br />

Jedes Kind soll dabei ausreichend Zeit haben, den Gegenstand<br />

zu erleben. Für jeden neuen Sinneseindruck wird <strong>der</strong><br />

vorhergehende wie<strong>der</strong> entfernt – zum Beispiel den Kin<strong>der</strong>n<br />

die Gegenstände wie<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Hand nehmen. Um die Sinne<br />

nicht zu überfor<strong>der</strong>n ist es am besten, sie <strong>der</strong> Reihe nach zu<br />

stimulieren – <strong>als</strong>o zuerst alle Gegenstände für den Geruchsinn,<br />

dann für den Geschmacksinn usw.<br />

Dann wird die Augenbinde abgenommen und <strong>der</strong> Blick auf<br />

die schön in <strong>der</strong> Mitte aufgebauten Gegenstände wird frei<br />

(nun ist <strong>der</strong> Sehsinn angesprochen) – nun kann je<strong>der</strong> schauen,<br />

ob er, was er gespürt, gehört, gerochen und gefühlt hat,<br />

wie<strong>der</strong>entdeckt. Der Lehrer kann zu den Gegenständen<br />

etwas sagen.<br />

Vielfalt <strong>der</strong> Lebensräume<br />

Ökosystemvielfalt beschreibt den „Fleckerlteppich“ aus Wiesen,<br />

Wäl<strong>der</strong>n, alpinen Rasen, Flusslandschaften und an<strong>der</strong>en<br />

Lebensräumen, <strong>der</strong> unsere Landschaft prägt.<br />

Die verschiedenen Ökosysteme entstanden im Lauf <strong>der</strong> Erdgeschichte<br />

aus dem Zusammenspiel von Gesteinsuntergrund,<br />

Klima und Wasser. Durch den Einfluss von Mikroorganismen,<br />

Pflanzen und Tieren entwickelten sich verschiedene<br />

Bodentypen, Strukturen und Mikroklimate. Je<strong>der</strong><br />

Lebensraum repräsentiert <strong>als</strong>o ganz spezielle Umweltbedingungen.<br />

Abgesehen vom alpinen Bereich und von Son<strong>der</strong>standorten<br />

wie Mooren o<strong>der</strong> Salzböden wäre Österreich von Natur aus<br />

waldbedeckt. Erst <strong>der</strong> Mensch hat den Wald gerodet, um


34<br />

/ Alles was kreucht und fleucht, krabbelt und wächst<br />

Land für Ackerbau und Viehzucht zu erhalten. Mit <strong>der</strong><br />

Errichtung von Siedlungen, Städten und Straßen hat <strong>der</strong><br />

Mensch ganz neue Lebensbedingungen geschaffen und<br />

viele alte Ökosysteme verdrängt.<br />

Ebenso wie bei den Tier- und Pflanzenarten gibt es auch bei<br />

den Lebensräumen häufige und seltene. Im Rückgang<br />

begriffen und daher <strong>als</strong> bedroht einzustufen sind:<br />

• nährstoffarme und feuchte Wiesen<br />

• Trockenrasen<br />

• große, noch zusammenhängende Lebensräume<br />

(z. B. Wäl<strong>der</strong>)<br />

• Ökosysteme, <strong>der</strong>en Erhaltung für die mo<strong>der</strong>ne Landwirtschaft<br />

nicht mehr rentabel ist (Streuwiesen)<br />

• Lebensräume mit einer bestimmten Dynamik<br />

wie z. B. Auwäl<strong>der</strong><br />

Gerüche, Geräusche und Bodenbeschaffenheit werden mit verbunden<br />

Augen zum Erlebnis<br />

Übung (im Freien):<br />

„Grenzgang“: In <strong>der</strong> Nähe einer Grenze zwischen Wiese und<br />

Wald (wenn möglich Laubwald) ziehen die Kin<strong>der</strong> Schuhe<br />

und Strümpfe aus. Dann werden ihnen die Augen verbunden<br />

und <strong>der</strong> Lehrer stellt sie hintereinan<strong>der</strong> in einer Schlange auf,<br />

wobei die Hände jeweils auf den Schultern des Vor<strong>der</strong>mannes<br />

liegen. Nur <strong>der</strong> „Kopf“ <strong>der</strong> Raupe sieht, wohin <strong>der</strong> Weg<br />

geht – er wird vom Lehrer gebildet. Ist die Raupe startbereit,<br />

setzt sich <strong>der</strong> Lehrer vorsichtig in Bewegung – zunächst wird<br />

eine Runde auf <strong>der</strong> Wiese gedreht, sodass die Kin<strong>der</strong> die<br />

Gerüche, Geräusche und das Gras unter ihren Füßen ausgiebig<br />

wahrnehmen können. Der Lehrer achtet dabei darauf,<br />

dass spitze Steine, Disteln u. ä. gemieden werden. Dann<br />

begibt sich die Raupe zum Waldrand – die Kühle und Ruhe<br />

des Waldes wird gespürt – das raschelnde Laub und die Vögel<br />

in den Bäumen gehört. Nach einer Runde im Wald können<br />

die Kin<strong>der</strong> die Augenbinde abnehmen. Nachbesprechung:<br />

Was hat sich ab <strong>der</strong> Ökosystemgrenze geän<strong>der</strong>t? Woran<br />

haben die Kin<strong>der</strong> gemerkt, dass sie nicht mehr auf <strong>der</strong> Wiese<br />

waren? Wie sind die Lebensbedingungen im Wald – wie auf<br />

<strong>der</strong> Wiese? (Nach Cornell, 1999)<br />

Biodiversität in Gefahr!<br />

Das Aussterben von Arten ging in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Evolution<br />

stets Hand in Hand mit <strong>der</strong> Entstehung neuer Arten.<br />

Nunmehr weist diese Dynamik jedoch einen einseitigen<br />

Trend auf: es verschwinden mehr Arten, <strong>als</strong> neue entstehen<br />

können. Während es bis vor ca. 200 Jahren durch die sanfte<br />

Landkultivierung gerade durch den Einfluss des Menschen<br />

eine sehr hohe Artenvielfalt gab, begann mit <strong>der</strong><br />

Industrialisierung <strong>der</strong> Artenrückgang – immer intensiver<br />

wurde die Natur umgestaltet. Waren die vom Menschen<br />

geschaffenen Lebensräume zuerst noch vielfältig, wurden<br />

sie nun durch die zunehmende Intensivierung einheitlich<br />

und monoton. Dank <strong>der</strong> Düngemittel können wir heute<br />

nahezu auf allen Böden hohe Erträge erzielen, das bewirkt<br />

aber auch, dass auf allen Wiesen dasselbe Einheitsgrün<br />

herrscht. Um optimale Bewirtschaftungsbedingungen zu<br />

schaffen wurden vielerorts Hecken und Einzelbäume umgeschnitten,<br />

Feuchtgebiete trockengelegt und Weiher zugeschüttet.<br />

Damit verschwand die landschaftliche Vielfalt<br />

ebenso wie die <strong>der</strong> Tier- und Pflanzenarten – unwie<strong>der</strong>bringlich,<br />

denn lei<strong>der</strong> können wir zwar zerstören, aber die<br />

Arten nicht wie<strong>der</strong> herstellen. Bizarrerweise kann auch ein<br />

zu wenig an Landwirtschaft die Biodiversität gefährden: die<br />

extensive Weidewirtschaft, Almwirtschaft und die Bewirtschaftung<br />

von Streuwiesen ist gerade für die Erhaltung<br />

unserer artenreichsten Blumenwiesen unbedingt erfor<strong>der</strong>lich!<br />

Ohne diese landschaftspflegerischen Eingriffe verbuschen<br />

o<strong>der</strong> verschilfen die Wiesen, wodurch die seltenen,<br />

weniger konkurrenzfähigen Pflanzen überwuchert werden.<br />

Sie verschwinden dadurch ebenso wie jene seltenen Tiere,<br />

die offene Lebensräume brauchen (z. B. Schnepfenvögel,<br />

Greifvögel).<br />

Auch die Vernichtung o<strong>der</strong> Zerstückelung des Lebensraumes<br />

<strong>der</strong> Pflanzen und Tiere durch den Bau von Straßen sowie die<br />

Intensivierung <strong>der</strong> Forstwirtschaft gefährden die Biodiversität.<br />

Während die ursprünglichen Wäl<strong>der</strong> aus verschiedenen<br />

Baumarten bestanden, setzt die Forstwirtschaft vielerorts<br />

auf die rasch wachsende Fichte. Auch Tieflagen, wo von<br />

Natur aus reich strukturierte Laubmischwäl<strong>der</strong> vorkommen,<br />

werden nun von gleichförmigen Fichtenforsten dominiert.<br />

Im Gegensatz zum Falllaub ist ihre Nadelstreu schwer<br />

abbaubar und führt in <strong>der</strong> Folge zu Bodenversauerung.


Nährstoffarmut, Lichtmangel und die fehlende Struktur <strong>der</strong><br />

gleichaltrigen Forste schaffen für die meisten Tiere und<br />

Pflanzen eher unwirtliche Bedingungen.<br />

Eine weitere Gefährdung für die Biodiversität, die in letzter<br />

Zeit verstärkt Beachtung findet, ist das Auftreten von invasiven<br />

„Aliens“. Die „Aliens“, um die es hier, geht sind keine<br />

Außerirdischen, son<strong>der</strong>n Pflanzen und Tiere, die durch Mitwirkung<br />

des Menschen (absichtlich o<strong>der</strong> unabsichtlich) in<br />

ein ihnen vorm<strong>als</strong> unzugängliches Gebiet gelangten. Charakteristisch<br />

für die Aliens ist, dass sie ganz plötzlich auftreten<br />

– ohne dass ihre Umgebung Zeit hätte, sich auf diese<br />

Verän<strong>der</strong>ung einzustellen. Auf diese Weise können sie die<br />

Ökosysteme massiv und nachhaltig beeinflussen. Neben <strong>der</strong><br />

Zerstörung <strong>der</strong> Lebensräume gehören Invasionen von Aliens<br />

daher weltweit zur größten Bedrohung <strong>der</strong> Biodiversität.<br />

Vor allem Inselökosysteme sind durch Aliens massiv<br />

bedroht! So hat beispielsweise auf <strong>der</strong> Insel Guam die eingeschleppte<br />

Braune Nachtbaumnatter 10 <strong>der</strong> insgesamt 12<br />

dort heimischen Landvogelarten ausgerottet!<br />

Natürlich werden die Arten nicht absichtlich verdrängt und<br />

ausgerottet, es geschieht vielmehr leise und unbemerkt<br />

durch die Verän<strong>der</strong>ungen in unserer Wirtschaft – ein<br />

Nebenprodukt unseres Wohlstandes.<br />

Nur mehr wenige „Lebenskünstler“ konnten sich an diese<br />

massiven Verän<strong>der</strong>ungen ihrer Umwelt anpassen. Diese Kulturfolger<br />

dominieren in großen Individuenzahlen weite<br />

Landstriche. Statt Vielfalt herrscht in unseren Wiesen und<br />

Wäl<strong>der</strong>n nun „Einfalt“.<br />

Biodiversität – wozu? Das „Netz des Lebens“<br />

Das Neben- und Miteinan<strong>der</strong> <strong>der</strong> verschiedenen Tiere,<br />

Pflanzen und Ökosysteme bildet ein zusammenhängendes<br />

Netz ineinan<strong>der</strong> verwobener und miteinan<strong>der</strong> in Wechselwirkung<br />

stehen<strong>der</strong> Lebewesen und Landschaften, in das<br />

auch wir Menschen eingebunden sind. Jede Lücke, die die-<br />

Im Wald empfängt uns<br />

Kühle und Ruhe<br />

sem Netz zugefügt wird, betrifft zuletzt auch uns Menschen.<br />

Übung (im Klassenzimmer o<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Wiese):<br />

Netz des Lebens: Die Kin<strong>der</strong> bilden einen Kreis (große Klassen<br />

evtl. in kleinere Gruppe aufteilen), <strong>der</strong> Lehrer steht am Rand<br />

und hält ein Knäuel fester Schnur in <strong>der</strong> Hand. Er fragt nach<br />

einer Pflanze, die in <strong>der</strong> Gegend wächst – <strong>der</strong> erste Schüler,<br />

<strong>der</strong> eine weiß, bekommt das Ende <strong>der</strong> Schnur zu halten – nun<br />

geht es weiter: wer frisst die Pflanze (wird über die Schnur<br />

mit <strong>der</strong> Pflanze verbunden) – wer frisst den Pflanzenfresser –<br />

etc.<br />

Das geht so lange, bis alle Kin<strong>der</strong> über die Schnur verbunden<br />

sind – ein Ökosystem ist entstanden. Nun kann ein Teil des<br />

Ökosystems ausfallen (<strong>der</strong> Lehrer kann sich eine Geschichte<br />

dazu ausdenken) – das Kind, welches diesen Teil verkörpert,<br />

reißt an <strong>der</strong> Schnur. So kann demonstriert werden, wie wichtig<br />

jedes einzelne Lebewesen für das Ökosystem ist. (Nach<br />

Cornell, 1999)<br />

Die elementaren Funktionen <strong>der</strong> Biodiversität sind daher die<br />

„Ecosystem-Services“: Luftreinigung, Sauerstoffproduktion,<br />

Klimaregulation, Wasserreinigung, För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Bodenfruchtbarkeit,<br />

Erosionsschutz und Schutz vor Naturkatastrophen<br />

durch die Stabilisierung von Hängen und Ufern. Da<br />

bestimmte ökologische Funktionen von verschiedenen Arten<br />

übernommen werden können, kann in einem Ökosystem mit<br />

hoher Artenvielfalt eine Lücke im Stoff- o<strong>der</strong> Energiekreislauf<br />

rasch durch das Einspringen einer an<strong>der</strong>en Art<br />

geschlossen werden. Sie sind daher stabiler <strong>als</strong> Ökosysteme,<br />

bei denen <strong>der</strong> Ausfall einer Art nicht kompensiert werden<br />

kann. Die Biodiversität ist sozusagen eine „Versicherung“<br />

<strong>der</strong> ökosystemaren Prozesse. Wenn das Netz des Lebens<br />

intakt ist und nicht zu viele Löcher hat, kann es viele Belastungen<br />

auffangen.


36<br />

/ Alles was kreucht und fleucht, krabbelt und wächst<br />

In einem Urwald, wie hier dem Rotwald,<br />

sind die Bäume verschieden alt und es liegt<br />

viel Totholz herum, das verschiedenen Tieren<br />

Unterschlupf bietet<br />

Auch die Wirtschaft profitiert von <strong>der</strong><br />

Biodiversität – so erzielen die Pharmafirmen<br />

weltweit allein durch die aus<br />

Pflanzen gewonnenen Wirkstoffe einen<br />

jährlichen Umsatz von geschätzten 100<br />

Mrd. US-Dollar. Durch eine neu entdeckte<br />

wilde Maisart ließen sich in <strong>der</strong><br />

Landwirtschaft Umsätze von fast 7 Mrd.<br />

US-Dollar erzielen. Auch in <strong>der</strong> Kosmetikbranche<br />

spielen natürliche Rohstoffe<br />

wie Jojoba, Aloe vera o<strong>der</strong> Olivenöl eine<br />

wichtige Rolle.<br />

Wenn wir bedenken, dass noch nicht<br />

einmal die Hälfte aller Organismen<br />

bekannt sind, lässt sich erahnen, dass<br />

wir erst einen Bruchteil des biologischen<br />

Reichtums wirtschaftlich nutzen.<br />

Abgesehen von <strong>der</strong> ökosystemaren und<br />

wirtschaftlichen Bedeutung besitzt jede<br />

Art – sei sie auch noch so klein, einen<br />

Eigenwert. Sie ist in ihrer Weise einzigartig,<br />

ein Wun<strong>der</strong> <strong>der</strong> Natur und verdient<br />

allein dafür unsere Wertschätzung<br />

und Ehrfurcht.<br />

Literatur<br />

Cornell, J. 1999: Mit Kin<strong>der</strong>n die Natur erleben.<br />

Verlag an <strong>der</strong> Ruhr, Mülheim an <strong>der</strong> Ruhr.<br />

Kegel, B. 2001: Die Ameise <strong>als</strong> Tramp. Wilhelm<br />

Heyne Verlag, München.<br />

König, B. & Linsenmair, K. E. (Hrsg.) 1996: Biolo-<br />

gische Vielfalt, Beiträge aus Spektrum <strong>der</strong><br />

Wissenschaft, Spektrum, Akademischer<br />

Verlag, Heidelberg, Berlin, Oxford.<br />

Niklfeld, H. (Hrsg.) 1999: Rote Liste <strong>der</strong> Farnund<br />

Gefäßpflanzen Österreichs.<br />

Türkay, M. (Hrsg.) 2001: Leben ist Vielfalt. Kleine<br />

Senckenberg-Reihe 41, E. Schweizerbart’sche<br />

Verlagsbuchhandlung (Nägele und<br />

Obermiller), Stuttgart<br />

Mag. Astrid Blab<br />

Studium <strong>der</strong> Botanik. Bereitete am<br />

Umweltbundesamt, Abteilung für<br />

Naturschutz, naturschutzrelevante<br />

Themen für die Öffentlichkeit auf.<br />

Derzeit freischaffende Biologin in<br />

Passau. Absolviert eine Ausbildung zur<br />

psychologischen Beraterin


Verena Singeisen-Schnei<strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong> für die Natur begeistern<br />

Anfangen kann man bei den ganz „Kleinen“<br />

Sammeln von Frühlingskräutern, ein Sofa für Waldgeschichten<br />

mitten im Wald bauen, Kleintiere beobachten, ein Duftmuseum<br />

erstellen, Waldhütten bauen, den Waldboden blind<br />

mit den Händen ertasten und Gegenstände raten, blinde<br />

Karawane bilden, Grüntöne sammeln, Spuren legen, Tierspuren<br />

suchen, einer Ameise beim Melken einer Blattlaus<br />

zuschauen, Löwenzahnsamen durch die Luft blasen, mit<br />

Hilfe von Taschenspiegeln in Mäusegänge gucken, ein Xylophon<br />

aus Waldgegenständen erklingen lassen, an <strong>der</strong> Feuerstelle<br />

Steckenbrot backen ... - Aktivität, womit bei Kin<strong>der</strong>n<br />

Lust auf die Natur geweckt werden kann.<br />

Ein Gefühl und ein offenes Auge für die Natur von klein auf<br />

zu för<strong>der</strong>n ist ein bedeuten<strong>der</strong> Grundstein für die spätere<br />

Wertschätzung <strong>der</strong> Vielfalt unserer Erde.<br />

Früher war es selbstverständlich, dass sich Kin<strong>der</strong> im Freien<br />

vergnügten und die Natur <strong>als</strong> Spielraum benutzten. Heute<br />

ist diese Zeit auf Grund <strong>der</strong> gegebenen Wohnsituationen im<br />

Durchschnitt wesentlich geringer. Der Aufenthalt im Freien<br />

beschränkt sich häufig auf das Herumtollen auf Spielplätzen.<br />

Schlagen Erwachsene den Kin<strong>der</strong>n vor einen Spazier-<br />

gang zu unternehmen, kommt oft die Antwort: „Freut mich<br />

nicht – ist so langweilig!“ Verena Singeisen-Schnei<strong>der</strong> zeigt<br />

Möglichkeiten auf, wie gemeinsam mit Kin<strong>der</strong>n ein Stück<br />

Abenteuer beim Spaziergang in <strong>der</strong> Natur zurück erobert<br />

werden kann.<br />

Die Kin<strong>der</strong> <strong>als</strong> echte Partner akzeptieren<br />

Wenn Sie folgende Aussagen mit ja beantworten<br />

können, wird <strong>der</strong> Spaziergang sicher ein<br />

gemeinsames Erlebnis:<br />

• Der Spaziergang macht für das Kind Sinn<br />

• Die begleitenden Erwachsenen lassen sich auf<br />

die Kin<strong>der</strong> ein<br />

• Sie nehmen sich Zeit dazu<br />

• Sie lassen sich anstecken von <strong>der</strong> kindlichen Abenteuerund<br />

Spiellust, von Fragen und Beobachtungen.<br />

• Der gleiche Weg wird bei jedem Wetter und bei je<strong>der</strong><br />

Jahreszeit wie<strong>der</strong>holt, sodass immer wie<strong>der</strong> Altbekanntes<br />

angetroffen wird und Verän<strong>der</strong>ungen wahrgenommen<br />

werden<br />

• Die Kin<strong>der</strong> werden in die Planung mit einbezogen<br />

37


38<br />

/ Kin<strong>der</strong> für die Natur begeistern<br />

Sich Zeit nehmen - für Kin<strong>der</strong> ganz<br />

selbstverständlich<br />

• Der Weg ist nicht immer geplant,<br />

o<strong>der</strong> es ist möglich Pläne auf den<br />

Kopf zu stellen, um unverhofft<br />

querfeldein zu gehen<br />

• Sie <strong>als</strong> Erwachsene lassen sich auf<br />

kindliche Art und humorvoll auf die<br />

Natur ein, stellen selber Fragen,<br />

hinterfragen sich selber und lassen<br />

sich berühren<br />

• Manchmal tragen Sie, ähnlich wie<br />

in <strong>der</strong> „Rucksackschule“, Hilfsmittel<br />

zum Experimentieren, Beobachten<br />

o<strong>der</strong> Basteln mit Naturgegenständen<br />

mit. Ein Taschenmesser, ein Vergrößerungsglas,<br />

eine Schnur und<br />

Spiegel fehlen nie<br />

Ein paar Tipps für unterwegs<br />

Entdeckungsreise in die Welt<br />

<strong>der</strong> Eiche<br />

Beim Geschichtenerzählen vergehen<br />

Zeit und Kilometer im Nu. Sei es eine<br />

etwas unheimliche Waldgeschichte, sei<br />

es eine ganz neue und selber erfundene<br />

Geschichte, die von Kind zu Kind immer<br />

weiter gesponnen wird und Begegnungen<br />

unterwegs – Steine, Bäume, Häuser<br />

– mit einbezieht. Die Kin<strong>der</strong> vergessen<br />

dabei die Müdigkeit, stellen Fragen und<br />

finden Erklärungen im Rhythmus <strong>der</strong><br />

Schritte.<br />

Auch werden bekannte Figuren aus<br />

Büchern beim Spazieren lebendig. Zum<br />

Beispiel <strong>der</strong> in amüsanten Bil<strong>der</strong>n dargestellte<br />

Bär und die Josefine aus dem<br />

Bil<strong>der</strong>buch von Christiane Pieper. Die<br />

beschriebenen Bewegungsarten verlocken<br />

zum Nachahmen. Wie unterschiedlich<br />

doch dadurch die Fortbewegungsarten<br />

auf einem Spaziergang<br />

werden können: „Der dicke Bär zog<br />

kreuz und quer (und Josefine hinterher<br />

...), mal rückwärts ... mal vorwärts ... tollend<br />

und rollend ... mal leise ... mal<br />

springend ... sich schleppend ... und<br />

springend ... mal gerade ... mal krumm ...<br />

mal links- ... mal rechtsrum ... auf einem<br />

Bein ... auf zwei Bein` ... auf drei Bein`<br />

... auf vier Bein` ... auf fünf Bein`? Nein!<br />

Son<strong>der</strong>n vielmehr: kreuz und quer zog<br />

<strong>der</strong> Bär (und Josefine hinterher) (Piper,<br />

Christiane 1998).<br />

Auch naturkundliche Bücher können<br />

Spaziergänge bereichern und Ziele<br />

bestimmen. Das Buch „Entdeckungsreise<br />

in die Welt <strong>der</strong> Eiche“ verspricht<br />

Beobachtungen und viele Tierbegegnungen.<br />

Da braucht es keine großen<br />

Überredungskünste, die Kin<strong>der</strong> für eine<br />

Eichensafari zu gewinnen. Mit Knetmasse<br />

machen wir von <strong>der</strong> Rinde einen<br />

Abdruck, den wir zu Hause mit Gips<br />

ausgießen – ein Stück für unsere Natursammlung.<br />

Wie Bäume und Tiere fühlen<br />

Zum Beispiel wie die alte Eiche: „Sie ist<br />

eine richtige Großmutter unter den<br />

Bäumen. Könnte sie reden, sie wüsste<br />

sicher viele Geschichten zu erzählen.<br />

Aber was sage ich da – sie kann ja<br />

reden! Man muss nur die Sprache <strong>der</strong><br />

Bäume verstehen können. Und das wie<strong>der</strong>um<br />

ist ganz einfach: Man braucht<br />

nur gut zuzuhören! Stell dir vor, wie die<br />

Wurzeln <strong>der</strong> Eiche das Wasser aus dem<br />

Boden saugen. Stell dir vor, wie die<br />

Säfte durch den Stamm und die Äste<br />

und Zweige in die Blätter steigen. Jetzt<br />

stell dir vor, wie dieser Baum im Herbst<br />

aussieht. Hast du es? Jetzt stell dir vor,<br />

wie die Eiche sich fühlt, wenn <strong>der</strong> Wind<br />

durch ihre Krone pfeift und wenn <strong>der</strong><br />

Regen auf sie nie<strong>der</strong>prasselt ... Du<br />

meinst, sie fühlt sich sehr, sehr wohl<br />

dabei? Siehst du, jetzt hat sie zu dir<br />

gesprochen!“ (abgeän<strong>der</strong>t nach Erwin<br />

Moser 1998)<br />

Zwischenhinein braucht es abwechslungsreiche<br />

Pausen. An Orten, die zum<br />

Sammeln von Naturgegenständen und


zum Einrichten von Zwergenwohnungen einladen. Steine<br />

verwandeln sich in Käfer, bewegen sich über den Waldboden<br />

und suchen einen Untergrund, <strong>der</strong> ihrer Färbung entspricht.<br />

Wer findet sie?<br />

Wir sind Förster und Blumenbin<strong>der</strong>innen!<br />

Heute sind wir Förster. Wir suchen mit unseren Kin<strong>der</strong><br />

Ahorn-, Buchen- o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Bäume, unter denen im Frühling<br />

sehr viele Keimlinge heranwachsen. Neben den Nasenzwickern<br />

des Ahornbaumes o<strong>der</strong> den stacheligen Fruchtbechern<br />

<strong>der</strong> Rotbuche finden wir die Samen, die bereits eine<br />

Wurzel in die Erde „geschossen“ haben und ihre beiden<br />

Keimblätter entfaltet haben und dadurch zu „Schösslingen“<br />

geworden sind. Wir setzen die Keimlinge in mitgebrachte<br />

Blumentöpfe und tragen sie in unsere Spielbaumschule.<br />

Ein an<strong>der</strong>s Mal sind wir Blumenbin<strong>der</strong>innen: Wir pflücken in<br />

<strong>der</strong> Wiese o<strong>der</strong> am Waldrand einen ganz beson<strong>der</strong>en Blumenstrauß.<br />

Im Strauß soll nur eine Pflanze von je<strong>der</strong> Art<br />

vorkommen. Erstaunlich, je genauer wir hinschauen, finden<br />

wir immer noch eine neue Pflanze, die wir noch nicht haben<br />

– welch verschieden geformte Blätter und Blüten!<br />

Woher kommen all diese verschiedenen<br />

Pflanzen?<br />

Je<strong>der</strong> bekommt eine kleine Pappdose mit Deckel in die Hand.<br />

Was mag wohl in dieser Dose versteckt sein? Wir fangen<br />

gleich an zu schütteln. Dem Klang nach muss es etwas hartes<br />

sein, aber doch nicht so hart wie ein Stein. Durch<br />

langsames Herumdrehen finden wir heraus, dass es etwas<br />

Eckiges sein muss, weil <strong>der</strong> Gegenstand nicht rollt, etwas<br />

Längliches, das auf einer Seite verdickt ist. Erstaunlich, wie<br />

man Formen hören kann. Mit geschlossenen Augen öffnen<br />

wir nun die Dose und ertasten den Gegenstand mit den Fingern.<br />

Er ist, wie wir gehört haben, hart, klein, etwas länglich<br />

und auf <strong>der</strong> einen Seite etwas spitz. Er hat zwei Kanten und<br />

zwei abgeflachte Seiten. Wir öffnen die Augen: es ist ein<br />

Sonnenblumenkern.<br />

Je<strong>der</strong> schaut sich seinen Kern genau an. Je<strong>der</strong> hat ein an<strong>der</strong>es<br />

schwarz-weiß gestreiftes Muster. Je<strong>der</strong> Kern ist ein Individuum<br />

für sich. Obwohl je<strong>der</strong> <strong>der</strong> gleichen Pflanzenart<br />

angehört. Aber sind sie wirklich alle so unterschiedlich, dass<br />

ich unter all den an<strong>der</strong>en Kernen meinen wie<strong>der</strong> herausfinde?<br />

Wir wollen es ausprobieren und geben unsere Kerne in<br />

an<strong>der</strong>e Hände. Sie wan<strong>der</strong>n im Kreis und kreuz und quer. Da<br />

hat die erste ihren Kern wie<strong>der</strong>gefunden. Das ist erstaunlich.<br />

Später kann je<strong>der</strong> seinen Sonnenblumenkern in einen mit<br />

Erde gefüllten Topf geben. Was wird geschehen?<br />

Literatur<br />

Kin<strong>der</strong> für die Natur begeistern / 39<br />

Behnd, K; Hasler, E. 1988: Im Traum kann ich fliegen.<br />

Dieckmann, M. 1981: Die Sonnenblume. Heinrich Ellermann Verlag,<br />

München<br />

Jensen, V. A. 1986: Was ist das? Sauerlän<strong>der</strong> Verlag, 6. Auflage, Frankfurt<br />

Kellog, St. 1979: Malwine in <strong>der</strong> Badewanne. Friedrich Oetinger Verlag,<br />

Hamburg<br />

Moser, E. 1998: Der Roboter Max und an<strong>der</strong>e Geschichten. Beltz & Gelberg,<br />

Weinheim und Basel<br />

Pieper, Chr. 1998: Kreuz und quer Josefine und <strong>der</strong> Bär. Peter Hammer<br />

Verlag, Wuppertal<br />

Ravensburger Brandt, K. 1981: Raupengeschichten. Atlantis Verlag Zürich<br />

Singeisen-Schnei<strong>der</strong>, V. 1989: 1001 Entdeckung – Natur erleben durchs<br />

ganze Jahr. Orell Füssli Verlag.<br />

Streeter, D.; Lewington, R. 1994: Entdeckungsreise in die Welt <strong>der</strong> Eiche.<br />

Kin<strong>der</strong>buchverlag Luzern<br />

Yazima, M. 1981: Die Ameisen. Carlsen Verlag GmbH, Hamburg<br />

Dr. Verena Singeisen-Schnei<strong>der</strong><br />

Studium <strong>der</strong> Biologie, Ausbildung in Organisations- und<br />

Schulentwicklung. Ist mitverantwortlich für ökologische<br />

Fragen bei den Reformierten Kirchen Bern-Jura, Entwicklung<br />

und Leitung <strong>der</strong> ProjektStatt, Lehraufträge an <strong>der</strong><br />

Berufschule Bern und am Pädagogischen Institut des Kantons<br />

Basel-Stadt


Petra Lindemann-Matthies<br />

Vielfalt am Schulweg<br />

„Haben Sie sich schon einmal über die Weiße Fetthenne, ein<br />

kleines, unscheinbares Pflänzchen mit weißen Blüten und<br />

dicken Blättern, gewun<strong>der</strong>t, das sich in kleinen Mauerritzen<br />

festhalten und dort gedeihen kann? O<strong>der</strong> haben Sie sich diesen<br />

Frühling über eine Kohlmeise gefreut, die mit Ästchen im<br />

Schnabel auf Nestbau ging? O<strong>der</strong> einfach über eine pfeifende<br />

Amsel auf <strong>der</strong> Baumkrone im nächsten Garten? Es gibt<br />

viele kleine Dinge in <strong>der</strong> Natur, an denen wir häufig achtlos<br />

vorbeigehen. Und dennoch: was wäre eine nackte Mauer<br />

ohne farbige Flechten und emsige Spinnen, ein Straßenrand<br />

ohne Gänseblümchen, gelben Löwenzahn und flinke Ameisen?“<br />

(Lehrkraft aus <strong>der</strong> Schweiz)<br />

Vielfalt am Schulweg entdecken – ja wozu?<br />

Der zunehmende Verlust an Biodiversität hat dazu geführt,<br />

dass <strong>der</strong> Einbezug formenkundlicher Themen in den Schulunterricht<br />

wie<strong>der</strong> vermehrt diskutiert wird (Mayer 1992,<br />

Crisci et al. 1993). Es wird vermutet, dass Menschen den<br />

Verlust an biologischer Vielfalt nur dann <strong>als</strong> Problem empfinden,<br />

wenn sie vorher Pflanzen und Tiere kennen und<br />

schätzen gelernt haben (Weilbacher 1993). Grundschulkin<strong>der</strong><br />

sind dabei eine wichtige Zielgruppe, da vor allem jüngere<br />

Kin<strong>der</strong> ein beson<strong>der</strong>es Interesse an Pflanzen und Tieren<br />

zeigen (Löwe 1992). Zudem hat ein Reihe von Studien gezeigt,<br />

dass ein häufiger und unbelasteter Kontakt zur Natur<br />

während <strong>der</strong> Kindheit für eine positive Einstellung zur Natur<br />

sowie für ein naturschützerisches Verhalten sehr wichtig ist<br />

(u. a. Berck und Klee 1992, Palmer 1993, Chawla 1998).<br />

Nur auf <strong>der</strong> Grundlage von Taxonomie und Systematik kann<br />

Artenvielfalt erkannt und gemessen werden. Beide Gebiete<br />

sind aber in <strong>der</strong> Forschung seit längerem nicht mehr im<br />

Trend (Cotterill 1997). Dies hat sich auch in <strong>der</strong> Biologiedidaktik<br />

nie<strong>der</strong>geschlagen und bewirkt, dass die schulische<br />

Beschäftigung mit Arten und ihrer Vielfalt <strong>als</strong> antiquierte<br />

Tätigkeit angesehen wird (Mayer 1996). Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />

haben deshalb heutzutage in <strong>der</strong> Schule nur wenig<br />

Gelegenheit, Arten in <strong>der</strong> Natur kennen zu lernen und zu<br />

erforschen (Pfligersdorffer 1991). Sie wissen wenig über bedrohte<br />

und geschützte Pflanzen und Tiere und kennen<br />

Organismen eher aus Schulbüchern <strong>als</strong> aus <strong>der</strong> eigenen<br />

Anschauung (Trommer 1980, Hesse 1984, Paraskevopoulos<br />

et al. 1998). Dies erklärt möglicherweise, warum in Umfragen<br />

das Problem des Artenrückganges <strong>als</strong> weniger wichtig<br />

<strong>als</strong> an<strong>der</strong>e Umweltprobleme eingestuft wird (Lehmann und<br />

Gerds 1991, Gigliotti 1994).<br />

<strong>Umweltbildung</strong> kommt eine Schlüsselrolle für einen nachhaltigen<br />

Schutz <strong>der</strong> Natur zu. Ziel sollte es sein, Menschen<br />

so für die Natur zu sensibilisieren, dass daraus letztendlich<br />

ein Verhalten resultiert, das zur Erhaltung biologischer Vielfalt<br />

beiträgt. Unterricht im Sinne <strong>der</strong> Erhaltung biologischer<br />

Vielfalt sollte Schülerinnen und Schüler zu aktiv Entdeckenden<br />

machen, die auf lustvolle Art und Weise Lebewesen in<br />

ihrer unmittelbaren Umgebung kennen, schätzen und<br />

schützen lernen. Im Folgenden möchte ich anhand eines<br />

Fallbeispieles („Natur auf dem Schulweg“) illustrieren, wie<br />

man Kin<strong>der</strong> und Jugendliche im Rahmen eines schulischen<br />

Bildungsprogrammes für die Natur sensibilisieren kann.


Vielfalt am Schulweg<br />

entdecken – aber wie?<br />

Zum Europäischen Naturschutzjahr<br />

1995 lancierte <strong>der</strong> Schweizerische Bund<br />

für Naturschutz (Pro Natura) das Unterrichtsprogramm<br />

„Natur auf dem Schulweg“,<br />

das von mir wissenschaftlich<br />

begleitet wurde. Unter dem Motto“ „Die<br />

Kin<strong>der</strong> da abholen, wo sie sind“ sollte<br />

dabei <strong>der</strong> tägliche Schulweg zum<br />

Thema gemacht werden. Das Naturerleben<br />

von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen sollte<br />

geför<strong>der</strong>t werden, ihre Wahrnehmung<br />

von Arten und Artenvielfalt und<br />

die Toleranz und das Interesse für einheimische<br />

Pflanzen und Tiere im Siedlungsraum.<br />

Zwischen März und Juli<br />

1995 nahmen rund 14.000 Kin<strong>der</strong> und<br />

Jugendliche aus <strong>der</strong> Schweiz an dem<br />

Unterrichtsprogramm teil.<br />

„Die Naturkunde-Lehrbücher berichten<br />

fast immer nur in groben Zügen von einzelnen<br />

Tier- und Pflanzengattungen und<br />

-familien. Die interessanten Details, die<br />

sich erzählen, vorführen, selber erforschen<br />

und beobachten lassen, fehlen<br />

häufig.“ (Lehrer aus <strong>der</strong> Schweiz)<br />

In diesem Sinne wurde eine anschauliche<br />

Unterrichtshilfe konzipiert - vorwiegend<br />

für die dritte bis siebte Klassenstufe<br />

– und an interessierte Lehrkräfte<br />

verschickt (SBN 1995). In ihr<br />

werden Themen wie Mauerfugen- und<br />

Pflasterritzen-Pflanzen, Flechten und<br />

Moose, pflanzliche Kletterkünstler, einheimische<br />

und fremdländische Pflanzen,<br />

Amseln und Spatzen, Insekten,<br />

Schnecken und Würmer behandelt und<br />

vielfältige Möglichkeiten für einen<br />

handlungsorientierten, ganzheitlichen<br />

Unterricht vor allem im Freien aufgezeigt.<br />

Auf Entdeckungsreise<br />

vor <strong>der</strong> Haustür<br />

In den meisten Klassen fing das Projekt<br />

damit an, dass die Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen<br />

den Auftrag bekamen, ihren<br />

Schulweg abzulaufen und dabei beson<strong>der</strong>s<br />

auf die dort vorkommenden Pflanzen<br />

und Tiere zu achten. Später zeichneten<br />

sie ihren Schulweg und trugen in<br />

die Zeichnungen ein, welche Tiere und<br />

Pflanzen ihnen dort begegnet waren.<br />

Ein Natur-ABC<br />

Einige Klassen entwickelten „Schulweg-<br />

ABCs“ – die Schülerinnen und Schüler<br />

suchten auf ihrem Schulweg nach<br />

Pflanzen o<strong>der</strong> Tieren, die mit den verschiedenen<br />

Buchstaben des Alphabets<br />

begannen, um sie später im Klassenzimmer<br />

zu präsentieren – zum Beispiel<br />

in Form einer Zeichnung, <strong>als</strong> getrocknete<br />

Pflanze o<strong>der</strong> Schneckenhäuschen.<br />

Die Kin<strong>der</strong> nahmen ihren Auftrag sehr<br />

ernst; ein Kind brachte zum Entsetzen<br />

einer Lehrerin beim Buchstaben H ein<br />

Huhn mit in die Klasse.<br />

Schulweg-ABC: „Trage auf einer ABC-<br />

Liste sämtliche Dinge ein, denen du<br />

begegnest: A: Ameise, B: Bäckerei, C:<br />

„Chriesibaum“ usw. Die Liste wird über<br />

Wochen geführt. Was du auf dem<br />

Schulweg findest und mitnehmen<br />

darfst (Abfall, Moos, Rinde, Sand, Steine,<br />

Zweige etc.) stellst du aus. Gestalte<br />

in einer niedrigen Schachtel o<strong>der</strong> auf<br />

einem Holzbrett mit den Funden deinen<br />

Schulweg.“<br />

Nahezu alle Lehrkräfte gingen mit ihren<br />

Klassen häufig nach draußen. Der<br />

Schulweg wurde intensiv erforscht,<br />

photographiert, gemeinsam abgelaufen<br />

und in Gedanken neu gestaltet. Die Kin<strong>der</strong><br />

suchten Lieblingsplätze, erstellten<br />

Geräuschkarten, dichteten und führten<br />

Vielfalt am Schulweg / 41


42<br />

/ Vielfalt am Schulweg<br />

Tagebücher, in die sie täglich ihre<br />

Naturbeobachtungen eintrugen. Die<br />

Kin<strong>der</strong> beobachteten Pflanzen und<br />

Tiere, zeichneten und bestimmten sie<br />

und führten kleine Experimente durch.<br />

Geräusche zeichnen<br />

In <strong>der</strong> Unterrichthilfe S. 4: „Viele Geräusche<br />

auf dem Schulweg nimmst du nicht<br />

bewusst wahr, bist vielleicht noch<br />

schläfrig, in Gedanken versunken o<strong>der</strong><br />

unterhältst dich mit an<strong>der</strong>en. Versuche<br />

einmal, auf dem ganzen Weg möglichst<br />

nicht zu reden. Schreib alle Geräusche<br />

auf. Welche Geräusche sind natürlich,<br />

welche nicht? Welche sind alltäglich,<br />

welche einmalig? Welche Geräusche<br />

hörst du immer an <strong>der</strong> gleichen Stelle?“<br />

Einige Lehrkräfte haben die Schulkin<strong>der</strong><br />

anstelle von Worten die Geräusche<br />

„aufmalen“ lassen – <strong>als</strong> Geräuschekarte.<br />

Nicht alle Tiere hatten das Glück, gleich<br />

wie<strong>der</strong> freigelassen zu werden. Einige<br />

Klassen holten die Natur auch in ihr<br />

Klassenzimmer. Sie sammelten zum<br />

Beispiel Schnecken, hielten sie in<br />

Gefäßen und beobachteten ihr Verhalten.<br />

Natur im Rahmen<br />

Der Höhepunkt des ganzen Projektes<br />

war die NaturGalerie. Im Mai 1995<br />

suchten sich die Kin<strong>der</strong> jeweils ein<br />

Naturobjekt aus, das sie auf ihrem täglichen<br />

Schulweg beson<strong>der</strong>s schätzten.<br />

Vor dieses stellten o<strong>der</strong> hängten sie<br />

dann einen selbst gebauten und oftm<strong>als</strong><br />

schön verzierten Rahmen – <strong>als</strong> Natur-<br />

Galerie. Die Kin<strong>der</strong> hatten sehr viel<br />

Freude daran, obwohl einige Probleme<br />

hatten, ihren Rahmen zu befestigen.<br />

Ganz schwierig wurde es für sie, wenn<br />

sie Tiere einrahmen und diese auch<br />

noch beobachten und zeichnen wollten.<br />

So beklagte ein siebenjähriger Bub, dass<br />

es sehr schwierig war „... die Enten, die<br />

ich eingerahmt hatte, zu beobachten<br />

und zu zeichnen. Sie wollten nie in meinen<br />

Rahmen kommen und kehrten<br />

immer wie<strong>der</strong> um.“<br />

Während einer Woche standen die<br />

Schülerinnen und Schüler immer wie<strong>der</strong><br />

bei ihren Rahmen und erklärten an<strong>der</strong>en<br />

Kin<strong>der</strong>n, Eltern o<strong>der</strong> interessierten<br />

Passantinnen und Passanten, was sie<br />

eingerahmt hatten und weshalb sie ihr<br />

Objekt ausgewählt hatten. Die Kin<strong>der</strong><br />

und Jugendlichen versuchten auf diese<br />

Weise, die Wahrnehmung von Erwachsenen<br />

für die Vielfalt <strong>der</strong> Pflanzen und<br />

Tiere im Siedlungsraum zu erhöhen und<br />

eine grössere Akzeptanz für oft unscheinbare<br />

Arten zu erzielen.<br />

Eine Vielzahl von Pflanzen und Tieren<br />

wurde während <strong>der</strong> NaturGalerie eingerahmt.<br />

Am beliebtesten waren Löwenzahn,<br />

Efeu, Ameisenhaufen, Ahorn, Flie<strong>der</strong>,<br />

Brennnesseln, Hahnenfuß, Gänseblümchen,<br />

Margeriten und Rosen. Viele<br />

Lehrkräfte betonten, nicht in die Wahl<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> eingegriffen zu haben. Ihnen<br />

war es wichtiger, den Blick <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

überhaupt auf die Natur am Schulweg<br />

zu lenken <strong>als</strong> auf bestimmte einzelne<br />

Arten. Die Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen<br />

zeigten während <strong>der</strong> NaturGalerie vor<br />

allem ästhetische Präferenzen für die<br />

Natur. Sie waren aber auch fasziniert<br />

von unscheinbaren Arten und Arten an<br />

beson<strong>der</strong>en Standorten und wollten sie<br />

mit Hilfe ihrer Aktion schützen. So<br />

schrieb ein 13-jähriges Mädchen: „Ich<br />

habe einen Ahorn eingerahmt. Der<br />

Ahorn wächst aus einem Eisen. Ich<br />

finde es unglaublich, dass ein Ahorn aus<br />

einem Eisen wächst. Ich glaubte am<br />

Anfang meinen Augen nicht zu trauen.“<br />

Ein neunjähriger Bub schrieb: „Ich will<br />

den Löwenzahn schützen, weil unser<br />

Hauswart ein chemisches Mittel gespritzt<br />

hat, damit die Blumen welken.“


Vielfalt am Schulweg entdecken – ein Erfolg<br />

Die wissenschaftliche Begleituntersuchung, an <strong>der</strong> mehr <strong>als</strong><br />

6000 Kin<strong>der</strong> aus 359 Klassen teilnahmen, zeigte, dass das<br />

Unterrichtsprogramm „Natur auf dem Schulweg“ bei Lehrkräften<br />

und ihren Schulkin<strong>der</strong>n gleichermaßen beliebt war<br />

(Lindemann-Matthies 1999). Den Kin<strong>der</strong>n gefiel beson<strong>der</strong>s<br />

die schulische Beschäftigung mit Pflanzen und Tieren, das<br />

aktive Beobachten, Entdecken und Erforschen dieser Arten –<br />

und zwar beson<strong>der</strong>s draussen. Kin<strong>der</strong> aller Altersgruppen<br />

schätzten die NaturGalerie, die ihnen die Möglichkeit gab,<br />

sich zu bewegen, sich mit Pflanzen und Tieren auseinan<strong>der</strong><br />

zu setzen und ihre Vorlieben für bestimmte Lebewesen<br />

an<strong>der</strong>en mitzuteilen. Auch waren sie stolz darauf, etwas<br />

gelernt zu haben bei dem Projekt – ein deutliches Zeichen<br />

einer gelungenen Motivation. Die Lehrkräfte gaben dem<br />

Programm sehr gute Noten. Dabei war die Beurteilung des<br />

Programmes durch die Lehrkräfte umso besser, je größer <strong>der</strong><br />

Lernerfolg ihrer Klasse war. Die sehr positive Beurteilung<br />

von Aktivitäten „auf dem Schulweg“ durch Lehrkräfte und<br />

Schulkin<strong>der</strong> unterstützt die For<strong>der</strong>ung, dass Lehrkräfte das<br />

direkte Umfeld ihrer Schulen stärker für den Unterricht nutzen<br />

sollten.<br />

Nun werden Städte oft <strong>als</strong> ungeeignete Orte für Naturuntersuchungen<br />

angesehen, obwohl selbst in großen Städten<br />

wie Zürich zum Beispiel über 1200 Wildpflanzen- und fast<br />

100 Brutvogelarten vorkommen. Lehrkräfte in ländlichen<br />

und in städtischen Gebieten führten ähnliche Aktivitäten<br />

durch und sahen zu einem ähnlichen Prozentsatz das Programm<br />

<strong>als</strong> erfolgreich an.<br />

Während des Projektes wurde beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Blick für einheimische,<br />

oft unscheinbare Arten geschult, aber auch für<br />

<strong>der</strong>en Lebensräume. Die Kin<strong>der</strong> nahmen nach dem Unterrichtsprogramm<br />

mehr einheimische Wildpflanzen, Insekten,<br />

Spinnentiere, Schnecken und Würmer wahr und lernten<br />

auch neue, ihnen vorher unbekannte Pflanzen und Tiere<br />

kennen. Gleichzeitig waren sie nach dem Programm häufiger<br />

in <strong>der</strong> Lage, Pflanzen und Tiere korrekt zu benennen.<br />

Auch stand ihre Einschätzung, wie viele Pflanzen und Tiere<br />

es auf dem Schulweg gibt, in engem Zusammenhang mit<br />

<strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Arten, die sie kannten. Das könnte bedeuten,<br />

dass Kin<strong>der</strong> erst Arten kennen lernen müssen, bevor sie ein<br />

Gefühl für Biodiversität bekommen. Je mehr Zeit für das<br />

Programm aufgewendet wurde (im Mittel waren es<br />

17 Unterrichtsstunden), desto grösser war <strong>der</strong> Lernerfolg<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und desto beliebter das Programm. Dies bedeu-<br />

Vielfalt am Schulweg / 43<br />

tet, dass die Bemühungen <strong>der</strong> Lehrkräfte belohnt wurden<br />

(Lindemann-Matthies 2002).<br />

Kin<strong>der</strong> mögen Garten- und Zierpflanzen, Haustiere und exotische<br />

Tiere. Die Teilnahme am Unterrichtsprogramm erhöhte<br />

aber die Wertschätzung einheimischer Wildpflanzen und<br />

-tiere. Je mehr Wildpflanzen und Wildtiere die Kin<strong>der</strong> in<br />

ihrem unmittelbaren Umfeld wahrnahmen und benennen<br />

konnten, desto eher fanden sie eines dieser Lebewesen auch<br />

beson<strong>der</strong>s schön, und je mehr Wildpflanzen sie durch das<br />

Unterrichtsprogramm dazu lernten, desto eher fanden sie<br />

eine dieser Pflanzen beson<strong>der</strong>s schön. Dies deutet darauf<br />

hin, dass Menschen Arten erst kennen lernen müssen, bevor<br />

sie eine Beziehung zu ihnen entwickeln und wertschätzen<br />

können.<br />

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Unterrichtsprogramm<br />

„Natur auf dem Schulweg“ sowohl die<br />

Wahrnehmung und Wertschätzung <strong>der</strong> örtlichen Flora und<br />

Fauna <strong>als</strong> auch das Gefühl für die Häufigkeit und Vielfalt<br />

von Lebewesen erhöhte. Lehrkräfte sollten deshalb ermutigt<br />

werden, mehr Gebrauch von Unterrichtsansätzen zu<br />

machen, die das aktive Erforschen <strong>der</strong> direkten Umwelt<br />

durch die Kin<strong>der</strong> för<strong>der</strong>n. Wie die Ergebnisse <strong>der</strong> vorliegenden<br />

Untersuchung zeigen, ist dieser Ansatz auch in Städten<br />

erfolgreich. Umwelterziehungsprogramme können zu einem<br />

besseren Verständnis von Biodiversität beitragen, zu einer<br />

stärkeren Wertschätzung <strong>der</strong> einheimischen Flora und<br />

Fauna führen und somit einen kleinen, aber wichtigen Beitrag<br />

zur Erhaltung von Biodiversität leisten – o<strong>der</strong> in den<br />

Worten eines <strong>der</strong> beteiligten Kin<strong>der</strong> ausgedrückt:<br />

„Das Naturprojekt ist eines <strong>der</strong> schönsten Projekte, die wir<br />

bisher unternommen haben. Es wird wohl nicht leicht werden,<br />

die Leute im Dorf zu überzeugen, dass man etwas für die<br />

Natur tun sollte. Aber ich werde nicht locker lassen, bis sie es<br />

endlich begreifen. Es ist faszinierend, was man alles auf dem<br />

Schulweg entdecken kann. Jetzt finde ich nämlich den<br />

Schulweg viel interessanter <strong>als</strong> vorher. Ich habe schon viele<br />

Blumen entdeckt, die ich zuvor nie beachtete. Darum sollte<br />

man ernst etwas tun, um die Natur zu erhalten, denn wenn<br />

man jetzt nichts tut, wird die Natur von den Leuten zerstört.<br />

Es wird noch viel schlimmer, wenn es nämlich keine Bäume<br />

und Pflanzen gibt, können die Tiere nicht mehr leben. Mit <strong>der</strong><br />

Zeit gibt es keine Tiere und auch keine Pflanzen mehr, nur<br />

noch Menschen, und das wäre sehr schade.“<br />

(Schülerin aus <strong>der</strong> Schweiz)


44<br />

/ Vielfalt am Schulweg<br />

Literatur<br />

Berck, K.-H., Klee, R. 1992. Interesse an Tier- und Pflanzenarten und<br />

Handeln im Natur-Umweltschutz. Peter Lang, Frankfurt/M.<br />

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ökologischen Handelns. In: Eulefeld, G.; Bolscho, D.; Seybold, H.<br />

(Hrsg.): Umweltbewusstsein und Umwelterziehung (23-35) IPN,<br />

Kiel.<br />

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everyday life and their preferences for species. Dissertation, Universität<br />

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knowledge of elementary school students in Greece. The Journal<br />

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Weilbacher, M. 1993. The renaissance of the naturalist. The Journal of<br />

Environmental Education 25(1): 4-7.<br />

Dr. Petra Lindemann-Matthies<br />

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Umweltwissenschaften<br />

<strong>der</strong> Universität Zürich und leitet dort die<br />

Arbeitsgruppe in <strong>Umweltbildung</strong>. Im Rahmen ihrer Dissertation<br />

hat sie das von „Pro Natura“ zum Europäischen Naturschutzjahr<br />

1995 lancierte <strong>Umweltbildung</strong>sprojekt „Natur<br />

auf dem Schulweg“ wissenschaftlich begleitet.


Birgit Wanker<br />

„Von blauen Kartoffeln<br />

und gestreiften Tomaten“<br />

Eine Führung durch den Schaugarten <strong>der</strong> Arche Noah<br />

beim Schloss Schiltern<br />

Eine Teilnehmerin ließ sich von den Eindrücken<br />

des Gartens verzaubern:<br />

Treten Sie ein in den Garten ...<br />

Gerade noch umgeben von <strong>der</strong> Unruhe <strong>der</strong> Stadt und den<br />

Autobahnen, begrüßt uns <strong>der</strong> Garten mit einer Gelassenheit<br />

und Ruhe, die ansteckend ist.<br />

Vor uns liegen zwei Hektar ehemaliger „Kuchelgarten“,<br />

bestehend aus vier Quadranten, die ganz nach barocken<br />

Richtlinien an den Rän<strong>der</strong>n mit Buchs eingerahmt wurden.<br />

Hinter uns ist die Wucht des barocken Schlosses zu spüren.<br />

Das Gebäude ist nur durch eine schmale Straße vom Garten<br />

getrennt.<br />

Die rund 400 seltenen Kulturarten wurden nach ihrer<br />

geschichtlichen Entwicklung geglie<strong>der</strong>t. Beginnend mit den<br />

Ur- und Frühformen im ersten Quadranten, über die mittelalterlichen<br />

Heil- und Klosterpflanzen, folgen Pflanzen aus<br />

<strong>der</strong> neuen Welt, die mit Christoph Kolumbus und seinen<br />

Seefahrerkollegen nach Europa kamen. Mit den so genannten<br />

Neuankömmlingen schließt sich <strong>der</strong> Kreis <strong>der</strong> Kulturpflanzengeschichte.<br />

Essbare Blüten<br />

Bevor wir in den ältesten Teil <strong>der</strong> menschlichen Kulturgeschichte<br />

eintauchen, wird uns eine schöne violette Malvenblüte<br />

gereicht (Marokkanische Malve) und unsere<br />

Führungsleiterin for<strong>der</strong>t uns auf, die Blütenblätter zu<br />

kosten. Verschränkte Hände tun sich auf, um die Blüte entgegenzunehmen<br />

und nach anfänglicher Skepsis kauen fast<br />

alle an dem samtigen Blatt. Es hat eine leicht schleimige<br />

Konsistenz und entspannt auf angenehme Art den Magen.<br />

Wie wenig neugierig wir doch geworden sind – skeptisch,<br />

begrenzt in unserer Nutzungsweise, weil wir oft nicht mehr<br />

um die Wirkung <strong>der</strong> Pflanzen Bescheid wissen. Es gibt auch<br />

giftige Blüten wie die des Eisenhutes und des Rittersporns.<br />

Viele Blüten sind jedoch genießbar, wie jene <strong>der</strong> Taglilie<br />

o<strong>der</strong> die des Borretsch. Lei<strong>der</strong> finden viel zu wenig Platz in<br />

unserer Küche.<br />

Zufluchtstätte für seltene Insektenarten<br />

Eine drei Zentimeter große Holzbiene schwirrt durch den<br />

Garten. Wie magisch angezogen von dem amberartigen<br />

Geruch und <strong>der</strong> Blütenfarbe des Muskatellersalbeis. Wenn<br />

die Biene kurz auf <strong>der</strong> Blüte ruht, klappen vom oberen Teil<br />

<strong>der</strong> Blüte die Staubblätter nach unten und laden ein Paket<br />

mit Pollen auf den Rücken <strong>der</strong> Holzbiene.<br />

Insekten spielen eine wichtige Rolle beim Transport des Pollens.<br />

Aber hier im Vereinsgarten ist diese Art <strong>der</strong> Bestäubung<br />

nicht immer erwünscht. Beim Kürbis zum Beispiel ist<br />

beson<strong>der</strong>e Vorsicht geboten, da es leicht zu Verkreuzungen<br />

zwischen verschiedenen Sorten <strong>der</strong>selben Art kommen<br />

kann. Damit ist die Sortenreinheit nicht mehr gewährleistet.


