Download der gesamten Publikation als pdf - Forum Umweltbildung
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Leben in Hülle und Fülle<br />
Vielfältige Wege zur Biodiversität
2<br />
/ Impressum<br />
Impressum<br />
Herausgeber: Umweltdachverband<br />
Verleger: FORUM <strong>Umweltbildung</strong><br />
Beide: Alser Straße 21/1, A-1080 Wien<br />
Tel.: 0043/(0)1/402 47 01, Fax: 0043/(0)1/402 47 05<br />
E-Mail: forum@umweltbildung.at<br />
Internet: www.umweltbildung.at<br />
Das FORUM <strong>Umweltbildung</strong> ist eine Initiative des Bundesministeriums<br />
für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und<br />
Wasserwirtschaft und des Bundesministeriums für Bildung,<br />
Wissenschaft und Kultur.<br />
Projektträger: Umweltdachverband<br />
Redaktion: Mag. Lucia Mackner-Rath, Franz Wimmer<br />
Layout: reiterer grafik<br />
Druck: radinger.print, A-3270 Scheibbs<br />
ISBN: 3-900717-52-4<br />
Wien, November 2002<br />
Coverfotos: Arche Noah: 2.v.li; Reinhard Golebiowsky:<br />
2.v.re. unten; Regina Kobler: 2.v.re. oben;<br />
Hermann Sonntag: 1.v.re, 3.v.li.; Peter Sziemer: 1.v.li.;<br />
Fotos: Arche Noah: S 45, 47, 49, 50; Brigitte Baier: S 66,<br />
67, 68, 69; Jörn Behrens, INKA e.V.: S77;<br />
Julia Birnbaum: S 16, 17, 19, 26, 61, 65; Astrid Blab: S 31,<br />
35, 36; Angelina Blaschke: S 88, 89 re. innen, 90;<br />
Rainer Blaschke: S 89 re. außen; Rainer Bussmann,<br />
INKA e.V.: S 75 oben; Maria Drescher: S 88 li. unten;<br />
Manfred Durchhalter/Martin Scheuch: 33, 101, 102, 103,<br />
104, 123; Barbara Dusek: S 59, 62, 63, 64;<br />
U. Fellenberg: S 125, 128; FORUM <strong>Umweltbildung</strong>: S 27;<br />
G. Geschwend, Biogis Consulting: S 119, 120, 121;<br />
Reinhard Golebiowsky: S 20, 97 re., 98, 99 li. unten, 131;<br />
Luise Kloos: S 94; Regina Kobler: S 13, 34, 55, 56, 57, 58,<br />
71, 72 re. oben, 73; Nikolaus Lackner: S 96 oben;<br />
Sigrun Lange, INKA e.V.: S 7, 76 re., 91, 92;<br />
Lehrerteam Dorfschule Triengen: S 41 oben;<br />
Lehrkarft Romandie: S 41 unten; Jürgen Mayer:S 72 li.;<br />
A. Meier-Dinkel: S 126; Katja Muchow, INKA e.V.: S 76 li.,<br />
78; Waltraud Niel: S 51, 52, 53; Hans Peter Reicher: S 93,<br />
95, 96 unten; Hans Schuster: S 81, 82, 85, 86;<br />
Hermann Sonntag, WWF Österreich: S 113, 114, 115, 116,<br />
117, 118; Staatliches Forstamt Nagold: S 124, 127, 129;<br />
Regina Steiner: S 15, 32, 37, 38;<br />
Monica Stieger-Kamber: S 40, 42; Peter Sziemer: S 97 li.;<br />
WWF Seewinkelhof: S 106, 108, 110;<br />
Klaus Peter Zulka: S 21, 22, 23;<br />
Gertrude Zulka-Schaller: S 99 li. u. re. oben, 100;<br />
www.eduhi.at/regenwald: 79, 80;
Inhalt<br />
5 Vorwort<br />
6 Einleitung<br />
7 VIELFALT<br />
11 BIODIVERSITÄT AUS VERSCHIEDENEN BLICKWINKELN<br />
13 Wertschätzung gefragt<br />
Biodiversität <strong>als</strong> Thema <strong>der</strong> <strong>Umweltbildung</strong><br />
Jürgen Mayer<br />
16 Das Bekenntnis zur Vielfalt ist im Kopf, o<strong>der</strong> es ist nirgendwo ...<br />
Martin Krejcarek<br />
20 Lebensraum-Fragmentation und Biodiversität<br />
Klaus Peter Zulka<br />
26 Biodiversität kommunizieren<br />
Wie kann man Menschen in Schutzgebieten vom Wert <strong>der</strong> Biodiversität überzeugen?<br />
Frits Hesselink<br />
29 BIODIVERSITÄT AUS DER PRAXIS<br />
31 Alles was kreucht und fleucht, krabbelt und wächst<br />
Biodiversität erleben<br />
Astrid Blab<br />
37 Kin<strong>der</strong> für die Natur begeistern<br />
Verena Singeisen-Schnei<strong>der</strong><br />
40 Vielfalt am Schulweg<br />
Petra Lindemann-Matthies<br />
45 „Von blauen Kartoffeln und gestreiften Tomaten“<br />
Eine Führung durch den Schaugarten <strong>der</strong> Arche Noah beim Schloss Schiltern<br />
Birgit Wanker<br />
51 Greisenhaar und Sonnentau<br />
Kin<strong>der</strong> erleben die Vielfalt im Botanischen Garten Wien<br />
Waltraud Niel<br />
55 Die Kräuterspirale<br />
Vielfalt mit allen Sinnen genießen<br />
Regina Kobler<br />
59 Der Umweltfuchs<br />
Das Forschungsmobil<br />
Barbara Dusek<br />
61 Mit Mikroskop und Becherlupe im Einkaufszentrum<br />
Biologische Vielfalt in Taxham bei <strong>der</strong> Scienceweek 2001<br />
Julia Birnbaum, Barbara Dusek<br />
Inhalt / 3
4<br />
/ Inhalt<br />
66 Nahrhafte Landschaft<br />
Erinnerungen an ein überaus fruchtbares Schulprojekt an <strong>der</strong> HLW für wirtschaftliche Berufe<br />
Brigitte Baier<br />
71 Von <strong>der</strong> Färberpflanze zur Pflanzenfarbe<br />
Ein Unterrichtsmodell für nachhaltige Nutzung <strong>der</strong> biologischen Vielfalt<br />
Jürgen Mayer<br />
75 „Come-back“ alter Nutzpflanzen in Schulgärten<br />
Deutsche und ecuadorianische Kin<strong>der</strong> för<strong>der</strong>n und erleben Vielfalt<br />
Katja Muchow<br />
79 Biodiversität in tropischen Regenwäl<strong>der</strong>n<br />
Michaela Pichler<br />
81 Biopiraterie – die neue Kolonialisierung?<br />
Ein Rollenspiel<br />
Hans Schuster<br />
88 Schützt den Regenwald – er geht uns alle an<br />
Regenwaldprojekt an <strong>der</strong> Haupt- und Re<strong>als</strong>chule Graz-Webling<br />
Angelina Blaschke<br />
91 Faszination Anden<br />
Eine Computer-Reise durch tropische Regenwäl<strong>der</strong><br />
Sigrun Lange<br />
93 bananenrot und himbeerblau<br />
Vom Keim <strong>der</strong> Fantasie zur Frucht <strong>der</strong> Erkenntnis<br />
Kurt Zernig<br />
97 Rettungsinseln – Inselrettung<br />
Vermittlung aktueller Naturschutzprobleme im Naturhistorischen Museum Wien<br />
Gertrude Zulka-Schaller<br />
101 „GEO-Tag <strong>der</strong> Artenvielfalt“ am Ökogymnasium Krems<br />
Biodiversität am Beispiel <strong>der</strong> Vegetation des Kremser Kuhberges<br />
Manfred Durchhalter, Martin Scheuch<br />
106 Die Vielfalt im Netz<br />
Von Fischen, Sümpfen und dem Wert <strong>der</strong> Wasserwelten<br />
Bernhard Kohler, Andreas Zahner<br />
113 Riverwatch<br />
Die Artenvielfalt des Lech hautnah erleben<br />
Hermann Sonntag<br />
119 Das EU-Projekt „Trebis“<br />
Multimediales Lernen im Naturkundemuseum Vorarlberg<br />
Paul Schreilechner, Angela Krombass, Detlef Urhahne, Jonathan Jeschke, Ute Harms<br />
123 Kann die Arche Noah eine Lösung sein?<br />
Gefährdung und Bewahrung <strong>der</strong> genetischen Vielfalt im Wald<br />
Wilfried Stichmann<br />
130 Verteidigung des Fe<strong>der</strong>geistchens<br />
Jürgen Dahl
Liebe Leserin, lieber Leser!<br />
Vielfalt in <strong>der</strong> Natur ist für uns selbstverständlich. Oft spüren wir sie kaum. Bewusst wird uns Vielfalt erst, wenn<br />
sie verschwindet: Wenn bunte Feldraine selten werden, wenn Bäche begradigt sind und Hecken gerodet.<br />
Das Bewusstsein für Vielfalt muss langsam wachsen – von Kindheit an. Dazu will diese Broschüre einen Beitrag<br />
leisten. Denn „Biodiversität“, <strong>als</strong>o die große Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten macht Spaß und sie lässt sich hautnah<br />
erleben: im Gemüsegarten, zwischen Weinbergen und Trockenrasen, beim Fischen am Teich, manchmal auch<br />
im Museum o<strong>der</strong> im Supermarkt.<br />
Biodiversität passt gut in die Schule. Sie kann Thema sein für den Englisch-Unterricht, für Mathematik o<strong>der</strong> Leibesübungen.<br />
Lebendige Vielfalt kann Schüler und Schülerinnen, Lehrer und Lehrerinnen und Eltern zusammenführen.<br />
Die Autorinnen und Autoren dieser Broschüre machen Vielfalt erlebbar – mit <strong>der</strong> Kräuterspirale im Schulgarten<br />
genauso wie mit einem Rollenspiel zur Bio-Piraterie. Sie laden zum Handeln ein. Und sie zeigen, wie eng <strong>der</strong> Schutz<br />
<strong>der</strong> Natur mit dem Nutzen für uns Menschen verknüpft ist. Ein Nutzen, <strong>der</strong> sich nicht immer in Euro und Cent ausdrücken<br />
lässt – ein Nutzen, <strong>der</strong> aber immer zu sehen, zu hören, zu riechen o<strong>der</strong> zu kosten ist.<br />
Mag. Wilhelm Molterer Elisabeth Gehrer<br />
Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Bundesministerin für Bildung,<br />
Umwelt und Wasserwirtschaft Wissenschaft und Kultur<br />
Vorwort / 5
6<br />
/ Einleitung<br />
Zur vorliegenden Broschüre<br />
Natur- und Artenschutz haben eine lange Geschichte: 130 Jahre sind seit <strong>der</strong> Gründung des ersten Nationalparks in<br />
Amerika vergangen. Ebenso kann <strong>der</strong> Artenschutz auf eine lange Tradition verweisen: Einige Vogelschutzorganisationen<br />
arbeiten seit fast einhun<strong>der</strong>t Jahren.<br />
Biodiversität ist dagegen ein junges Konzept, erst mit <strong>der</strong> Konferenz in Rio de Janeiro fand <strong>der</strong> Begriff weite Verbreitung.<br />
Was aber ist neu am Konzept, wo liegen die Unterschiede zum traditionellen Naturschutz, wo liegen die<br />
neuen Chancen und Herausfor<strong>der</strong>ungen für die Bildung?<br />
Vielfalt selbst kennzeichnet das Konzept <strong>der</strong> Biodiversität: Die Vielfalt an Lebensräumen, an Arten, schließlich an<br />
genetischer Verschiedenheit ist Biodiversität. Dazu gehören aber auch die Vielfalt an Wechselwirkungen und Funktionen<br />
<strong>der</strong> Lebewesen, ihre Geschichte und ihre Entwicklung. Damit führt Biodiversität zu einem neuen, erweiterten<br />
Verständnis zum Schutze <strong>der</strong> Natur. Vielfältig sind auch die Zugänge zu diesem Thema: Die vorliegende Broschüre<br />
will Ihnen Anknüpfungspunkte, Impulse zum Lernen von Biodiversität liefern.<br />
Im ersten Abschnitt finden Sie Meldungen und kurze Darstellungen zu verschiedenen Aspekten <strong>der</strong> Biodiversität –<br />
<strong>als</strong> Einstieg, zum Nach-Denken und Neu-Denken.<br />
Der zweite Abschnitt will Ihnen Hintergrundinformationen bieten: Er verdeutlicht die Bedeutung <strong>der</strong> Wertschätzung<br />
<strong>der</strong> Vielfalt, ihre Bedrohung durch Zerstörung von Lebensräumen. Möglichkeiten und Schwierigkeiten einer effektiven<br />
Vermittlung von Biodiversität werden angesprochen.<br />
Der umfangreichste Teil <strong>der</strong> <strong>Publikation</strong> ist <strong>der</strong> dritte, praktische Abschnitt. Hier werden ganz verschiedene Projekte<br />
vorgestellt, um die Bandbreite an unterschiedlichen Herangehensweisen zu verdeutlichen. Biologische Vielfalt kann<br />
allen Altersstufen und Zielgruppen spannend und nachhaltig vermittelt werden - bei einem Spaziergang am Nachmittag<br />
o<strong>der</strong> einer Projektwoche an einem See.<br />
Die vorliegende Broschüre will Eltern, LehrerInnen, JugendleiterInnen und FreizeitpädagogInnen ermutigen, das eine<br />
o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Projekt selbst zu erproben. Die Fülle an Themen und Impulsen soll aber auch die Kreativität anregen und<br />
zu neuen Wegen inspirieren. Unser Ziel ist, die Bedeutung <strong>der</strong> biologischen Vielfalt für unsere Erde vielen Menschen<br />
näher zu bringen – auf möglichst vielfältige Weise.<br />
Lucia Mackner-Rath<br />
FORUM <strong>Umweltbildung</strong>
Vielfalt<br />
Köstliche „Papayllo“ entdeckt<br />
Noch bevor das leuchtende Orange <strong>der</strong> faustgroßen Früchte<br />
aus dem Laub sticht, lässt ihr Duft das Wasser im Mund<br />
zusammenlaufen: „Vasconella palandensis“, eine nahe Verwandte<br />
<strong>der</strong> Papaya, wurde erst vor drei Jahren <strong>als</strong> wissenschaftlich<br />
unbekannte Art am Rand des Podocarpus Nationalparks<br />
entdeckt. Die lokale Bevölkerung kennt den kleinen<br />
Baum, dessen Frucht hervorragend nach einer Mischung aus<br />
Pfirsich und Orange schmeckt, <strong>als</strong> „Papayllo“. Die Art<br />
wächst, soweit man weiß, nirgends sonst auf <strong>der</strong> Welt.<br />
Durch Holzeinschlag und Brandrodung wird das Vorkommen<br />
immer mehr zerstört und könnte in wenigen Jahren unwie<strong>der</strong>bringlich<br />
verloren sein. Im Rahmen ihres Projekts „Nachhaltige<br />
Nutzung einheimischer Früchte“ versucht die FCSF<br />
(Organisation „Fundación Científica San Francisco“, welche<br />
die Forschungsstation ECSF in Ecuador betreibt) diese und<br />
an<strong>der</strong>e Arten zu erhalten.<br />
inka-info Juli 2001: Das Vielfalts Blatt. Kultur- und Artenvielfalt in<br />
Ecuador, Peru und Bolvien. INKA e. V., Gravelottestr. 6, D-81667<br />
München. www.inka-ev.de<br />
Tragödie indianischer Lebensmittel<br />
„Die spanische Herrschaft in Lateinamerika brachte nicht<br />
nur neue Formen <strong>der</strong> Bildung und Ausbeutung mit sich,<br />
son<strong>der</strong>n auch neue Ernährungsformen. Einheimische<br />
Lebensmittel verloren ihren sozialen Status, sie wurden<br />
<strong>als</strong> „Indianische Lebensmittel“ abgelehnt. Wenige alte<br />
Kulturpflanzen überdauerten diese soziale Tragödie. Es<br />
ist notwendig, die Ernährungskultur unserer Völker und<br />
unsere einheimischen Kulturpflanzen zu erhalten.“ Galo<br />
Carille (55) ist Lehrer. Er arbeitet für die FCSF (Fundación<br />
Científica San Francisco) und betreut Schulgärten.<br />
inka-info Juli 2001: Das Vielfalts Blatt. Kultur- und Artenvielfalt in<br />
Ecuador, Peru und Bolvien. INKA e. V., Gravelottestr. 6,<br />
D-81667 München.<br />
www.inka-ev.de<br />
Maschinen-Diversität<br />
Noch vor 50 Jahren bevölkerten einen typischen österreichischen<br />
Bauernhof mehr <strong>als</strong> 50 Tier- und Pflanzenarten:<br />
ein paar Kühe, ein Pferd, Hühner, Gänse, Enten, einige<br />
Kaninchen, Katzen und Hunde. An Feldfrüchten wurden<br />
Roggen und Gerste, Hafer, ein Acker Kartoffeln, Rüben, ein<br />
Feld mit Mohn sowie Lein für die Kleidung angebaut. Birnen<br />
und Äpfel zum Essen und für die Mostgewinnung, Kirschen<br />
und Zwetschken, ein Nussbaum standen im Obstgarten.<br />
Johannisbeeren, Stachelbeeren, Himbeeren, aber auch Holler<br />
bereicherten den Speisezettel. Von <strong>der</strong> Vielfalt an Gemüse<br />
und Kräutern im Bauerngarten ganz zu schweigen. Die<br />
Subsistenzwirtschaft produzierte alles zum Leben Notwendige.<br />
Dann kam die Intensivierung und Spezialisierung. Hörndlund<br />
Körndlbauern wurden einan<strong>der</strong> ausschließende Kategorien.<br />
Im Stall eines Rin<strong>der</strong>bauern stehen Rin<strong>der</strong>. Und sonst nichts.<br />
Er baut Mais an und nutzt Wiesen. Dafür wurde mechanisch<br />
intensiviert: Die Diversität <strong>der</strong> Lebewesen wurde durch die<br />
Diversität des Maschinenparks ersetzt. Zwei Traktoren stehen<br />
am Hof. Zum Mähen ein Turbomäher, <strong>der</strong> altbewährte<br />
Mähbalken, für die Hänge <strong>der</strong> Motormäher und für unzugängliche<br />
Stellen die Motorsense. Neben dem Heuwen<strong>der</strong><br />
ist noch ein selbst fahren<strong>der</strong> Rechen für kleinere Flächen<br />
vorhanden. Der Schwa<strong>der</strong> ist unverzichtbar, ebenso Ladewagen,<br />
Heupresse und für die Silage die Wickelmaschine. Für<br />
die Maisernte wird ein eigener Pflücker benötigt. Heugebläse<br />
und Belüftungsanlage sind fix installiert, Düngerstreuer,<br />
Frontla<strong>der</strong>, Miststreuwagen sowie eine Sämaschine ergänzen<br />
den Maschinenpark. Im Stall stehen Be- und Entlüfter,<br />
eine Melkanlage, die Entmistungsanlage sowie <strong>der</strong> Kran zur<br />
Verteilung des Futters. Die Liste lässt sich fortsetzen.<br />
Willi Lin<strong>der</strong>
8<br />
/ Vielfalt<br />
Genbanken – die Lösung des Problems?<br />
Genbanken sind ein bekanntes Instrument, um Landsorten<br />
zu erhalten. Genbanken können und dürfen aber nur eine<br />
Teillösung des Problems <strong>der</strong> genetischen Erosion sein. In <strong>der</strong><br />
gekühlten Sicherheit einer Genbank wird nämlich auch die<br />
Evolution einer Pflanze eingefroren. Sie hat damit keine<br />
Chance, sich an neue Klimabedingungen, Krankheiten und<br />
Schädlinge anzupassen; wie<strong>der</strong> belebte Sorten könnten eine<br />
Umwelt vorfinden, in <strong>der</strong> ein Überleben nicht mehr möglich<br />
ist. Es ist daher wichtig, möglichst viele Sorten an natürlichen<br />
Standorten zu erhalten.<br />
In: HOTSPOT „Die Erhaltung <strong>der</strong> Agrobiodiversität“, Mai 2001, <strong>Forum</strong><br />
Biodiversität Bern<br />
Zwei Nutztierrassen pro Woche<br />
In den vergangenen 8000 Jahren hat <strong>der</strong> Mensch eine relativ kleine<br />
Anzahl Arten für die landwirtschaftliche Nutzung domestiziert: Weltweit<br />
liefern lediglich etwa 30 Pflanzen- und sieben Tierarten die<br />
Hauptenergie für die menschliche Ernährung. Innerhalb <strong>der</strong> domestizierten<br />
Arten hat <strong>der</strong> Mensch allerdings im Laufe <strong>der</strong> Jahrtausende<br />
eine ungeheure Vielfalt an regional typischen Sorten und Rassen<br />
selektioniert, die optimal an das örtliche Klima o<strong>der</strong> die dortigen<br />
Krankheiten angepasst sind und dem Geschmack <strong>der</strong> lokalen Bevölkerung<br />
entsprechen.<br />
Dieser Reichtum ist heute bedroht. Aus dem im Dezember 2000 von<br />
<strong>der</strong> Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation <strong>der</strong> Vereinten Nationen<br />
(FAO) veröffentlichten „Weltbericht über die Vielfalt bei Nutztieren“<br />
geht hervor, dass jede Woche zwei Nutztierrassen aussterben. Seit<br />
1900 sind bereits rund 1000 Nutztierrassen für immer verschwunden.<br />
Allein in den letzten fünf Jahren ist <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Säugetierrassen, die<br />
extrem gefährdet sind, von 23 % auf 35 % gestiegen.<br />
In: HOTSPOT „Die Erhaltung <strong>der</strong> Agrobiodiversität“, Mai 2002, <strong>Forum</strong> Biodiversität<br />
Schweiz, Bärenplatz 2, CH-3011 Bern. www.biodiversity.ch<br />
Niete o<strong>der</strong> Crew?<br />
Wenn Naturschützer wie<strong>der</strong> einmal die wirtschaftliche Nutzung<br />
eines intakten Ökosystems verweigern, wollen die<br />
Pragmatiker wissen: Wieviel Vielfalt ist nötig, wie wenig ist<br />
möglich? Darauf gibt es bis heute keine Antwort, wohl aber<br />
zwei Hypothesen. Sie charakterisieren die extremen Standpunkte,<br />
die Experten in dieser heiklen Frage beziehen. Die<br />
eine, die so genannte Nieten-Hypothese, vergleicht Arten<br />
mit jenen kleinen Teilen am Flugzeugrumpf, die ihn zusam-<br />
menhalten: Jede verlorene Niete destabilisiert das Transportmittel<br />
ein wenig, bis es schließlich abstürzt. Dagegen<br />
besagt die Passagier-Hypothese, dass die meisten Arten für<br />
die Natur so überflüssig seien wie Passagiere für die Flugfähigkeit<br />
einer Maschine. Letztlich komme es nur auf wenige<br />
Schlüsselarten an – sprich: auf die Crew.<br />
Claus Peter Simon, GEO Nr. 7/1999<br />
Living Planet<br />
Spät erst, und auch noch nicht überall, setzt sich die Einsicht<br />
durch, dass Biodiversität nur dort erhalten werden<br />
kann, wo sie vorkommt. Arten brauchen zum Überleben<br />
großflächige Gebiete mit genug Individuen, um flexibel auf<br />
plötzliche o<strong>der</strong> langfristige Verän<strong>der</strong>ungen wie<br />
Brände, Überschwemmungen, Dürre, Kälte, Klima-<br />
schwankungen o<strong>der</strong> menschliche Eingriffe reagieren<br />
zu können – um zu fliehen, auszuweichen o<strong>der</strong><br />
sich anzupassen.<br />
Inzwischen steht die Sicherung von Ökosystemen<br />
weltweit obenan. Mit <strong>der</strong> Kampagne „Living Planet“<br />
appelliert zum Beispiel <strong>der</strong> WWF für die Erhaltung<br />
von gut 200 Lebensraum-Typen <strong>der</strong> Erde, die er <strong>als</strong><br />
die wichtigsten ausgemacht hat – wegen ihrer enormen<br />
Vielfalt, ihrer Natürlichkeit, Einmaligkeit,<br />
Ursprünglichkeit, Seltenheit o<strong>der</strong> weil sie nach übereinstimmen<strong>der</strong><br />
Auffassung von Experten eine Schlüsselrolle<br />
in <strong>der</strong> Evolution des Lebens spielen. „Gelingt<br />
es sie zu erhalten“, sagt Hartmut Jungius, <strong>der</strong> für die<br />
Projekte des WWF in Osteuropa und Zentralasien<br />
zuständig ist, „sind schätzungsweise 80 Prozent <strong>der</strong><br />
heutigen Biodiversität gerettet.“<br />
Claus Peter Simon, GEO Nr. 7/1999<br />
Wie <strong>der</strong> Biopiraterie Einhalt gebieten?<br />
In <strong>der</strong> Öffentlichkeit hat sich vor allem ein Begriff eingeprägt,<br />
<strong>der</strong> schlagwortartig die gegenwärtigen Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />
zwischen Staaten mit großer Biodiversität –<br />
zumeist Entwicklungslän<strong>der</strong> – und Staaten mit mächtiger<br />
Gentechnikindustrie und -forschung – zumeist Industriestaaten<br />
– benennt: Biopiraterie.<br />
Vor allem in den USA ist es möglich und landläufige Praxis,<br />
gentechnische Ressourcen inklusive des mit ihrer Nutzung<br />
verbundenen Wissens zu patentieren, ohne dass ein Vorteilsausgleich<br />
stattfindet. Als Gründe gelten neben den<br />
rechtlichen Vorgaben <strong>der</strong> Patentgesetzgebung vor allem die
politisch gewollte strukturelle Schwäche des US-Patentamtes.<br />
Zahlreiche Patentanträge werden genehmigt, obwohl<br />
ihr rechtswidriger Charakter schon bei oberflächlicher Analyse<br />
deutlich wird. Es bleibt nur ein Weg zur Aberkennung<br />
des Patentschutzes: die Klage gegen den Antragssteller, die<br />
unkalkulierbare finanzielle Risiken mit sich zieht. Es gilt <strong>als</strong>o<br />
das Recht des Stärkeren, des Reicheren – <strong>der</strong> Ausdruck Biopiraterie<br />
ist treffend gewählt.<br />
www.forumue.de/forumaktuell/veranstaltungen<br />
Biodiversität<br />
Begriff in aller Munde?<br />
Seit vor zehn Jahren beim Weltgipfel 1992 in Rio de Janeiro<br />
die „Konvention zur Erhaltung <strong>der</strong> biologischen Vielfalt“<br />
unterzeichnet wurde, ist <strong>der</strong> Begriff Biodiversität international<br />
anerkannt. In verschiedensten Bedeutungen<br />
gebraucht, wird dieser Schlüsselbegriff bisweilen auch<br />
missverstanden, eingeengt, sogar angefeindet. Das Konzept<br />
Biodiversität allgemein verständlich darzustellen und<br />
methodisch zu vermitteln, ist allerdings nicht einfach; es<br />
geht über den traditionellen Naturschutz weit hinaus.<br />
Unter Biodiversität versteht man die biologische Vielfalt<br />
innerhalb <strong>der</strong> belebten Natur. Diese Erklärung beruht auf<br />
<strong>der</strong> Erkenntnis, dass Leben Teil eines großen Systems ist.<br />
Biodiversität bedeutet die Vielfalt <strong>der</strong> Organismen mit all<br />
ihren wechselseitigen Abhängigkeiten und ihre Beziehung<br />
zur Umwelt. Man unterscheidet drei Ebenen <strong>der</strong> Biodiversität:<br />
die genetische Vielfalt, die Vielfalt <strong>der</strong> Arten und die<br />
ökologische Vielfalt <strong>der</strong> Lebensräume.<br />
Genetische Vielfalt<br />
Jedes Individuum ist einmalig<br />
Als genetische Vielfalt bezeichnet man die Vielfalt innerhalb<br />
einer Art. Jedes Individuum besitzt seine spezielle Erbinformation<br />
und unterscheidet sich dadurch von allen übrigen<br />
Individuen. Ausgenommen von Son<strong>der</strong>fällen – eineiige Zwillinge<br />
etwa, Klone, parthenogenetischer Nachwuchs – sind<br />
keine zwei Vertreter <strong>der</strong> selben Art genetisch identisch. Zum<br />
Beispiel zeigt sich die genetische Vielfalt einer einzelnen Art<br />
in verschiedenen Rosensorten, Apfelsorten, Hundezüchtungen.<br />
Vielfalt geht nicht erst beim Aussterben einer Art verloren.<br />
Bereits beim Verschwinden bestimmter Merkmale<br />
innerhalb einer Art, etwa einer Apfelsorte, vermin<strong>der</strong> sich<br />
die Vielfalt. Eine gefährdete Art wird daher von ihrer genetischen<br />
Vielfalt bereits viel verloren haben. Genetische Viel-<br />
Vielfalt / 9<br />
falt einer Art ist für <strong>der</strong>en Überleben notwendig: Bei Krankheitsbefall<br />
o<strong>der</strong> sich än<strong>der</strong>nden Umweltbedingungen sind<br />
nicht alle Individuen einer Art gleichermaßen gefährdet.<br />
Artenvielfalt<br />
Leben in Hülle und Fülle<br />
Neue Arten entwickeln sich im Lauf <strong>der</strong> Erdgeschichte,<br />
indem Lebewesen <strong>der</strong> gleichen Art durch geographische<br />
Barrieren wie Flüsse und Gebirge voneinan<strong>der</strong> getrennt<br />
werden. So kann aus je<strong>der</strong> Gruppe mit <strong>der</strong> Zeit eine eigene<br />
Art entstehen. Die Vielfalt <strong>der</strong> Organismen zu erfassen ist<br />
aber bei weitem noch nicht gelungen. Bisher sind etwa 1,75<br />
Millionen Pflanzen- und Tierarten wissenschaftlich<br />
beschrieben. E. O. Wilson 1) schätzt, dass die Zahl <strong>der</strong> Arten<br />
auf <strong>der</strong> Erde zwischen fünf und 30 Millionen liegen wird.<br />
Mehr <strong>als</strong> die Hälfte aller Arten lebt in den Regenwäl<strong>der</strong>n.<br />
Arten entwickeln sich nicht isoliert voneinan<strong>der</strong>. Sie sind<br />
voneinan<strong>der</strong> und vom Ökosystem abhängig; unzählige<br />
Wechselbeziehungen sind dabei maßgeblich. Wird eine Art<br />
ausgelöscht, von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e abhängen, vernichtet das viele<br />
Arten gleichzeitig. Soll <strong>der</strong> Wert einer Art vollständig<br />
bestimmt werden, muss <strong>der</strong> Wert aller an<strong>der</strong>en Arten, die<br />
von ihr abhängig sind, mit einbezogen werden. Festzustellen,<br />
welche charakteristischen Arten am meisten zum Funktionieren<br />
des Ökosystems und zu dessen Produktivität beitragen,<br />
ist eine schwierige Aufgabe. Bestimmte Arten haben<br />
großen Einfluss auf die Strukturen und Funktion von Ökosystemen,<br />
sie werden <strong>als</strong> dominante Arten o<strong>der</strong> Schlüsselarten<br />
bezeichnet.<br />
Ökologische Vielfalt<br />
Leben zwischen Wüste und Gletscher<br />
Die enorme Artenvielfalt konnte sich im Laufe <strong>der</strong> Evolution<br />
nur auf Grund <strong>der</strong> reich strukturierten Landschaft und ihrer<br />
unzähligen Ökosysteme entwickeln. Tropische Regenwäl<strong>der</strong>,<br />
Korallenriffe, <strong>der</strong> Grund <strong>der</strong> Tiefsee und <strong>der</strong> Erdboden von<br />
Savannen sind nach wie vor wenig erforschte Lebensräume,<br />
beherbergen jedoch unzählige Arten von Lebewesen. Die Vielfalt<br />
<strong>der</strong> verschiedenen Lebensräume zu erhalten ist unbedingt<br />
notwendig, soll das natürliche Zusammenspiel <strong>der</strong> Arten im<br />
Gleichgewicht bleiben.