46<br />

/ Von blauen Kartoffeln und gestreiften Tomaten<br />

In diesem Fall ist es wichtig, durch Handbestäubung den<br />

emsigen Insekten zuvorzukommen, damit die typische Sorteneigenschaft<br />

erhalten bleibt. Nichtsdestotrotz sind Insekten<br />

hier im Garten gern gesehen und die Vielzahl an Pflanzen<br />

und Gerüchen lockt auch viele bedrohte Insektenarten.<br />

Ur- und Frühformen<br />

Unsere Reise durch die Zeitgeschichte führt uns zu einem<br />

<strong>der</strong> ältesten Begleiter <strong>der</strong> Menschheit, dem Getreide. Die<br />

Entwicklung vom Einkorn über Emmer, Dinkel und Weizen<br />

wird im ersten Quadranten gezeigt. Unzählige Ampfersorten<br />

wie die Gemüsemalve, <strong>der</strong> Rote Meyer (eine Amaranthart),<br />

sowie Meldevarietäten bereicherten dam<strong>als</strong> den Speisezettel<br />

– <strong>als</strong> Spinat o<strong>der</strong> Salat genutzt. Der Übergang vom Sammeln<br />

<strong>der</strong> Wildformen hin zur bewussten Kultivierung <strong>der</strong><br />

Pflanzen war vielfach fließend. Neue Gemüsearten (z. B.<br />

Kartoffel, Spinat ...), aber auch Geschmack und Ernährungsgewohnheiten<br />

schoben viele Gemüsearten wie den Ampfer<br />

und die Melde in den Hintergrund.<br />

Nutzpflanzen aus dem Mittelalter<br />

Im zweiten Quadranten des Gartens finden sich Färbe- und<br />

Faserpflanzen sowie Heil- und Gewürzpflanzen, die in mittelalterlichen<br />

Klostergärten kultiviert wurden. Eine Palette<br />

aus Farb- und Geruchseindrücken strömt auf uns ein, berauscht<br />

die Sinne und führt uns an <strong>der</strong> Nase herum. Jedem<br />

Geruch folgt ein Impuls, eine Ungeduld seinem Ursprung<br />

auf die Spur zu kommen.<br />

Aufregung und kindliche Verzückung macht sich in <strong>der</strong><br />

Gruppe breit. Ist es nun Lavendelthymian o<strong>der</strong> Thymianlavendel,<br />

handelt es sich wirklich um Basilikum, wenn man<br />

Zimt o<strong>der</strong> Zitronengeruch in <strong>der</strong> Nase hat? Verlässt man<br />

sich allein auf die Nase ist die Frage oft schwer zu beantworten.<br />

Nicht nur <strong>der</strong> Geschmack, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> Duft<br />

und die Lust an <strong>der</strong> Ästhetik machen Vielfalt zu einem<br />

Erlebnis. Vielfalt ist lebendig, macht neugierig, kreativ und<br />

hungrig.<br />

Gemüse – bunt wie <strong>der</strong> Regenbogen<br />

Bohnen, Sonnenblumen, Kürbisse und Tomaten geizen nicht<br />

mit ihren Früchten. 600 verschiedene Tomatensorten birgt<br />

die Sammlung <strong>der</strong> Arche Noah. Davon werden 30 bis 50<br />

Sorten im Garten angebaut, mit einer großen Geschmacks-,<br />

Formen- und Farbenvielfalt. Gelbe, weiße, orange,<br />

grün-gestreifte, behaarte, gerippte, fleischige, hohle und<br />

fruchtig-süße Sorten geben sich ein Stelldichein. Beschämend<br />

wirkt da die Auswahl an Tomaten im Supermarkt.<br />

Der Handel trifft strenge Übereinkommen in Form, Größe,<br />

Klasseneinteilung, Farbe und Gesundheit und sieht diese<br />

Kriterien allein <strong>als</strong> Qualitätsmerkmale an. Der Geschmack<br />

bleibt meist auf <strong>der</strong> Strecke. Der Konsument von heute hat<br />

sich den Bedürfnissen des Marktes untergeordnet und hat<br />

nicht mehr so direkt wie früher Einfluss auf die Entwicklung<br />

von Kulturpflanzen. Hausgärten bilden da Oasen, die Platz<br />

für Individualität, Standortanpassung und persönliche<br />

Bedürfnisse zulassen. Kulturpflanzenvielfalt ist durch Nutzung<br />

entstanden und kann auch durch Nutzung am besten<br />

erhalten werden.<br />

Die „Neuen“ kommen oft von weit her<br />

Im letzten Teil des Gartens wachsen unzählige Minzesorten.<br />

Wir kosten vom Süßholz und berühren die aromatischen<br />

Blätter <strong>der</strong> Zitronenverbene. Wir schmecken das reife, süße<br />

Aroma von Tomaten und die betäubende Wirkung <strong>der</strong> Parakresse.<br />

Unsere Augen können sich nicht satt sehen an <strong>der</strong><br />

Formen- und Farbenfülle <strong>der</strong> zum Teil exotisch anmutenden<br />

Pflanzen.<br />

Der Abschied vom Garten fällt schwer. Es gäbe noch so viel<br />

zu erkunden, zu entdecken und auszutauschen. Doch es gibt<br />

die Möglichkeit, Pflanzen und Saatgut mitzunehmen, um<br />

die Idee <strong>der</strong> Arche Noah auch in unseren Gärten weiterleben<br />

zu lassen. Auf dem Heimweg stelle ich fest, dass die<br />

Arche Noah in mir ein paar Samen fallen gelassen hat. Sie<br />

sind auf fruchtbarem Boden gelandet.


Der Garten <strong>der</strong> Arche Noah<br />

Im nie<strong>der</strong>österreichischen Ort Schiltern, nahe <strong>der</strong> traditionellen<br />

Weinstadt Langenlois, liegt <strong>der</strong> Schaugarten <strong>der</strong><br />

Arche Noah. Die klimatische Lage an <strong>der</strong> Grenze zwischen<br />

Wald- und Weinviertel und die Einbettung des Gartens in ein<br />

barockes Ambiente geben <strong>der</strong> Anlage das unverwechselbare<br />

Flair.<br />

Es handelt sich um rund zwei Hektar Vereinsgelände, das die<br />

Gesellschaft zur Erhaltung und Verbreitung <strong>der</strong> Kulturpflanzenvielfalt,<br />

kurz „Arche Noah“, <strong>als</strong> Schaugarten und teilweise<br />

Vermehrungsgarten nutzt.<br />

Woher kommt diese Fülle an Saatgut?<br />

Es begann mit Bäuerinnen <strong>der</strong> Umgebung, die selten gewordenes<br />

Saatgut <strong>der</strong> Gegend sammelten. Die Idee fand so<br />

großen Anklang, dass sich bald <strong>der</strong> Verein für die Erhaltung<br />

und Verbreitung alter Kulturpflanzenvielfalt bildete. Nun<br />

kamen seltene Sorten aus allen Winkeln Österreichs und<br />

schließlich auch aus den angrenzenden Staaten zur Arche<br />

Noah. Vom Verein organisierte Sammelreisen in Nachbarlän<strong>der</strong><br />

und das Aufnehmen ausrangierter Handelssorten<br />

ergänzten die Sammlung alter Sorten.<br />

Die Arche Noah ist nicht nur eine Sammelstelle für im Handel<br />

nicht mehr erhältliche Pflanzen. Das beweist das jährlich<br />

erscheinende Sortenhandbuch. Rund 130 Mitglie<strong>der</strong> geben<br />

damit Saatgut weiter und stellen es für den Anbau zur Verfügung.<br />

Mit je<strong>der</strong> weitergegebenen Samenportion wächst<br />

die Hoffnung, dass die Sorte in so manchen Hausgärten weiter<br />

wachsen wird.<br />

Mit dem Saatgut wird gleichzeitig regionale Kulturgeschichte<br />

verbreitet. Die Idee ist, dass dieses Kulturerbe für je<strong>der</strong>mann<br />

verfügbar sein muss und nicht allein Eigentum von<br />

Saatgutkonzernen sein kann. Es handelt sich hier um<br />

zugängliche genetische Ressourcen und eine gelebte Vielfalt<br />

in unseren Gärten.<br />

Von blauen Kartoffeln und gestreiften Tomaten / 47<br />

Wozu brauchen wir diese Vielfalt an<br />

Kulturpflanzen?<br />

Die Ansprüche <strong>der</strong> Menschen an Kulturpflanzen wechseln<br />

und <strong>der</strong> tatsächliche Wert von „alten Sorten“ ist oft nicht auf<br />

den ersten Blick erkennbar. Wir wissen heute nicht, welche<br />

Eigenschaften unserer Nutzpflanzen in Zukunft einmal<br />

bedeutend sein werden für unsere Ernährung, für die Pflanzenzüchtung<br />

und die Landwirtschaft. Es wäre daher kurzsichtig<br />

zu glauben, auf die in Jahrtausenden entwickelte<br />

Nutzpflanzenvielfalt verzichten zu können.<br />

Darüber hinaus beinhaltet Kulturpflanzenvielfalt auch einen<br />

kulturellen Wert und bedeutet eine Vielfalt von Traditionen<br />

und Wissen über die einzelnen Sorten, über Anbau, Saatgutreinigung<br />

und Lagerung. Hier sieht die Arche Noah auch ihre<br />

Hauptaufgabe: das im Laufe <strong>der</strong> Zeit entstandene Wissen<br />

und die Erfahrungen zu sammeln, zu erweitern und Mitglie<strong>der</strong><br />

wie Interessenten daran teilhaben zu lassen.<br />

Anschrift:<br />

ARCHE NOAH Schaugarten<br />

Obere Straße 40,<br />

A-3553 Schiltern<br />

Kontaktadresse:<br />

Informationen über Öffnungszeiten und Veranstaltungen,<br />

Anmeldungen für Gruppen- und Kin<strong>der</strong>führungen bei<br />

Gabriele Wagner: Telefon +43 (0)2734/8626-18<br />

Arche Noah, 3553 Schiltern, Obere Straße 40 o<strong>der</strong><br />

www.arche-noah.at<br />

E-Mail: schaugarten@arche-noah.at


48<br />

/ Von blauen Kartoffeln und gestreiften Tomaten<br />

Kin<strong>der</strong> erleben die Vielfalt im Schaugarten<br />

<strong>der</strong> Arche Noah<br />

Kin<strong>der</strong>führungen sind wichtig in <strong>der</strong> Arche Noah. Sind Kin<strong>der</strong><br />

doch die Erwachsenen von morgen. Sie werden in<br />

Zukunft entscheiden, ob Kulturpflanzenvielfalt noch eine<br />

Chance hat.<br />

Unser Motto: Kin<strong>der</strong> sollen Freude im Umgang mit Pflanzen<br />

erleben und Neugierde entwickeln können.<br />

Wir haben eine Rätselrallye für drei Altersstufen entwickelt.<br />

Die versucht in spielerischer Form, Kin<strong>der</strong> den Garten interessant<br />

und spannend erleben zu lassen.<br />

Die Kin<strong>der</strong>gruppen werden durch Führungspersonal begleitet.<br />

Das geht zwischen den einzelnen Stationen auf die<br />

unterschiedlichsten Themen ein – Vielfalt, Blütenbiologie,<br />

Bestäubung, Samenverbreitung usw.<br />

Am Ende <strong>der</strong> Führung bekommen die Kin<strong>der</strong> Saatgut, meist<br />

<strong>als</strong> Bohnen mit, die sich in Form, Größe und Farbe unterscheiden.<br />

Die Samen können zu Hause im Topf o<strong>der</strong> Garten<br />

angepflanzt werden. Die Bohnenvielfalt und <strong>der</strong>en Schönheit<br />

kann Jugendliche auch reizen, die Samen zu sammeln<br />

und zu tauschen. Dieser „Tauschhandel“ war früher am Land<br />

üblich.<br />

Zeitgeschichtlich betrachtet wären dann Bohnen wohl die<br />

Vorläufer <strong>der</strong> „Pokemonpickerl“, die Kin<strong>der</strong> heutzutage so<br />

gerne austauschen.<br />

Manchmal dienen die geschenkten Bohnen auch <strong>als</strong> Basis<br />

für ein Spiel, das ich anschließend vorstellen möchte,<br />

gemeinsam mit <strong>der</strong> Rätselrallye 1, die für die Altersgruppe<br />

<strong>der</strong> 6–8-jährigen gedacht ist.<br />

Bohnenspiel:<br />

Ein sehr altes, einfaches Kin<strong>der</strong>spiel, das meist mit Steinen,<br />

Münzen o<strong>der</strong> Glaskugeln gespielt wird. Bohnenund<br />

Erbsen- Samen können eine interessante Alternative<br />

sein, sind sie doch wie Glaskugeln bunt, verschieden<br />

groß, fühlen sich gut in <strong>der</strong> Hand an und können leicht<br />

in einer Hosentasche Platz finden.<br />

Das Spiel soll Kin<strong>der</strong> sensorisch schulen und sie spielerisch<br />

auf Sortenvielfalt einstimmen. Es kann Jugendliche<br />

auch animieren, kreativ mit Saatgut umzugehen.<br />

Spielanleitung:<br />

Drei Kin<strong>der</strong> bilden einen Kreis. Jedes Kind bekommt drei<br />

Bohnen, die es zwischen den Händen schüttelt. Danach<br />

werden die Bohnen für die an<strong>der</strong>en unsichtbar auf die<br />

Hände verteilt: Zwei Bohnen in <strong>der</strong> einen Faust - in <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en eine Bohne; o<strong>der</strong> drei Bohnen in einer Faust -<br />

die an<strong>der</strong>e Faust leer.<br />

Wichtig ist jetzt die rechte Hand. Die Faust halten alle<br />

drei Kin<strong>der</strong> in die Mitte des Kreises. Die Kin<strong>der</strong> müssen<br />

nun raten, wie viele Bohnen in den drei Fäusten<br />

gemeinsam liegen. Jedes Kind gibt einen Tipp ab - eine<br />

Zahl zwischen 0 und 9. Wer die Zahl errät, darf eine<br />

von den eigenen Bohnen weglegen.<br />

Sieger ist, wer <strong>als</strong> erster keine Bohnen mehr hat.<br />

Das Spiel kann auch erweitert werden, indem <strong>der</strong> Sieger<br />

am Ende je eine Bohne <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Spieler <strong>als</strong> Preis<br />

erhält.<br />

Birgit Wanker<br />

schreibt gerade an ihrer Diplomarbeit im Fach Ethnologie.<br />

Sie studiert auch Biologie und interessiert sich für<br />

Ethnobotanik.<br />

In <strong>der</strong> Arche Noah in Schiltern führt sie große und kleine<br />

Besucher durch den Schaugarten.


Rätsel-<br />

Rallye<br />

Viel Spaß beim Lösen <strong>der</strong> Rätsel!<br />

Von blauen Kartoffeln und gestreiften Tomaten / 49<br />

BITTE NICHT DURCH DIE BEETE LAUFEN UND KEINE PFLANZEN AUSREISSEN!!<br />

1. Laß deinen Blick über den Garten schweifen. Schau welche Pflanze am höchsten in den Himmel<br />

wächst. Gehe hin, schau wie die Pflanze heißt und schreibe ihren Namen auf.<br />

________________________________________________________________________________________<br />

Schätze wie hoch die Pflanze ist – um wieviel ist sie größer <strong>als</strong> du?<br />

________________________________________________________________________________________<br />

2. Im Gartenteil A (wo das ist, siehst du auf dem Gartenplan) gibt es 3 Pflanzen mit den Namen<br />

Zitronenmelisse, Oregano und Pfefferminze. Reibe je ein Blatt von je<strong>der</strong> Pflanze zwischen<br />

deinen Fingern und rieche daran. Versuche nun die Gerüche den einzelnen Pflanzen zuzuordnen<br />

und verbinde sie mit einer Linie!<br />

ZITRONENMELISSE OREGANO PFEFFERMINZE<br />

riecht nach Kaugummi duftet nach Pizza erinnert an eine Zitrone


50<br />

/ Von blauen Kartoffeln und gestreiften Tomaten<br />

BITTE NICHT DURCH DIE BEETE LAUFEN UND KEINE PFLANZEN AUSREISSEN!!<br />

3. Staubblätter und Stempel sind wichtige Teile <strong>der</strong> Blüte.<br />

Mit Hilfe dieser Blütenteile vermehren sich die Pflanzen und bilden Samen, woraus wie<strong>der</strong><br />

neue Pflanzen entstehen können.<br />

Suche im Gartenteil A die Stockrose o<strong>der</strong> die weiße Erdbeere und vervollständige die<br />

Zeichnung <strong>der</strong> Blüte, indem du die fehlenden Teile einzeichnest und die Pflanzenteile in <strong>der</strong><br />

richtigen Farbe anm<strong>als</strong>t. Farbstifte findest du am Eingang.<br />

4. Gehe in den Gartenteil B. Dort stehen nahe <strong>der</strong> Zwetschkenbäume rote Tontöpfe.<br />

Unter den Töpfen findest du den scharf schmeckenden Meerkohl, <strong>der</strong> versucht, Richtung Licht<br />

zu wachsen. Was glaubst du ist <strong>der</strong> wahre Grund, warum <strong>der</strong> Meerkohl einen Tontopf<br />

übergestülpt bekommt? Kreuze das Richtige an.<br />

O Damit er nicht von Tieren wie Vögeln und Schnecken gefressen wird<br />

O Damit ihn niemand sieht, weil er so häßlich ist<br />

O Damit seine grünen Pflanzenteile gelb gebleicht werden und somit zart und<br />

wohlschmeckend werden<br />

5. Ordne die 5 Wörter<br />

RUEBE, BIRNE, GURKE, BOHNE und HIRSE<br />

in <strong>der</strong> richtigen Reihenfolge in die Fel<strong>der</strong>.<br />

Es ergibt sich dann von oben links nach<br />

unten rechts wie von Zauberhand ein Tier, das in<br />

unserem Schaugarten sehr oft vorkommt und zum<br />

Bestäuben einiger Pflanzen wichtig ist.


Waltraud Niel<br />

Greisenhaar und Sonnentau<br />

Kin<strong>der</strong> erleben die Vielfalt im Botanischen Garten Wien<br />

Ein Garten zum Lernen<br />

Der historische Auftrag des Botanischen Gartens lag in <strong>der</strong><br />

Verbesserung des ärztlichen Wissens. Ein Arzt muss Heilpflanzen<br />

kennen - davon war van Swieten, Leibarzt Maria<br />

Theresias, überzeugt. Er riet <strong>der</strong> Kaiserin, einen Garten anlegen<br />

zu lassen, wo angehende Ärzte die Pflanzen studieren<br />

können. So entstand 1754 <strong>der</strong> Botanische Garten <strong>der</strong> Universität<br />

Wien.<br />

An <strong>der</strong> Universität hat sich die Pflanzenkunde schon lange<br />

von <strong>der</strong> Medizin abgelöst und <strong>der</strong> Botanische Garten ist<br />

über seinen historischen Auftrag hinausgewachsen. Heute<br />

interessieren sich Forscher für Verwandtschaftsbeziehungen<br />

und Entwicklungsprozesse bei Pflanzen, für ihre ökologischen<br />

Beziehungen und dafür, ob sie für Menschen nützlich<br />

sein können. Ein weiteres Anliegen ist <strong>der</strong> Artenschutz, <strong>der</strong><br />

nur Chance auf Erfolg hat, wenn BiologInnen ihre Erkenntnisse<br />

einer breiten Öffentlichkeit vermitteln können.<br />

Ein Fenster zur Vielfalt<br />

Im Botanischen Garten <strong>der</strong> Universität Wien öffnen wir ein<br />

Fenster zur Vielfalt, wir wollen Kin<strong>der</strong>n die Vielfalt an<br />

Lebensräumen und die erstaunlichen Anpassungen <strong>der</strong><br />

Pflanzen näher bringen. Bei einer Führung wählen wir, je<br />

nach thematischem Wunsch, aus <strong>der</strong> großen Anzahl <strong>der</strong> im<br />

Garten kultivierten Pflanzenarten (ca. 9000 Arten) die spannendsten<br />

aus. Die Kin<strong>der</strong> werden ermutigt zu beobachten,<br />

zu fühlen, zu riechen. Sie hören zu und sie erzählen von<br />

ihren Erfahrungen mit Pflanzen. Beson<strong>der</strong>s gern gehen sie<br />

mit einem Arbeitsblatt selbst auf Entdeckungsreise.<br />

Lernen und Lehren<br />

Im Botanischen Garten <strong>der</strong> Universität Wien gibt es Führungen<br />

für Schulklassen je<strong>der</strong> Altersstufe. Die Führenden sind<br />

junge LehrerInnen o<strong>der</strong> Studierende <strong>der</strong> Studiengänge<br />

Diplomstudium „Biologie“ o<strong>der</strong> Lehramtsstudium „Biologie<br />

und Umweltkunde“. Zur Vorbereitung auf ihre Tätigkeit<br />

müssen sie fachdidaktische Lehrveranstaltungen mit Bezug<br />

zum Botanischen Garten besuchen, z. B. „Pflanzen des Botanischen<br />

Gartens in Forschung, Lehre und Unterricht“. Hier<br />

lernen sie den Garten besser kennen und üben eine altersspezifische<br />

Darstellung botanischer Fakten.<br />

Durch die Führungen sollen folgende Bildungsziele erreicht<br />

werden:<br />

• Aufmerksamkeitsschulung<br />

• Artenkenntnis und Akzeptanz <strong>der</strong> Diversität<br />

• Urteilsbildung durch Wissen und Erleben<br />

• Verständnis für Nachhaltigkeit<br />

51


52<br />

/ Greisenhaar und Sonnentau<br />

Pflanzen von nah und fern –<br />

Vielfalt an Lebensräumen im Botanischen Garten<br />

Beispiel einer Führung für 10–14-jährige Kin<strong>der</strong><br />

Nach einem kurzen Blick auf die Entstehungsgeschichte des<br />

Botanischen Gartens bekommt die Gruppe an Hand eines<br />

Planes einen Überblick über die Anlage und erfährt Start<br />

und Ziel des heutigen Weges. Damit sich die Kin<strong>der</strong> bei späteren<br />

Aufgaben selbständig zurechtfinden, wird die Beschil<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Pflanzen erklärt. Dann kann es losgehen.<br />

Vielfalt durch Anpassungen an extreme Standorte<br />

Jede Pflanze hat einen Platz, an dem sie beson<strong>der</strong>s gut<br />

wächst und sich vermehren kann. Für manche dieser Pflanzenarten<br />

ist dieser Lieblingsplatz trocken, für an<strong>der</strong>e feucht.<br />

Der Platz kann ein Wegrand sein o<strong>der</strong> ein fruchtbarer Acker,<br />

eine Wüste o<strong>der</strong> ein Regenwald. Hier im Botanischen Garten<br />

wachsen viele Pflanzen von nah und fern, für welche die<br />

Gärtner einen – für die jeweiligen Pflanzen entsprechenden<br />

– Standort bereiten mussten.<br />

Die Kin<strong>der</strong> lernen heute ausgewählte Pflanzen verschiedenster<br />

Herkunft kennen und erfahren etwas über<br />

Strategien auch in unwirtlichen Gebieten zu überleben.<br />

Dass Pflanzen dabei manchmal seltsam anmutende Formen<br />

hervor bringen, regt die Fantasie und Neugier <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> an.<br />

Wüstenpflanzen – Überlebenskünstler bei Hitze und<br />

Trockenheit<br />

In <strong>der</strong> Nähe des Haupteinganges fällt uns schon von weitem<br />

eine exotische Pflanzengruppe auf: Dornige Säulen o<strong>der</strong><br />

kurze Stämme mit dickfleischigen Blättern. Pflanzen amerikanischer<br />

und afrikanischer Trockengebiete, die jedes Jahr<br />

nach dem letzten Kälteeinbruch im Mai aus den Überwinterungshäusern<br />

ins Freie gebracht werden. In ihrer Heimat<br />

sind Wüstenpflanzen starkem Sonnenlicht ausgesetzt und<br />

haben nur wenig Wasser zur Verfügung. Deswegen müssen<br />

sie sich davor schützen, „durstig“ zu werden. Dies gelingt<br />

ihnen, indem sie Wasser speichern und die Verdunstung einschränken.<br />

Der Feigenkaktus z. B. kann Wasser im Inneren<br />

seines Stammes speichern. Aber wo sind die Blätter, die normalerweise<br />

die Energie des Sonnenlichtes einfangen? Sie<br />

sind zu Dornen umgebildet; denn Blätter, wie wir sie von<br />

unseren heimischen Sträuchern kennen, würden von <strong>der</strong><br />

heißen Luft rasch ausgetrocknet werden. Der Stamm aber<br />

ist grün und kann dadurch mithelfen, die Sonnenenergie zu<br />

nutzen. Durstige Tiere würden sich gerne das im Stamm<br />

gespeicherte Wasser holen. Das verhin<strong>der</strong>n Kakteen mit<br />

ihren Dornen. Das Greisenhaar schützt sich mit seinen Dornen,<br />

die ausschauen wie Haare, vor <strong>der</strong> Sonne. Ähnlich einer<br />

Sonnenkappe halten die Haare (bitte nicht streicheln – die<br />

Dornen haben Wi<strong>der</strong>haken!) das starke Sonnenlicht ab. Mit<br />

so wenig Wasser können die meisten Wüstenpflanzen aber<br />

nur langsam wachsen. Der Kugelkaktus zum Beispiel wird in<br />

zwanzig Jahren höchstens 30 Zentimeter groß.<br />

Dann gibt es aber auch Pflanzen, die trotz Trockenheit<br />

große, aber sehr harte, dicke Blätter haben. Sie legen ihren<br />

Wasservorrat nicht im Stamm, son<strong>der</strong>n in den Blättern an.<br />

Ein Beispiel dafür ist die Aloe, die seit vielen Jahrhun<strong>der</strong>ten<br />

<strong>als</strong> Heilpflanze, vor allem zur Hautpflege, genutzt wird.


Insektenverdauende Pflanzen – Spezialisten beim<br />

Nahrungserwerb<br />

Nicht weit entfernt von den Wüstenpflanzen kommen wir<br />

zu einer Vitrine mit Pflanzen, die Insekten verdauen können.<br />

Wir schneiden eine <strong>der</strong> Pflanzen, eine Schlauchpflanze, auf<br />

und finden darin lauter tote Insekten. Wie kommen nun<br />

„sesshafte“ Pflanzen zu fliegenden Insekten? Und warum<br />

haben sie eigentlich so ausgefallene Ernährungsgewohnheiten?<br />

Insekten verdauende Pflanzen wachsen auf extrem<br />

nährstoffarmen Böden. Sie brauchen eine zusätzliche Nahrungsquelle,<br />

um gedeihen zu können. So locken sie Beute<br />

an, fangen sie und verdauen sie.<br />

Die Schlauchpflanze aus den Sumpfgebieten <strong>der</strong> südöstlichen<br />

USA lockt Insekten mit Nektar an. Der Nektar ist hier,<br />

nicht wie bei den meisten Pflanzen, in <strong>der</strong> Blüte zu finden,<br />

son<strong>der</strong>n oben auf einem Blatt, das zum Schlauch mit Deckel<br />

umgebildet ist. Sobald ein Tier nach mehr Nahrung im Inne-<br />

ren des Blattes sucht, rutscht es über eine glatte Wand in<br />

die Tiefe und wird dort verdaut.<br />

Der Sonnentau wächst bei uns in Österreich auf Mooren. Ein<br />

Moor besteht aus abgestorbenen Pflanzen, die seit Tausenden<br />

von Jahren nicht zersetzt worden sind. Darum sind auch<br />

keine Nährstoffe frei geworden. Wie fängt sich nun <strong>der</strong><br />

Sonnentau seine Nahrung?<br />

An seinen Blättern sitzen Drüsenhaare, die klebrige Tröpfchen<br />

abson<strong>der</strong>n. Daran bleiben kleine Insekten haften und<br />

werden anschließend zu einem Saft aufgelöst, den <strong>der</strong> Sonnentau<br />

aufnehmen kann.<br />

Greisenhaar und Sonnentau / 53<br />

Gebirgsblumen – Wind und Wetter können ihnen<br />

nichts anhaben<br />

Als nächstes lernen wir einen Lebensraum kennen, <strong>der</strong> mit<br />

seinem felsigen Untergrund, langen und kalten Wintern und<br />

starken Winden beson<strong>der</strong>e Anpassungen nötig macht. Unser<br />

Alpinum ist ein Steingarten mit kleinen Wegen, einem Wasserlauf<br />

und einem kleinen Teich. Wir sehen und ertasten,<br />

dass Hochgebirgspflanzen wie <strong>der</strong> Mannsschild dicht<br />

zusammengedrängt in Polstern wachsen. Die Kugelblume<br />

überzieht wie ein Teppich steiniges Gelände. Kräftige Wurzeln<br />

verankern die Pflanzen in Felsspalten. Je höher oben die<br />

Pflanzen wachsen, desto kleiner sind ihre Stängel o<strong>der</strong> ihre<br />

verholzten Stämmchen. Auch die Blätter bleiben klein und<br />

ledrig, damit sie von Wind und Sonne nicht so leicht ausgetrocknet<br />

werden. Dabei erinnern wir uns an das Greisenhaar<br />

aus <strong>der</strong> Wüste. Es besitzt lange, helle Dornen <strong>als</strong> Schutz vor<br />

<strong>der</strong> Sonne. Auch Pflanzen im Hochgebirge müssen sich<br />

gegen die Sonne schützen. Das Edelweiß zum Beispiel hat<br />

<strong>als</strong> Sonnenschutz dichte weiße Haare auf seinen Blättern.<br />

Nicht alles an Hochgebirgspflanzen bleibt klein: Wenn sie<br />

blühen, bringen sie auffällige und oft zu einem Blütenstand<br />

vereinigte Blüten hervor. Damit locken sie Insekten, die in<br />

großer Höhe selten sind, zur Bestäubung an.<br />

Selbständiges Erforschen mit Arbeitsblättern<br />

Nach diesem informativen Teil gehen die Kin<strong>der</strong> gern selbst<br />

auf Entdeckung. Sie können ihre Beobachtungen in Arbeitsblätter<br />

eintragen. Anschließend werden die Ergebnisse<br />

gemeinsam besprochen.


54<br />

/ Greisenhaar und Sonnentau<br />

Beispiel für ein Arbeitsblatt:<br />

Pflanzen im Gebirge sind gut ausgerüstet<br />

Suche Pflanzen, die sich gut an Wind und Sonne angepasst haben und<br />

finde auch solche, die mit großen Blüten Insekten zur Bestäubung anlocken.<br />

Notiere jeweils mindestens einen Pflanzennamen<br />

(vorletzte Zeile auf dem Namensschild)<br />

und die Heimat <strong>der</strong> Blume<br />

(Letzte Zeile auf dem Namensschild).<br />

Bitte bleibe auf dem Weg und reiße keine Pflanzen(teile) ab.<br />

Windschutz – Polsterwuchs<br />

Sonnenschutz – Haare<br />

Anlockung von Insekten – große Blüten o<strong>der</strong> Blütenstände<br />

Waldspaziergang<br />

Beim Abstieg aus dem „Hochgebirge“ durchwan<strong>der</strong>n wir<br />

fast immer noch einen allgemein bekannten Lebensraum:<br />

den Wald. Zum Abschluss vergleichen die Kin<strong>der</strong> ihre Erfahrungen<br />

im Gebirge mit dem Wald. Bei einem kleinen „Waldspaziergang“<br />

merken sie, dass es im Schatten <strong>der</strong> Nadelbäumen<br />

deutlich dunkler, kühler und feuchter ist <strong>als</strong> vorher.<br />

Sie werden gebeten, sich still zu verhalten: mit etwas Glück<br />

können sie Eichkätzchen o<strong>der</strong> Vögel (z. B. Meise, Kleiber,<br />

Specht) beobachten.<br />

Organisation<br />

• Anmeldung und eventuell Bekanntgabe eines<br />

gewünschten Themenschwerpunktes (siehe:<br />

http://www.botanik.univie.ac.at/hbv/deutsch/schulfuehrung/schulfuehrungen.htm)<br />

bei Mag. Ossi Abdel-Qa<strong>der</strong>,<br />

Tel.: 0676/95 60 701,<br />

E-Mail: ossi_abdel_qa<strong>der</strong>@hotmail.com<br />

Name <strong>der</strong> Blume Heimat <strong>der</strong> Blume<br />

Welche Blume gefällt dir am besten? Name <strong>der</strong> Blume Heimat <strong>der</strong> Blume<br />

Blütenfarbe weiß<br />

Blütenfarbe gelb<br />

Blütenfarbe rosa o<strong>der</strong> lila<br />

• Etwa einstündige Führungen o<strong>der</strong> mehrstündige Projekte;<br />

bei bestimmten Themen o<strong>der</strong> auf speziellen Wunsch<br />

werden Führungsprotokolle o<strong>der</strong> Arbeitsblätter (siehe<br />

Beispiel) mit Gartenplan ausgegeben.<br />

• Führungen gegen Spende, allenfalls mit finanzieller<br />

Unterstützung durch den „Verein <strong>der</strong> Freunde des Botanischen<br />

Gartens <strong>der</strong> Universität Wien“.<br />

Den Gartenplan findet man unter<br />

www.botanik.univie.ac.at/hbv/deutsch/plan1990.htm.<br />

Dr. Waltraud Niel<br />

führt seit 1997 (neben <strong>der</strong> Betreuung ihrer vier Kin<strong>der</strong>)<br />

ehrenamtlich durch den Botanischen Garten in Wien und<br />

hat zwei Jahre lang auch die Organisation <strong>der</strong> Führungen<br />

übernommen. Sie arbeitet jetzt am Institut für Botanik <strong>der</strong><br />

Universität Wien für den „Regenwald <strong>der</strong> Österreicher“.


Regina Kobler<br />

Die Kräuterspirale<br />

Vielfalt mit allen Sinnen genießen<br />

Die Naturküche, das Heilen mit Pflanzen und Großmutters<br />

Kräuterkunde erleben einen Boom. Exotische ebenso wie<br />

einheimische Kräuter und Gewürze sind selbstverständlich<br />

geworden. Sie werden nicht nur für schmackhafte Speisen<br />

und zum allgemeinen Wohlbefinden verwendet, son<strong>der</strong>n<br />

auch zum Heilen von Krankheiten. Denn wie sagt ein altes<br />

Sprichwort: „Gegen jede Krankheit ist ein Kraut gewachsen.“<br />

Dass aber Thymian nicht gleich Thymian ist und dass<br />

Schnittlauch an<strong>der</strong>e Wachstumsbedingungen braucht <strong>als</strong><br />

Rosmarin, dessen sind sich nur wenige bewusst.<br />

Die Kräuterspirale eignet sich ausgezeichnet, um ein Verständnis<br />

von Artenvielfalt zusammen mit <strong>der</strong> Vielfalt ihrer<br />

Lebensräume zu vermitteln. Neben <strong>der</strong> Darstellung des<br />

Eigenwertes <strong>der</strong> biologischen Vielfalt wird auch <strong>der</strong> Nutzen<br />

für den Menschen unmittelbar und sinnlich erlebbar.<br />

Unsere Küchenkräuter stammen aus sehr verschiedenen Klimagebieten<br />

und von unterschiedlichen Standorten. Jedes<br />

bringt seine eigenen Ansprüche an Boden, Temperatur,<br />

Feuchtigkeit etc. mit. Die Kräuterspirale kann diese Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

einfach und auf kleinstem Raum erfüllen.<br />

Durch die Vielfalt <strong>der</strong> Lebensbedingungen bietet die Kräuterspirale<br />

auch einer Vielzahl von Tieren Lebensmöglichkeiten.<br />

Unter ihnen befinden sich auch Nützlinge im Garten,<br />

wie eine große Zahl von Insekten, Eidechsen, Kröten, Vögel<br />

u. a. Das hat zur Folge, dass Pflanzenschutzmaßnahmen<br />

eingeschränkt o<strong>der</strong> sogar unnötig werden.<br />

So wird sie aufgebaut, die Kräuterspirale<br />

Es ist nicht schwer, eine solche Kräuterspirale zu bauen. Ist<br />

das benötigte Baumaterial bereitgestellt, kann sie an einem<br />

Nachmittag aufgebaut werden.<br />

Material<br />

Natursteine: 4–9 Scheibtruhen voll, je nach Größe<br />

<strong>der</strong> Spirale,<br />

Bauschutt (alte Ziegelsteine) o<strong>der</strong> Schotter:<br />

2–4 Scheibtruhen voll,<br />

Gartenerde: 3–6 Scheibtruhen voll,<br />

Komposterde: 2–3 Scheibtruhen voll,<br />

Sand: 3–4 Scheibtruhen voll,<br />

Teichfolie<br />

Kräuter; Wasser<br />

Werkzeug: Spaten, kleine Schaufel, Schubkarren, ev. Folie<br />

zum Unterlegen für die abgetragene Erde, Wasserbehälter<br />

(Kübel o<strong>der</strong> Gießkanne)<br />

55


56<br />

/ Die Kräuterspirale<br />

Die Schritte im Einzelnen:<br />

• Ein sonniger Platz wird gesucht.<br />

• Ein Kreis von zwei Metern Durchmesser wird ausgesteckt.<br />

• Die oberste Bodenschicht wird spatentief abgehoben, zur<br />

Seite gelegt und <strong>der</strong> Boden <strong>der</strong> Grube mit alten, zerbrochenen<br />

Ziegelsteinen, bzw. grobem Bauschutt aufgefüllt.<br />

• In <strong>der</strong> Mitte des Kreises wird ein 40-50 Zentimeter hoher<br />

Bauschuttkegel errichtet.<br />

• Am Südende <strong>der</strong> Spirale wird ein ca. 80 Zentimeter tiefes<br />

Loch (Wasserloch) ausgehoben (Größe nach Belieben).<br />

• Nun wird vom Süden (Wasserloch) aus mit dem Aufbau<br />

<strong>der</strong> Spirale begonnen: Der Außenrand <strong>der</strong> Spirale wird<br />

mit großen Natursteinen ausgelegt. Die Höhe nimmt<br />

dabei laufend zu: an <strong>der</strong> Spitze ist die Spirale ca. 70 cm<br />

hoch.<br />

• Das Innere <strong>der</strong> Spirale (<strong>der</strong> Hang) wird mit Erde von<br />

unten nach oben verlaufend folgen<strong>der</strong>maßen aufgefüllt<br />

(dies geschieht zum Teil gleichzeitig mit den Steinen,<br />

damit diese nicht umfallen): Am unteren Ende <strong>der</strong> Spirale<br />

Komposterde (nährstoffreich), dann folgt Erde, die vorher<br />

abgetragen wurde. Weiter oben wird <strong>der</strong> Erde Sand<br />

beigemischt und geht schließlich ganz oben in ein Erde-<br />

Sand-Gemisch von 1:1 über.<br />

• Das Wasserloch wird mit einer Teichfolie ausgelegt. Zur<br />

Spirale hin wird die Folie mit Erde überdeckt, sodass<br />

durch Kapillarwirkung <strong>der</strong> Boden im unteren Bereich <strong>der</strong><br />

Spirale feucht bleibt.<br />

• Der Boden des Folientümpels wird mit Steinen bedeckt<br />

und <strong>der</strong> Tümpel mit Wasser gefüllt.<br />

• Bei <strong>der</strong> Bepflanzung ist beson<strong>der</strong>s darauf zu achten, dass<br />

die Kräuter entsprechend ihren Bedürfnissen an die richtige<br />

Stelle <strong>der</strong> Spirale eingesetzt werden – siehe Pflanzplan


Und so funktioniert das Ökosystem<br />

„Kräuterspirale“<br />

Um den verschiedenen Wuchsbedingungen gerecht zu werden,<br />

soll in <strong>der</strong> Spirale ein Gefälle von sandig-nährstoffarmtrockenem<br />

(oben) zu lehmig-nährstoffreich-feuchtem<br />

(unten) Boden entstehen. Da <strong>der</strong> Kern <strong>der</strong> Spirale aus Bauschutt<br />

o<strong>der</strong> ähnlichem Material besteht und somit wasserdurchlässig<br />

ist, bleibt <strong>der</strong> obere Teil weitgehend trocken.<br />

Durch die Zugabe von Sand im oberen und Kompost im<br />

unteren Teil <strong>der</strong> Spirale werden diese Bedingungen noch<br />

verstärkt. Gieß- und Nie<strong>der</strong>schlagswasser, das nicht gleich<br />

im Boden versickert, kann gut in ein Becken am Fuß <strong>der</strong> Spirale<br />

abrinnen. Es ist günstig, die Kräuterspirale von Nord<br />

nach Süd auszurichten, dadurch werden die Sonnenstrahlen<br />

optimal genutzt. Die Steine sorgen für ein ausgeglichenes<br />

Kleinklima. Tagsüber nehmen sie die Sonnenenergie auf und<br />

geben sie nachts langsam an den Boden ab. Durch diesen<br />

Wärmespeicher können Nachtfröste bis –5 0 C abgefangen<br />

werden. So fühlen sich oben an <strong>der</strong> Spirale Mittelmeerpflanzen<br />

wohl und unten die Kräuter feuchterer und kühlerer<br />

Zonen.<br />

Die Vielfalt mit allen Sinnen genießen<br />

Es bieten sich verschiedene Themen an, die an Hand <strong>der</strong><br />

Kräuterspirale bearbeitet werden können. Ich möchte hier<br />

Beispiele beschreiben, wie Vielfalt sinnlich und spielerisch<br />

auch für kleine o<strong>der</strong> behin<strong>der</strong>te Kin<strong>der</strong> erlebbar gemacht<br />

werden kann.<br />

Geschmack raten<br />

Hintergrund:<br />

In Kräutern sind unterschiedliche ätherische Öle enthalten,<br />

wodurch sie ihren speziellen Geschmack bekommen. Sogar<br />

Kräuter <strong>der</strong>selben Gattung können verschieden schmecken.<br />

(z. B. verschiedene Minzen). Standort und Klima beeinflussen<br />

vor allem die Intensität des Geschmackes. Zusätzlich<br />

haben Menschen unterschiedlich sensibel ausgeprägte Geschmackswahrnehmungen<br />

(ganz zu schweigen von <strong>der</strong> persönlichen<br />

Bevorzugung!).<br />

Mit folgendem Spiel kann man testen, ob die Wahrnehmung<br />

verschiedener Menschen übereinstimmt, o<strong>der</strong> einfach wie<br />

sehr sich Kräuter ähneln.<br />

Die Kräuterspirale / 57<br />

Material:<br />

Kräuter, Schalen o<strong>der</strong> Becher, Augenbinde<br />

Anleitung:<br />

Verbinde deinem/r PartnerIn die Augen. Gib von den ausgewählten<br />

Kräutern kleine Proben in leere Schalen.<br />

Hilf deinem/r PartnerIn diese zu kosten und lass Dir sagen,<br />

wie die Kräuter schmecken. Trage das Ergebnis in die Tabelle<br />

ein. Vergleicht die Ergebnisse untereinan<strong>der</strong>.<br />

Beispiel:<br />

Kraut würzig süss Bitter scharf<br />

Petersilie<br />

Pfefferminze<br />

Schnittlauch<br />

Salbei<br />

Tip: Schwieriger wird das Spiel, wenn man verschiedene<br />

Kräuter <strong>der</strong> gleichen Gattung nimmt (z. B. verschiedene Minzen).<br />

Beson<strong>der</strong>s Kluge können auch versuchen den Namen<br />

<strong>der</strong> Pflanze zu erraten!<br />

Eurer Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, ihr könnt auch<br />

selbst Varianten <strong>der</strong> Spiele erfinden.<br />

Duftcocktail<br />

Hintergrund:<br />

Nicht nur <strong>der</strong> Geschmack, auch <strong>der</strong> Geruch <strong>der</strong> Kräuter ist<br />

verschieden. In diesem Spiel kann man sehr gut die Vielfalt<br />

<strong>der</strong> Düfte erkennen o<strong>der</strong> auch versuchen, gleiche Kräuter<br />

„herauszuriechen“.


58<br />

/ Die Kräuterspirale<br />

Material<br />

Kräuter, Becher, ev. Augenbinden<br />

Anleitung:<br />

Jede/r TeilnehmerIn sucht sich ein Kraut aus, füllt dieses in<br />

ein kleines Gefäß (z. B. Becher) und deckt es mit <strong>der</strong> Hand<br />

zu. Nun stellen sich die Teilnehmer im Kreis auf. Mit<br />

geschlossenen Augen (o<strong>der</strong> Augenbinden) werden nun alle<br />

Becher gleichzeitig reihum gegeben. Die Becher werden so<br />

lange weitergegeben, bis je<strong>der</strong> Spieler den „eigenen“ Duft<br />

wie<strong>der</strong>erkennt. Schwieriger wird’s, wenn <strong>der</strong> Spielleiter die<br />

Reihenfolge <strong>der</strong> Becher vertauscht.<br />

Je nach Alter und Vorwissen <strong>der</strong> Teilnehmer kann auch versucht<br />

werden, die Namen <strong>der</strong> Kräuter zu erraten. Überprüfung<br />

auf Richtigkeit erfolgt beim Spielleiter.<br />

Duftmemory<br />

Material<br />

Leere Filmdosen – auf gleiche Farbe und Größe achten<br />

(gratis erhältlich in Fotogeschäften)<br />

Kräuter, Klebeetiketten<br />

Anleitung<br />

Es werden jeweils zwei kleine Dosen (z. B. Filmdosen) mit<br />

den gleichen Kräutern gefüllt und verschlossen. Die zusammengehörenden<br />

Dosen werden auf <strong>der</strong> Unterseite mit dem<br />

gleichen Farbpunkt o<strong>der</strong> <strong>der</strong> gleichen Zahl (kleines Ettikettenstück<br />

aufkleben) versehen, <strong>als</strong> Kontrollmöglichkeit.<br />

Die Dosen werden gut gemischt aufgestellt. Nun müssen die<br />

TeilnehmerInnen zusammen passende Paare herausfinden,<br />

indem sie den Deckel kurz öffnen und daran riechen. Sind<br />

alle vermeintlichen Paare zusammengestellt, kann durch<br />

umdrehen <strong>der</strong> Dosen die Kontrolle erfolgen. (Richtige Paare<br />

müssen die gleiche Zahl bzw. Farbe aufweisen.)<br />

Eine an<strong>der</strong>e, etwas schwierigere Variante ist das<br />

Riechspiel<br />

Material<br />

Kräuterduftöle, Papierservietten<br />

Kräuter<br />

Leere Filmdosen - auf gleiche Farbe und Größe achten (gratis<br />

erhältlich in Fotogeschäften)<br />

Klebeetiketten<br />

Anleitung<br />

Es kann auch direkt bei <strong>der</strong> Kräuterspirale gespielt werden.<br />

Hierfür wird ein Tropfen eines Kräuterduftöles auf eine<br />

Papierserviette getropft und in eine Filmdose gesteckt,<br />

zugemacht und durchnummeriert. (Jede Nummer ist dem<br />

entsprechenden Kraut auf <strong>der</strong> Kräuterspirale zugeordnet –<br />

Liste hat <strong>der</strong> Spielleiter.) Nun lautet <strong>der</strong> Auftrag, „Finde zu<br />

diesem Duft das dazugehörige Kraut!“ Vergleiche das Ergebnis<br />

mit <strong>der</strong> Liste beim Spielleiter.<br />

Nach Beenden <strong>der</strong> Spiele die Kräuter nicht wegwerfen! Man<br />

kann sie (eventuell zum Ausklang des Tages) weiterverwenden.<br />

Zum Beispiel <strong>als</strong>:<br />

Kräutertopfen<br />

Hintergrund:<br />

Der Nutzen dieser Vielfalt an Kräutern ist für uns am unmittelbarsten<br />

zu spüren, wenn wir unseren Hunger mit einem<br />

geschmackvollen Kräutertopfen stillen. Die Variationsmöglichkeiten<br />

<strong>der</strong> Kräuter sind unbegrenzt.<br />

Material<br />

Messer, Schneidbrett, Schüssel, Löffel<br />

Zutaten: 25 dag Magertopfen, 1 Becher Jogurt, Kräutersalz,<br />

Pfeffer, ein paar Tropfen Öl<br />

Verschiedenste Kräuter (Schnittlauch, Petersilie, Basilikum,<br />

Kerbel, Thymian, Oregano, Salbei, Borretsch, Dille, Sellerie,<br />

Kapuzinerkresse ...)<br />

Anleitung:<br />

Kräuter fein schneiden, Topfen, Jogurt und Öl glatt verrühren,<br />

mit Salz und Pfeffer abschmecken und die fein<br />

geschnittenen Kräuter untermischen. Auf ein gutes Brot<br />

streichen und fertig ist eine hervorragende Jause.<br />

Mag. Regina Kobler<br />

arbeitet <strong>als</strong> wissenschaftliche Beamtin am Institut für<br />

Didaktik <strong>der</strong> Naturwissenschaften in Salzburg. Die Arbeitsschwerpunkte<br />

<strong>der</strong> Biologin: Einsatz leben<strong>der</strong> Organismen im<br />

Unterricht, Lehrerausbildung und -weiterbildung, Planung<br />

und Beratung zu Schulgärten und Kräutergärten


Barbara Dusek<br />

Der Umweltfuchs<br />

Das Forschungsmobil<br />

Gleich zum Basteltisch, wo kleine Webrahmen auf schöne<br />

Gräser und Blumen warten? O<strong>der</strong> doch lieber Tonklumpen<br />

bearbeiten, aus denen Tiere geformt werden können? Nein,<br />

zuerst zum Mikroskop ... was ist denn da zu sehen? Igitt igitt<br />

Ameisen! Und ein Tausendfüßler, <strong>der</strong> hat aber ein lustiges<br />

Gesicht ... Die Baumforschung ist beson<strong>der</strong>s interessant und<br />

spannend. Ein riesiger Gasluftballon schwebt an einer langen<br />

Schnur – damit kann die Höhe <strong>der</strong> Bäume vermessen<br />

werden. Und wenn <strong>der</strong> Umfang eines Baumes gemessen<br />

worden ist, kann ungefähr sein Alter geschätzt werden –<br />

wow – viele sind älter <strong>als</strong> die Oma!<br />

Der sozialpädagogische Verein Spektrum, das FORUM<br />

<strong>Umweltbildung</strong> und die Wissenschaftsagentur Salzburg<br />

starteten im Sommer 2000 mit dem Umweltfuchs ein für<br />

Österreich bisher einzigartiges Projekt. Eine Forschungsstation<br />

auf Rä<strong>der</strong>n: Mitarbeiter des Vereins sind unterwegs in<br />

einem Bus mit Mikroskopen, Lupen, verschiedensten Spielund<br />

Bastelmaterialien, einer Menge spannen<strong>der</strong> Ideen und<br />

allem was sonst noch nötig ist, um Geheimnissen in <strong>der</strong><br />

Natur auf die Spur zu kommen. Forschen ist dabei nicht im<br />

streng wissenschaftlichen Sinn zu verstehen, son<strong>der</strong>n <strong>als</strong><br />

natürliche Neugierde <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> ihre Umgebung zu „erforschen“.<br />

Diese – vor allem im städtischen Alltag oft verlorene<br />

– Lust am Entdecken möchte <strong>der</strong> Umweltfuchs wie<strong>der</strong><br />

wecken und för<strong>der</strong>n. SpielpädagogInnen und BiologInnen<br />

entwickelten dafür detaillierte Anleitungen, Spiele und<br />

Informationsmaterial zu verschiedensten Themenbereichen.<br />

Sofort von Kin<strong>der</strong>n umringt<br />

Kommt <strong>der</strong> Umweltfuchs in einen Park, sind die BetreuerInnen<br />

sofort von den Kin<strong>der</strong>n umringt. „Was machen wir?<br />

Wann geht’s los?“ Viele flinke Hände helfen beim Aufbau<br />

<strong>der</strong> Stationen. Am Startpunkt bekommen die Kin<strong>der</strong> einen<br />

Forscherpass in die Hand und auf gehts.<br />

Kleine Forscher<br />

Als Naturdedektive nehmen die Kin<strong>der</strong> ihre Umgebung unter<br />

die Lupe und unter das Mikroskop. Sie entdecken die Welt<br />

<strong>der</strong> kleinsten Lebewesen, lernen spielerisch und mit kindgerecht<br />

gestalteten Materialien verschiedene Tiere zu unterscheiden<br />

und sorgfältig mit ihnen umzugehen. Bei einer<br />

Rallye werden sie auf die oft unbeachtete Vielfalt an Pflanzen<br />

aufmerksam. Die Höhe und das Alter verschiedener<br />

Bäume geben weitere Rätsel auf. Ergebnisse werden diskutiert,<br />

ausgewertet, fotografiert und dokumentiert.<br />

Erleben mit allen Sinnen<br />

Im Labyrinth des Sinnesgartens führt ein abwechslungsreicher<br />

Pfad über harte und weiche, runde und kantige Ober-<br />

59


60<br />

/ Der Umweltfuchs<br />

flächen zu einem Dschungel aus klingenden Seilen. Beim<br />

Durchklettern entdeckt man, dass hier duftende Blumen<br />

wachsen. Im Reich <strong>der</strong> Sinne findet man auch Fühlboxen,<br />

akustische Memories, verschiedene Klangelemente, Riechgläser,<br />

optisch reizvolle Spiele und vieles mehr.<br />

Natur kreativ<br />

Naturerfahrung ist auch <strong>der</strong> handwerkliche Umgang mit<br />

Naturmaterialien. Die Kin<strong>der</strong> können einfache Dinge, die sie<br />

für das Forschen benötigen, wie Pflanzenpresse, Insektensauger<br />

usw. selbst herstellen. Materialien aus <strong>der</strong> unmittelbaren<br />

Umgebung verwenden sie für kreative Arbeiten:<br />

Weben mit Pflanzenfasern, Pflanzendruck, Blätterkronen<br />

basteln, das Herstellen von Pflanzenfarbstoffen und damit<br />

Färben, Naturskulpturen, Papier schöpfen ...<br />

Die Zeit vergeht im Flug. Je<strong>der</strong> kleine Forscher, jede kleine<br />

Forscherin mit zu mindest einem Stempel im Pass wird am<br />

Ende zur Salzburger Umweltfüchsin, zum Salzburger<br />

Umweltfuchs ernannt und bekommt eine Urkunde.<br />

Organisatorisches<br />

Schulen, Gemeinden o<strong>der</strong> Vereine können den Umweltfuchs<br />

für Aktionen mieten. Beim Telefonat mit dem Verein Spektrum<br />

werden Termin und Zeit, Gruppengröße- und Alter,<br />

Aktionsgebiet und beson<strong>der</strong>e Interessen sowie Kosten <strong>der</strong><br />

Aktion abgesprochen. Wenn notwendig, sehen sich die<br />

Betreuer des Umweltfuchses das Umfeld <strong>der</strong> Aktion vorher<br />

an und stimmen die Spiele und Module auf die örtlichen<br />

Gegebenheiten sowie die Gruppe ab. Im Sommer fährt <strong>der</strong><br />

Umweltfuchs wie das Spielrad o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Spielbus regelmäßig<br />

zu verschiedenen Salzburger Parks. Aktuelle Termine und<br />

Orte können beim Verein Spektrum erfragt werden.<br />

Infos:<br />

Petra Burgstaller, Michael Schmeikal<br />

Tel.: 0662/43 42 16<br />

E-Mail: pburgstaller@spektrum.at<br />

michael.schmeikal@aon.at<br />

www.spektrum.at/projekte<br />

Mag. Barbara Dusek<br />

absolvierte das Ökologiestudium an <strong>der</strong> Universität Wien<br />

und Ausbildungen in Natur- und Erlebnispädagogik. Sie ist<br />

Assistentin beim Projekt Bodensee Agenda 21 <strong>der</strong> Internationalen<br />

Bodensee-Konferenz und freiberuflich tätig <strong>als</strong><br />

Trainerin für Outdoor- und Erlebnispädagogik.