10<br />
/ Vielfalt<br />
Wert <strong>der</strong> Biodiversität<br />
Wozu brauchen wir so viele Arten?<br />
Biodiversität ist wichtig für die Weiterentwicklung <strong>der</strong><br />
Natur. Ihre Anpassungs- und Evolutionsfähigkeit beruhen<br />
auf Biodiversität. Leicht verlieren wir in <strong>der</strong> technisierten<br />
Welt das Gefühl dafür, wie sehr wir eigentlich von <strong>der</strong><br />
natürlichen Vielfalt unseres Planeten abhängen. Am offensichtlichsten<br />
ist dies bei <strong>der</strong> Nahrung. Sie stammt von<br />
Äckern, Weiden, Gewässern und aus Ställen. Von den bisher<br />
bekannten Pflanzenarten hat <strong>der</strong> Mensch nur etwa 150 in<br />
größerem Maßstab kultiviert. Die Natur könnte indes noch<br />
viele wertvolle Nahrungsmittel und Rohstoffe bereit stellen,<br />
die wir bislang nicht kennen. Auch in <strong>der</strong> medizinischen<br />
Versorgung sind wir auf natürliche Quellen angewiesen,<br />
vorwiegend auf Pflanzenextrakte, aber auch auf Substanzen<br />
aus Pilzen, Bakterien und Schlangen. Es wird vermutet, dass<br />
in den Entwicklungslän<strong>der</strong>n bis zu 20.000 Pflanzenarten für<br />
Heilzwecke verwendet werden, von denen die wirksamen<br />
Bestandteile in ihrer chemischen Struktur bis heute vielfach<br />
unbekannt sind. Vielfältig sind <strong>als</strong>o die Schätze, die uns die<br />
Vielfalt beschert. In ihr ist schließlich auch die Schönheit<br />
<strong>der</strong> Natur begründet, die für viele Menschen eine Quelle <strong>der</strong><br />
Freude, Inspiration und Erholung ist.<br />
Ist größer auch besser?<br />
Die Biodiversität eines Lebensraumes ist eng mit dem Klima<br />
und mit <strong>der</strong> Bodenbeschaffenheit verbunden. Eine bedeutende<br />
Rolle spielt jedoch die Länge <strong>der</strong> Zeitspanne, in <strong>der</strong> sich<br />
Flächen ungestört entwickeln können. Neue Untersuchungen<br />
zeigen, dass nicht nur die Qualität <strong>der</strong> Lebensräume, son<strong>der</strong>n<br />
auch <strong>der</strong>en Flächengröße entscheidenden Einfluss auf die<br />
Biodiversität haben. Kleine Flächen beherbergen weniger<br />
Arten und sind auch genetisch weniger vielfältig <strong>als</strong> große<br />
Flächen. Jede Verkleinerung von Ökosystemen führt zur<br />
Reduktion <strong>der</strong> Artenzahl. Eine drastische Abnahme <strong>der</strong> Artenzahl<br />
ist in Lebensräumen zu verzeichnen, wenn die verbleibenden<br />
Restflächen stark voneinan<strong>der</strong> isoliert sind (vgl.<br />
Lebensraum-Fragmentation Seite 20).<br />
Bedrohung <strong>der</strong> Biodiversität<br />
Ursachen des Artensterbens<br />
Das explosive Bevölkerungswachstum führt zum Raubbau<br />
an <strong>der</strong> Umwelt. Landschaften, Ökosysteme und Arten sind<br />
weltweit bedroht durch<br />
• übermäßigen Abbau natürlicher Ressourcen,<br />
• Zerschneidung und Zerstörung <strong>der</strong> Lebensräume etwa<br />
durch Straßen, Dämme und Industrieanlagen,<br />
• Verschmutzung des Bodens und Wassers durch Düngemittel,<br />
Pestizide und Industrie,<br />
• Verschmutzung des Meeres,<br />
• Verringerung <strong>der</strong> genetischen Vielfalt durch industrialisierte<br />
und intensive Landwirtschaft,<br />
• beabsichtigte o<strong>der</strong> zufällige Einfuhr von Exoten<br />
(„alien“).<br />
Man schätzt, dass die Zahl <strong>der</strong> jährlich in den vergangenen<br />
600 Millionen Jahren ausgestorbenen Arten zwischen eins<br />
und zehn liegt. Allein durch die Zerstörung <strong>der</strong> tropischen<br />
Regenwäl<strong>der</strong> dürften jährlich einige tausend Arten heutzutage<br />
verschwinden.<br />
1) Wilson, E. O. 1995: Der Wert <strong>der</strong> Vielfalt. Die Bedrohung des Artenreichtums<br />
und das Überleben des Menschen. Piper Verlag, München
Biodiversität<br />
aus verschiedenen Blickwinkeln<br />
11
Jürgen Mayer<br />
Wertschätzung gefragt<br />
Biodiversität <strong>als</strong> Thema <strong>der</strong> <strong>Umweltbildung</strong><br />
„Biodiversität“ – ein Begriff, <strong>der</strong> seit dem Erdgipfel in Rio<br />
(1992) zum neuen Schlagwort <strong>der</strong> Umweltdiskussion avanciert<br />
ist. In <strong>der</strong> dam<strong>als</strong> verabschiedeten Rio-Konvention zum<br />
Schutz <strong>der</strong> biologischen Vielfalt verpflichteten sich die<br />
Staaten dazu, Bildungsmaßnahmen ins Leben zu rufen.<br />
Nahezu zehn Jahre danach spielt das Thema Biodiversität<br />
innerhalb <strong>der</strong> <strong>Umweltbildung</strong> noch immer eine vergleichsweise<br />
geringe Rolle.<br />
Ein neues Konzept im Umweltschutz?<br />
In neueren Umweltberichten wird über den Stand des<br />
Arten- und Naturschutzes meist unter dem neuen Begriff<br />
<strong>der</strong> Biodiversität berichtet. Handelt es sich dabei lediglich<br />
um einen Anglizismus für den Begriff „Artenvielfalt“ o<strong>der</strong><br />
„Natur“, o<strong>der</strong> steckt doch mehr dahinter? Biodiversität – so<br />
die allgemein anerkannte Definition – umfasst die Vielfalt<br />
<strong>der</strong> ca. 30 Millionen Arten (Artenvielfalt), die genetische<br />
Vielfalt innerhalb <strong>der</strong> Arten sowie die ökologische Vielfalt<br />
<strong>der</strong> Lebensräume. Insofern geht dieser neue Begriff über den<br />
traditionellen Bereich des Arten- und Naturschutzes hinaus,<br />
indem explizit die genetische Vielfalt und damit insbeson<strong>der</strong>e<br />
die Vielfalt <strong>der</strong> Sorten und Rassen von Nutztieren und<br />
Nutzpflanzen einbezogen wird. Darüber hinaus – und dies<br />
ist sicher nicht unproblematisch – die Vielfalt genetischer<br />
Information, die auch außerhalb von Organismen im Rahmen<br />
<strong>der</strong> Gen- und Biotechnik genutzt werden kann. Positiv<br />
zu vermerken ist wie<strong>der</strong>um, dass durch die Integration <strong>der</strong><br />
ökologischen Vielfalt eine Brücke zwischen Arten- und Biotopschutz<br />
geschlagen wurde.<br />
Das grüne Gold<br />
Obwohl „Biodiversität“ ein neues wissenschaftliches Konzept<br />
mit innovativem Gehalt darstellt, reicht dies zur<br />
Erklärung des rasanten Aufstiegs nicht aus. Also bleibt die<br />
Frage, warum dieses große Interesse <strong>der</strong> Umweltpolitik an<br />
Biodiversität? Der Hintergrund dürfte eher ein ökonomischer<br />
<strong>als</strong> ein wissenschaftlicher sein. Die Konvention zum<br />
Schutz <strong>der</strong> Biodiversität, durch die <strong>der</strong> Terminus Eingang in<br />
die Politik gefunden hat, ist vor allem durch den Geist einer<br />
„nachhaltigen Nutzung <strong>der</strong> Biodiversität“ geprägt. Das heißt<br />
im Klartext, es geht um die gerechte Verteilung <strong>der</strong> Biodiversität<br />
<strong>als</strong> wirtschaftlicher Ressource: ertragreiche Pflanzensorten,<br />
nachwachsende Rohstoffe, noch unbekannte<br />
Medikamente u. ä. Deshalb wird Biodiversität auch <strong>als</strong> „grünes<br />
Gold“ bezeichnet. Aus diesem Grunde befasst sich die<br />
Ökonomie intensiv mit dem monetären Wert <strong>der</strong> Biodiversität.<br />
Der wird für Deutschland auf 1,6 bis 2,5 Milliarden<br />
Euro pro Jahr geschätzt wird. Neben dem Eigenwert <strong>der</strong> biologischen<br />
Vielfalt wird in <strong>der</strong> „Konvention über die biologische<br />
Vielfalt“ <strong>der</strong>en Wert in biologischer, ökologischer,<br />
sozialer, wirtschaftlicher, erzieherischer, kultureller und<br />
ästhetischer Hinsicht bekräftigt (siehe Tabelle).<br />
Trotz <strong>der</strong> ökonomischen Bedeutung <strong>der</strong> Biodiversität ist es<br />
im konkreten Fall meist schwierig, die Öffentlichkeit von <strong>der</strong><br />
Notwendigkeit des Artenschutzes zu überzeugen, beson<strong>der</strong>s<br />
13
14<br />
/ Wertschätzung gefragt<br />
wenn dieser hohe Kosten verursacht o<strong>der</strong> mit ökonomischen<br />
Einbußen verbunden ist. Arten- und Naturschutz steigert<br />
we<strong>der</strong> die Lebensqualität noch sichert er die Lebensgrundlagen<br />
des Menschen – so Befragte in empirischen Studien.<br />
Der Gruppe <strong>der</strong> Naturgüter wird lediglich ein „ideeller Wert“<br />
zugeschrieben, wobei keine Verantwortung zum Schutz dieser<br />
Güter empfunden wird. Dementsprechend ist kaum<br />
jemand persönlich betroffen, wenn Tier- und Pflanzenarten<br />
aussterben. Konsequenterweise ist das Umwelthandeln bei<br />
solchen Problemen deutlich am geringsten.<br />
Modeströmung?<br />
Die <strong>Umweltbildung</strong> unterliegt wie auch die Umweltpolitik<br />
Modeströmungen. Themen verlieren an Aktualität (z. B.<br />
Waldsterben). An<strong>der</strong>e kommen neu hinzu (z. B. Mobilität)<br />
und wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e werden konsequent ignoriert (z. B.<br />
Bodendegradierung). Allerdings verwun<strong>der</strong>t es doch, dass<br />
<strong>der</strong> Aktualität <strong>der</strong> Biodiversität in Wissenschaft und Politik<br />
kaum nennenswerte Aktivitäten innerhalb <strong>der</strong> <strong>Umweltbildung</strong><br />
gefolgt sind. Über die Gründe kann nur gemutmaßt<br />
werden: Sicherlich entspricht das Thema nicht dem <strong>der</strong>zeitigen<br />
Mainstream <strong>der</strong> „kulturellen Wende“ <strong>der</strong> <strong>Umweltbildung</strong>.<br />
Vielleicht führt die kritische Haltung zu diesem Konzept<br />
(ökonomische Aspekte, Gentechnik) zu einer Abstinenz,<br />
sich mit dem Thema auseinan<strong>der</strong> zu setzen, o<strong>der</strong> vielleicht<br />
erscheint vielen das Thema lediglich <strong>als</strong> traditioneller<br />
Naturschutzunterricht, nur unter einem neuen Begriff.<br />
Wertschätzung Kriterien Beispiele<br />
Im Folgenden sollen einige Aspekte des Themas aufgelistet<br />
werden, die mögliche Anknüpfungspunkte für die <strong>Umweltbildung</strong><br />
bieten.<br />
Weitreichen<strong>der</strong> Bildungswert<br />
Bereits zu Beginn <strong>der</strong> 90er Jahre wurde eine Delphi-Befragung<br />
zum Bildungswert biologischer Vielfalt für den Biologieunterricht<br />
durchgeführt. Hintergrund waren damalige<br />
Klagen vieler Lehrer, dass sich <strong>der</strong> Biologieunterricht zu sehr<br />
an allgemeinbiologischen Phänomenen wie Stoffwechsel,<br />
Verhalten und Vererbung orientiere und die Vielfalt <strong>der</strong> Tiere<br />
und Pflanzen eine vergleichsweise geringe Rolle spiele. In<br />
dieser Studie wurde u. a. gefragt, warum Schüler etwas über<br />
die biologische Vielfalt lernen sollten. Die häufigsten Antworten<br />
waren, dass dies<br />
• zum Schutz <strong>der</strong> biologischen Vielfalt beiträgt,<br />
• das allgemeine Verständnis <strong>der</strong> Natur för<strong>der</strong>t,<br />
• zur biologischen Grundbildung gehört,<br />
• die individuelle Naturbeziehung för<strong>der</strong>t,<br />
• für die Bewältigung des Alltags qualifiziert.<br />
Diese Antworten deuten an, dass <strong>der</strong> Biodiversität eine<br />
umfassende Bildungsbedeutung zukommt, nicht nur innerhalb<br />
<strong>der</strong> <strong>Umweltbildung</strong>, son<strong>der</strong>n auch darüber hinaus. Die<br />
weiterführenden Arbeiten befassen sich zum einen mit dem<br />
methodischen Zugang zu diesem Thema (Naturerfahrung),<br />
zum an<strong>der</strong>en mit den aktuellen Entwicklungen, d. h. <strong>der</strong><br />
nachhaltigen Nutzung <strong>der</strong> Biodiversität.<br />
Ökonomischer Wert Materieller Nutzen Nahrung, Genussmittel, Arznei,<br />
Futterpflanze, Rohstoff<br />
Ökologischer Wert Ökologische Funktion Stoffabbau, Wasserreinigung,<br />
Bodenbildung, Klimaschwankung<br />
Wissenschaftlicher Wert Information Erfindungsleistung (Bionik),<br />
Bio-Indikatoren, genetische Information<br />
Ästhetischer Wert Schönheit Blumenschmuck, Parks<br />
Psychischer Wert Wohlbefinden Vielfalt zum Schauen, Schmecken, Riechen,<br />
Hören, Landschaftsglie<strong>der</strong>ung
Natur erleben ist wertvoller<br />
<strong>als</strong> jedes Buch<br />
Unmittelbare Erfahrung<br />
bedeutsam<br />
Obwohl die Wertschätzung<br />
unmittelbarer Naturerfahrung<br />
innerhalb <strong>der</strong> <strong>Umweltbildung</strong> in<br />
den letzten Jahren deutlich<br />
abgenommen hat, ist sie nach<br />
wie vor ein bedeutsamer Aspekt<br />
des Lernens. Allerdings darf<br />
Naturerfahrung nicht auf sinnlich-ästhetische<br />
Aspekte beschränkt<br />
bleiben. Die Vermittlung<br />
von Naturerfahrungen<br />
muss vielmehr an die vielfältigen<br />
Möglichkeiten <strong>der</strong> Lebenswirklichkeit<br />
<strong>der</strong> Lernenden<br />
anknüpfen und sinnvoll in diese<br />
eingebettet werden. Damit sollen<br />
über das unmittelbare Erleben<br />
hinaus weitgehend verloren<br />
gegangene kulturelle Sinnbezüge<br />
des Umgangs mit <strong>der</strong><br />
biologischen Vielfalt wie<strong>der</strong><br />
hergestellt o<strong>der</strong> neu begründet werden. Dazu gehören erholungsbezogene<br />
Erfahrungen in <strong>der</strong> Freizeit und im Urlaub<br />
ebenso wie die nutzenorientierte Erfahrung beim Pflanzen<br />
und Pflegen von Nutzpflanzen o<strong>der</strong> beim Pflegen von Heimund<br />
Nutztieren. Nur wenn Erfahrungen vermittelt werden,<br />
die über die pädagogische Situation hinaus Bedeutung<br />
haben, können diese dauerhaft im Alltagsleben wirken.<br />
Nachhaltige Nutzung<br />
Ein emotionaler Bezug zur Natur ist wichtig. Die biologische<br />
Vielfalt kann aber nur durch konkretes individuelles und<br />
gesellschaftliches Handeln bewahrt werden. Umwelthandeln<br />
findet in Bereichen wie Konsumverhalten, Ressourceneinsprung<br />
und Verkehrsverhalten statt, <strong>als</strong>o in Bereichen,<br />
die nur mittelbar – und für Schüler nicht unbedingt<br />
einsichtig mit <strong>der</strong> Beeinträchtigung <strong>der</strong> biologischen Vielfalt<br />
verknüpft sind. So ist die geringe Wertschätzung <strong>der</strong><br />
biologischen Vielfalt in <strong>der</strong> Öffentlichkeit sicherlich zum<br />
großen Teil darauf zurückzuführen, dass vielen Menschen<br />
nicht bewusst ist, wie wichtig die biologische Vielfalt für die<br />
Sicherung ihrer Existenz und ihrer Lebensqualität ist. Dabei<br />
lässt sich an einer Vielzahl von Beispielen <strong>der</strong> ökonomische,<br />
ästhetische o<strong>der</strong> Erholungs-Wert <strong>der</strong> biologischen Vielfalt<br />
belegen.<br />
Mit Blick auf die Umwelterziehung kommt es deshalb darauf<br />
an, neben dem Wert <strong>der</strong> biologischen Vielfalt, den direkten,<br />
indirekten und potentiellen Nutzen <strong>der</strong> biologischen<br />
Vielfalt für die gegenwärtige und künftige Generationen<br />
deutlich zu machen. Damit soll die Einsicht vermittelt werden,<br />
dass in <strong>der</strong> biologischen Vielfalt ein ungeheures Nutzen-Potenzial<br />
enthalten ist, und die biologische Vielfalt<br />
auch aus diesem Grund zu erhalten ist. Dabei sollte herausgestellt<br />
werden, dass <strong>der</strong> tatsächliche Nutzen heute noch<br />
gar nicht erfasst ist; deshalb muss sich eine Naturschutzstrategie<br />
auf die Gesamtheit <strong>der</strong> biologischen Vielfalt beziehen.<br />
Hinsichtlich <strong>der</strong> Nutzung biologischer Vielfalt ist deutlich<br />
zu machen, dass eine Ausbeutung natürlicher Ressourcen<br />
durch den Menschen nicht das Ziel seines wirtschaftlichen<br />
Handelns sein darf. Eine „nachhaltige“ Nutzung ist<br />
angezeigt, die nicht zum langfristigen Rückgang <strong>der</strong> biologischen<br />
Vielfalt führt. Ziel einer solchen <strong>Umweltbildung</strong> ist,<br />
die Lernenden zu befähigen, zur Sicherung <strong>der</strong> menschlichen<br />
Lebensgrundlagen durch den Schutz <strong>der</strong> biologischen<br />
Vielfalt beizutragen.<br />
Quellennachweis<br />
Umwelt und Bildung 1/00: Die Zukunft <strong>der</strong> Vielfalt,<br />
Literatur<br />
Hrsg: Umweltdachverband ÖGNU, Alserstraße 21, A-1080 Wien<br />
Horn, F. 1994: Biovielfalt – Konsequenzen für den Unterricht. Biologie in<br />
<strong>der</strong> Schule, 43, 1<br />
Kellert, St. R. 1996: The Value of Life: Biological Diversity and Human<br />
Society. Island Press. Washington D.C.<br />
Wertschätzung gefragt / 15<br />
Mayer, J. 1996: Biodiversitätsforschung <strong>als</strong> Zukunftsdisziplin. Ein Beitrag<br />
<strong>der</strong> Biologiedidaktik. Berichte des Instituts für Didaktik <strong>der</strong> Biologie<br />
(IDB), Universität Münster, 5, 19-41.<br />
Mayer, J.; Rupprecht, C. 1998: Nachhaltige Nutzung biologischer Vielfalt.<br />
Unterrichtmaterialien. Kiel: Institut für die Pädagogik <strong>der</strong> Naturwissenschaften<br />
Ritter, M. et. al. 1995: Gesellschaftliche Wahrnehmung, Bewertung und<br />
Umsetzung von Biodiversität. GAIA, 4, 251-260<br />
Prof. Dr. Jürgen Mayer<br />
ist Professor am Institut für Biologiedidaktik <strong>der</strong><br />
Justus-Liebig-Universität Gießen.
16<br />
/ Das Bekenntnis zur Vielfalt<br />
Martin Krejcarek<br />
Das Bekenntnis zur Vielfalt ist im Kopf,<br />
o<strong>der</strong> es ist nirgendwo ...<br />
Als Vorschub drei Erfahrungen:<br />
Manchmal sind die verqueren Gedanken die produktivsten<br />
und die Enttäuschungen die reichhaltigsten Quellen des<br />
Nachdenkens. Und: Manchmal muss man einen Umweg<br />
gehen, um dem Ziel näher zu kommen.<br />
Der ketzerische Gedanke:<br />
Was um alles in <strong>der</strong> Welt hat sich Gott dabei gedacht, dieses<br />
verschwen<strong>der</strong>ische Durcheinan<strong>der</strong> an Arten in die Welt<br />
zu werfen. Ein unaufhörliches Kommen und Vergehen, eine<br />
Getriebenheit und Rücksichtslosigkeit son<strong>der</strong>gleichen. Von<br />
wegen: „Liebe deinen Nächsten“. Nichts <strong>als</strong> ein Haufen egozentrischer<br />
Nahrungsoptimierer, Lichtgierer und Fressfeinde,<br />
die einan<strong>der</strong> am besten den Mensch an den H<strong>als</strong> wünschen.<br />
Der Plan ist die Planlosigkeit. Die Stetigkeit ist <strong>der</strong><br />
Wandel. Vielfalt ist Selbstzweck. Das einzig Sichere ist <strong>der</strong><br />
Tod. Der Gott <strong>der</strong> Tiere und Pflanzen zeigt wenig menschliche<br />
Züge.<br />
Doch dann. Gott wirft den Menschen ins Geschehen. Es<br />
dauert einige hun<strong>der</strong>ttausend Jahre, bis sich die neue Art<br />
aus Chaos und Gegenabhängigkeit <strong>der</strong> organismischen Welt<br />
herausstrudelt. Langsam, aber sicher bestimmen neue -<br />
menschliche - Gedanken das Leben in großen Teilen <strong>der</strong><br />
Erde. Planbarkeit, Ordnung, Stetigkeit, Sicherheit, Machbarkeit.<br />
Gut so. O<strong>der</strong> wollen Sie sich etwa im Winter mit einem<br />
Rudel Wölfe um den mühsam erlegten Hirsch raufen, plädieren<br />
Sie für die Freiheit des Pestbazillus o<strong>der</strong> – um aktueller<br />
zu sein – bereitet es Ihnen Vergnügen, Ihre Salatkultur<br />
<strong>der</strong> Spanischen Wegschnecke zu opfern?<br />
Macht Euch die Erde untertan. Gut gemacht. Jetzt haben<br />
wir <strong>als</strong>o die Macht. Über gut und schlecht, produktiv und<br />
unproduktiv, über wertvoll und wertlos, Vielfalt und Einfalt,<br />
über Leben und Tod.
Und <strong>der</strong> Antagonist, die Gegenkraft, <strong>der</strong> Weichzeichner, die<br />
abwägende Haltung zur Allmacht des Menschen? Sprich:<br />
die Verantwortung. Damit haben wir dann schon weniger<br />
Erfahrung.<br />
Ein Verdacht:<br />
Mich plagt <strong>der</strong> Gedanke, dass <strong>der</strong> Artenschwund-Problematik<br />
Phänomene zugrunde liegen, die uns viel näher sind <strong>als</strong><br />
die 70 Arten, die täglich vollkommen unbemerkt und unbeweint<br />
aus dem Artenpool verschwinden (WILSON 1995).<br />
Liegt <strong>der</strong> Kern <strong>der</strong> Problematik in unseren Köpfen? Der<br />
Artenschwund <strong>als</strong> Symptom von individuellen und gesellschaftlichen<br />
Grundhaltungen?<br />
Gut so. An diesen Fragen entwickelt sich Bildung. Hier wird<br />
um Erfahrungen, Wissen, Erkenntnis und um Haltungen<br />
gerungen.<br />
Die Frage nach dem Nutzen, dem Zweck ...<br />
In einer Welt, in <strong>der</strong> ein Zugang zu „Wert“ sich am Bezugssystem<br />
<strong>der</strong> Zweckmäßigkeit orientiert, wird die Frage nach<br />
dem Nutzen zum Desaster. Auch und vor allem auf <strong>der</strong><br />
Ebene des menschlichen Zusammenlebens.<br />
Lässt sich auf <strong>der</strong> Habenseite ein Plus verbuchen, dann entsteht<br />
in unseren Köpfen eine positive Wertzuschreibung.<br />
Aber wenn nicht? Wenn´s nichts bringt, es keinen Nutzen<br />
hat, wir Menschen nichts davon haben? Dann tut sich <strong>der</strong> –<br />
im wahrsten Sinne des Wortes – oft tödliche Abgrund <strong>der</strong><br />
„Wertlosigkeit“ auf. Artenvielfalt wird zur Verschubmasse,<br />
Nutzlosigkeit zum Schimpfwort, Schädlinge werden zum<br />
Feind <strong>der</strong> Nützlinge, An<strong>der</strong>ssein zur Bedrohung, Meinungsvielfalt<br />
wird zur Mühsal, Behin<strong>der</strong>ung wird zum unwerten<br />
Leben und Toleranz zur Schwäche. Jetzt sind wir mitten drin<br />
im Thema.<br />
Welche Kompetenzen helfen uns, die Verantwortung<br />
gegenüber den Mitgeschöpfen wahrnehmen<br />
zu können?<br />
Das Bewusstsein für unsere eigene Natürlichkeit, für die<br />
Eingebundenheit in Kreisläufe, für die Zusammengehörigkeit<br />
mit allem, was da kreucht und fleucht. Die Frage nach<br />
dem Nutzen hat da keinen Platz. Das Einlassen und Seinlassen<br />
tritt an die Stelle des Machbarkeitswahns. Wie gut es<br />
doch TeilnehmerInnen an einer Wan<strong>der</strong>ung tut, in einem<br />
Regenguss drecknass zu werden und nicht mit dem Handy<br />
das Taxi rufen zu können. Ganz nahe sind wir plötzlich am<br />
Ein Geschenk <strong>der</strong> Natur – Wem nützt´s?<br />
Das Bekenntnis zur Vielfalt / 17<br />
Wesen <strong>der</strong> Artenvielfalt. Es ist wie es ist, ruft uns die Natur<br />
zu. Take it or leave it. Fragen nach dem Nutzen von Gelsen,<br />
bengalischen Tigern o<strong>der</strong> dem Gingko-Baum sind vollkommen<br />
wi<strong>der</strong>natürlich. Die komplexe systemische Abhängigkeit<br />
ermöglicht den Arten so zu leben, wie sie leben. Jede<br />
Art nach ihrer Fasson. Punktum.<br />
Und vor allem brauchen wir die menschlichsten aller Fähigkeiten:<br />
Wissen, unser abwägendes Denken, ein gebildetes<br />
Gewissen und eine Grundhaltung <strong>der</strong> Toleranz, Wertschätzung<br />
und Achtsamkeit, um Entscheidungen treffen zu können.<br />
Hier zeichnet sich schon eine zentrale Anfor<strong>der</strong>ung an<br />
die Bildungsverantwortlichen ab. Kin<strong>der</strong>, Jugendliche und<br />
Erwachsene in die Pflicht zu nehmen, nachzudenken und<br />
Bil<strong>der</strong> – Weltbil<strong>der</strong> – zu entwickeln, in denen das eigene<br />
Handeln schlüssig passieren kann.<br />
Denn daran fehlt es quer durch die Altersstufen, und auch<br />
die Naturschutzbewegung steht hier in einer großen Verantwortung.<br />
In all <strong>der</strong> Sorge um die Natur scheint uns voll-
18<br />
/ Das Bekenntnis zur Vielfalt<br />
kommen aus dem Blick geraten zu sein, dass auch wir Menschen<br />
Natur sind, mit allen Bedürfnissen und Ansprüchen.<br />
Natur ist zu etwas vollkommen außen Liegendem geworden.<br />
Aus dieser Natur haben wir uns in einer fast infantilen<br />
Weltdeutung gänzlich verabschiedet.<br />
Entwe<strong>der</strong> betrachten wir Natur aus <strong>der</strong> technisch-rationalen<br />
Nutzerperspektive. Natur <strong>als</strong> Sauerstoffspen<strong>der</strong>, Nahrungs-<br />
und Rohstofflieferant o<strong>der</strong> Sportgerät, <strong>der</strong> man sich<br />
möglichst uneingeschränkt bedienen kann.<br />
O<strong>der</strong> wir verfallen in eine pseudoreligiöse Überhöhung <strong>der</strong><br />
Natur zum „heiligen Ort“, an dem <strong>der</strong> Mensch <strong>als</strong> größter<br />
Feind <strong>der</strong> Natur nichts verloren hat.<br />
Das Dazwischen haben wir uns wegmoralisiert. Entfremdung<br />
in jedem Fall.<br />
Und so geht nur mehr wenig zusammen in unseren Köpfen.<br />
Da führt die Exkursion mit <strong>der</strong> Seniorengruppe zur wun<strong>der</strong>schönen<br />
Bergmähwiese mit den vielen bunten Blumen.<br />
Erläuterungen zur Bedeutung <strong>der</strong> Artenvielfalt – 60 Arten<br />
auf hun<strong>der</strong>t Quadratmetern. Und natürlich bitte nicht vom<br />
Weg in die Wiese und nichts ausreißen und Begeisterung –<br />
ach wie toll. Und zuhause wird dann wie<strong>der</strong> allsamstäglich<br />
ausgerückt mit Rasenmäher und Gartenschere, um dem<br />
üblen Wildwuchs des Grünzeugs im Garten Herr zu werden.<br />
O<strong>der</strong> die Schülergruppe am Bauernhof. Kühe streicheln und<br />
melken inklusive. Und die kuscheligen Tiere werden doch<br />
nicht etwa geschlachtet, o<strong>der</strong>? Und schauen wir beim<br />
Nachhausefahren eh noch beim McDonalds vorbei?<br />
Eine Erfahrung <strong>der</strong> Ernüchterung:<br />
Das Thema Biodiversität in Bildungsprozessen hat vor allem<br />
eine Qualität: es ist in Zeiten von Natura 2000 gesellschaftlich<br />
en vogue. Darüber hinaus ist es abstrakt, kaum<br />
nachvollziehbar, ohne Betroffenheitspotenzial und fern persönlicher<br />
Erlebbarkeit. Schlechte Karten <strong>als</strong>o, um gerade<br />
Jugendliche und Erwachsene zu begeisterten Verfechtern<br />
<strong>der</strong> Artenvielfalt zu machen.<br />
Arbeit am Wesen <strong>der</strong> Problematik,<br />
am Wesentlichen.<br />
Persönlichkeitsbildung bedarf <strong>der</strong> ganzkörperlichen, kognitiven,<br />
physischen und emotionalen Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />
Haltungen. Wenn wir uns dem Thema Vielfalt widmen, stehen<br />
Verantwortung, Umgang mit Macht, Seinlassen und ein<br />
Bewusstsein für systemische Wechselwirkungen im Zentrum<br />
<strong>der</strong> pädagogischen Bemühungen (alles ist mit allem<br />
verwoben). Bildung muss hier einen Raum aufmachen, in<br />
dem es möglich wird, den eigenen Umgang mit diesen Haltungen<br />
zu hinterfragen. Viele eigene Erfahrungen haben<br />
mich gelehrt, dass für Jugendliche und Erwachsene das<br />
Erfahrungsfeld „soziales Erleben“ sehr viel mehr Betroffenheit<br />
auslöst <strong>als</strong> die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Biodiversität<br />
anhand von Tieren und Pflanzen. Biodiversität lässt sich<br />
allzu gut rational auslagern und betrifft dann hauptsächlich<br />
die an<strong>der</strong>en und nur nicht mich.<br />
Mein Weg zum Thema führt daher über die Arbeit an persönlichen<br />
Erfahrungen im sozialen Feld einer Gruppe. Ein<br />
ganz eigener Weg, ja sicher – vielleicht auch ein Umweg,<br />
aber einer, wo die persönliche Betroffenheit <strong>als</strong> Triebfe<strong>der</strong><br />
für nachhaltige Wertebildung ins Spiel kommt. Nicht die<br />
Tiere und Pflanzen stehen vorerst im Zentrum, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />
Mensch und die Haltungen, die <strong>der</strong> Problematik zugrunde<br />
liegen.<br />
Auf Basis <strong>der</strong> persönlichen Erfahrungen werden Analogien<br />
zu gesellschaftlichen und ökologischen Prozessen gezogen.<br />
Egal, ob es darum geht, einen Bach trockenen Fußes zu<br />
überqueren, sich am Biwakplatz bei strömendem Regen das<br />
Abendessen zuzubereiten o<strong>der</strong> zu entscheiden, wann Pause<br />
gemacht wird. In all diesen Situationen stecken tiefe persönliche<br />
Erfahrungen. Wie gehen wir damit um, wenn wir<br />
Naturgewalten ausgeliefert sind? Schaffen wir es, uns einzulassen<br />
auf neue Erfahrungen und unser Kontrollbedürfnis<br />
sein zu lassen? Wo entsteht das Gefühl eingebunden zu sein<br />
in ein großes Ganzes? Wie gehen wir <strong>als</strong> Gruppe mit Entscheidungsprozessen<br />
um? Nehmen wir uns Zeit abzuwägen<br />
und Entscheidungen zu fällen, die von allen mitgetragen
werden? Wie bahnen wir uns den mühsamen Weg durch die<br />
Vielfalt an Meinungen und Herangehensweisen? Kann sich<br />
eine Gruppe auf schwächere Mitglie<strong>der</strong> einstellen und auch<br />
Verantwortung übernehmen? O<strong>der</strong> wird „drübergefahren“.<br />
Welchen Stellenwert nimmt Toleranz im Gefüge des Teams<br />
ein? Welche Grundstimmung prägt den Umgang miteinan<strong>der</strong>?<br />
Ist „An<strong>der</strong>ssein“ ein Frevel?<br />
Soziales Lernen an Haltungen stellt das Erfahrungsfundament<br />
dar. Erst darauf bauen Schritte auf, die zu Fragen rund<br />
um Biodiversität führen. Was bleibt ist weniger Wissen <strong>als</strong><br />
vielmehr Erkenntnis: Jede/r von uns, ob Mensch, Pflanze<br />
o<strong>der</strong> Tier ist einzigartig in <strong>der</strong> Art, wie Leben Gestalt<br />
annimmt und sich ausprägt. Das Zusammenleben in Vielfalt<br />
ist nicht ganz einfach, weil wir in <strong>der</strong> Befriedigung unserer<br />
Bedürfnisse in Wechselwirkung miteinan<strong>der</strong> stehen. Spannungen<br />
und Konkurrenz gehören dazu und schaffen Differenzierung.<br />
Entscheidungen sind notwendig und bedürfen<br />
<strong>der</strong> Abwägung. Die Grundhaltung muss sein: Achtsamkeit<br />
und Wertschätzung.<br />
Worüber wir jetzt sprechen? Über Beziehungen zwischen<br />
Menschen, zwischen Staaten o<strong>der</strong> unseren Umgang mit <strong>der</strong><br />
Natur?<br />
Egal: Das Bekenntnis zu Vielfalt ist im Kopf,<br />
o<strong>der</strong> es ist nirgendwo.<br />
Das Bekenntnis zur Vielfalt / 19<br />
Gruppengeist<br />
ist hier gefragt<br />
Literatur<br />
Wilson, E. O. 1995: Der Wert <strong>der</strong> Vielfalt. Die Bedrohung des Artenreichtums<br />
und das Überleben des Menschen. Piper Verlag, München<br />
Mag. Martin Krejcarek<br />
lässt sich zum Supervisor ausbilden. Der Biologe und<br />
Erwachsenenbildner leitet das Projekt „Bildung-Landwirtschaft-Naturschutz“<br />
am Ländlichen Fortbildungsinstitut<br />
(LFI) in Oberösterreich; er ist freiberuflicher Trainer und<br />
Mo<strong>der</strong>ator.
20<br />
Klaus Peter-Zulka<br />
Lebensraum-Fragmentation<br />
und Biodiversität<br />
Was bedeutet Lebensraum-Fragmentation<br />
für die Artenvielfalt?<br />
Es ist leicht einzusehen, dass Tiere in einem Waldbach, <strong>der</strong><br />
50 cm hoch mit Beton zugeschüttet wird, nicht mehr leben<br />
können. Viel Lebensraum wurde bereits vernichtet und es ist<br />
offensichtlich, dass die Folgen für die Artenvielfalt fatal<br />
sind. Aber es gibt auch subtilere, weit weniger offensichtliche<br />
Möglichkeiten, Lebewesen die Existenzgrundlage zu<br />
entziehen. Angenommen, ein Wald wird durch eine Straße<br />
in zwei Stücke zerteilt. Zunächst hat es den Anschein, <strong>als</strong> sei<br />
gar nicht so viel passiert. Der Flächenverlust beläuft sich<br />
vielleicht nur auf ganz wenige Prozente <strong>der</strong> Waldfläche.<br />
Vielleicht haben Naturschützer sogar durchsetzen können,<br />
dass dieser Verlust an einer an<strong>der</strong>en Stelle durch Aufforstung<br />
ausgeglichen wird. Und doch hat sich die Landschaft<br />
tiefgreifend verän<strong>der</strong>t! Tiere und Pflanzen können nicht<br />
mehr ungehin<strong>der</strong>t wan<strong>der</strong>n, ihr Aktionsradius wird durch<br />
die Straße eingeschränkt. Übervölkerung auf <strong>der</strong> einen Seite<br />
Eine Trockenrasen-Insel erhebt sich in <strong>der</strong> Ferne – Wo ist die nächste?<br />
<strong>der</strong> Straße kann Populationszusammenbrüche auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Seite nicht mehr ohneweiters ausgleichen. Für Arten,<br />
die den Randbereich des Waldes meiden, weil sie dort nicht<br />
leben können, hat <strong>der</strong> Lebensraum viel stärker abgenommen,<br />
<strong>als</strong> es <strong>der</strong> Flächenbilanz nach den Anschein hat. Aber<br />
auch <strong>der</strong> Wald selbst hat sich verän<strong>der</strong>t: die Lichtverhältnisse<br />
und das Mikroklima haben sich geän<strong>der</strong>t. Die Summe<br />
aus zwei Fragmenten eines Waldes ist offensichtlich nicht<br />
das Gleiche wie ein einheitlicher, unfragmentierter Wald.<br />
In vielen Teilen Mitteleuropas gibt es Natur aber überhaupt<br />
nur mehr in Form von Reststücken, die von Äckern, Straßen,<br />
Siedlungen, Autobahnen o<strong>der</strong> künstlichen Anpflanzungen<br />
umgeben sind. Naturnahe Lebensräume sind zu Inseln<br />
geworden. Einigen Tieren und Pflanzen ist es gelungen, auf<br />
diesen Inseln zu überleben. Auf lange Sicht sind aber die<br />
Lebensraum-Inseln zu klein, um diese Arten beherbergen zu<br />
können. Die Organismen werden nicht sofort aus unserer<br />
Landschaft verschwinden, auch nicht in den nächsten Jahren.<br />
Aber ein schlechtes Jahr, ein Pilzbefall hier, ein Krankheitserreger<br />
dort, und immer weniger Populationen bleiben<br />
übrig.<br />
Was bedeutet das für die Biodiversität? Am Beispiel <strong>der</strong><br />
Laufkäfer sei dies kurz illustriert. In Österreich leben etwa<br />
650 Laufkäfer-Arten. Nur etwa ein Dutzend davon kommt<br />
mit Äckern und Fel<strong>der</strong>n gut zurecht. Für sie bedeutet die<br />
Fragmentation von Lebensräumen keinerlei Gefahr, sie finden<br />
auch in Agrarwürsten das Auslangen. Was ist aber mit<br />
den vielen Hun<strong>der</strong>ten Spezialisten, die sehr viel höhere<br />
Ansprüche an den Lebensraum stellen? Für diese Arten sind<br />
Fel<strong>der</strong> und Straßen unüberwindliche Hin<strong>der</strong>nisse. Für über
600 Laufkäfer-Arten – und damit für die Laufkäfer-Biodiversität<br />
in Österreich, tickt eine Zeitbombe. Sie kann nur<br />
entschärft werden, wenn wir beginnen, das Problem <strong>der</strong><br />
Lebensraum-Fragmentation zu verstehen und Maßnahmen<br />
zu ergreifen, um Lebensräume wie<strong>der</strong> zu vernetzen.<br />
Wie kommt es zur Lebensraum-Fragmentation?<br />
Intakte Landschaften (Abbildung 1 ganz links) bestehen<br />
nahezu ganz aus natürlichen Lebensräumen, zum Beispiel<br />
aus Wäl<strong>der</strong>n. Menschliche Siedlungen o<strong>der</strong> Kulturland<br />
machen nur einen ganz kleinen Teil <strong>der</strong> Fläche aus. In Mitteleuropa<br />
sind solche Landschaften praktisch nicht mehr<br />
anzutreffen.<br />
Mit <strong>der</strong> Zunahme menschlicher Kulturtätigkeit vergrößern<br />
sich die Löcher in den ursprünglichen Lebensräumen.<br />
McIntyre & Hobbs (1999) nennen solche Landschaften<br />
„variegated“, was man etwa mit „verbuntet“ übersetzen<br />
könnte (Abbildung 1). Der Artenreichtum nimmt in solchen<br />
Landschaften zunächst einmal gegenüber <strong>der</strong> vollständig<br />
intakten Landschaft zu, da zu den Arten des natürlichen<br />
Lebensraums jetzt Arten hinzukommen, die vom Menschen<br />
geför<strong>der</strong>t werden. Solche „bunten“ Kulturlandschaften<br />
waren in früheren Jahrhun<strong>der</strong>ten in Mitteleuropa gang und<br />
gäbe. Sie sind heute noch in Österreich zum Beispiel im Voralpenland<br />
anzutreffen. Für Tiere, die auf große ungestörte<br />
Lebensräume angewiesen waren, wie Bär, Wolf, Wisent,<br />
Elch, Steinadler und Luchs, war dieser Lochfraß aber bereits<br />
zuviel, die Kontaktlinie mit menschlichen Siedlungen meist<br />
zu lang, <strong>als</strong> dass ein konfliktfreies Nebeneinan<strong>der</strong> möglich<br />
gewesen wäre. Viele dieser Arten wurden in geschichtlicher<br />
Zeit in großen Teilen Europas ausgerottet. Aber auch viele<br />
an<strong>der</strong>e Arten, die die Randzonen <strong>der</strong> Lebensräume meiden,<br />
werden durch diese Auflockerung <strong>der</strong> Landschaft nicht<br />
geför<strong>der</strong>t.<br />
Wenn nun <strong>der</strong> Lebensraum-Verlust fortschreitet, kommt<br />
irgendwann einmal ein kritischer Punkt, an dem das Netz<br />
des Restlebensraums zerreißt und nur mehr Lebensraum-<br />
Inseln übrig bleiben. Spanische Forscher (Bascompte & Solé<br />
1996) haben solch eine Lebensraum-Zerstörung im Computer<br />
simuliert. Sie haben dabei wahllos aus einer Landschaft<br />
immer mehr Quadrate herausgeschnitten und beobachtet,<br />
was passiert (Abbildung 2). Bei etwa 40 % Lebensraumzerstörung<br />
kippt das System um, aus einem zusammenhängenden<br />
Lebensraum werden Inseln. Die Organismen können<br />
Lebensraum-Fragmentation und Biodiversität / 21<br />
Abbildung 1:<br />
Schematische Veranschaulichung <strong>der</strong> Lebensraum-Fragmentation. Nach<br />
McIntyre & Hobbs (1999), verän<strong>der</strong>t.<br />
sich plötzlich nicht mehr frei in <strong>der</strong> Landschaft bewegen.<br />
Solch eine Landschaft bezeichnen McIntyre & Hobbs (1999)<br />
<strong>als</strong> fragmentiert (vgl. Abbildung 1).<br />
Die Strukturen fragmentierter Landschaften können mit den<br />
Begriffen Biotopinsel (Patch), Matrix und Korridor beschrieben<br />
werden (vgl. Forman 1995). In einer Matrix, die in <strong>der</strong><br />
Kulturlandschaft zumeist von Ackerfel<strong>der</strong>n gebildet wird,<br />
liegen einzelne Biotopinseln, zum Beispiel Wäl<strong>der</strong> o<strong>der</strong><br />
Trockenrasen eingebettet. Lineare Strukturen zwischen diesen<br />
Biotopinseln bezeichnet man <strong>als</strong> Korridore. Ob sie auch<br />
wirklich <strong>als</strong> Wan<strong>der</strong>korridore fungieren können, hängt vom<br />
jeweiligen Organismus ab. Ackerrän<strong>der</strong> sind zum Beispiel<br />
Korridore für viele Wildkräuter. Neben Korridoren können<br />
auch Trittsteinbiotope die Verbindung zwischen Lebensräumen<br />
verbessern. Trittsteinbiotope sind Lebensräume, die<br />
nicht unbedingt lebensfähige Populationen beherbergen<br />
müssen, die es aber Organismen erleichtern, von einer Biotopinsel<br />
zur an<strong>der</strong>en zu gelangen.<br />
Abbildung 2:<br />
Lebensraum-Zerstörung und ihre Folgen für die Durchlässigkeit <strong>der</strong> Landschaft.<br />
Links: <strong>der</strong> Lochfraß öffnet die Lebensräume, schafft Randlinien,<br />
aber <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Arten steht wenig im Wege. Mitte: die magische<br />
40%-Schwelle ist überschritten. Aus zusammenhängendem Lebensraum<br />
werden Fragmente – Biotopinseln, die Durchlässigkeit wird schlagartig<br />
dramatisch herabgesetzt. Rechts: eine fragmentierte Landschaft, Wan<strong>der</strong>ung<br />
zwischen den Lebensraum-Resten ist nicht mehr möglich, aus dem<br />
Meer sind Inseln geworden. Nach Bascompte & Solé (1996), verän<strong>der</strong>t.