Julia Birnbaum und Barbara Dusek<br />

Mit Mikroskop und Becherlupe<br />

im Einkaufszentrum<br />

Science Week 2001 in Taxham<br />

Wissen Sie, was eine Heuschrecke vor dem Papiergeschäft<br />

und <strong>der</strong> Schimmelpilz vor dem Café suchen? Und weshalb so<br />

viele Kin<strong>der</strong> am Vormittag vor den Geschäften mit Pflanzen,<br />

Tieren und großen Postern beschäftigt sind?<br />

Die Antwort darauf ist die Science Week 2001 1) . Eine Woche<br />

lang hatten die BesucherInnen des Einkaufszentrums „Europark“<br />

im Salzburger Stadtteil Taxham Gelegenheit, Tiere und<br />

Pflanzen unter dem Mikroskop zu betrachten. Und sie konnten<br />

die VolksschülerInnen aus Taxham beobachten, die ihre<br />

nächste Umgebung erforschten und ihre Ergebnisse auf Plakaten<br />

präsentierten. Betreut wurde die Forschungsstation<br />

vom Umweltfuchs, einem gemeinsamen Projekt von FORUM<br />

<strong>Umweltbildung</strong> und dem sozialpädagogischen Verein Spektrum.<br />

Die sechs Stereolupen hatte uns das Institut für<br />

Didaktik <strong>der</strong> Naturwissenschaften <strong>der</strong> Universität Salzburg<br />

zur Verfügung gestellt, inklusive eines Mikroskops mit<br />

Funkkamera, das die kleinen Dinge riesengroß auf einen<br />

Fernsehschirm vor <strong>der</strong> Rolltreppe übertrug. Diese Installation<br />

fesselte viele Besucher und weckte ihr Interesse für den<br />

Mikroskopiertisch. Zu sehen waren u. a. Heuschrecken,<br />

Hummeln, Käfer, Blumen, Moose und Schimmelpilze. Besucher<br />

konnten in Büchern schmökern o<strong>der</strong> sich von den<br />

BetreuerInnen informieren lassen. Wir konnten beobachten,<br />

dass unsere Aktion häufig die Kin<strong>der</strong> in den Bann zog. Ihre<br />

Neugierde und ihr Wissensdurst führten auch die Eltern zu<br />

unseren Tischen und übertrugen sich auf sie.<br />

Die BewohnerInnen des Stadtteils interessierten sich beson<strong>der</strong>s<br />

für die Ausstellung, wo sie ihnen vertraute Plätze wie<strong>der</strong><br />

erkannten. Auf großen Plakaten hatten die Volksschulkin<strong>der</strong><br />

viele Tiere und Pflanzen aus <strong>der</strong> Umgebung des Einkaufszentrums<br />

nach Biotopen geordnet arrangiert.<br />

Vielfalt beginnt vor <strong>der</strong> eigenen Haustür<br />

Der Aktion im Europark vorausgegangen war ein Projekt in<br />

<strong>der</strong> Schule. Begonnen hatte <strong>der</strong> erste Tag mit einer Fantasiereise:<br />

61


62<br />

/ Mit Mikroskop und Becherlupe im Einkaufszentrum<br />

Fantasiereise:<br />

Dauer: ca. 1 h<br />

Material: Papier und Stifte für jedes Kind,<br />

entspannende Musik<br />

Die Kin<strong>der</strong> schließen die Augen, <strong>der</strong>/die BetreuerIn/<br />

LehrerIn liest langsam, mit Pausen, folgenden Text vor:<br />

Setze o<strong>der</strong> lege Dich bequem hin ... schließe deine<br />

Augen ... mache es Dir bequem ... wenn du lachen<br />

musst, dann tu es ... Nun werde wie<strong>der</strong> ruhiger und<br />

entspannter ... spüre wie dein Atem ganz ruhig geht ...<br />

spüre wie sich dein Bauch hebt und senkt ... deine<br />

Arme werden schwer ... deine Beine werden schwer ...<br />

dein Körper wird ganz warm, <strong>als</strong> würde die Sonne<br />

darauf scheinen ... du kannst die Sonnenstrahlen richtig<br />

spüren… sie sind angenehm warm ...<br />

Nun gehe einen Weg entlang ... ganz gemütlich<br />

schlen<strong>der</strong>e dahin ... du kommst an eine große Wiese ...<br />

die Sonne scheint darauf ... du gehst über diese Wiese<br />

und siehst dich um ... beobachte alles, was du hier<br />

entdecken kannst ... versuche Geräusche zu hören ...<br />

spüre einen leichten Wind und wan<strong>der</strong>e weiter mit<br />

offen Augen und Ohren und Sinnen über die<br />

Wiese ... Was kannst Du hier sehen, hören und<br />

riechen? ... Am Ende <strong>der</strong> Wiese findest du wie<strong>der</strong><br />

den Weg ... gehe ihn zurück, bis du wie<strong>der</strong> hier in<br />

dieses Zimmer/an diesen Ort kommst ...<br />

Nun spürst du deinen Atem wie<strong>der</strong> und wie sich<br />

<strong>der</strong> Bauch hebt und senkt ... du streckst vorsichtig<br />

die Hände aus ... balle sie zu Fäusten ... kreise mit<br />

den Füßen ... und beuge und strecke die Zehen,<br />

nun bewege den ganzen Körper und schließlich,<br />

wenn du spürst, dass du wie<strong>der</strong> ganz hier bist,<br />

öffne die Augen ...<br />

Nach <strong>der</strong> Reise zeichnete jedes Kind die Wiese, die es in seiner<br />

Fantasiereise gesehen hat, so genau wie möglich 2) .<br />

So eingestimmt, spielten wir im Anschluss das Spiel:<br />

Ich „gehe auf die Wiese und sehe …“.<br />

Dauer: ca. 1 h<br />

Material: Tafel o<strong>der</strong> großes Plakat, Stifte<br />

Ich gehe auf eine Wiese und sehe ...<br />

Das Spiel wird wie das altbekannte „Koffer packen“<br />

gespielt.<br />

Die Kin<strong>der</strong> sitzen im Kreis. Das erste Kind beginnt den<br />

Satz: „Ich gehe auf eine Wiese und sehe …“ und<br />

beendet den Satz mit einem Lebewesen (Pflanze, Tier),<br />

von dem es glaubt, es auf <strong>der</strong> Wiese zu sehen.<br />

Das nächste Kind beginnt den Satz genauso, wie<strong>der</strong>holt<br />

aber vorher den Begriff des ersten Kindes, ehe es seinen<br />

eigenen dazufügt. So entsteht eine Begriffskette, die<br />

gar nicht so leicht zu merken ist. Zur Unterstützung<br />

kann die Betreuungsperson die Begriffe (je nach<br />

Lesekönnen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Zeichentalent) auf eine<br />

Tafel o<strong>der</strong> ein großes Papier schreiben o<strong>der</strong> zeichnen.<br />

Unsere Aufgabe bestand darin, die von den Kin<strong>der</strong>n genannten<br />

Begriffe auf die Tafel zu malen. Am Ende des Spiels<br />

besprechen wir mit ihnen die so entstandene Wiese:<br />

Was gehört gar nicht hierher, was ist typisch, was eher selten,<br />

welche Tiere und Pflanzen können auch woan<strong>der</strong>s<br />

leben? etc.<br />

Die Kin<strong>der</strong> kommen erst jetzt richtig in Schwung, und so<br />

spielen wir noch eine zweite Runde, die gleich um einiges<br />

lebendiger läuft.<br />

Anschließend entsteht eine angeregte Diskussion, in <strong>der</strong> wir<br />

unter an<strong>der</strong>em auf den Begriff „Biologische Vielfalt“ näher<br />

eingehen: Was können sich die Kin<strong>der</strong> unter „Vielfalt“ vorstellen,<br />

verstehen sie, dass es von jedem Tier verschiedene<br />

„Arten“ gibt und dass diese unterschiedliche Ansprüche<br />

stellen? Beziehungen zwischen Arten und die Gedanken<br />

zum Thema Vielfalt haben wir ebenso auf <strong>der</strong> Tafel festgehalten.<br />

... in <strong>der</strong> Realität<br />

Nach diesem Trockentraining machen wir uns auf den Weg<br />

zu einer nahe gelegenen Wiese. Dort stärken sich einige<br />

Kin<strong>der</strong> zuerst mit ihrer mitgebrachten Jause, an<strong>der</strong>e beginnen<br />

sofort mit <strong>der</strong> Erforschung <strong>der</strong> Wiese.


Unser Material: Lupen, Becherlupen, Gläser mit Verschluss<br />

und Luftlöchern, ein Exkursions-Binokular und einige einfache<br />

Bestimmungsbücher (vom Naturbuch Verlag o<strong>der</strong><br />

Mosaik Verlag). Es dauert nur wenige Minuten und schon<br />

haben die Kin<strong>der</strong> ihre ersten Tiere gefangen und versuchen<br />

herauszufinden, um welche es sich handelt. Kaum ist eine<br />

Spinne im Glas, untersuchen sie diese gründlichst. Viel<br />

gibt’s zu erforschen: Welche Spinne ist größer? Was machen<br />

zwei Spinnen im selben Glas? Was könnte diese Spinne<br />

denn fressen? Und im Nu beginnt eine wilde Jagd nach Fliegen.<br />

Eines ist zu beobachten: die „stille“ Art <strong>der</strong> Pflanzen hat das<br />

Nachsehen gegenüber allem, was da so kreucht und fleucht.<br />

Als <strong>der</strong> Forschungsdrang <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> nachlässt, versammeln<br />

wir uns und runden die Aktion mit ein paar Laufspielen ab<br />

und mit Erzählungen über einzelne Tiere o<strong>der</strong> Pflanzen.<br />

Der zweite Tag: „Was geht ab in Taxham“<br />

Dauer: ca. 1-1,5 h pro Lebensraum<br />

Material:<br />

Lupen, Becherlupen, Gläser mit Verschluss und<br />

Luftlöchern,<br />

Bestimmungsbücher<br />

Als Einführung besprechen wir mit den SchülerInnen die<br />

Begriffe „Biologische Vielfalt“ und „Lebensraum“ (Großlebensraum,<br />

Kleinlebensraum, Lebensbedingungen …).<br />

Gemeinsam versuchen wir Definitionen für „Vielfalt“ zu finden,<br />

sammeln mittels Brainstorming die einzelnen Begriffe<br />

und halten sie auf einem Plakat fest.<br />

Jetzt geht es um gezielteres Sammeln <strong>als</strong> am Vortag: Wir<br />

zeigen ihnen die sechs zu erforschenden Lebensräume auf<br />

Fotos: Wegrän<strong>der</strong>, Hecken, kleine Baumgruppen, Wiesenabschnitte,<br />

unkultivierte Flächen, ein Tümpel. Alle Kin<strong>der</strong><br />

erhalten Gläser für die zu sammelnden Tiere. Sie werden in<br />

drei Gruppen eingeteilt und beschriften ihre Gläser mit dem<br />

entsprechenden Lebensraum. Da wir drei Betreuungspersonen<br />

waren, bekam jede Gruppe zwei Untersuchungsgebiete.<br />

Spinnen, Ameisen, Käfer und Bienen waren die interessantesten<br />

Lebewesen für die Kin<strong>der</strong>. Stundenlang können die<br />

SchülerInnen einer Ameise o<strong>der</strong> einem Käfer hinterher kriechen.<br />

Sie legen ihnen Hin<strong>der</strong>nisse in den Weg und beobachten,<br />

wie diese mit den neuen Bedingungen fertig wurden.<br />

Mit Mikroskop und Becherlupe im Einkaufszentrum / 63<br />

Erneut weckten die Pflanzen wenig bis gar kein Interesse<br />

und wurden eher nebenbei gesammelt. 3)<br />

Die Ergebnisse werden <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

präsentiert: 4)<br />

Vorbereitung: ca. 2 h (je nach Aufwand)<br />

Material:<br />

Plakatpapier, Stifte, Kleber (Tixo, Uhu ...)<br />

Wände, Stelltafeln<br />

Fotos von den Lebensräumen<br />

Bestimmungsbücher<br />

eventuell Tische, um Objekte wie frische Pflanzen in<br />

Vasen o<strong>der</strong> Tiere in Becherlupen o<strong>der</strong> unter<br />

Mikroskopen auszustellen<br />

Im Europark ist ein zentraler Platz für unsere Aktivitäten<br />

reserviert worden 5) . Die Kin<strong>der</strong> gestalten für jeden erforschten<br />

Lebensraum ein Plakat. In die Mitte kleben sie das Foto,<br />

das wir einige Tage zuvor von dem Lebensraum gemacht<br />

hatten. Rundherum ordnen sie die Tiere und Pflanzen an, die<br />

sie bei <strong>der</strong> Exkursion gefunden hatten.<br />

Die Kin<strong>der</strong> arbeiten mit sehr großem Eifer und haben sichtlich<br />

Spaß in <strong>der</strong> Öffentlichkeit ihre Poster zu gestalten. Sie<br />

stellen Pflanzen in kleine, mit Wasser gefüllte Röhrchen,<br />

befestigen diese mit Tixo auf den Plakaten und beschriften<br />

sie. Kleine Insekten werden in Röhrchen mit Luftlöchern<br />

gesteckt und aufgeklebt. (Abends ließen wir die Tiere wie<strong>der</strong><br />

frei!)<br />

Tiere und Pflanzen, <strong>der</strong>en Namen die Kin<strong>der</strong> nicht wissen,<br />

bestimmen sie gemeinsam mit Hilfe <strong>der</strong> aufgelegten Literatur.<br />

Von den entdeckten Lebewesen, die von den SchülerInnen<br />

nicht mitgenommen werden, wie eine Schlange, Eidechse<br />

o<strong>der</strong> Vögel, fertigen sie Zeichnungen an. Stolz präsentiert<br />

jede Gruppe den MitschülerInnen ihre Poster.


64<br />

/ Mit Mikroskop und Becherlupe im Einkaufszentrum<br />

Die Poster blieben während <strong>der</strong> <strong>gesamten</strong> Science Week im<br />

Einkaufszentrum ausgestellt und wurden dann in <strong>der</strong> Schule<br />

aufgehängt.<br />

Von Zuhaus in die weite Welt<br />

Unser drittes Thema für die beiden Volksschulklassen war<br />

die Vielfalt <strong>der</strong> Erde. Ziel war das Kennenlernen von Tieren<br />

und Pflanzen und <strong>der</strong>en Lebensräumen, die sich nicht vor<br />

unserer Haustüre befinden.<br />

Wir hatten dazu Plakate vorbereitet, die verschiedene<br />

Lebensräume zeigen: Berge, Wald, Meer, Wiese, Regenwald,<br />

Steppe, Arktis ... Auf einer Weltkarte können die verschiedenen<br />

Lebensräume gesucht werden. In einer Schachtel haben<br />

wir eine große Menge Bil<strong>der</strong> von Tieren und Pflanzen mitgebracht.<br />

Die Kin<strong>der</strong> sollen diese Bil<strong>der</strong> den richtigen<br />

Lebensräumen zuordnen und auf die entsprechenden Plakate<br />

kleben. Sie sind mit Eifer bei <strong>der</strong> Sache und haben Spaß<br />

daran, sich in ihrem Wissen zu messen. Die bekannten Lebewesen<br />

haben sie schnell gefunden, benannt und dem jeweiligen<br />

Lebensraum zugeordnet. Bei den weniger bekannten<br />

Arten helfen wir.<br />

Oft sind die Kin<strong>der</strong> erstaunt, dass manche Tiere und Pflanzen<br />

nicht überall zu finden sind.<br />

Die Kollagen wurden nach <strong>der</strong> Science Week von den LehrerInnen<br />

mit in die Klassen genommen und im Laufe des<br />

Schuljahres weiter bearbeitet. In den nächsten Wochen<br />

brachten die Kin<strong>der</strong> auch selbst Bil<strong>der</strong> mit und ordneten sie<br />

den entsprechenden Lebensräumen zu.<br />

„Was hat die Erde zu bieten“<br />

Dauer: mindestens 2 Stunden, besser mehr Zeit<br />

Material: große Plakate (Packpapier o<strong>der</strong> Flipcharts)<br />

mit Beschriftung o<strong>der</strong> einem Bild jeweils eines<br />

Lebensraums; viele Bil<strong>der</strong> von verschiedensten Tieren<br />

und Pflanzen aus Naturzeitschriften<br />

(das Sammeln dauert!)<br />

Die Kin<strong>der</strong> teilen die Bil<strong>der</strong> den entsprechenden<br />

Lebensräumen zu. Je nach Alter <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>/<br />

Jugendlichen kann die Einteilung gröber o<strong>der</strong><br />

differenzierter ausfallen (Regenwäl<strong>der</strong> in Afrika o<strong>der</strong><br />

Südamerika, tropische Seen und gemäßigte Seen o<strong>der</strong><br />

einfach nur: Wald - Wiese - See …). Eventuell ergibt<br />

sich im Laufe <strong>der</strong> Zeit die Gelegenheit, die Lebensräume<br />

zu erweitern …<br />

Darüber hinaus kann man, wenn ein Tier o<strong>der</strong> eine<br />

Gegend im Unterricht behandelt wird, auf die Plakate<br />

eingehen und eventuell die Kin<strong>der</strong> dazu anhalten,<br />

selbst regelmäßig Bil<strong>der</strong> von Pflanzen und Tieren<br />

mitzubringen o<strong>der</strong> auch Zeitungsartikel, die auf die<br />

biologische Vielfalt Bezug nehmen. 6)<br />

Die Aktion „Biologische Vielfalt im Stadtteil“ wurde im Rahmen<br />

<strong>der</strong> Science Week 2001 von FORUM <strong>Umweltbildung</strong><br />

gemeinsam mit dem sozialpädagogischen Verein Spektrum<br />

und LehrerInnen und SchülerInnen <strong>der</strong> Volksschule Taxham<br />

in Salzburg durchgeführt.<br />

Infos: Michael Schmeikal, +43/(0)662/43 42 16;<br />

www.spektrum.at/projekte<br />

Mag. Julia Birnbaum<br />

hat Spaß am Draußensein. Sie ist Spiel-Erlebnispädagogin<br />

(Outdoor-Trainerin), Zoologin, Lehrerin für Biologie und<br />

Umweltkunde und Ethik, Jugendführerin des Alpenvereins.<br />

Sie arbeitet freiberuflich für das FORUM <strong>Umweltbildung</strong>,<br />

Freiraum, Power beim Bauer und die Österreichische Kin<strong>der</strong>krebs<br />

Hilfe.<br />

Mag. Barbara Dusek<br />

absolvierte das Ökologiestudium an <strong>der</strong> Universität Wien<br />

und Ausbildungen in Natur- und Erlebnispädagogik. Sie ist<br />

Assistentin beim Projekt Bodensee Agenda 21 <strong>der</strong> Internationalen<br />

Bodensee-Konferenz und freiberuflich tätig <strong>als</strong><br />

Trainerin für Outdoor- und Erlebnispädagogik.


1) Science Week (http://www.scienceweek.at)<br />

Universitäten, Fachhochschulen, Schulen, wissenschaftliche Vereine und<br />

Unternehmen präsentieren sich und wissenschaftliche Erkenntnisse, allgemein<br />

verständlich und oft humorvoll inszeniert, jedes Jahr im Juni eine<br />

Woche lang in allen Bundeslän<strong>der</strong>n Österreichs in Kaufhäusern, Banken,<br />

Bahnhöfen, auf öffentlichen Plätzen etc.<br />

2) Eine Variation:<br />

Jedes Kind bekommt einen o<strong>der</strong> mehrere Diarahmen, in denen eine<br />

durchsichtige Folie eingelegt ist, und dünne bunte Folienstifte. Die Diafolie<br />

kann nun mit den Stiften bemalt werden. Nachdem die Kin<strong>der</strong> ihre<br />

Bil<strong>der</strong> gestaltet haben, werden diese mit Hilfe eines Diaprojektors auf<br />

eine Wand projiziert und die Kin<strong>der</strong> erzählen zu ihrem Bild ihre erlebte<br />

Fantasiereise. Zu beachten ist bei dieser Methode, dass jüngere Kin<strong>der</strong><br />

Schwierigkeiten haben, die sehr kleinen Flächen zu bemalen. Wenn man<br />

diese Methode einsetzt, ist es daher ratsam, für jedes Kind mehrere<br />

Diarahmen zur Verfügung zu stellen.<br />

3) Weitere Anregungen:<br />

Tiere können fotografiert, gezeichnet o<strong>der</strong> ihre Abbildung aus Büchern<br />

(o<strong>der</strong> Farbkopien) ausgeschnitten werden. Den Kin<strong>der</strong>n macht es meist<br />

großen Spaß, die Tiere mitzunehmen und zu beobachten. Die Tiere sollten<br />

aber später unbedingt wie<strong>der</strong> freigelassen werden.<br />

Pflanzen können gepresst o<strong>der</strong> auch gezeichnet und fotografiert werden.<br />

(Hier bietet sich auch die Möglichkeit zu fächerübergreifenden Arbeiten<br />

mit dem Werkunterricht o<strong>der</strong> dem Fach Bildnerische Erziehung).<br />

Das Sammeln des Ausstellungsmateri<strong>als</strong> kann auch bei Regen durchgeführt<br />

werden. Welche Tiere findet man bei jedem Wetter, welche nicht?<br />

Und wieso?<br />

4) Variation:<br />

Die Ausstellung kann an verschiedenen Plätzen stattfinden:<br />

im Schulfoyer, bei einer Schulveranstaltung, im Gemeindehaus, bei<br />

Schönwetter am Hauptplatz etc.<br />

Bewerben <strong>der</strong> Ausstellung: Flugzettel, Plakate o<strong>der</strong> eine Ankündigung in<br />

<strong>der</strong> lokalen Zeitung.<br />

5) Veranstalten Schüler eine Ausstellung in einem außerschulischen<br />

Gebäude, wie in unserem Fall in einem Einkaufszentrum, muss eine<br />

Erlaubnis von <strong>der</strong> Verwaltung des entsprechenden Gebäudes eingeholt<br />

und die festgelegten Bestimmungen (Raumaufteilung, Fluchtwege, Öffnungszeiten<br />

etc.) eingehalten werden. Unbedingt zu beachten ist, dass<br />

einerseits die Kin<strong>der</strong> genügend Platz für die Gestaltung <strong>der</strong> Plakate haben<br />

Mit Mikroskop und Becherlupe im Einkaufszentrum / 65<br />

sollen, an<strong>der</strong>erseits ausreichend Fläche vorhanden ist für die Ausstellung<br />

<strong>der</strong> Plakate (Wände, Stelltafeln) und es zusätzlich Platz für Tische gibt,<br />

um Objekte (frische Pflanzen, Material wie Becherlupen, Bücher, Mikroskop<br />

falls vorhanden ...) ausstellen zu können.<br />

6) Variationen:<br />

Es bietet sich hier ebenfalls die Möglichkeit zum fächerübergreifenden<br />

Unterricht mit Geographie an. Aus dem Geographieunterricht können die<br />

Lebensräume durch Klimadaten o<strong>der</strong> Ähnliches ergänzt werden. So können<br />

die Kollagen das ganze Schuljahr hindurch erweitert werden und<br />

nach Bedarf immer wie<strong>der</strong> für den Unterricht herangezogen werden.<br />

O<strong>der</strong>: Die Kin<strong>der</strong> arbeiten in Gruppen an einem bestimmten Lebensraum,<br />

versuchen selbst noch bestimmte Informationen (Hilfestellung, z. B. mit<br />

Büchern o<strong>der</strong> Internet) herauszufinden wie: Beson<strong>der</strong>heiten des Lebensraumes,<br />

ist dieser Lebensraum bedroht o<strong>der</strong> nicht u.v.a.


Brigitte Baier<br />

Nahrhafte Landschaft<br />

Erinnerungen an ein überaus fruchtbares Schulprojekt<br />

an <strong>der</strong> HLW für wirtschaftliche Berufe.<br />

Schüler und Schülerinnen erinnern sich<br />

„Wir haben verschiedene Kräuter gesammelt, welche wir<br />

dann später in <strong>der</strong> Küche verkochten. Ich selbst habe das sehr<br />

interessant gefunden, wir haben sehr viel darüber erfahren,<br />

was uns die wilde Natur an Kräutern und Gewürzen anbietet,<br />

ohne sie im Supermarkt kaufen zu müssen.“<br />

Angelika E<strong>der</strong><br />

„Ich war erstaunt darüber, was man aus den Produkten <strong>der</strong><br />

Natur alles herstellen kann. Auch <strong>der</strong> gute Geschmack überraschte<br />

mich.“<br />

Verena Zeilerbauer<br />

„Bei unserem Wan<strong>der</strong>tag durch die Moosalm hielten wir<br />

Ausschau nach Hagebutten. Ich habe dadurch eine an<strong>der</strong>e<br />

Betrachtungsweise <strong>der</strong> Natur entwickelt. Am Anfang konnte<br />

ich mir wenig vorstellen, je mehr ich aber erfuhr, um so mehr<br />

interessierte mich dieses Thema und ich war erstaunt, was<br />

sich aus Wildfrüchten alles herstellen lässt.“<br />

Christoph Rizoll<br />

Das Wildkräuterseminar und das Wildobstseminar in Ried<br />

am Wolfgangsee sollten den jungen Leuten die Bedeutung<br />

und Verwendbarkeit <strong>der</strong> Vielfalt von Pflanzen vor unserer<br />

Haustur näher bringen. Dieses in Vergessenheit geratene<br />

Wissen wie<strong>der</strong> ins Be-wusstsein <strong>der</strong> Menschen zu bringen,<br />

das war die grundlegende Botschaft des Seminarleiters<br />

Michael Machatschek. Das Projekt sollte fächerübergreifend<br />

stattfinden und viele SchülerInnen beteiligen. Wir waren<br />

uns einig, dass die Küche eine tragende Rolle spielen musste.<br />

Als Projektklassen boten sich die Haushaltungsschule, die<br />

2. Klasse Fachschule für wirtschaftliche Berufe und die einjährige<br />

Wirtschaftsfachschule an.<br />

Einige Wochen vor dem Projekttag begann ich mit meiner<br />

Klasse nach den Anweisungen unseres Projektleiters Schlüsselblumenlikör,<br />

Fichtenwipfelsirup und Bärlauchschnaps<br />

anzusetzen. Für die Zubereitung von Löwenzahn- und Gänseblümchenhonig<br />

mussten bei Sonnenschein hun<strong>der</strong>te Blütenköpfe<br />

gesammelt werden.


Wildkräuterseminar<br />

Erster Projekttag – Mai 1999<br />

Beim Landschaftsspaziergang lernen,<br />

schauen und sammeln<br />

Frühmorgens treffen wir uns im Schulhof, bei wun<strong>der</strong>barem<br />

Sonnenschein. Das unterstützt unser Vorhaben. Es ist wichtig,<br />

Pflanzen bei Sonnenschein zu sammeln: Da gelangen<br />

die für den Heilerfolg wichtigen ätherischen Öle in die oberen<br />

Pflanzenteile. Für den Landschaftsspaziergang haben<br />

wir zwei bis drei Stunden eingeplant. Das Schulgelände<br />

erweist sich <strong>als</strong> wahre Fundgrube. Michael Machatschek<br />

zeigt uns jede Pflanze, erläutert Merkmale, den bevorzugten<br />

Standort und die Verwendung. Wir schreiben mit, zwei<br />

Schüler legen ein Herbarium an. Was wir erfahren ist für<br />

SchülerInnen wie Lehrpersonen neu und erstaunlich. Auf<br />

einmal wird klar, wie wenig wir von unserer engsten Umgebung<br />

wissen, welche Schätze vor unserer Haustür existieren<br />

und wie achtlos an ihnen vorübergegangen wird. So entdecken<br />

wir den Wilden Oregano, den kleinen Wiesenkopf,<br />

Pimpinelle, Bocksbart und Margeriten, Taubnessel, Giersch,<br />

Wiesenkümmel, Wiesenkerbel und Bärenklau, Spitzwegerich<br />

und Schafgarbe. Wir erfahren, dass sich die frischen Blätter<br />

<strong>der</strong> Linden <strong>als</strong> stärkendes, frisches Wildgemüse für köstliche<br />

Salate und Gemüsebeilagen verwenden lassen. Diese jungen<br />

Blätter sind noch nicht rau, enthalten noch keine Bitterstoffe<br />

und lassen sich gut roh verwenden. Wir lernen weitere<br />

Speiselaubarten kennen wie Hasel, Ulme, Esche, Feldund<br />

Bergahorn.<br />

Zu zweit o<strong>der</strong> zu dritt, ausgestattet mit Plastiksäckchen,<br />

versehen mit genauen Sammelanweisungen – so beginnen<br />

wir mit <strong>der</strong> Ernte. Also, eine Gruppe sammelt nur Lindenblätter,<br />

eine an<strong>der</strong>e Taubnessel, Vergissmeinnicht und Gänseblümchen,<br />

wie<strong>der</strong> eine an<strong>der</strong>e Löwenzahn und Bärenklau.<br />

Die eingebrachte Ernte wird zu einem<br />

schmackhaften Menü verarbeitet<br />

Die Arbeit in <strong>der</strong> Küche. Hinein in die Arbeitskleidung und<br />

los geht’s. Die gesammelten Schätze müssen zunächst sortiert<br />

und gewaschen werden. Unser Seminarleiter trifft die<br />

Einteilung, welche Kräuter für welches Gericht zu verarbeiten<br />

sind, und sichtet sie noch einmal genau. Für Topfenaufstriche<br />

werden die Kräuter sehr fein gehackt. Ein unbeschreiblicher<br />

Duft erfüllt die Küche. Bald ist das erste<br />

Gericht fertig. Brötchen mit Aufstrich aus Wildkräutern,<br />

garniert mit den Blüten von Gänseblümchen, Taubnessel,<br />

Nahrhafte Landschaft / 67<br />

Klee o<strong>der</strong> Vergissmeinnicht. Zuerst ist es etwas ungewohnt,<br />

Blüten zu essen, aber <strong>der</strong> köstliche Geschmack nimmt uns<br />

bald die Scheu.<br />

Wie<strong>der</strong> zurück in die Küche. Der Speiseplan ist umfangreich:<br />

Eine herzhafte Wildkräutersuppe, Hühnerbrüstchen mit<br />

Kräuterbutter, Brennnessel-Risotto, Brennnesselspinat, Kartoffelsalat<br />

mit Gierschblättern und Löwenzahn-Lindenblättersalat.<br />

Eine größere Menge fein gehackter Geißfuß wird<br />

zum Aromatisieren des Brotteiges gebraucht. Margeriten<br />

und Bocksbartknospen kommen <strong>als</strong> gebackenes Vielerlei auf<br />

den Tisch. Manch einer verzehrt auch eine gebackene<br />

Pfingstrosenknospe. Als Nachspeise bereiten wir ein Pfefferminzparfait<br />

zu.<br />

Nach <strong>der</strong> anstrengenden Arbeit in <strong>der</strong> Küche wird das vorzügliche<br />

Mahl in gemütlicher Runde eingenommen.<br />

Ein schwarzer Tee aus Brombeer-, Himbeer- und<br />

Erdbeerblättern<br />

Wie aus Brombeer-, Himbeer- und Erdbeerblättern ein Tee<br />

hergestellt werden kann, demonstriert uns <strong>der</strong> Seminarleiter<br />

am Ende unseres Projekttages. Die Blätter werden zunächst<br />

von den Stängeln befreit und dann in kleine Stücke zerpflückt.<br />

Die lässt man zunächst etwas welken. Dann wickelt<br />

man sie straff in ein Tuch, das mit Spagat fest gebunden<br />

wird. Zur Fermentierung werden die Blätter einen Tag im<br />

Raum aufgehängt, dann das Tuch wie<strong>der</strong> geöffnet, mit Wasser<br />

bespritzt, neuerlich gewickelt und gebunden. Insgesamt<br />

vier mal. Nach vier Tagen lässt man die Blätter trocknen und<br />

füllt sie ab.<br />

Zum Nachdenken<br />

Michael Machatschek: „Manche Menschen vertragen Wildgemüse<br />

nicht sehr gut. Ist dies aber nicht schon ein Zeichen,<br />

dass wir uns nur mehr von ganz wenigen Nahrungsgruppen<br />

wie Fleisch, Milch, Getreide und gemästetem Gemüse und<br />

Obst ernähren und die Aroma- und Wirkstoffe durch Syn-


68<br />

/ Kin<strong>der</strong> für die Natur begeistern<br />

thetika ersetzen? Diese fünf Grundnahrungsmittel täuschen<br />

im Supermarkt eine Vielfalt vor, die real nicht vorhanden ist,<br />

da sie aus wenigen Ausgangsprodukten hergestellt wird. Sie<br />

nähren nicht mehr, son<strong>der</strong>n sind zu Sättigungsmitteln<br />

geworden. Schafgarbe, Waldmeister o<strong>der</strong> Arnika, Spitzwegerich<br />

und Frauenmantel können eben nicht in ihren speziellen<br />

Wirkstoffen durch Kartoffelchips o<strong>der</strong> Power-Getränke<br />

ersetzt werden. Was ist aber giftiger: synthetisch hergestellte<br />

Pharmaka, völlig überformte Nahrungsmittel o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> fundierte Umgang mit wild wachsenden Kräutern?“<br />

Wildobstseminar<br />

Zweiter Projekttag – Oktober 1999<br />

Ein neues Schuljahr, ein neues Seminar:<br />

Wildobstnutzung<br />

Beim Wildobst ist es ja nicht so einfach wie bei den Wildkräutern,<br />

die uns im Schulgelände zur Verfügung standen.<br />

Um an Vogelbeeren, Schlehen, Preiselbeeren, Berberitzen,<br />

Heidelbeeren, Brombeeren und Himbeeren zu gelangen,<br />

muss man schon ausgedehntere Sammelgänge unternehmen.<br />

Außerdem reifen diese Wildfrüchte zu unterschiedlichen<br />

Zeiten und uns steht ja nur ein Projekttag zur Verfügung.<br />

So nutzen wir den kommenden Wan<strong>der</strong>tag gleich in<br />

dieser Hinsicht. Wir fragen SchülerInnen, welches Wildobst<br />

sie beschaffen können, und auch die am Seminar beteiligten<br />

LehrerInnen werden Wildobst organisieren.<br />

Eine Brücke zu den Generationen vor uns<br />

Für viele Generationen vor uns war die Wildobstnutzung<br />

etwas ganz Natürliches und etwas Unverzichtbares. Der<br />

Tisch war nicht so verschwen<strong>der</strong>isch gefüllt und Supermärkte<br />

mit ihrem Obstangebot über das ganze Jahr waren<br />

gar nicht vorhanden.<br />

Einkochen und Bevorraten<br />

Ein zweistündiger Dia-Vortrag vermittelt uns Wissen über<br />

Wildobstsorten, ihre Standorte und ihre Verwendung. Wildobst<br />

wurde gesammelt, um die Kost schmackhafter zu<br />

machen und sie zu bereichern. Von großer Bedeutung war<br />

die Heilanwendung – <strong>als</strong> Tee, Sirup o<strong>der</strong> in Form von<br />

getrockneten Beeren.<br />

Diese Wildobst-Sorten haben wir verwendet:<br />

Hagebutten<br />

Zu den wertvollsten Wildfrüchten zählen die Hagebutten.<br />

Unübersehbar leuchten sie im Herbst in ihrer roten Pracht.<br />

Das Sammeln bereitet wenig Mühe, dagegen ist das Putzen<br />

aufwändig und zeitintensiv. Doch die Arbeit lohnt sich, denn<br />

<strong>der</strong> gesundheitliche Wert ist hoch, <strong>der</strong> Geschmack fein und<br />

die Verwendung <strong>der</strong> Früchte vielseitig. Wir sammeln Hagebutten<br />

für Marmelade, einen Liköransatz und eine Teemischung.<br />

Die anfallenden Kerne wollen wir feinst ausmahlen<br />

und <strong>als</strong> Streckmehl für Striezel verwenden.<br />

Wir haben unsere Hagebutten beim Wan<strong>der</strong>tag und im<br />

Schulgarten gesammelt.<br />

Schwarzer Holler<br />

Die Wirkungen des schwarzen und roten Holun<strong>der</strong>s sind in<br />

<strong>der</strong> Volkskultur tief verwurzelt. Dabei werden den Blüten<br />

ebenso heilende Eigenschaften zugesprochen wie den reifen<br />

Beeren. In unserer Wildobstküche bereiten wir Hollermarmelade<br />

und Hollerlikör zu.<br />

Vogelbeeren<br />

Eine weitere Marmelade wollen wir mit Vogelbeeren zubereiten.<br />

Diese Beeren gelieren sehr gut, schmecken aber mitunter<br />

etwas herb. Mischungen mit Birne, Apfel o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Früchten sind empfehlenswert. Vogelbeeren haben<br />

einen deutlich höheren Vitamin-C-Gehalt <strong>als</strong> Zitronen o<strong>der</strong><br />

Orangen.<br />

Der hohe Säuregehalt macht Marmeladen gut haltbar. Die<br />

Verwendung von Vogelbeeren war früher aber noch vielfältiger.<br />

So wurden die Beeren geröstet und gemahlen zu<br />

einem schmackhaften Brotteig verarbeitet o<strong>der</strong> <strong>als</strong> Kaffee<br />

vermahlen.


Quitten<br />

Eine Schülerin hat uns Früchte vom elterlichen Quittenbaum<br />

mitgebracht. Quitten besitzen eine außerordentlich<br />

hohe Gelierfähigkeit und eignen sich deshalb gut zum<br />

Mischen mit an<strong>der</strong>en Obstarten, beispielsweise mit den<br />

Beeren <strong>der</strong> Judenkirsche o<strong>der</strong> Lampionblume, die teilweise<br />

verwil<strong>der</strong>t anzutreffen ist.<br />

Schlehen, Mispel, Sanddorn, Weißdorn und Kornelkirschen<br />

werden vom Seminarleiter beigestellt und von uns zu<br />

Liköransätzen, Säften und Marmeladen verarbeitet.<br />

Nussfrüchte<br />

Neben den Beerenfrüchten haben die Nussfrüchte wegen<br />

ihres Energiegehaltes eine beson<strong>der</strong>e Bedeutung. Zum<br />

Rohessen, <strong>als</strong> Beigabe zu Brot und Backwerk und sogar zur<br />

Ölgewinnung fanden sie Verwendung. Wichtige Vertreter<br />

sind die Haselnuss, die Eiche, die Edelkastanie, die Buche<br />

und die Walnuss. In unserer Wildobstküche haben wir<br />

Maroni in Schnaps eingelegt und Kipferl mit Kastanienfülle<br />

zubereitet.<br />

Am Ende des Projekttages waren viele Gläser gefüllt, die<br />

verziert und beschriftet in die Vorratskammern wan<strong>der</strong>n<br />

sollten.<br />

Die Erfahrungen beim Wildobstseminar haben wir in einem<br />

Rezeptbüchlein zusammengestellt.<br />

Die 34 Seiten starke Broschüre ist für 7 Euro zu bestellen bei<br />

Brigitte Baier, E-Mail: Brigitte_Baier@jet2web.cc<br />

Präsentationen<br />

Die intensive Beschäftigung mit <strong>der</strong> „Nahrhaften Landschaft“<br />

wollten wir nicht für uns alleine behalten. Als erste<br />

luden wir die Eltern <strong>der</strong> SchülerInnen <strong>der</strong> einjährigen Haushaltungsschule<br />

ein. Nach einem Diavortrag stand ein Wildkräuterbuffet<br />

bereit sowie ein umfangreiches Sortiment an<br />

Säften, Sirup und Liköransätzen zum Verkosten. Ein voller<br />

Erfolg, wie wir später feststellen können.<br />

Im November 1999 präsentierten SchülerInnen <strong>der</strong> 2. Klasse<br />

Fachschule für wirtschaftliche Berufe und <strong>der</strong> einjährigen<br />

Wirtschaftsfachschule das Seminar Wildobst auf <strong>der</strong><br />

Berufsinformationsmesse in Salzburg: Mit einer Ausstellung<br />

von Wildobst und den daraus hergestellten Produkten. Und<br />

mit Kostproben von Hagebuttenstriezel, Konfekt aus Quitten<br />

und Edelkastanien und Kastanienkipferln. In <strong>der</strong> Schule<br />

wurde dieses Projekt anlässlich des Elternsprechtages präsentiert.<br />

Rezepte zum Nachkochen<br />

Kin<strong>der</strong> für die Natur begeistern / 69<br />

Gänseblümchenhonig<br />

500 Gänseblümchenblüten bei Sonnenschein sammeln, kurz<br />

abbrausen und mit 3/4l kochendem Wasser übergießen.<br />

Eine Naturzitrone in Scheiben schneiden und dazugeben.<br />

Diesen Ansatz lässt man über Nacht ziehen. Am nächsten<br />

Tag wird <strong>der</strong> Ansatz durch ein Sieb o<strong>der</strong> feines Tuch gefiltert.<br />

Den Fruchtansatz gut ausdrücken. Die gewonnene<br />

Flüssigkeit wird mit 3/4kg Zucker vermischt und auf kleiner<br />

Flamme zum Kochen gebracht. Solange köcheln lassen, bis<br />

sich die Fruchtmasse sirupartig eindickt. In Gläser abfüllen<br />

und gut verschließen. Dieser Sirup kann <strong>als</strong> Brotaufstrich<br />

o<strong>der</strong> zum Süßen von Tee verwendet werden.<br />

Hagebutten-Likör<br />

Gesammelte Hagebutten von Blütenansätzen und Stängeln<br />

befreien und in ein verschließbares Glas füllen. Mit <strong>der</strong> doppelten<br />

Menge Kornschnaps (40 %) o<strong>der</strong> Obstler bedecken<br />

und an einem warmen Ort, z B. auf <strong>der</strong> Fensterbank, etwa<br />

5 Wochen ziehen lassen. Ab und zu durchschütteln.<br />

Während dieser Zeit färbt sich <strong>der</strong> Likör goldorange und<br />

übernimmt das Aroma <strong>der</strong> Hagebutten. Danach wird filtriert.<br />

Dazu eignen sich Kaffeefilter sehr gut, allerdings<br />

braucht man Geduld, weil es stundenlang dauern kann, bis<br />

die Flüssigkeit durchtropft. Vor dem Abfüllen in Flaschen<br />

kann mit Kandiszucker o<strong>der</strong> Zuckersirup (Zucker und Wasser


70<br />

/ Kin<strong>der</strong> für die Natur begeistern<br />

aufkochen) leicht gesüßt werden. Das volle Aroma entwickelt<br />

dieser wun<strong>der</strong>bare Likör nach längerem Reifen im<br />

Keller.<br />

Hagebutten-Marmelade<br />

Aus den alkoholgetränkten Hagebutten lässt sich eine köstliche<br />

Marmelade zubereiten. Dazu werden die Hagebutten<br />

mit <strong>der</strong> doppelten Menge Wasser weichgekocht. Mit einem<br />

Mixstab zerkleinert man die Früchte zu breiiger Konsistenz.<br />

Diese Masse wird durch die flotte Lotte gedreht, wodurch<br />

die Kerne entfernt werden. Um die unzähligen Härchen aus<br />

dem verbliebenen Fruchtmark zu entfernen, muss dieses<br />

noch durch ein feines Haarsieb gestrichen werden. Natürlich<br />

reduziert sich die Menge dadurch weiter. Die Herstellung<br />

mag aufwändig erscheinen. Der unvergleichliche<br />

Geschmack dieser Marmelade lohnt die Mühe aber auf<br />

jeden Fall. Mit <strong>der</strong> gleichen Menge Zucker wird die verbliebene<br />

Fruchtmasse aufgekocht und heiß in saubere Gläser<br />

abgefüllt. Dieses Rezept eignet sich auch hervorragend für<br />

frisch gepflückte Hagebutten.<br />

Eingelegte Löwenzahn- und Gänseblümchenknospen<br />

Löwenzahn- und Gänseblümchenknospen werden kurz<br />

blanchiert und in kleine Gläser gefüllt. Mit gesalzenem, verdünntem<br />

Essig übergießen und mit einer Ölschicht<br />

bedecken, Gläser gut verschließen. Die Knospen dienen <strong>als</strong><br />

Kapernersatz, lassen sich aber auch gut zum Garnieren verwenden<br />

o<strong>der</strong> unter Salate mischen.<br />

Literatur<br />

Gnaupe Friedrich/Koller Sepp, 1999: Delikatessen aus Unkräutern.<br />

Das Wildpflanzen – Kochbuch. HEYNE<br />

Machatschek, Michael, 1999: Nahrhafte Landschaft. Böhlau Verlag Wien<br />

Pahlow, Mannfried, 2001: Heilpflanzen. Gräfe u. U.<br />

Das Projekt wurde inhaltlich von Michael Machatschek<br />

getragen. Mitgearbeitet haben die SchülerInnen sowie die<br />

Lehrerinnen Gabi Fössl, Christina Fritz, Tanja Huber,<br />

Gertraud Zimmermann, Annemarie Ritzberger und<br />

Brigitte Baier.<br />

Fachlehrerin Brigitte Baier<br />

unterrichtet an <strong>der</strong> Höheren Lehranstalt für wirtschaftliche<br />

Berufe in Ried am Wolfgangsee das Fach Kreatives<br />

Gestalten.<br />

Als Klassenvorstand <strong>der</strong> einjährigen Wirtschaftsfachschule<br />

mit dem fächerübergreifenden Seminar Nahrhafte Landschaft<br />

beschäftigt.


Jürgen Mayer<br />

Von <strong>der</strong> Färberpflanze zur Pflanzenfarbe<br />

Ein Unterrichtsmodell für nachhaltige Nutzung<br />

<strong>der</strong> biologischen Vielfalt<br />

Nachhaltige Nutzung <strong>der</strong> biologischen Vielfalt<br />

Die Nutzung und <strong>der</strong> Schutz <strong>der</strong> biologischen Vielfalt sind<br />

Bestandteil des umweltpolitischen Leitbildes <strong>der</strong> Nachhaltigen<br />

Entwicklung (sustainable development). Dieses Leitbild<br />

ist in den 90er Jahren weltweit zu einem Schlüsselbegriff<br />

<strong>der</strong> Umweltpolitik geworden (Fritz/Huber/Levi 1995). Ökologische,<br />

ökonomische und soziale Ziele sollen so in Einklang<br />

gebracht werden, dass die Bedürfnisse <strong>der</strong> heute lebenden<br />

Menschen befriedigt werden, ohne die Bedürfnisbefriedigung<br />

künftiger Generationen zu gefährden.<br />

Eine Strategie des nachhaltiges Wirtschaften ist die Verwendung<br />

von nachwachsenden Rohstoffen: Pflanzen o<strong>der</strong><br />

Pflanzenteile aus landwirtschaftlicher Erzeugung, die nicht<br />

zur Ernährung o<strong>der</strong> <strong>als</strong> Futtermittel dienen. Das bedeutet:<br />

weniger Schadstoffe, gut biologisch abbaubar, Schonung<br />

fossiler Rohstoffe, günstige Kohlenstoffdioxidbilanz und<br />

Zukunftsperspektiven für die Agrarindustrie (Eggersdorfer<br />

1995). Als nachwachsende Rohstoffe bekannt sind Methanol<br />

o<strong>der</strong> Rapsöl, die <strong>als</strong> Kraftstoffe<br />

Kreislaufökonomie und auf Umwelt-Bewertungsverfahren<br />

wie Ökobilanzen o<strong>der</strong> Produktlinienanalysen<br />

(Rupprecht/Mayer 1997, Sommer/Mayer 2001).<br />

Unmittelbare Erfahrung mit <strong>der</strong><br />

biologischen Vielfalt<br />

Naturerfahrungen sind heute nicht mehr selbstverständlicher<br />

Teil des Lebens von Schülerinnen und Schülern; Naturerfahrungen<br />

müssen bewusst gestaltet und in den Erziehungsprozess<br />

einbezogen werden (Mayer 2000).<br />

Für die unmittelbare Vertrautheit im Umgang mit <strong>der</strong> Natur<br />

prägte Gerhard Winkel das Leitmotiv des Pflegerischen<br />

(Winkel 1990, 1995). Dieses wird in verschiedenen Erfahrungsfel<strong>der</strong>n<br />

wie Umgang mit Rohstoffen, Ökosystemen und<br />

Kulturgütern verwirklicht. Der Schulgarten ist ein beson<strong>der</strong>s<br />

geeignetes Übungsfeld zur Umsetzung dieses Motivs.<br />

genutzt werden. Immer wichtiger Erfahrungsdimension Erfahrungsgehalt Aktivitäten im Unterricht<br />

werden Pflanzenfasern, Stärke für Soziale Naturerfahrung Zuneigung Tierhaltung in <strong>der</strong> Schule, Tierpatenschaft<br />

biologisch abbaubare Verpackungsstoffe<br />

und Naturfarben für Kleidung,<br />

Ästhetische Naturerfahrung<br />

Instrumentelle Naturerfahrung<br />

Schönheit<br />

Nutzen<br />

Malen, Fotografieren, Gestalten,<br />

Wahrnehmungsspiele, Zimmerpflanzen<br />

Schulgartenarbeit, Arbeit auf Schulbauernhöfen<br />

Kosmetik und Nahrungsmittel.<br />

Erkundende Naturerfahrung Erkenntnis Naturbeobachtung, Zoobesuch, Bestimmungsspiele<br />

Am Beispiel nachwachsen<strong>der</strong> Roh- Ökologische Naturerfahrung Bewahrung Arten- und Naturschutzmaßnahmen<br />

stoffe kann Nachhaltige Entwicklung<br />

erarbeitet werden (Mayer 1995,<br />

Schulbiotoppflege<br />

John/Ludwichowski 1996). Im Unterricht kann neben <strong>der</strong><br />

Vielfalt auch auf den Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie<br />

eingegangen werden (Mayer 1997), auf Prinzipien<br />

einer nachhaltigen Landwirtschaft, auf Konzepte einer<br />

Abb. 1: Erfahrungsdimension im Umgang mit biologischer Vielfalt


72<br />

/ Von <strong>der</strong> Färberpflanze zur Pflanzenfarbe<br />

Färberpflanzen im Schulgarten<br />

Die Pflanzung und Pflege von Färberpflanzen im Schulgarten<br />

ermöglichen eine Auseinan<strong>der</strong>setzung mit biologischen<br />

Beson<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> Arten, mit <strong>der</strong> Nutzung und <strong>der</strong> Kulturgeschichte.<br />

Wie groß die Nutzungsmöglichkeiten sind und welchen<br />

potenziellen Wert Biodiversität besitzt, wird aus <strong>der</strong> Fülle<br />

<strong>der</strong> verschiedenen zum Färben geeigneten Pflanzen deutlich<br />

(Roth U. A. 1992, Schweppe 1993). Bezüge zur umgebenden<br />

Pflanzenwelt ergeben sich, wenn das Färberbeet bereichert<br />

wird durch Arten aus <strong>der</strong> Wildkrautflora – beispielsweise<br />

Rainfarn Chrysanthemum vulgare, Brennnessel Urtica dioica,<br />

Wiesenkerbel Anthriscus silvestris, Tüpfel-Johanniskraut<br />

Hypericum perforatum.<br />

Durch die Bandbreite zum Färben geeigneter Pflanzen, zum<br />

Beispiel auf Exkursionen, wird die Bedeutung <strong>der</strong> Erhaltung<br />

von biologischer Vielfalt erfahrbar. So lässt sich zeigen, dass<br />

für den Menschen ein biologisches Potenzial mit erheblichem<br />

Nutzwert direkt „vor <strong>der</strong> Haustür“ liegt, aus dem heraus<br />

über die Jahrhun<strong>der</strong>te immer neue, auch komplexere<br />

Färbemittel entdeckt worden sind.<br />

Schematischer Aufbau eines Färberbeetes<br />

1. Färberwaid (Isatis tinctoria)<br />

2. Färberwau (Reseda luteola)<br />

3. Färberröte (Rubia tinctorum)<br />

4. Färberdistel (Carthamus tinctorius)<br />

5. Färbermeiser (Asperula tinctoria)<br />

6. Stockrose (Alcea rosea)<br />

7. Färberginster (Genista tinctoria)<br />

8. Ringelblume (Calendula officinalis)<br />

9. Ochsenzunge (Anchusa officinalis)<br />

Bei <strong>der</strong> Anlage eines Färberbeetes spielt neben <strong>der</strong> Artenvielfalt<br />

die Gestaltung nach ästhetischen und praktischen<br />

Gesichtspunkten eine Rolle: Blühzeit, Blütenfarbe, Pflanzengröße<br />

und -gestalt, Standort und Windschutz. Die Abbildung<br />

zeigt einen Vorschlag, <strong>der</strong> den örtlichen Gegebenheiten<br />

angepasst werden muss.<br />

Farbenpracht <strong>der</strong> Natur auf Malerpalette<br />

Gewinnung und Verwendung von Naturfarben<br />

Zum Färben größerer Stoffmengen wird in <strong>der</strong> Regel auf<br />

gekaufte Pflanzenfarbstoffe zurückgegriffen werden müssen.<br />

Die Ausbeute bei den selbst gezogenen Pflanzen ist zu<br />

gering und <strong>der</strong> Flächenbedarf für den Anbau ausreichen<strong>der</strong><br />

Mengen zu groß. Die Pflanzen im Färbergarten sollen die<br />

Bandbreite nutzbarer Arten darstellen. Die früher angewandten<br />

Techniken <strong>der</strong> Farbstoffgewinnung lassen sich gut<br />

am selbst gesammelten Material demonstrieren (John/Ludwichowski<br />

1996). Schüler und Schülerinnen gewinnen<br />

damit einen persönlichen Bezug zum Thema, <strong>der</strong> weit über<br />

den Schulalltag hinausreichen kann.<br />

Am einfachsten ist die Handhabung vieler Naturfarben <strong>als</strong><br />

Direktfarbstoff. Das zu färbende Material wird zusammen<br />

mit dem Farbstoff längere Zeit erhitzt, die Farbe geht auf<br />

den Stoff über (Pracht 1984). Die Färberpflanzen sollten<br />

vorher über Nacht eingeweicht werden, um das Färberesultat<br />

zu verbessern. Zur Verwendung <strong>als</strong> Beizfarbstoff bedarf<br />

es <strong>der</strong> Zugabe eines Salzes. Durch Beizen des Stoffes lässt<br />

sich <strong>der</strong> Farbton beeinflussen, außerdem wird durch Lackbildung<br />

die Lichtechtheit mancher Farben erhöht. Aus<br />

Umweltgesichtspunkten vertretbar sind Alaun (Kalium-<br />

Aluminium-Sulfat) o<strong>der</strong> Eisen-II-Sulfat-Beizen, mit Einschränkung<br />

auch Kupfer- sowie Zinnbeizen. Dagegen sollten<br />

Schwermetallbeizen auf Chrom- o<strong>der</strong> gar Quecksilberbasis<br />

wegen ihrer toxischen o<strong>der</strong> cancerogenen Wirkung<br />

nicht zum Einsatz kommen.<br />

Werden in Schulen umweltfreundliche Schreib- und Zeichenmaterialien<br />

verwendet, besteht die Möglichkeit Temperafarbe,<br />

Kreide und Wachsm<strong>als</strong>tifte mit den Schülern im<br />

Unterricht herzustellen.<br />

Im fächerübergreifenden Unterricht erarbeitete Nutzungsmöglichkeiten<br />

und Anwendungstechniken von Farbstoffpflanzen<br />

bieten einen ganzheitlichen Ansatz, <strong>der</strong> vom<br />

Pflanzenanbau bis zur Produktfertigung reicht. So können


Malen mit Farben aus<br />

<strong>der</strong> Natur<br />

Schüler und Schülerinnen die Farbstoffe selbst gewinnen<br />

und verarbeiten, mit unterschiedlichen Methoden Stoffe<br />

färben und an diesem Beispiel ökologische, ökonomische<br />

und kulturelle Aspekte <strong>der</strong> Verwendung nachwachsen<strong>der</strong><br />

Rohstoffe erarbeiten. In diesem Unterrichtsmodell wird<br />

sowohl eine Vertrautheit <strong>der</strong> uns umgebenden Vielfalt<br />

angestrebt <strong>als</strong> auch eine Handlungsmotivation und Handlungskompetenz<br />

zum Schutz <strong>der</strong> Vielfalt. Es trägt damit zur<br />

Sicherung <strong>der</strong> natürlichen Lebensgrundlagen <strong>der</strong> Menschen<br />

bei.<br />

Färberwaid (Isatis tinctoria)<br />

25–140 cm große, zweijährige Pflanze, kleine, gelb gefärbte<br />

Blüten. Wächst bevorzugt auf trockenen Rasen und<br />

Schuttflächen sowie im Fels in Europa, Westasien und Nordafrika.<br />

Die zwei- bis dreimal im Jahr gesammelten Blätter<br />

wurden in Waidmühlen verarbeitet. Aus dem entstehenden<br />

Brei formten die Waidbauern Kugeln, ließen diese trocknen<br />

und brachten sie so in den Handel. Unter Wasser- und Urinzusatz<br />

vergoren die Waidkugeln in Bottichen. Die abgezogene<br />

Flüssigkeit färbt sich durch Zusatz von Kalk gelb, durch<br />

Salzsäure blau. Der Färberwaid blüht von Mai bis August.<br />

Aussaat von März bis Mai ins Freiland, beson<strong>der</strong>s geeignet<br />

sind offene, warme und sommertrockene Standorte. Die<br />

Saat keimt nach 10 bis 30 Tagen.<br />

Färberröte (Krapp, Rubia tinctorum)<br />

Ausdauernde, 50 bis 80 cm hohe Staude. Sie liebt kalkhaltigen<br />

Boden und Sommerwärme. Die Blüten sind gelb. Die<br />

Wurzeln („Krapp“) werden ab dem dritten Jahr im Frühling<br />

und Herbst gesammelt, getrocknet und schließlich zerkleinert<br />

o<strong>der</strong> gemahlen. Das frische Rhizom ist innen stark gelb<br />

gefärbt, entwickelt den roten Farbton erst beim Trocknen<br />

und lässt sich lange lagern, ohne an Färbekraft zu verlieren.<br />

Die Samen werden zwischen März und Mai ausgesät und<br />

benötigen zum Keimen 30 bis 50 Tage.<br />

Von <strong>der</strong> Färberpflanze zur Pflanzenfarbe / 73<br />

Färberdistel (Saflor, Carthamus tinctorius)<br />

Ein- bis zweijährig, Wuchshöhe bis zu 1,30 m. Die Blüten<br />

von Juli bis September zeigen eine rote bis orangerote<br />

Farbe. Zur Farbherstellung werden die getrockneten Blätter<br />

verwendet, so sind verschiedene Gelbtöne zu bekommen.<br />

Saflor kann auch <strong>als</strong> farbgebendes Küchengewürz eingesetzt<br />

werden. Die Aussaat erfolgt im März und April, Keimdauer<br />

10 bis 30 Tage.<br />

Färberkamille (Anthemis tinctoria)<br />

Zwei- bis mehrjährig; bevorzugt sonnige Hänge und Wegrän<strong>der</strong><br />

und wächst auf kalkhaltigem Boden bis zu 80 cm<br />

hoch. Die Blüten leuchten goldgelb, Blütezeit von Juli bis<br />

September. Als färbende Pflanzenteile werden die Blüten<br />

verwendet. Neben <strong>der</strong> Färberkamille eignen sich weitere<br />

Arten, z. B. Hundskamille Anthemis cotula und Echte Kamille<br />

Matricaria chamomilla zum Färben. Ausgesät wird von<br />

März bis Mai, Keimdauer 10 bis 30 Tage.<br />

Färberwau (Reseda luteola)<br />

Zweijährig, kommt auf Schuttfluren, meist auf kalkreichen<br />

Böden vor, Wuchshöhe bis zu 150 cm. Blütezeit Juni bis<br />

September. Keimdauer bis zu 100 Tage. Aussaat Mitte Juli<br />

bis August, die Ernte im darauf folgenden Sommer. Verwendet<br />

wird <strong>der</strong> Färberwau zu Beginn <strong>der</strong> Blüte. Die ganze<br />

Pflanze kann mit Wurzeln ausgerissen und für spätere Verwendung<br />

getrocknet aufbewahrt werden. Durch Kochen in<br />

heißem Wasser lässt sich <strong>der</strong> gelbe Farbstoff Luteolin extrahieren.<br />

Bis ins vergangene Jahrhun<strong>der</strong>t wurde die Pflanze in<br />

vielen Teilen Europas kultiviert und <strong>als</strong> Textilfarbstoff verwendet,<br />

vor allem aber zum Bemalen von Wohnräumen.<br />

Stockrose (Schwarze Malve, Alcea rosea)<br />

Zweijährig, wird 3 m hoch. Die Blüten, die zum Färben<br />

gesammelt und im Schatten getrocknet werden, haben<br />

einen Durchmesser von 6 bis 10 cm und sind violett-rot,<br />

können aber auch schwärzlich, gelb o<strong>der</strong> weiß gefärbt sein.<br />

Sie wurden auch zur Rot-Färbung von Wein und Likör eingesetzt.<br />

Die Stockrose blüht von Juli bis September. Die<br />

Pflanze gedeiht auf Schuttfluren. Die Samen keimen unregelmäßig<br />

über die Saison verteilt. Aussaat zwischen März<br />

und Mai.<br />

Färberginster (Genista tinctoria)<br />

Sommergrüner Strauch, 30 bis 60 cm hoch. Der Färberginster<br />

bevorzugt sonnige Standorte. Er zeigt von Juni bis in den<br />

September seine goldgelben Blüten. Der Färberginster enthält<br />

<strong>als</strong> Hauptfarbstoff Luteolin. Zum Färben verwendet


74<br />

/ Von <strong>der</strong> Färberpflanze zur Pflanzenfarbe<br />

werden können die Zweige mit den Blüten, aber auch die<br />

Stiele mit den Blättern. Die Keimdauer <strong>der</strong> Saat beträgt bis<br />

zu 200 Tagen, die Aussaat erfolgt am besten im August o<strong>der</strong><br />

September<br />

Ringelblume (Calendula officinalis)<br />

Wuchshöhe bis 50 cm. Die Ringelblume gedeiht auf nährstoffreichen<br />

Böden. Sie blüht goldgelb bis rötlich von Mai<br />

bis Oktober. Die Pflanze kann ein- o<strong>der</strong> (selten) mehrjährig<br />

sein. Gefärbt wird mit den Blüten, die vor allem Carotiniode<br />

enthalten. Die Aussaat erfolgt von März bis Mai, Keimdauer<br />

10 bis 30 Tage.<br />

Färbermeister (Asperula tinctoria)<br />

Mehrjährig, Wuchshöhe bis 70 cm. Wächst auf Trockenrasen<br />

und felsigen Hängen. Die Blütenkrone ist weiß. Die<br />

Wurzel färbt in Verbindung mit einer Alaunbeize Textilien<br />

rot. Dafür ist im Wesentlichen das in <strong>der</strong> Wurzel enthaltene<br />

Pseudopurpurin und Purpurin verantwortlich, weniger das<br />

Alizarin, wie es den Krapp kennzeichnet. Die Saat, von März<br />

bis Mai in den Boden eingebracht, benötigt zur Keimung bis<br />

zu 120 Tage.<br />

Ochsenzunge (Anchusa officinalis)<br />

Bis 80 cm hoch, mehrjährig. Auffallend sind die dunkel purpurvioletten<br />

Blüten. Anchusa ist eine gute Bienenweide.<br />

Blüht von Mai bis September. Die Wurzel färbt rot. Die Saat<br />

kommt von März bis Mai ins Beet und keimt nach 10 bis 30<br />

Tagen.<br />

Hollun<strong>der</strong> (Sambucus nigra)<br />

Bis zu 10 m hoher, sommergrüner Strauch. Weit verbreitet<br />

in Gebüschen, feuchten Wäl<strong>der</strong>n und auf Schuttflächen.<br />

Dort können junge Pflanzen vorsichtig ausgegraben und im<br />

Färbergarten an geeigneter Stelle <strong>als</strong> Windschutz verwendet<br />

werden. Gefärbt werden kann mit den Blättern (eine<br />

Stunde kochen: grüngelb), mit Rindenstücken und Wurzeln<br />

(4 bis 5 Stunden kochen: schwarz) o<strong>der</strong> mit den vollreifen,<br />

frischen Beeren (1/2 Stunde: rotviolett). Holun<strong>der</strong>beeren<br />

enthalten Flavonoide und Anthocyane.<br />

Literatur<br />

Eggersdorfer, M.: Perspektiven nachwachsen<strong>der</strong> Rohstoffe in Energiewirtschaft<br />

und Chemie. Mensch, Umwelt, Wirtschaft. Heidelberg; Berlin:<br />

Spektrum, 1995<br />

Fritz, P.; Huber, L; Levi, H. W.: Nachhaltigkeit in naturwissenschaftlicher<br />

und sozialwissenschaftlicher Perspektive. Stuttgart: Wiss. Verl.<br />

Gesellsch., 1995<br />

John, S. & Ludwichowski, I.: Ökologische und ökonomische Aspekte nachwachsen<strong>der</strong><br />

Rohstoffe. In: Bayrhuber et. al.: Biologieunterricht<br />

und Lebenswirklichkeit. 10. Fachtagung <strong>der</strong> Sektion Fachdidaktik<br />

im VdBiol. Kiel: IPN, 1996<br />

John, S. & Ludwichowski, I. : Naturfarben im Unterricht. Köln: Aulis, 1996<br />

Koch, J. H.: Mit Model, Krapp und Indigo. Hamburg: Christians Verlag,1984<br />

Mayer, J.: Nachhaltige Entwicklung – ein Leitbild zur Neuorientierung <strong>der</strong><br />

Umwelterziehung. In: DGU-Nachrichten, 12,1995, 31-43<br />

Mayer, J. 1997. Natur <strong>als</strong> ökonomische Ressource. In: Praxis <strong>der</strong> Naturwissenschaften-Biologie.<br />

Jg. 46, H. 8, Themenheft „Ökologie in <strong>der</strong><br />

Gesellschaft“, 5-12.<br />

Mayer, J.: Dimensionen <strong>der</strong> Naturbeziehung. In: Bayrhuber, H.; Unterbrunner,<br />

U. (Hrsg.), Lernen im Biologieunterricht. Salzburg: Institut für<br />

Didaktik <strong>der</strong> Naturwissenschaften 1999. 28-29.<br />

Mayer, J.: Dimensionen <strong>der</strong> Naturbeziehung bei Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen.<br />

Schriftenreihe <strong>der</strong> GHK-Witzenhausen, Bd. 26, In: C.<br />

Simantke; W. Fölsch (Hrsg.), Pädagogische Zugänge zum Mensch-<br />

Nutztier-Verhältnis, Kassel: GHK-Witzenhausen, 2000.<br />

Pracht, F.-I.: Färben von Textilien. Köln: Verlagsgesellschaft Rudolf Müller,<br />

1984<br />

Roth, L.; Kormann K. & Schweppe H.: Färberpflanzen, Pflanzenfarbe. Lech:<br />

ecomed Fachverlag, 1992<br />

Rupprecht, C. & Mayer, J.: Nachwachsende Rohstoffe – eine umweltgerechte<br />

Alternative? Einweggeschirr <strong>als</strong> schulrelevantes Beispiel. In:<br />

Praxis <strong>der</strong> Naturwissenschaften – Biologie, Themenheft Nachwachsende<br />

Rohstoffe, 1997, Jg. 46, H. 3., S. 32-38.<br />

Schweppe, H.: Handbuch <strong>der</strong> Naturfarben. Vorkommen – Verwendung –<br />

Nachweise. Lech: ecomed Fachverlag, 1993<br />

Sommer, C. & Mayer, J.: Unterrichtseinheit: Nachhaltige Nutzung <strong>der</strong> biologischen<br />

Vielfalt. Köln: Aulis Verlag Deubner, 2001<br />

Winkel, G.: Leitlinien <strong>der</strong> Natur- und Umwelterziehung. Schulbiologiezentrum<br />

Hannover, 1990<br />

Winkel, G.: Umwelt und Bildung. Denk- und Praxisanregungen für eine<br />

ganzheitliche Natur- und Umwelterziehung. Seelze: Kallmeyer,<br />

1995<br />

Prof. Dr. Jürgen Mayer<br />

ist Professor am Institut für Biologiedidaktik<br />

<strong>der</strong> Justus-Liebig-Universität Gießen.