22<br />
/ Lebensraum-Fragmentation und Biodiversität<br />
Abbildung 3:<br />
Die Form einer Biotopinsel ist für die Randeffekte entscheidend.<br />
Je größer <strong>der</strong> Umfang im Verhältnis zum Inhalt, desto bedeuten<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Randeffekt.<br />
Das letzte Stadium <strong>der</strong> Lebensraum-Fragmentation kann<br />
man mit McIntyre & Hobbs (1999) <strong>als</strong> Relikt-Landschaft<br />
bezeichnen (Abbildung 1). Zwischen den Biotopinseln<br />
bestehen keinerlei Verbindungen mehr, die Biotopinseln sind<br />
nicht mehr in <strong>der</strong> Lage, typische Arten zu beherbergen.<br />
Ohne umfangreiche Rekonstruktionsmaßnahmen ist eine<br />
solche Landschaft für jene Organismen, die auf die Restlebensräume<br />
angewiesen sind, nahezu wertlos.<br />
Begleiterscheinungen <strong>der</strong><br />
Lebensraum-Fragmentation<br />
1. Randeffekte<br />
Die traditionelle Ökologie, die die Beziehung zwischen<br />
Organismus und Umwelt beschreibt, hat es meist vermieden,<br />
die Rän<strong>der</strong> von Lebensräumen zu untersuchen, wo die<br />
Verhältnisse kompliziert und untypisch werden. Mit zunehmen<strong>der</strong><br />
Fragmentation <strong>der</strong> Landschaft nimmt jedoch <strong>der</strong><br />
Anteil <strong>der</strong> Randzonen zu, das Verhältnis von Umfang zu<br />
Inhalt <strong>der</strong> Biotopinseln wächst (Abbildung 3).<br />
Lebensraumrän<strong>der</strong> können die Artenvielfalt erhöhen, wenn<br />
in den Randbereichen Organismen von zwei verschiedenen<br />
Lebensraum-Typen nebeneinan<strong>der</strong> vorkommen; <strong>der</strong> Lebensraum-Rand<br />
<strong>als</strong> Spannungszone zwischen zwei Lebensräumen<br />
mit einem eigenen Gepräge. Dann nennt man den<br />
Randbereich Ökoton.<br />
In den meisten Fällen sind die Bedingungen am Rand für die<br />
Bewohner <strong>der</strong> Biotopinsel jedoch ungünstig. Das Mikroklima<br />
am Rand ist nicht das gleiche wie im Inneren des Lebensraums.<br />
Zum Beispiel beschattet eine Hecke am Rand eines<br />
Trockenrasens eine breite Zone, sodass die Temperatursummen<br />
dort geringer sind <strong>als</strong> im Zentrum. Die wärmebedürftigeren<br />
Arten bekommen nicht genügend Sonne und bleiben<br />
in ihrer Entwicklung stecken. Aus den benachbarten Gebieten<br />
können Beutegreifer (Prädatoren) eindringen. Vogelbruten<br />
haben am Waldrand wesentlich geringere Erfolgsaus-<br />
sichten <strong>als</strong> im Waldinneren. Auch Parasiten und Konkurrenten<br />
dringen vom Rand her in den Lebensraum ein. Die Verbuschung<br />
von Trockenrasen beginnt meist am Rand,<br />
während im Inneren des Rasens Sträucher im dichten Grasfilz<br />
nur wenig Möglichkeit haben, Fuß zu fassen.<br />
Die Form <strong>der</strong> Biotopinsel beeinflusst die Tragweite <strong>der</strong><br />
Randeffekte. Schmale, lange Biotopinseln sind stärker von<br />
Randeffekten beeinflusst <strong>als</strong> runde o<strong>der</strong> quadratische Biotopinseln<br />
(Abbildung 3). Entscheidend für die Art und Auswirkung<br />
von Randeffekten sind auch die angrenzenden<br />
Lebensräume. So sind in Agrargebieten Stickstoffeintrag<br />
und eingewehte Pestizide die wichtigsten Ursachen für<br />
Randeffekte. Randeffekte sind schon eine unangenehme<br />
Begleiterscheinung von Fragmentation, weil sie den<br />
ohnehin ablaufenden Lebensraum-Verlust verstärken und<br />
den Eindruck entstehen lassen, intakter Lebensraum sei<br />
noch ausgedehnt übrig. In Wirklichkeit bestehen viele kleine<br />
Biotopinseln nur mehr aus Randlebensraum.<br />
2. Probleme kleiner Populationen<br />
Eine weitere Nebenwirkung <strong>der</strong> Lebensraum-Fragmentation<br />
ist noch gravieren<strong>der</strong>. Durch Fragmentation wird eine<br />
ursprünglich große Population von Individuen auf viele kleine<br />
Biotopinseln aufgeteilt; sie wird in Teilpopulationen zerstückelt.<br />
Unter Population versteht man eine Gruppe von<br />
Individuen, die miteinan<strong>der</strong> in Wechselwirkung treten, sich<br />
<strong>als</strong>o beispielsweise paaren und fortpflanzen.<br />
Man könnte annehmen, dass diese Aufteilung keine große<br />
Folgen hat, wenn nur die Gesamtindividuenzahl einigermaßen<br />
gleich bleibt. Wenn nach dem oben bereits geschil<strong>der</strong>ten<br />
Beispiel eine Straße durch einen großen Wald gebaut<br />
wird, so geht dadurch schließlich nur ein geringer Anteil des<br />
Lebensraums verloren. Allerdings wird die Population eines<br />
waldbewohnenden Käfers, <strong>der</strong> die Straße nicht überwinden<br />
kann, in zwei Hälften geteilt.<br />
Populationsbiologische Überlegungen haben gezeigt, dass<br />
man sich das Aussterben aber nicht <strong>als</strong> einen Prozess vorstellen<br />
kann, bei dem die Zahl <strong>der</strong> Individuen beständig<br />
abnimmt, bis schließlich kein Vertreter übrig ist. Aussterben<br />
beginnt viel früher. Ab einer bestimmten Individuenzahl<br />
verstärken sich Mechanismen des Zufalls. Sie ziehen die Art<br />
in einen Aussterbensstrudel, aus dem es kein Entrinnen gibt.<br />
Ausgangspunkt war eine Überlegung des amerikanischen<br />
Biologen Shaffer (1981). Er stellte die Frage, wie groß
Naturschutzgebiete o<strong>der</strong> Nationalparke<br />
dimensioniert sein müssen, damit eine<br />
bestimmte Art auf Dauer darin bewahrt<br />
werden kann. Je größer das Schutzgebiet,<br />
desto mehr Individuen <strong>der</strong> Art können<br />
darin leben. Die Individuenzahl<br />
schwankt jedoch von Jahr zu Jahr. Es<br />
gibt Jahre mit gutem Fortpflanzungserfolg<br />
und Jahre mit wenig o<strong>der</strong> gar keinen<br />
Nachkommen. Seuchen, Krankheiten<br />
o<strong>der</strong> Katastrophen können die Art<br />
stark dezimieren. Wenn die Art auf<br />
Dauer überleben soll, dann muss das<br />
Schutzgebiet so groß bemessen sein,<br />
dass unter Berücksichtigung <strong>der</strong><br />
Schwankungen immer genügend Individuen<br />
übrig bleiben, sodass die Art nicht<br />
ganz verschwindet. Verschiedene Faktoren<br />
können allerdings dabei auf<br />
unheilvolle Art zusammenwirken.<br />
Shaffer (1981) schil<strong>der</strong>t das Schicksal<br />
einer Population des Heidehuhns (Tympanuchus<br />
cupido cupido) auf <strong>der</strong> Insel<br />
Martha's Vineyard. 1876 lebte eine<br />
Population dieser Art auf <strong>der</strong> Atlantikinsel.<br />
1900 umfasste diese Population<br />
etwa 100 Tiere. 1907 wurde ein Schutzgebiet<br />
für die Tiere eingerichtet und<br />
Greifvögel und an<strong>der</strong>e Beutegreifer<br />
wurden bejagt. Das führte dazu, dass<br />
die Population bis 1916 auf 800 Individuen<br />
anwachsen konnte. Im gleichen<br />
Jahr brach jedoch auf <strong>der</strong> Insel ein<br />
Feuer aus, und in <strong>der</strong> Folge herrschte<br />
starker Räuberdruck durch Habichte,<br />
was zur Folge hatte, dass die Population<br />
im Jahre 1917 wie<strong>der</strong> auf 100 bis<br />
150 Individuen schrumpfte. 1920 war<br />
sie zwar wie<strong>der</strong> auf 200 Tiere angewachsen,<br />
aber dann reduzierte eine<br />
Krankheit die Population auf weniger<br />
<strong>als</strong> 100 Individuen. 1932 war das Heidehuhn<br />
auf Martha's Vineyard ausgestorben.<br />
Obgleich das Heidehuhn zwischendurch<br />
auf <strong>der</strong> Insel recht zahlreich vorkam,<br />
genügten einige zufällige Ereignisse<br />
und mehrere sich verstärkende Prozes-<br />
se, und die Art verschwand. Um welche<br />
Prozesse handelt es sich dabei?<br />
A Zufällige Schwankungen <strong>der</strong><br />
Umweltbedingungen –<br />
Umweltstochastizität<br />
Zu den Umweltbedingungen zählen<br />
neben Klimaeinflüssen auch <strong>der</strong> Räuberdruck<br />
und das Nahrungsangebot.<br />
Im Frühjahr 2000 war zum Beispiel <strong>der</strong><br />
Frühling bereits so heiß und trocken,<br />
dass viele Orchideen im Frühsommer<br />
verwelkt waren und erst gar nicht zum<br />
Blühen kamen. Eine Fortpflanzung war<br />
damit nicht möglich. Eine Folge<br />
schlechter Jahre kann Insektenpopulationen<br />
stark dezimieren. Welche Populationen<br />
sind nun beson<strong>der</strong>s gefährdet?<br />
Diese Frage untersuchte <strong>der</strong> amerikanische<br />
Biomathematiker Russell Lande<br />
(1993). Er fand heraus, dass we<strong>der</strong> die<br />
Arten mit beson<strong>der</strong>s hohen noch die<br />
Arten mit beson<strong>der</strong>s geringen Populationsschwankungen<br />
am stärksten gefährdet<br />
sind, son<strong>der</strong>n dass es auf das Verhältnis<br />
<strong>der</strong> Vermehrungsrate zur<br />
Schwankungsrate ankommt. Eine Art ist<br />
<strong>als</strong>o vor Gefahren durch starke Umweltschwankungen<br />
nur dann gefeit, wenn<br />
ihre Vermehrungsrate so hoch ist, dass<br />
sie Verluste je<strong>der</strong>zeit kompensieren<br />
kann.<br />
B Zufälliger Verlust von Erbinformation<br />
– genetische Stochastizität<br />
Auch innerhalb ein und <strong>der</strong>selben Art<br />
ist das genetische Material nicht einheitlich.<br />
Das Erbmaterial, die Gene,<br />
kommt normalerweise in verschiedenen<br />
Ausprägungen vor, in so genannten<br />
Allelen. Die Allele für die menschlichen<br />
Blutgruppen sind beispielsweise die<br />
Allele A und B. Es gibt häufige und seltene<br />
Allele. Wenn eine Population dramatisch<br />
verkleinert wird, ist es wahrscheinlich,<br />
dass seltene Allele aus <strong>der</strong><br />
Population verschwinden (Abbildung 4).<br />
Wenn sich zum Beispiel die wenigen<br />
Lebensraum-Fragmentation und Biodiversität / 23<br />
Abbildung 4:<br />
Genetische Stochastizität. Durch<br />
abrupte Populationsverkleinerung<br />
gehen viele seltene Allele in <strong>der</strong> Population<br />
zufällig verloren, die genetische<br />
Diversität sinkt.<br />
Abbildung 5:<br />
Demographische Stochastizität.<br />
Schwankungen in <strong>der</strong> Populationsgröße<br />
können bei kleinen Populationen<br />
dazu führen, dass nur mehr Vertreter<br />
eines Geschlechts übrig bleiben.
24<br />
/ Lebensraum-Fragmentation und Biodiversität<br />
Träger-Individuen dieser seltenen Allele nicht fortpflanzen,<br />
geht die genetische Information in <strong>der</strong> Population verloren.<br />
Wenn die Population isoliert ist und keine Träger dieser<br />
Allele neu einwan<strong>der</strong>n können, ist <strong>der</strong> Verlust unwie<strong>der</strong>bringlich.<br />
Das hat zur Folge, dass sich die Population verän<strong>der</strong>ten<br />
Umweltbedingungen nur mehr sehr schlecht anpassen<br />
kann. Auch Krankheitserreger haben leichtes Spiel, da<br />
sie bei jedem Organismus ein ähnliches Erbgut vorfinden<br />
und sich damit wirksam in <strong>der</strong> Population ausbreiten können.<br />
Das macht die Population insgesamt empfindlicher<br />
gegen die oben beschriebenen Einflüsse durch Umweltschwankungen.<br />
Sinkt die Populationsgröße auf wenige Dutzend Individuen<br />
ab, dann kommt noch das Problem hinzu, dass sich nur mehr<br />
nah verwandte Individuen paaren können, was zu einer weiteren<br />
Verschlechterung des Populationszustands durch<br />
Inzucht führt.<br />
C Biologische Begleiterscheinungen geringer<br />
Populationsgröße – Allee-Effekt<br />
Unter dem Effekt, benannt nach dem amerikanischen Biologen<br />
Allee, fasst man alle biologischen Begleiterscheinungen<br />
geringer Populationsgröße zusammen, die je nach Art<br />
unterschiedlich bedeutsam sind. Individuen in kleinen Populationen<br />
haben große Schwierigkeiten, einen geeigneten<br />
Partner zu finden, da die Auswahl sehr klein ist. Sozial<br />
jagende Arten können keine effektive Jagdgemeinschaft<br />
aufbauen. Herden können sich nicht mehr erfolgreich gegen<br />
Angreifer verteidigen.<br />
D Schwankungen <strong>der</strong> Nachkommenzahl und des<br />
Geschlechterverhältnisses – demographische<br />
Stochastizität<br />
Obgleich mit einem hochtrabenden Namen bezeichnet, ist<br />
<strong>der</strong> letzte Mechanismus, <strong>der</strong> eine Population zum Aussterben<br />
führt, fast eine Binsenweisheit. Das Verhältnis von<br />
Männchen zu Weibchen beträgt in einer Population im statistischen<br />
Mittel 1 zu 1. Wenn die Population aber sehr klein<br />
ist, kann das Verhältnis von diesem statistischen Mittel<br />
stark abweichen. Schlüpfen etwa aus zwei Zauneidechsengelegen<br />
jeweils 9 weibliche, aber keine männlichen Nachkommen,<br />
dann können die Umweltbedingungen noch so<br />
ideal sein, die beiden Gelege noch so genetisch verschieden,<br />
um die Population ist es dennoch geschehen. Allerdings ist<br />
<strong>der</strong> geschil<strong>der</strong>te Fall schon recht unwahrscheinlich. Genauer<br />
gesagt ist die Wahrscheinlichkeit 0,00076294 %.<br />
Demographische Stochastizität spielt nur bei sehr kleinen<br />
Populationen eine Rolle. Für die Inzucht werden 50 Indivi-<br />
duen <strong>als</strong> kritische Schwelle genannt; für die genetische Verarmung<br />
durch zufällige Allel-Drift 500 Individuen. Diese<br />
50/500-Regel ist aber nur eine Faustformel, ein größenordnungsmäßiger<br />
Anhaltspunkt. Umweltstochastizität kann<br />
sich schon bei großen Populationen auswirken; das Ausmaß<br />
<strong>der</strong> Schwankungen und die Vermehrungskapazität entscheiden<br />
darüber, welche Populationsgröße <strong>als</strong> einigermaßen<br />
gesichert gelten kann. Gegen Katastrophen sind auch sehr<br />
große Populationen nicht gefeit.<br />
Als Fazit all dieser Überlegungen haben die Ökologen den<br />
Schluss gezogen, dass isolierte Populationen grundsätzlich<br />
vom Aussterben bedroht sind. Die Mechanismen verstärken<br />
dabei gegenseitig ihre Wirkung: eine Katastrophe kann die<br />
Populationsgröße so weit reduzieren, dass viele Allele verloren<br />
gehen und die genetische Anpassungsfähigkeit sinkt.<br />
Eine solche Population ist dann anfälliger gegenüber Parasiten<br />
und Umweltschwankungen, was die Populationsgröße<br />
stärker fluktuieren lässt und zu weiteren Verlusten genetischer<br />
Vielfalt führen kann. Ein unglücklicher demographischer<br />
Zufall in einer Phase sehr geringer Bestandsgröße<br />
genügt, und die Population stirbt aus.<br />
3. Metapopulationen<br />
Keine isolierte Population ist vor dem Aussterben gänzlich<br />
gefeit. Bei vielen Arten, die in verinselten Lebensräumen<br />
vorkommen, sind lokale Aussterbensprozesse an <strong>der</strong> Tagesordnung.<br />
Sie tun <strong>der</strong> Art aber dann keinen großen Schaden,<br />
wenn sie durch Neubesiedlung ausgeglichen werden. Man<br />
bezeichnet die Gesamtheit von Populationen, die unabhängig<br />
voneinan<strong>der</strong> in ihrer Größe schwanken, und die durch<br />
gelegentlichen Austausch von Individuen miteinan<strong>der</strong> in<br />
Beziehung stehen, <strong>als</strong> eine Metapopulation. Eine Metapopulation<br />
steht im Gleichgewicht, wenn die Aussterbensrate<br />
<strong>der</strong> Populationen im Mittel genau so groß ist wie die Neubesiedlungsrate.<br />
In <strong>der</strong> Kulturlandschaft ist dieses Gleichgewicht<br />
vielfach gestört. Die Aussterbensrate ist durch<br />
Lebensraum-Verkleinerung, Randeffekte und Störungen<br />
durch den Menschen erhöht. Die Wie<strong>der</strong>besiedlungsrate ist<br />
gleichzeitig durch die vielen Hin<strong>der</strong>nisse in <strong>der</strong> Landschaft<br />
abgesenkt. Solche Metapopulationen befinden sich nicht<br />
mehr im Gleichgewicht, son<strong>der</strong>n auf einem schnurgeraden<br />
Weg zum regionalen Aussterben.
Inselrettung<br />
Die Situation wäre fatal und hätte schon längst das Aussterben<br />
von einem Großteil unserer mitteleuropäischen<br />
Fauna und Flora nach sich gezogen, wenn solche Aussterbensprozesse<br />
nicht sehr lange Zeit dauern würden. Eine<br />
Metapopulation ist aber erst dann verschwunden, wenn alle<br />
ihre Einzelpopulationen aufgrund von zufälligen Einflüssen<br />
ausgestorben sind und keine Neubesiedlung dieses Aussterben<br />
kompensiert hat. Das kann Jahrzehnte bis Jahrhun<strong>der</strong>te<br />
dauern. Dennoch ist für manche Arten absehbar, dass sie<br />
unter den herrschenden Bedingungen auf lange Sicht nicht<br />
überleben können.<br />
Den Trend können wir umkehren, wenn es uns gelingt, die<br />
Inseln wie<strong>der</strong> so groß zu machen, dass die Aussterbenswahrscheinlichkeit<br />
verringert wird, wenn es zudem gelingt,<br />
Trittstein-Biotope und Korridore zu schaffen, die die Wie<strong>der</strong>besiedlungsmöglichkeiten<br />
verbessern. Ob es effektiver<br />
ist, Flächen zu vergrößern, Brachen anzulegen, Feldraine<br />
miteinan<strong>der</strong> zu verbinden o<strong>der</strong> Biotopinseln von Randeffekten<br />
abzuschirmen, muss von Art zu Art beurteilt werden.<br />
Mehrere Maßnahmen können miteinan<strong>der</strong> kombiniert werden.<br />
Korridore kosten nur wenig Fläche und können die<br />
Durchlässigkeit <strong>der</strong> Landschaft verbessern. Lei<strong>der</strong> wissen wir<br />
nicht genau, wie Korridore aussehen müssen, damit sie<br />
bestimmte Arten <strong>als</strong> Verbindungswege nutzen können.<br />
Hecken können <strong>als</strong> Korridore für Waldarten dienen, aber<br />
Arten, die nur im Waldesinneren leben können, werden von<br />
ihnen nur wenig profitieren. Ackerwertstreifen dienen für<br />
viele Arten, die mit dem Störungsniveau <strong>der</strong> hoch technisierten<br />
Intensivlandwirtschaft nicht zu Rande kommen, <strong>als</strong><br />
Ausbreitungskorridore o<strong>der</strong> gar <strong>als</strong> Refugien. Biotopbrücken<br />
über Autobahnen können die verheerenden Auswirkungen<br />
solcher Wunden in <strong>der</strong> Landschaft natürlich nicht gänzlich<br />
ausgleichen, aber doch <strong>der</strong> einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Art die<br />
Besiedlung verlorenen Territoriums wie<strong>der</strong> ermöglichen.<br />
Brachen dienen nicht nur dazu, Agrarüberschüsse zu<br />
begrenzen, sie sind auch für viele Arten die einzigen Trittstein-Biotope<br />
in <strong>der</strong> Agrarwüste. Breite Weg- und Straßenraine,<br />
die nicht regelmäßig kurz geschoren werden, Gstätten,<br />
Gebüsche, feuchte Gräben, <strong>als</strong>o all jene Strukturen in<br />
<strong>der</strong> Landschaft, die allzu ordnungsliebenden Planern ein<br />
Dorn im Auge sein mögen, sind vielleicht die Anknüpfungspunkte<br />
für zukünftige Biotopverbundsysteme. Auf lange<br />
Sicht wird aber nur ein großräumig intaktes Netzwerk von<br />
natürlichen Lebensräumen die Biodiversität in Österreich<br />
erhalten und sichern können.<br />
Lebensraum-Fragmentation und Biodiversität / 25<br />
Literatur<br />
Bascompte, J. & Solé, R. V. 1996: Habitat fragmentation and extinction<br />
thresholds in spatially explicit models. Journal of Animal Ecology<br />
65: 465–473.<br />
Forman, R. T. T. 1995: Land Mosaics. The ecology of landscapes and regions.<br />
Cambridge University Press, Cambridge.<br />
Lande, R. 1993: Risks of population extinction from demographic and<br />
environmental stochasticity and random catastrophes. American<br />
Naturalist 142: 911–927.<br />
McIntyre, S. & Hobbs, R. 1999: A framework for conceptualizing human<br />
effects on landscapes and its relevance to management and research<br />
models. Conservation Biology 13: 1282–1292.<br />
Shaffer, M. L. 1981: Minimum population sizes for species conservation.<br />
BioScience 31: 131–134.<br />
Dr. Klaus Peter Zulka<br />
betreut am Umweltbundesamt das Projekt „Neufassung <strong>der</strong><br />
Roten Liste gefährdeter Tiere Österreichs“. Der Zoologe<br />
arbeitete unter an<strong>der</strong>em mit Laufkäfern, Spinnen, Tausendfüßlern<br />
und Asseln und unterrichtet <strong>als</strong> Lektor an <strong>der</strong> Universität<br />
Wien.
26<br />
Frits Hesselink<br />
Biodiversität kommunizieren<br />
Wie kann man Menschen in Schutzgebieten vom Wert <strong>der</strong> Biodiversität<br />
überzeugen?<br />
Kürzlich traf ich den Manager eines mitteleuropäischen<br />
Naturparks. Er war jung, intelligent und sehr kommunikativ:<br />
ein begabter Redner. Wir kamen ins Gespräch und ich<br />
bemerkte, dass er ziemlich frustriert über seinen Park war.<br />
Dieser war vor einigen Jahrzehnten per amtlicher Verfügung<br />
errichtet worden, hat aber nie wirklich „funktioniert“.<br />
„Es ist ein Park auf dem Papier, die Menchen waren und sind<br />
nach wie vor dagegen“, erzählte er mir. „Der Erlass wurde<br />
ohne ihre Mitwirkung gemacht, er war viel zu bürokratisch<br />
und er brachte den Leuten in und um das Gebiet keinerlei<br />
Vorteile. Das Gebiet ist wichtig für die Erhaltung <strong>der</strong> Artenvielfalt,<br />
es muss geschützt werden. Es ist ganz klar, dass wir<br />
einen neuen Erlass brauchen, <strong>der</strong> diese Dinge positiv zur<br />
Sprache bringt“, sagte er. „Aber das Problem ist, dass die<br />
Leute keinen neuen Erlass wollen. Wir wüssten genau, was<br />
zu tun ist, um die Biodiversität zu erhalten und das Leben<br />
<strong>der</strong> Leute hier zu verbessern, aber sie wollen nicht einmal<br />
zuhören, ist das nicht unglaublich?“<br />
Der Wert <strong>der</strong> Biodiversität in geschützten Gebieten wird von<br />
Biologen und an<strong>der</strong>en Experten definiert und in einem Gutachten,<br />
einer bestimmten sprachlichen Norm entsprechend,<br />
beschrieben. In den meisten Fällen ist es das Schutzgebiet<br />
selbst, das mit seinen Parkstatuten <strong>als</strong> Rechtsgrundlage für<br />
die Erhaltung dieser Werte zuständig ist. Das heißt jedoch<br />
nicht, dass diese Werte von den Menschen in und um das<br />
Landschaftsschutzgebiet ebenso geschätzt werden und<br />
schon gar nicht von <strong>der</strong> Mehrheit <strong>der</strong> Bevölkerung. Für sie<br />
mag die geschützte Region eine ganz an<strong>der</strong>e Bedeutung<br />
haben, die mit dem Wert <strong>der</strong> Biodiversität nichts zu tun hat.<br />
Dem jungen Landschaftsschutzbeauftragten war dies sehr<br />
wohl bewusst.<br />
Die wirtschaftliche o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Nutzung eines Schutzgebietes<br />
war nicht immer gleich. Im Laufe <strong>der</strong> Zeit haben sich<br />
Nutzung und <strong>der</strong> damit verbundene Wert des Gebietes verän<strong>der</strong>t.<br />
Was wir heute <strong>als</strong> beson<strong>der</strong>s schützens- und erhaltenswert<br />
erachten, mag vor 50 bis 100 Jahren ganz an<strong>der</strong>s<br />
betrachtet worden sein – und das könnte sich auch in<br />
Zukunft wie<strong>der</strong> än<strong>der</strong>n. Die wirtschaftliche Entwicklung und<br />
die Nutzung des Gebietes, seine soziale Bedeutung und <strong>der</strong><br />
Bevölkerungsdruck in und um das Schutzgebiet bestimmen,<br />
welchen „sozialen“ Wert die Biodiversität hat. Auf diese<br />
Aspekte angesprochen, erzählt <strong>der</strong> junge Mann, dass das<br />
Land vor 50 Jahren von den Bauern <strong>als</strong> Weideland genutzt<br />
wurde. „Nun wurden sie vom Markt gezwungen, das Weideland<br />
aufzugeben, während <strong>der</strong> Park die Beweidung aber<br />
braucht. Wir wollen diese Landschaft so erhalten, wie sie
seit Generationen ist. Wir müssen die traditionelle Landwirtschaft<br />
– und zwar in Kombination mit Ökotourismus –<br />
wie<strong>der</strong> einführen, sodass sie für die Bauern etwas bringt.“<br />
Die Gesellschaft hat sich in den letzten 50 bis 100 Jahren<br />
rapide verän<strong>der</strong>t und sie wird es auch weiterhin tun. Das<br />
bedeutet massive Verän<strong>der</strong>ungen im Verhalten, in den<br />
Anschauungen und Wahrnehmungen <strong>der</strong> Leute, wenn man<br />
die gegenwärtige Generation mit den Menschen vor 50 bis<br />
100 Jahren vergleicht. Eine <strong>der</strong> größten Verän<strong>der</strong>ungen ist<br />
<strong>der</strong> wachsende Trend zur Individualisierung. Wie wir Natur<br />
und Artenvielfalt wahrnehmen und schätzen, hängt nicht<br />
mehr von sozialer Schicht, Einkommen und Bildungsgrad<br />
ab; je<strong>der</strong> hat seine persönliche Meinung, seine eigene<br />
Wahrnehmung und eigene Werte. Und noch dazu verän<strong>der</strong>n<br />
sich diese auch je nach <strong>der</strong> spezifischen Situation, in <strong>der</strong><br />
sich <strong>der</strong> Einzelne befindet. Was an einem Tag wichtig ist,<br />
kann zu einem an<strong>der</strong>en Zeitpunkt unbedeutend sein. Der<br />
Park-Manager erzählte mir, dass er heutzutage nicht nur<br />
mit den in <strong>der</strong> Region lebenden Bauern Probleme habe, son<strong>der</strong>n<br />
auch mit Städtern, die entwe<strong>der</strong> hierher pendeln o<strong>der</strong><br />
in <strong>der</strong> Gegend Wochenendhäuser besitzen. „Sie schätzen<br />
das Land um ihre umgebauten Bauernhäuser nicht wirklich<br />
und mähen es daher auch nicht, obwohl einige <strong>der</strong> Zugezo-<br />
genen sogar Mitglie<strong>der</strong> des Vogelklubs sind. Wir müssen sie<br />
von <strong>der</strong> traditionellen Landschaftspflege und Lebensweise<br />
in <strong>der</strong> Region überzeugen.“<br />
In dieser sich verän<strong>der</strong>nden Welt ist es eine wichtige Aufgabe<br />
<strong>der</strong> Park-Manager, den Wert <strong>der</strong> Artenvielfalt zu vermitteln,<br />
die Existenzgrundlage ihres Schutzgebietes. Kom-<br />
Biodiversität kommunizieren / 27<br />
munikation kann man hier <strong>als</strong> „Sprech- und Zuhör-Intervention“<br />
(unter Verwendung einer Palette von Medien) definieren,<br />
um eine bestehende Situation in eine gewünschte<br />
umzuwandeln. Es sollen <strong>als</strong>o Einstellungen, Werte, Wahrnehmungen<br />
und Verhalten unserer Zielgruppen so entwickelt<br />
und verän<strong>der</strong>t werden, dass durch ihr Handeln<br />
Biodiversität erhalten bleibt o<strong>der</strong> nachhaltig genutzt wird.<br />
Ich fragte meinen Gesprächspartner: „Haben Sie selber<br />
schon mit den Bewohnern Ihres Landschaftsschutzgebietes<br />
geredet?“ „Ich habe keine Zeit!“ war seine Antwort, „aber<br />
ich weiß, dass wir kommunizieren müssen, um die Situation<br />
zu än<strong>der</strong>n. Wir haben schon eine Menge Unterlagen und<br />
Broschüren vorbereitet.“<br />
Um <strong>der</strong> Bevölkerung die erhaltenswerte Artenvielfalt ihrer<br />
Region bewusst zu machen, gibt es grundsätzlich zwei Strategien,<br />
die auf unterschiedlichen Paradigmen beruhen.<br />
Der erste Weg ist darauf ausgerichtet, die Zielgruppe zu<br />
(Amateur-)Experten und zumindest zeitweiligen Bewun<strong>der</strong>ern<br />
<strong>der</strong> Artenvielfalt zu machen. Diese Strategie geht von<br />
<strong>der</strong> Annahme aus, dass „wir Biodiversitäts-Experten wissen,<br />
was für die Gesellschaft und für dich gut ist“. Sie ist in <strong>der</strong><br />
Regel sehr instrumentell und verläuft top-down. Verwendet<br />
werden Poster, Broschüren, Dokumentationen, Informationspakete<br />
für Schulen und Naturerfahrungsangebote wie<br />
Lehrpfade etc. Die Kommunikation ist eher auf „Sprechen“<br />
o<strong>der</strong> „Senden“ gerichtet und weniger darauf, zuzuhören was<br />
<strong>der</strong> „Empfänger“ zu sagen hat. „Wir müssen die traditionelle<br />
Landwirtschaft wie<strong>der</strong> einführen und die Leute überzeugen<br />
…“<br />
Der zweite Weg geht von <strong>der</strong> Tatsache aus, dass, egal ob es<br />
sich um Politik, Spiel, Kunst, Musik o<strong>der</strong> Biodiversität handelt,<br />
es auf jeden Fall mehr Uninteressierte <strong>als</strong> Interessierte<br />
gibt. Hier ist die Kommunikation mehr auf das „Zuhören“<br />
gerichtet. In diesem Fall lässt <strong>der</strong> Vermittler das Thema<br />
Biodiversität zunächst einmal links liegen und geht auf die<br />
Visionen, Gedanken, Interessen und Motive <strong>der</strong> Zielgruppe<br />
ein. Er versucht Emotionen und mögliche Motive zu entdecken,<br />
die zu einem Verhalten führen können, welches<br />
letztendlich die Erhaltung bzw. nachhaltige Nutzung <strong>der</strong><br />
Biodiversität för<strong>der</strong>t, auch ohne <strong>der</strong>en (genauen) biologischen<br />
Wert zu kennen. „Weil die Leute keine Rin<strong>der</strong> mehr<br />
haben, vernachlässigen sie auch ihre Dorfteiche und die<br />
Artenvielfalt darin geht verloren“, erzählte mir <strong>der</strong> Parkmanager.<br />
„Vielleicht sollten wir unter den heutigen Dorfbewohnern<br />
Gründe suchen, diese Teiche zu bewahren, etwa<br />
einen neuen gesellschaftlichen Nutzen dafür finden, etwas,
28<br />
/ Biodiversität kommunizieren<br />
das die Leute mögen. So könnte <strong>der</strong> Artenreichtum auch<br />
erhalten bleiben“, war meine Antwort.<br />
Die Wahl <strong>der</strong> Strategie hat viel damit zu tun, wie weit man<br />
alle Beteiligten einbeziehen kann o<strong>der</strong> möchte.<br />
Die Fähigkeiten, die ein Landschaftspark-Manager daher<br />
braucht, um seine Ziele effizient unter die Leute zu bringen,<br />
sind folgende:<br />
• In <strong>der</strong> Lage zu sein die Ansichten, Interessen, Motive<br />
an<strong>der</strong>er bedingungslos zu akzeptieren<br />
• Wirklich zuzuhören (bevor man selber spricht)<br />
• Sich „auf die Zunge zu beißen“, (zu vergessen, dass man<br />
es besser weiß und die Fakten in <strong>der</strong> Tasche hat)<br />
• Motive zu finden, die Win-win-Situationen för<strong>der</strong>n<br />
können<br />
• Zu wissen, wo die eigenen Kommunikationsdefizite<br />
liegen und sich Hilfe von Experten zu holen<br />
Biodiversität zum Thema machen:<br />
Zehn beinharte Tatsachen<br />
1. Für jedes Thema – sogar für die Erhaltung <strong>der</strong><br />
Artenvielfalt – gibt es immer viel mehr Leute, die sich<br />
nicht dafür interessieren (mindestens 80 %) <strong>als</strong> solche,<br />
die Interesse haben.<br />
2. Die Erfahrungen aus <strong>der</strong> Vergangenheit haben gezeigt,<br />
dass <strong>der</strong> Erfolg von Naturschutzmaßnahmen zu 90 %<br />
das Resultat von Kommunikation und nur zu 10 % das<br />
Ergebnis eines technischen o<strong>der</strong> gesetzlichen Lösungsansatzes<br />
ist.<br />
3. Information über Biodiversität hat nur akademischen<br />
Wert, wenn sie nicht mit <strong>der</strong> konkreten Möglichkeit für<br />
die Adressaten verbunden ist, zu handeln und zur Erhaltung<br />
<strong>der</strong> Artenvielfalt beizutragen.<br />
4. Die Leute än<strong>der</strong>n ihr Verhalten nicht deshalb, weil sie<br />
darum gebeten werden, son<strong>der</strong>n erst nach sorgfältiger<br />
Prüfung <strong>der</strong> Kosten und Nutzen einer Verhaltensän<strong>der</strong>ung.<br />
5. Was über Biodiversität gesagt wird, wird nicht unbedingt<br />
gehört, was gehört wird, wird nicht unbedingt<br />
verstanden, was verstanden wird, ist nicht immer<br />
akzeptiert, was akzeptiert ist, wird nicht unbedingt<br />
umgesetzt, einmal etwas umzusetzen bedeutet nicht,<br />
dass dieses Verhalten auch wie<strong>der</strong>holt wird.<br />
6. Für Laien ist die Sprache <strong>der</strong> Biodiversitäts-Experten<br />
unverständlich. Sie wollen konkrete kurze Geschichten<br />
höre, die sie interessieren und betreffen und zwar von<br />
Menschen, denen sie vertrauen, von Freunden, von Ver-<br />
wandten, von ihresgleichen.<br />
7. Bil<strong>der</strong> über die Artenvielfalt sind tausendmal wirkungsvoller<br />
<strong>als</strong> Worte, aber Gespräche von Mensch zu<br />
Mensch sind noch effektiver <strong>als</strong> die Massenmedien.<br />
8. Die Menschen wollen persönlich angesprochen werden:<br />
ein persönlicher Brief ist wirksamer <strong>als</strong> ein Rundbrief,<br />
ein Telefonanruf bewirkt mehr <strong>als</strong> ein Inserat, ein Treffen<br />
ist überzeugen<strong>der</strong> <strong>als</strong> eine <strong>Publikation</strong>. Mit Vermittlern<br />
zu arbeiten, die <strong>der</strong> Zielgruppe nahe stehen, bringt<br />
mehr <strong>als</strong> rigide top-down Kommunikation.<br />
9. Jede Kommunikation beginnt mit internen Gesprächen:<br />
Warum sollten an<strong>der</strong>e Sektionen die Erhaltung <strong>der</strong><br />
Artenvielfalt <strong>als</strong> Thema in ihre Politik aufnehmen, wenn<br />
Biodiversität für so manche Abteilung des Umweltministeriums<br />
selbst noch kein Thema ist?<br />
10. Im Sinne effektiver Kommunikation ist es wirkungsvoller,<br />
sich nicht auf Themen <strong>der</strong> Biodiversität zu konzentrieren,<br />
son<strong>der</strong>n lieber auf Dinge, die die Leute anregen<br />
sich so zu verhalten, dass es für die Erhaltung <strong>der</strong><br />
Artenvielfalt am besten ist.<br />
Quellennachweis<br />
Dieser Artikel ist die gekürzte Version eines Vortrages von Frits Hesselink,<br />
gehalten anlässlich <strong>der</strong> IUCN Konferenz 2001 in Rom<br />
(Übersetzung: Christa Rauch)<br />
Newsletter Central and Eastern Europe, Published by: IUCN Czech Project<br />
v<br />
Coordination Unit, Kalisnicka 4, P.O. Box 85, 130 23 Praha 3. Czech<br />
Republic.<br />
Frits Hesselink<br />
Experte für <strong>Umweltbildung</strong> und Umweltkommunikation, ist<br />
Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> CEC/IUCN (Commission on Education and<br />
Communication <strong>der</strong> IUCN), Konsulent <strong>der</strong> Europäischen<br />
Kommission des Europarates in Bildungsfragen. Er lebt in<br />
Holland und betreibt dort die Firma HECT Consultancy.
Biodiversität aus <strong>der</strong> Praxis<br />
29
Astrid Blab<br />
Alles was kreucht und fleucht,<br />
krabbelt und wächst<br />
Biodiversität erleben<br />
„Unendlich ist die Herrlichkeit <strong>der</strong> Natur … doch ihre wun<strong>der</strong>barste<br />
Gabe ist ihre Bereitschaft uns Selbsterkenntnis zu<br />
lehren. Und wenn wir lernen uns selbst und die uns umgebende<br />
Welt zu sehen und zu verstehen, dann werden wir<br />
Menschen zur höchsten Vollendung <strong>der</strong> Natur: denn durch<br />
den Menschen kann sich die Natur in ihrer lebendigen Fülle<br />
wahrnehmen und erkennen.“ (Cornell, 1999)<br />
Verständnis für die Natur können wir nur lernen, wenn wir<br />
Gefühl für ihre Schönheit und Verletzlichkeit entwickeln.<br />
Der nachfolgende Beitrag soll <strong>als</strong> Anregung dienen, die<br />
wichtigsten Aspekte <strong>der</strong> Biodiversität im Schulunterricht<br />
„erleb- und erspürbar“ zu gestalten.<br />
Die Übungen orientieren sich größtenteils an dem wun<strong>der</strong>baren<br />
Buch von Joseph Cornell „Mit Kin<strong>der</strong>n die Natur erleben“.<br />
Sie sind für Kin<strong>der</strong> aller Alterstufen geeignet.<br />
Was ist Biodiversität?<br />
Biodiversität ist ein neuer Begriff für etwas Uraltes: den<br />
Ausgang genommen hat die Entwicklung <strong>der</strong> Biodiversität<br />
vor etwa 3 Milliarden Jahren, <strong>als</strong> aus <strong>der</strong> „Ursuppe“ das<br />
Leben auf <strong>der</strong> Erde entstand. Seither hat sich im Lauf <strong>der</strong><br />
Evolution eine unübersehbare Vielfalt an Lebensformen entwickelt.<br />
Neue Arten entstanden und verschwanden, um<br />
durch an<strong>der</strong>e Arten abgelöst zu werden. Aus Einzellern wurden<br />
Vielzeller und aus im Wasser lebenden Pflanzen und<br />
Tieren entwickelten sich Landformen.<br />
Neben dem natürlichen Wandel im Zuge <strong>der</strong> Evolution hat<br />
auch <strong>der</strong> Mensch durch Rodung, Ackerbau und Viehzucht<br />
Pflanzen, Tiere und Ökosysteme nachhaltig geprägt. Die<br />
Vielfalt des Lebens wird unter dem Begriff Biodiversität<br />
zusammengefasst. Sie umfasst drei Niveaus: auf Zellebene<br />
die genetische Vielfalt des Erbgutes, auf Artebene die Vielfalt<br />
<strong>der</strong> verschiedenen Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen<br />
und zuletzt, auf Ökosystemebene, die Vielfalt an verschiedenen<br />
Lebensräumen.<br />
Unter dem Mikroskop: die genetische Vielfalt<br />
Auch Lebewesen <strong>der</strong>selben Art sind nicht gleich: es gibt verschiedene<br />
Hunde- und Pfer<strong>der</strong>assen, Apfel- und Birnensorten.<br />
Die Eigenschaften jedes Lebewesens sind in den Genen<br />
festgelegt. So bestimmt auch beim Menschen das individuelle<br />
genetische Muster, ob wir beispielsweise blaue o<strong>der</strong><br />
braune Augen, schwarzes o<strong>der</strong> blondes Haar besitzen.<br />
Diese genetische Diversität ist eine Grundvoraussetzung für<br />
das Überleben <strong>der</strong> Arten: ohne den Genaustausch käme es<br />
zu Inzucht und in <strong>der</strong> Folge zu defekten Nachkommen. Das<br />
ist auch das Problem von sehr kleinen Populationen wie
32<br />
/ Alles was kreucht und fleucht, krabbelt und wächst<br />
z. B. jenen von stark dezimierten Arten o<strong>der</strong> auf natürliche<br />
o<strong>der</strong> künstlich geschaffene Inseln beschränkte Arten (vgl.<br />
Lebensraum-Fragmentation Seite 20).<br />
Neben <strong>der</strong> Arterhaltung ist die genetische Verschiedenheit<br />
innerhalb einer Art aber auch eine <strong>der</strong> Grundlagen für die<br />
Entwicklung neuer Arten im Zuge <strong>der</strong> Evolution. Sind die<br />
durch Mutation o<strong>der</strong> den Genfluss entstandenen Eigenschaften<br />
unter den gegebenen Umweltbedingungen von<br />
Vorteil, können sie sich allmählich durchsetzen. So kann<br />
sich, mit zunehmen<strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> ursprünglichen Art,<br />
im Lauf <strong>der</strong> Zeit eine neue Art entwickeln.<br />
Diesen Prozess <strong>der</strong> Auslese hat auch <strong>der</strong> Mensch angewandt,<br />
um eine erstaunliche Fülle an Kulturpflanzen sowie<br />
Nutz- und Haustieren zu züchten. Allerdings bevorzugt die<br />
mo<strong>der</strong>ne Landwirtschaft so genannte Hochleistungssorten.<br />
Die flächendeckende Verbreitung dieser genetisch eng verwandten<br />
Hochleistungssorten hat in den letzten hun<strong>der</strong>t<br />
Jahren zu einem Verlust von 75 % <strong>der</strong> genetischen Vielfalt<br />
geführt! Von den 400 Apfelsorten finden sich im Supermarkt<br />
nur noch Golden Delicious und Granny Smith. Mit<br />
dieser Einengung des Angebotes schränken wir nicht nur die<br />
Geschmacksvielfalt unserer Nahrungsmittel erheblich ein,<br />
son<strong>der</strong>n verlieren auch genetisches Potenzial, das für die<br />
Züchtung in Zukunft sehr wichtig sein kann. Denn auch<br />
wenn die Gentechnologie unglaubliche Fortschritte macht –<br />
sie kann selber keine Gene herstellen, son<strong>der</strong>n nur die in <strong>der</strong><br />
Natur vorkommenden Gene nutzen. Die alten Kultursorten<br />
sind vielfach wi<strong>der</strong>standsfähiger <strong>als</strong> unsere Hochleistungspflanzen<br />
und -tiere. Eigenschaften, die wir durch das Einkreuzen<br />
<strong>der</strong> alten Rassen nutzen könnten, wenn wir sie<br />
nicht vorher aussterben lassen.<br />
Übung (im Klassenzimmer):<br />
Die Schüler malen ihre Lieblingshun<strong>der</strong>asse. Die Bil<strong>der</strong> werden<br />
zu einem Riesenposter zusammengefügt – unglaublich,<br />
dass diese ganz verschieden aussehenden Tiere alle Ausprägungen<br />
einer Art sind! In einer Nachbesprechung kann diskutiert<br />
werden, warum trotzdem alle Kin<strong>der</strong> sofort einen<br />
Hund erkennen und was wohl die Züchtungsziele (Dachshund,<br />
Rettungshund, Apportierhund etc.) für die verschiedenen<br />
Rassen waren?<br />
Übung (im Klassenzimmer):<br />
Jedes Kind bekommt die Aufgabe jeweils zwei Sorten einer<br />
Obst- o<strong>der</strong> Gemüseart mitzubringen (geeignet sind Äpfel,<br />
Birnen, Weintrauben, Paradeiser, Paprika, Zwiebel, Salat) –<br />
nach eingehen<strong>der</strong> Betrachtung können die Unterschiede <strong>der</strong><br />
Sorten in einer großen Verkostung getestet werden.<br />
Alles was kreucht und fleucht, krabbelt und wächst:<br />
die Artenvielfalt<br />
Obwohl wir in den Weltraum reisen und auf dem Mond spazieren<br />
gehen können, wissen wir noch sehr wenig über die<br />
Bewohner unseres Planeten. Sind es nun 13 o<strong>der</strong> gar 100<br />
Millionen Arten, die die Erde bevölkern? Wir wissen es nicht.<br />
Sicher ist nur, dass die weltweit bislang beschriebenen<br />
1,7 Millionen Arten nur einen Bruchteil <strong>der</strong> <strong>gesamten</strong><br />
Artenfülle ausmachen. In Lebensräumen wie dem tropischen<br />
Regenwald o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Tiefsee stehen wir erst am<br />
Beginn <strong>der</strong> Erforschung. Auch über die Vielfalt <strong>der</strong> Mikroorganismen<br />
wissen wir noch viel zu wenig.<br />
Rascher <strong>als</strong> das Kennenlernen <strong>der</strong> Arten erfolgt lei<strong>der</strong> ihre<br />
Ausrottung: von den in Österreich bekannten 2.950 „höheren“<br />
Pflanzen sind 36 Arten bereits ausgestorben und weitere<br />
172 sind vom Aussterben bedroht. Insgesamt gelten<br />
etwa 60 % <strong>der</strong> heimischen Pflanzen <strong>als</strong> stark bis potenziell<br />
gefährdet.<br />
Auch von den etwa 30.000 heimischen Tierarten dürfte<br />
mehr <strong>als</strong> die Hälfte gefährdet o<strong>der</strong> zumindest potenziell<br />
gefährdet sein.<br />
Die Verteilung <strong>der</strong> Artenvielfalt ist nicht gleichmäßig, son<strong>der</strong>n<br />
folgt umweltbedingten Mustern. Klima, Boden und<br />
strukturelle Gegebenheiten sind ausschlaggebend, welche<br />
und wie viele Arten vorkommen können. Die weltweit größte<br />
Artenvielfalt ist in den tropischen Regenwäl<strong>der</strong>n zu finden.<br />
Sie beherbergen mindestens 50 % aller Arten dieser<br />
Erde!<br />
Aber Leben ist überall. Selbst unter extremsten Bedingungen<br />
wie im Eis <strong>der</strong> Antarktis, in <strong>der</strong> Tiefsee o<strong>der</strong> in heißen<br />
Quellen können einige Spezialisten existieren.<br />
Allgemein gilt: umso reicher strukturiert eine Landschaft ist,<br />
umso mehr Tieren und Pflanzen kann sie Lebensraum bieten,<br />
während riesige intensiv bewirtschaftete Fel<strong>der</strong> o<strong>der</strong><br />
monotone Fichtenforste nur wenige Arten beherbergen.<br />
... <strong>der</strong> Unterschied?