Katja Muchow<br />

„Come-back“ alter Nutzpflanzen<br />

in Schulgärten<br />

Deutsche und ecuadorianische Kin<strong>der</strong> för<strong>der</strong>n und erleben Vielfalt<br />

„Wir pflanzen in unserem Schulgarten Salat, Kürbisse,<br />

Rüben, Kohl und Paprika an“, schreibt Diego, Schüler aus San<br />

Lucas, Südecuador, an deutsche SchülerInnen. Diego und<br />

seine Schule nehmen am deutsch-ecuadorianischen Schulgartenprojekt<br />

mit alten Nutzpflanzen teil, das bereits im Jahr<br />

2001 begonnen hat. Die SchülerInnen beschäftigen sich mit<br />

dem Thema Vielfalt, indem sie selten gewordenes Gemüse<br />

und Kräuter anbauen.<br />

Wie kann man SchülerInnen schon in jungen Jahren vermitteln,<br />

dass <strong>der</strong> Erhalt von biologischer Vielfalt uns alle<br />

angeht? Diese Frage stellten sich Sigrun Lange und Katja<br />

Muchow von INKA – Internationales Netzwerk für Kulturund<br />

Artenvielfalt e.V. Der Verein setzt sich für den Erhalt<br />

von biologischer und kultureller Vielfalt im Andenraum ein<br />

und schlägt in <strong>der</strong> Bildungsarbeit eine Brücke zwischen<br />

Nord und Süd. Das Schulgartenprojekt ermöglicht es jungen<br />

Menschen, die Bedeutung biologischer Vielfalt anhand von<br />

praktischen Erfahrungen zu begreifen.<br />

Idee und Konzept des Schulgartenprojektes<br />

Für die Idee des binationalen Projektes waren im Jahr 2001<br />

Fotos <strong>der</strong> ecuadorianischen Partnerorganisation Nature and<br />

Culture International (NCI) ausschlaggebend. Sie zeigen<br />

fröhliche Kin<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Arbeit im Schulgarten: Sie legen<br />

In einer Münchner Hauptschule pflanzen SchülerInnen<br />

Beinwell und Eberraute<br />

Beete an, setzen Pflanzen, jäten, gießen und freuen sich<br />

über die Ernte. Auch in Deutschland gibt es an vielen Schulen<br />

Schulgärten – und so entstand die Idee des INKA-Teams:<br />

Biologische Vielfalt in Deutschland und Ecuador beim<br />

Anbau von alten Nutzpflanzen zu erleben.<br />

Mit Hilfe von Briefen, Zeichnungen und Fotos (per Post o<strong>der</strong><br />

E-Mail) soll ein Austausch zwischen den beteiligten Schulen<br />

in Deutschland und Ecuador stattfinden, um zu verdeutlichen,<br />

dass <strong>der</strong> Verlust von Kulturpflanzenvielfalt ein weltweites<br />

Problem ist. Gleichzeitig soll globales Lernen und<br />

Verständnis gegenüber an<strong>der</strong>en Völkern geför<strong>der</strong>t werden.<br />

So wurden in Ecuador von NCI auch Schulen in indigenen<br />

(ursprünglich hier heimischen) Gemeinden ausgewählt. Das<br />

Projekt steht ganz im Sinne <strong>der</strong> Agenda 21 – lokal handeln,<br />

global denken.


76<br />

/ „Come-back” alter Nutzpflanzen<br />

Erdbeerspinat und Rote Gartenmelde<br />

Mitarbeiter von INKA e.V. schrieben verschiedene Schulen<br />

<strong>der</strong> Stadt München an. So konnten im Jahr 2002 fünf Schulen<br />

im Raum München für die Beteiligung an diesem Projekt<br />

gewonnen werden. INKA e.V. unterstützt und betreut die<br />

Einrichtungen. In Nie<strong>der</strong>sachsen übernimmt diese Aufgabe<br />

die Klima-Bündnis-Agentur-Nord, wo ebenfalls SchülerInnen<br />

von fünf Schulen mitarbeiten. In Südecuador beteiligen<br />

sich mittlerweile elf Schulen, welche von Nature and Culture<br />

International unterstützt werden.<br />

Die SchülerInnen <strong>der</strong> Gartengruppen besuchen die 5., 6.<br />

o<strong>der</strong> 7. Klasse. Das Projekt wird in die wöchentliche Gartenarbeit<br />

integriert, doch zu Möhren o<strong>der</strong> Blumen kommen nun<br />

seltene Sorten dazu wie die Bayerische Rübe, ein fast ausgestorbenes<br />

Wurzelgemüse.<br />

Die jungen GärtnerInnen erfahren in einem einführenden<br />

Dia-Vortrag von Katja Muchow, dass es eine weitaus größere<br />

Vielfalt gibt <strong>als</strong> die Auswahl an Obst, Gemüse und Kräutern,<br />

die im Supermarkt angeboten wird. Sie fragt die SchülerInnen,<br />

ob sie wissen, woher Kürbisse, Kartoffeln, Paprika,<br />

Tomaten o<strong>der</strong> Mais ursprünglich kommen. Nur bei Kartof-<br />

Erdbeerspinat, eine alte Kulturpflanze<br />

feln wissen die meisten, dass die aus Süd- und Mittelamerika<br />

stammen. Im Gespräch mit den Kin<strong>der</strong>n erläutert Katja<br />

Muchow, welche Gemüsesorten sich vor mehr <strong>als</strong> hun<strong>der</strong>t<br />

Jahren in deutschen Gärten fanden:<br />

„Wir möchten gerne Erdbeerspinat anpflanzen”, so die<br />

SchülerInnen des Münchner Heinrich-Heine-Gymnasiums,<br />

nach <strong>der</strong> Einführung. Sie beschließen, welche alten Gemüsesorten<br />

angepflanzt werden. Einen Tag später beginnt die<br />

praktische Arbeit im Garten. Unter Anleitung einer INKA-<br />

Mitarbeiterin pflanzen sie Erdbeerspinat, Rote Gartenmelde,<br />

seltene Bohnensorten und die Delikatesskartoffel „Bamberger<br />

Hörnchen“, die bereits 1870 gezüchtet wurde.<br />

Von den Gemüsesorten sollen die SchülerInnen eigenes<br />

Saatgut gewinnen und im kommenden Jahr wie<strong>der</strong> aussäen<br />

o<strong>der</strong> weitergeben. Damit leisten sie einen kleinen Beitrag<br />

zum Erhalt biologischer Vielfalt am Beispiel von Nutzpflanzen.<br />

Beson<strong>der</strong>s spannend verläuft <strong>der</strong> Austausch mit den<br />

ecuadorianischen Schulen. In den letzten Monaten sind<br />

Briefe, Fotos und Zeichnungen aus Ecuador eingetroffen, in<br />

denen die Kin<strong>der</strong> über ihre Aktivitäten im Schulgarten<br />

berichten und neugierig sind, welche Erfahrungen die SchülerInnen<br />

an den Partnerschulen machen.<br />

Zu Besuch im Schulgarten<br />

Im nie<strong>der</strong>sächsischen Amelinghausen feiern SchülerInnen<br />

<strong>der</strong> Orientierungsstufe ein Kartoffelerntefest. Eltern und<br />

LehrerInnen sind eingeladen die blau- und rotschaligen Kartoffeln<br />

zu kosten. Eine Münchner Schule organisiert einen<br />

Projekttag. Die SchülerInnen präsentieren ihre Gartenarbeit<br />

in einer Ausstellung und laden die Besucher auf einen<br />

Rundgang in ihren Schulgarten ein.<br />

Um weitere MitschülerInnen und Eltern für das Thema zu<br />

begeistern, eignet sich auch ein Tag <strong>der</strong> Kulturpflanze o<strong>der</strong><br />

eine Fotoausstellung über die Pflanzaktionen und Ernteerträge.<br />

Alte Kartoffelsorten, die heute nicht mehr im Handel erhältlich sind<br />

Zu Besuch in Ecuador<br />

Im Oktober 2001 besuchen INKA-MitarbeiterInnen Schulgärten<br />

in Ecuador. Ruben Dario Escandón, Direktor einer<br />

indigenen Schule <strong>der</strong> Saraguros in Südecuador, zeigt den<br />

deutschen BesucherInnen, was in den Beeten wächst:<br />

Mangold, Weißkohl, Broccoli, Kürbis und Kartoffeln. Die<br />

zehn- bis zwölfjährigen SchülerInnen sind gerade dabei, ein<br />

fünf mal zehn Meter großes Feld umzugraben, dort wachsen<br />

nun die eiweißreichen Inka-Körner Quinoa und Amaranth.<br />

In Ecuador rückt in diesem Jahr mit Oca (eine Sauerkleeart<br />

<strong>der</strong> Anden), Avocadobäumen und Baumtomaten <strong>der</strong><br />

Anbau traditioneller Nutzpflanzen in den Schulgärten stärker<br />

in den Vor<strong>der</strong>grund.<br />

Nach <strong>der</strong> Besichtigung des Schulgartens geben die ecuadorianischen<br />

Kin<strong>der</strong> einen Einblick in ihre Lebensweise. In tra-


ditioneller Kleidung – die Jungen mit knielangen Hosen und<br />

aus Schafwolle gepressten Hüten, die Mädchen mit<br />

schwarzen Faltenröcken – tragen sie Lie<strong>der</strong> und Tänze vor.<br />

Die INKA-MitarbeiterInnen zeigen Briefe und Fotos aus<br />

Deutschland – so erfahren die SchülerInnen in Ecuador, dass<br />

die deutschen Kin<strong>der</strong> in ihren Schulgärten alte Kartoffelsorten<br />

anbauen. Die Briefe <strong>der</strong> deutschen an die ecuadorianischen<br />

SchülerInnen werden auf deutsch und spanisch vorgelesen.<br />

Die meisten Kin<strong>der</strong> hören interessiert zu, aber noch<br />

spannen<strong>der</strong> finden sie die Fotos. „Warum tragen die deutschen<br />

Kin<strong>der</strong> keine Schuluniform?“, fragt eine Schülerin. Sie<br />

hängen die Briefe und Fotos im Klassenzimmer auf.<br />

Brückenschlag zwischen Süden und Norden<br />

Der Kontakt zwischen den Schulen wurde in diesem Jahr<br />

verstärkt. Die SchülerInnen <strong>der</strong> beteiligten Schulen in Ecuador<br />

und Deutschland tauschten Briefe, Zeichnungen sowie<br />

Fotos aus. Für die deutschen und ecuadorianischen Kin<strong>der</strong><br />

ist das jeweils an<strong>der</strong>e Land sehr weit weg. Fotos sind wichtig,<br />

um eine Vorstellung des fremden Landes zu wecken.<br />

Ecuadorianische SchülerInnen schauen sich neugierig Fotos von<br />

deutschen Schulgartenkin<strong>der</strong>n an<br />

Dass <strong>der</strong> Brückenschlag von Ecuador nach Deutschland<br />

interkulturelles Verständnis und globales Lernen för<strong>der</strong>n<br />

kann, zeigt sich am Engagement <strong>der</strong> Schule in Amelinghausen.<br />

Die SchülerInnen hatten im Herbst 2001 Geld für eine<br />

Regentonne nebst Schlauch für eine ecuadorianische Schule<br />

gesammelt, <strong>als</strong> sie von Katja Muchow erfuhren, dass die<br />

Ernte höher ausfallen könnte, wenn während <strong>der</strong> Trockenzeit<br />

eine Bewässerung möglich wäre.<br />

Gesunde Ernte für die Schulküche<br />

In Deutschland lernen die SchülerInnen durch praktisches<br />

Arbeiten im Garten ihnen bisher unbekannte Gemüsesorten<br />

und Kräuter kennen, beobachten das Wachstum und übernehmen<br />

die Pflege. Die Kin<strong>der</strong> gehen freiwillig zu <strong>der</strong> Schul-<br />

„Come-back” alter Nutzpflanzen / 77<br />

gartengruppe. Die Schulgärten haben sechs bis zehn Beete<br />

und manchmal auch eine Kräuterspirale. Die Beteiligung an<br />

dem Projekt hängt stark vom Engagement <strong>der</strong> LehrerInnen<br />

ab. Eine Integration in an<strong>der</strong>e Fächer ist selten, da sich die<br />

KollegInnen an <strong>der</strong> Schule oft wenig für den Schulgarten<br />

interessieren.<br />

In Ecuador haben die wesentlich größeren Schulgärten eine<br />

zusätzliche Bedeutung. Neben den pädagogischen Aspekten<br />

<strong>der</strong> Arbeit trägt das geerntete Gemüse auch zur abwechslungsreichen<br />

und gesunden Ernährung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> bei. Das<br />

Gemüse wird in <strong>der</strong> Schulküche verwendet, wo viele <strong>der</strong><br />

SchülerInnen zu Mittag essen. Die Arbeit im Schulgarten ist<br />

nicht freiwillig son<strong>der</strong>n gehört zum Schulalltag. An den<br />

Dorfschulen nehmen die Kin<strong>der</strong> Gemüse mit nach Hause,<br />

um die Ernährung <strong>der</strong> Familie mit Reis, Bohnen und Kartoffeln<br />

vielfältiger zu gestalten.<br />

Einige Eltern ecuadorianischer SchülerInnen arbeiten engagiert<br />

im Projekt mit, z.B. beim Anlegen von Terrassen für die<br />

Beete o<strong>der</strong> beim Bau einer Schulküche.<br />

Hintergrund des Schulgartenprojektes<br />

Nahrungseinfalt<br />

Viele Menschen bedauern, dass Obst und Gemüse heute fad<br />

schmecken. Doch wen wun<strong>der</strong>t dies bei hochgedüngten und<br />

gespritzten Pflanzen, die selbst nach langem Transport noch<br />

frisch aussehen müssen.<br />

Alte Kulturpflanzen bereichern den Speiseplan, sind<br />

schmackhaft o<strong>der</strong> sehen schön aus, wie z.B. <strong>der</strong> Erdbeerspinat<br />

mit seinen leuchtend roten Früchten. Sortenvielfalt entsteht<br />

nur durch viele Menschen in verschiedenen Regionen.<br />

Viele unserer heute selbstverständlich genutzten Kulturpflanzen<br />

kommen ursprünglich aus Lateinamerika, Asien,<br />

Afrika und dem Mittelmeerraum. Die Nutzpflanzen wurden<br />

je nach Region weiterentwickelt, um sie an Boden und<br />

Klima anzupassen; neue, so genannte Landsorten entstanden.<br />

Sie bilden die Grundlage für kulinarischen Genuss und<br />

Ernährungssicherheit.<br />

Waren es früher nach Angaben <strong>der</strong> FAO (Landwirtschaftsund<br />

Ernährungsorganisation <strong>der</strong> Vereinten Nationen) noch<br />

mehrere tausend Nutzpflanzenarten, von denen sich die<br />

Menschen ernährten, sind es heute nur noch rund 150. Die<br />

Welternährung basiert auf immer weniger Pflanzenarten<br />

und auch innerhalb dieser Arten nimmt die genetische Vielfalt<br />

weiter ab. Die Ursachen liegen in den Monokulturen


78<br />

/ „Come-back” alter Nutzpflanzen<br />

einer industrialisierten Landwirtschaft und <strong>der</strong> Konzentration<br />

des Saatgutmarktes in den Händen weniger Konzerne.<br />

Hochleistungssorten auf dem Vormarsch<br />

Auch in Südamerika verdrängen Hochleistungssorten die an<br />

Klima und Boden angepassten lokalen Sorten. Aus dem<br />

industriell gezogenen Saatgut können die Bauern meist kein<br />

eigenes Saatgut mehr gewinnen und müssen es so jedes<br />

Jahr neu kaufen; dies schafft Abhängigkeiten und ist zudem<br />

teuer. Der Vorteil regionaler Sorten ist, dass sie an die lokalen<br />

Umweltgegebenheiten angepasst sind und ihr Erbgut<br />

Resistenzgene enthält. Bei auftretenden Krankheiten o<strong>der</strong><br />

Schädlingen werden nicht alle Sorten befallen und aus den<br />

beson<strong>der</strong>s wi<strong>der</strong>standsfähigen Exemplaren können neue<br />

Sorten gezüchtet werden.<br />

Die von Menschenhand durch Züchtungen entstandene Kulturpflanzenvielfalt<br />

ist auch heute noch ein Garant für eine<br />

gesunde und abwechslungsreiche Ernährung.<br />

Apfelvielfalt im Bioladen<br />

Vielfalt auf dem Teller<br />

Langfristig gesehen wäre es für mehr Vielfalt auf dem Teller<br />

wünschenswert, wenn mehr Produkte aus biologischem<br />

Anbau und regionale Erzeugnisse gekauft würden. Im biologischen<br />

Anbau wird durch einen ausgedehnten Fruchtwechsel<br />

mit vielfältigen Kulturpflanzen <strong>der</strong> Boden nicht einseitig<br />

ausgelaugt. Wenn das Bewusstsein <strong>der</strong> Verbraucher für die<br />

Herkunft von Nahrungsmitteln und für <strong>der</strong>en Anbaumethoden<br />

gestärkt wird, kann es gelingen auch ausgefallenere<br />

Sorten zu pflanzen. Einige Biobauern bauen z. B. wie<strong>der</strong> das<br />

Getreide Emmer an. Schon die Germanen nutzten Emmer<br />

zum Brotbacken. Emmer ist die Weizenart mit dem höchs -<br />

ten Proteinanteil, geriet aber wegen seiner geringen Erträge<br />

in Vergessenheit.<br />

Infos für Interessierte<br />

Gruppen, die Interesse haben, alte Sorten auch in ihrer<br />

Schule zu pflanzen, können bei INKA e.V. die Broschüre<br />

„Nutzpflanzenvielfalt erhalten – ein Leitfaden zum Anbau<br />

alter Gemüsesorten, Kräuter und Färbepflanzen“ bestellen –<br />

7 Euro zuzüglich Versandkosten. Die Broschüre beantwortet<br />

Fragen wie: Warum ist die Vielfalt von Kulturpflanzen auch<br />

heute noch so wichtig und wie gewinnt man Saatgut?<br />

Woher kommen eigentlich unsere wie selbstverständlich<br />

verwendeten Nutzpflanzen? Wo kann Saatgut bestellt werden?<br />

Die Ausstellung „Nutzpflanzenvielfalt entdecken“ kann bei<br />

INKA e.V. kostenlos ausgeliehen werden, die Transportkosten<br />

müssen selbst übernommen werden.<br />

Weitere Informationen bei<br />

INKA e.V., Katja Muchow, Gravelottestraße 6,<br />

D-81667 München, Tel.: 0049/(0)89-45 91 19-19<br />

Fax: 0049/(0)89-45 91 19-20, www.inka-ev.de,<br />

E-Mail: katja.muchow@inka-ev.de<br />

Kooperationspartner<br />

In Deutschland sind die Klima-Bündnis-Agentur Nord in<br />

Lüneburg, das Klima-Bündnis/Alianza del Clima e.V. und <strong>der</strong><br />

Verein zur Erhaltung <strong>der</strong> Nutzpflanzenvielfalt (VEN), in<br />

Ecuador NCI Kooperationspartner. Das Projekt wird geför<strong>der</strong>t<br />

unter Mitwirkung <strong>der</strong> Bürgerstiftung Zukunftsfähiges<br />

München mit Agenda 21-Mitteln des Referates für Gesundheit<br />

und Umwelt <strong>der</strong> Landeshauptstadt, <strong>der</strong> Deutschen<br />

Umwelthilfe, Patagonia, <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>sächsischen Umweltlotterie<br />

Bingo und <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>sächsischen Umweltstiftung. Auf<br />

die ecuadorianischen und deutschen Schulen kommen keine<br />

Kosten zu.<br />

Katja Muchow<br />

arbeitet <strong>als</strong> Kulturwissenschaftlerin (MA) mit dem<br />

Schwerpunkt <strong>Umweltbildung</strong> und Öffentlichkeitsarbeit<br />

bei INKA e.V. Sie ist auch zuständig für Fundraising.


Michaela Pichler<br />

Biodiversität in<br />

tropischen Regenwäl<strong>der</strong>n<br />

Ökologische Vielfalt<br />

Der Lebensraum Regenwald ist gekennzeichnet durch eine<br />

enorme Biodiversität. In Costa Rica gibt es auf einem Hektar<br />

Regenwald mehr <strong>als</strong> 190 Baumarten. In ganz Europa<br />

existieren nur 60 Baumarten. Ähnliches gilt auch für die<br />

Tierwelt. In Panama wurden auf einem einzigen Baum über<br />

40 Ameisenarten gefunden, mehr <strong>als</strong> in ganz Großbritannien<br />

existieren. In Amazonien leben 30 bis 50 % aller Pflanzen<br />

und Tierarten <strong>der</strong> Erde.<br />

Durch die Abholzung <strong>der</strong> Regenwäl<strong>der</strong> wird eines <strong>der</strong> empfindlichsten<br />

und artenreichsten Ökosysteme vernichtet.<br />

Warum ist diese ökologische Vielfalt so wichtig? Was sind<br />

die Folgen ihrer Zerstörung?<br />

Biodiversität, eine medizinische Fundgrube<br />

Die ökologische und kulturelle Vielfalt im Regenwald bietet<br />

ein großes Spektrum an Heilpflanzen und Heilwissen. Schamanen<br />

und Heiler <strong>der</strong> ursprünglichen (indigenen) Bevölkerung<br />

sind die Hüter des Wissens über Heilkräfte von Pflanzen.<br />

Sie kennen ihre Wirkung, Standorte und Zubereitung.<br />

Dieses Wissen ist auch für die westliche Medizin von großer<br />

Bedeutung. Mehr <strong>als</strong> die Hälfte <strong>der</strong> Wirkstoffe von Medikamenten,<br />

die am europäischen Markt verkauft werden, kommen<br />

ursprünglich aus dem Regenwald. Der Film „Tatort Tropen<br />

– wer profitiert von <strong>der</strong> Artenvielfalt“ zeigt ein spannendes<br />

Szenario. 1) Forscher werden von Pharmafirmen<br />

beauftragt, Heilpflanzen zu suchen und Zugang zum Wissen<br />

von Schamanen zu erlangen.<br />

Folgendes fiktives Beispiel zur Erklärung: Nehmen wir an,<br />

Indigene von Amazonien verfügen über eine Frucht, die sie<br />

traditionell verarbeiten und gegen Gelenksschmerzen verwenden.<br />

Eine Pharmafirma hört davon und interessiert sich<br />

dafür. Sie kann die Wirksubstanz im Labor isolieren und<br />

danach synthetisch herstellen. Wenn das Medikament ein<br />

Erfolg wird, erzielt die Firma große Gewinne mit diesem<br />

Produkt, ohne dass das ursprüngliche Wissen abgegolten<br />

werden muss (siehe Biopiraterie – die neue Kolonialisierung?).<br />

Dieses Anliegen <strong>der</strong> indigenen Bevölkerung wurde das erste<br />

Mal in <strong>der</strong> Konvention über biologische Vielfalt (Convention<br />

on Biological Diversity CBD) beim UNO-Erdgipfel in Rio de<br />

Janeiro 1992 gesetzlich verankert. Es war die erste rechtlich<br />

bindende internationale Vereinbarung zur Erhaltung und<br />

nachhaltigen Nutzung von biologischer Vielfalt. Damit wollte<br />

man erreichen, dass die Gewinne aus ethnobiologischem<br />

Wissen gerecht verteilt werden. Dieses Spannungsfeld von<br />

biologischer Vielfalt, internationaler gesetzlicher Regelung<br />

und Biotechnologie ist ein wichtiger Aspekt in den aktuellen<br />

Diskussionen über Alternativen zur gegenwärtigen Globalisierung.<br />

Eine vertiefende Auseinan<strong>der</strong>setzung bietet das<br />

Buch „Biologische Vielfalt. Wer kontrolliert die globalen<br />

genetischen Ressourcen?“<br />

Biodiversität, Speicher <strong>der</strong> Lebensenergie<br />

Regenwäl<strong>der</strong> zählen trotz und möglicherweise auch gerade<br />

wegen ihres Artenreichtums und dem hohen Grad an ökologischer<br />

Vernetzung zu den sensibelsten und gefährdetsten<br />

Ökosystemen <strong>der</strong> Welt. Die Regenwäl<strong>der</strong> wachsen meist auf<br />

sehr unfruchtbarem Boden, da die Nährstoffe fast zur Gänze<br />

in den Pflanzen gespeichert sind.<br />

Deshalb ist eine nachhaltige Wirtschaft beson<strong>der</strong>s wichtig.<br />

Das traditionelle Verhältnis vieler indigener Völker zu ihrer<br />

natürlichen Umwelt beruht auf Mythen und sozialen und<br />

politischen Regelungen. Die typischen Wirtschaftsformen<br />

wie Brandrodungsfeldbau, Jagd, Fischfang und Sammeltätigkeit<br />

verwenden die Natur schonend und maßvoll. Welche<br />

Tiere getötet werden dürfen, wie viele und wann, unterliegt<br />

strengen Vorschriften. Die sind auf spiritueller, kultureller<br />

und wirtschaftlicher Ebene erklärt. Bei dieser Nutzung


80<br />

/ Biodiversität in tropischen Regenwäl<strong>der</strong>n<br />

von Boden, Wald und Wasser regenerieren sich Ressourcen<br />

immer wie<strong>der</strong> und können daher nachhaltig und von<br />

zukünftigen Generationen verwendet werden.<br />

Im Gegensatz dazu steht die Realität, in <strong>der</strong> immer mehr<br />

Regenwäl<strong>der</strong> in Plantagen umgewandelt werden. Bananen,<br />

Kakao, Kaffee, Tabak und Zuckerrohr werden in den Tropen<br />

angepflanzt. Hintergründe dafür sind vielfältig. Die Verschuldung<br />

vieler Entwicklungslän<strong>der</strong> for<strong>der</strong>t höhere Exporte<br />

und <strong>der</strong> sinkende Rohstoffpreis vermehrte Produktion.<br />

Ungerechte Landverteilung führt dazu, dass viele Menschen<br />

in diese ökologisch sensiblen Gebiete gedrängt werden. Im<br />

Kampf ums Überleben hat nachhaltiges Wirtschaften meist<br />

keine Priorität.<br />

Intensive Land- und Forstwirtschaft verwandelt die grüne<br />

Lunge <strong>der</strong> Erde in unfruchtbare und karge Böden. Biodiversität<br />

<strong>der</strong> Pflanzen und Bäume speichert die Lebensenergie<br />

dieses Systems. Wird die Biodiversität genommen, stirbt das<br />

ganze System.<br />

Biodiversität und Regenwäl<strong>der</strong> für die Schule<br />

Diese Themen können auch im Schulunterricht diskutiert<br />

werden. Als Unterstützung wurde von Südwind NÖ das<br />

Internet-Schulprojekt Regenwald initiiert, das eine Homepage<br />

sowie Hilfestellungen für die Umsetzung im Unterricht<br />

bietet.<br />

Die Innovation dieses Projekts liegt in <strong>der</strong> Verwendung <strong>der</strong><br />

neuen Medien. Es wurde eine Regenwaldhomepage<br />

www.eduhi.at/regenwald erstellt – eine österreichische<br />

Plattform für Regenwaldinformation und Präsentation von<br />

Regenwald-Schulprojekten. SchülerInnen und LehrerInnen<br />

können sich auf dieser Plattform informieren und danach<br />

ihr Wissen, ihre Fragen, Erfahrungen und Aktivitäten in eine<br />

Homepage verwandeln. Es gibt bereits viele Schulprojekte<br />

online, die <strong>als</strong> Inspiration und Motivation dienen.<br />

Zu folgende Fragen bietet Südwind<br />

Informationen an:<br />

• Wie leben Menschen im Regenwald?<br />

• Welche unserer täglichen Nahrungsmittel kommen<br />

aus dem Regenwald?<br />

• Was können wir für Umwelt- und Klimaschutz tun?<br />

• Warum werden so große Flächen an Regenwald zerstört?<br />

• Warum ist Biodiversität so wichtig?<br />

Je nach Interesse können LehrerInnen einen Schwerpunkt<br />

wählen. Wenn erwünscht, werden sie mit ReferentInnen,<br />

Workshops und Unterrichtsmaterialien bei <strong>der</strong> Gestaltung<br />

dieses Projekts unterstützt.<br />

Für Anfrage und weitere Informationen:<br />

Mag. Michaela Pichler<br />

Südwind NÖ Süd<br />

Bahngasse 46, A-2700 Wiener Neustadt<br />

Tel.: 0043/(0)2622/248 32<br />

E-Mail: michaela.pichler@oneworld.at<br />

Literatur:<br />

Dangl, Bruno; Helm, Barbara; Künzi, Erwin, 1999: Begleitmaterial zur<br />

Erlebnisausstellung „Klima verbündet“, Medieninhaber: Amt <strong>der</strong><br />

NÖ. Landesregierung, 3. Auflage<br />

Kuppe, Rene, 2001: Der Schutz des traditionellen umweltbezogenen Wissens<br />

indigener Völker, In: Biologische Vielfalt: Wer kontrolliert die<br />

globalen genetischen Ressourcen? Gertrude Klaffenböck und Eva<br />

Lachkovits, Südwind Agentur,<br />

Singh Nijar, Gurdial, 2000: Patente auf Lebensformen: Bedrohung <strong>der</strong><br />

biologischen und kulturellen Vielfalt. In: Biologische Vielfalt: Wer<br />

kontrolliert die globalen genetischen Ressourcen?<br />

Gertrude Klaffenböck und Eva Lachkovits, Südwind Agentur<br />

Weissenhofer, Anton: Biodiversität in den tropischen Regenwäl<strong>der</strong>,<br />

www.eduhi.at/regenwald<br />

1) Tatort Tropen – wer profitiert von <strong>der</strong> Artenvielfalt?: Dokumentarfilm.<br />

Am Beispiel Westafrikas und Costa Ricas sowie einer deutschen Genbank<br />

gibt <strong>der</strong> Film einen Überblick über Konflikte um die Nutzung genetischer<br />

Ressourcen und die ungleiche Verteilung <strong>der</strong> Gewinne, die aus dieser<br />

Nutzung für Pharmakonzerne hervorgehen.<br />

Bezugsquelle: Baobab (Verleihstelle für entwicklungspolitische Bildungsmaterialien,<br />

www.baobab.at) A-1090 Wien, Berggasse 7<br />

Mag. Michaela Pichler<br />

ist Sozial- und Kulturanthropologin, Studium in San Francisco<br />

mit Schwerpunkt Entwicklungszusammenarbeit. Sie<br />

ist seit 2 Jahren Bildungsreferentin bei Südwind NÖ Süd,<br />

Partizipative Kommunalentwicklung Nord-Indien.


Hans Schuster<br />

Biopiraterie – die neue Kolonialisierung?<br />

Ein Rollenspiel<br />

Einleitung<br />

In den letzten Jahren häufen sich die Fälle von „Biopiraterie“<br />

(dieser Begriff wird im Einleitungsstatement <strong>der</strong> Diskussionsleiterin<br />

näher erklärt).<br />

Betroffen sind vor allem Län<strong>der</strong> des Südens wie Indien o<strong>der</strong><br />

Lateinamerika.<br />

Einerseits werden mit Kapital aus den Industriestaaten jährlich<br />

tausende Quadratkilometer Regenwald abgeholzt,<br />

wodurch die Artenvielfalt unseres Planeten bedroht ist.<br />

An<strong>der</strong>erseits schicken eben diese Staaten Forscher und<br />

Sammler in die noch unberührten Gebiete, um biologisches<br />

Material zu sammeln. Dies sind ganze Pflanzen, aber auch<br />

Wurzeln, Blätter und ganz beson<strong>der</strong>s die Samen. In denen<br />

sitzen die Genbestände, die man sichern will.<br />

Offiziell natürlich „wohltätig“ im Dienste <strong>der</strong> <strong>gesamten</strong><br />

Menschheit, um die Artenvielfalt zu bewahren. Sie erkundigen<br />

sich auch bei <strong>der</strong> Bevölkerung über die Anwendungen<br />

und erfahren somit oft uraltes, traditionelles Wissen.<br />

Tatsächlich lassen sich die Firmen das Material dann patentieren,<br />

womit den Herkunftsstaaten und speziell <strong>der</strong> dort<br />

ansässigen („indigenen“) Bevölkerung <strong>der</strong> Zugang zu diesen<br />

Ressourcen zumindest erschwert, wenn nicht unmöglich<br />

gemacht wird.<br />

Die Patentämter spielen hier mit, wobei nicht nur gegen<br />

internationale Konventionen verstoßen wird, son<strong>der</strong>n auch<br />

ethische Grenzen lässig überschritten werden.<br />

Längst hat sich weltweit Wi<strong>der</strong>stand gebildet, es sind meist<br />

NGOs, die dagegen ankämpfen. Sie for<strong>der</strong>n westliche Regierungen<br />

auf, die Konventionen gesetzlich stärker zu verankern<br />

und Verstöße dagegen härter zu ahnden. Sie erheben<br />

Einspruch gegen Entscheidungen <strong>der</strong> Patentämter und versuchen<br />

Firmen öffentlich anzuprangern und damit unter<br />

Druck zu setzen.<br />

Das alles ist spannen<strong>der</strong> Unterrichts-Stoff für Biologie und<br />

Umweltkunde, Ethik, Geografie und Wirtschaftskunde,<br />

Geschichte und politische Bildung, Religion u.a. Aus<br />

pädagogisch-didaktischer Sicht wäre dieses Thema ein<br />

Musterbeispiel für ein fächerübergreifendes Unterrichtsprojekt.<br />

Für <strong>der</strong>art vielschichtige Problemstellungen bietet sich<br />

neben Faktensammeln und Materialrecherche die Durchführung<br />

eines Rollenspiels an (siehe „Rollenspiele im Unterricht“<br />

Seite 85).<br />

Ausgangssituation für das Rollenspiel<br />

Im Rahmen einer entwicklungspolitischen Enquete <strong>der</strong> Bundesregierung<br />

findet eine Podiumsdiskussion über Patente<br />

auf Organismen und Biopiraterie im Publikumssaal des ORF-<br />

Zentrums Küniglberg/Wien (o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>swo in einem Bundesland)<br />

statt.<br />

Am Podium sitzen VertreterInnen von Regierung, staatlichen<br />

Organisationen, UNO, Firmen und NGOs.<br />

Für jede Position gibt es eine Rollenkarte, welche die Argumentationslinien<br />

vorzeichnet. In <strong>der</strong> Vorbereitungsphase<br />

können diese verfeinert bzw. weitere Argumente gefunden<br />

werden. Weitere Rollenkarten könnten im Rahmen des (Projekt-)Unterrichts<br />

von den SchülerInnen geschrieben werden.<br />

Dabei sollte man allerdings darauf achten, dass das Podium<br />

nicht „überfüllt“ ist.<br />

Im Publikum sollte man noch mindestens zwei Reporterrollen<br />

(eine konzernfreundliche und eine Pro-NGO-Person)<br />

sowie einen Fotoreporter und ein Fernsehteam (Videoaufnahme<br />

für Dokumentation und spätere Analyse) vorsehen.<br />

(Weitere methodische Hinweise auf Seite 86.)<br />

81


82<br />

/ Biopiraterie – die neue Kolonialisierung?<br />

Rollen:<br />

Fr. Claudia Schuh, Mo<strong>der</strong>atorin<br />

Fr. Dr. jur. Richter, Staatsanwältin<br />

Hr. Dipl.-Ing. Dr. Hoffmann, Pharmakonzern<br />

Fr. Birgit Kemptner, ÖIE und EZA<br />

Hr. Antonio Meira Mendez, COICA<br />

Hr. Dr. Hahnenfuss, Botanik-Forscher<br />

Fr. Mag. Grünbaum, Vertreterin von UNEP<br />

Rollenkarten<br />

Fr. Claudia Schuh, Mo<strong>der</strong>atorin – Einleitungsstatement<br />

„Es gibt sie noch, die Piraten“<br />

Es zieht sie immer noch nach Übersee. Sie haben sich<br />

mo<strong>der</strong>nisiert: sie fusionieren, sie globalisieren, sie „machen<br />

in Bio“. Es sind die Gentechnikfirmen, Pharmaunternehmen,<br />

Samenbanken usw. Sie plün<strong>der</strong>n und lassen sich die fremden<br />

Güter rechtlich peinlich genau <strong>als</strong> Eigentum zuschreiben<br />

(Patente).<br />

Biopiraterie – eine neue Ära <strong>der</strong> Kolonialisierung?<br />

Jorge Terena, brasilianischer Indianer mit Studienabschluss<br />

in den USA, schil<strong>der</strong>te bereits vor einigen Jahren die Praktiken<br />

<strong>der</strong> Biopiraten:<br />

„Kaum jemand kennt sich im Jargon <strong>der</strong> Wissenschaftler<br />

aus. Aber wenn wir auch nicht wissen, was Biotechnologie<br />

bedeutet, so wissen wir sehr genau, wie sie in <strong>der</strong> Praxis<br />

funktioniert. Ständig kommen Leute in unser Dorf, um unser<br />

Wissen zu rauben. Ein Forscher erfährt im Gespräch mit den<br />

Ältesten alle Geheimnisse <strong>der</strong> Kräuter- und Naturheilkunde.<br />

Er nimmt das Wissen und einige Pflanzenproben, geht in<br />

sein Labor und erwirbt ein Patent. Jetzt gehört ihm offiziell<br />

das Wissen, das er uns gestohlen hat. Und was haben wir<br />

davon? Nichts! Ich finde, jedes Land sollte das Recht am<br />

geistigen Eigentum per Gesetz festschreiben. Allerdings<br />

fürchte ich, dass wir auch dieses Mal mit leeren Händen<br />

dastehen werden.“<br />

Piraterie ist definiert <strong>als</strong> „nicht berechtigte Übernahme und<br />

Ausnutzung von fremden Rechten“. Unter Biopiraterie versteht<br />

man die Aneignung und Verwertung von biologischen<br />

Ressourcen und Traditionswissen mit Hilfe des Patentrechtes.<br />

Durch die Patentierung werden allgemein verfügbares<br />

Wissen und biologische Ressourcen sowie <strong>der</strong>en freie Nutzung<br />

vom Patentinhaber auf zwanzig lange Jahre privatisiert.<br />

Die Piraten sind meist Konzerne <strong>der</strong> Industrielän<strong>der</strong>,<br />

die im Bereich Agro und Pharma operieren. Sobald ein<br />

großes Marktpotenzial vorhanden ist, richten sich ihre<br />

Patentzugriffe auf alles, was in Landwirtschaft, Ernährung<br />

und Medizin verwertbar ist.<br />

Fr. Dr. jur. Richter, Staatsanwältin<br />

„Patente ohne Erfindung – juristische Fallbeispiele“<br />

Wenn es um die Rechte indigener Völker geht, ist das<br />

„Übereinkommen Nr. 169 über indigene und in Stämmen<br />

lebende Völker in unabhängigen Län<strong>der</strong>n“ von großer<br />

Bedeutung. Diese ILO-Konvention will nicht nur die körperliche,<br />

son<strong>der</strong>n auch die kulturelle Existenz <strong>der</strong> indigenen<br />

Völker sichern. Allerdings wird darin die Rolle <strong>der</strong> indigenen<br />

Völker auf Beratung beschränkt, konkrete Entscheidungsrechte<br />

werden ihnen vorenthalten. Diese obliegen dem ratifizierenden<br />

Staat.<br />

Ein Fall, <strong>der</strong> auch in Österreich bekannt wurde, ist das 1997<br />

erteilte „Basmati-Patent“. Er hat in Indien einen Sturm <strong>der</strong><br />

Entrüstung hervorgerufen. Basmati ist ein Spitzenreis, <strong>der</strong><br />

an den Hängen des Punjab gedeiht. Die Qualität ist bekannt<br />

und begehrt und bringt daher einen höheren Preis <strong>als</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Sorten.<br />

Grund genug für die US-amerikanische Firma RiceTec Inc.,<br />

einen Reis mit Basmati-ähnlichen Eigenschaften zum<br />

Patent anzumelden. Wie sich später herausstellte, ist diese<br />

neue Sorte gekreuzt aus zwei Ursprungssorten <strong>der</strong> berühmten<br />

Kollektion des International Rice Research Institute<br />

(IRRI). Die ist eine <strong>der</strong> großen internationalen Samenbanken,<br />

die aber dem Gemeinwohl verpflichtet sind!<br />

Die Leistung <strong>der</strong> Firma bestand hauptsächlich in <strong>der</strong> Formulierung<br />

des Patentes, wobei in diesem Fall sogar <strong>der</strong> für den<br />

Handelswert entscheidende Herkunftsname „Basmati“<br />

beansprucht und damit enteignet worden ist. Würde das<br />

Patent in Kraft bleiben und durchgesetzt werden, dürften


die indischen Reisbauern den werbewirksamen Namen<br />

„Basmati“ für ihren, den originalen Basmati, nicht mehr verwenden.<br />

Die indische Initiative „Basmati Campaign“ ist jedoch gegen<br />

das Patent vorgegangen, später auch die Regierung von<br />

Indien. Inzwischen lässt das US Patent Office nur noch drei<br />

von den ursprünglich 19 Ansprüchen bestehen. Das Verfahren<br />

ist noch nicht abgeschlossen.<br />

Durch Einspruch gegen einzelne Patente ist <strong>der</strong> Biopiraterie<br />

nicht beizukommen. Notwendig ist die zügige Umsetzung<br />

<strong>der</strong> CBD, die Neuverhandlung <strong>der</strong> EU-Biopatent-Richtlinie<br />

unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Vorgaben <strong>der</strong> CBD und die Integration<br />

dieser Punkte auch in die TRIPS-Verhandlungen<br />

(Abkommen über handelsbezogene Aspekte <strong>der</strong> Rechte an<br />

geistigem Eigentum im Rahmen <strong>der</strong> Welthandelsorganisation<br />

WTO). Das scheint umso dringlicher, <strong>als</strong> manche Konzerne,<br />

am Patentrecht vorbei, durch bilaterale Verträge<br />

Zugriffsrechte auszuhandeln beginnen, ohne dass es irgendwelche<br />

verbindlichen Mindeststandards dafür gäbe.<br />

Fr. Birgit Kemptner, ÖIE und EZA<br />

„Biopiraterie ist Enteignung ohne Ausgleich“<br />

Opfer <strong>der</strong> Biopiraterie sind in erster Linie die Län<strong>der</strong> des<br />

Südens. Sie besitzen vielfältige biologische Ressourcen<br />

sowie differenziertes und umfangreiches Traditionswissen<br />

in Bezug auf dieses Erbe. Ressourcen und Wissen geraten<br />

durch die Patentierung zunehmend unter die Kontrolle global<br />

orientierter Unternehmen.<br />

Das bedeutet Enteignung <strong>der</strong> vormaligen Verfügungsberechtigten,<br />

und zwar ohne jede Ausgleichsregelung. Darum<br />

spricht man auch von „Biokolonialismus“.<br />

Die Piraterie-Patentierung verschärft das wirtschaftliche<br />

Ungleichgewicht zugunsten <strong>der</strong> reichen Län<strong>der</strong>. Durch Einkommensausfälle<br />

und Verlust von Handlungsfreiheit greift<br />

man tief in das soziale und kulturelle Gefüge betroffener<br />

Regionen ein.<br />

Der erhoffte Technologietransfer findet kaum statt. Die Ausbeutung<br />

biologischer Ressourcen in industriellem Maßstab<br />

- zum Beispiel für die Herstellung von Medikamenten -<br />

führt oft zu einer Ressourcen-Verknappung für den lokalen<br />

Bedarf.<br />

Ohne vorsorgliche Rahmenbedingungen führt sie auch zu<br />

einer Gefährdung <strong>der</strong> biologischen Vielfalt. Bei den Nahrungspflanzen<br />

kann dies auf lange Sicht sogar die<br />

Ernährungssicherheit in Frage stellen.<br />

Biopiraterie – die neue Kolonialisierung? / 83<br />

Hr. Antonio Meira Mendez, COICA<br />

„Privatisierung des biologischen Erbes durch Konzerne”<br />

Durch die Praxis <strong>der</strong> Biopatentierung seit den 80er-Jahren<br />

wird das gemeinsame biologische Erbe zunehmend privatisiert.<br />

Die nach wie vor umstrittene, 1998 verabschiedete<br />

EU-Richtlinie zum Schutze biotechnologischer Erfindungen<br />

schreibt diese Praxis fest. Die Patentfähigkeit von Pflanzen<br />

und Tieren, von biologischem Material schlechthin, sowie<br />

die juristische Schutzlosigkeit von Traditionswissen und<br />

Kulturpraktiken begünstigen Biopiraterie.<br />

Beides steht jedoch im Wi<strong>der</strong>spruch zu den Vorgaben <strong>der</strong><br />

Convention on Biodiversity (CBD), die 1992 von den Vereinten<br />

Nationen beschlossen wurde.<br />

Mit dem Ziel <strong>der</strong> Erhaltung <strong>der</strong> biologischen Vielfalt sind<br />

dort unter an<strong>der</strong>em vorgesehen: Farmers' Rights (Rechte <strong>der</strong><br />

Landwirte), Benefit-Sharing (Teilhabe am Nutzen), Schutz<br />

von Traditionswissen und rechtlich geregelter Zugang zu<br />

den Ressourcen.<br />

Ein spezieller Fall sind die ernährungspolitisch äußerst<br />

wichtigen pflanzengenetischen Ressourcen <strong>der</strong> großen<br />

internationalen Samenbanken. Im International Un<strong>der</strong>taking<br />

(IU), einer Plattform <strong>der</strong> FAO (Food and Agricultural<br />

Organisation, UNO) sollen die Zugriffsbedingungen geregelt<br />

werden.<br />

Außerdem geht es auch hier um Nichtpatentierung von<br />

Pflanzen, insbeson<strong>der</strong>e von Nahrungspflanzen. Sehr deutlich<br />

wird das Problem auch, wenn das Patent sich auf kulturell<br />

beson<strong>der</strong>s wichtige Heilpflanzen bezieht.<br />

So wird z.B. von Indianern aus dem Amazonasgebiet heftig<br />

gegen die Patentierung <strong>der</strong> Pflanze Banisteriopsis caapi<br />

(Ayahuasca) protestiert.<br />

Firmen wie AMERICAN CYANAMID, BRISTOL-MYERS SQIBB,<br />

MONSANTO, MERCK (USA) und PFIZER haben spezielle Forschungsprogramme<br />

gestartet, die gezielt nach traditionellen<br />

Anwendungen von Heilpflanzen vor allem in den Regenwäl<strong>der</strong>n<br />

suchen.<br />

Hr. Dr. Hahnenfuss, Botanik-Forscher<br />

„Ich bin kein Bio-Pirat“<br />

Es heißt, ich wäre in den Urwald des Amazonas vorgedrungen,<br />

im Auftrag von multinationalen Konzernen, um dort im<br />

Austausch gegen ein paar Aspirintabletten eventuell die<br />

Geheimnisse <strong>der</strong> alten Medizinmänner herauszutragen.<br />

Geheimnisse, die Milliardenbeträge an Dollars bringen können.