Wegen dieser Abhängigkeit vom Lebensraum ist <strong>der</strong> Schutz<br />
<strong>der</strong> Artenvielfalt untrennbar mit dem Schutz <strong>der</strong> Ökosystemvielfalt<br />
verbunden (sog. ökosystemarer Ansatz).<br />
Übung (im Freien):<br />
Als Naturforscher unterwegs: Jede Gruppe (ca. 2-3 Kin<strong>der</strong>)<br />
markiert mit einer roten Schnur einen 1–2-m-Bereich (am<br />
besten in einem Magerrasen) – nun gilt es, ausgestattet mit<br />
Lupen, herauszufinden was da alles kreucht und fleucht,<br />
krabbelt und wächst. Die Kin<strong>der</strong> sollen Aufzeichnungen<br />
machen, was sie alles bemerkt haben, und den verschiedenen<br />
Arten Phantasienamen geben (z. B. quer gestreifter Schnelllaufkäfer<br />
o<strong>der</strong> stachelige Schirmpflanze). Wichtig ist, dass<br />
die Kin<strong>der</strong> auch die vielen verschiedenen vegetativen Pflanzen<br />
bemerken - die Wiese ist kein Einheitsgrün! Ist die Erforschung<br />
abgeschlossen, werden im Kreis <strong>der</strong> ganzen Klasse<br />
die Entdeckungen ausgetauscht – <strong>der</strong> Lehrer kann noch<br />
etwas zum Lebensraum sagen und das eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />
Geheimnis lüften. (Nach Cornell, 1999)<br />
Was wächst und krabbelt wohl in diesem begrenzten Bereich?<br />
Übung (im Klassenzimmer o<strong>der</strong> auf einer Wiese – es sollte<br />
eine ruhige Umgebung sein):<br />
Die Vielfalt mit den Sinnen wahrnehmen, am besten mit<br />
einem Helfer (je nach Klassengröße).<br />
Vorbereitung: Der Lehrer sammelt, ausgestattet mit<br />
Taschenmesser und mehreren Tüten und kleinen Schachteln,<br />
Pflanzen- und Tierteile (Blüten, Früchte, Samen, Blätter,<br />
Fe<strong>der</strong>n etc.). Dabei wird darauf geachtet, dass sie einem <strong>der</strong><br />
folgenden Sinne zugeordnet werden können: Schmecken (z.<br />
B. süße Beeren, Nüsse, Wurzeln von Wil<strong>der</strong> Möhre o<strong>der</strong><br />
Pastinak), Riechen (z. B. Blätter von Wildpflanzen, die ätherische<br />
Öle enthalten, Wilde Möhre, Harz, nach Honig duften-<br />
Alles was kreucht und fleucht, krabbelt und wächst / 33<br />
de Blüten), Tasten/Fühlen (z. B. Fe<strong>der</strong>, schön geformte Früchte,<br />
etwas Raues, etwas Glattes, etwas Weiches), Hören (z. B.<br />
ein Zweig mit trockenem Laub, Trockenfrüchte mit rasselnden<br />
Samen, dürre Zweige) – pro Sinn etwa fünf Gegenstände.<br />
Die Gegenstände werden zum Teil noch aufbereitet (z. B. Zerschneiden<br />
<strong>der</strong> Wurzeln, Zerreiben von Blättern etc.) und auf<br />
kleinen Tellern vorbereitet. Der an<strong>der</strong>e Teil (in möglichst<br />
ganzem Zustand) wird in <strong>der</strong> Mitte des Raumes auf einem<br />
Tuch drapiert und schön angerichtet.<br />
Die Kin<strong>der</strong> werden mit verbundenen Augen in das Klassenzimmer<br />
geführt und bekommen im Kreis einen Platz zugewiesen.<br />
Am schönsten ist diese Übung, wenn es möglichst<br />
still ist – so sind die Sinne am besten geschärft. Von zwei Seiten<br />
beginnend, gehen Lehrer und Helfer auf leisen Sohlen<br />
von Kind zu Kind und lassen sie an den aromatischen Blättern<br />
schnuppern, streichen sachte mit einer Fe<strong>der</strong> über die<br />
Wange, legen ihnen eine schöne, glatte Kastanie in die Hand<br />
und rascheln sachte mit dem dürren Laub neben dem Ohr ...<br />
Jedes Kind soll dabei ausreichend Zeit haben, den Gegenstand<br />
zu erleben. Für jeden neuen Sinneseindruck wird <strong>der</strong><br />
vorhergehende wie<strong>der</strong> entfernt – zum Beispiel den Kin<strong>der</strong>n<br />
die Gegenstände wie<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Hand nehmen. Um die Sinne<br />
nicht zu überfor<strong>der</strong>n ist es am besten, sie <strong>der</strong> Reihe nach zu<br />
stimulieren – <strong>als</strong>o zuerst alle Gegenstände für den Geruchsinn,<br />
dann für den Geschmacksinn usw.<br />
Dann wird die Augenbinde abgenommen und <strong>der</strong> Blick auf<br />
die schön in <strong>der</strong> Mitte aufgebauten Gegenstände wird frei<br />
(nun ist <strong>der</strong> Sehsinn angesprochen) – nun kann je<strong>der</strong> schauen,<br />
ob er, was er gespürt, gehört, gerochen und gefühlt hat,<br />
wie<strong>der</strong>entdeckt. Der Lehrer kann zu den Gegenständen<br />
etwas sagen.<br />
Vielfalt <strong>der</strong> Lebensräume<br />
Ökosystemvielfalt beschreibt den „Fleckerlteppich“ aus Wiesen,<br />
Wäl<strong>der</strong>n, alpinen Rasen, Flusslandschaften und an<strong>der</strong>en<br />
Lebensräumen, <strong>der</strong> unsere Landschaft prägt.<br />
Die verschiedenen Ökosysteme entstanden im Lauf <strong>der</strong> Erdgeschichte<br />
aus dem Zusammenspiel von Gesteinsuntergrund,<br />
Klima und Wasser. Durch den Einfluss von Mikroorganismen,<br />
Pflanzen und Tieren entwickelten sich verschiedene<br />
Bodentypen, Strukturen und Mikroklimate. Je<strong>der</strong><br />
Lebensraum repräsentiert <strong>als</strong>o ganz spezielle Umweltbedingungen.<br />
Abgesehen vom alpinen Bereich und von Son<strong>der</strong>standorten<br />
wie Mooren o<strong>der</strong> Salzböden wäre Österreich von Natur aus<br />
waldbedeckt. Erst <strong>der</strong> Mensch hat den Wald gerodet, um
34<br />
/ Alles was kreucht und fleucht, krabbelt und wächst<br />
Land für Ackerbau und Viehzucht zu erhalten. Mit <strong>der</strong><br />
Errichtung von Siedlungen, Städten und Straßen hat <strong>der</strong><br />
Mensch ganz neue Lebensbedingungen geschaffen und<br />
viele alte Ökosysteme verdrängt.<br />
Ebenso wie bei den Tier- und Pflanzenarten gibt es auch bei<br />
den Lebensräumen häufige und seltene. Im Rückgang<br />
begriffen und daher <strong>als</strong> bedroht einzustufen sind:<br />
• nährstoffarme und feuchte Wiesen<br />
• Trockenrasen<br />
• große, noch zusammenhängende Lebensräume<br />
(z. B. Wäl<strong>der</strong>)<br />
• Ökosysteme, <strong>der</strong>en Erhaltung für die mo<strong>der</strong>ne Landwirtschaft<br />
nicht mehr rentabel ist (Streuwiesen)<br />
• Lebensräume mit einer bestimmten Dynamik<br />
wie z. B. Auwäl<strong>der</strong><br />
Gerüche, Geräusche und Bodenbeschaffenheit werden mit verbunden<br />
Augen zum Erlebnis<br />
Übung (im Freien):<br />
„Grenzgang“: In <strong>der</strong> Nähe einer Grenze zwischen Wiese und<br />
Wald (wenn möglich Laubwald) ziehen die Kin<strong>der</strong> Schuhe<br />
und Strümpfe aus. Dann werden ihnen die Augen verbunden<br />
und <strong>der</strong> Lehrer stellt sie hintereinan<strong>der</strong> in einer Schlange auf,<br />
wobei die Hände jeweils auf den Schultern des Vor<strong>der</strong>mannes<br />
liegen. Nur <strong>der</strong> „Kopf“ <strong>der</strong> Raupe sieht, wohin <strong>der</strong> Weg<br />
geht – er wird vom Lehrer gebildet. Ist die Raupe startbereit,<br />
setzt sich <strong>der</strong> Lehrer vorsichtig in Bewegung – zunächst wird<br />
eine Runde auf <strong>der</strong> Wiese gedreht, sodass die Kin<strong>der</strong> die<br />
Gerüche, Geräusche und das Gras unter ihren Füßen ausgiebig<br />
wahrnehmen können. Der Lehrer achtet dabei darauf,<br />
dass spitze Steine, Disteln u. ä. gemieden werden. Dann<br />
begibt sich die Raupe zum Waldrand – die Kühle und Ruhe<br />
des Waldes wird gespürt – das raschelnde Laub und die Vögel<br />
in den Bäumen gehört. Nach einer Runde im Wald können<br />
die Kin<strong>der</strong> die Augenbinde abnehmen. Nachbesprechung:<br />
Was hat sich ab <strong>der</strong> Ökosystemgrenze geän<strong>der</strong>t? Woran<br />
haben die Kin<strong>der</strong> gemerkt, dass sie nicht mehr auf <strong>der</strong> Wiese<br />
waren? Wie sind die Lebensbedingungen im Wald – wie auf<br />
<strong>der</strong> Wiese? (Nach Cornell, 1999)<br />
Biodiversität in Gefahr!<br />
Das Aussterben von Arten ging in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Evolution<br />
stets Hand in Hand mit <strong>der</strong> Entstehung neuer Arten.<br />
Nunmehr weist diese Dynamik jedoch einen einseitigen<br />
Trend auf: es verschwinden mehr Arten, <strong>als</strong> neue entstehen<br />
können. Während es bis vor ca. 200 Jahren durch die sanfte<br />
Landkultivierung gerade durch den Einfluss des Menschen<br />
eine sehr hohe Artenvielfalt gab, begann mit <strong>der</strong><br />
Industrialisierung <strong>der</strong> Artenrückgang – immer intensiver<br />
wurde die Natur umgestaltet. Waren die vom Menschen<br />
geschaffenen Lebensräume zuerst noch vielfältig, wurden<br />
sie nun durch die zunehmende Intensivierung einheitlich<br />
und monoton. Dank <strong>der</strong> Düngemittel können wir heute<br />
nahezu auf allen Böden hohe Erträge erzielen, das bewirkt<br />
aber auch, dass auf allen Wiesen dasselbe Einheitsgrün<br />
herrscht. Um optimale Bewirtschaftungsbedingungen zu<br />
schaffen wurden vielerorts Hecken und Einzelbäume umgeschnitten,<br />
Feuchtgebiete trockengelegt und Weiher zugeschüttet.<br />
Damit verschwand die landschaftliche Vielfalt<br />
ebenso wie die <strong>der</strong> Tier- und Pflanzenarten – unwie<strong>der</strong>bringlich,<br />
denn lei<strong>der</strong> können wir zwar zerstören, aber die<br />
Arten nicht wie<strong>der</strong> herstellen. Bizarrerweise kann auch ein<br />
zu wenig an Landwirtschaft die Biodiversität gefährden: die<br />
extensive Weidewirtschaft, Almwirtschaft und die Bewirtschaftung<br />
von Streuwiesen ist gerade für die Erhaltung<br />
unserer artenreichsten Blumenwiesen unbedingt erfor<strong>der</strong>lich!<br />
Ohne diese landschaftspflegerischen Eingriffe verbuschen<br />
o<strong>der</strong> verschilfen die Wiesen, wodurch die seltenen,<br />
weniger konkurrenzfähigen Pflanzen überwuchert werden.<br />
Sie verschwinden dadurch ebenso wie jene seltenen Tiere,<br />
die offene Lebensräume brauchen (z. B. Schnepfenvögel,<br />
Greifvögel).<br />
Auch die Vernichtung o<strong>der</strong> Zerstückelung des Lebensraumes<br />
<strong>der</strong> Pflanzen und Tiere durch den Bau von Straßen sowie die<br />
Intensivierung <strong>der</strong> Forstwirtschaft gefährden die Biodiversität.<br />
Während die ursprünglichen Wäl<strong>der</strong> aus verschiedenen<br />
Baumarten bestanden, setzt die Forstwirtschaft vielerorts<br />
auf die rasch wachsende Fichte. Auch Tieflagen, wo von<br />
Natur aus reich strukturierte Laubmischwäl<strong>der</strong> vorkommen,<br />
werden nun von gleichförmigen Fichtenforsten dominiert.<br />
Im Gegensatz zum Falllaub ist ihre Nadelstreu schwer<br />
abbaubar und führt in <strong>der</strong> Folge zu Bodenversauerung.
Nährstoffarmut, Lichtmangel und die fehlende Struktur <strong>der</strong><br />
gleichaltrigen Forste schaffen für die meisten Tiere und<br />
Pflanzen eher unwirtliche Bedingungen.<br />
Eine weitere Gefährdung für die Biodiversität, die in letzter<br />
Zeit verstärkt Beachtung findet, ist das Auftreten von invasiven<br />
„Aliens“. Die „Aliens“, um die es hier, geht sind keine<br />
Außerirdischen, son<strong>der</strong>n Pflanzen und Tiere, die durch Mitwirkung<br />
des Menschen (absichtlich o<strong>der</strong> unabsichtlich) in<br />
ein ihnen vorm<strong>als</strong> unzugängliches Gebiet gelangten. Charakteristisch<br />
für die Aliens ist, dass sie ganz plötzlich auftreten<br />
– ohne dass ihre Umgebung Zeit hätte, sich auf diese<br />
Verän<strong>der</strong>ung einzustellen. Auf diese Weise können sie die<br />
Ökosysteme massiv und nachhaltig beeinflussen. Neben <strong>der</strong><br />
Zerstörung <strong>der</strong> Lebensräume gehören Invasionen von Aliens<br />
daher weltweit zur größten Bedrohung <strong>der</strong> Biodiversität.<br />
Vor allem Inselökosysteme sind durch Aliens massiv<br />
bedroht! So hat beispielsweise auf <strong>der</strong> Insel Guam die eingeschleppte<br />
Braune Nachtbaumnatter 10 <strong>der</strong> insgesamt 12<br />
dort heimischen Landvogelarten ausgerottet!<br />
Natürlich werden die Arten nicht absichtlich verdrängt und<br />
ausgerottet, es geschieht vielmehr leise und unbemerkt<br />
durch die Verän<strong>der</strong>ungen in unserer Wirtschaft – ein<br />
Nebenprodukt unseres Wohlstandes.<br />
Nur mehr wenige „Lebenskünstler“ konnten sich an diese<br />
massiven Verän<strong>der</strong>ungen ihrer Umwelt anpassen. Diese Kulturfolger<br />
dominieren in großen Individuenzahlen weite<br />
Landstriche. Statt Vielfalt herrscht in unseren Wiesen und<br />
Wäl<strong>der</strong>n nun „Einfalt“.<br />
Biodiversität – wozu? Das „Netz des Lebens“<br />
Das Neben- und Miteinan<strong>der</strong> <strong>der</strong> verschiedenen Tiere,<br />
Pflanzen und Ökosysteme bildet ein zusammenhängendes<br />
Netz ineinan<strong>der</strong> verwobener und miteinan<strong>der</strong> in Wechselwirkung<br />
stehen<strong>der</strong> Lebewesen und Landschaften, in das<br />
auch wir Menschen eingebunden sind. Jede Lücke, die die-<br />
Im Wald empfängt uns<br />
Kühle und Ruhe<br />
sem Netz zugefügt wird, betrifft zuletzt auch uns Menschen.<br />
Übung (im Klassenzimmer o<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Wiese):<br />
Netz des Lebens: Die Kin<strong>der</strong> bilden einen Kreis (große Klassen<br />
evtl. in kleinere Gruppe aufteilen), <strong>der</strong> Lehrer steht am Rand<br />
und hält ein Knäuel fester Schnur in <strong>der</strong> Hand. Er fragt nach<br />
einer Pflanze, die in <strong>der</strong> Gegend wächst – <strong>der</strong> erste Schüler,<br />
<strong>der</strong> eine weiß, bekommt das Ende <strong>der</strong> Schnur zu halten – nun<br />
geht es weiter: wer frisst die Pflanze (wird über die Schnur<br />
mit <strong>der</strong> Pflanze verbunden) – wer frisst den Pflanzenfresser –<br />
etc.<br />
Das geht so lange, bis alle Kin<strong>der</strong> über die Schnur verbunden<br />
sind – ein Ökosystem ist entstanden. Nun kann ein Teil des<br />
Ökosystems ausfallen (<strong>der</strong> Lehrer kann sich eine Geschichte<br />
dazu ausdenken) – das Kind, welches diesen Teil verkörpert,<br />
reißt an <strong>der</strong> Schnur. So kann demonstriert werden, wie wichtig<br />
jedes einzelne Lebewesen für das Ökosystem ist. (Nach<br />
Cornell, 1999)<br />
Die elementaren Funktionen <strong>der</strong> Biodiversität sind daher die<br />
„Ecosystem-Services“: Luftreinigung, Sauerstoffproduktion,<br />
Klimaregulation, Wasserreinigung, För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Bodenfruchtbarkeit,<br />
Erosionsschutz und Schutz vor Naturkatastrophen<br />
durch die Stabilisierung von Hängen und Ufern. Da<br />
bestimmte ökologische Funktionen von verschiedenen Arten<br />
übernommen werden können, kann in einem Ökosystem mit<br />
hoher Artenvielfalt eine Lücke im Stoff- o<strong>der</strong> Energiekreislauf<br />
rasch durch das Einspringen einer an<strong>der</strong>en Art<br />
geschlossen werden. Sie sind daher stabiler <strong>als</strong> Ökosysteme,<br />
bei denen <strong>der</strong> Ausfall einer Art nicht kompensiert werden<br />
kann. Die Biodiversität ist sozusagen eine „Versicherung“<br />
<strong>der</strong> ökosystemaren Prozesse. Wenn das Netz des Lebens<br />
intakt ist und nicht zu viele Löcher hat, kann es viele Belastungen<br />
auffangen.