84<br />

/ Biopiraterie – die neue Kolonialisierung?<br />

Ich sehe mich <strong>als</strong> Opfer <strong>der</strong> Justiz, <strong>der</strong> Politik und <strong>der</strong> Presse.<br />

Ich habe von den Kaxinawa gehört, einem <strong>der</strong> größten<br />

Stämme am Rio Tarauacá. Eines Tages bin ich dort hingeflogen<br />

und habe den Koordinator von 3500 Indianern kennen<br />

gelernt. Dieser sehr tüchtige Koordinator hat mir ein Projekt<br />

vorgelegt, das von ihm handschriftlich geschrieben war und<br />

das vorsah, die Wie<strong>der</strong>geburt und Weiterpflege <strong>der</strong> tausendjährigen<br />

Indianermedizin ins Leben zu rufen.<br />

Das sei ein Projekt, das einen Sponsor bräuchte, <strong>der</strong> dafür<br />

Zugang zu den Heilpflanzen hätte, um die eventuell zu<br />

exportieren.<br />

Die Indianer haben <strong>als</strong>o vielmehr mich bei <strong>der</strong> Vermarktung<br />

ihres Wissens um Hilfe gebeten. Die meisten Unkosten,<br />

sogar meine Rundreise in Europa, habe ich aus eigener<br />

Tasche gezahlt. Allerdings habe ich von <strong>der</strong> Industrie hin<br />

und wie<strong>der</strong> Zuwendungen erhalten. Ich habe Sachspenden<br />

bekommen von Bayer und Hoechst und Ciba Geigy. Die<br />

Unternehmen haben mir Medikamente für die Indianer und<br />

für die Flussuferbevölkerung gespendet.<br />

1992 wollten wir die Sache größer aufziehen, aber da kam<br />

uns in die Quere, dass die Bundesregierung das ganze<br />

Gebiet entlang <strong>der</strong> peruanischen Grenze zum Nationalpark<br />

erklärt hat. Genau dort waren die Gebiete, in denen wir<br />

unsere ersten Pilotprojekte durchführen wollten. Das wurde<br />

dadurch unmöglich, denn dieser Nationalpark durfte nicht<br />

mehr betreten werden. Deshalb haben wir dann umgeschwenkt<br />

auf reine soziale Leistungen für die min<strong>der</strong>bemittelte<br />

Bevölkerung und die Indianer.<br />

Die erwähnten Firmen haben allerdings kein Interesse an<br />

einer Verwertung <strong>der</strong> Heilkräuter bekundet. Sie respektierten<br />

die Rio-Konvention, auf dem Gebiet „Heilkräuter“ hat<br />

es mit mir keine Zusammenarbeit gegeben.<br />

Hr. Dipl.-Ing. Dr. Hoffmann, Pharmakonzern<br />

„Wir erhalten die Artenvielfalt“<br />

Unsere Forschungen laufen unter dem Projektoberbegriff<br />

„Biodiversität“ ab. Unter diesem Begriff fasst die Pharmabranche<br />

Bestrebungen zusammen, die sich dem Erhalt<br />

<strong>der</strong> biologischen Vielfalt auf dem Globus verschrieben<br />

haben.<br />

Auch durchaus renommierte amerikanische Universitäten<br />

sind über das National Institutes of Health (NIH) sowie die<br />

National Science Foundation (NSF) <strong>der</strong> USA in die Forschungsarbeiten<br />

eingebunden.<br />

Amerikanische Forschungszentren wie die University of Arizona<br />

erhalten zunächst Projektbudgets in Höhe von rund<br />

500.000 Dollar, um die Bio-Schatzsuche in „Quellenlän<strong>der</strong>n“<br />

wie Argentinien, Brasilien, Chile o<strong>der</strong> Mexiko voranzutreiben.<br />

Sie arbeiten mit Wissenschaftlern vor Ort zusammen,<br />

<strong>der</strong>en Aufgabe es ist, sich über die Naturheilmethoden <strong>der</strong><br />

einheimischen Landbevölkerung aufzuklären.<br />

Das Wissen <strong>der</strong> Einheimischen ist schließlich längst Allgemeingut<br />

und steht somit allen zur Verfügung. Die ortsansässige<br />

Bevölkerung wird miteinbezogen, hat dadurch<br />

Arbeit und verdient somit auch Geld.<br />

Wir investieren Millionenbeträge in diese Forschungen,<br />

sichern den genetischen Bestand, nehmen zudem gentechnische<br />

Verbesserungen vor, damit wir noch besser gegen<br />

Krankheiten vorgehen können usw.<br />

Daraus leite ich für uns durchaus die Berechtigung für die<br />

Patentierung dieser Organismen ab und verbiete mir den<br />

Begriff „Biopiraterie“.<br />

Fr. Mag. Grünbaum, Vertreterin von UNEP<br />

„Die Bundesregierungen müssen handeln!“<br />

Das UNEP for<strong>der</strong>t die Bundesregierungen dazu auf, sich für<br />

die Erarbeitung eines völkerrechtlich verbindlichen Protokolls<br />

(ABS-Protokoll) zum Zugang zu genetischen Ressourcen<br />

und zur Vorteilsaufteilung einzusetzen. Nur dadurch<br />

können Rechtssicherheit und staatliche Verantwortlichkeiten<br />

garantiert werden.<br />

Das UNEP for<strong>der</strong>t die Bundesregierungen dazu auf, entsprechende<br />

nationale und EU-Gesetze zu erarbeiten.<br />

Ein ABS-Protokoll muss so ausgestaltet sein, dass es die<br />

Interessen indigener und lokaler Gemeinschaften stärkt. Es<br />

müssen Mindeststandards für Verträge über eine gerechte<br />

und effektive Vorteilsaufteilung festlegt werden.<br />

Mit begleitenden Programmen müssen Prozesse in Gang<br />

gesetzt werden, welche die indigenen und lokalen Gemeinschaften<br />

befähigen, ihre Interessen besser vertreten zu können.<br />

Das betrifft v. a. Interessen im Zusammenhang mit dem<br />

Macht-, Finanz- und Wissensgefälle zwischen Nord und<br />

Süd.<br />

Ein ABS-Protokoll muss ein „Recht, nein zu sagen“ garantieren.<br />

Es muss so ausgestaltet werden, dass <strong>der</strong> Transfer<br />

von finanziellen und nicht finanziellen Vorteilen <strong>der</strong> Erhaltung<br />

und nachhaltigen Nutzung biologischer Vielfalt zugute<br />

kommt.<br />

Das Ausschöpfen des Potenzi<strong>als</strong> biologischer Vielfalt muss<br />

in erster Linie <strong>der</strong> Armutsbekämpfung und Ernährungssicherung<br />

dienen.


Abkürzungen – Erklärungen – Organisationen<br />

ABS Access and Benefit Sharing – gerechte Aufteilung<br />

des Zugangs und <strong>der</strong> Vorteile<br />

(Nutzen) von biologischen Ressourcen<br />

CBD Convention on Biodiversity – Übereinkommen über<br />

Artenvielfalt im Rahmen <strong>der</strong> Rio-Konferenz 1992<br />

COICA Koordination <strong>der</strong> Indianerorganisationen<br />

des Amazonasbeckens<br />

EZA Organisation für Entwicklungszusammenarbeit<br />

FAO Food and Agricultural Organisation <strong>der</strong> UNO<br />

(Landwirtschaft und Ernährung)<br />

IFPRI International Food Policy Research Institute<br />

(Int. Forschungs-Institut f. Ernährungspolitik)<br />

ILO International Labour Organisation <strong>der</strong> UNO<br />

(Arbeitsorganisation)<br />

IRRI International Rice Research Institute<br />

(Reisforschung)<br />

IU International Un<strong>der</strong>taking – Plattform <strong>der</strong> FAO<br />

NGOs Non Governmental Organisations –<br />

Regierungsunabhängige Gruppen<br />

ÖIE Österr. Informationsdienst Entwicklungshilfe<br />

Ratifizieren - einen völkerrechtlichen Vertrag<br />

(z.B. Artenschutzabkommen, Abrüstungsverträge,<br />

Klimaschutzkonvention) durch das Parlament<br />

eines Staates rechtskräftig und verbindlich<br />

machen, muss meist vom Staatsoberhaupt<br />

bestätigt werden<br />

Reserven - nicht regenerierbare Rohstoffe wie Erdöl,<br />

Kohle, Mineralien etc.<br />

Ressourcen - regenerierbare Grundlagen wie Wasser,<br />

Boden, Luft, Artenvielfalt, nachwachsende<br />

Energieträger (Holz, Stroh ...)<br />

TRIPS Abkommen über handelsbezogene Aspekte<br />

geistigen Eigentums<br />

UNEP United Nations Environmental Programme –<br />

Umweltorganisation <strong>der</strong> UNO<br />

WTO World Trade Organisation –<br />

Welthandelsorganisation<br />

Biopiraterie – die neue Kolonialisierung? / 85<br />

ROLLENSPIELE im UNTERRICHT<br />

Rollenspiele haben seit Jahrzehnten ihren festen Platz im<br />

Unterrichtsgeschehen. Nicht nur sozialkundliche Inhalte<br />

bieten sich an, son<strong>der</strong>n auch naturwissenschaftlich-technische<br />

Fragestellungen. Am besten geeignet sind sie für<br />

fachübergreifende Themen, wie sie etwa in <strong>der</strong> <strong>Umweltbildung</strong><br />

häufig vorkommen.<br />

Hier prallen praktisch immer technisch-ökonomische Interessen<br />

und soziale, ökologische und emotionale Interessen<br />

aufeinan<strong>der</strong>.<br />

Für die Unterrichtsfächer bedeutet dies, dass Aspekte von<br />

Biologie und Umweltkunde, Chemie, Ethik, Geografie und<br />

Wirtschaftskunde, Geschichte und Sozialkunde, Philosophie<br />

und Psychologie, Physik, politische Bildung, Religion etc.<br />

angesprochen werden.<br />

Rollenspiele sind eine beson<strong>der</strong>e Art des Lernens. SchülerInnen<br />

spielen verschiedene Personen mit den entsprechenden<br />

Standpunkten und Argumenten in einer Situation, die für<br />

die Wirklichkeit bedeutsam ist: ein Streitgespräch, eine<br />

Gemein<strong>der</strong>atssitzung, eine Bürgerversammlung, eine Podiumsdiskussion.<br />

• Im Rollenspiel wird die ganze Person beansprucht, nicht<br />

nur <strong>der</strong> Verstand. Emotionale, soziale und motorische<br />

Fähigkeiten werden ebenso gefor<strong>der</strong>t und geför<strong>der</strong>t wie<br />

kognitive.<br />

• SchülerInnen können beim Rollenspiel die Wirklichkeit<br />

erproben. Es können Aussagen gemacht, Aktionen<br />

gesetzt und Entscheidungen getroffen werden, ohne<br />

dass Fehler reale Folgen zeigen. Sie sind sogar för<strong>der</strong>lich,<br />

weil aus ihnen gelernt werden kann. Bestimmte<br />

Situationen können in verschiedenen Versionen durchgespielt<br />

werden, um verschiedene Konsequenzen zu<br />

erproben. Rückmeldungen kommen sofort durch die<br />

Reaktionen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en MitspielerInnen.<br />

• SchülerInnen lernen bei Rollenspielen einiges hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> Diskussionstechnik, <strong>der</strong> Argumentation und des<br />

Umgangs miteinan<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Diskussionsrunde. Offenbar


86<br />

/ Biopiraterie – die neue Kolonialisierung?<br />

ist es für die SchülerInnen unerheblich, ob sie an guten<br />

Beispielen lernen (Motto: „So sollte man es machen“)<br />

o<strong>der</strong> an schlechten (Motto: „Genau so sollte man es<br />

nicht machen!“). Das heißt, es wird an guten wie an<br />

schlechten Beispielen gelernt.<br />

• Das Übernehmen verschiedener Rollen ermöglicht es,<br />

unterschiedliche, oft sogar konträre Standpunkte und<br />

Wertvorstellungen zu erleben, die dadurch verständlicher<br />

werden können. Dadurch können Feindbil<strong>der</strong> abgebaut<br />

und die Gesprächsbereitschaft geför<strong>der</strong>t werden.<br />

Gleichzeitig kann auch die eigene Sicht <strong>der</strong> Dinge quasi<br />

mit an<strong>der</strong>en Augen gesehen und dabei in Frage gestellt<br />

werden.<br />

• Rollenspiele bieten die Möglichkeit, Fachthemen mit<br />

gesellschaftlich bedeutsamen Problemstellungen zu verknüpfen.<br />

Einsicht und Verständnis für gesellschaftliche<br />

Zusammenhänge werden dadurch geför<strong>der</strong>t, vernetztes<br />

Denken wird geschult und <strong>der</strong> Blick für komplizierte<br />

Problemlagen geschärft.<br />

Soziale Fähigkeiten werden gefor<strong>der</strong>t und geför<strong>der</strong>t, wie<br />

etwa argumentieren, Vorschläge unterbreiten, Verbündete<br />

suchen, sich gut ausdrücken etc.<br />

• SchülerInnen identifizieren sich meist stark mit ihrer<br />

Rolle unabhängig davon, warum sie ihre Rolle gewählt<br />

haben und ob sie ihrer tatsächlichen Einstellung entspricht.<br />

Sie sind dementsprechend stark emotional<br />

beteiligt. Es wird ebenso lustvoll erlebt, in wi<strong>der</strong>sprüchliche<br />

Positionen zu schlüpfen und gegen die eigene<br />

wirkliche Meinung zu argumentieren, wie seine<br />

tatsächliche Einstellung darzulegen und zu verteidigen.<br />

• Rollenspiele sind wegen ihres seltenen Einsatzes eine<br />

Abwechslung im Unterricht, sie sind, gute Vorbereitung<br />

vorausgesetzt, stark motivierend. Für einzelne SchülerInnen<br />

stellen sie manchmal ein Schlüsselerlebnis dar,<br />

an das sich Folgeaktivitäten anknüpfen können. Rollenspiele<br />

machen somit Spaß und bereichern den Unterricht.<br />

Methodische Hinweise:<br />

Rollenverteilung<br />

Für die Verteilung <strong>der</strong> Rollen innerhalb <strong>der</strong> Klasse o<strong>der</strong> eines<br />

sonstigen Interessentenkreises empfiehlt es sich, die Rollen<br />

auf einer Overheadfolie zu präsentieren und kurz verbal zu<br />

charakterisieren, um die Wahlentscheidung zu erleichtern.<br />

Sollten sich für bestimmte Rollen mehrere BewerberInnen<br />

interessieren, dann wäre es günstig, einvernehmliche<br />

Lösungen durch Tausch o<strong>der</strong> Verzicht zu erzielen. Man kann<br />

aber auch das Los entscheiden lassen.<br />

Nachbesprechung<br />

Beson<strong>der</strong>s interessant und vor allem für die Aufarbeitung<br />

hinterher nahezu unerlässlich ist es, das gesamte Rollenspiel<br />

auf Video aufzuzeichnen. Jemand aus <strong>der</strong> Zuhörerschaft<br />

kann <strong>als</strong>o die Rolle „FernsehreporterIn“ spielen,<br />

genauso wie FotoreporterIn und RedakteurInnen <strong>der</strong> Printmedien<br />

dabei sein können bzw. sollen. Unterschiedlich<br />

gefärbte Berichte (Boulevardpresse, seriöse Zeitungen etc.)<br />

von ein und demselben Ereignis bringen ein gutes Stück<br />

Medienerziehung in das Unterrichtsgeschehen.<br />

Rollenkarten<br />

Die meistens verwendete Form mit den eher klischeehaft<br />

vorgegebenen Rollenkarten ist natürlich nur eine mögliche<br />

Spielform und kann abgewandelt werden,<br />

• indem Rollenkarten aufgezeigt werden mit <strong>der</strong> Fragestellung:<br />

„Wie würdest Du zu diesen Argumenten<br />

Stellung nehmen?“<br />

• indem nur die Rollen aufgelistet werden und die einzelnen<br />

MitspielerInnen selbständig Argumente suchen und<br />

finden<br />

• indem nur die Argumente aufgelistet werden und die<br />

TeilnehmerInnen versuchen, diese Argumente einzelnen<br />

Rollen zuzuordnen, die anschließend gespielt werden


• indem die Ausgangslage verän<strong>der</strong>t wird (z.B. Gemein<strong>der</strong>atsitzung<br />

o<strong>der</strong> Podiumsdiskussion anlässlich einer<br />

Tagung o. ä.) und weitere Rollen entwickelt werden<br />

Zeitfaktor<br />

Je nach Spontaneität bzw. <strong>der</strong> zur Verfügung stehende Zeit<br />

muss die Vorbereitungszeit mehr o<strong>der</strong> weniger knapp gehalten<br />

werden. Bei Rollenspielen im Unterricht ist mindestens<br />

eine Unterrichtsstunde dafür vorzusehen (inklusive Rollenverteilung).<br />

Für die Durchführung reicht oft eine weitere Stunde, wenn<br />

die vorbereitenden Arbeiten (Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Sitzordnung,<br />

Aufbau <strong>der</strong> Videokamera ...) schon in <strong>der</strong> Pause vorher erledigt<br />

werden. Für eine solide Aufarbeitung sollte man mindestens<br />

zwei Stunden vorsehen, wobei es günstig sein kann,<br />

eine davon gleich im Anschluss an das Spiel zu legen, die<br />

zweite aber erst nach einer gewissen „Abkühlphase“ für die<br />

Gemüter.<br />

Tipps zum Schluss<br />

Ein Hinweis ist mir noch wichtig, falls gegenüber dem Rollenspiel<br />

im Unterricht noch Hemmungen bestehen: Bevor<br />

man <strong>als</strong> LehrerIn erstm<strong>als</strong> ein Rollenspiel mit einer ganzen<br />

Klasse durchführt, sollte man es vorher möglichst „am eigenen<br />

Leib verspürt“ bzw. erlebt haben.<br />

Diese Erfahrung habe ich selbst gemacht, sie deckt sich mit<br />

<strong>der</strong> von jenen KollegInnen, die ebenfalls Rollenspiele in<br />

ihren Unterricht eingebaut haben. Durch das Wissen, wie es<br />

läuft, dass eigentlich wenig schief gehen kann und dass es<br />

für die meisten Beteiligten ein starkes Erlebnis darstellt,<br />

entsteht ein beruhigendes Gefühl, ohne dass Spannung verloren<br />

geht.<br />

Man sollte deshalb eine günstige Gelegenheit ergreifen<br />

(pädagogische Konferenz, Lehrerarbeitgemeinschaft, Fortbildungsveranstaltung,<br />

interessierter LehrerInnenkreis ...),<br />

um diesbezüglich Erfahrungen zu sammeln.<br />

Rollenspielanalyse – Fragen an die SpielerInnen<br />

Die folgenden Fragen sollen einen Leitfaden für die Nachbereitung<br />

des Rollenspiels (mit o<strong>der</strong> ohne Videoaufzeichnung)<br />

darstellen. Selbstverständlich können/müssen je nach<br />

Verlauf und Situation weitere, vertiefende Fragen gestellt<br />

werden.<br />

- Wie hast du das Spiel gefunden? (zu dieser Frage sollten<br />

sich zu Beginn alle äußern)<br />

Biopiraterie – die neue Kolonialisierung? / 87<br />

- Wie realistisch/unrealistisch war die Diskussion?<br />

- Warum hast du deine Rolle gewählt?<br />

- Wie wertest du die Tatsache, dass beim Rollenspiel<br />

dieses (... näher bezeichnen, evtl. „kein“ ...)<br />

Ergebnis erzielt wurde?<br />

- Hast du Folgen bei an<strong>der</strong>en Diskussionen bemerkt – bei<br />

dir selber o<strong>der</strong> bei an<strong>der</strong>en?<br />

- Wie stark hast du dich mit deiner Rolle identifiziert?<br />

Warum?<br />

- Wie hat sich das Rollenspiel auf den weiteren Verlauf<br />

des Unterrichts (-Projekts ...) ausgewirkt?<br />

- Was war für dich beson<strong>der</strong>s o interessant<br />

o motivierend<br />

o störend<br />

o lehrreich?<br />

- Welche Erfahrungen, Einsichten, Lernprozesse hast du<br />

gemacht? (Sachinformation, Diskussionstechnik ...)<br />

- Waren deine Eltern in irgendeiner Weise miteinbezogen?<br />

(Diskussionen daheim, vorbereitende Fragen ...)<br />

- Waren deine FreundInnen in irgendeiner Weise miteinbezogen?<br />

(Diskussionen in <strong>der</strong> Gruppe, am Schulweg,<br />

Ratschläge, Kritiken, Fragen ...)<br />

Literatur:<br />

Schuster, Hans, 1995: „Rollenspiele in <strong>der</strong> Umwelterziehung“. ARGE<br />

Umwelterziehung in <strong>der</strong> Österreichischen Gesellschaft für Natur<br />

und Umweltschutz, Wien<br />

Bezug: FORUM <strong>Umweltbildung</strong>, Alser Straße 21, A-1080 Wien<br />

Dr. Hans Schuster<br />

unterrichtet Biologie und Umweltkunde sowie Physik am<br />

Privatgymnasium <strong>der</strong> Herz-Jesu-Missionare. Er ist Akademielehrer<br />

am Pädagogischen Institut und Leiter <strong>der</strong> Ethikausbildung<br />

in Salzburg. Doktorat Fachdidaktik Biologie,<br />

Zertifikat in Schulentwicklungsberatung.


88<br />

Angelina Blaschke<br />

Schützt den Regenwald –<br />

er geht uns alle an<br />

Regenwaldprojekt an <strong>der</strong> Haupt- und Re<strong>als</strong>chule Graz-Webling<br />

Unter dem Motto „Was geht uns <strong>der</strong> Regenwald an?“<br />

beschäftigten sich alle SchülerInnen und LehrerInnen mit<br />

<strong>der</strong> Problematik <strong>der</strong> Zerstörung des Regenwaldes und den<br />

globalen Folgen in Form einer Projektwoche. Am Programm:<br />

Lehrausgänge in das Tropenhaus des Botanischen Gartens<br />

<strong>der</strong> Universität Graz, Diavortrag über den Regenwald in<br />

Costa Rica, Workshops <strong>der</strong> Agentur Südwind Graz, Bearbeiten<br />

von Informationen aus dem Internet, Malen, Kochen mit<br />

Früchten, Programmieren von Lernspielen.<br />

Ein spannen<strong>der</strong> Diavortrag brachte uns auf die Idee<br />

Der Grundstein für dieses klassenübergreifende Schulprojekt:<br />

ein Diavortrag im Jänner 2001 von Mag. Richard Kunz.<br />

SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern waren begeistert von<br />

den interessanten Dias und dem exzellenten Vortrag.<br />

In den folgenden drei Wochen wurden SchülerInnen und<br />

LehrerInnen aufgefor<strong>der</strong>t, Ideen für das Regenwaldprojekt<br />

zu sammeln. In <strong>der</strong> Eingangshalle standen zwei Pinnwände<br />

mit <strong>der</strong> Aufschrift „Hast du eine Idee?“. Die SchülerInnen<br />

konnten hier ihre Vorschläge in ein Kuvert einwerfen. Auf<br />

dem PC im Konferenzzimmer befand sich eine Schulprojektliste<br />

mit Themen, die sich auf die verschiedenen Unterrichtsfächer<br />

bezogen. Alle LehrerInnen trugen hier ihre<br />

Ideen ein.<br />

Die Vorbereitungsphase dauerte mehrere Wochen. Das Kollegium<br />

traf sich zu einem regelmäßigen Austausch, um<br />

organisatorische und inhaltliche Fragen abzuklären, – Lernziele,<br />

Zuteilung <strong>der</strong> SchülerInnen zu den jeweiligen Themen<br />

bzw. Lehrern, Raumeinteilung usw.<br />

Die SchülerInnen sollten alle Facetten des Regenwaldes<br />

kennen lernen<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> Besprechungen formulierten wir folgende<br />

Lernziele, die sich aus dem Ideenkatalog und den festgelegten<br />

Themenbereichen ergaben:<br />

Die SchülerInnen sollen<br />

• den Lebensraum Regenwald kennen lernen<br />

• die Notwendigkeit <strong>der</strong> Erhaltung des Lebensraumes<br />

erkennen<br />

• Bedingungen, die im Lebensraum herrschen, mit den<br />

Sinnen aufnehmen (Glashaus)<br />

• die Auswirkungen von Regenwaldzerstörung erkennen<br />

und Lösungen finden – was kann man gegen die<br />

Zerstörung tun?<br />

• Mitgefühl mit den Menschen entwickeln, die im<br />

Regenwald leben, und einsehen, dass man ihnen ihren<br />

Lebensraum nimmt<br />

• einsehen, dass unser Konsumverhalten Auswirkungen<br />

auf die Zerstörung des Regenwaldes haben kann<br />

Die SchülerInnen hefteten<br />

ihre Ideen für die Projektwoche<br />

an diese Pinnwand


Genau geplant<br />

Die Zeiteinteilung für die Projektwoche: Pro Tag vier Einheiten<br />

zu 60 Minuten. So standen längere Arbeitsphasen zur<br />

Verfügung.<br />

In einem Organisationsplan hatten wir in einem Raster den<br />

geplanten Ablauf festgehalten: Zuordnung <strong>der</strong> SchülerInnen<br />

und LehrerInnen zu den einzelnen Themenbereichen, Projekteinheiten<br />

und Räumen. Zum Teil waren pro Gruppe zwei<br />

LehrerInnen zugeteilt.<br />

Am Beginn <strong>der</strong> Projektwoche erhielt jede Klasse einen Organisationsplan.<br />

Die drei EDV-Räume versahen wir ebenfalls<br />

mit einem Organisationsplan, da SchülerInnen hier Informationen<br />

aus dem Internet bearbeiteten und recherchierten<br />

und auch Zusammenfassungen schrieben.<br />

Zur Sache<br />

Die SchülerInnen <strong>der</strong> ersten Klasse (5. Schulstufe) beschäftigten<br />

sich mit <strong>der</strong> Artenvielfalt im Regenwald. Dazu suchten<br />

sie Bil<strong>der</strong> von Tieren und Pflanzen im Internet und<br />

beschrieben sie auf Karteiblättern. Anschließend ordneten<br />

sie diese dem Stockwerksbau im Regenwald zu. Sie erfuhren<br />

vom Lehrer, dass tropische Zimmerpflanzen, die es bei uns<br />

zu kaufen gibt, aus den Regenwäl<strong>der</strong>n kommen. Sie<br />

beschäftigten sich eingehend mit <strong>der</strong> Vielfalt tropischer<br />

Früchte und stellten ein köstliches Früchtebüfett her. Eine<br />

Rezeptsammlung für alkoholfreie Fruchtcocktails rundete<br />

das Thema ab.<br />

Ein Teil <strong>der</strong> SchülerInnen <strong>der</strong> fünften Klasse (9. Schulstufe)<br />

arbeitete an <strong>der</strong> Programmierung von Lernspielen zur Tierund<br />

Pflanzenwelt des Regenwaldes.<br />

Die SchülerInnen <strong>der</strong> sechsten Klasse studierten englische<br />

Texte, die von <strong>der</strong> Problematik des Regenwaldes handelten,<br />

übersetzten diese ins Deutsche und diskutiert darüber. Sie<br />

erstellten auch Kurzfassungen von Texten zu verschiedenen<br />

SchülerInnen verfassen<br />

englische Texte<br />

Um in den Dschungel zu gelangen, müssen<br />

die Affen die gefährliche Schlucht über eine<br />

unsichere Wackelbrücke überwinden<br />

Schützt den Regenwald – er geht uns alle an / 89<br />

Themen wie „Bedrohter Lebensraum“, „El Nino“ und „Klimaverän<strong>der</strong>ungen“.<br />

Weitere Aktivitäten: die Erstellung eines Videofilms in digitaler<br />

Form und einer Regenwaldzeitung<br />

Neben den arbeitsintensiven Aufgaben kam auch die Bewegung<br />

in dieser Woche nicht zu kurz. Dafür baute eine Schülergruppe<br />

mit Hilfe zweier TurnlehrerInnen einen Dschungelparcours<br />

auf. Der kam bei den SchülerInnen von <strong>der</strong> 1. bis<br />

zur 6. Klasse so gut an, dass nach <strong>der</strong> Projektwoche <strong>der</strong> Parcours<br />

noch einmal aufgebaut wurde.<br />

Abschließend schrieben alle SchülerInnen ihre Wünsche für<br />

den Regenwald auf einen Zettel. Einige befestigten ihre<br />

Wünsche an Luftballons und ließen diese beim Regenwaldfest<br />

in die Lüfte steigen.<br />

Eine Gruppe von SchülerInnen erstellte mit dem Webmaster<br />

<strong>der</strong> Schule Internet-Seiten über das Projekt.<br />

Informationen über unser Projekt finden Sie unter:<br />

http://www.hrs-webling.at/regenwald<br />

Den Regenwald feiern<br />

Ein großes Regenwaldfest, bei dem die SchülerInnen die<br />

Ergebnisse <strong>der</strong> Woche präsentierten, rundete das Projekt ab.<br />

Dazu luden wir Eltern, Verwandte, Bekannte und die Sponsoren<br />

ein. Beson<strong>der</strong>s freuten wir uns, dass Lehrer unserer<br />

Comenius-Partnerschulen aus Italien und Schweden mitfeiern<br />

konnten, da gerade Arbeitsgespräche zu dieser Zeit<br />

stattfanden.<br />

In einem Raum hatten wir ein reichhaltiges Büffet aufgebaut.<br />

Duft und Geruch <strong>der</strong> zauberhaften Speisen und<br />

Fruchtcocktails gaben einen kleinen Eindruck von <strong>der</strong> Vielfalt<br />

<strong>der</strong> Regenwäl<strong>der</strong>. Wer genau wissen wollte, um welche<br />

Früchte es sich hier handelte, konnte sich bei <strong>der</strong> Früchteausstellung<br />

informieren.


Präsentation <strong>der</strong> Talkshow zur Situation <strong>der</strong> Plantagenarbeiter<br />

Auf Plakaten wurden die Ergebnisse <strong>der</strong> Arbeitsgruppen<br />

präsentiert. Das Zentrum des Festes bildete <strong>der</strong> Turnsaal.<br />

Hier führten alle Klassen auf einer Bühne Beiträge zum<br />

Regenwald vor: den Regenwaldsong, eine Talkshow über die<br />

Situation <strong>der</strong> Plantagenarbeiter im Regenwald, einen kritischen<br />

Text über „Bru<strong>der</strong> Baum“, englische Texte über den<br />

Regenwald u.v.m.<br />

Dazu wurden eine Diashow über den Regenwald, ein Videofilm<br />

über die Aktivitäten während <strong>der</strong> Projektwochen und<br />

die Internetseite mit <strong>der</strong> Projekthomepage präsentiert.<br />

Was ist beson<strong>der</strong>s gut angekommen?<br />

Wie aus <strong>der</strong> Projektdokumentation ersichtlich ist (Umfrage<br />

<strong>der</strong> SchülerInnen), kamen die Diashow von Mag. Kunz und<br />

<strong>der</strong> Dschungelparcours sehr gut an. Auch die kritischen<br />

Texte regten die SchülerInnen <strong>der</strong> 6. Klasse zu eifrigen Diskussionen<br />

an. Die Workshops <strong>der</strong> Agentur Südwind waren<br />

für die Kin<strong>der</strong> sehr abwechslungsreich. Alles in allem waren<br />

sie von dieser Woche deshalb so begeistert, weil das Thema<br />

„Regenwald“ so vielschichtig durchleuchtet wurde.<br />

Was könnte man än<strong>der</strong>n?<br />

Wir würden bei einer Projektwoche, die wie<strong>der</strong>um die<br />

gesamte Schule betrifft, eine an<strong>der</strong>e Verteilung <strong>der</strong> Stundeneinheiten<br />

vornehmen. Es wäre wahrscheinlich besser,<br />

wenn zwei bis drei Lehrer ein Thema anbieten (altersgemäß<br />

aufbereitet) und die SchülerInnen zu diesen Lehrern „arbeiten“<br />

kommen, d. h. sie wählen selbst aus, was sie machen<br />

möchten. Wir haben nämlich eine Einteilung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zu<br />

den entsprechenden Klassenlehrern gewählt. Nur einige Fix-<br />

punkte (wie Diavortrag, Dschungelparcours und Gewächshaus<br />

des Botanischen Gartens) waren für alle SchülerInnen<br />

verpflichtend.<br />

Geför<strong>der</strong>t wurde dieses Projekt vom Bundesministerium für<br />

Bildung, Wissenschaft und Kultur (Bereich Umwelt), von <strong>der</strong><br />

Agentur Südwind NÖ und Graz, von den Bezirksämtern<br />

Strassgang und Wetzelsorf in Graz und vom Elternverein <strong>der</strong><br />

Schule.<br />

Geleitet wurde dieses Projekt von HOL Maria Drescher und<br />

HOL Angelina Blaschke.<br />

Literatur:<br />

Bärtels, Andreas, 1996: Farbatlas Tropenpflanzen, Ulmer Verlag<br />

Blancke, Rolf, 1999: Farbatlas Pflanzen <strong>der</strong> Karibik u. Mittelamerikas,<br />

Ulmer Verlag<br />

Blancke, Rolf, 2000: Farbatlas Exotische Früchte, Obst und Gemüse <strong>der</strong><br />

Tropen und Subtropen, Ulmer Verlag<br />

Brandl, Franz, 1997: Cocktails ohne Alkohol, Cormoran im Südwestverlag<br />

Faszination Tierleben. Verblüffende Entdeckungen aus <strong>der</strong> Tierwelt.<br />

Orbis 2001<br />

Gogger, Harold G., 1999: Enzyklopädie <strong>der</strong> Reptilien u. Amphibien,<br />

Bechtermünz Verlag<br />

Münzing, Ingeborg, 2001: Kursbuch gesunde Ernährung, Bechtermünz<br />

Verlag<br />

Nowak, Bernd; Schulz, Bettina, 1998: Bestimmungsbuch Tropische<br />

Früchte. Biologie, Verwendung, Anbau und Ernte; BLV Verlagsgesellschaft<br />

mbH<br />

Preston-Mafham, Rod & Ken, 2000: Das große Buch <strong>der</strong> Insekten,<br />

Dumont<br />

Rias-Bucher, Barbara, 1998: Exotische Früchte, Verlag Heyne<br />

Rohwer, Jens G., 2000: Pflanzen <strong>der</strong> Tropen. BLV Verlagsgesellschaft mbH<br />

CD-Rom, Mit Alex auf Reisen in den Regenwald, Klett<br />

CD-Rom, Naturwissenschaften begreifen und anwenden<br />

Links, die sich auf unserer Projektseite befinden, haben wir verwendet –<br />

sind empfehlenswert: http://www.hrs-webling.at/regenwald<br />

Angelina Blaschke<br />

unterrichtet Informatik, Deutsch und Bildnerische<br />

Erziehung an <strong>der</strong> Haupt- und Re<strong>als</strong>chule Graz-Webling.<br />

Sie arbeitete mit an den Lehrplänen für das Modell <strong>der</strong><br />

Re<strong>als</strong>chule – eine sechsjährige Pflichtschulform.


Sigrun Lange<br />

Faszination Anden<br />

Eine Computer-Reise durch tropische Bergwäl<strong>der</strong><br />

Eintauchen in den tropischen Bergwald<br />

Anschauen, lesen, zuhören und eintauchen in fremde Welten:<br />

Das können alle, die sich auf eine virtuelle Reise in die<br />

Bergregenwäl<strong>der</strong> Südecuadors einlassen wollen. Die CD<br />

„Faszination Anden“ lädt SchülerInnen ab <strong>der</strong> 9. Klasse und<br />

alle Naturbegeisterten ein, die Schönheit dieses Lebensraumes<br />

mit seinen Tier- und Pflanzenarten zu entdecken. INKA<br />

– Internationales Netzwerk für Kultur- und Artenvielfalt e.V.<br />

entwickelte die CD in deutscher und spanischer Sprache, um<br />

die Bedeutung <strong>der</strong> Bergregenwäl<strong>der</strong> hervorzuheben. Damit<br />

soll eine Wissenslücke geschlossen werden: Im öffentlichen<br />

Bewusstsein wurden bisher vor allem die Tieflandregenwäl<strong>der</strong><br />

des Amazonasgebietes wahrgenommen, die durch Holzeinschlag,<br />

Ausbeutung von Bodenschätzen und Monokul-<br />

turanbau bedroht sind. Der dramatische Verlust <strong>der</strong> Bergwäl<strong>der</strong><br />

findet kaum Beachtung, obwohl diese <strong>als</strong> Wassereinzugsgebiet,<br />

Erosionsschutz und für den Erhalt genetischer<br />

Ressourcen eine beson<strong>der</strong>s wichtige Rolle spielen.<br />

Der virtuell Reisende ist eingeladen, die Zusammenhänge<br />

zwischen Pflanzen und Tieren kennen zu lernen. Er erfährt<br />

beispielsweise, dass tropische Fle<strong>der</strong>mäuse nicht nur blutsaugende<br />

Vampire sind, son<strong>der</strong>n vor allem wichtige Bestäuber<br />

von Fruchtbäumen und Heilkräutern. Schließt man die<br />

Augen, so tragen einen die Geräusche <strong>der</strong> Fle<strong>der</strong>mäuse mit-<br />

ten hinein in den Bergwald. Kurzfilme geben Einblick in die<br />

Vogelwelt Südecuadors. Am Ende <strong>der</strong> Reise lädt ein Fragenkatalog<br />

ein, sein Wissen zu testen.<br />

Artenreiche Lebensräume von globaler Bedeutung<br />

Ab einer Höhe von etwa 1500 Meter werden die tropischen<br />

Tieflandwäl<strong>der</strong> von den so genannten Bergregenwäl<strong>der</strong>n<br />

abgelöst. Typisch sind die vielen Epiphyten, dass heißt auf<br />

Bäumen wachsende Pflanzen. In höheren Lagen, etwa ab<br />

2500 Meter, schließen sich die meist in Wolken gehüllten<br />

Nebelwäl<strong>der</strong> an. Man nennt sie auch „Augenbraue des<br />

Dschungels“ o<strong>der</strong> spanisch „Ceja andina“. Ihr undurchdringliches<br />

Dickicht von niedrigen Bäumen, Sträuchern und Lianen<br />

erinnert an die Haarbüschel einer Augenbraue.<br />

Die tropischen Bergwäl<strong>der</strong> <strong>der</strong> Anden zählen zu den artenreichsten<br />

Lebensräumen unserer Erde. Sie beherbergen<br />

15 Prozent aller bekannten Pflanzen, <strong>als</strong>o etwa 45.000<br />

Arten. Im Bergwald des Podocarpus Nationalpark in Südecuador<br />

zählten ForscherInnen auf einer Fläche von 146<br />

Quadratkilometern bis zu 4000 Pflanzenarten. In Deutschland<br />

wachsen rund 3300 Arten. Im Jahr 2000 wurden die<br />

Bergwäl<strong>der</strong> <strong>der</strong> tropischen Anden von <strong>der</strong> Organisation<br />

Conservation International <strong>als</strong> „Biodiversitäts-Hotspots“<br />

ausgewiesen. Diese Gebiete zeichnen sich durch eine<br />

extrem vielfältige Pflanzenwelt und einen hohen Grad an<br />

Endemismus aus, was heißt, dass viele Pflanzen nur in dieser<br />

Region und nirgendwo sonst auf <strong>der</strong> Welt vorkommen.<br />

Die Isolierung vieler Berge während <strong>der</strong> letzten Eiszeit ist<br />

verantwortlich für den hohen Anteil an endemischen Arten.<br />

Natürliche Rutschungen auf steilen Hängen sowie die Vielfalt<br />

von trockenen Bergrücken bis hin zu feuchten Schluch-


92<br />

/ Faszination Anden<br />

ten sorgen für eine Bandbreite ökologischer Nischen im<br />

Bergwald. Dieser Reichtum an genetischer Vielfalt kommt<br />

auch uns zugute: Viele Kulturpflanzen wie Kartoffeln,<br />

Tomaten, Bohnen kommen ursprünglich aus dem Andenraum,<br />

aber auch Heilpflanzen wie die Chinarinde, aus <strong>der</strong><br />

das Malariamittel Chinin gewonnen wurde. Ein weiteres<br />

Kriterium für die Ausweisung eines Gebietes <strong>als</strong> „Biodiversitäts-Hotspot“<br />

ist die starke Gefährdung dieses Lebensraumes.<br />

Sauberes Trinkwasser<br />

Tropische Bergwäl<strong>der</strong> spielen eine entscheidende Rolle für<br />

sauberes Trinkwasser. Nie<strong>der</strong>schläge werden vom Blattwerk<br />

abgefangen und erst nach und nach an den Boden weitergegeben.<br />

Das einsickernde Wasser wird durch das Erdreich<br />

gefiltert. Werden Bergwäl<strong>der</strong> zerstört, droht starke Bodenerosion,<br />

da die Erde nicht mehr von dichtem Wurzelwerk<br />

gehalten wird. Nach den für die Tropen typischen starken<br />

Regenfällen stürzt das Wasser ungehin<strong>der</strong>t die Hänge hinab<br />

und löst Muren aus. Nebelwäl<strong>der</strong> kämmen mit ihrem reich<br />

verzweigten Ast- und Blattwerk weitere Feuchtigkeit aus<br />

den tief hängenden Wolkenschwaden heraus und leiten<br />

diese an das Erdreich weiter. Die zusätzliche Feuchtigkeit<br />

kann bis zu 20 Prozent <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>schläge ausmachen und<br />

ist damit ein wichtiger Faktor im Wasserhaushalt.<br />

Unbekanntes Forschungsgebiet<br />

In tropischen Bergwäl<strong>der</strong>n können WissenschaftlerInnen<br />

noch auf Entdeckungsreise gehen: Sie gehören zu den am<br />

wenigsten erforschten Gebieten unserer Erde. Nature and<br />

Culture International (NCI), die Partnerorganisation von<br />

INKA e.V., versucht Forschung zu för<strong>der</strong>n. 1997 wurde die<br />

Forschungsstation ECSF (Estacion Cientifica San Francisco)<br />

im südecuadorianischen Bergwald errichtet. Sie bietet<br />

Arbeitsräume, Labors und Unterkünfte für 40 WissenschaftlerInnen.<br />

Im Mittelpunkt des Interesses: Der Vergleich zwischen<br />

gestörten und ungestörten Bergwäl<strong>der</strong>n. „Bis heute<br />

ist unklar, welche Bedeutung die Artenvielfalt für das Funktionieren<br />

des Ökosystems hat“, so Prof. Fiedler, Sprecher <strong>der</strong><br />

deutschen Forschergruppe auf <strong>der</strong> ECSF. An die Nutzung <strong>der</strong><br />

Forschungsstation ist die Bedingung geknüpft, die wissenschaftlichen<br />

Arbeiten in die spanische Sprache zu übersetzen,<br />

um sie für angewandte Projekte, Lehre und Öffentlichkeitsarbeit<br />

im Land nutzbar zu machen.<br />

Bergwäl<strong>der</strong> – wie lange noch?<br />

Vor 30 Jahren existierten weltweit noch etwa 50 Millionen<br />

Hektar Nebelwald, heute sind nur noch kleine Restbestände<br />

erhalten. Philip Bubb, Direktor <strong>der</strong> 1999 in England gegründeten<br />

„Initiative Tropischer Bergwald“, schätzt, dass im<br />

nördlichen Andenraum bereits 90 Prozent <strong>der</strong> Nebelwäl<strong>der</strong><br />

verschwunden sind. „In zehn Jahren werden die südamerikanischen<br />

Nebelwäl<strong>der</strong> Geschichte sein“, warnt Percy<br />

Nuñez, ein peruanischer Bergwaldforscher.<br />

Werden auch die letzten Hänge gerodet, hat dies weitreichende<br />

Folgen – auch für die Tieflandregenwäl<strong>der</strong> im Amazonasgebiet.<br />

Viele Flüsse des Amazonasbeckens, wie <strong>der</strong> Rio<br />

Napo, entspringen den Ostabhängen <strong>der</strong> Anden. Laut einer<br />

im Oktober 2001 im Science Magazin vorgestellten Studie<br />

aus dem Monteverde Nationalpark in Costa Rica beeinflusst<br />

auch die Zerstörung <strong>der</strong> Tieflandregenwäl<strong>der</strong> die Existenz<br />

<strong>der</strong> Bergwäl<strong>der</strong>. Entwaldung hat generell zur Folge,<br />

dass mehr Wärme von <strong>der</strong> Erdoberfläche in die Atmosphäre<br />

entweichen kann. Dies bewirkt, dass die Luft über entwaldeten<br />

Flächen höher steigen muss, um Wolken zu bilden. Da<br />

<strong>der</strong> Lebensraum Nebelwald von tief hängenden Wolken<br />

geprägt ist, könnte die Zerstörung <strong>der</strong> Tieflandwäl<strong>der</strong> und<br />

die damit einhergehende Klimaverän<strong>der</strong>ung die Austrocknung<br />

dieser Wäl<strong>der</strong> bewirken. Mit den tropischen Bergwäl<strong>der</strong>n<br />

<strong>als</strong> bedeutenden Zentren biologischer Vielfalt verschwinden<br />

auch viele Pflanzen- und Tierarten für immer.<br />

Es bleibt zu hoffen, dass wir den Wettlauf mit <strong>der</strong> Zeit<br />

gewinnen und es schaffen, die letzten Bergwaldreste zu<br />

erhalten – um ihrer Schönheit willen und zu unserem eigenen<br />

Nutzen.<br />

INKA e.V. setzt auf Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit, um<br />

ein Bewusstsein für den Wert dieser Wäl<strong>der</strong> zu schaffen. Die<br />

CD-Rom „Faszination Anden“ kann für 12 Euro (inklusive<br />

Versandkosten) bestellt werden bei INKA e.V., Gravelottestr.<br />

6, D-81667 München<br />

Weitere Infos unter: Tel. 0049/(0)89/45 91 19-19,<br />

E-Mail: info@inka-ev.de, Web: http://www.inka-ev.de<br />

Mag. Sigrun Lange<br />

ist Diplom-Biologin und bei INKA e.V. für<br />

Projektkoordination, Webseite und <strong>Umweltbildung</strong><br />

zuständig.


Kurt Zernig<br />

bananenrot und himbeerblau<br />

Vom Keim <strong>der</strong> Fantasie zur Frucht des Erkenntnis<br />

„Am Anfang war die Erde eine Erbse.“<br />

Barbara Baumann<br />

Früchte sind für einen Botaniker spannende Gebilde. Neben<br />

<strong>der</strong> unglaublichen Formenvielfalt faszinieren vor allem die<br />

unterschiedlichen Mechanismen, mit denen Früchte für die<br />

Ausbreitung <strong>der</strong> in ihnen heranreifenden Samen sorgen.<br />

Manche Früchte bzw. Samen können fliegen, an<strong>der</strong>e sind<br />

ausgezeichnete Schwimmer; manche benutzen Tiere <strong>als</strong><br />

Taxi und einige Früchte schleu<strong>der</strong>n ihre Samen sogar explosionsartig<br />

von sich. Daneben haben Früchte aber auch noch<br />

an<strong>der</strong>e Qualitäten: unscheinbar klein o<strong>der</strong> riesengroß,<br />

leuchtend knallbunt o<strong>der</strong> grau, wohlschmeckend o<strong>der</strong><br />

wi<strong>der</strong>lich, herrlich nach Vanille duftend o<strong>der</strong> abscheulich<br />

nach Aas.<br />

In je<strong>der</strong> Frucht ist eine Vielzahl an Sinneseindrücken,<br />

Geschichten und Geheimnissen verborgen. Diese gilt es zu<br />

ergründen und einzelne solcher Entdeckungen zu präsentieren.<br />

Eine Son<strong>der</strong>ausstellung im Landesmuseum Joanneum<br />

und ein Buch sollen entstehen – und beides speziell für Kin<strong>der</strong>!<br />

Am Anfang ist die Schreibwerkstatt<br />

Ein Team wird zusammengestellt, dem die bildende Künstlerin<br />

Luise Kloos, <strong>der</strong> Jugendbuchautor Heinz Janisch und<br />

ich <strong>als</strong> Botaniker angehören. Eine Schreibwerkstätte mit<br />

Kin<strong>der</strong>n bildet unseren Ausgangspunkt: Einerseits müssen<br />

Texte für das Buch erarbeitet werden, an<strong>der</strong>erseits erhoffen<br />

wir uns auch viele Anregungen, Hinweise und Tipps zur<br />

Gestaltung <strong>der</strong> Ausstellung.<br />

Eine uns bekannte Deutschlehrerin informiert mehrere Kin<strong>der</strong><br />

über das Thema, und die entscheiden sich dann freiwillig,<br />

ob sie bei uns mitarbeiten wollen. Die Hälfte <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

besucht eine Hauptschule, die an<strong>der</strong>e Hälfte kommt aus<br />

Gymnasien, ein Mädchen geht noch zur Volksschule. Insgesamt<br />

werden 15 Kin<strong>der</strong> im Alter von 9 bis 13 Jahren ausgewählt.<br />

Es wird sich herausstellen, dass die 10- bis 12-Jährigen<br />

die größte Begeisterung entwickeln.<br />

Zwei junge Schriftstellerinnen werden von <strong>der</strong> Seychellen-Nuss zu einer<br />

Geschichte inspiriert<br />

Gemeinsam tauchen wir an zwei Wochenenden in die<br />

geheimnisvolle Welt <strong>der</strong> Früchte ein. Gearbeitet wird samstags<br />

und sonntags, von 9 bis 17 Uhr mit zwei Stunden Mittagspause.<br />

Als Arbeitsräume dienen zwei Räume, die später<br />

auch einen Teil <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>ausstellung beherbergen.<br />

Auf einer langen Tischreihe liegt dicht gedrängt eine Auswahl<br />

aus <strong>der</strong> Früchte- und Samensammlung des Landesmuseums<br />

Joanneum. Um auch die kleinsten Details von Früchten<br />

und Samen erkennen zu können, blicken wir durch ein<br />

Binokular. Einige Bücher, hauptsächlich Bildwerke, stehen<br />

den jungen Entdeckern ebenfalls zur Verfügung. Die größte<br />

Attraktion ist aber ein kleiner Tisch, auf dem jeden Tag eine<br />

neue Auswahl an exotischen Früchten offeriert wird.


94<br />

/ bananenrot und himbeerblau<br />

Erst wenn die Sprache lustvoll erfahren wird,<br />

macht die Schreib-Arbeit Spaß<br />

Es mag riskant erscheinen, den Kin<strong>der</strong>n reale Sammlungsstücke<br />

in die Hand zu geben. Oft sind es historische Einzelstücke,<br />

die nicht so ohne weiteres wie<strong>der</strong> beschaffbar sind.<br />

Die Erfahrung zeigt aber, dass Kin<strong>der</strong> sehr wohl in <strong>der</strong> Lage<br />

sind, ihren Wert zu ermessen; Vorsicht und oft sogar Ehrfurcht<br />

kennzeichnen den Umgang <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> mit den<br />

Sammlungsstücken.<br />

Mit Hilfe <strong>der</strong> ausgestellten Objekte werden verschiedene<br />

botanische Themen angesprochen: <strong>der</strong> mehrschichtige Aufbau<br />

<strong>der</strong> Kokosnuss ermöglicht ihr zu schwimmen; Früchte<br />

fliegen mit unterschiedlichen „Flugapparaten“; die roten<br />

Beeren <strong>der</strong> Eberesche sind eine wohlschmeckende Vogelmahlzeit;<br />

auf tropischen Bäumen wachsen bohnenartige,<br />

bis zu einen Meter lange Hülsenfrüchte ...<br />

Die Schreibwerkstatt darf man sich nicht vorstellen <strong>als</strong><br />

einen langen Tisch mit fünfzehn Sesseln, fünfzehn gespitzten<br />

Bleistiften und fünfzehn leise vor sich hin schreibenden<br />

Kin<strong>der</strong>n! Körper, Stimme, Bewegung gehören ebenso dazu<br />

wie Musik. Die Kin<strong>der</strong> werden angeregt, ihre Ideen in Bildgeschichten<br />

auszudrücken, Kochrezepte, Witze und Rätsel<br />

zu gestalten. Aus dem Zeichnen und Malen heraus werden<br />

oft neue Worte gefunden, manchmal entstehen daraus<br />

ganze Geschichten.<br />

Wichtige Voraussetzung für das Gelingen <strong>der</strong> Schreibwerkstatt<br />

ist, dass die Kin<strong>der</strong> jeden Vorschlag, jede Idee einbringen<br />

können müssen. Die Ernsthaftigkeit hinter dem Spaß<br />

muss dabei spürbar werden. Niemand wird bloßgestellt, alle<br />

Texte sind gleichwertig. Ermutigung – im Sinne von Mut<br />

machen ist die beste Motivation. Das Vertrauen in die<br />

beson<strong>der</strong>en Fähigkeiten aller Teilnehmer muss immer wie<strong>der</strong><br />

neu bestätigt und bestärkt werden.<br />

„Nichts ist zu klein für die Literatur” ist das Motto von Heinz<br />

Janisch. So interviewen die Jungliteraten verschiedene<br />

Früchte, schreiben Briefe an eine Frucht, gießen fruchtige<br />

Eigenschaften in Reime und Gedichte, ersinnen Kalen<strong>der</strong>sprüche,<br />

denken sich Früchte-Märchen aus.<br />

Beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeit genießen die bereit liegenden<br />

exotischen Früchte: Zuerst werden sie genau von außen<br />

betrachtet. Fachgerecht zerteilt geben die Früchte ihr<br />

Innenleben preis. Das löst oft großes Erstaunen aus. Nach<br />

ausgiebigem Betrachten und Beschnuppern folgt <strong>der</strong> Höhepunkt:<br />

die Früchte werden verkostet. Je nachdem, ob ihnen<br />

die Früchte geschmeckt haben, formulieren sie dann Lobo<strong>der</strong><br />

Pfuireden.<br />

Eine Mappe liegt <strong>als</strong> „Sammelbecken” bereit. Je<strong>der</strong> entscheidet<br />

für sich, wann ein Text, ein Bild zur Abgabe bereit<br />

ist. Zuerst werden die Texte aber den drei Betreuern zum<br />

Lesen gegeben. Gespannt warten die Kin<strong>der</strong> auf die Reaktionen.<br />

Sie sind vor allem neugierig, ob wir Erwachsene zu<br />

unterschiedlichen Meinungen kommen. Vertrauensför<strong>der</strong>nd<br />

wirkt wohl auch, dass von Beginn an eine gute Rechtschreibung<br />

nicht Voraussetzung ist, um gute Texte zu schreiben.<br />

Die Rechtschreibfehler sind niem<strong>als</strong> Thema unserer Textbesprechungen.<br />

Beson<strong>der</strong>es bemühen wir uns, eine bildhafte Sprache zu för<strong>der</strong>n.<br />

Um das Vokabular zur Beschreibung von Geschmack,<br />

Aussehen, Geruch usw. spielerisch zu erweitern, wandelt<br />

Luise Kloos das bekannte Spiel „Stadt, Land“ ab. So müssen<br />

zu einem bestimmten Buchstaben Worte in den Kategorien<br />

Frucht, Land, Geschmack, Farbe, Geruch usw. gefunden werden.<br />

Hun<strong>der</strong>te von Texten entstehen. Neue Früchte tauchen auf,<br />

neue Ideen werden entwickelt. Jede Frucht und je<strong>der</strong> Samen<br />

ist es wert, genau betrachtet zu werden. Jedes Detail interessiert<br />

uns. Die Erbse ist ebenso eine Geschichte wert wie<br />

die Kokosnuss. Spielerisch werden so immer neue Zugänge<br />

gefunden. Auch <strong>der</strong> kleinste Apfelkern ist einem Jungen ein<br />

Gedicht wert: „Im Apfelkern wohnt <strong>der</strong> Keimungsstern“<br />

Die unterschiedlichen Herangehensweisen <strong>der</strong> drei Betreuungspersonen<br />

– sprachlich und sprachspielerisch, künstle-


Es könnte doch sein, dass eine Himbeere aus Scham blau geworden<br />

ist. O<strong>der</strong> eine Zitrone Wetterberichte erstellt ...<br />

risch und wissenschaftlich – wurden meist gemeinsam eingebracht.<br />

So war einerseits für die nötige Abwechslung<br />

gesorgt, an<strong>der</strong>erseits konnte sich jedes Kind auf <strong>der</strong> Ebene<br />

betätigen, zu <strong>der</strong> es gerade die meiste Lust empfand.<br />

Aus Kin<strong>der</strong>texten wird ein Buch<br />

All die Texte werden von den drei Betreuern mit Punkten<br />

bewertet. In einer gemeinsamen Besprechung werden die<br />

Texte mit den meisten Punkten für das Buch ausgewählt.<br />

Die letzte Entscheidung darüber, ob ein Text ins Buch aufgenommen<br />

wird, liegt bei Luise Kloos, die das Buch auch<br />

gestaltet.<br />

Sie legt Wert auf qualitativ hochwertige Materialien und<br />

auf ein Design, das trotz <strong>der</strong> Vielfalt einen Gesamteindruck<br />

beim Lesen und Schauen ermöglicht. Schließlich wird damit<br />

doch die Wertschätzung für die Kin<strong>der</strong> <strong>als</strong> Leser gezeigt.<br />

Die Früchte werden mit unterschiedlichen Medien dargestellt,<br />

in Zeichnungen, Malereien und Fotografien. Die Fotos<br />

zeigen vor allem die exotischen Früchte wegen ihrer Fremdheit<br />

in größtmöglicher Realitätstreue. Bei den an<strong>der</strong>en<br />

Früchten wechseln sich Realismus und Abstraktion ab, um<br />

Form und Farbe, Geschmack und Geruch, Eigenschaften und<br />

Lebensformen darzustellen. Die Grundlage für die gestalte-<br />

bananenrot und himbeerblau / 95<br />

rische Überlegung ist aber <strong>der</strong> Text selbst, <strong>der</strong> ja auch immer<br />

in die Bildelemente einbezogen wird.<br />

Die Sinnlichkeit <strong>der</strong> Früchte will Luise Kloos auch durch die<br />

Wahl <strong>der</strong> Materialien zum Ausdruck bringen. So werden<br />

verschiedene Papiere gewählt: Alle Windfrüchte fliegen auf<br />

einem Transparentpapier daher, um das Luftige, Schwebende,<br />

Leichte dieser Früchte zu unterstreichen. Eine gefalzte<br />

Seite zum Aufklappen macht das Geheimnis <strong>der</strong> Seychellennuss<br />

auch greifbar.<br />

Die Arbeit aller Beteiligten wird hochoffiziell belohnt: Das<br />

Buch erhält den Österreichischen Kin<strong>der</strong>- und Jugendbuchpreis<br />

1999 in <strong>der</strong> Kategorie Sachbuch. In erster Linie hat <strong>der</strong><br />

Erfolg des Buches mit den sprachschöpferischen Leistungen<br />

<strong>der</strong> schreibenden Kin<strong>der</strong> zu tun. Ihre Fantasie, ihre Lust am<br />

Fabulieren, Erfinden, Erzählen, ihr Eintauchen in diese Welt<br />

<strong>der</strong> Gerüche, Formen und Farben machen das Buch so spannend.<br />

Früchte einer Ausstellung<br />

In drei Räumen auf etwa 250 Quadratmeter ermöglicht eine<br />

Son<strong>der</strong>ausstellung am Landesmuseum Joanneum eine fantastische<br />

Reise in die Welt <strong>der</strong> Früchte und Samen. In <strong>der</strong><br />

Gestaltung <strong>der</strong> Ausstellung folgt Luise Kloos <strong>der</strong> Gestaltung<br />

des Buches. Ein sonniges Gelb <strong>als</strong> Hauptfarbe an den Wänden<br />

vermittelt Wärme und Geborgenheit, noch verstärkt<br />

durch einen Teppichboden, <strong>der</strong> zum Hinsetzen einlädt.<br />

In großen Vitrinen erzählen wir Geschichten: die Geschichte<br />

von den Mistelbeeren, <strong>der</strong>en Kerne von den Misteldrosseln<br />

hoch in den Bäumen an Äste geklebt werden; die<br />

Geschichte vom Eichhörnchen, das vergrabene Haselnüsse<br />

vergisst; die Geschichte von <strong>der</strong> langen Reise <strong>der</strong> Kokosnuss<br />

über die Weltmeere ...<br />

Auch in <strong>der</strong> Ausstellung wechseln Realismus und Abstraktion<br />

einan<strong>der</strong> ab: während die Tiere <strong>als</strong> ausgestopfte Präparate<br />

in klassischer Weise gezeigt werden, müssen spiralig<br />

gedrehte Aluminiumstangen die Äste und Zweige einer<br />

Eberesche genauso darstellen wie die eines Haselstrauches<br />

und einer Zirbe.<br />

In die Wände sind kleine würfelförmige Vitrinen eingelassen.<br />

In ihnen werden Modelle von Obstsorten gezeigt, die<br />

vor etwa 150 Jahren angefertigt wurden; und ein Querschnitt<br />

durch die Formenfülle von Früchten und Samen aus<br />

aller Welt. Die Art <strong>der</strong> Präsentation dieser 124 Objekte in<br />

den kleinen Vitrinen erinnert nicht umsonst an Ausstellungen<br />

von teuren Schmuckstücken.<br />

Beson<strong>der</strong>s behutsam sind die Texte eingesetzt. Wir wollen ja<br />

niemandem den Eindruck vermitteln, dass er ein aufge


96<br />

/ bananenrot und himbeerblau<br />

Mit einer Performance in Orange wird die Son<strong>der</strong>ausstellung eröffnet<br />

Die Kunstwerke <strong>der</strong> jungen Besucher werden in einer eigenen Galerie<br />

präsentiert<br />

schlagenes Schulbuch betritt! Daher sind alle Erläuterungstexte<br />

hinter Klappen versteckt und müssen aktiv entdeckt<br />

werden – ein Gegenentwurf zum „Schulbuch im Raum”.<br />

Eigene Aktivität ist in <strong>der</strong> Ausstellung sowieso gefor<strong>der</strong>t:<br />

Mit einem Mikroskop kann ein Käfer genau studiert werden.<br />

Auf Knopfdruck singt eine Amsel am Vogelbeerbaum ihr<br />

Lied, worauf <strong>der</strong> Eichelhäher mit seinem Krächzen antwortet<br />

– o<strong>der</strong> man kann den Flug <strong>der</strong> „Hubschrauberfrucht“ des<br />

Ahornbaumes in <strong>der</strong> „Flugmaschine“ bestaunen. In einer<br />

Geruchsgalerie sind feine Nasen gefragt, will man nur auf<br />

Grund des Duftes erkennen, welche Früchte sich dahinter<br />

verbergen.<br />

Erreichen wollen wir in erster Linie eine fantasievolle Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit Früchten und Samen. Ein Zeichen- und<br />

Malwettbewerb bündelt die künstlerischen Aktivitäten <strong>der</strong><br />

jungen Besucher. Über 1000 eingesendete Kunstwerke<br />

bezeugen, dass <strong>der</strong> „Samen <strong>der</strong> Fantasie” in <strong>der</strong> Ausstellung<br />

bei den Besuchern reichlich Früchte getragen hat. Monatlich<br />

wird eine Auswahl von dreißig Werken in einer eigenen<br />

„bananenrot“-Galerie ausgestellt.<br />

Und wo bleibt die Erkenntnis?<br />

Jetzt haben die Kin<strong>der</strong> – und auch wir Erwachsenen – viel<br />

Spaß gehabt. War es das dann auch schon? Die sinnlichemotionale<br />

Annäherung, das Ermuntern zum Fantasieren<br />

mag für ein naturwissenschaftliches Thema ungewöhnlich<br />

erscheinen, ist man doch eher den Weg <strong>der</strong> Präsentation<br />

von „harten Fakten” gewohnt. Doch ist erst einmal <strong>der</strong> Bann<br />

gebrochen, sind die Kin<strong>der</strong> bereit, ihre Fantasie und Kreativität<br />

einzubringen. Dann suchen sie auch aus eigenem<br />

Antrieb heraus Erklärungen. Da die Erkenntniserlebnisse in<br />

diesen Fällen mit positiven Gefühlen verbunden sind, kann<br />

<strong>als</strong> These durchaus behauptet werden, dass dieser Lernerfolg<br />

lang anhalten wird.<br />

„Wenn die Erde eine Kokosnuss wäre, würde es statt Erdöl<br />

Kokosmilch geben.” Für David, <strong>der</strong> hier den Schalenbau <strong>der</strong><br />

Erde mit den Schichten <strong>der</strong> Kokosnuss vergleicht, wird die<br />

Kokosnuss nie mehr eine runde, recht dünnschalige Kugel<br />

wie im Werbefernsehen sein! Er weiß, dass bei diesen Früchten<br />

in Wirklichkeit noch eine zusätzliche dicke Faserschicht<br />

vorhanden ist.<br />

Die Son<strong>der</strong>ausstellung „bananenrot und himbeerblau – Die<br />

Geheimnisse <strong>der</strong> Früchte” war im Steirischen Landesmuseum<br />

Joanneum in <strong>der</strong> Zeit vom 19. 09. 1998 bis zum 28. 03.<br />

1999 zu erleben.<br />

Literatur<br />

Kloos, Luise; Janisch, Heinz; Zernig, Kurt; 1998: „bananenrot und him-<br />

beerblau – Die Geheimnisse <strong>der</strong> Früchte” (Hrsg.: Landesmuseum<br />

Joanneum, Graz) Medienfabrik Graz.<br />

Kurt Zernig<br />

arbeitet <strong>als</strong> Biologe im Referat für Botanik am Steiermärkischen<br />

Landesmuseum Joanneum in Graz.


Gertrude Zulka-Schaller<br />

Rettungsinseln – Inselrettung<br />

Vermittlung aktueller Naturschutzprobleme<br />

im Naturhistorischen Museum Wien<br />

Ozonloch, Treibhauseffekt, großflächige Zerstörung von<br />

Lebensräumen und weltweit rapi<strong>der</strong> Artenverlust. Angesichts<br />

<strong>der</strong> globalen ökologischen Umweltkrisen müssen wir<br />

uns <strong>als</strong> VermittlerInnen fragen, wie wir an Schülerinnen und<br />

Schüler herantreten können, ohne schon von vornherein auf<br />

Frustration und Abwehr zu stoßen. Wir lösen nicht nur<br />

Betroffenheit aus, son<strong>der</strong>n wir hinterlassen oft auch ein<br />

Gefühl <strong>der</strong> Hilflosigkeit. Zu global sind die Probleme, zu weit<br />

weg, <strong>als</strong> dass ein einzelner von uns wirklich etwas ausrichten<br />

könnte.<br />

Ökologische Probleme finden wir aber nicht nur irgendwo in<br />

Brasilien o<strong>der</strong> am Südpol. Wenn wir die Landschaft in unserer<br />

nächsten Umgebung genauer betrachten, sehen wir uns<br />

auch hier mit gravierenden Naturschutzproblemen und<br />

gefährlichen ökologischen Entwicklungen konfrontiert.<br />

Naturnahe Lebensräume werden immer weniger und kleiner<br />

und wenn man sie noch findet, dann meist nur mehr in<br />

Form von Inseln, weit voneinan<strong>der</strong> entfernt, isoliert und<br />

getrennt durch Fel<strong>der</strong>, Äcker, Straßen und Siedlungen. Das<br />

Wiener Becken – zum Beispiel – ist von Fel<strong>der</strong>n und Äckern<br />

geprägt. Niemand würde in dieser monotonen Kulturlandschaft<br />

noch beson<strong>der</strong>e Naturschönheiten erwarten. Dennoch<br />

liegen an vielen Stellen kleine Lebensraum-Inseln wie<br />

Oasen in die Kulturwüste eingebettet. Sie beherbergen eine<br />

vielfältige Tier- und Pflanzenwelt. Auch seltene Arten – wie<br />

Kuhschellen, Zwergschwertlilien, Segelfalter und Smaragdeidechsen<br />

finden hier Lebensraum. Diese Trockenrasen sind<br />

zu Rettungsinseln für viele Arten geworden, die in <strong>der</strong><br />

intensiv genutzten Agrarlandschaft sonst nirgends mehr<br />

leben können. Aber die Aussichten sind schlecht. Düngemittel<br />

und Insektenbekämpfungsmittel vergiften den Boden.<br />

Sträucher verdrängen die artenreichen Rasen. Vielen Arten<br />

gelingt es nicht mehr, an<strong>der</strong>e Trockenrasen-Inseln zu errei-<br />

chen. In schlechten Jahren können die Individuenzahlen so<br />

klein werden, dass die Arten genetisch verarmen und<br />

schließlich aussterben. Die Rettungsinseln bedürfen <strong>der</strong><br />

Inselrettung. Wenn es nicht gelingt, die Lebensraum-Inseln<br />

wie<strong>der</strong> miteinan<strong>der</strong> zu verbinden, können künftige Generationen<br />

Artenvielfalt nur mehr aus Büchern o<strong>der</strong> aus Museen<br />

kennen lernen.<br />

Artenvielfalt – hoffentlich nicht nur im Museum!<br />

Kaum jemand hat bis jetzt von Lebensraum-Verinselung und<br />

Lebensraum-Zerstückelung und ihren Folgen für die Biodiversität<br />

gehört. Das Wissen darüber ist nur in Lehrbüchern,<br />

vorwiegend in englischer Sprache, abgehandelt und somit<br />

Fachleuten vorbehalten. In Schulbüchern findet man zwar<br />

die Biologie von Schmetterlingen und Heuschrecken sowie<br />

die Ökologie von Trockenrasen beschrieben. Das ist aber nur<br />

die halbe Wahrheit. Die an<strong>der</strong>e Hälfte müsste davon handeln,<br />

ob und wie Trockenrasen-Arten Äcker, Siedlungen und<br />

Autobahnen überwinden können und wie geeignete Naturschutzmaßnahmen<br />

in einer zerstückelten Landschaft aussehen<br />

könnten.<br />

Was kann ein Naturhistorisches Museum zur Vermittlung<br />

von Biodiversität beitragen? Das Museum besitzt eine reiche<br />

wissenschaftliche Sammlung. Artenvielfalt kann <strong>als</strong>o<br />

hier gut illustriert werden. Aber wird Artenvielfalt in<br />

Zukunft nur noch in Museen anhand bereits ausgestorbener<br />

Organismen zur Schau gestellt werden? Unsere Schülerinnen<br />

und Schüler sollen auch noch nach Jahrzehnten eine<br />

Vielfalt an Tieren und Pflanzen in freier Natur antreffen,<br />

wenn sie durch ihre Landschaft wan<strong>der</strong>n. Kann <strong>als</strong>o das<br />

Museum darüber hinaus auch zu einem Ort <strong>der</strong> Vermittlung<br />

von aktuellen, brisanten Naturschutzproblemen werden?<br />

Wir haben die Probe aufs Exempel gemacht. Gemeinsam mit


98<br />

/ Rettungsinseln – Inselrettung<br />

Disteln – stachelige Pflanzenwelt auf Trockenrasen<br />

einem Naturschutzbiologen und einer Zoologin <strong>der</strong> Universität<br />

Wien haben Vermittler des Naturhistorischen<br />

Museums ein Projekt entwickelt und Schulklassen in das<br />

Museum und auf einen Trockenrasen eingeladen. Das Projekt<br />

wurde vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft<br />

und Kultur geför<strong>der</strong>t.<br />

Rettungsinseln – Inselrettung: ein Projekt<br />

im Naturhistorischen Museum Wien<br />

Zu Beginn des dreistündigen Projekts führen wir die Schüler<br />

in die Schausammlung, wo wir typische Tiere und Pflanzen<br />

des Trockenrasens vorstellen und besprechen. Danach illustrieren<br />

Dias von intakten Trockenrasen, Großaufnahmen von<br />

eindrucksvollen Tieren und Pflanzen und eine Geräuschkulisse<br />

zirpen<strong>der</strong> Grillen, wie attraktiv dieser Lebensraum sein<br />

kann.<br />

Alles ist schön und in bester Ordnung ...<br />

O<strong>der</strong> doch nicht? Verlässt man den Trockenrasen und blickt<br />

von ferne zurück, bietet sich ein völlig an<strong>der</strong>es Bild: Die<br />

wun<strong>der</strong>schönen Stellen werden zu kleinen Inseln, umgeben<br />

von einem Meer von Fel<strong>der</strong>n und Äckern. Damit die Inselsituation<br />

dieser Lebensräume noch deutlicher wird, zeigen<br />

wir den Schülern abwechselnd Trockenrasen-Inseln im Wiener<br />

Becken und Inseln mitten im Ozean. Das Meer ist für uns<br />

Menschen lebensfeindlich und unüberwindlich. Ein Schiffbrüchiger<br />

ist zwar fürs Erste gerettet, aber letztendlich auch<br />

auf <strong>der</strong> Insel gefangen. Genauso ergeht es den Tieren und<br />

Pflanzen auf ihren Trockenrasen-Inseln. Viele von ihnen<br />

können die Fel<strong>der</strong>, Weingärten, Straßen und Siedlungen<br />

nicht überqueren, um neue Lebensräume zu erreichen. Sie<br />

sind im Meer <strong>der</strong> Kulturwüste verloren.<br />

Simulation am Spielbrett<br />

Damit wir Fragmentation und Isolation von Lebensräumen<br />

überhaupt erst wahrnehmen können, müssen wir unseren<br />

Blick auf die gesamte Landschaft richten und große Gebiete<br />

überblicken. Das geht am besten aus <strong>der</strong> Vogelperspektive.<br />

Das ganze Ausmaß <strong>der</strong> Zerstückelung und Isolation von<br />

Lebensräumen erkennt man erst vom Flugzeug aus o<strong>der</strong> auf<br />

Luftbil<strong>der</strong>n. Überdies ist Fragmentierung ein schleichen<strong>der</strong><br />

Vorgang. Aussterbensprozesse hinken den auslösenden Eingriffen<br />

um lange Zeit nach. Wir sehen allerdings immer nur<br />

die momentane Situation.<br />

Deshalb haben wir <strong>als</strong> Dreh- und Angelpunkt unserer Vermittlung<br />

ein Inselspiel entwickelt und die Landschaft auf<br />

ein Spielbrett gemalt. Wir bekommen einen Überblick über<br />

das Geschehen und können Vorgänge in kurzer Zeit simulieren,<br />

die sonst Jahrzehnte dauern. Wir können Eingriffe ausprobieren<br />

und zusehen, was passiert. Nicht von ungefähr ist<br />

Metapopulationsökologie – <strong>als</strong>o die Dynamik von Lebewesen<br />

in zerstückelten Landschaften, mit mathematischen<br />

Modellen und Computersimulationen erforscht worden. Das<br />

Spiel leistet Ähnliches.<br />

Auf einem Brettspiel sind einige Trockenrasen-Inseln verteilt,<br />

die durch Agrarland voneinan<strong>der</strong> getrennt sind. Im<br />

Spiel leben vier typische Tier- und Pflanzenarten auf den<br />

Trockenrasen-Inseln in <strong>der</strong> Kulturlandschaft. Einige dieser<br />

Trockenrasen sind bereits besiedelt, an<strong>der</strong>e sind noch unbewohnt.<br />

Die Schüler und Schülerinnen schlüpfen in die Rollen<br />

von Eidechsen, Schmetterlingen, Heuschrecken und<br />

Steppenrollern und müssen versuchen, möglichst viele<br />

Inseln zu kolonisieren. Auf ihrer Wan<strong>der</strong>ung warten jedoch<br />

viele Gefahren. Auf beson<strong>der</strong>en Fel<strong>der</strong>n entscheidet eine<br />

Ereigniskarte, ob das Tier vom Traktor erfasst wird, an<br />

Schwäche stirbt o<strong>der</strong> vielleicht mit dem Wind vorangetrieben<br />

wird.<br />

Der Spielplan verän<strong>der</strong>t sich, wie das für eine Kulturlandschaft<br />

nicht an<strong>der</strong>s zu erwarten ist: Schafherden weiden<br />

auf den Trockenrasen, Parasiten befallen die Heuschrecken,<br />

Fel<strong>der</strong> werden umgeackert o<strong>der</strong> mit Gift besprüht, Büsche<br />

gerodet, Brachen und Ackerrandstreifen angelegt, eine<br />

Autobahn wird gebaut. Wie sich diese Aktionen auswirken,<br />

können die Schüler am eigenen Leib erleben, wenn sie in<br />

den Rollen von Tieren und Pflanzen am Existenzkampf <strong>der</strong><br />

Lebewesen teilnehmen. Populationsbiologie, Landschaftsökologie<br />

und Metapopulationsdynamik werden so zum spielerischen<br />

Abenteuer.


Wer sind die Sieger, wer die Verlierer? Waren die Eidechsen<br />

die schlechteren Strategen? Schon während des Spiels<br />

wurde den Spielenden bewusst: „Die Eidechsen haben es<br />

wirklich schwer“. Sind große Inseln artenreicher? Wie wertvoll<br />

sind kleine Inseln? Brauchen verschiedene Arten unterschiedliche<br />

Schutzkonzepte? Die Schüler und Schülerinnen<br />

schil<strong>der</strong>n ihre Erfahrungen mit eigenen Worten. Sie entwickeln<br />

Ideen, Hypothesen und Theorien, die auch professionelle<br />

Naturschutzbiologen beschäftigen und die – wenn<br />

auch in an<strong>der</strong>er Formulierung, in Lehrbüchern und Fachartikeln<br />

zu finden sind. Aus dem Spiel ist Realität geworden.<br />

Erkundungsraupen, Ökologen<br />

und Umweltdetektive<br />

Ein „Steppenroller“ –<br />

erkennbar an seiner<br />

Karte an <strong>der</strong> Brust –<br />

nimmt lebhaft Anteil<br />

am Schicksal seiner<br />

Gruppe<br />

Der Lebensraum <strong>der</strong><br />

Smaragdeidechse ist<br />

bedroht<br />

Im nächsten Schritt wollen wir überprüfen, ob die Hypothesen<br />

und Theorien, die wir in <strong>der</strong> Diskussion entwickelt<br />

haben, <strong>der</strong> Realität standhalten. Dazu besuchen wir einen<br />

Trockenrasen.<br />

Die Schüler sollen den Lebensraum und seine Grenzen vorerst<br />

nicht nur sehen, son<strong>der</strong>n auch mit an<strong>der</strong>en Sinnen<br />

wahrnehmen. Dazu verbinden wir den Schülern die Augen<br />

und fädeln sie wie die Segmente einer Raupe an einem Seil<br />

auf. Das Seil ist das Verbindungsstück zwischen den<br />

Schülern und dem Gruppenleiter, <strong>der</strong> <strong>als</strong> sehen<strong>der</strong> Kopf die<br />

Rettungsinseln – Inselrettung / 99<br />

Erkundungsraupe: SchülerInnen erkunden blind die Umgebung<br />

Raupe anführt. Nun lenkt <strong>der</strong> Raupenführer seine Rumpfglie<strong>der</strong><br />

durch die Landschaft, abseits vom Weg, den Wegrain<br />

entlang, einen kurzen Abstecher in das Feld, in die Brache,<br />

lässt die Schüler hin und wie<strong>der</strong> etwas betasten, den Untergrund<br />

prüfen, an bestimmten Stellen etwas erschnuppern,<br />

bis die Raupe schließlich im Trockenrasen gelandet ist. Im<br />

Trockenrasen können die Schüler ihre Binden abnehmen<br />

und schil<strong>der</strong>n, welche Elemente <strong>der</strong> Landschaft sie wahrgenommen<br />

haben. Die Schülerinnen und Schüler sollen keine<br />

Lehrbuchdefinition eines Trockenrasens lernen, son<strong>der</strong>n sie<br />

sollen den Trockenrasen erleben und selber feststellen, wie<br />

er sich von seiner Umgebung unterscheidet.<br />

Im nächsten Programmpunkt überprüfen wir, ob Trockenrasen<br />

artenreicher sind <strong>als</strong> die umliegenden Fel<strong>der</strong>. Die<br />

Schüler untersuchen in Kleingruppen jeweils eine Fläche<br />

von 25 Quadratmetern im Trockenrasen und im Acker; die<br />

gefangenen Tiere werden vorsichtig in Glasbehälter gesetzt.<br />

Bei einer Besprechung zeigen die BetreuerInnen, welche<br />

Organismen für den Trockenrasen charakteristisch sind und<br />

warum sie nur im Trockenrasen vorkommen. Die Unterschiede<br />

zwischen den Untersuchungsflächen machen die<br />

Unwirtlichkeit von Äckern für bestimmte Organismen klar.<br />

Zum Schluss werden die gefangenen Tiere wie<strong>der</strong> freigelassen.<br />

Beim Umherschweifen können sich die Schüler <strong>als</strong> Umweltdetektive<br />

betätigen und in einem Arbeitsblatt Spuren dokumentieren,<br />

die von menschlichen Aktivitäten zeugen. Gibt<br />

es einen Hochstand, eine Fütterungsstelle, Sitzbänke. Sieht<br />

man Mountainbikespuren, Müllablagerungen o<strong>der</strong> die Einwirkung<br />

von Düngemitteln? Wie nutzt <strong>der</strong> Mensch die<br />

Trockenrasen?


100 / Rettungsinseln – Inselrettung<br />

Sammeln: SchülerInnen untersuchen einen Trockenrasen<br />

und seine Bewohner<br />

Wir lassen den Blick in die Ferne schweifen und sehen Fel<strong>der</strong>,<br />

Wege, Straßen, Siedlungen – nur eines sehen wir nicht:<br />

den nächsten Trockenrasen. Um den nächsten Trockenrasen<br />

zu finden, müssen wir schon Landkarten, Luftbil<strong>der</strong> und<br />

Feldstecher bemühen. Oft liegen viele Kilometer zwischen<br />

unserem Standort und dem nächsten Trockenrasen. Die Vorstellung,<br />

eine Heuschrecke o<strong>der</strong> Eidechse könnte von hier<br />

zur nächsten Insel gelangen, fällt uns schwer. Auf <strong>der</strong> Suche<br />

nach Verbindungswegen, so genannten Korridoren, die die<br />

Tiere zum nächsten Lebensraum leiten könnten, merken wir<br />

schnell: Heuschrecken und Zauneidechsen haben kaum eine<br />

Chance. Wir denken zurück an das Inselspiel im Museum.<br />

Wir erinnern uns an die vielen Gefahren, die den Tieren auf<br />

den Fel<strong>der</strong>n drohten. In <strong>der</strong> Realität wirken die Entfernungen<br />

aber noch unüberwindlicher, scheinen die Aussichten,<br />

<strong>der</strong> Insel im Notfall entfliehen zu können, noch geringer. Die<br />

SchülerInnen erkennen den Ernst <strong>der</strong> Lage, doch sie wissen<br />

mittlerweile auch, wie Abhilfe geschaffen werden kann. Mit<br />

Brachen, Wegrän<strong>der</strong>n und Ackerrandstreifen kann den<br />

Trockenrasenbewohnern geholfen werden. Nur wer das Problem<br />

<strong>der</strong> Lebensraum-Verinselung erkannt und die Ursachen<br />

erforscht hat, kann auch Lösungen finden. Und wenn<br />

wir weiterdenken, so merken wir, dass nicht nur Trockenrasen<br />

von <strong>der</strong> Verinselung betroffen sind, son<strong>der</strong>n auch Wäl<strong>der</strong>,<br />

Moore, Feuchtwiesen und viele an<strong>der</strong>e Lebensräume.<br />

... und was den SchülerInnen vom Projekt blieb<br />

Wir haben die Schüler und Schülerinnen gebeten, nach den<br />

Projekten im Museum und im Freiland Fragebögen auszufüllen.<br />

Aus den Antworten sehen wir, dass vor allem das<br />

Spiel gut angekommen ist. Ein Schüler schrieb: „Ihr habt mir<br />

ein Thema gut verständlich vermittelt: Erst wenn man sich<br />

in die Rolle eines Tieres begibt, weiß man, wie sie sich<br />

fühlen beim Überqueren <strong>der</strong> Äcker!“ Es wird aber auch klar,<br />

dass viele SchülerInnen das Problem <strong>der</strong> Lebensraum-Verinselung<br />

erkannt und verstanden haben: „Stell dir vor, alle<br />

Mädchen sind in Amerika und du musst über den Ozean<br />

schwimmen. So ist es mit den Trockenrasen.“<br />

Organisatorisches<br />

Dauer:<br />

3-stündiges Projekt im Naturhistorischen Museum Wien<br />

3-stündige Freiland-Exkursion<br />

Anmeldung:<br />

Mag. Gertrude Zulka-Schaller<br />

Naturhistorisches Museum Wien<br />

Tel.: 01/521 77-335<br />

Mo, Mi–Fr 9–12 Uhr<br />

SchülerInnenanzahl:<br />

Museum: max. 24<br />

Freiland: max.12<br />

(bei größeren Schülerzahlen muss ein zweites Projekt<br />

gebucht werden)<br />

Altersstufe: ab <strong>der</strong> 7. Schulstufe<br />

beson<strong>der</strong>s geeignet für Wahlpflichtfächer<br />

Kosten (ab 1. 1. 2003):<br />

Museumsteil: pro SchülerIn € 6,– + Eintritt € 2,–<br />

Freilandteil: bis max. 12 SchülerInnen € 72,–<br />

Mag. Gertrude Zulka-Schaller<br />

bringt <strong>als</strong> Museumspädagogin das Naturhistorische Museum<br />

Wien ins Gespräch. Die Biologin arbeitet mit an Son<strong>der</strong>ausstellungen,<br />

konzipiert Vermittlungsprogramme, erstellt<br />

Lehrerinfos, schult und betreut freie MitarbeiterInnen.


Manfred Durchhalter, Martin Scheuch<br />

„GEO-Tag <strong>der</strong> Artenvielfalt“<br />

am Ökogymnasium Krems<br />

Biodiversität am Beispiel <strong>der</strong> Vegetation des Kremser Kuhberges<br />

Zwei Lehrerinnen <strong>der</strong> Fächer Biologie und Geographie<br />

machten Artenvielfalt zum fächerübergreifenden Unterrichtsthema.<br />

Aus Anlass des GEO-Tages – alljährlich vom<br />

Magazin GEO <strong>als</strong> Tag <strong>der</strong> Artenvielfalt ausgerufen - luden<br />

sie uns <strong>als</strong> Vegetationsökologen ein, mit ihrer 7. Klasse<br />

einen Projekttag zur Biodiversität am Beispiel <strong>der</strong><br />

Gefäßpflanzen zu gestalten.<br />

Projektziele<br />

Wir wollen das Interesse für die lebendige Vielfalt wecken,<br />

die uns umgibt. Dafür die Gruppe <strong>der</strong> Gefäßpflanzen zu verwenden,<br />

liegt in diesem Fall nahe: Die höheren Pflanzen<br />

sind eine übersichtliche Gruppe und die Artbestimmung<br />

funktioniert mit einfachen Mitteln, Büchern und Lupen gut.<br />

Wir beide sind mit <strong>der</strong> Flora halbwegs vertraut. Die SchülerInnen<br />

des Ökogymnasiums, in einem speziellen Lehrplan<br />

unterrichtet, verfügen zudem über Grundwissen <strong>der</strong> Pflanzensystematik<br />

und Pflanzenbestimmung.<br />

Wir wollen zeigen, in welcher Beziehung Pflanzen zu ihrer<br />

Umwelt stehen und wie <strong>der</strong> Mensch Kulturlandschaft<br />

gestaltet. Der Mensch hat in <strong>der</strong> Vergangenheit durch<br />

Rodung und Landwirtschaft vielen Arten Lebensraum<br />

geschaffen; jedoch zerstört er diese Lebensräume im Verlauf<br />

<strong>der</strong> industriellen Revolution und bis herauf in die Gegenwart.<br />

Wir wollen den SchülerInnen die Vielfalt an Gefäßpflanzen<br />

zeigen, die ihnen zunächst wohl nur <strong>als</strong> gleichförmige Wild-<br />

nis erschienen ist. Wichtig war uns das genaue Schauen, die<br />

Suche nach den unterscheidenden Merkmalen; dadurch soll<br />

die Wahrnehmung geschärft werden.<br />

Das Forschen in <strong>der</strong> Natur soll die Arbeit des Freilandökologen<br />

erlebbar machen. An den Pflanzen des Kuhbergs sollten<br />

<strong>der</strong> Naturschutz und seine Konsequenzen deutlich werden.<br />

Erleben <strong>als</strong> Projektziel<br />

• Vielfalt wahrnehmen durch genaues Schauen und<br />

systematisches Suchen<br />

• Schönheit sehen, Landschaft neu entdecken<br />

• Staunen <strong>als</strong> Anlass zur eigenen Beschäftigung mit<br />

Natur<br />

Erkenntnisse <strong>als</strong> Projektziel<br />

• Wissen über lokale Vielfalt erwerben, dessen weltweite<br />

Gültigkeit erkennen<br />

• SchülerInnen sammeln alle Arten ihrer Biotoptypen, um<br />

<strong>der</strong>en Eigenschaften mit Hilfe <strong>der</strong> Pflanzen zu beschreiben:<br />

Dazu verwenden sie die Wuchsformentypen, die<br />

Zeigerwerte von Ellenberg 1 und eigene Beobachtungen.<br />

• Unterschiede aller Biotoptypen werden herausgearbeitet<br />

• Artenschutz ist nur mit Hilfe von Biotopschutz sinnvoll


102<br />

/ „GEO-Tag <strong>der</strong> Artenvielfalt“ am Ökogymnasium<br />

Vorbereitung im Unterricht<br />

Um auf ein solides Grundwissen <strong>der</strong> Klasse aufbauen zu<br />

können, legten wir gemeinsam mit den Lehrerinnen Lehrinhalte<br />

fest. Die Biologielehrerin behandelte Gefäßpflanzenfamilien<br />

und das Fachvokabular. Sie übte mit den SchülerInnen<br />

das Bestimmen, damit diese mit dem Bestimmungsschlüssel<br />

vertraut werden. Der Unterricht beschäftigte sich<br />

auch mit dem Biodiversitätskonzept und einer Einführung in<br />

das Untersuchungsgebiet (siehe Box „Hintergrund“). Die<br />

Geographielehrerin behandelte den Menschen <strong>als</strong> Gestalter<br />

<strong>der</strong> Kulturlandschaft, die Landschaftsökologie und die Funktion<br />

<strong>der</strong> Landschaftselemente. Die Naturschutzpolitik wurde<br />

am Beispiel des europäischen Netzwerks NATURA2000 2 und<br />

dessen Grundlagen in <strong>der</strong> FFH-Richtlinie 3 und <strong>der</strong> Vogelschutzrichtlinie<br />

behandelt.<br />

Treffen in <strong>der</strong> Schule<br />

Als letzte Vorbereitung für den Projekttag diente eine Doppelstunde<br />

in <strong>der</strong> Schule, wo wir erstm<strong>als</strong> mit den SchülerInnen<br />

zusammentrafen. Zu Beginn sammelten wir in einer<br />

Runde Assoziationen zum Thema Vielfalt. Um Probleme bei<br />

<strong>der</strong> Ordnung von Vielfalt bewusst zu machen, spielten wir<br />

mit den Caminalcules (siehe Box „Spiele“).<br />

Ausgehend von diesen Erfahrungen diskutierten wir die<br />

Ordnungskriterien und die Vielfalt in unserem Umfeld. Nach<br />

dem zweiten Spiel „Autotypen - Pflanzenarten“ (siehe Box<br />

„Spiele“) schlossen wir einen vertiefenden Vortrag zur<br />

Biodiversität und ihrem Wert an.<br />

Abschließend präsentierten wir unsere Pläne, gefolgt von<br />

einer Verhandlung zwischen den SchülerInnen, <strong>der</strong> Lehrerin<br />

und uns über den Ablauf des Forschungstages. So wurde <strong>der</strong><br />

Bestimmen und Herbarisieren im Feld<br />

Vorschlag eines gemeinsamen Herbars verworfen, dafür<br />

festgehalten, dass Raum für individuelles Herbarisieren sein<br />

müsse. Der Vorschlag, die Lebensräume auf Postern zu präsentieren,<br />

wurde von SchülerInnen eingebracht. Die einzelnen<br />

Punkte hielten wir in Form eines schriftlichen Vertrag<br />

fest, <strong>der</strong> von allen Beteiligten unterschrieben wurde. Wir<br />

verfassten eine Arbeitsbeschreibung, damit je<strong>der</strong> wusste,<br />

was sein Aufgabenbereich bei <strong>der</strong> Freilandarbeit sein würde.<br />

Die SchülerInnen hatten sich in Gruppen den Landschaftselementen<br />

zuzuteilen.<br />

Projekttag<br />

Am Morgen gingen wir mit den SchülerInnen das Untersuchungsgebiet<br />

ab und besprachen die einzelnen Landschaftselemente<br />

(siehe Box „Hintergrund“). Themen waren<br />

menschliche Einflüsse sowie mikroklimatische und bodenbedingte<br />

Eigenschaften. Danach starteten die Gruppen, um<br />

in den zugewiesenen Landschaftselementen alle für sie<br />

unterscheidbaren Gefäßpflanzen zu sammeln. Die Feldarbeit<br />

und die entsprechenden Standorte wurden von <strong>der</strong> Lehrerin<br />

und den SchülerInnen mit einer Digitalkamera dokumentiert.<br />

Bei seltenen Arten - weniger <strong>als</strong> fünf Exemplare in<br />

unmittelbarer Umgebung – durften die Pflanzen nicht<br />

gepflückt werden. Wir halfen den SchülerInnen, diese am<br />

Standort zu bestimmen. Das Besammeln <strong>der</strong> Landschaftselemente<br />

machte den SchülerInnen Spaß.<br />

Wussten sie einmal nicht weiter, holten sie sich bei uns<br />

Hilfe. Für jedes Landschaftselement lag eine Liste bereit, in<br />

welche die SchülerInnen dann die bestimmten Arten eintrugen.<br />

Unbekannte Arten wurden zum größten Teil noch im<br />

Feld, <strong>der</strong> Rest in <strong>der</strong> Schule mit Hilfe von Binokularen<br />

bestimmt. Als Grundlage dienten vor allem die Bücher


„Exkursionsflora von Österreich“, „Exkursionsflora von<br />

Deutschland“ und die „Flora Helvetica“. Davon hatte jede<br />

Gruppe jeweils ein Exemplar zur Verfügung (siehe Box<br />

„Tipps“). Bei <strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong> Arten war die Erfolgsquote<br />

sehr hoch, da die SchülerInnen in Kleinteams arbeiteten<br />

(siehe Box „Tipps“).<br />

Auswertung in <strong>der</strong> Schule<br />

• Die SchülerInnen gaben die Artenlisten mit einem Code<br />

für jede Art in eine vorbereitete Access-Datenbank ein.<br />

• Mit digitalem Bildmaterial präsentierten SchülerInnen<br />

das Projekt auf <strong>der</strong> Homepage ihrer Schule:<br />

http://schulen.asn-noe.ac.at/gymkrems/<br />

• An<strong>der</strong>e SchülerInnen verfassten einen Artikel für die<br />

Lokalzeitung.<br />

• Pflanzen wurden zur Dokumentation in<br />

Schüler-Herbaren gepresst.<br />

Trotz <strong>der</strong> Anstrengung wurde bis zum Abend gearbeitet.<br />

Einzelne SchülerInnen „seilten“ sich ab, <strong>der</strong> Großteil aber<br />

blieb. Im nachbereitenden Unterricht wurden die offen<br />

gebliebenen Punkte - das Redigieren des Zeitungsartikels<br />

und das Nachschlagen in <strong>der</strong> Roten Liste - erledigt.<br />

Folgende Themen haben wir nachbearbeitet und den SchülerInnen<br />

geschickt, damit sie die Ergebnisse ihrer Arbeit<br />

nachvollziehen konnten.<br />

Einfache Auswertung <strong>der</strong> Daten:<br />

• Gesamtliste aller gefundenen Arten<br />

• Welcher Lebensraumtyp enthält die meisten gefundenen<br />

Arten und warum?<br />

Eingabe in die Datenbank<br />

•<br />

„GEO-Tag <strong>der</strong> Artenvielfalt“ am Ökogymnasium / 103<br />

Welche Arten kommen in nahezu jedem Lebensraum<br />

vor? Welche Arten kommen in nur einem Lebensraum<br />

vor? Welche Arten sind Generalisten, welche Spezialisten?<br />

• Arten, die nur in einem Lebensraumtyp vorkommen,<br />

sind durch Landschaftsverän<strong>der</strong>ungen stärker gefährdet.<br />

Was bedeutet das für den Artenschutz?<br />

Eingabe <strong>der</strong> Arten in die Internetdatenbank von GEO<br />

Reflexion<br />

Am Abend des Projekttages reflektierten wir gemeinsam mit<br />

<strong>der</strong> Biologielehrerin die Vorbereitung und den Projektablauf.<br />

Wir holten uns von den SchülerInnen Feedback durch anonyme<br />

Mind-Maps und Fragebögen. Interessanterweise<br />

schlugen SchülerInnen, Biologen und Lehrerin Ähnliches zur<br />

Verbesserung vor. Mit diesen Rückmeldungen planen wir<br />

das Folgeprojekt (siehe Box „Tipps“).<br />

Aus den Mind-Maps lassen sich folgende Rückmeldungen<br />

herausgreifen: Die prägendsten Naturerlebnisse waren die<br />

große Hitze, die lästigen Insekten, <strong>der</strong> persönliche Zuwachs<br />

von Artenkenntnis und die Erfolgserlebnisse beim Bestimmen<br />

<strong>der</strong> Pflanzen. Auch die Zusammenarbeit in <strong>der</strong> Kleingruppe<br />

wurde mehrm<strong>als</strong> erwähnt.<br />

Innovation<br />

Das innovative Element dieses Projektes ist die Verbindung<br />

von Wissenschaft und Schule: Wir Wissenschaftler gehen<br />

an die Schule und bereiten das Wissen gemeinsam mit den<br />

LehrerInnen didaktisch auf. Wir diskutierten unser Konzept<br />

mit den LehrerInnen und nutzten <strong>der</strong>en Berufswissen. Mit<br />

Sicherheit ist dieses Ergebnis des Forschungstages erst<br />

durch die gute persönliche Zusammenarbeit möglich<br />

geworden.


104<br />

/ „GEO-Tag <strong>der</strong> Artenvielfalt“ am Ökogymnasium<br />

Caminalcules<br />

Spiele<br />

1. Caminalcules<br />

(aus Robert R. Sokal, 1966)<br />

Die SchülerInnen spielen WissenschaftlerInnen. Sie kommen<br />

auf einem neuen Planeten an und sammeln verschiedene<br />

Individuen einer unbekannten Lebensform. Diese Wesen<br />

unterscheiden sich durch Merkmale wie Fleckenmuster am<br />

Rücken, Kopfformen und Fortbewegungsarten.<br />

In Zweiergruppen erhalten sie 29 Abbildungen <strong>der</strong> fiktiven<br />

Sippe <strong>der</strong> Caminalcules - benannt nach John Camin, einem<br />

Pflanzentaxonomen. Die SchülerInnen sollen die Caminalcules<br />

ordnen, das System wird offen gelassen. Die Zeit dafür<br />

beträgt zwanzig Minuten. Die erstellten Ordnungen werden<br />

auf Papierbögen aufgeklebt und mit den Varianten an<strong>der</strong>er<br />

Gruppen verglichen. Alle Lösungen sind richtig, aber nur so<br />

gut wie die verwendete Argumentation. In einer Runde werden<br />

die Strategien diskutiert, die zur Ordnung <strong>der</strong> Wesen<br />

verwendet wurden.<br />

Leitfragen <strong>der</strong> Diskussion waren:<br />

• Welche Merkmale waren wichtig für die Zuordnung zu<br />

einer Gruppe?<br />

• Gab es Merkmale, die wichtiger waren <strong>als</strong> an<strong>der</strong>e?<br />

• Gab es ein System, das einen Stammbaum durch eine<br />

erkennbare Hierarchie <strong>der</strong> Gruppen nahe legt? Fanden<br />

die SchülerInnen ursprüngliche und abgeleitete Merkmale?<br />

2. Autotypen & Pflanzenarten sammeln<br />

Vierergruppen erhalten je ein Blatt mit zwei Spalten. In jede<br />

Spalte sollen nun innnerhalb von fünf Minuten auf <strong>der</strong><br />

einen Seite möglichst viele Typen von Autos eingetragen<br />

werden, auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite möglichst viele Pflanzenarten.<br />

Wichtig ist dabei die kurze Arbeitszeit. Durch den Zeitdruck<br />

kommt es zu einer Abbildung <strong>der</strong> persönlichen Interessens-<br />

und Wertigkeitslandschaft. In einer Diskussion wird<br />

das Ergebnis verglichen – in welcher Spalte steht mehr?<br />

3. Rekursive Artensuche<br />

Die Arbeitsgruppen bekommen zu Beginn des Freilandteils<br />

auf einem Zettel je drei lateinische Pflanzennamen. Ihre<br />

Aufgabe besteht darin, diese Pflanzen mit Hilfe <strong>der</strong> Bestimmungsliteratur<br />

zu finden. Der übliche Weg sieht dabei so<br />

aus:<br />

- Identifizieren des deutschen Namens,<br />

- Nachschlagen in einem Bil<strong>der</strong>buch,<br />

- gemeinsame Suche.<br />

Wir wollen mit diesem Spiel den Bestimmungsablauf<br />

umdrehen und das genaue Schauen und Suchen herausfor<strong>der</strong>n.<br />

Hintergrund<br />

Das Untersuchungsgebiet liegt am Kuhberg bei Krems an<br />

<strong>der</strong> Donau. Auf 398 Meter Seehöhe sind von uns 4,5 Hektar<br />

Kulturlandschaft ausgewählt worden. Weingärten, Felsen<br />

und Legesteinmauern, Brachen verschiedenen Alters, Wald,<br />

Gebüsche und Hecken, Halbtrockenrasen und ein Lößhohlweg<br />

bieten uns ein vielfältiges Betätigungsfeld (sic!).<br />

Nach zweimaliger Durchführung des Projekts konnten wir<br />

265 Gefäßpflanzenarten nachweisen, ein Drittel <strong>der</strong> Arten<br />

ist in <strong>der</strong> Roten Liste für Österreich zu finden. Zwei Beson<strong>der</strong>heiten<br />

sind <strong>der</strong> Löwenzahnblättrige Pippau (Crepis taraxacifolia,<br />

Asteraceae) und die Heilwurz-Sommerwurz (Orobanche<br />

bartlingii, Orobanchaceae), die laut „Exkursionsflora<br />

von Österreich“ für Nie<strong>der</strong>österreich nicht bekannt sind.<br />

Tipps<br />

• Es hat sich herausgestellt, dass für den Projekttag eine<br />

Teilung in zwei aufeinan<strong>der</strong> folgende Tage sinnvoll<br />

wäre. Ein Tag sollte für die Sammel- und Bestimmungsarbeit,<br />

<strong>der</strong> zweite für Auswertungen zur Verfügung stehen.<br />

• Weitere Möglichkeiten in <strong>der</strong> Schule mit an<strong>der</strong>en<br />

Fächern zu kooperieren:<br />

- Geschichte und Sozialkunde können die Landschaftsgeschichte<br />

des Untersuchungsgebietes erforschen –<br />

anhand alter Karten (z.B. Franciscäischer Kataster um<br />

1820) o<strong>der</strong> mit Interviews (mehrere Zeitspannen möglich);<br />

- Bildnerische Erziehung kann Landschaftsästhetik und<br />

Wahrnehmung zum Thema machen, Land-Art <strong>als</strong><br />

gestalterisches Element im Umgang mit Natur einsetzen;<br />

- Informatik und Mathematik können mit Statistik zur<br />

Auswertung <strong>der</strong> Daten dienen, digitale Präsentationen<br />

erstellen (Powerpoint, Homepage);<br />

• Infos zum Tag <strong>der</strong> Artenvielfalt unter


http://www.geo.de/projekte/artenvielfalt/index.html<br />

o<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Homepage <strong>der</strong> Schule mit dem Bericht <strong>der</strong><br />

Schüler unter http://schulen.asn-noe.ac.at/gymkrems/<br />

• Statt Auto-Pflanzen-Sammelspiel bei Volksschülern<br />

können auch Pokémons-Pflanzen versucht werden.<br />

• Beim Besammeln <strong>der</strong> Landschaftselemente waren die<br />

Gruppen am erfolgreichsten, die die Sammelarbeit gut<br />

aufteilten - eine Person nur Gräser, eine nur gelb<br />

blühende Pflanzen, eine nur Gehölze, ...<br />

• Bestimmungsbücher:<br />

Umfangreiche Bildbestimmungsbücher in Farbe wie die<br />

„Flora Helvetica“ und „Was blüht denn da?“ fanden den<br />

meisten Zuspruch. Ihr Vorteil liegt im problemlosen<br />

Erreichen <strong>der</strong> Familien und Gattungen. Bei <strong>der</strong> Bestimmung<br />

auf Artniveau bleiben aber viele Unsicherheiten,<br />

da zumeist nicht alle Arten des Untersuchungsgebietes<br />

abgebildet sind.<br />

Sucht man innerhalb einer Gattung, lässt sich <strong>der</strong><br />

Atlasband <strong>der</strong> „Deutschen Exkursionsflora“ verwenden.<br />

Dieser stellt die Pflanzen in Strichzeichnungen dar und<br />

hebt die Unterschiede zwischen den einzelnen Arten<br />

hervor. Der dichotome Bestimmungsschlüssel <strong>der</strong><br />

„Exkursionsflora von Österreich“ wird zumeist <strong>als</strong> kompliziert<br />

empfunden. Das liegt zum einen am Fachvokabular,<br />

zum an<strong>der</strong>en an <strong>der</strong> spärlichen Bebil<strong>der</strong>ung.<br />

Allerdings beinhaltet nur dieses Buch alle in Österreich<br />

heimischen Wildpflanzen, was es unverzichtbar macht.<br />

Beim Bestimmen mit diesem Schlüssel hat sich <strong>als</strong> vorteilhaft<br />

erwiesen, wenn eine Person vorliest, eine zweite<br />

sich auf die Pflanze konzentriert.<br />

• Eine interessante Bestimmungsmöglichkeit bietet sich<br />

durch CD-ROMs:<br />

Die „Flora Helvetica auf CD-ROM“ ermöglicht in einem<br />

ersten Schritt durch Auswahl von Merkmalen eine Vorselektion,<br />

in einem zweiten Schritt wählt man daraus<br />

mittels Bil<strong>der</strong>n aus.<br />

„Schmeil-Fitschen interaktiv“ bietet einen herkömmlichen<br />

dichotomen Bestimmungsschlüssel mit vielen<br />

Zusatzinformationen zu den Arten. Österreich ist mit<br />

Ausnahme des Pannonikums auch erfasst.<br />

1) Die Ellenberg´schen Zeigerwerte geben für jede Pflanzenart an, unter<br />

welchen Bedingungen sie wächst. In Zahlenwerten sind die<br />

Ansprüche an Licht, Temperatur, Kontinentalität, Feuchte, pH-<br />

Wert, Stickstoffversorgung. Salzgehalt sowie die Schwermetalltoleranz<br />

<strong>der</strong> Pflanzen ausgedrückt.<br />

„GEO-Tag <strong>der</strong> Artenvielfalt“ am Ökogymnasium / 105<br />

2) Natura2000 ist das Naturschutzprogramm <strong>der</strong> Europäischen Union. EUweit<br />

soll ein ökologisches Netzwerk eingerichtet werden, in dem<br />

wertvolle Habitate sowie bedeutende Tier-und Pflanzenarten<br />

geschützt werden.<br />

3) FFH-Richtlinie <strong>der</strong> EU: In <strong>der</strong> Fauna-Flora-Habitatrichtlinie sind beson<strong>der</strong>s<br />

bedrohte Tier-und Pflanzenarten sowie <strong>der</strong>en Habitate festgeschrieben.<br />

Literatur<br />

Adler, W.; Oswald, K.; Fischer, R. (1994): Exkursionsflora von Österreich,<br />

Verlag Ulmer<br />

Aichele, D. (1977): Was blüht denn da? Franckh`sche Verlagshandlung,<br />

39. Auflage<br />

Lauber, K.; Wagner, G. (1996): Flora Helvetica, Verlag Paul Haupt, Bern,<br />

Stuttgart, Wien<br />

Niklfeld, H. (1999): Die Rote Listen gefährdeter Pflanzen Österreichs,<br />

austria medienservice; 2. Auflage<br />

Haupt Berne, P. (1997): Flora Helvetica auf CD-ROM, Version 1.0<br />

ISBN 3-258-05407-X<br />

Rothmaler, W. (1994): Exkursionsflora von Deutschland, Band 3 (Bildband),<br />

Verlag Fischer, Jena<br />

Seybold, S. (2001): Schmeil-Fitschen interaktiv, Quelle & Meyer<br />

ISBN 3-494-01298-9<br />

Sokal, R. (1966): Numerical Taxonomy, in Scientific American<br />

Vol 215, Nr.6 pp106-116<br />

Manfred Durchhalter<br />

Studiert Ökologie und Lehramt Biologie in Wien. Der ausgebildete<br />

Spiel- und Naturpädagoge betreut Schulprojekte<br />

und Ferienlager bei Freiraum, WWF-Seewinkelhof und dem<br />

Umweltspürnasen-Club.<br />

Martin Scheuch<br />

Studiert Ökologie und Botanik in Wien. Er arbeitet bei Freiraum<br />

in Spiel- und Erlebnispädagogischen Projekten und<br />

absolvierte den Lehrgang zum Outdoortrainer. Als Seminarleiter<br />

ist er für verschiedene Institutionen in <strong>der</strong> Naturvermittlung<br />

tätig. Außerdem: Jongleur und Äquilibrist.<br />

Beide Autoren sind Gründungsmitglie<strong>der</strong> von „Strohkopf –<br />

Verein zur biologischen Wissensvermittlung“, arbeiten im<br />

Forschungsmodul „LandschaftsBildungslandschaft“ des Kulturlandschaftsforschungsschwerpunktes<br />

mit und sind Teil<br />

des UMILE-Netzwerks (Umwelt Innovationen in <strong>der</strong> LehrerInnenbildung).


106<br />

Bernhard Kohler & Andreas Zahner<br />

Die Vielfalt im Netz<br />

Von Fischen, Sümpfen und dem Wert <strong>der</strong> Wasserwelten<br />

„Only in the last moment of human history has the delusion<br />

arisen that people can flourish apart from the rest of the<br />

living world“<br />

E. O. Wilson (1992): „The diversity of life“<br />

Auf den Punkt gebracht besteht die Hauptaufgabe von<br />

<strong>Umweltbildung</strong> darin, mit dieser „delusion“ – dieser Selbsttäuschung<br />

– Schluss zu machen. Wir sind <strong>als</strong> Lebewesen<br />

nicht allein auf <strong>der</strong> Welt und wir können es auch gar nicht<br />

sein. Allen Finessen <strong>der</strong> Technik zum Trotz bleiben wir eng<br />

mit dem Netz des Lebens verwoben. Es ist eine triviale, aber<br />

darum nicht weniger ernst zu nehmende Tatsache, dass<br />

auch die höchst entwickelten Gesellschaften vom Vorhandensein<br />

und Funktionieren natürlicher o<strong>der</strong> zumindest halbnatürlicher<br />

Ökosysteme abhängig sind. Dort wo diese<br />

Abhängigkeit aufgehoben scheint, hat meist nur eine Verschiebung<br />

in räumlicher o<strong>der</strong> zeitlicher Hinsicht stattgefunden,<br />

die Probleme wurden in an<strong>der</strong>e Gegenden bzw. in die<br />

Zukunft verlagert. <strong>Umweltbildung</strong> hat die Aufgabe, das<br />

ganze Ausmaß unserer Abhängigkeit von intakter Natur<br />

bewusst zu machen.<br />

Den Wert <strong>der</strong> Feuchtgebiete gebührend schätzen<br />

Nun werden diesbezüglich nicht alle Ökosystemtypen gleichermaßen<br />

unterschätzt. Zum Beispiel erfreuen sich –<br />

wenigstens in unseren Breiten – die Wäl<strong>der</strong> eines hohen<br />

Ansehens. Der berühmte „Mann auf <strong>der</strong> Straße“ dürfte um<br />

die positiven Leistungen von Waldökosystemen wie Luftreinhaltung,<br />

Lawinen-, Erosions- und Hochwasserschutz,<br />

um Erholungsfunktion und Rohstoffproduktion recht gut<br />

Bescheid wissen, auch wenn er vielleicht keinen unmittelbaren<br />

Zusammenhang mit seinem Lebensalltag herstellen<br />

kann. Im Alpenland Österreich begegnet ihm die Schutzfunktion<br />

des Waldes zumindest im Urlaub o<strong>der</strong> wenigstens<br />

in den Naturkatastrophen-Meldungen <strong>der</strong> Medien. Das<br />

hierzulande weit verbreitete Bewusstsein für den Wert <strong>der</strong><br />

Wäl<strong>der</strong> dürfte nicht zuletzt auf <strong>der</strong> langjährigen Öffentlichkeitsarbeit<br />

einschlägiger Interessensgruppen beruhen, denn<br />

Wald ist im Waldland Österreich auch gesellschaftlich präsent.<br />

Für eine an<strong>der</strong>e, mindestens ebenso wichtige Gruppe von<br />

Lebensräumen, die Feuchtgebiete, kann dies lei<strong>der</strong> nicht<br />

behauptet werden. Sie verfügen über keine Lobby und ihre<br />

Leistungen für die menschliche Gesellschaft werden nicht<br />

nur bei uns, son<strong>der</strong>n so gut wie überall übersehen – und das,<br />

obwohl sie um ein Vielfaches größer sein können <strong>als</strong> jene<br />

des Waldes. Neueste Untersuchungen haben gezeigt, dass<br />

sich im globalen Durchschnitt aus den Funktionen und Leistungen<br />

intakter Feuchtgebiete ein monetärer Wert pro<br />

Flächeneinheit ergibt, <strong>der</strong> 15-mal höher ist <strong>als</strong> jener <strong>der</strong><br />

Wäl<strong>der</strong> (Costanza et al. 1997)! Im Wasserland Österreich,<br />

dem „Wasserschloss Europas“, wie es von Politikern stolz<br />

genannt worden ist, kann unwi<strong>der</strong>sprochen darüber lamentiert<br />

werden, dass wir nur 3 % des heimischen Wasserdargebots<br />

nutzen (sprich: vermarkten). Ob die restlichen 97 %<br />

tatsächlich verfügbar sind, ohne dass an<strong>der</strong>weitig Schaden<br />

entsteht, bzw. worauf die Verfügbarkeit auch nur <strong>der</strong> 3 %<br />

beruht – das wird nicht diskutiert. Tatsächlich wird Wasser<br />

abstrakt <strong>als</strong> wertvoller „Bodenschatz“ betrachtet, dessen


Ausbeutung wir uns sorgfältig vorbehalten müssen. Es fehlt<br />

jegliches Bewusstsein dafür, dass <strong>der</strong> Weg des Wassers<br />

durch den Wasserkreislauf (den wir nun zu kommerziellen<br />

Zwecken verstärkt anzapfen wollen) über weite Strecken<br />

durch Ökosysteme führt, die weit mehr „können“ <strong>als</strong> nur die<br />

Verfügbarkeit des Wassers zu regulieren.<br />

Schon diese Fähigkeit alleine wäre Grund genug, den vom<br />

Wasser geprägten Lebensräumen größte Aufmerksamkeit zu<br />

schenken. Doch intakte Feuchtgebiete fungieren nicht bloß<br />

<strong>als</strong> Wasserspeicher und Abflussregulatoren, son<strong>der</strong>n auch<br />

<strong>als</strong> Klimaregler und Kläranlagen, <strong>als</strong> Erosionsschutz und<br />

Sedimentfilter, <strong>als</strong> Produzenten pflanzlicher Biomasse und<br />

<strong>als</strong> Orte <strong>der</strong> Grundwasserneubildung. Sie liefern eine Fülle<br />

von Rohstoffen, von pflanzlichen und von tierischen Produkten,<br />

sie bieten Erholungs- und Freizeitmöglichkeiten und<br />

spielen nicht selten eine wichtige Rolle in Kultur, Geschichte<br />

und Religion. Die Erfüllung all dieser Leistungen ist eng<br />

mit den feuchtgebietsbewohnenden Organismen und ihren<br />

speziellen Anpassungen verknüpft, hat <strong>als</strong>o unmittelbar mit<br />

Aspekten <strong>der</strong> Biodiversität zu tun.<br />

Nur intakte Feuchtgebiete bringen<br />

die volle Leistung<br />

Zu beachten ist dabei, dass viele Feuchtgebiete ihre spezifische<br />

Bandbreite von Wohlfahrtswirkungen nur dann erbringen<br />

können, wenn sie naturbelassen o<strong>der</strong> zumindest in<br />

funktioneller Hinsicht intakt sind. Das bedeutet, dass beim<br />

Umgang mit Feuchtgebiets-Ressourcen dem Konzept <strong>der</strong><br />

ökologischen Nachhaltigkeit ein beson<strong>der</strong>er Stellenwert<br />

zukommt. Die zentrale For<strong>der</strong>ung in <strong>der</strong> Nachhaltigkeits-<br />

Debatte, nämlich die „Berücksichtigung <strong>der</strong> Belastbarkeitsgrenzen<br />

jener Ökosysteme, von <strong>der</strong>en Funktionieren das<br />

Wohlergehen <strong>der</strong> Menschen abhängig ist“ (IUCN et al.<br />

1991), hat im Feuchtgebietsschutz lange Tradition. Schon<br />

20 Jahre bevor „ökologische Nachhaltigkeit“ in <strong>der</strong><br />

Umweltszene zum Schlüsselbegriff wurde, hat die Ramsar-<br />

Konvention auf die Notwendigkeit <strong>der</strong> „wohlausgewogenen<br />

Nutzung“ („wise use“) von Feuchtgebieten hingewiesen. Das<br />

ist kein Zufall, denn bei kaum einem an<strong>der</strong>en Lebensraumtyp<br />

haben nicht-nachhaltige Formen <strong>der</strong> Nutzung zu <strong>der</strong>art<br />

offensichtlichen und rasch eintretenden Folgeschäden<br />

geführt. Aus den bitteren Erfahrungen unzähliger Fallbeispiele<br />

ist schon frühzeitig klar geworden, dass sich einseitige<br />

Ertragsmaximierung nicht mit dem Fortbestand empfindlicher<br />

Feuchtgebiets-Ökosysteme verträgt. Und es hat<br />

sich auch gezeigt, dass die Gewinne, die durch die Zer-<br />

Die Vielfalt im Netz / 107<br />

störung von Feuchtgebieten erzielt werden können, oft in<br />

keinem Verhältnis zu den langfristigen Folgekosten stehen,<br />

die sich aus dem Verlust <strong>der</strong> ökosystemaren Leistungen<br />

ergeben (Dugan 1990, Barbier et al. 1997).<br />

<strong>Umweltbildung</strong> für den Feuchtgebietsschutz ist <strong>als</strong>o mit<br />

zwei großen Herausfor<strong>der</strong>ungen konfrontiert: Menschen<br />

über den Wert und die Leistungen intakter Feuchtgebiete<br />

aufzuklären und den Unterschied zwischen ökologisch<br />

nachhaltiger und ausbeuterischer Ressourcennutzung<br />

sichtbar zu machen. Beides entspricht einer Positionsbestimmung<br />

des Menschen in Bezug auf seine Umwelt, mit<br />

bewusster Betonung <strong>der</strong> Interaktionen und Abhängigkeiten.<br />

Der WWF Seewinkelhof stellt sich<br />

<strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

Die WWF Bildungswerkstätte Seewinkelhof hat ihr Programm<br />

in den letzten Jahren zunehmend auf diese Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

hin ausgerichtet. Die naturräumlichen Voraussetzungen<br />

sind dafür beson<strong>der</strong>s günstig – <strong>der</strong> Seewinkelhof<br />

liegt inmitten des Neusiedler See-Gebiets, das sich nicht nur<br />

durch eine große Vielfalt an Feuchtgebietstypen, son<strong>der</strong>n<br />

auch durch eine weit zurückreichende Tradition <strong>der</strong> Feuchtgebietsnutzung<br />

und des Feuchtgebietsschutzes auszeichnet.<br />

Hier lassen sich die Probleme großer und kleiner Feuchtgebiete<br />

ebenso anschaulich studieren wie verschiedene<br />

Lösungsansätze.<br />

Der Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel ist dabei das<br />

wichtigste „Anschauungsobjekt“, denn die wirksamsten<br />

Schutzmaßnahmen wurden rings um dieses Großschutzgebiet<br />

entwickelt (wobei es sich nicht immer um Nationalpark-spezifische<br />

Lösungen handelt, son<strong>der</strong>n durchaus auch<br />

um Modelle, die in an<strong>der</strong>e Regionen übertragbar sind).<br />

Anhand <strong>der</strong> vielfältigen Landnutzung lassen sich nachhaltige<br />

und nicht-nachhaltige Praktiken im Umgang mit den<br />

Feuchtgebiets-Ressourcen darstellen. Um das reichhaltige<br />

Anschauungsmaterial gezielt einsetzen zu können, hat <strong>der</strong><br />

Seewinkelhof in den Jahren 1998–2000 mit Unterstützung<br />

<strong>der</strong> Europäischen Gemeinschaft (GD XI Naturschutz) ein<br />

neues Projektwochenprogramm entwickelt. Dieses Projektwochenprogramm<br />

richtet sich an 10–13-jährige Schüler<br />

und trägt den Titel „Vom Wert <strong>der</strong> Wasserwelten“ (s.<br />

Kasten).