36<br />
/ Alles was kreucht und fleucht, krabbelt und wächst<br />
In einem Urwald, wie hier dem Rotwald,<br />
sind die Bäume verschieden alt und es liegt<br />
viel Totholz herum, das verschiedenen Tieren<br />
Unterschlupf bietet<br />
Auch die Wirtschaft profitiert von <strong>der</strong><br />
Biodiversität – so erzielen die Pharmafirmen<br />
weltweit allein durch die aus<br />
Pflanzen gewonnenen Wirkstoffe einen<br />
jährlichen Umsatz von geschätzten 100<br />
Mrd. US-Dollar. Durch eine neu entdeckte<br />
wilde Maisart ließen sich in <strong>der</strong><br />
Landwirtschaft Umsätze von fast 7 Mrd.<br />
US-Dollar erzielen. Auch in <strong>der</strong> Kosmetikbranche<br />
spielen natürliche Rohstoffe<br />
wie Jojoba, Aloe vera o<strong>der</strong> Olivenöl eine<br />
wichtige Rolle.<br />
Wenn wir bedenken, dass noch nicht<br />
einmal die Hälfte aller Organismen<br />
bekannt sind, lässt sich erahnen, dass<br />
wir erst einen Bruchteil des biologischen<br />
Reichtums wirtschaftlich nutzen.<br />
Abgesehen von <strong>der</strong> ökosystemaren und<br />
wirtschaftlichen Bedeutung besitzt jede<br />
Art – sei sie auch noch so klein, einen<br />
Eigenwert. Sie ist in ihrer Weise einzigartig,<br />
ein Wun<strong>der</strong> <strong>der</strong> Natur und verdient<br />
allein dafür unsere Wertschätzung<br />
und Ehrfurcht.<br />
Literatur<br />
Cornell, J. 1999: Mit Kin<strong>der</strong>n die Natur erleben.<br />
Verlag an <strong>der</strong> Ruhr, Mülheim an <strong>der</strong> Ruhr.<br />
Kegel, B. 2001: Die Ameise <strong>als</strong> Tramp. Wilhelm<br />
Heyne Verlag, München.<br />
König, B. & Linsenmair, K. E. (Hrsg.) 1996: Biolo-<br />
gische Vielfalt, Beiträge aus Spektrum <strong>der</strong><br />
Wissenschaft, Spektrum, Akademischer<br />
Verlag, Heidelberg, Berlin, Oxford.<br />
Niklfeld, H. (Hrsg.) 1999: Rote Liste <strong>der</strong> Farnund<br />
Gefäßpflanzen Österreichs.<br />
Türkay, M. (Hrsg.) 2001: Leben ist Vielfalt. Kleine<br />
Senckenberg-Reihe 41, E. Schweizerbart’sche<br />
Verlagsbuchhandlung (Nägele und<br />
Obermiller), Stuttgart<br />
Mag. Astrid Blab<br />
Studium <strong>der</strong> Botanik. Bereitete am<br />
Umweltbundesamt, Abteilung für<br />
Naturschutz, naturschutzrelevante<br />
Themen für die Öffentlichkeit auf.<br />
Derzeit freischaffende Biologin in<br />
Passau. Absolviert eine Ausbildung zur<br />
psychologischen Beraterin
Verena Singeisen-Schnei<strong>der</strong><br />
Kin<strong>der</strong> für die Natur begeistern<br />
Anfangen kann man bei den ganz „Kleinen“<br />
Sammeln von Frühlingskräutern, ein Sofa für Waldgeschichten<br />
mitten im Wald bauen, Kleintiere beobachten, ein Duftmuseum<br />
erstellen, Waldhütten bauen, den Waldboden blind<br />
mit den Händen ertasten und Gegenstände raten, blinde<br />
Karawane bilden, Grüntöne sammeln, Spuren legen, Tierspuren<br />
suchen, einer Ameise beim Melken einer Blattlaus<br />
zuschauen, Löwenzahnsamen durch die Luft blasen, mit<br />
Hilfe von Taschenspiegeln in Mäusegänge gucken, ein Xylophon<br />
aus Waldgegenständen erklingen lassen, an <strong>der</strong> Feuerstelle<br />
Steckenbrot backen ... - Aktivität, womit bei Kin<strong>der</strong>n<br />
Lust auf die Natur geweckt werden kann.<br />
Ein Gefühl und ein offenes Auge für die Natur von klein auf<br />
zu för<strong>der</strong>n ist ein bedeuten<strong>der</strong> Grundstein für die spätere<br />
Wertschätzung <strong>der</strong> Vielfalt unserer Erde.<br />
Früher war es selbstverständlich, dass sich Kin<strong>der</strong> im Freien<br />
vergnügten und die Natur <strong>als</strong> Spielraum benutzten. Heute<br />
ist diese Zeit auf Grund <strong>der</strong> gegebenen Wohnsituationen im<br />
Durchschnitt wesentlich geringer. Der Aufenthalt im Freien<br />
beschränkt sich häufig auf das Herumtollen auf Spielplätzen.<br />
Schlagen Erwachsene den Kin<strong>der</strong>n vor einen Spazier-<br />
gang zu unternehmen, kommt oft die Antwort: „Freut mich<br />
nicht – ist so langweilig!“ Verena Singeisen-Schnei<strong>der</strong> zeigt<br />
Möglichkeiten auf, wie gemeinsam mit Kin<strong>der</strong>n ein Stück<br />
Abenteuer beim Spaziergang in <strong>der</strong> Natur zurück erobert<br />
werden kann.<br />
Die Kin<strong>der</strong> <strong>als</strong> echte Partner akzeptieren<br />
Wenn Sie folgende Aussagen mit ja beantworten<br />
können, wird <strong>der</strong> Spaziergang sicher ein<br />
gemeinsames Erlebnis:<br />
• Der Spaziergang macht für das Kind Sinn<br />
• Die begleitenden Erwachsenen lassen sich auf<br />
die Kin<strong>der</strong> ein<br />
• Sie nehmen sich Zeit dazu<br />
• Sie lassen sich anstecken von <strong>der</strong> kindlichen Abenteuerund<br />
Spiellust, von Fragen und Beobachtungen.<br />
• Der gleiche Weg wird bei jedem Wetter und bei je<strong>der</strong><br />
Jahreszeit wie<strong>der</strong>holt, sodass immer wie<strong>der</strong> Altbekanntes<br />
angetroffen wird und Verän<strong>der</strong>ungen wahrgenommen<br />
werden<br />
• Die Kin<strong>der</strong> werden in die Planung mit einbezogen<br />
37
38<br />
/ Kin<strong>der</strong> für die Natur begeistern<br />
Sich Zeit nehmen - für Kin<strong>der</strong> ganz<br />
selbstverständlich<br />
• Der Weg ist nicht immer geplant,<br />
o<strong>der</strong> es ist möglich Pläne auf den<br />
Kopf zu stellen, um unverhofft<br />
querfeldein zu gehen<br />
• Sie <strong>als</strong> Erwachsene lassen sich auf<br />
kindliche Art und humorvoll auf die<br />
Natur ein, stellen selber Fragen,<br />
hinterfragen sich selber und lassen<br />
sich berühren<br />
• Manchmal tragen Sie, ähnlich wie<br />
in <strong>der</strong> „Rucksackschule“, Hilfsmittel<br />
zum Experimentieren, Beobachten<br />
o<strong>der</strong> Basteln mit Naturgegenständen<br />
mit. Ein Taschenmesser, ein Vergrößerungsglas,<br />
eine Schnur und<br />
Spiegel fehlen nie<br />
Ein paar Tipps für unterwegs<br />
Entdeckungsreise in die Welt<br />
<strong>der</strong> Eiche<br />
Beim Geschichtenerzählen vergehen<br />
Zeit und Kilometer im Nu. Sei es eine<br />
etwas unheimliche Waldgeschichte, sei<br />
es eine ganz neue und selber erfundene<br />
Geschichte, die von Kind zu Kind immer<br />
weiter gesponnen wird und Begegnungen<br />
unterwegs – Steine, Bäume, Häuser<br />
– mit einbezieht. Die Kin<strong>der</strong> vergessen<br />
dabei die Müdigkeit, stellen Fragen und<br />
finden Erklärungen im Rhythmus <strong>der</strong><br />
Schritte.<br />
Auch werden bekannte Figuren aus<br />
Büchern beim Spazieren lebendig. Zum<br />
Beispiel <strong>der</strong> in amüsanten Bil<strong>der</strong>n dargestellte<br />
Bär und die Josefine aus dem<br />
Bil<strong>der</strong>buch von Christiane Pieper. Die<br />
beschriebenen Bewegungsarten verlocken<br />
zum Nachahmen. Wie unterschiedlich<br />
doch dadurch die Fortbewegungsarten<br />
auf einem Spaziergang<br />
werden können: „Der dicke Bär zog<br />
kreuz und quer (und Josefine hinterher<br />
...), mal rückwärts ... mal vorwärts ... tollend<br />
und rollend ... mal leise ... mal<br />
springend ... sich schleppend ... und<br />
springend ... mal gerade ... mal krumm ...<br />
mal links- ... mal rechtsrum ... auf einem<br />
Bein ... auf zwei Bein` ... auf drei Bein`<br />
... auf vier Bein` ... auf fünf Bein`? Nein!<br />
Son<strong>der</strong>n vielmehr: kreuz und quer zog<br />
<strong>der</strong> Bär (und Josefine hinterher) (Piper,<br />
Christiane 1998).<br />
Auch naturkundliche Bücher können<br />
Spaziergänge bereichern und Ziele<br />
bestimmen. Das Buch „Entdeckungsreise<br />
in die Welt <strong>der</strong> Eiche“ verspricht<br />
Beobachtungen und viele Tierbegegnungen.<br />
Da braucht es keine großen<br />
Überredungskünste, die Kin<strong>der</strong> für eine<br />
Eichensafari zu gewinnen. Mit Knetmasse<br />
machen wir von <strong>der</strong> Rinde einen<br />
Abdruck, den wir zu Hause mit Gips<br />
ausgießen – ein Stück für unsere Natursammlung.<br />
Wie Bäume und Tiere fühlen<br />
Zum Beispiel wie die alte Eiche: „Sie ist<br />
eine richtige Großmutter unter den<br />
Bäumen. Könnte sie reden, sie wüsste<br />
sicher viele Geschichten zu erzählen.<br />
Aber was sage ich da – sie kann ja<br />
reden! Man muss nur die Sprache <strong>der</strong><br />
Bäume verstehen können. Und das wie<strong>der</strong>um<br />
ist ganz einfach: Man braucht<br />
nur gut zuzuhören! Stell dir vor, wie die<br />
Wurzeln <strong>der</strong> Eiche das Wasser aus dem<br />
Boden saugen. Stell dir vor, wie die<br />
Säfte durch den Stamm und die Äste<br />
und Zweige in die Blätter steigen. Jetzt<br />
stell dir vor, wie dieser Baum im Herbst<br />
aussieht. Hast du es? Jetzt stell dir vor,<br />
wie die Eiche sich fühlt, wenn <strong>der</strong> Wind<br />
durch ihre Krone pfeift und wenn <strong>der</strong><br />
Regen auf sie nie<strong>der</strong>prasselt ... Du<br />
meinst, sie fühlt sich sehr, sehr wohl<br />
dabei? Siehst du, jetzt hat sie zu dir<br />
gesprochen!“ (abgeän<strong>der</strong>t nach Erwin<br />
Moser 1998)<br />
Zwischenhinein braucht es abwechslungsreiche<br />
Pausen. An Orten, die zum<br />
Sammeln von Naturgegenständen und
zum Einrichten von Zwergenwohnungen einladen. Steine<br />
verwandeln sich in Käfer, bewegen sich über den Waldboden<br />
und suchen einen Untergrund, <strong>der</strong> ihrer Färbung entspricht.<br />
Wer findet sie?<br />
Wir sind Förster und Blumenbin<strong>der</strong>innen!<br />
Heute sind wir Förster. Wir suchen mit unseren Kin<strong>der</strong><br />
Ahorn-, Buchen- o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Bäume, unter denen im Frühling<br />
sehr viele Keimlinge heranwachsen. Neben den Nasenzwickern<br />
des Ahornbaumes o<strong>der</strong> den stacheligen Fruchtbechern<br />
<strong>der</strong> Rotbuche finden wir die Samen, die bereits eine<br />
Wurzel in die Erde „geschossen“ haben und ihre beiden<br />
Keimblätter entfaltet haben und dadurch zu „Schösslingen“<br />
geworden sind. Wir setzen die Keimlinge in mitgebrachte<br />
Blumentöpfe und tragen sie in unsere Spielbaumschule.<br />
Ein an<strong>der</strong>s Mal sind wir Blumenbin<strong>der</strong>innen: Wir pflücken in<br />
<strong>der</strong> Wiese o<strong>der</strong> am Waldrand einen ganz beson<strong>der</strong>en Blumenstrauß.<br />
Im Strauß soll nur eine Pflanze von je<strong>der</strong> Art<br />
vorkommen. Erstaunlich, je genauer wir hinschauen, finden<br />
wir immer noch eine neue Pflanze, die wir noch nicht haben<br />
– welch verschieden geformte Blätter und Blüten!<br />
Woher kommen all diese verschiedenen<br />
Pflanzen?<br />
Je<strong>der</strong> bekommt eine kleine Pappdose mit Deckel in die Hand.<br />
Was mag wohl in dieser Dose versteckt sein? Wir fangen<br />
gleich an zu schütteln. Dem Klang nach muss es etwas hartes<br />
sein, aber doch nicht so hart wie ein Stein. Durch<br />
langsames Herumdrehen finden wir heraus, dass es etwas<br />
Eckiges sein muss, weil <strong>der</strong> Gegenstand nicht rollt, etwas<br />
Längliches, das auf einer Seite verdickt ist. Erstaunlich, wie<br />
man Formen hören kann. Mit geschlossenen Augen öffnen<br />
wir nun die Dose und ertasten den Gegenstand mit den Fingern.<br />
Er ist, wie wir gehört haben, hart, klein, etwas länglich<br />
und auf <strong>der</strong> einen Seite etwas spitz. Er hat zwei Kanten und<br />
zwei abgeflachte Seiten. Wir öffnen die Augen: es ist ein<br />
Sonnenblumenkern.<br />
Je<strong>der</strong> schaut sich seinen Kern genau an. Je<strong>der</strong> hat ein an<strong>der</strong>es<br />
schwarz-weiß gestreiftes Muster. Je<strong>der</strong> Kern ist ein Individuum<br />
für sich. Obwohl je<strong>der</strong> <strong>der</strong> gleichen Pflanzenart<br />
angehört. Aber sind sie wirklich alle so unterschiedlich, dass<br />
ich unter all den an<strong>der</strong>en Kernen meinen wie<strong>der</strong> herausfinde?<br />
Wir wollen es ausprobieren und geben unsere Kerne in<br />
an<strong>der</strong>e Hände. Sie wan<strong>der</strong>n im Kreis und kreuz und quer. Da<br />
hat die erste ihren Kern wie<strong>der</strong>gefunden. Das ist erstaunlich.<br />
Später kann je<strong>der</strong> seinen Sonnenblumenkern in einen mit<br />
Erde gefüllten Topf geben. Was wird geschehen?<br />
Literatur<br />
Kin<strong>der</strong> für die Natur begeistern / 39<br />
Behnd, K; Hasler, E. 1988: Im Traum kann ich fliegen.<br />
Dieckmann, M. 1981: Die Sonnenblume. Heinrich Ellermann Verlag,<br />
München<br />
Jensen, V. A. 1986: Was ist das? Sauerlän<strong>der</strong> Verlag, 6. Auflage, Frankfurt<br />
Kellog, St. 1979: Malwine in <strong>der</strong> Badewanne. Friedrich Oetinger Verlag,<br />
Hamburg<br />
Moser, E. 1998: Der Roboter Max und an<strong>der</strong>e Geschichten. Beltz & Gelberg,<br />
Weinheim und Basel<br />
Pieper, Chr. 1998: Kreuz und quer Josefine und <strong>der</strong> Bär. Peter Hammer<br />
Verlag, Wuppertal<br />
Ravensburger Brandt, K. 1981: Raupengeschichten. Atlantis Verlag Zürich<br />
Singeisen-Schnei<strong>der</strong>, V. 1989: 1001 Entdeckung – Natur erleben durchs<br />
ganze Jahr. Orell Füssli Verlag.<br />
Streeter, D.; Lewington, R. 1994: Entdeckungsreise in die Welt <strong>der</strong> Eiche.<br />
Kin<strong>der</strong>buchverlag Luzern<br />
Yazima, M. 1981: Die Ameisen. Carlsen Verlag GmbH, Hamburg<br />
Dr. Verena Singeisen-Schnei<strong>der</strong><br />
Studium <strong>der</strong> Biologie, Ausbildung in Organisations- und<br />
Schulentwicklung. Ist mitverantwortlich für ökologische<br />
Fragen bei den Reformierten Kirchen Bern-Jura, Entwicklung<br />
und Leitung <strong>der</strong> ProjektStatt, Lehraufträge an <strong>der</strong><br />
Berufschule Bern und am Pädagogischen Institut des Kantons<br />
Basel-Stadt
Petra Lindemann-Matthies<br />
Vielfalt am Schulweg<br />
„Haben Sie sich schon einmal über die Weiße Fetthenne, ein<br />
kleines, unscheinbares Pflänzchen mit weißen Blüten und<br />
dicken Blättern, gewun<strong>der</strong>t, das sich in kleinen Mauerritzen<br />
festhalten und dort gedeihen kann? O<strong>der</strong> haben Sie sich diesen<br />
Frühling über eine Kohlmeise gefreut, die mit Ästchen im<br />
Schnabel auf Nestbau ging? O<strong>der</strong> einfach über eine pfeifende<br />
Amsel auf <strong>der</strong> Baumkrone im nächsten Garten? Es gibt<br />
viele kleine Dinge in <strong>der</strong> Natur, an denen wir häufig achtlos<br />
vorbeigehen. Und dennoch: was wäre eine nackte Mauer<br />
ohne farbige Flechten und emsige Spinnen, ein Straßenrand<br />
ohne Gänseblümchen, gelben Löwenzahn und flinke Ameisen?“<br />
(Lehrkraft aus <strong>der</strong> Schweiz)<br />
Vielfalt am Schulweg entdecken – ja wozu?<br />
Der zunehmende Verlust an Biodiversität hat dazu geführt,<br />
dass <strong>der</strong> Einbezug formenkundlicher Themen in den Schulunterricht<br />
wie<strong>der</strong> vermehrt diskutiert wird (Mayer 1992,<br />
Crisci et al. 1993). Es wird vermutet, dass Menschen den<br />
Verlust an biologischer Vielfalt nur dann <strong>als</strong> Problem empfinden,<br />
wenn sie vorher Pflanzen und Tiere kennen und<br />
schätzen gelernt haben (Weilbacher 1993). Grundschulkin<strong>der</strong><br />
sind dabei eine wichtige Zielgruppe, da vor allem jüngere<br />
Kin<strong>der</strong> ein beson<strong>der</strong>es Interesse an Pflanzen und Tieren<br />
zeigen (Löwe 1992). Zudem hat ein Reihe von Studien gezeigt,<br />
dass ein häufiger und unbelasteter Kontakt zur Natur<br />
während <strong>der</strong> Kindheit für eine positive Einstellung zur Natur<br />
sowie für ein naturschützerisches Verhalten sehr wichtig ist<br />
(u. a. Berck und Klee 1992, Palmer 1993, Chawla 1998).<br />
Nur auf <strong>der</strong> Grundlage von Taxonomie und Systematik kann<br />
Artenvielfalt erkannt und gemessen werden. Beide Gebiete<br />
sind aber in <strong>der</strong> Forschung seit längerem nicht mehr im<br />
Trend (Cotterill 1997). Dies hat sich auch in <strong>der</strong> Biologiedidaktik<br />
nie<strong>der</strong>geschlagen und bewirkt, dass die schulische<br />
Beschäftigung mit Arten und ihrer Vielfalt <strong>als</strong> antiquierte<br />
Tätigkeit angesehen wird (Mayer 1996). Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />
haben deshalb heutzutage in <strong>der</strong> Schule nur wenig<br />
Gelegenheit, Arten in <strong>der</strong> Natur kennen zu lernen und zu<br />
erforschen (Pfligersdorffer 1991). Sie wissen wenig über bedrohte<br />
und geschützte Pflanzen und Tiere und kennen<br />
Organismen eher aus Schulbüchern <strong>als</strong> aus <strong>der</strong> eigenen<br />
Anschauung (Trommer 1980, Hesse 1984, Paraskevopoulos<br />
et al. 1998). Dies erklärt möglicherweise, warum in Umfragen<br />
das Problem des Artenrückganges <strong>als</strong> weniger wichtig<br />
<strong>als</strong> an<strong>der</strong>e Umweltprobleme eingestuft wird (Lehmann und<br />
Gerds 1991, Gigliotti 1994).<br />
<strong>Umweltbildung</strong> kommt eine Schlüsselrolle für einen nachhaltigen<br />
Schutz <strong>der</strong> Natur zu. Ziel sollte es sein, Menschen<br />
so für die Natur zu sensibilisieren, dass daraus letztendlich<br />
ein Verhalten resultiert, das zur Erhaltung biologischer Vielfalt<br />
beiträgt. Unterricht im Sinne <strong>der</strong> Erhaltung biologischer<br />
Vielfalt sollte Schülerinnen und Schüler zu aktiv Entdeckenden<br />
machen, die auf lustvolle Art und Weise Lebewesen in<br />
ihrer unmittelbaren Umgebung kennen, schätzen und<br />
schützen lernen. Im Folgenden möchte ich anhand eines<br />
Fallbeispieles („Natur auf dem Schulweg“) illustrieren, wie<br />
man Kin<strong>der</strong> und Jugendliche im Rahmen eines schulischen<br />
Bildungsprogrammes für die Natur sensibilisieren kann.
Vielfalt am Schulweg<br />
entdecken – aber wie?<br />
Zum Europäischen Naturschutzjahr<br />
1995 lancierte <strong>der</strong> Schweizerische Bund<br />
für Naturschutz (Pro Natura) das Unterrichtsprogramm<br />
„Natur auf dem Schulweg“,<br />
das von mir wissenschaftlich<br />
begleitet wurde. Unter dem Motto“ „Die<br />
Kin<strong>der</strong> da abholen, wo sie sind“ sollte<br />
dabei <strong>der</strong> tägliche Schulweg zum<br />
Thema gemacht werden. Das Naturerleben<br />
von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen sollte<br />
geför<strong>der</strong>t werden, ihre Wahrnehmung<br />
von Arten und Artenvielfalt und<br />
die Toleranz und das Interesse für einheimische<br />
Pflanzen und Tiere im Siedlungsraum.<br />
Zwischen März und Juli<br />
1995 nahmen rund 14.000 Kin<strong>der</strong> und<br />
Jugendliche aus <strong>der</strong> Schweiz an dem<br />
Unterrichtsprogramm teil.<br />
„Die Naturkunde-Lehrbücher berichten<br />
fast immer nur in groben Zügen von einzelnen<br />
Tier- und Pflanzengattungen und<br />
-familien. Die interessanten Details, die<br />
sich erzählen, vorführen, selber erforschen<br />
und beobachten lassen, fehlen<br />
häufig.“ (Lehrer aus <strong>der</strong> Schweiz)<br />
In diesem Sinne wurde eine anschauliche<br />
Unterrichtshilfe konzipiert - vorwiegend<br />
für die dritte bis siebte Klassenstufe<br />
– und an interessierte Lehrkräfte<br />
verschickt (SBN 1995). In ihr<br />
werden Themen wie Mauerfugen- und<br />
Pflasterritzen-Pflanzen, Flechten und<br />
Moose, pflanzliche Kletterkünstler, einheimische<br />
und fremdländische Pflanzen,<br />
Amseln und Spatzen, Insekten,<br />
Schnecken und Würmer behandelt und<br />
vielfältige Möglichkeiten für einen<br />
handlungsorientierten, ganzheitlichen<br />
Unterricht vor allem im Freien aufgezeigt.<br />
Auf Entdeckungsreise<br />
vor <strong>der</strong> Haustür<br />
In den meisten Klassen fing das Projekt<br />
damit an, dass die Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen<br />
den Auftrag bekamen, ihren<br />
Schulweg abzulaufen und dabei beson<strong>der</strong>s<br />
auf die dort vorkommenden Pflanzen<br />
und Tiere zu achten. Später zeichneten<br />
sie ihren Schulweg und trugen in<br />
die Zeichnungen ein, welche Tiere und<br />
Pflanzen ihnen dort begegnet waren.<br />
Ein Natur-ABC<br />
Einige Klassen entwickelten „Schulweg-<br />
ABCs“ – die Schülerinnen und Schüler<br />
suchten auf ihrem Schulweg nach<br />
Pflanzen o<strong>der</strong> Tieren, die mit den verschiedenen<br />
Buchstaben des Alphabets<br />
begannen, um sie später im Klassenzimmer<br />
zu präsentieren – zum Beispiel<br />
in Form einer Zeichnung, <strong>als</strong> getrocknete<br />
Pflanze o<strong>der</strong> Schneckenhäuschen.<br />
Die Kin<strong>der</strong> nahmen ihren Auftrag sehr<br />
ernst; ein Kind brachte zum Entsetzen<br />
einer Lehrerin beim Buchstaben H ein<br />
Huhn mit in die Klasse.<br />
Schulweg-ABC: „Trage auf einer ABC-<br />
Liste sämtliche Dinge ein, denen du<br />
begegnest: A: Ameise, B: Bäckerei, C:<br />
„Chriesibaum“ usw. Die Liste wird über<br />
Wochen geführt. Was du auf dem<br />
Schulweg findest und mitnehmen<br />
darfst (Abfall, Moos, Rinde, Sand, Steine,<br />
Zweige etc.) stellst du aus. Gestalte<br />
in einer niedrigen Schachtel o<strong>der</strong> auf<br />
einem Holzbrett mit den Funden deinen<br />
Schulweg.“<br />
Nahezu alle Lehrkräfte gingen mit ihren<br />
Klassen häufig nach draußen. Der<br />
Schulweg wurde intensiv erforscht,<br />
photographiert, gemeinsam abgelaufen<br />
und in Gedanken neu gestaltet. Die Kin<strong>der</strong><br />
suchten Lieblingsplätze, erstellten<br />
Geräuschkarten, dichteten und führten<br />
Vielfalt am Schulweg / 41
42<br />
/ Vielfalt am Schulweg<br />
Tagebücher, in die sie täglich ihre<br />
Naturbeobachtungen eintrugen. Die<br />
Kin<strong>der</strong> beobachteten Pflanzen und<br />
Tiere, zeichneten und bestimmten sie<br />
und führten kleine Experimente durch.<br />
Geräusche zeichnen<br />
In <strong>der</strong> Unterrichthilfe S. 4: „Viele Geräusche<br />
auf dem Schulweg nimmst du nicht<br />
bewusst wahr, bist vielleicht noch<br />
schläfrig, in Gedanken versunken o<strong>der</strong><br />
unterhältst dich mit an<strong>der</strong>en. Versuche<br />
einmal, auf dem ganzen Weg möglichst<br />
nicht zu reden. Schreib alle Geräusche<br />
auf. Welche Geräusche sind natürlich,<br />
welche nicht? Welche sind alltäglich,<br />
welche einmalig? Welche Geräusche<br />
hörst du immer an <strong>der</strong> gleichen Stelle?“<br />
Einige Lehrkräfte haben die Schulkin<strong>der</strong><br />
anstelle von Worten die Geräusche<br />
„aufmalen“ lassen – <strong>als</strong> Geräuschekarte.<br />
Nicht alle Tiere hatten das Glück, gleich<br />
wie<strong>der</strong> freigelassen zu werden. Einige<br />
Klassen holten die Natur auch in ihr<br />
Klassenzimmer. Sie sammelten zum<br />
Beispiel Schnecken, hielten sie in<br />
Gefäßen und beobachteten ihr Verhalten.<br />
Natur im Rahmen<br />
Der Höhepunkt des ganzen Projektes<br />
war die NaturGalerie. Im Mai 1995<br />
suchten sich die Kin<strong>der</strong> jeweils ein<br />
Naturobjekt aus, das sie auf ihrem täglichen<br />
Schulweg beson<strong>der</strong>s schätzten.<br />
Vor dieses stellten o<strong>der</strong> hängten sie<br />
dann einen selbst gebauten und oftm<strong>als</strong><br />
schön verzierten Rahmen – <strong>als</strong> Natur-<br />
Galerie. Die Kin<strong>der</strong> hatten sehr viel<br />
Freude daran, obwohl einige Probleme<br />
hatten, ihren Rahmen zu befestigen.<br />
Ganz schwierig wurde es für sie, wenn<br />
sie Tiere einrahmen und diese auch<br />
noch beobachten und zeichnen wollten.<br />
So beklagte ein siebenjähriger Bub, dass<br />
es sehr schwierig war „... die Enten, die<br />
ich eingerahmt hatte, zu beobachten<br />
und zu zeichnen. Sie wollten nie in meinen<br />
Rahmen kommen und kehrten<br />
immer wie<strong>der</strong> um.“<br />
Während einer Woche standen die<br />
Schülerinnen und Schüler immer wie<strong>der</strong><br />
bei ihren Rahmen und erklärten an<strong>der</strong>en<br />
Kin<strong>der</strong>n, Eltern o<strong>der</strong> interessierten<br />
Passantinnen und Passanten, was sie<br />
eingerahmt hatten und weshalb sie ihr<br />
Objekt ausgewählt hatten. Die Kin<strong>der</strong><br />
und Jugendlichen versuchten auf diese<br />
Weise, die Wahrnehmung von Erwachsenen<br />
für die Vielfalt <strong>der</strong> Pflanzen und<br />
Tiere im Siedlungsraum zu erhöhen und<br />
eine grössere Akzeptanz für oft unscheinbare<br />
Arten zu erzielen.<br />
Eine Vielzahl von Pflanzen und Tieren<br />
wurde während <strong>der</strong> NaturGalerie eingerahmt.<br />
Am beliebtesten waren Löwenzahn,<br />
Efeu, Ameisenhaufen, Ahorn, Flie<strong>der</strong>,<br />
Brennnesseln, Hahnenfuß, Gänseblümchen,<br />
Margeriten und Rosen. Viele<br />
Lehrkräfte betonten, nicht in die Wahl<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> eingegriffen zu haben. Ihnen<br />
war es wichtiger, den Blick <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />
überhaupt auf die Natur am Schulweg<br />
zu lenken <strong>als</strong> auf bestimmte einzelne<br />
Arten. Die Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen<br />
zeigten während <strong>der</strong> NaturGalerie vor<br />
allem ästhetische Präferenzen für die<br />
Natur. Sie waren aber auch fasziniert<br />
von unscheinbaren Arten und Arten an<br />
beson<strong>der</strong>en Standorten und wollten sie<br />
mit Hilfe ihrer Aktion schützen. So<br />
schrieb ein 13-jähriges Mädchen: „Ich<br />
habe einen Ahorn eingerahmt. Der<br />
Ahorn wächst aus einem Eisen. Ich<br />
finde es unglaublich, dass ein Ahorn aus<br />
einem Eisen wächst. Ich glaubte am<br />
Anfang meinen Augen nicht zu trauen.“<br />
Ein neunjähriger Bub schrieb: „Ich will<br />
den Löwenzahn schützen, weil unser<br />
Hauswart ein chemisches Mittel gespritzt<br />
hat, damit die Blumen welken.“
Vielfalt am Schulweg entdecken – ein Erfolg<br />
Die wissenschaftliche Begleituntersuchung, an <strong>der</strong> mehr <strong>als</strong><br />
6000 Kin<strong>der</strong> aus 359 Klassen teilnahmen, zeigte, dass das<br />
Unterrichtsprogramm „Natur auf dem Schulweg“ bei Lehrkräften<br />
und ihren Schulkin<strong>der</strong>n gleichermaßen beliebt war<br />
(Lindemann-Matthies 1999). Den Kin<strong>der</strong>n gefiel beson<strong>der</strong>s<br />
die schulische Beschäftigung mit Pflanzen und Tieren, das<br />
aktive Beobachten, Entdecken und Erforschen dieser Arten –<br />
und zwar beson<strong>der</strong>s draussen. Kin<strong>der</strong> aller Altersgruppen<br />
schätzten die NaturGalerie, die ihnen die Möglichkeit gab,<br />
sich zu bewegen, sich mit Pflanzen und Tieren auseinan<strong>der</strong><br />
zu setzen und ihre Vorlieben für bestimmte Lebewesen<br />
an<strong>der</strong>en mitzuteilen. Auch waren sie stolz darauf, etwas<br />
gelernt zu haben bei dem Projekt – ein deutliches Zeichen<br />
einer gelungenen Motivation. Die Lehrkräfte gaben dem<br />
Programm sehr gute Noten. Dabei war die Beurteilung des<br />
Programmes durch die Lehrkräfte umso besser, je größer <strong>der</strong><br />
Lernerfolg ihrer Klasse war. Die sehr positive Beurteilung<br />
von Aktivitäten „auf dem Schulweg“ durch Lehrkräfte und<br />
Schulkin<strong>der</strong> unterstützt die For<strong>der</strong>ung, dass Lehrkräfte das<br />
direkte Umfeld ihrer Schulen stärker für den Unterricht nutzen<br />
sollten.<br />
Nun werden Städte oft <strong>als</strong> ungeeignete Orte für Naturuntersuchungen<br />
angesehen, obwohl selbst in großen Städten<br />
wie Zürich zum Beispiel über 1200 Wildpflanzen- und fast<br />
100 Brutvogelarten vorkommen. Lehrkräfte in ländlichen<br />
und in städtischen Gebieten führten ähnliche Aktivitäten<br />
durch und sahen zu einem ähnlichen Prozentsatz das Programm<br />
<strong>als</strong> erfolgreich an.<br />
Während des Projektes wurde beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Blick für einheimische,<br />
oft unscheinbare Arten geschult, aber auch für<br />
<strong>der</strong>en Lebensräume. Die Kin<strong>der</strong> nahmen nach dem Unterrichtsprogramm<br />
mehr einheimische Wildpflanzen, Insekten,<br />
Spinnentiere, Schnecken und Würmer wahr und lernten<br />
auch neue, ihnen vorher unbekannte Pflanzen und Tiere<br />
kennen. Gleichzeitig waren sie nach dem Programm häufiger<br />
in <strong>der</strong> Lage, Pflanzen und Tiere korrekt zu benennen.<br />
Auch stand ihre Einschätzung, wie viele Pflanzen und Tiere<br />
es auf dem Schulweg gibt, in engem Zusammenhang mit<br />
<strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Arten, die sie kannten. Das könnte bedeuten,<br />
dass Kin<strong>der</strong> erst Arten kennen lernen müssen, bevor sie ein<br />
Gefühl für Biodiversität bekommen. Je mehr Zeit für das<br />
Programm aufgewendet wurde (im Mittel waren es<br />
17 Unterrichtsstunden), desto grösser war <strong>der</strong> Lernerfolg<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und desto beliebter das Programm. Dies bedeu-<br />
Vielfalt am Schulweg / 43<br />
tet, dass die Bemühungen <strong>der</strong> Lehrkräfte belohnt wurden<br />
(Lindemann-Matthies 2002).<br />
Kin<strong>der</strong> mögen Garten- und Zierpflanzen, Haustiere und exotische<br />
Tiere. Die Teilnahme am Unterrichtsprogramm erhöhte<br />
aber die Wertschätzung einheimischer Wildpflanzen und<br />
-tiere. Je mehr Wildpflanzen und Wildtiere die Kin<strong>der</strong> in<br />
ihrem unmittelbaren Umfeld wahrnahmen und benennen<br />
konnten, desto eher fanden sie eines dieser Lebewesen auch<br />
beson<strong>der</strong>s schön, und je mehr Wildpflanzen sie durch das<br />
Unterrichtsprogramm dazu lernten, desto eher fanden sie<br />
eine dieser Pflanzen beson<strong>der</strong>s schön. Dies deutet darauf<br />
hin, dass Menschen Arten erst kennen lernen müssen, bevor<br />
sie eine Beziehung zu ihnen entwickeln und wertschätzen<br />
können.<br />
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Unterrichtsprogramm<br />
„Natur auf dem Schulweg“ sowohl die<br />
Wahrnehmung und Wertschätzung <strong>der</strong> örtlichen Flora und<br />
Fauna <strong>als</strong> auch das Gefühl für die Häufigkeit und Vielfalt<br />
von Lebewesen erhöhte. Lehrkräfte sollten deshalb ermutigt<br />
werden, mehr Gebrauch von Unterrichtsansätzen zu<br />
machen, die das aktive Erforschen <strong>der</strong> direkten Umwelt<br />
durch die Kin<strong>der</strong> för<strong>der</strong>n. Wie die Ergebnisse <strong>der</strong> vorliegenden<br />
Untersuchung zeigen, ist dieser Ansatz auch in Städten<br />
erfolgreich. Umwelterziehungsprogramme können zu einem<br />
besseren Verständnis von Biodiversität beitragen, zu einer<br />
stärkeren Wertschätzung <strong>der</strong> einheimischen Flora und<br />
Fauna führen und somit einen kleinen, aber wichtigen Beitrag<br />
zur Erhaltung von Biodiversität leisten – o<strong>der</strong> in den<br />
Worten eines <strong>der</strong> beteiligten Kin<strong>der</strong> ausgedrückt:<br />
„Das Naturprojekt ist eines <strong>der</strong> schönsten Projekte, die wir<br />
bisher unternommen haben. Es wird wohl nicht leicht werden,<br />
die Leute im Dorf zu überzeugen, dass man etwas für die<br />
Natur tun sollte. Aber ich werde nicht locker lassen, bis sie es<br />
endlich begreifen. Es ist faszinierend, was man alles auf dem<br />
Schulweg entdecken kann. Jetzt finde ich nämlich den<br />
Schulweg viel interessanter <strong>als</strong> vorher. Ich habe schon viele<br />
Blumen entdeckt, die ich zuvor nie beachtete. Darum sollte<br />
man ernst etwas tun, um die Natur zu erhalten, denn wenn<br />
man jetzt nichts tut, wird die Natur von den Leuten zerstört.<br />
Es wird noch viel schlimmer, wenn es nämlich keine Bäume<br />
und Pflanzen gibt, können die Tiere nicht mehr leben. Mit <strong>der</strong><br />
Zeit gibt es keine Tiere und auch keine Pflanzen mehr, nur<br />
noch Menschen, und das wäre sehr schade.“<br />
(Schülerin aus <strong>der</strong> Schweiz)
44<br />
/ Vielfalt am Schulweg<br />
Literatur<br />
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everyday life and their preferences for species. Dissertation, Universität<br />
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knowledge of elementary school students in Greece. The Journal<br />
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Weilbacher, M. 1993. The renaissance of the naturalist. The Journal of<br />
Environmental Education 25(1): 4-7.<br />
Dr. Petra Lindemann-Matthies<br />
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Umweltwissenschaften<br />
<strong>der</strong> Universität Zürich und leitet dort die<br />
Arbeitsgruppe in <strong>Umweltbildung</strong>. Im Rahmen ihrer Dissertation<br />
hat sie das von „Pro Natura“ zum Europäischen Naturschutzjahr<br />
1995 lancierte <strong>Umweltbildung</strong>sprojekt „Natur<br />
auf dem Schulweg“ wissenschaftlich begleitet.