108<br />

/ Die Vielfalt im Netz<br />

Zugnetzfischerei<br />

Vielfalt im Netz – „Feuchtgebiete & Fischerei“<br />

Als Beispiel dafür, wie im Rahmen des Programms mit den<br />

Themen Biodiversität und ökologisch nachhaltige Nutzung<br />

umgegangen wird, soll hier das Thema „Feuchtgebiete &<br />

Fischerei“ dienen. Es ist zu betonen, dass die nachfolgend<br />

beschriebenen Aktivitäten nur einen Teil des insgesamt<br />

zweitägigen Programmoduls „Biodiversität“ darstellen (sie<br />

nehmen etwa einen Tag in Anspruch). Die Fischerei wird im<br />

Programm deshalb thematisiert, weil sie – beson<strong>der</strong>s in globaler<br />

Perspektive – die mit Abstand wichtigste Form <strong>der</strong><br />

Biodiversitätsnutzung in Feuchtgebieten ist (Groombridge<br />

und Jenkins 1998). Zudem sind die Probleme, die sich für die<br />

Fischerei aus einem unvorsichtigen Umgang mit Feuchtgebieten<br />

ergeben, weltweit erstaunlich ähnlich. Auch die<br />

Geschichte <strong>der</strong> Fischerei am Neusiedler See (Herzig et al.<br />

1994) ist ein Paradebeispiel für die Folgen unbedachter Eingriffe<br />

in ein Feuchtgebiet.<br />

Früher wurden Hechte sogar an Schweine<br />

verfüttert<br />

Begonnen wird die Aktivität mit einem Gespräch über<br />

Fische <strong>als</strong> Nahrungsmittel. Die BetreuerInnen fragen nach<br />

<strong>der</strong> Herkunft <strong>der</strong> Fische (bzw. Fischstäbchen), die die Schü-<br />

lerInnen zu Hause essen. Anhand <strong>der</strong> Verpackungs-Schachteln<br />

von Tiefkühlfisch wird gemeinsam eruiert, um welche<br />

Fische es sich handelt und woher sie kommen. Auf einer<br />

Weltkarte werden die Herkunftsgebiete (z.B. Nordpazifik,<br />

Nordsee, Westafrikanische Küste) markiert, indem an die<br />

entsprechende Stelle eine Abbildung <strong>der</strong> jeweiligen Fischart<br />

geklebt wird. Die SchülerInnen werden dann gefragt, warum<br />

denn die Fische von so weit her geholt werden müssen, wo<br />

es doch auch in Österreich große Seen und Flüsse gibt. Der<br />

meistens gegebenen Antwort, dass es dort wahrscheinlich<br />

zu wenige Fische gibt, wird zugestimmt. Als Ursache nennen<br />

die SchülerInnen oft gleich auch die Verschmutzung <strong>der</strong><br />

Gewässer, aber damit sind die BetreuerInnen nicht ganz einverstanden.<br />

Heutzutage sind viele Seen und Flüsse in Österreich wie<strong>der</strong><br />

recht sauber, die Fischbestände könnten eigentlich größer<br />

sein. Die BetreuerInnen erzählen, dass es noch vor 50 Jahren<br />

am Neusiedler See so viele Hechte gegeben hat, dass<br />

man sie im Frühjahr auf den überschwemmten Wiesen körbeweise<br />

fangen konnte, und dass man sie manchmal, weil<br />

es so viele waren, sogar an die Schweine verfüttert hat. Die<br />

BetreuerInnen hantieren dabei mit einem Weidenkorb und<br />

einer traditionellen Hechtgabel. Heutzutage, so erklären sie<br />

weiter, werden nur mehr wenige Hechte gefangen und <strong>der</strong><br />

Fischfang insgesamt hat keine große Bedeutung mehr.


Irgend etwas muss <strong>als</strong>o passiert sein. Die SchülerInnen werden<br />

eingeladen, mehr darüber herauszufinden. Zuvor aber<br />

sollen sie sich selber <strong>als</strong> Fischer betätigen!<br />

Fischfang in <strong>der</strong> Praxis<br />

Die Gruppe begibt sich an eine fischereilich genutzte Lacke<br />

unweit des Seewinkelhofs, an <strong>der</strong> sie – natürlich auf <strong>der</strong><br />

Grundlage eines speziellen Übereinkommens mit dem lokalen<br />

Pächter – mit einem Uferzugnetz Fische fängt. Fünf bis<br />

zehn SchülerInnen waten mit dem 10 Meter langen Zugnetz<br />

in etwa knietiefes Wasser, schlagen ein weiten Bogen und<br />

bewegen sich dann vorsichtig aufs Ufer zu, wobei sie<br />

Bedacht darauf nehmen müssen, dass das mit einer Bleileine<br />

beschwerte Netz am Gewässerboden entlang gezogen<br />

wird. Die Aktivität verlangt ein erhebliches Ausmaß an<br />

Kooperation in <strong>der</strong> Gruppe und wird trotz beträchtlicher<br />

Aufregung <strong>der</strong> TeilnehmerInnen meist in höchster Konzentration<br />

durchgeführt. Beson<strong>der</strong>s spannend wird es, wenn<br />

sich das Netz dem Ufer nähert: im extrem trüben Wasser<br />

<strong>der</strong> Seewinkellacken wird <strong>der</strong> Fangerfolg erst im letzten<br />

Augenblick sichtbar. In den weiten Taschen des Zugnetzes<br />

befinden sich nach einem erfolgreichen Durchgang bis zu<br />

zwanzig, dreißig Fische von sehr unterschiedlicher Größe,<br />

vom 10 cm langen Kaulbarsch bis zum 30 cm langen Gibel.<br />

Die Fische werden aus dem Netz genommen und in wassergefüllte<br />

Plastikwannen gesetzt, die ein an<strong>der</strong>er Teil <strong>der</strong><br />

Gruppe am Ufer vorbereitet hat. Den SchülerInnen wird<br />

gezeigt, wie man vorsichtig mit den Tieren hantiert (damit<br />

es zu keiner Verletzung <strong>der</strong> schützenden Schleimschicht und<br />

<strong>der</strong> Schwimmblase kommt). Nun werden die Fische nach<br />

und nach aus den Behältern genommen, die einzelnen Arten<br />

werden näher vorgestellt (mit Betonung <strong>der</strong> „beson<strong>der</strong>en<br />

Kennzeichen“ wie z.B. <strong>der</strong> „Dornen“ des Kaulbarschs, <strong>der</strong><br />

Zähne des Hechts, des „Staubsaugermauls“ des Karpfens).<br />

Nach <strong>der</strong> raschen Durchmusterung des Fangs werden die<br />

Tiere wie<strong>der</strong> freigelassen. Meist werden pro Aktion zwei<br />

Fischzüge durchgeführt, damit alle TeilnehmerInnen Gelegenheit<br />

haben, mit dem Zugnetz zu arbeiten. Anschließend<br />

wird zum Seewinkelhof zurückgekehrt, wo es eine Umziehpause<br />

für die meist völlig durchnässten und schlammverschmierten<br />

FischerInnen gibt.<br />

Ohne Laichplätze keine Fische<br />

Die Gruppe kommt dann wie<strong>der</strong> zusammen, um sich weiter<br />

Gedanken über den Rückgang <strong>der</strong> Fischbestände am Neusiedler<br />

See zu machen. Im Gespräch stellt sich heraus, dass<br />

Die Vielfalt im Netz / 109<br />

eine Voraussetzung für hohe Fischbestände gute Fortpflanzungsmöglichkeiten<br />

sind. Die BetreuerInnen zeigen den<br />

SchülerInnen stark vergrößerte Abbildungen von Fischlaich<br />

und Jungfischlarven im Dottersackstadium und sagen ihnen,<br />

dass die Fische im See an verschiedenen Plätzen ihre Eier<br />

ablegen. Auf einem vorbereiteten Plakat stehen Fischnamen<br />

und dazugehörige Laichplätze (wie Freiwasser, Kiesboden,<br />

Wasserpflanzengürtel, Schilfrand, <strong>der</strong> Schilfgürtel selbst,<br />

sowie die ihm vorgelagerten Seggenwiesen). Die SchülerInnen<br />

bekommen die Aufgabe, gemeinsam ein Plakat zu<br />

gestalten, auf dem ein Querschnitt durch das Seeufer mit<br />

allen genannten Teillebensräumen zu sehen ist (mit dem<br />

Konzept <strong>der</strong> Zonierung <strong>der</strong> Vegetation am Seeufer sind sie<br />

durch eine Aktivität vertraut, die am Vortag stattgefunden<br />

hat). Dann erhalten sie Schwarzweiß-Kopien <strong>der</strong> einzelnen<br />

Fischarten aus einem Fischbestimmungsbuch zum Ausschneiden.<br />

Anhand <strong>der</strong> Liste kleben sie die Fischabbildungen<br />

auf die richtigen Plätze im Lebensraumplakat und beschriften<br />

sie. Die BetreuerInnen achten darauf, dass auf dem Bild<br />

ein hoher Wasserstand dargestellt ist, bei dem auch die<br />

landseitigen Wiesen überflutet sind. Das fertige Plakat wird<br />

aufgehängt und gemeinsam noch einmal durchbesprochen:<br />

Stichlinge legen ihre Eier im freien Wasser des Sees ab, Zan<strong>der</strong><br />

und Kaulbarsch lieben kiesigen Boden vor dem Schilfgürtel,<br />

Karauschen, Rotaugen und Rotfe<strong>der</strong>n laichen gern<br />

im Wasserpflanzengürtel, Schleien im Schilfgürtel, Karpfen<br />

und Hecht wan<strong>der</strong>n zur Eiablage in die landseitigen Seggenwiesen<br />

usw.<br />

Die BetreuerInnen weisen darauf hin, dass nicht alle diese<br />

Teillebensräume ganzjährig mit Wasser bedeckt sind. Sie<br />

führen die SchülerInnen zu einem Sandkasten, in dem das<br />

Seebecken mit (stark überhöht) gestuftem Ufer nachgebildet<br />

ist. Füllt man das Modell mit Wasser langsam auf, dann<br />

werden die einzelnen Stufen nach und nach überschwemmt.<br />

Die Stufen entsprechen den von den SchülerInnen<br />

gezeichneten Vegetationsgürteln, was mit entsprechenden<br />

Pflanzenteilen, die in den Sand gesteckt werden,<br />

veranschaulicht wird. Alle können sich anhand des Modells<br />

überzeugen, dass die landseitigen Seggenwiesen nur bei<br />

hohem Wasserstand überflutet sind.<br />

Wo blieben die Lebensräume für die Fische?<br />

Nun erzählen die BetreuerInnen, was in den letzten<br />

100 Jahren am Neusiedler See passiert ist. Die Menschen<br />

rund um den See wollten mehr Platz für ihre Fel<strong>der</strong> und<br />

haben deshalb beschlossen, den Wasserstand drastisch


110<br />

/ Die Vielfalt im Netz<br />

Laichplatz - Plakat Bau eines Grundwassermodells<br />

abzusenken. Sie haben das erreicht, indem sie einen großen<br />

Entwässerungskanal (den so genannten Einser-Kanal)<br />

gebaut haben. Im Modell wird das nachvollzogen, die SchülerInnen<br />

graben einen Kanal in den Sand und leiten Teile des<br />

Wassers aus dem „Seebecken“ ab. Der Wasserstand sinkt<br />

ganz offensichtlich, die obersten Stufen (die landseitigen<br />

Seggenwiesen) fallen trocken. Wieviel Wasser man auch<br />

nachgießt, es gelingt nicht mehr, sie zu überschwemmen,<br />

solange <strong>der</strong> Kanal besteht. Jetzt können die Fel<strong>der</strong> näher an<br />

den See rücken, was mit kleinen Matchbox-Traktoren und<br />

einer Verlegung <strong>der</strong> Fel<strong>der</strong> im Modell veranschaulicht wird.<br />

Die BetreuerInnen lenken nun die Aufmerksamkeit <strong>der</strong><br />

SchülerInnen wie<strong>der</strong> zurück zum Plakat und zeichnen hier<br />

mit ihnen einen neuen Wasserstand ein, <strong>der</strong> die landseitigen<br />

Wiesen trocken lässt. Die Folgen sind für alle klar: Hechte<br />

und Karpfen haben ihre Laichplätze verloren! Genau das ist<br />

auch am Neusiedler See passiert. Hecht und Karpfen, die<br />

früher die wichtigsten Fischarten für die Berufsfischer<br />

waren, sind so selten geworden, dass heute kein Fischer<br />

mehr von ihrem Fang leben könnte. Hecht und Karpfen werden<br />

auf dem Plakat durchgestrichen. Damit ist die<br />

Geschichte aber noch nicht zu Ende. Die BetreuerInnen<br />

erzählen, dass die Fischer mit dieser Situation selbstverständlich<br />

nicht zufrieden waren und auf die Idee kamen,<br />

exotische Fischarten auszusetzen. Sie haben zunächst zwei<br />

Arten ausprobiert, die aus Ostasien stammen: den Silberund<br />

den Amurkarpfen (Abbildungen <strong>der</strong> beiden werden auf<br />

das Plakat geklebt). Es sind gierige Pflanzenfresser und das<br />

war auch <strong>der</strong> Grund, warum man sie ausgewählt hat: die<br />

Fischer waren <strong>der</strong> Meinung, dass die exotischen Karpfen<br />

Schilf fressen würden, man erhoffte sich angesichts des riesigen<br />

Schilfangebots Rekor<strong>der</strong>träge. Die ausgesetzten Karpfenarten<br />

zeigten jedoch überhaupt kein Interesse am Schilf,<br />

son<strong>der</strong>n machten sich über die üppigen Wasserpflanzenbestände<br />

des Sees her. Binnen weniger Jahre vernichteten sie<br />

den ausgedehnten Laichkrautgürtel, <strong>der</strong> dem Schilfgürtel<br />

vorgelagert war, und damit verloren zahlreiche Fischarten<br />

ihre Laichplätze und Kin<strong>der</strong>stuben (auf dem Plakat werden<br />

alle betroffenen Arten durchgestrichen). Nach diesem Misserfolg,<br />

<strong>der</strong> nur zu einer Verarmung <strong>der</strong> Fischfauna geführt<br />

hat, begann man Aale auszusetzen, die im Neusiedler See<br />

ebenfalls nicht heimisch sind. Der Aalbesatz brachte zwar<br />

die gewünschten Ertragssteigerungen, die unnatürlich<br />

hohen Dichten <strong>der</strong> ausgesetzten Tiere bewirkten jedoch<br />

einen weiteren Artenschwund. Beson<strong>der</strong>s bodenbrütende<br />

Fische wie <strong>der</strong> Kaulbarsch und <strong>der</strong> Zan<strong>der</strong> hatten unter den<br />

Aalen zu leiden, die sich <strong>als</strong> eifrige Laichräuber betätigten<br />

(wie<strong>der</strong> werden alle betroffenen Arten auf dem Plakat<br />

gestrichen). Das Ergebnis aller Eingriffe – eine verarmte und<br />

aus dem Gleichgewicht geratene Fisch-Biozönose – steht<br />

am Ende <strong>der</strong> Erzählung allen ZuhörerInnen vor Augen. Auf<br />

dem Plakat gibt es nur mehr wenige Arten, die nicht durchgestrichen<br />

sind. Wenn die BetreuerInnen lebendig erzählt<br />

haben, dann ist an diesem Punkt die Betroffenheit <strong>der</strong><br />

SchülerInnen meist groß. Hier ist es nun ganz wichtig, die<br />

Sache positiv zu Ende zu führen: Es wird diskutiert, wie man<br />

die Entwicklung wie<strong>der</strong> rückgängig machen könnte. Die<br />

Lösungen sind schnell gefunden - Einstellung des Exotenbesatzes,<br />

Wie<strong>der</strong>anhebung des Seespiegels, Nutzung <strong>der</strong> einheimischen<br />

Arten. Meist kann im Gespräch auch auf die<br />

dazu nötigen Rahmenbedingungen eingegangen werden<br />

(z. B. geför<strong>der</strong>te Flächenstilllegung auf seenahen Äckern,<br />

neue Schleusenregelungen am Einser-Kanal). Die SchülerInnen<br />

werden jedenfalls mit <strong>der</strong> Gewissheit entlassen, dass<br />

diese Maßnahmen gerade jetzt vom Nationalpark umgesetzt<br />

werden und dass man deshalb zuversichtlich sein<br />

kann, in einigen Jahren wie<strong>der</strong> natürliche und artenreiche<br />

Fischbestände im See zu haben.


Rollenspiel: Verschiedene Landnutzer im<br />

Feuchtgebiet tragen Interessenskonflikte aus<br />

Ob die Geschichte einen lebendigen Eindruck hinterlassen<br />

hat, zeigt sich jeweils beim Feuchtgebiets-Rollenspiel, das<br />

in <strong>der</strong> Endphase je<strong>der</strong> „Wasserwelten“-Woche stattfindet.<br />

Dabei schlüpfen die SchülerInnen in die Rolle verschiedener<br />

Landnutzer im Feuchtgebiet und tragen im Rahmen von<br />

„Gemein<strong>der</strong>atssitzungen“ auftauchende Interessenskonflikte<br />

rund um die Nutzung von Feuchtgebiets-Ressourcen aus.<br />

Wurde zuvor das Fischereithema in <strong>der</strong> beschriebenen<br />

Weise behandelt, dann taucht es nicht nur umrisshaft, son<strong>der</strong>n<br />

mit all seinen Facetten und einem erstaunlichen Grad<br />

an Realitätsnähe in den Diskussionen wie<strong>der</strong> auf. Wir<br />

schließen daraus, dass wir in <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> Aktivität<br />

jeweils zum richtigen Zeitpunkt die richtigen „Bil<strong>der</strong> im<br />

Kopf“ erzeugt haben und dass wir das notwendige Maß an<br />

Anschaulichkeit liefern, mit dem auch komplexe Zusammenhänge<br />

verständlich werden.<br />

Insgesamt sind wir nach unseren Erfahrungen mit dem<br />

„Wert <strong>der</strong> Wasserwelten“ zuversichtlich, dass man das oft<br />

unentflechtbar scheinende Gewirr <strong>der</strong> „root causes of biodiversity<br />

loss“ (Wood et al. 2000) auch im Rahmen von Bildungsveranstaltungen<br />

bloßlegen kann und dass es möglich<br />

ist, Wege zum schonenden Umgang mit <strong>der</strong> Ressource<br />

Biodiversität aufzuzeigen.<br />

Vom Wert <strong>der</strong> Wasserwelten<br />

„Feuchtgebiete sind wertvoll – wir brauchen sie!“, das ist die<br />

zentrale Botschaft hinter dem Projektwochenprogramm <strong>der</strong><br />

WWF-Bildungswerkstätte Seewinkelhof. Konkret vermittelt<br />

wird diese Botschaft anhand <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s vielfältigen und<br />

ausgedehnten Feuchtgebiete des Nationalparks Neusiedler<br />

See-Seewinkel.<br />

Der coole Sumpf<br />

Zielgruppe des Programms sind Schulklassen <strong>der</strong> 5.–7.<br />

Schulstufe. Eindrucksvolle Naturerlebnisse und jede Menge<br />

Gelegenheit zu selbständigem Arbeiten, Entdecken und<br />

Ausprobieren bilden die Eckpfeiler <strong>der</strong> fünftägigen Forschungsreise<br />

durch den Nationalpark. An <strong>der</strong>en Ende<br />

erscheint <strong>der</strong> sonst so negativ besetzte „Sumpf“ in einer<br />

neuen, „echt coolen“ Perspektive. Wir erforschen mit dem<br />

Kanu den undurchdringlichen Schilfdschungel des Neusiedler<br />

Sees, decken mit selbst geerntetem Schilf und traditio-<br />

Die Vielfalt im Netz / 111<br />

nellen Werkzeugen ein Hüttendach und tüfteln gemeinsam<br />

an einem Modell aus Kies, Sand und Ton, das die rätselhaften<br />

Grundwasserströmungen im Seewinkel veranschaulichen<br />

soll. Wir bauen Wetterstationen und sind dem geheimnisvollen<br />

Mister „N“ auf <strong>der</strong> Spur, <strong>der</strong> unser Trinkwasser verseucht.<br />

Unsere Kooperationsfähigkeit wird bei <strong>der</strong> Fischfangaktion<br />

auf die Probe gestellt, während wir für die<br />

Gestaltung des großen Feuchtgebietsfests eine ordentliche<br />

Portion Phantasie und Organisationstalent brauchen. Kühle<br />

Köpfe und gute Argumente sind schließlich beim Rollenspiel<br />

gefragt, bei dem sich die unterschiedlichen Nutzungsinteressen<br />

an einem Feuchtgebiet in einer mitunter turbulenten<br />

„Gemein<strong>der</strong>atsversammlung“ entladen.<br />

Die Programmschwerpunkte<br />

Der Wert von Feuchtgebieten kann aus verschiedenen Blickwinkeln<br />

betrachtet werden. Derzeit stehen folgende Themenschwerpunkte<br />

bei <strong>der</strong> Gestaltung von Projektwochen<br />

zur Auswahl:<br />

Feuchtgebiete sind wertvoll, weil sie<br />

• einen positiven Einfluss auf das Regionalklima ausüben<br />

• eine wichtige Rolle im Grundwasserhaushalt spielen<br />

• <strong>als</strong> „natürliche Kläranlagen“ wirken<br />

• <strong>als</strong> „natürliche Fabriken“ große Mengen nutzbarer<br />

pflanzlicher Biomasse produzieren<br />

• Zentren <strong>der</strong> Artenvielfalt sind<br />

• unverzichtbare „Knotenpunkte“ in einem internationalen<br />

Gebiets-Netzwerk darstellen, das von wan<strong>der</strong>nden<br />

Tierarten genutzt wird<br />

Transfer in den Alltag<br />

Ein wesentlicher Aspekt des neuen Programms ist das<br />

Bestreben, Brücken zwischen den Erlebnissen und Erfahrungen<br />

im Seewinkel und dem Lebensalltag <strong>der</strong> SchülerInnen<br />

zu schlagen.<br />

Dieser Transfer wird mittels eines eigens konzipierten<br />

Schulbesuchsprogramm vor <strong>der</strong> Projektwoche, mit Unterrichtsmaterialien<br />

für die „Zeit danach“ und mit Hilfe einer<br />

multimedialen Ausstellung sichergestellt, die von den SchülerInnen<br />

im Verlauf <strong>der</strong> Woche gestaltet wird. Idealerweise<br />

kommt es im Anschluss an die Projektwoche zu kleinen Folgeprojekten,<br />

z.B. in Feuchtgebieten vor <strong>der</strong> Haustür o<strong>der</strong><br />

auch nur am Schulteich. Auch laufende o<strong>der</strong> geplante Was-


112<br />

/ Die Vielfalt im Netz<br />

ser- o<strong>der</strong> Feuchtgebietsaktivitäten <strong>der</strong> Schule können im<br />

Programm berücksichtigt werden.<br />

Die Menschen hinter <strong>der</strong> Programmentwicklung: Andreas<br />

Zahner, Erika Keller, Eva Ripfl, Irmela Röd und Bernhard<br />

Kohler vom WWF Seewinkelhof. Die Erfahrungen, Rückmeldungen<br />

und Anregungen aus einer Testphase des Programms<br />

(mit zwei Gymnasien aus Wien und einer Hauptschule<br />

aus St. Pölten) wurden in einem eigenen Evaluationsprojekt<br />

von Klara Reininger & Eva Aigner Breuss erhoben,<br />

ausgewertet und für die Weiterentwicklung des Programms<br />

zugänglich gemacht.<br />

Literatur:<br />

Barbier, E. B.; Acreman M. & Knowler D. (1997): Economic valuation of<br />

wetlands: a guide for policy makers and planners. Ramsar<br />

Convention Bureau, Gland, Switzerland, 127 pp.<br />

Costanza, R.; d´Arge, R.; de Groot, R.; Farber, S.; Grasso, M.; Hannon, B.;<br />

Limburg, K.; Naeem, S.; V. o´Neill, R.; Paruelo, J.; Raskin, R.;<br />

Sutton, G. & van den Belt, M. (1997): The value of the world´s<br />

ecosystem services and natural capital. Nature 387, 253-260.<br />

Dugan, P. J. (ed.) (1990): Wetland Conservation. A review of current issues<br />

and required action. IUCN Gland, Switzerland 96 pp.<br />

Groombridge, B. & Jenkins, M. (1998): Freshwater biodiversity:<br />

a preliminary global assessment. World Conservation Monitoring<br />

Centre Biodiversity series no. 8.<br />

Herzig, A.; Mikschi, E.; Auer, B.; Hain, A.; Wais, A. & Wolfram, A. (1994):<br />

Fischbiologische Untersuchung des Neusiedler Sees. Biologisches<br />

Forschungsinstitut Burgenland (BFB)-Bericht 81, Illmitz, 125 pp.<br />

IUCN, UNEP & WWF (1991): Caring for the Earth. A strategy for sustainable<br />

living. Gland, Switzerland, 256 pp.<br />

Wilson, E. O. (1992): The Diversity of Life. The Belknap Press of Harvard<br />

University Press.<br />

Wood, A., Stedman-Edwards, P. & Mang, J. (2000): The root causes of<br />

biodiversity loss. Earthscan Publications Ltd. London, 399 pp.<br />

Mag. Andreas Zahner<br />

leitet die WWF Bildungswerkstätte Seewinkelhof.<br />

Der Biologe ist zuständig für Umweltpädagogik und<br />

methodische Weiterentwicklung.<br />

E-Mail: andreas.zahner@wwf.at<br />

Dr. Bernhard Kohler<br />

ist <strong>als</strong> Biologe an <strong>der</strong> WWF Bildungswerkstätte Seewinkelhof<br />

zuständig für inhaltliche Fragen.<br />

E-Mail: bernhard.kohler@wwf.at


Hermann Sonntag<br />

Riverwatch<br />

Die Artenvielfalt des Lech hautnah erleben<br />

Der wilde Lech beherbergt eine große Artenvielfalt<br />

Die Gemeinde Elbigenalp in Tirol liegt nur wenige Meter<br />

vom Flusslauf des Oberen Lechs entfernt. Aufgrund seiner<br />

Wildheit und Unberechenbarkeit galt <strong>der</strong> Lech lange Zeit <strong>als</strong><br />

Gegner und „größter Grundbesitzer im Tal“. Wir wollten den<br />

Schülern an <strong>der</strong> Hauptschule Lechtal den Wert des großteils<br />

naturnahen Flusslaufs näher bringen – die Artenvielfalt und<br />

die Bedeutung dieser Landschaft für Tiere und Pflanzen.<br />

Unser Projektgebiet war für diese Ziele bestens geeignet, da<br />

es sowohl naturnahe Bereiche enthält – mit Schotterbänken,<br />

Steilufern, Kleinstgewässern <strong>als</strong> auch vom Menschen<br />

verän<strong>der</strong>te und begradigte Abschnitte.<br />

Gemeinsame Visionen und Ziele entstehen<br />

Lehrer <strong>der</strong> Hauptschule Lechtal und WWF-Mitarbeiter setzten<br />

sich zusammen, um einen genauen Zeitplan zu erstellen<br />

und die Aufgaben untereinan<strong>der</strong> genau aufzuteilen. Der<br />

Exkursionsteil wurde vom WWF vorbereitet. Wegen <strong>der</strong><br />

großen Zahl an SchülerInnen <strong>als</strong> Stationsbetrieb. Die Lehrer<br />

planten die Aufarbeitung <strong>der</strong> Erlebnisse beim Exkursionsteil<br />

in den folgenden Unterrichtsstunden.<br />

Eine Lehrerin <strong>der</strong> Hauptschule startete einen Fotowettbewerb,<br />

bei dem alle Schüler des Oberen Lecht<strong>als</strong> sowie <strong>der</strong>en<br />

Eltern aufgerufen wurden, Fotos von ihren Lieblingsplätzen<br />

am Lech einzusenden. Im Werkunterricht erstellten die<br />

Schüler Modelleier (für die Vogelstation) und ein Lechmodell,<br />

das bis zum Projektende vollendet und ausgestellt werden<br />

konnte.<br />

Die vom WWF und <strong>der</strong> Hauptschule gemeinsam formulierten<br />

Ziele und Visionen bildeten die Grundlage für das Projekt.<br />

VISION<br />

Die Hauptschule Lechtal entwickelt sich zu einem Impulszentrum<br />

für <strong>Umweltbildung</strong> im Oberen Lechtal. Die Hauptschule<br />

organisiert und betreibt Projekte im Bereich <strong>Umweltbildung</strong><br />

und motiviert Partner (an<strong>der</strong>e Schulen, Gemeinden,<br />

Erwachsenenbildung etc.) dabei mitzuwirken o<strong>der</strong> eigene<br />

Projekte zu initiieren.<br />

ZIELE<br />

• Die SchülerInnen <strong>der</strong> Hauptschule Lechtal lernen mit<br />

unterschiedlichen didaktischen Methoden verschiedene<br />

Flusslebensräume (Auwald, Schotterbänke, Steilufer,<br />

Kleingewässer etc.) mit ihren typischen Tier- und Pflanzenarten<br />

kennen.<br />

• Das Thema „Biodiversität“ wird den SchülerInnen am<br />

Beispiel des Flusssystems „Lech“ nähergebracht.<br />

• Die SchülerInnen setzten ihr erworbenes Wissen in verschiedenen<br />

Fächern (Werkunterricht, Deutsch, Zeichnen<br />

etc.) praktisch um.<br />

113


114<br />

/ Riverwatch<br />

Die Forscher unterwegs – Exkursionen<br />

Mitte Mai war es soweit. Die ersten 70 SchülerInnen brachen<br />

frühmorgens auf, um den Lech mit seinen Bewohnern<br />

unter die Lupe zu nehmen. An den Stationen im Gelände<br />

lagen alle Materialien für den Einsatz bereit. Je 10–15<br />

SchülerInnen arbeiteten an einer Station und wechselten<br />

nach einer halben Stunde zur nächsten weiter. Die Gruppen<br />

wurden von Lehrern <strong>der</strong> Hauptschule begleitet. Betreut<br />

wurden die Stationen durch Biologie-Studenten des WWF-<br />

Panda Clubs. Die verfügen über biologisches Fachwissen<br />

und über Erfahrung in <strong>der</strong> <strong>Umweltbildung</strong>.<br />

Insgesamt fanden drei Exkursionstage statt.<br />

Jede Station war in drei Phasen unterteilt:<br />

• Einführung<br />

Den SchülerInnen wird in Form eines Umweltspieles<br />

o<strong>der</strong> einer Geschichte das Thema vorgestellt, abhängig<br />

von Schulstufe und Thema.<br />

• Bewusst machen<br />

Die SchülerInnen lernen Neues zum Thema: zum Beispiel<br />

Arbeiten am Mikroskop mit Unterstützung <strong>der</strong><br />

Betreuer.<br />

• Selbstständiges Arbeiten<br />

Die SchülerInnen errechnen gemeinsam die Gewässergüte,<br />

lösen ein Rätsel, zählen die Vogelarten ... Begleitend<br />

dazu wird eine Artenliste geführt.<br />

Die stummen Begleiter des Lech<br />

1. Station<br />

Die SchülerInnen machen sich spielerisch mit <strong>der</strong> reichen<br />

Vegetation <strong>der</strong> Lechtalauen vertraut:<br />

Fühlbox:<br />

Acht verschiedene pflanzliche Gegenstände sollen durch<br />

Fühlen erraten werden:<br />

Föhrenrinde, Zapfen, Tannenzweig, Fichtenzweig, Baumpilz,<br />

wolliges Lungenkraut, Flechte, Moos ...<br />

Anschließend bespricht <strong>der</strong> Stationsbetreuer mit den SchülerInnen<br />

die einzelnen Gegenstände: Was ist eine Flechte?<br />

Symbiose Pilz-Alge: Wofür? Unterschied Fichte-Tanne?<br />

Warum gibt’s hier und überhaupt wenige Tannen? Tannenzapfen<br />

– warum finde ich den nie? Baumpilz – und <strong>der</strong><br />

Zusammenhang mit Ötzi?<br />

Erfahrungen<br />

Es machte allen viel Spaß und auch anschließend bei den<br />

Erklärungen arbeiten alle sehr eifrig. Die Fühlbox kann auch<br />

leicht für an<strong>der</strong>e Lebensräume/Themen eingesetzt werden.<br />

Steckbriefe von Bäumen und Sträuchern<br />

Die Kin<strong>der</strong> finden auf einer Leine aufgehängte Zettel. Hier<br />

sind die wichtigsten Bäume und Sträucher des Auwaldes<br />

beschrieben und gezeichnet (Blätter, Früchte, Blüten). Die<br />

SchülerInnen machen sich mit den Steckbriefen auf den<br />

Weg und suchen so viele Pflanzen wie möglich. Sie heften<br />

die Zettel dann mit einem Blatt o<strong>der</strong> Zweig <strong>der</strong> entsprechenden<br />

Pflanze wie<strong>der</strong> auf die Leine.<br />

Die Betreuerin kontrolliert die eingesammelten Arten,<br />

erklärt Details zur leichteren Unterscheidung und zur möglichen<br />

Verwendung – <strong>als</strong> Heilpflanze.<br />

Erfahrungen:<br />

Die 2. Klassen waren leicht zu motivieren und stürmten<br />

gleich los. Die 3. Klassen waren am Anfang zögerlich, dann<br />

aber viel genauer beim Suchen. Einige wenige haben einfach<br />

zugeschaut bei <strong>der</strong> Sache. Motivierend war die Punktevergabe<br />

für richtige Pflanzen.<br />

Bei großen Gruppen ist das Spiel problematisch, weil viel<br />

zertrampelt und abgerissen wird. Erstaunlich viele Pflanzen<br />

wurden gefunden – mindestens die Hälfte immer. Der<br />

Rekord: 12 von 16.


Der Sound des Lechs<br />

2. Station<br />

Schotterbänke und Auwäl<strong>der</strong> sind Lebensraum für viele darauf<br />

spezialisierte Vögel.<br />

Tarnen und täuschen: Eiersuche<br />

Im Unterricht bauen die SchülerInnen aus Holz Eier des<br />

Flussuferläufers und Flussregenpfeifers. Die Betreuer verstecken<br />

diese nun in einem abgesteckten Gebiet auf <strong>der</strong><br />

Schotterbank. Die Eier des Flussregenpfeifers legen sie auf<br />

den blanken Schotter, die des Flussuferläufers in etwas Pioniervegetation<br />

– am besten in die Nähe einer kleinen Weide.<br />

Die SchülerInnen schwärmen aus, um die Eier zu suchen.<br />

Doch die sind gut getarnt. Genaues Schauen ist gefor<strong>der</strong>t.<br />

Abschließend erklärt <strong>der</strong> Betreuer Wissenswertes über den<br />

Lebensraum dieser gefährdeten Vogelarten. Über Gefie<strong>der</strong>färbung,<br />

die Tarnung ihrer Gelege, Gesänge.<br />

Erfahrungen:<br />

Anfangs waren alle sehr begeistert. Einige Gruppen verloren<br />

aber die Motivation, nachdem ihre Suche lange vergeblich<br />

war (darauf schränkte <strong>der</strong> Betreuer das Suchgebiet ein).<br />

Wissenswertes über Gefährdung und Schutz<br />

Flussuferläufer und Flussregenpfeifer sind durch Uferverbauungen<br />

stark gefährdet (Lebensraumverlust). Sie sind <strong>als</strong><br />

Bodenbrüter sehr störungsempfindlich gegenüber Menschen.<br />

Vor Bodenraubfeinden schützen sie ihr Gelege durch<br />

gute Tarnung. Räuber locken sie unter Vortäuschung einer<br />

Verletzung (Hängenlassen des Flügels) vom Gelege weg.<br />

Die SchülerInnen lernen hier die Bedeutung des Lecht<strong>als</strong> für<br />

Vögel kennen – für viele ist dieser Lebensraum eine letzte<br />

Zufluchtstätte.<br />

Vogelstimmen am Fluss und Auwald<br />

Die SchülerInnen nehmen auf einer kleinen Lichtung Platz,<br />

schließen für zwei Minuten die Augen und versuchen verschiedene<br />

Vogelstimmen wahrzunehmen. Anschließend vergleichen<br />

sie die Zahl <strong>der</strong> Stimmen untereinan<strong>der</strong>.<br />

Der Betreuer gibt einen Überblick zu den verschiedenen<br />

Lauten o<strong>der</strong> Gesängen eines Vogels: Warnrufe und Gesänge<br />

zur Revierverteidigung bzw. zur Anlockung eines Partners.<br />

Auch auf günstige Nistmöglichkeiten in gut strukturierten<br />

Lebensräumen wird eingegangen.<br />

Die Eier des Flußuferläufers und des Flußregenpfeifers sind gut getarnt<br />

Anlocken eines Vogels<br />

Jetzt ist es beson<strong>der</strong>s spannend. Die Kin<strong>der</strong> hören Vogelstimmen<br />

aus einem CD-Player. Beim Gesang <strong>der</strong> Mönchsgrasmücke<br />

taucht plötzlich ein Männchen auf, das sich<br />

ganz nah an die Gruppe heranwagt und lauth<strong>als</strong> zu zwitschern<br />

beginnt.<br />

Die Begeisterung <strong>der</strong> SchülerInnen war extrem groß – einen<br />

Vogel aus dieser Distanz hatten sie bisher selten beobachten<br />

können.<br />

Eulen und Krähen – Abschluss-Spiel<br />

(nach Cornell 1999)<br />

Das Abschluss-Spiel Eulen und Krähen haben wir bei J. Cornell<br />

entlehnt. Gegen die Mittagszeit zu, <strong>als</strong> die SchülerInnen<br />

schon müde wurden, konnte man sie gut dazu motivieren.<br />

Wasserinsekten<br />

3. Station<br />

Die SchülerInnen lernen hier Eintagsfliegen, Köcherfliegen,<br />

Steinfliegen, Kribelmücken, Bachflohkrebse zu unterscheiden.<br />

Tierbilddiktat – Eintagsfliegenlarve<br />

(aus „Natur <strong>als</strong> Abenteuer“)<br />

Das Spiel ist <strong>als</strong> Einstieg für den Themenbereich „Fließgewässer“<br />

gut geeignet.<br />

Tiere sammeln und mikroskopieren<br />

Die Kin<strong>der</strong> teilen sich auf in zwei Gruppen. Die einen<br />

schwärmen mit Lupengläsern und Keschern bestückt zum<br />

Bach und sammeln Tiere. Die an<strong>der</strong>en beobachten vorher<br />

gefangene Tiere unter dem Mikroskop.<br />

Die Schüler versuchen zum Teil selbständig die Tiere zu<br />

Abbildungen <strong>der</strong> Tiergruppen zuzuordnen bzw. in Büchern<br />

115


116<br />

/ Riverwatch<br />

zu finden. Wissenswertes zu den Lebensräumen <strong>der</strong> Tiere, zu<br />

verschiedenen Lebensformen und ökologischen Nischen<br />

erklärt <strong>der</strong> Stationsbetreuer. Nach einer Viertelstunde<br />

wechseln die Gruppen.<br />

Erfahrungen:<br />

Alle Kin<strong>der</strong> waren vom Suchen und Mikroskopieren voll<br />

begeistert! Diese Station war bei allen Klassen am beliebtesten.<br />

Die Gestalt des Lech – Gewässermorphologie<br />

4. Station<br />

An Hand eines selbst gebastelten Flussmodells erklärt <strong>der</strong><br />

Betreuer den SchülerInnen die Auswirkung von Flussbegradigungen<br />

auf den umgebenden Lebensraum mit seiner Tierund<br />

Pflanzenwelt.<br />

Einführungsspiel<br />

Die SchülerInnen ziehen Zettel mit verschiedenen Begriffen<br />

zum Lech (Quelle, Deltamündung, Mäan<strong>der</strong>, Aufgabelung,<br />

Steilufer, Auwald, Blockgestein, Kieselstein, Sand ...). Sie<br />

sollen sich mit ihren Begriffen in einer Reihe aufstellen, die<br />

dem Lech von <strong>der</strong> Quelle bis zur Mündung entspricht. Dann<br />

bespricht <strong>der</strong> Betreuer die einzelnen Begriffe und klärt Fragen<br />

– Warum stehe ich mit diesem Begriff an dieser Stelle?<br />

Die SchülerInnen füllen dann in Zweiergruppen einen vorbereiteten<br />

Fragebogen zum Thema aus.<br />

In <strong>der</strong> Nachbesprechung wird auf Flussbegradigungen eingegangen.<br />

Erfahrungen:<br />

Der erste Tag mit SchülerInnen <strong>der</strong> zweiten Klasse Hauptschule<br />

zeigte, dass die Aufgaben schwierig zu lösen waren.<br />

Die Kin<strong>der</strong> erlebten insgesamt die Station <strong>als</strong> sehr theoretisch<br />

und schwer verständlich. Um die trockene Materie an<br />

das Kind zu bringen, ließen wir die SchülerInnen ein Flussmodell<br />

bauen und verpassten dem Stationsbetrieb einen<br />

sportlichen Charakter, indem wir bei Spielen die Zeit maßen.<br />

Geän<strong>der</strong>ter Ablauf:<br />

Die Zettel mit den Begriffen zum Lech (Deltamündung,<br />

Mäan<strong>der</strong>, Aufgabelung, Steilufer, Auwald, Blockgestein, Kieselstein)<br />

werden zerschnitten und von den Kin<strong>der</strong>n gezogen.<br />

Die Schüler müssen die Begriffe zusammenfinden.<br />

Anschließend baut die ganze Gruppe mit natürlichen Materialien<br />

in einer Sandkiste ein Flussmodell, das diesem<br />

Abschnitt des Lechs entspricht.<br />

Das Einführungsspiel des ersten Tages wurde <strong>als</strong> Abschlussspiel<br />

und zur Wie<strong>der</strong>holung umfunktioniert.<br />

Die Verän<strong>der</strong>ung des Programms hatte sich gelohnt. Die<br />

SchülerInnen waren wesentlich aufmerksamer und mit<br />

mehr Einsatz bei <strong>der</strong> Sache.<br />

Die ursprüngliche Idee für die Gestaltung <strong>der</strong> Station – eine<br />

Fantasiereise von <strong>der</strong> Quelle des Lechs bis zu seiner Mündung,<br />

konnte lei<strong>der</strong> wegen <strong>der</strong> kurzen Zeit pro Gruppe nicht<br />

umgesetzt werden.<br />

Tiere und Pflanzen am Wiesenbach<br />

5. Station<br />

Einführung<br />

Der Ruf des Grasfrosches ertönt aus den Boxen eines Discman.<br />

Die Frage an die Kin<strong>der</strong>: Um welchen Bewohner handelt<br />

es sich hier? Meistens können sie auf Anhieb die richtige<br />

Antwort geben. Und sogar die Entfernung, über die Frösche<br />

wan<strong>der</strong>n, wird recht gut geschätzt.<br />

Die SchülerInnen sollen überlegen, für welche Lebensräume<br />

diese Amphibien typisch sind. Dann folgt eine kurze<br />

Erklärung über Fortpflanzungs- und Wan<strong>der</strong>verhalten von<br />

Amphibien.<br />

Die SchülerInnen teilen sich selbst in drei Gruppen auf:<br />

• Die „Wissenschaftler“ messen die Temperatur, den pH-<br />

Wert und die Fließgeschwindigkeit am Wiesenbach und<br />

am Lech. Sie erkennen die Unterschiede zwischen den<br />

beiden Gewässern und <strong>der</strong>en Ursachen.<br />

• Die „Künstler“ sammeln Pflanzenmaterial und stellen<br />

Farbpaletten nach Kartonvorlagen zusammen. So werden<br />

sie auf Arten- und vor allem Farbenvielfalt aufmerksam.<br />

• Die „Insektenforscher“ sammeln Insekten, die am und im<br />

Wiesenbach leben, aber auch an<strong>der</strong>e Arthropoden und<br />

Wirbeltiere. Sie gewinnen Einblick in die Arten- und


Formenvielfalt und erkennen kleinräumige Vielfalt –<br />

feuchte und trockene Standorte nebeneinan<strong>der</strong>;<br />

Die einzelnen Gruppen stellen anschließend ihre Ergebnisse<br />

vor.<br />

Erfahrungen<br />

Die Kin<strong>der</strong> sind zum überwiegenden Teil sehr interessiert<br />

und eifrig bei <strong>der</strong> Sache! Das hat sich insbeson<strong>der</strong>e in den<br />

Insekten-Fangergebnissen wi<strong>der</strong>gespiegelt. Einige können<br />

gar nicht genug bekommen!<br />

Beim Aufteilen <strong>der</strong> Gruppen hat sich – wie zu erwarten, <strong>der</strong><br />

größte Teil <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> fürs Sammeln von Insekten entschieden.<br />

Und trotzdem hat sich fast immer eine Gruppe gemeldet,<br />

um die Messungen am Gewässer zu machen. Das<br />

Zusammenstellen von Farbpaletten wurde am wenigsten<br />

angenommen, aber dennoch von einigen Kin<strong>der</strong>n, vor allem<br />

von Mädchen, mit Hingabe betrieben! Dieser Teil würde sich<br />

<strong>als</strong> Fixpunkt in einem längeren Programm sicher besser einbauen<br />

lassen. Auch ohne anfängliche Begeisterung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

entstehen dabei oft wahre Kunstwerke!<br />

Tierrätsel – Abschluss-Spiel<br />

Verschiedene Merkmale von Tieren stehen auf verschiedenen<br />

Zetteln. Die Gruppen müssen die Merkmale richtig<br />

zuordnen und die Tiere erraten (Grasfrosch, Libelle, Wasserläufer,<br />

Wasserschnecke).<br />

Der Kreativität waren keine Grenzen gesetzt<br />

Riverwatch / 117<br />

Nach einer ausgedehnten Mittagspause kehren die jungen<br />

Forscher in die Schule zurück. Hier ist vieles vorbereitet<br />

worden. So können die SchülerInnen ihre Eindrücke vom<br />

Vormittag kreativ verarbeiten. Die dabei entstandenen Ausstellungsstücke<br />

können im Rahmen einer Schlusspräsentation<br />

bestaunt werden.<br />

Werkerziehung<br />

SchülerInnen flechten fünf Tage vorher geschnittene und<br />

eingeweichte Weidenruten und biegen sie zu Buchstaben:<br />

„Riverwatch“, „Inser Lech“ und „Inser Au“.<br />

Eine Gruppe schneidet aus Holzfaserplatten Vögel aus und<br />

bemalt diese mit Hilfe von Bestimmungsbüchern. Diese<br />

Vögel werden auf eine Holzfaserplatte gestellt, bemalt je<br />

nach Lebensraum.<br />

Eine weitere Gruppe formt aus Ton verschiedene Amphibien.<br />

Die werden von Begleitlehrern glasiert und gebrannt.<br />

Deutsch<br />

SchülerInnen verfassen einen gemeinsamen Text über ein<br />

fiktives Lechfabelwesen. Ein Wesen, das sie bei ihrer Arbeit<br />

am Lech empfindlich in seiner Ruhe gestört haben. In Dreier-Gruppen<br />

werden Rätsel, Kreuzworträtsel und Frage-Antwort-Spiele<br />

zusammengestellt.<br />

Bildnerische Erziehung<br />

Tiere werden auf Leinentüchern gezeichnet und mit Stofffarben<br />

bemalt. Alle Stoffflecken zusammengenäht, ergeben<br />

ein wun<strong>der</strong>schönes Patchwork-Tuch.<br />

Die Themen <strong>der</strong> Exkursion bilden außerdem die Grundlage<br />

für darauf folgende Biologiestunden.<br />

Patchworktuch mit Tiermotiven Bemalte Vögel wurden ihren Lebensräumen zugeordnet


118<br />

/ Riverwatch<br />

Amphibien entstehen aus Ton<br />

Öffentlichkeitsarbeit<br />

In lokalen Zeitungen (Außerferner Nachrichten, Blickpunkt<br />

Reutte, EXTRA) erschienen Berichte über das Projekt. Bei<br />

„Tirol heute“ (Bundeslän<strong>der</strong>sendung) wurde ein kurzer Fernsehbeitrag<br />

gesendet.<br />

Die beiden WWF-Verantwortlichen (Hermann Sonntag,<br />

Andreas Danzl) stellten gemeinsam mit Christoph Ba<strong>der</strong> das<br />

Projekt im GEO-Magazin September 2000 vor.<br />

„Was hats gebracht?!“<br />

Zwei Studenten <strong>der</strong> Pädagogischen Akademie Stams führten<br />

im Rahmen ihrer Diplomarbeit die Evaluierung durch.<br />

„Das Schulprojekt Riverwatch war für alle Beteiligten ein<br />

voller Erfolg und motiviert alle Mitarbeiter in diesem<br />

Bereich weiterzuarbeiten!“ fasst Martin Wolf die Evaluierung<br />

zusammen. „Für uns sind die Ergebnisse sehr wichtig,<br />

da wir dadurch unsere Arbeiten verbessern und die Evaluierung<br />

<strong>als</strong> Beispiel für an<strong>der</strong>e Projekte im Lechtal und<br />

auch außerhalb heranziehen werden“, freut sich Mag. Hermann<br />

Sonntag.<br />

Biodiversität und Fließgewässer<br />

Fließgewässer gehören zu den artenreichsten Großlebensräumen.<br />

Viele Vertreter <strong>der</strong> Vögel, Schmetterlinge und verschiedener<br />

Käferfamilien sowie Amphibien und Libellen<br />

haben ihren Lebensraum in Fließgewässern und Auwaldökosystemen.<br />

Für Österreich nennt GEPP (1986) zumindest<br />

12.000 Tier- und Pflanzenarten, die zu regelmäßigen<br />

Bewohnern <strong>der</strong> Auen gehören. Gründe für die Artenvielfalt<br />

sind die vielen unterschiedlichen Habitate, die Flussdynamik,<br />

die ständig die Lebensräume verän<strong>der</strong>t und neue<br />

schafft und <strong>der</strong> räumliche Zusammenhang entlang des<br />

Flusslaufs (Plachter 1991).<br />

Fließgewässer gehören aber auch zu den gefährdetsten<br />

Lebensräumen im Alpenraum. So ist <strong>der</strong> Großteil <strong>der</strong> Flüsse<br />

und Bäche Mitteleuropas verbaut, begradigt o<strong>der</strong> durch<br />

Wehre und Staumauern zerstückelt.<br />

Der Tiroler Lech gehört noch zu den „letzten Wilden“. Er<br />

besitzt noch Flussstrecken, an denen Verän<strong>der</strong>ungen stattfinden<br />

können. Aus diesem Grund beherbergt <strong>der</strong> Lech mit<br />

seinen Schotterbänken, Auwäl<strong>der</strong>n und -tümpeln, seinen<br />

Zubringern und Gießen oft die „Letzten ihrer Art.“<br />

Literatur<br />

Alpenreport 1998: Daten, Fakten, Probleme, Lösungsansätze; CIPRA-Inter-<br />

national (Hrsg.) – Bern, Stuttgart; Wien: Haupt 1<br />

Augsburger Ökologische Schriften, Heft 2: Der Lech – Wandel einer Fluss-<br />

landschaft; Stadt Augsburg, Referat Umwelt und Kommunales<br />

(Hrsg)<br />

Cornell 1999: Mit Kin<strong>der</strong>n die Natur erleben. Verlag an <strong>der</strong> Ruhr, Mülheim<br />

Natur <strong>als</strong> Abenteuer – Wege zum Erleben und Entdecken 1999: Institut<br />

für Angewandte Umwelterziehung Steyr<br />

WWF Österreich 1998: PLANET WASSER, Lerninhalt: Schutz <strong>der</strong> Feuchtgebiete<br />

und Erforschen von Lebenden Flüssen. 1.–12. Schulstufe<br />

Mag. Hermann Sonntag<br />

arbeitet <strong>als</strong> Biologe für den WWF im Bereich Naturschutz.


P. Schreilechner, A. Krombass, D. Urhahne, J. Jeschke & U. Harms<br />

Multimediales Lernen im Naturkundemuseum<br />

Dornbirn<br />

Das EU-Projekt „TREBIS“ – Informationen über Artenvielfalt und Ökologie<br />

Ich finde das Programm lustig und lehrreich. Es ist auch für<br />

Jugendliche verständlich. Das Quiz hat mir am besten gefallen.<br />

(Magdalena, Bundesgymnasium Feldkirch, 3e)<br />

Das Programm ist interessant. Es gibt vieles zum Anschauen<br />

und die Gestaltung ist nicht schlecht. Mein Interesse am<br />

Thema Natur ist nicht sehr groß. Aber ich kann mir vorstellen,<br />

dass ich das Programm bei einem Besuch im Museum<br />

verwenden würde.<br />

(Benjamin, Bundesgymnasium Lustenau, 4b)<br />

Im EU-Projekt TREBIS beschreiten die drei Partner Biogis<br />

Consulting GmbH, Vorarlberger Naturschau und die<br />

Didaktik <strong>der</strong> Biologie an <strong>der</strong> Universität München neue<br />

Wege <strong>der</strong> Wissensvermittlung über Artenvielfalt und ökologische<br />

Zusammenhänge. Wissen, das kaum zugänglich war,<br />

wird mit Multimedia- und Datenbank-Software aufbereitet<br />

und präsentiert.<br />

Naturkundemuseen sind schon seit jeher ein Ort <strong>der</strong> Erforschung<br />

und Dokumentation von Flora und Fauna. Im Laufe<br />

<strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>te sind umfangreiche Sammlungen entstanden.<br />

In den letzten Jahren ging man in vielen Museen dazu<br />

über, diese Schätze <strong>als</strong> Datenbanken digital zu speichern:<br />

Angaben über Sammlungsobjekte, Beobachtungsdaten o<strong>der</strong><br />

Feldprotokolle.<br />

Die Leiterin <strong>der</strong> Vorarlberger Naturschau (VNS), Margit<br />

Schmid, erkannte gemeinsam mit ihrem Team schon Mitte<br />

<strong>der</strong> 80er Jahre, dass diese Daten ein großes Potenzial darstellen,<br />

das in seiner Bedeutung weit über die Auswertung<br />

für wissenschaftliche Fragestellungen hinausgeht. Aus diesem<br />

Grund wurde das Projekt „Digitales NaturArchiv“ ins<br />

Leben gerufen. Dabei wurde eine wissenschaftliche Datenbank<br />

aufgebaut, die mittlerweile mehrere hun<strong>der</strong>ttausend<br />

Datensätze beinhaltet, mit Angaben über die Verbreitung<br />

von Pflanzen und Tieren im Bundesland Vorarlberg. Diese<br />

Informationen werden ergänzt durch Listen, beschreibende<br />

Texte, Fotos, Filme, Landkarten o<strong>der</strong> Tondokumente, die<br />

ebenfalls im digitalen „NaturArchiv“ verwaltet werden.<br />

Zusammen mit dem Wissen <strong>der</strong> Forscher ist ein Informations-Pool<br />

entstanden, <strong>der</strong> im TREBIS-Projekt auf unterhaltsame<br />

und verständliche Weise aufbereitet und zugänglich<br />

gemacht wird. Museumsbesucher haben damit die Möglichkeit,<br />

selbst auf Informationen über Vielfalt, Verbreitung,<br />

Gefährdung und Ökologie <strong>der</strong> Arten und Lebensräume vor<br />

ihrer Haustür zuzugreifen.<br />

Interesse an <strong>der</strong> Vielfalt wecken<br />

Mit Hilfe des Informationssystems tauchen die Benutzer in<br />

das Thema Biodiversität ein. Je nach Interesse kann <strong>der</strong><br />

Benutzer verschiedene Bereiche auswählen:<br />

• Artenvielfalt und Verbreitung <strong>der</strong> Arten in ihrem natürlichen<br />

Lebensraum<br />

• Dynamik und Beziehungen in <strong>der</strong> Natur ablaufen<strong>der</strong><br />

Prozesse<br />

• Gefährdung von Arten und Lebensräumen<br />

• Bedeutung <strong>der</strong> Artenvielfalt für den Menschen


120<br />

/ Multimediales Lernen im Naturkundemuseum Dornbirn<br />

Fachkollegen des Institutes für Didaktik an <strong>der</strong> Universität<br />

München erstellten das didaktische Konzept, auf dessen<br />

Grundlage die Mitarbeiter von Biogis die Software entwickelten.<br />

Dabei geht es nicht vor<strong>der</strong>gründig um das Vermitteln<br />

von Fachwissen und Fakten zu einzelnen Organismen,<br />

son<strong>der</strong>n um das Wecken des Interesses. Im Idealfall<br />

beschäftigt sich <strong>der</strong> Benutzer nach dem Museumsbesuch<br />

eigenständig und unabhängig vom Computer mit Biodiversität.<br />

Zumindest sollte er eine positive Haltung gegenüber<br />

<strong>der</strong> Notwendigkeit entwickeln, die Artenvielfalt zu erhalten.<br />

So geht es um die wirtschaftliche Bedeutung einer intakten,<br />

artenreichen Landschaft ebenso wie um die Wahrnehmung<br />

ihrer Ästhetik. Weitere inhaltliche Zugänge sind Gesundheit,<br />

die Bedeutung für Wissenschaft und Forschung sowie die<br />

ethische und philosophische Betrachtung.<br />

Die Wissensorientierten sollen sich angesprochen fühlen,<br />

ebenso wie die Unterhaltungsorientierten und die Naturschutzorientierten.<br />

Aufbau des Informationssystems<br />

Im TREBIS-Informationssystem erfolgt <strong>der</strong> Zugang für den<br />

Benutzer über eine intuitiv handhabbare, spielerisch gestaltete<br />

Oberfläche. Der Rahmen: Ein allgemeiner Programmteil<br />

zum Thema Biodiversität. Die Teile Artenvielfalt, ihre Dynamik<br />

und im Zusammenhang damit ethische Gesichtspunkte<br />

erscheinen auf <strong>der</strong> Grundlage des oben genannten didaktischen<br />

Konzeptes. Beachtung findet sowohl die lokale Ebene,<br />

in diesem Fall Vorarlberg, <strong>als</strong> auch die globale Ebene.<br />

Von mehreren Stellen dieses allgemeinen Biodiversitätsteils<br />

gelangt man zu weiteren Modulen, die ein hohes Maß an<br />

Interaktion ermöglichen:<br />

Suche nach Information<br />

Eine SchülerIn interessiert sich beispielsweise für Frösche.<br />

Durch Eingabe des Begriffes „Frosch“ auf <strong>der</strong> Suchseite<br />

erhält sie <strong>als</strong> Suchergebnis alle Seiten, in denen <strong>der</strong> Begriff<br />

vorkommt sowie eine Auflistung <strong>der</strong> Arten, die „Frosch“ im<br />

deutschen Namen enthalten. Symbole weisen auf weitere<br />

Informationen hin – auf Texte, Fotos, Karten o<strong>der</strong> Videos.<br />

Ökologische Steckbriefe<br />

Durch einen Klick auf die gewünschte Art gelangt man zum<br />

ökologischen Steckbrief. Hier findet man Informationen zu<br />

ökologischen Beson<strong>der</strong>heiten, Gefährdung, Lebensraum<br />

usw. Ein Symbol führt zur Verbreitungskarte <strong>der</strong> Art. Rechts<br />

oben findet sich eine Liste <strong>der</strong> Lebensräume, in <strong>der</strong> die Art<br />

vorkommt.<br />

Beschreibung <strong>der</strong> Lebensräume<br />

Hier gibt es Informationen zu sämtlichen Lebensräumen im<br />

Bundesland Vorarlberg, geglie<strong>der</strong>t in Gewässer und Feuchtlebensräume,<br />

Wald, Gebirge, Grünland und Siedlungsraum.<br />

Wie schon bei den ökologischen Steckbriefen findet man<br />

auch hier neben den Textinformationen Fotos und Karten.<br />

Kartenmodul<br />

Neben den bereits erwähnten Karten zur Verbreitung <strong>der</strong><br />

Arten und Lebensräume führt ein eigener Eintrag in <strong>der</strong><br />

Navigationsleiste in das Kartenmodul, wo Luft- und Satellitenbil<strong>der</strong><br />

weitere Erkundungen ermöglichen.


Glossar<br />

In allen Texten erscheinen anklickbare Wörter o<strong>der</strong> Phrasen<br />

rot eingefärbt. Dabei handelt es sich um Fachbegriffe, die in<br />

einem Glossar erklärt werden.<br />

Bodensee-Quiz<br />

Wer sein ökologisches Wissen testen möchte, kann dies bei<br />

einer Tauchfahrt mit einem U-Boot durch den virtuellen<br />

Bodensee tun. Geschwindigkeit und Richtung können vom<br />

Benutzer gesteuert werden. Im See begegnet man Fischen<br />

und Wasserpflanzen, die beim Anklicken zu Quizfragen<br />

führen. Je nach gewähltem Schwierigkeitsgrad erhält man<br />

schwerere o<strong>der</strong> leichtere Fragen. Für jede richtige Antwort<br />

leuchten Lämpchen auf. Ziel ist es, aus den vier Bereichen<br />

des Sees „Ufer“, „Tiefsee“, „Frei-Wasser“ und „Wasseroberfläche“<br />

möglichst viele Fragen zu beantworten. F<strong>als</strong>che Antworten<br />

führen zu einem Punkteabzug. Am Ende des Spiels<br />

ermöglicht eine Highscore-Liste den Vergleich mit an<strong>der</strong>en<br />

Benutzern.<br />

Vernetzung <strong>der</strong> Programmteile<br />

In <strong>der</strong> TREBIS-Software kann man je<strong>der</strong>zeit zwischen den<br />

Modulen wechseln. Wer zum Beispiel eine Quizfrage nicht<br />

weiß, kann Informationen im Lebensraum- o<strong>der</strong> Steckbriefteil<br />

suchen und dann wie<strong>der</strong> weiter spielen.<br />

Multimediales Lernen im Naturkundemuseum Dornbirn / 121<br />

Projektablauf<br />

1000 Schüler im Alter zwischen 10 und 18 Jahren sowie<br />

200 Tagesbesucher werden eingeladen, die vorbereiteten<br />

Fragebögen nach Ansicht des Computerprogramms zu bearbeiten.<br />

Die Schülerinnen und Schüler, <strong>der</strong>en Fragebögen bereits<br />

ausgewertet wurden, bewerteten das TREBIS-Programm<br />

fast ausnahmslos sehr positiv. Sie stimmten Aussagen auf<br />

dem Fragebogen wie z. B. „das Computerprogramm ist<br />

attraktiv gestaltet“ o<strong>der</strong> „die Tätigkeit hat mir Spaß<br />

gemacht“ – zumeist vollkommen zu. Eine 15-jährige Schülerin:<br />

„Besser <strong>als</strong> Führungen, bei denen <strong>der</strong> gelernte Text<br />

einfach heruntergeredet wird. Mehr Informationsmöglichkeit!“<br />

Beson<strong>der</strong>s beliebt ist das dreidimensional gestaltete<br />

Bodenseequiz, bei dem die Schülerinnen und Schüler mit<br />

einem virtuellen U-Boot die biologische Vielfalt des Bodensees<br />

erkunden. Sie navigieren das Tauchboot an Tiere o<strong>der</strong><br />

Pflanzen heran und beantworten die dann erscheinenden<br />

Fragen zur Biodiversität.<br />

Die Benutzung <strong>der</strong> Software machte den Schülerinnen und<br />

Schülern nicht nur Spaß, sie lernten auch einiges dabei. Auf<br />

die Frage „Wie hoch ist die weltweit wissenschaftlich<br />

beschriebene Artenzahl – 1,75 Tausend, 1,75 Millionen, 1,75<br />

Milliarden o<strong>der</strong> 1,75 Billionen?“ kreuzte im Vortest nur jede<br />

fünfte Testperson die richtige Antwort (1,75 Millionen) an.<br />

Nach <strong>der</strong> Lernphase mit dem TREBIS-Programm war es<br />

bereits jede zweite.<br />

Die statistische Auswertung <strong>der</strong> erhobenen Daten erlaubt<br />

Schlüsse über die Effektivität des multimedialen Systems. Es<br />

wird analysiert, welche Ziele in <strong>der</strong> Vermittlung von Biodi-


122<br />

/ Multimediales Lernen im Naturkundemuseum Dornbirn<br />

versität erreicht wurden und welche Programmteile noch<br />

angepasst werden müssen. Ziel ist, das Informationssystem<br />

anschließend dauerhaft im Naturkundemuseum einzurichten.<br />

Mittelfristig beabsichtigen die Projektpartner, die Software<br />

<strong>als</strong> Basis für die Vernetzung von Naturkundemuseen im<br />

deutschsprachigen Raum zu verwenden, um so das Thema<br />

Biodiversität auch über Landesgrenzen hinweg <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

näher zu bringen.<br />

Der Projekttitel „TREBIS“ steht für „Trial and Evaluation of a<br />

Biodiversity Information System for public use in a natural<br />

history museum“. Das Projekt wird im Rahmen des fünften<br />

Forschungsprogramms <strong>der</strong> Europäischen Union unter dem<br />

Handlungsschwerpunkt III.1. „Interaktives Publizieren, digitale<br />

Inhalte und kulturelles Erbe“ durchgeführt.<br />

Mag. Paul Schreilechner<br />

gründete nach dem Botanik- und Geographie-Studium die<br />

Firma Biogis Consulting Softwareentwicklungs- und Handels-GesmbH.<br />

Dort ist er <strong>als</strong> geschäftsführen<strong>der</strong> Gesellschafter<br />

tätig. Er ist Universitätslektor am Institut für<br />

Botanik <strong>der</strong> Universität Salzburg und am ZGIS - Zentrum<br />

für Geographische Informationsverarbeitung Salzburg.<br />

Prof. Dr. Ute Harms<br />

leitet die Didaktik <strong>der</strong> Biologie an <strong>der</strong> Ludwig-Maximilians-Universität<br />

in München. Schwerpunkte ihrer wissenschaftlichen<br />

Arbeit sind: Biotechnik <strong>als</strong> Themen für den<br />

Biologieunterricht, interdisziplinäres und kumulatives Lernen<br />

im Biologieunterricht, Interessenför<strong>der</strong>ung an molekularbiologischen<br />

Themen, Einsatz neuer Medien im Museum<br />

und in <strong>der</strong> Schule.<br />

Dipl.-Biol. Angela Krombass<br />

arbeitet <strong>als</strong> wissenschaftliche Mitarbeiterin an <strong>der</strong> Didaktik<br />

<strong>der</strong> Biologie <strong>der</strong> Ludwig-Maximilians-Universität München.<br />

In ihrer Dissertation untersucht sie, wie neue Medien<br />

Interesse und Verständnis für Biodiversität för<strong>der</strong>n können.<br />

Dipl.-Biol. Jonathan Jeschke<br />

untersuchte am Lehrstuhl für Ökologie <strong>der</strong> Ludwig-Maximilians-Universität<br />

München Räuber-Beute-Beziehungen.<br />

Datenbanken zur Artenvielfalt sind ein Bestandteil des<br />

TREBIS-Projekts, an dem er beteiligt ist.<br />

Dr. Detlef Urhahne<br />

forscht über neue Medien, Lernmotivation und Wissensentwicklung.<br />

Der Betriebswirtschaftler und Psychologe<br />

arbeitet <strong>als</strong> wissenschaftlicher Assistent in die Didaktik <strong>der</strong><br />

Biologie <strong>der</strong> Universität München.


Wilfried Stichmann<br />

Kann die Arche Noah eine Lösung sein?<br />

Gefährdung und Bewahrung <strong>der</strong> genetischen Vielfalt im Wald<br />

Ein Paar von je<strong>der</strong> Art ist nicht genug<br />

Die uralte Idee ist faszinierend und trügerisch zugleich:<br />

Wann und wo immer Lebensraum und Lebensgrundlagen<br />

einer Tier- o<strong>der</strong> Pflanzenart schwinden und diese auszusterben<br />

droht, hole man ein Pärchen ins rettende Boot, in die<br />

Arche Noah, um sie nach Abklingen <strong>der</strong> Gefahr wie<strong>der</strong> an<br />

Land auszusetzen. Tatsächlich sorgen heute Zoologische<br />

und Botanische Gärten dafür, dass zumindest einige <strong>der</strong><br />

vom Aussterben bedrohten Tiere und Pflanzen <strong>der</strong> Nachwelt<br />

erhalten bleiben. Das darf jedoch nicht zu <strong>der</strong> Annahme verleiten,<br />

künftig auf Schutzgebiete und Artenschutz im natürlichen<br />

Lebensraum verzichten zu können.<br />

Der 1992 auf <strong>der</strong> Konferenz von Rio formulierte Auftrag an<br />

alle Län<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erde, die biologische Vielfalt zu erhalten,<br />

wird durch die Sicherung des Überlebens einzelner Individuen<br />

nicht erfüllt. Er zielt auf die Bewahrung <strong>der</strong> Arten in ihrer<br />

genetischen Vielfalt ab. Das Erbgut eines Lebewesens stellt<br />

nur einen winzigen Ausschnitt aus dem <strong>gesamten</strong> Genpool<br />

einer Art dar. Der kommt in <strong>der</strong> Verschiedenheit <strong>der</strong> Erscheinungsbil<strong>der</strong><br />

und physiologischen Leistungen von Individuen<br />

ein und <strong>der</strong>selben Art zum Ausdruck. So wie kaum ein<br />

Mensch einem an<strong>der</strong>en, so gleicht auch kaum eine Rotbuche<br />

einer an<strong>der</strong>en. Erst die Summe <strong>der</strong> Genotypen 1) macht<br />

die Art aus, die es zu erhalten gilt.<br />

In <strong>der</strong> genetischen Vielfalt findet die Selektion das Material<br />

für die Anpassungsprozesse, die Evolution die Vorausset-<br />

zung für weitere Entwicklungen. Selbst unter natürlichen<br />

Verhältnissen können sich Lebensbedingungen extrem<br />

än<strong>der</strong>n. Noch wichtiger wird genetische Vielfalt angesichts<br />

gravieren<strong>der</strong> Umweltbelastungen durch den Menschen, bis<br />

hin zur anthropogenen Verän<strong>der</strong>ung des Klimas. Sie erhöht<br />

zumindest die Chance, dass sich in ihr überlebensfähige<br />

Typen finden – darunter auch solche, die den künftigen<br />

Nutzungsinteressen des Menschen entgegenkommen. Die<br />

auf <strong>der</strong> genetischen Vielfalt basierende Anpassungsfähigkeit<br />

ist Voraussetzung für Angepasstheit, sodass eine Population<br />

unter den gegebenen Umweltbedingungen überleben<br />

und sich reproduzieren kann.<br />

Isolation und keimungsunfähiger Samen können<br />

zum Verhängnis werden<br />

Bei allen Baumarten, selbst bei weit verbreiteten, ist auf die<br />

Erhaltung <strong>der</strong> genetischen Vielfalt zu achten. Die früher fast<br />

ganz Mitteleuropa bedeckenden Rotbuchenwäl<strong>der</strong> sind auf<br />

7 % <strong>der</strong> Fläche <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland zurückgedrängt<br />

worden, zum Teil inselartig vereinzelt. Noch isolierter<br />

wachsen Neben- o<strong>der</strong> Mischbaumarten wie Eschen,<br />

Berg- o<strong>der</strong> Flatterulmen und ausgesprochene Seltenheiten<br />

wie wildwachsende Eiben, die Elsbeere o<strong>der</strong> Wildobstarten.<br />

Ihr Flächenanteil liegt unter einem Prozent. Die Seltenheit<br />

o<strong>der</strong> die Verinselung mancher Baumarten ist oft auf <strong>der</strong>en<br />

Verdrängung zugunsten an<strong>der</strong>er Arten (z. B. Eiche, Fichte,<br />

Kiefer, Douglasie) zurückzuführen.


124<br />

/ Kann die Arche Noah eine Lösung sein?<br />

Anlass, sich stärker um die Erhaltung <strong>der</strong> genetischen Vielfalt<br />

zu bemühen, waren jedoch weniger die Isolation und<br />

die Seltenheit mancher Baumarten <strong>als</strong> vielmehr die Sorge,<br />

dass in Mitteleuropa ganze Waldbestände für die Fortpflanzung<br />

ausfallen o<strong>der</strong> zumindest Teile <strong>der</strong> Population keine<br />

keimfähigen Samen mehr hervorbringen werden:<br />

• Die Verinselung <strong>der</strong> Bestände einzelner Baumarten – vor<br />

allem durch Rodung für die Landwirtschaft, für Siedlung,<br />

Gewerbe und Industrie sowie für den Verkehr –<br />

führt leicht zu einer Vermin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> genetischen<br />

Vielfalt, weil <strong>der</strong> genetische Austausch, <strong>der</strong> Genfluss,<br />

stark o<strong>der</strong> gar völlig unterbrochen ist. Die Folgen wären<br />

noch fataler, wenn nicht die meisten Waldbäume Windblütler<br />

wären.<br />

• Ein Drittel aller über 60-jährigen Waldbestände Mitteleuropas<br />

ist seit Jahren erheblich immissionsgeschädigt.<br />

Auf versauerten, schwermetallbelasteten Böden kommt<br />

<strong>der</strong> Jungwuchs über das Keimlingsstadium meist nicht<br />

hinaus. Es sind daher Auswirkungen auf die genetische<br />

Struktur von Populationen zu erwarten<br />

- durch die unterschiedliche Überlebenswahrscheinlichkeit<br />

<strong>der</strong> geschädigten Individuen (Vitalitätsselektion)<br />

und<br />

- durch Beeinträchtigung <strong>der</strong> Blütenbildung, Befruchtung<br />

und Keimung (Fertilitätsselektion).<br />

Auf die Herkunft des Saatgutes kommt es an<br />

Lokal angepasste Populationen heimischer Baumarten gingen<br />

zum Teil infolge <strong>der</strong> Übernutzung und Devastierung 2)<br />

<strong>der</strong> Wäl<strong>der</strong> im 18. und Anfang des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts verloren.<br />

Bei <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>aufforstung griff man aus Unkenntnis<br />

vielfach auf Saatgut beliebiger, zum Teil völlig ungeeigneter<br />

Herkünfte zurück. So verpflanzte man Vermehrungsgut aus<br />

Hochlagen in die Nie<strong>der</strong>ungen, aus kontinentalen in atlantische<br />

Bereiche, von tiefgründigen auf flachgründige Standorte.<br />

Dadurch konnte es auch zur Vermischung des Erbguts<br />

natürlicherweise von einan<strong>der</strong> getrennter Populationen und<br />

damit zu einer künstlichen Zunahme <strong>der</strong> genetischen Vielfalt<br />

kommen. Allerdings war die Chance einer allmählichen<br />

Anpassung an die Bedingungen des neuen Standorts durch<br />

natürliche Selektion stark eingeschränkt. Der Frage nach<br />

Herkunft, <strong>der</strong> Provenienz, des Saatguts wurde bis in das<br />

20. Jahrhun<strong>der</strong>t hinein oft nicht die nötige Beachtung<br />

geschenkt. Erst in den letzten Jahrzehnten wird man sich<br />

fast überall des Wertes autochthoner, standortangepasster<br />

Waldbestände und <strong>der</strong>en genetischer Vielfalt bewusst.<br />

Fast in allen Bundeslän<strong>der</strong>n Deutschlands widmen sich<br />

Institute <strong>der</strong> Sicherung forstlicher Genressourcen. In <strong>der</strong><br />

Praxis haben vor allem die In-situ-Maßnahmen 3) Bedeutung<br />

erlangt. So bemüht man sich um die Erhaltung von Beständen,<br />

die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Naturverjüngung und die Aufstockung<br />

kleinster Vorkommen. Konkurrenzschwache<br />

Baumarten werden gezielt geför<strong>der</strong>t. In vielen Bundeslän<strong>der</strong>n<br />

werden darüber hinaus Samenplantagen angelegt und<br />

Saatgut eingelagert. Um die genetische Vielfalt zu erhalten,<br />

muss das Saatgut pro zugelassenem Erntebestand von mindestens<br />

20 Bäumen gewonnen werden. Außerdem dürfen<br />

nicht immer wie<strong>der</strong> dieselben Bäume und nicht stets<br />

schwachwüchsige Exemplare ausgewählt werden, <strong>der</strong>en<br />

Saatgut am leichtesten zu ernten wäre.<br />

Kellerraum zur Lagerung des Saatgutes von kleinsamigen Nadelhölzern<br />

Die Möglichkeit einer langfristigen Konservierung von Saatgut,<br />

Knospen und Geweben sowie <strong>der</strong> Vermehrung mit<br />

Gewebekulturtechniken sind <strong>der</strong>zeit Gegenstand zahlreicher<br />

Forschungsprojekte.<br />

Gestaltung des Unterrichtsverlaufs<br />

Die Schüler zum Nachdenken anregen<br />

Das Phänomen des Waldsterbens sorgte vor zwanzig Jahren<br />

für engagierte Diskussionen. Heute ist das Thema fast völlig<br />

aus den Schlagzeilen verschwunden. Allenfalls <strong>der</strong> jährliche<br />

Bericht des Bundesamts für Verbraucherschutz, Ernährung<br />

und Landwirtschaft (BVLE) über den Zustand des Waldes<br />

rückt den nahezu ungebremsten Schwund gesun<strong>der</strong> Waldbäume<br />

und -flächen ins Bewusstsein <strong>der</strong> Öffentlichkeit.<br />

Langfristig bedeutet diese Entwicklung eine Gefahr für die<br />

genetische Vielfalt <strong>der</strong> heimischen Waldbaumarten. Die vorliegende<br />

Unterrichtsanregung will den SchülerInnen diese<br />

Probleme bewusst machen und gleichzeitig zum Nachdenken<br />

über Lösungen auffor<strong>der</strong>n.


Kein Baum ist wie <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e!<br />

1. Unterrichtsabschnitt<br />

Bei einem Unterrichtsgang in einen Wald lernen die SchülerInnen<br />

den Unterschied zwischen künstlicher Verjüngung<br />

durch Aussaat o<strong>der</strong> Pflanzung und einer Naturverjüngung<br />

kennen. In einem älteren Waldbestand – am besten mit Rotbuchen<br />

o<strong>der</strong> Eichen – werden sie aufgefor<strong>der</strong>t, verschiedene<br />

Exemplare einer Baumart auf individuelle Merkmale zu<br />

untersuchen, beispielsweise<br />

• Astfreiheit des Stammes o<strong>der</strong> tief ansetzen<strong>der</strong> Wipfel,<br />

• viele dünne Äste o<strong>der</strong> wenige kräftige,<br />

• an Borkenstrukturen („Chinesenbärte“) erkennbare, früh<br />

abgestorbene Äste,<br />

• frühe Aufteilung des Stammes in zwei Hauptäste<br />

(„Zwieselbildung“),<br />

• Gradschaftigkeit (gera<strong>der</strong> Stamm),<br />

• Drehwüchsigkeit und Krümmungen des Stammes.<br />

SchülerInnen notieren alle beobachteten Merkmale <strong>der</strong> Bäume<br />

und fertigen Skizzen an<br />

Indem sie die Merkmale stichwortartig notieren o<strong>der</strong> in<br />

Skizzen festhalten und danach vergleichen, wird den<br />

SchülerInnen bewusst, dass keine zwei Bäume einan<strong>der</strong> völlig<br />

gleichen. Über die genetische o<strong>der</strong> die adaptive 4) Basis<br />

<strong>der</strong> unterschiedlichen Merkmale bzw. Merkm<strong>als</strong>kombinationen<br />

ist hier keine Aussage möglich.<br />

Eine Arche Noah reicht nicht<br />

2. Unterrichtseinheit<br />

Ausgehend von <strong>der</strong> alttestamentlichen Geschichte von <strong>der</strong><br />

Arche Noah schlägt <strong>der</strong> Lehrer einen Bogen zu Rettungsversuchen<br />

für vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten:<br />

Reichen Aktivitäten in Zoos, Botanischen Gärten und<br />

Arboreten aus? Wie berechtigt ist die Sorge, dass immer<br />

Kann die Arche Noah eine Lösung sein? / 125<br />

mehr Tier- und Pflanzenarten aussterben? Sind weiterreichende<br />

Bemühungen um den Artenschutz überflüssig?<br />

Wozu for<strong>der</strong>n viele Menschen noch größere Schutzgebiete?<br />

Je nach Kenntnisstand <strong>der</strong> SchülerInnen führt das Unterrichtsgespräch<br />

bis zur Bedeutung eines möglichst hohen<br />

Heterozygotiegrads 5) innerhalb einer Population o<strong>der</strong> Art<br />

o<strong>der</strong> nur zur genetischen Vielfalt <strong>als</strong> Voraussetzung für die<br />

Anpassungsfähigkeit, ohne die das Überleben in einer sich<br />

wandelnden Umwelt sehr erschwert wird. Die SchülerInnen<br />

sollen erkennen, dass die Erhaltung <strong>der</strong> Biodiversität mehr<br />

ist <strong>als</strong> bloße Existenzsicherung für Individuen möglichst<br />

aller Tier- und Pflanzenarten; sie schließt die genetische<br />

Diversität mit ein, die nur in größeren Populationen und<br />

unter den Bedingungen ihres jeweiligen Lebensraumes dauerhaft<br />

zu sichern ist.<br />

Die genetische Vielfalt schrumpft<br />

3. Unterrichtsabschnitt<br />

Der Lehrer ruft ins Bewusstsein, dass es in Mitteleuropa keinen<br />

Quadratmeter Boden gibt, auf dem <strong>der</strong> Mensch nicht<br />

direkt o<strong>der</strong> indirekt seine Spuren hinterlässt, keine Tiero<strong>der</strong><br />

Pflanzenart, die er nicht bewusst o<strong>der</strong> unbewusst,<br />

direkt o<strong>der</strong> indirekt geför<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> behin<strong>der</strong>t hat. Es stellt<br />

sich die Frage, wie weit und wodurch <strong>der</strong> Mensch die genetische<br />

Vielfalt einzelner Baumarten beeinflusst.<br />

Diese Frage wird zunächst in Gruppen diskutiert. Argumente<br />

liefert Material 1 (siehe nächste Seite). Die Ergebnisse <strong>der</strong><br />

Diskussionen in den Kleingruppen werden geordnet und für<br />

ein Rollenspiel genutzt, in dem folgende Aspekte deutlich<br />

werden sollten:<br />

• Obwohl die meisten Waldbäume Windblütler sind,<br />

beeinträchtigt die Verinselung <strong>der</strong> Bestände den genetischen<br />

Austausch unter ihnen.<br />

• Hohe Schadstoffimmissionen verringern die Überlebenswahrscheinlichkeit<br />

<strong>der</strong> geschädigten Individuen und<br />

stören Blütenbildung, Befruchtung, Keimung und Jungwuchs.<br />

• Der Mensch för<strong>der</strong>t bewusst bestimmte Nutzbaumarten<br />

(z. B. Eiche, Fichte, Kiefer, Douglasie) und verdrängt<br />

dafür an<strong>der</strong>e.<br />

• Bei Wie<strong>der</strong>aufforstungen mit beliebigem, standortfremden<br />

Saatgut wird zwar die genetische Vielfalt erhöht,<br />

aber die Chance einer allmählichen Anpassung an die<br />

Gegebenheiten des neuen Standorts eingeschränkt.


126<br />

/ Kann die Arche Noah eine Lösung sein?<br />

Rettungsversuche haben begonnen<br />

4. Unterrichtsabschnitt<br />

Bei <strong>der</strong> Auflistung <strong>der</strong> Ursachen für die Gefährdung <strong>der</strong><br />

forstlichen Genressourcen kommen Überlegungen auf, wie<br />

diesen Gefahren zu begegnen ist. Material 2 informiert über<br />

die Methoden, die teilweise bereits in <strong>der</strong> Praxis, teilweise<br />

erst in Forschungsinstitutionen angewandt werden. Die<br />

SchülerInnen erhalten Zeit, um diese Informationen auf die<br />

im Material 1 beschriebenen Fälle anzuwenden.<br />

Im Labor entwickeln sich auf einem Nährmedium aus Knospengewebe<br />

neue Pflänzchen<br />

Nachdem die Gruppenergebnisse im Klassenverband vorgestellt<br />

und diskutiert worden sind, ergänzt <strong>der</strong> Lehrer, dass<br />

etwa seit 1900 Methoden <strong>der</strong> landwirtschaftlichen Pflanzenzüchtung<br />

auch auf Waldbäume angewendet werden.<br />

Zuchtziel sind Steigerung von Masse, Qualität und Wi<strong>der</strong>standskraft.<br />

Die SchülerInnen werden schnell das<br />

grundsätzliche Problem <strong>der</strong> Züchtung von Bäumen erkennen:<br />

Aufgrund <strong>der</strong> langen Lebensdauer und <strong>der</strong> Generationszeiträume<br />

kann das Ergebnis züchterischer Bemühungen<br />

erst spät beurteilt werden. Der Lehrer sollte darauf hinweisen,<br />

dass die Wartezeiten durch vegetative Vermehrung<br />

verkürzt werden können.<br />

Material 1<br />

Was gefährdet die genetische Vielfalt im Wald?<br />

Standpunkt eines Waldbesitzers:<br />

Auf den für den Ackerbau geeigneten Böden sind die<br />

ursprünglichen Buchenwäl<strong>der</strong> nahezu restlos verschwunden.<br />

Dafür gibt es an<strong>der</strong>swo noch größere Buchenwäl<strong>der</strong>,<br />

weit verstreut in den verschiedensten Landschaften. Immerhin<br />

wachsen Buchen noch auf 7 % <strong>der</strong> Gesamtfläche <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik. Bei einer so weit verbreiteten Baumart<br />

kann doch von einer Gefährdung <strong>der</strong> genetischen Vielfalt<br />

keine Rede sein.<br />

Meinung eines Waldbesuchers:<br />

Offensichtlich nimmt die Anzahl <strong>der</strong> Fichten zu, die durch<br />

die Schadstoffbelastung <strong>der</strong> Luft und des Bodens kränkeln<br />

und absterben. Die übrigen Fichten tragen mehr Zapfen <strong>als</strong><br />

früher. Dafür keimen die zu Boden fallenden Samen vielerorts<br />

nicht mehr aus. An einigen Stellen aber stehen die Fichtensämlinge<br />

weiterhin ganz dicht bei einan<strong>der</strong>, „so dicht<br />

wie die Haare auf dem Hund“. Warum pflanzt man die Jungpflanzen<br />

nicht einfach dort aus, wo keine Saat auskeimt?<br />

Dann wäre <strong>der</strong> Schaden schon behoben.<br />

Hinweis eines Naturschützers:<br />

In großen Rotbuchenbeständen mit Naturverjüngung entdeckt<br />

man anfangs auch einzelne kleine Eschen und Ahornbäumchen.<br />

Doch die werden nicht groß. Viele werden von<br />

den Buchen überwachsen, beschattet und verdrängt. Auch<br />

diejenigen, die schneller waren <strong>als</strong> die Rotbuchen, haben<br />

keine Chance. Sie wurden von den vielen Rehen gefressen,<br />

die gern von dem naschen, was nicht Alltagskost ist. Ähnlich<br />

ergeht es einzelnen kleinen Tannen in großen Fichtenwäl<strong>der</strong>n.<br />

Die Buchen und Fichten schließen dann mühelos<br />

die entstandenen Lücken.<br />

Erklärung des Waldbesitzers:<br />

Früher hatte je<strong>der</strong> Waldbesitzer einen eigenen kleinen<br />

Forstgarten, in dem er junge Bäume anzog. Das Saatgut<br />

wurde im eigenen Wald gesammelt. Heute ist das zu<br />

arbeitsaufwändig; und Arbeit kostet Geld! Forstbaumschulen<br />

liefern das gewünschte Pflanzenmaterial billiger.<br />

Sorge eines Försters:<br />

In vielen industrie- und stadtnahen alten Buchenwäl<strong>der</strong>n<br />

findet praktisch keine Naturverjüngung statt, auch wenn<br />

einzelne Bäume absterben o<strong>der</strong> abgeholzt werden, sodass<br />

genügend Licht den Waldboden erreicht. Teils infolge <strong>der</strong>


Bodenversauerung, teils infolge <strong>der</strong> Bodenverdichtung<br />

durch die Tritte allzu vieler Waldbesucher bleiben die Keimlinge<br />

aus. Möglicherweise sind auch die Bucheckern <strong>der</strong><br />

alten Buchen nicht mehr keimfähig. Jedenfalls wird man<br />

früher o<strong>der</strong> später mit an<strong>der</strong>en Jungpflanzen wie<strong>der</strong> aufforsten<br />

müssen.<br />

Befürchtung des Naturschützers:<br />

Eibenholz war in früheren Jahrhun<strong>der</strong>ten wegen seiner<br />

Härte für Kriegsmaterial, nämlich für Bögen und Armbrüste,<br />

und für Gegenstände des täglichen Gebrauchs sehr begehrt.<br />

Eiben sind deshalb sehr selten geworden. Das gilt auch für<br />

die heute nicht mehr genutzten Wildapfel- und Wildbirnenbäume.<br />

Die Elsbeere wurde durch konkurrenzkräftigere,<br />

Schatten werfende Bäume aus vielen Wäl<strong>der</strong>n verdrängt.<br />

Die meisten Ulmen fielen einer Krankheit zum Opfer. Zwar<br />

blieben weit verstreut einige wenige Exemplare aller dieser<br />

Arten erhalten. Das dürfte aber für die Zukunft kaum reichen.<br />

Beobachtung des Waldbesuchers:<br />

Es kann eigentlich nicht schwer sein, im Wald genügend<br />

Saatgut zu sammeln, um damit geschädigte Bestände wie<strong>der</strong><br />

aufzubauen. Manche Fichten hängen so voller Zapfen,<br />

dass man allein durch das Pflücken <strong>der</strong> Zapfen eines einzigen<br />

Baumes schon genug Saat einbringen könnte. Ähnliches<br />

gilt für Eichen: Sammler brauchen nicht weit zu laufen,<br />

son<strong>der</strong>n nur die Eicheln unter einigen Bäumen aufsammeln,<br />

die reichlich Frucht tragen.<br />

Kritische Bemerkung des Försters:<br />

Auf die Herkunft des Saatguts hat man in diesem Waldrevier<br />

lange Zeit nicht beson<strong>der</strong>s geachtet und manchmal<br />

sogar Billigware unbekannter Herkunft gekauft. Beson<strong>der</strong>s<br />

billiges Saatgut stammt häufig aus Niedriglohn-Län<strong>der</strong>n<br />

Ost- und Südosteuropas. Die heranwachsenden Bäume sind<br />

oft nicht an unsere Witterungsbedingungen und Schadinsekten<br />

angepasst. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht sind<br />

diese Baumbestände teilweise min<strong>der</strong>wertig. Außerdem stehen<br />

sie jetzt im Verdacht, dass sie durch Pollenflug und<br />

damit Bastardisierung auch benachbarte Wäl<strong>der</strong> genetisch<br />

verän<strong>der</strong>n.<br />

Aufgabe<br />

Überlegt, ob und wodurch auf die genetische Vielfalt Einfluss<br />

genommen wird und wie man einer Gefährdung <strong>der</strong><br />

genetischen Vielfalt begegnen kann. Notiert eure Ergebnisse<br />

und versucht sie zu ordnen.<br />

Material 2<br />

Kann die Arche Noah eine Lösung sein? / 127<br />

Bäume für die Samenbank – Sicherung <strong>der</strong> Gen-<br />

Ressourcen heimischer Waldbäume<br />

Er sieht aus wie ein Robin Hood des 21. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Unter<br />

dem Arm trägt er eine Art Armbrust. Martin Ebel ist ein<br />

staatlich angestellter Jäger <strong>der</strong> fast verlorenen Schätze. Die<br />

Objekte seiner Begierde hängen oben in den Kronen <strong>der</strong><br />

Bäume: Reiser, Zweige seltener Bäume. Mit <strong>der</strong> Armbrust<br />

schießt Ebel eine angeseilte Säge über einen Ast. Dann ziehen<br />

er und seine Kollegin so lange abwechselnd an den Seilen,<br />

bis <strong>der</strong> Ast durchtrennt ist und zu Boden fällt. Nun können<br />

die Forstleute die Baumreiser abschneiden, zu Bündeln<br />

zusammenschnüren und für den Transport in wassergetränkte<br />

Tücher packen. In einer Plantage werden die Reiser<br />

auf Baumunterlagen aufgepfropft. Die Bäumchen wachsen<br />

schnell heran und tragen mit ihren Samen zum Erhalt seltener<br />

Arten und speziell an regionale Bedingungen angepasste<br />

Bäume bei. Denn Bäume einer Art unterscheiden sich<br />

– je nach dem, ob sie z.B. vom Nie<strong>der</strong>rhein, aus dem Harz<br />

o<strong>der</strong> aus dem Hochsauerland kommen. In Baumplantagen<br />

und Samenbanken wird ihr Erbgut konserviert.<br />

Zapfenpflücker beim Beernten in einer Fichtenkrone<br />

Voraussetzung für alle Maßnahmen zum Erhalt <strong>der</strong> genetischen<br />

Vielfalt von Waldbäumen ist eine gute Kenntnis <strong>der</strong><br />

Verbreitung und Einzelvorkommen aller Arten, vor allem<br />

auch <strong>der</strong> seltenen. Als beson<strong>der</strong>s erhaltungswürdig gelten<br />

im Gebiet ursprünglich und bis heute heimische (autochthone)<br />

Bäume und Waldbestände, weil sie den ökologischen<br />

Bedingungen ihres Standorts optimal angepasst sind.<br />

Außerdem kann ein Bestand erhaltungswürdig sein, weil er<br />

an Extremstandorten innerhalb des Gesamtverbreitungsgebiets<br />

wächst. Erhaltungswürdig sind aber auch Bestände<br />

nicht heimischer Baumarten, wenn sie sich <strong>als</strong> anpassungsfähig<br />

o<strong>der</strong> <strong>als</strong> gut angepasst erwiesen haben.


128<br />

/ Kann die Arche Noah eine Lösung sein?<br />

Zur Sicherung <strong>der</strong> Gen-Ressourcen kommen in Betracht:<br />

A. In-situ-Maßnahmen (an Ort und Stelle)<br />

wie die Erhaltung ausreichend großer Bestände<br />

1. Durch Naturverjüngung; wie im Urwald entwickeln sich<br />

die nachwachsenden Bäume aus dem Saatgut des vorhandenen<br />

Bestandes. Dies gelingt am besten, je mehr<br />

die örtlichen Standortverhältnisse den Ansprüchen <strong>der</strong><br />

jeweiligen Baumarten entsprechen. Voraussetzungen<br />

sind: genügend Licht am Waldboden, keine hemmende<br />

Bodenvegetation und nicht zu viel Wild. Naturverjüngung<br />

im Dauerwald schützt den Waldboden und entlastet<br />

die Kasse, weil „Kulturkosten“ entfallen.<br />

2. Durch Saat und Pflanzung von Vermehrungsgut, das aus<br />

lokalen Beständen gewonnen wurde.<br />

B. Ex-situ-Maßnahmen<br />

(außerhalb <strong>der</strong> natürlichen Lage)<br />

1. Unter Bedingungen eines natürlichen Standorts:<br />

• Saat und Pflanzung von Vermehrungsgut belasteter<br />

Standorte auf ähnlichen, aber unbelasteten Standorten<br />

mit dem Ziel, die Pflanzen nach Besserung <strong>der</strong> Umweltsituation<br />

an den alten Standort zurückzubringen.<br />

• Anlage von Samenplantagen aus Sämlingen, Steckreisern<br />

o<strong>der</strong> Pfropflingen seltener o<strong>der</strong> gefährdeter Arten<br />

o<strong>der</strong> Bestände mit dem Ziel, später Samen und Jungpflanzen<br />

in die Herkunftsgebiete zurückzubringen o<strong>der</strong><br />

isolierte Vorkommen zu Bestäubungseinheiten zu verbinden.<br />

2. Unter den künstlichen Bedingungen einer Samenbank:<br />

• Sammeln und Einlagern von Saatgut, um es unter<br />

schadstofffreien Bedingungen zu konservieren und es zu<br />

gegebener Zeit zur Aussaat o<strong>der</strong> Aufforstung zu verwenden,<br />

Anzucht von Sämlingen und Stecklingen im Schutz des Gewächshauses<br />

• Einlagern von Steck- und Pfropfreisern,<br />

• Einlagern von Knospen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en pflanzlichen<br />

Geweben für eine spätere Vermehrung mit Gewebekulturtechniken.<br />

Alle Waldbesitzer können bei <strong>der</strong> zuständigen Bezirksregierung<br />

einen Antrag auf Zulassung ihrer Bestände zur Ernte<br />

von Vermehrungsgut stellen. Für die Zulassung und Registrierung<br />

im amtlichen Erntezulassungsregister müssen die<br />

Bestände bestimmte Kriterien erfüllen. Einige sind in Tab. 1<br />

aufgelistet.<br />

Art Wichtige Merkmale Mindestfläche Mindestalter<br />

_________________________________________________________________<br />

Traubeneiche Holzgüte, Gradschaftigkeit,<br />

wenig Wasserreiser 1,0 ha 70 Jahre<br />

_________________________________________________________________<br />

Stieleiche wenig Zwiesel 0,5 ha 70 Jahre<br />

_________________________________________________________________<br />

Rotbuche Wipfelschäftigkeit, Feinastigkeit,<br />

kein Drehwuchs 2,5 ha 70 Jahre<br />

_________________________________________________________________<br />

Bergahorn Gradschaftigkeit, wenig Steiläste 0,25 ha 50 Jahre<br />

_________________________________________________________________<br />

Esche Gradschaftigkeit, Astreinheit,<br />

kein Drehwuchs o<strong>der</strong> Krebsbefall,<br />

wenig Zwiesel 0,25 ha 50 Jahre<br />

_________________________________________________________________<br />

Fichte Massenleistung, Resistenz 2,5 ha 60 Jahre<br />

_________________________________________________________________<br />

Kiefer Gradschaftigkeit,<br />

Wipfelschäftigkeit,<br />

Feinastigkeit, Holzgüte 2,5 ha 60 Jahre<br />

Tab. 1: Anfor<strong>der</strong>ungen an Waldbestände für die Zulassung von ausgewähltem<br />

Vermehrungsgut (Auswahl)<br />

Beim Pflücken von Zapfen und Sammeln <strong>der</strong> Samen – z.B.<br />

Eicheln und Bucheckern – helfen oft auch Jugendliche. Im<br />

Jahr 2000 wurden in den Samen- und Genbanken <strong>der</strong> Bundeslän<strong>der</strong><br />

insgesamt etwa 30 t eingelagert. Die Lebensdauer<br />

<strong>der</strong> Samen ist von Art zu Art unterschiedlich. Trockene,<br />

hartschalige Samen haben die längste Lagerdauer. Zur Zeit<br />

sucht man nach Methoden, um das Saatgut so lange wie<br />

möglich zu konservieren und keimfähig zu erhalten (vgl.<br />

Tab. 2).<br />

Vor allem bei Nadelholz spielt die Saatgutaufbereitung eine<br />

wichtige Rolle. Sie findet in Klengen o<strong>der</strong> Darren statt. Dort<br />

werden beim Trocknen <strong>der</strong> Zapfen die Samen frei. Bei <strong>der</strong><br />

anschließenden Vorreinigung werden die Samen entflügelt.<br />

Danach wird das Saatgut nochm<strong>als</strong> gereinigt, indem Hohlkörner<br />

und leichte Verunreinigungen weggeblasen werden.<br />

Bucheckern werden nur getrocknet, in Folienbeuteln versie-


Schematische Darstellung<br />

des Klengvorganges<br />

in <strong>der</strong> Kleindarre<br />

Art Wassergehalt (%) Lagertemperatur (°C) Lagerdauer<br />

_______________________________________________________________<br />

Berg-/Spitzahorn 24-32 -3 bis -5 2-3<br />

Birken-Arten 1-3 +2 bis +4 3-6<br />

Douglasie 5 -10 > 10<br />

Eibe lufttrocken +1 bis +2 5-6<br />

Esche 10 -5 > 10<br />

Fichte < 5 < -5 > 30<br />

Lärchen-Arten < 5 < -10 > 20<br />

Linden-Arten 10 -5 etwa 5<br />

Rotbuche 8-10 -5 bis -10 5<br />

Schwarzpappel 7-8 -18 bis -20 > 5<br />

Schwarzerle < 5 -10 > 10<br />

Stiel-/Traubeneiche 40-45 -1 bis -3 max. 1<br />

Waldkiefer 4-7 -5 bis -15 > 10<br />

Weißtanne 7-9 -10 bis -15 3-6<br />

Tab. 2: Lagerfähigkeit forstlichen Saatguts<br />

gelt und dann bei –5°C gelagert. Die Baumarten mit großen<br />

Früchten – allen voran Stiel- und Traubeneiche, bereiten die<br />

größten Schwierigkeiten.<br />

Aufgabe 1:<br />

Sucht geeignete Hilfsmaßnahmen für die im Material 1<br />

beschriebenen Fälle.<br />

Aufgabe 2:<br />

Erkundigt euch, wo in eurer Nähe ein zugelassener Bestand<br />

für die Ernte von Vermehrungsgut liegt.<br />

Kann die Arche Noah eine Lösung sein? / 129<br />

1) Als Genotyp bezeichnet man die Gesamtheit <strong>der</strong> Erbanlagen eines Individuums.<br />

Die Summe <strong>der</strong> Genotypen einer Population von Organismen<br />

macht den Genpool aus.<br />

2) Zerstörung, Verwüstung<br />

3) Maßnahmen, die an Ort und Stelle durchgeführt werden.<br />

4) Adaptiv, d. h. angepasst, kann auch ein Merkmal durch nicht erbliche<br />

Reaktion auf die jeweiligen Umweltbedingungen sein.<br />

5) Der Heterozygotiegrad meint den Anteil <strong>der</strong> je Individuum vorkommenden<br />

Chromosomen mit ungleichen Allelen.<br />

Literatur<br />

Bundesforschungsanstalt f. Forst- und Holzwirtschaft (Hrsg.), 1986: Wald<br />

im Wandel. Mitteilungen Nr. 185, Hamburg<br />

Geburek, T.; Heinze, B. (Hrsg.), 1998: Erhaltung genetischer Ressourcen im<br />

Wald. Ecomed, Landberg<br />

Hessische Landesanstalt f. Forsteinrichtung, Waldforschung und Waldökologie<br />

(Hrsg.), 1997: Erfassung forstlicher Genressourcen. Forstliche<br />

Samenplantagen. Hann, Münden<br />

Lehnert, H.-J. 2000: (K)ein Miniwald im Klassenzimmer.<br />

In: UB 253, S. 14-19<br />

Nie<strong>der</strong>sächsisches Ministerium ELF (Hrsg.): Schriftenreihe Waldinformation.<br />

Heft 2: Forstliches Saat- und Pflanzgut, 1998. – Heft 8: Vielfalt<br />

bewahren, 1997<br />

Sächsische Landesanstalt f. Forsten (Hrsg.), 1994: Für Sachsens Wäl<strong>der</strong>.<br />

Planen – Forschen – Informieren. Pirna-Graupa<br />

Sächsische Landesanstalt f. Forsten (Hrsg.), 2000: Konzept zur Erhaltung<br />

und nachhaltigen Nutzung forstlicher Genressourcen in <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

Deutschland. Pirna-Graupa<br />

Quellennachweis<br />

Dieser Artikel ist erschienen in Unterricht Biologie<br />

„Pflanzen züchten und vermehren“ Heft 274, Mai 2002,<br />

Friedrich Verlag, Seelze<br />

Dr. Wilfried Stichmann<br />

Studium <strong>der</strong> Biologie, Geographie, Pädagogik und Philosophie<br />

an <strong>der</strong> Universität Münster. Professor für Biologie und<br />

Didaktik <strong>der</strong> Biologie an <strong>der</strong> Uni Dortmund, emeritiert.


130<br />

Jürgen Dahl<br />

Verteidigung des Fe<strong>der</strong>geistchens<br />

Das Fe<strong>der</strong>geistchen. Aus ihrer Winterstarre aufgestört, flattert<br />

die weiße Motte hoch, taumelt umher, lässt sich gleich<br />

wie<strong>der</strong> nie<strong>der</strong> – und scheint im selben Augenblick verschwunden.<br />

Sie ist aber nicht verschwunden, son<strong>der</strong>n hat<br />

nur ihre im Flug weiß schimmernden Flügel ganz schmal<br />

zusammengefaltet zu einem millimeterdünnen und jetzt<br />

bräunlichen Strich.<br />

Der Schmetterling, den man manchmal bei den ersten Frühjahrsarbeiten<br />

im Garten aufscheucht, gehört zur Familie <strong>der</strong><br />

Fe<strong>der</strong>motten und wurde zu einer Zeit, da man die Namen<br />

<strong>der</strong> Lebewesen gern noch etwas poetischer und anschaulicher<br />

wählte, Fe<strong>der</strong>geistchen genannt. Fe<strong>der</strong>geistchen deshalb,<br />

weil seine Hinterflügel tatsächlich fast wie Vogelfe<strong>der</strong>n<br />

gebaut sind: sie bestehen aus je drei schmalen Keulen,<br />

und diese sind von oben bis unten mit langen Haaren so<br />

besetzt wie <strong>der</strong> Schaft einer Vogelfe<strong>der</strong> mit Seitenästen.<br />

Man kann diese Hinterflügel nur ahnen, wenn man das<br />

Fe<strong>der</strong>geistchen flattern sieht, denn sobald es sich nie<strong>der</strong>lässt,<br />

verschwinden die Hinterflügel schier geisterhaft – nun<br />

nicht etwa, wie bei an<strong>der</strong>en Schmetterlingen, unter den<br />

Vor<strong>der</strong>flügeln, son<strong>der</strong>n regelrecht darin. Das heißt: Die<br />

(nicht mit Haaren besetzten, häutigen) Vor<strong>der</strong>flügel falten<br />

sich längs in <strong>der</strong> Mitte zusammen wie die Klappen einer<br />

Muschel und bergen in dieser schmalen Tasche die drei<br />

fe<strong>der</strong>igen Glie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Hinterflügel.<br />

Die Erscheinung ist ganz und gar einmalig bei den Schmetterlingen,<br />

<strong>der</strong> son<strong>der</strong>bare Mechanismus gehört allein dem<br />

Fe<strong>der</strong>geistchen. Seine Raupen leben auf <strong>der</strong> Ackerwinde,<br />

einem lästigen Feld- und Gartenunkraut. Das ausgeschlüpfte<br />

Fe<strong>der</strong>geistchen lebt von so gut wie nichts, überwintert im<br />

Verborgenen, legt im Frühsommer seine Eier an die Ackerwinde<br />

und stirbt dann. Die stoffliche und energetische<br />

Grundlage dieses Lebenszyklus wird fast ausschließlich von<br />

den Raupen besorgt.<br />

Im Sinne einer kybernetischen Ökologie erscheint das<br />

Fe<strong>der</strong>geistchen ganz unerheblich, es schlägt nicht groß zu<br />

Buche, genau genommen überhaupt nicht: Natürlich können<br />

die Raupen des Fe<strong>der</strong>geistchens von Vögeln gefressen<br />

werden – aber wenn es das Fe<strong>der</strong>geistchen nicht gäbe, würden<br />

die Vögel keineswegs verhungern. Und die Ackerwinde,<br />

<strong>der</strong>en unterirdische Rhizome ihr das Überleben sicher wird<br />

von den Raupen des Fe<strong>der</strong>geistchens, die sich von ihr<br />

nähren, nicht ernstlich in ihrer Ausbreitung gehemmt. Das<br />

heißt: für die rechnerische Ökologie ist das Fe<strong>der</strong>geistchen<br />

überflüssig bis dorthinaus.<br />

Das spricht aber nicht gegen das Fe<strong>der</strong>geistchen, son<strong>der</strong>n<br />

gegen eine Ökologie, die, kaum dass sie von den vielfältigen<br />

Verkettungen des Lebens ein bisschen begriffen hat, gleich<br />

glaubt, sie könne es in ein großes Programm vom Walten<br />

<strong>der</strong> Natur umsetzen. Sie versteift sich aufs Berechenbare,<br />

forscht mit großer Genauigkeit den Bruchstücken von Wissen<br />

über offenkundige und verborgene Abhängigkeiten<br />

nach, fertigt darüber Statistiken und systemanalytische<br />

Diagramme an, leitet aus diesen wie<strong>der</strong>um Handlungsvorschriften,<br />

Gebote und Verbote ab – und hat doch, so vernünftig<br />

das alles sein mag, für entscheidende wichtige<br />

Aspekte überhaupt keine Begriffe in ihrer kybernetischen<br />

Sprache.<br />

Wer weiß denn wirklich, ob nicht sogar das Fe<strong>der</strong>geistchen<br />

in irgendeiner noch ganz unbekannten Weise eine große<br />

Rolle im „System“ spielt, ob es <strong>als</strong>o wirklich so entbehrlich<br />

ist, wie es dem Rechner erscheinen muss?<br />

Und, wichtiger noch: Wo steckt denn in <strong>der</strong> ökologischen<br />

Kalkulation die Bewertung <strong>der</strong> ungeheuerlichen, aber „ökologisch<br />

irrelevanten“ Tatsache, dass das Fe<strong>der</strong>geistchen <strong>der</strong><br />

einzige Schmetterling ist, <strong>der</strong> seine wie Vogelfe<strong>der</strong>n gebauten<br />

Hinterflügel in <strong>der</strong> Klapptasche seiner mit Längsscharnieren<br />

versehenen Vor<strong>der</strong>flügel verstecken kann?


Es kommt nicht vor in <strong>der</strong> Kalkulation. Stürben die Fe<strong>der</strong>geistchen<br />

aus – die Ökologen würden es gar nicht merken,<br />

denn die Statistik würde davon kaum berührt und <strong>der</strong><br />

Naturhaushalt litte nicht darunter, – aber: die Erfindung <strong>der</strong><br />

fe<strong>der</strong>igen Hinterflügel in Verbindung mit den klappbaren<br />

Vor<strong>der</strong>flügeln wäre ein für allemal dahin.<br />

Eben diese Qualität <strong>der</strong> Einmaligkeit entzieht sich einer<br />

ökologischen und systemtheoretischen Bewertung, die nur<br />

das Funktionieren streng definierter Teilkreisläufe im Auge<br />

hat, fixiert bleibt auf das Verhältnis von Ursache und Wirkung,<br />

von Jäger und Beute. Da sie die Fe<strong>der</strong>geistchen aller<br />

Arten übersieht, wird auch diese ganze Ökologie schließlich<br />

nichts dagegen ausrichten, dass die Welt zum Warenhaus<br />

verkommt und, wie alle Warenhäuser, irgendwann einmal<br />

den Räumungs-Schlussverkauf annoncieren muss. Dafür,<br />

dass hier ungehobene Schätze vernichtet werden, unzählige<br />

Arten, die durch nichts an<strong>der</strong>es von Bedeutung sind <strong>als</strong><br />

durch ihre Einmaligkeit o<strong>der</strong> ihre Schönheit – dafür fehlen<br />

<strong>der</strong> Ökologie die Worte: So wenig sie einen Begriff für die<br />

Einmaligkeit hat, so wenig sie <strong>als</strong>o das Fe<strong>der</strong>geistchen wirklich<br />

zu schätzen vermag, so wenig weiß sie, was Schönheit<br />

ist.<br />

Quellenangabe:<br />

Dahl, Jürgen 1995: Der unbegreifliche Garten und seine<br />

Verwüstung. Über Ökologie und Ökologie hinaus.<br />

Klett-Cotta Stuttgart<br />

Verteidigung des Fe<strong>der</strong>geistchens / 131

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