Birgit Wanker<br />
„Von blauen Kartoffeln<br />
und gestreiften Tomaten“<br />
Eine Führung durch den Schaugarten <strong>der</strong> Arche Noah<br />
beim Schloss Schiltern<br />
Eine Teilnehmerin ließ sich von den Eindrücken<br />
des Gartens verzaubern:<br />
Treten Sie ein in den Garten ...<br />
Gerade noch umgeben von <strong>der</strong> Unruhe <strong>der</strong> Stadt und den<br />
Autobahnen, begrüßt uns <strong>der</strong> Garten mit einer Gelassenheit<br />
und Ruhe, die ansteckend ist.<br />
Vor uns liegen zwei Hektar ehemaliger „Kuchelgarten“,<br />
bestehend aus vier Quadranten, die ganz nach barocken<br />
Richtlinien an den Rän<strong>der</strong>n mit Buchs eingerahmt wurden.<br />
Hinter uns ist die Wucht des barocken Schlosses zu spüren.<br />
Das Gebäude ist nur durch eine schmale Straße vom Garten<br />
getrennt.<br />
Die rund 400 seltenen Kulturarten wurden nach ihrer<br />
geschichtlichen Entwicklung geglie<strong>der</strong>t. Beginnend mit den<br />
Ur- und Frühformen im ersten Quadranten, über die mittelalterlichen<br />
Heil- und Klosterpflanzen, folgen Pflanzen aus<br />
<strong>der</strong> neuen Welt, die mit Christoph Kolumbus und seinen<br />
Seefahrerkollegen nach Europa kamen. Mit den so genannten<br />
Neuankömmlingen schließt sich <strong>der</strong> Kreis <strong>der</strong> Kulturpflanzengeschichte.<br />
Essbare Blüten<br />
Bevor wir in den ältesten Teil <strong>der</strong> menschlichen Kulturgeschichte<br />
eintauchen, wird uns eine schöne violette Malvenblüte<br />
gereicht (Marokkanische Malve) und unsere<br />
Führungsleiterin for<strong>der</strong>t uns auf, die Blütenblätter zu<br />
kosten. Verschränkte Hände tun sich auf, um die Blüte entgegenzunehmen<br />
und nach anfänglicher Skepsis kauen fast<br />
alle an dem samtigen Blatt. Es hat eine leicht schleimige<br />
Konsistenz und entspannt auf angenehme Art den Magen.<br />
Wie wenig neugierig wir doch geworden sind – skeptisch,<br />
begrenzt in unserer Nutzungsweise, weil wir oft nicht mehr<br />
um die Wirkung <strong>der</strong> Pflanzen Bescheid wissen. Es gibt auch<br />
giftige Blüten wie die des Eisenhutes und des Rittersporns.<br />
Viele Blüten sind jedoch genießbar, wie jene <strong>der</strong> Taglilie<br />
o<strong>der</strong> die des Borretsch. Lei<strong>der</strong> finden viel zu wenig Platz in<br />
unserer Küche.<br />
Zufluchtstätte für seltene Insektenarten<br />
Eine drei Zentimeter große Holzbiene schwirrt durch den<br />
Garten. Wie magisch angezogen von dem amberartigen<br />
Geruch und <strong>der</strong> Blütenfarbe des Muskatellersalbeis. Wenn<br />
die Biene kurz auf <strong>der</strong> Blüte ruht, klappen vom oberen Teil<br />
<strong>der</strong> Blüte die Staubblätter nach unten und laden ein Paket<br />
mit Pollen auf den Rücken <strong>der</strong> Holzbiene.<br />
Insekten spielen eine wichtige Rolle beim Transport des Pollens.<br />
Aber hier im Vereinsgarten ist diese Art <strong>der</strong> Bestäubung<br />
nicht immer erwünscht. Beim Kürbis zum Beispiel ist<br />
beson<strong>der</strong>e Vorsicht geboten, da es leicht zu Verkreuzungen<br />
zwischen verschiedenen Sorten <strong>der</strong>selben Art kommen<br />
kann. Damit ist die Sortenreinheit nicht mehr gewährleistet.
46<br />
/ Von blauen Kartoffeln und gestreiften Tomaten<br />
In diesem Fall ist es wichtig, durch Handbestäubung den<br />
emsigen Insekten zuvorzukommen, damit die typische Sorteneigenschaft<br />
erhalten bleibt. Nichtsdestotrotz sind Insekten<br />
hier im Garten gern gesehen und die Vielzahl an Pflanzen<br />
und Gerüchen lockt auch viele bedrohte Insektenarten.<br />
Ur- und Frühformen<br />
Unsere Reise durch die Zeitgeschichte führt uns zu einem<br />
<strong>der</strong> ältesten Begleiter <strong>der</strong> Menschheit, dem Getreide. Die<br />
Entwicklung vom Einkorn über Emmer, Dinkel und Weizen<br />
wird im ersten Quadranten gezeigt. Unzählige Ampfersorten<br />
wie die Gemüsemalve, <strong>der</strong> Rote Meyer (eine Amaranthart),<br />
sowie Meldevarietäten bereicherten dam<strong>als</strong> den Speisezettel<br />
– <strong>als</strong> Spinat o<strong>der</strong> Salat genutzt. Der Übergang vom Sammeln<br />
<strong>der</strong> Wildformen hin zur bewussten Kultivierung <strong>der</strong><br />
Pflanzen war vielfach fließend. Neue Gemüsearten (z. B.<br />
Kartoffel, Spinat ...), aber auch Geschmack und Ernährungsgewohnheiten<br />
schoben viele Gemüsearten wie den Ampfer<br />
und die Melde in den Hintergrund.<br />
Nutzpflanzen aus dem Mittelalter<br />
Im zweiten Quadranten des Gartens finden sich Färbe- und<br />
Faserpflanzen sowie Heil- und Gewürzpflanzen, die in mittelalterlichen<br />
Klostergärten kultiviert wurden. Eine Palette<br />
aus Farb- und Geruchseindrücken strömt auf uns ein, berauscht<br />
die Sinne und führt uns an <strong>der</strong> Nase herum. Jedem<br />
Geruch folgt ein Impuls, eine Ungeduld seinem Ursprung<br />
auf die Spur zu kommen.<br />
Aufregung und kindliche Verzückung macht sich in <strong>der</strong><br />
Gruppe breit. Ist es nun Lavendelthymian o<strong>der</strong> Thymianlavendel,<br />
handelt es sich wirklich um Basilikum, wenn man<br />
Zimt o<strong>der</strong> Zitronengeruch in <strong>der</strong> Nase hat? Verlässt man<br />
sich allein auf die Nase ist die Frage oft schwer zu beantworten.<br />
Nicht nur <strong>der</strong> Geschmack, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> Duft<br />
und die Lust an <strong>der</strong> Ästhetik machen Vielfalt zu einem<br />
Erlebnis. Vielfalt ist lebendig, macht neugierig, kreativ und<br />
hungrig.<br />
Gemüse – bunt wie <strong>der</strong> Regenbogen<br />
Bohnen, Sonnenblumen, Kürbisse und Tomaten geizen nicht<br />
mit ihren Früchten. 600 verschiedene Tomatensorten birgt<br />
die Sammlung <strong>der</strong> Arche Noah. Davon werden 30 bis 50<br />
Sorten im Garten angebaut, mit einer großen Geschmacks-,<br />
Formen- und Farbenvielfalt. Gelbe, weiße, orange,<br />
grün-gestreifte, behaarte, gerippte, fleischige, hohle und<br />
fruchtig-süße Sorten geben sich ein Stelldichein. Beschämend<br />
wirkt da die Auswahl an Tomaten im Supermarkt.<br />
Der Handel trifft strenge Übereinkommen in Form, Größe,<br />
Klasseneinteilung, Farbe und Gesundheit und sieht diese<br />
Kriterien allein <strong>als</strong> Qualitätsmerkmale an. Der Geschmack<br />
bleibt meist auf <strong>der</strong> Strecke. Der Konsument von heute hat<br />
sich den Bedürfnissen des Marktes untergeordnet und hat<br />
nicht mehr so direkt wie früher Einfluss auf die Entwicklung<br />
von Kulturpflanzen. Hausgärten bilden da Oasen, die Platz<br />
für Individualität, Standortanpassung und persönliche<br />
Bedürfnisse zulassen. Kulturpflanzenvielfalt ist durch Nutzung<br />
entstanden und kann auch durch Nutzung am besten<br />
erhalten werden.<br />
Die „Neuen“ kommen oft von weit her<br />
Im letzten Teil des Gartens wachsen unzählige Minzesorten.<br />
Wir kosten vom Süßholz und berühren die aromatischen<br />
Blätter <strong>der</strong> Zitronenverbene. Wir schmecken das reife, süße<br />
Aroma von Tomaten und die betäubende Wirkung <strong>der</strong> Parakresse.<br />
Unsere Augen können sich nicht satt sehen an <strong>der</strong><br />
Formen- und Farbenfülle <strong>der</strong> zum Teil exotisch anmutenden<br />
Pflanzen.<br />
Der Abschied vom Garten fällt schwer. Es gäbe noch so viel<br />
zu erkunden, zu entdecken und auszutauschen. Doch es gibt<br />
die Möglichkeit, Pflanzen und Saatgut mitzunehmen, um<br />
die Idee <strong>der</strong> Arche Noah auch in unseren Gärten weiterleben<br />
zu lassen. Auf dem Heimweg stelle ich fest, dass die<br />
Arche Noah in mir ein paar Samen fallen gelassen hat. Sie<br />
sind auf fruchtbarem Boden gelandet.
Der Garten <strong>der</strong> Arche Noah<br />
Im nie<strong>der</strong>österreichischen Ort Schiltern, nahe <strong>der</strong> traditionellen<br />
Weinstadt Langenlois, liegt <strong>der</strong> Schaugarten <strong>der</strong><br />
Arche Noah. Die klimatische Lage an <strong>der</strong> Grenze zwischen<br />
Wald- und Weinviertel und die Einbettung des Gartens in ein<br />
barockes Ambiente geben <strong>der</strong> Anlage das unverwechselbare<br />
Flair.<br />
Es handelt sich um rund zwei Hektar Vereinsgelände, das die<br />
Gesellschaft zur Erhaltung und Verbreitung <strong>der</strong> Kulturpflanzenvielfalt,<br />
kurz „Arche Noah“, <strong>als</strong> Schaugarten und teilweise<br />
Vermehrungsgarten nutzt.<br />
Woher kommt diese Fülle an Saatgut?<br />
Es begann mit Bäuerinnen <strong>der</strong> Umgebung, die selten gewordenes<br />
Saatgut <strong>der</strong> Gegend sammelten. Die Idee fand so<br />
großen Anklang, dass sich bald <strong>der</strong> Verein für die Erhaltung<br />
und Verbreitung alter Kulturpflanzenvielfalt bildete. Nun<br />
kamen seltene Sorten aus allen Winkeln Österreichs und<br />
schließlich auch aus den angrenzenden Staaten zur Arche<br />
Noah. Vom Verein organisierte Sammelreisen in Nachbarlän<strong>der</strong><br />
und das Aufnehmen ausrangierter Handelssorten<br />
ergänzten die Sammlung alter Sorten.<br />
Die Arche Noah ist nicht nur eine Sammelstelle für im Handel<br />
nicht mehr erhältliche Pflanzen. Das beweist das jährlich<br />
erscheinende Sortenhandbuch. Rund 130 Mitglie<strong>der</strong> geben<br />
damit Saatgut weiter und stellen es für den Anbau zur Verfügung.<br />
Mit je<strong>der</strong> weitergegebenen Samenportion wächst<br />
die Hoffnung, dass die Sorte in so manchen Hausgärten weiter<br />
wachsen wird.<br />
Mit dem Saatgut wird gleichzeitig regionale Kulturgeschichte<br />
verbreitet. Die Idee ist, dass dieses Kulturerbe für je<strong>der</strong>mann<br />
verfügbar sein muss und nicht allein Eigentum von<br />
Saatgutkonzernen sein kann. Es handelt sich hier um<br />
zugängliche genetische Ressourcen und eine gelebte Vielfalt<br />
in unseren Gärten.<br />
Von blauen Kartoffeln und gestreiften Tomaten / 47<br />
Wozu brauchen wir diese Vielfalt an<br />
Kulturpflanzen?<br />
Die Ansprüche <strong>der</strong> Menschen an Kulturpflanzen wechseln<br />
und <strong>der</strong> tatsächliche Wert von „alten Sorten“ ist oft nicht auf<br />
den ersten Blick erkennbar. Wir wissen heute nicht, welche<br />
Eigenschaften unserer Nutzpflanzen in Zukunft einmal<br />
bedeutend sein werden für unsere Ernährung, für die Pflanzenzüchtung<br />
und die Landwirtschaft. Es wäre daher kurzsichtig<br />
zu glauben, auf die in Jahrtausenden entwickelte<br />
Nutzpflanzenvielfalt verzichten zu können.<br />
Darüber hinaus beinhaltet Kulturpflanzenvielfalt auch einen<br />
kulturellen Wert und bedeutet eine Vielfalt von Traditionen<br />
und Wissen über die einzelnen Sorten, über Anbau, Saatgutreinigung<br />
und Lagerung. Hier sieht die Arche Noah auch ihre<br />
Hauptaufgabe: das im Laufe <strong>der</strong> Zeit entstandene Wissen<br />
und die Erfahrungen zu sammeln, zu erweitern und Mitglie<strong>der</strong><br />
wie Interessenten daran teilhaben zu lassen.<br />
Anschrift:<br />
ARCHE NOAH Schaugarten<br />
Obere Straße 40,<br />
A-3553 Schiltern<br />
Kontaktadresse:<br />
Informationen über Öffnungszeiten und Veranstaltungen,<br />
Anmeldungen für Gruppen- und Kin<strong>der</strong>führungen bei<br />
Gabriele Wagner: Telefon +43 (0)2734/8626-18<br />
Arche Noah, 3553 Schiltern, Obere Straße 40 o<strong>der</strong><br />
www.arche-noah.at<br />
E-Mail: schaugarten@arche-noah.at
48<br />
/ Von blauen Kartoffeln und gestreiften Tomaten<br />
Kin<strong>der</strong> erleben die Vielfalt im Schaugarten<br />
<strong>der</strong> Arche Noah<br />
Kin<strong>der</strong>führungen sind wichtig in <strong>der</strong> Arche Noah. Sind Kin<strong>der</strong><br />
doch die Erwachsenen von morgen. Sie werden in<br />
Zukunft entscheiden, ob Kulturpflanzenvielfalt noch eine<br />
Chance hat.<br />
Unser Motto: Kin<strong>der</strong> sollen Freude im Umgang mit Pflanzen<br />
erleben und Neugierde entwickeln können.<br />
Wir haben eine Rätselrallye für drei Altersstufen entwickelt.<br />
Die versucht in spielerischer Form, Kin<strong>der</strong> den Garten interessant<br />
und spannend erleben zu lassen.<br />
Die Kin<strong>der</strong>gruppen werden durch Führungspersonal begleitet.<br />
Das geht zwischen den einzelnen Stationen auf die<br />
unterschiedlichsten Themen ein – Vielfalt, Blütenbiologie,<br />
Bestäubung, Samenverbreitung usw.<br />
Am Ende <strong>der</strong> Führung bekommen die Kin<strong>der</strong> Saatgut, meist<br />
<strong>als</strong> Bohnen mit, die sich in Form, Größe und Farbe unterscheiden.<br />
Die Samen können zu Hause im Topf o<strong>der</strong> Garten<br />
angepflanzt werden. Die Bohnenvielfalt und <strong>der</strong>en Schönheit<br />
kann Jugendliche auch reizen, die Samen zu sammeln<br />
und zu tauschen. Dieser „Tauschhandel“ war früher am Land<br />
üblich.<br />
Zeitgeschichtlich betrachtet wären dann Bohnen wohl die<br />
Vorläufer <strong>der</strong> „Pokemonpickerl“, die Kin<strong>der</strong> heutzutage so<br />
gerne austauschen.<br />
Manchmal dienen die geschenkten Bohnen auch <strong>als</strong> Basis<br />
für ein Spiel, das ich anschließend vorstellen möchte,<br />
gemeinsam mit <strong>der</strong> Rätselrallye 1, die für die Altersgruppe<br />
<strong>der</strong> 6–8-jährigen gedacht ist.<br />
Bohnenspiel:<br />
Ein sehr altes, einfaches Kin<strong>der</strong>spiel, das meist mit Steinen,<br />
Münzen o<strong>der</strong> Glaskugeln gespielt wird. Bohnenund<br />
Erbsen- Samen können eine interessante Alternative<br />
sein, sind sie doch wie Glaskugeln bunt, verschieden<br />
groß, fühlen sich gut in <strong>der</strong> Hand an und können leicht<br />
in einer Hosentasche Platz finden.<br />
Das Spiel soll Kin<strong>der</strong> sensorisch schulen und sie spielerisch<br />
auf Sortenvielfalt einstimmen. Es kann Jugendliche<br />
auch animieren, kreativ mit Saatgut umzugehen.<br />
Spielanleitung:<br />
Drei Kin<strong>der</strong> bilden einen Kreis. Jedes Kind bekommt drei<br />
Bohnen, die es zwischen den Händen schüttelt. Danach<br />
werden die Bohnen für die an<strong>der</strong>en unsichtbar auf die<br />
Hände verteilt: Zwei Bohnen in <strong>der</strong> einen Faust - in <strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>en eine Bohne; o<strong>der</strong> drei Bohnen in einer Faust -<br />
die an<strong>der</strong>e Faust leer.<br />
Wichtig ist jetzt die rechte Hand. Die Faust halten alle<br />
drei Kin<strong>der</strong> in die Mitte des Kreises. Die Kin<strong>der</strong> müssen<br />
nun raten, wie viele Bohnen in den drei Fäusten<br />
gemeinsam liegen. Jedes Kind gibt einen Tipp ab - eine<br />
Zahl zwischen 0 und 9. Wer die Zahl errät, darf eine<br />
von den eigenen Bohnen weglegen.<br />
Sieger ist, wer <strong>als</strong> erster keine Bohnen mehr hat.<br />
Das Spiel kann auch erweitert werden, indem <strong>der</strong> Sieger<br />
am Ende je eine Bohne <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Spieler <strong>als</strong> Preis<br />
erhält.<br />
Birgit Wanker<br />
schreibt gerade an ihrer Diplomarbeit im Fach Ethnologie.<br />
Sie studiert auch Biologie und interessiert sich für<br />
Ethnobotanik.<br />
In <strong>der</strong> Arche Noah in Schiltern führt sie große und kleine<br />
Besucher durch den Schaugarten.
Rätsel-<br />
Rallye<br />
Viel Spaß beim Lösen <strong>der</strong> Rätsel!<br />
Von blauen Kartoffeln und gestreiften Tomaten / 49<br />
BITTE NICHT DURCH DIE BEETE LAUFEN UND KEINE PFLANZEN AUSREISSEN!!<br />
1. Laß deinen Blick über den Garten schweifen. Schau welche Pflanze am höchsten in den Himmel<br />
wächst. Gehe hin, schau wie die Pflanze heißt und schreibe ihren Namen auf.<br />
________________________________________________________________________________________<br />
Schätze wie hoch die Pflanze ist – um wieviel ist sie größer <strong>als</strong> du?<br />
________________________________________________________________________________________<br />
2. Im Gartenteil A (wo das ist, siehst du auf dem Gartenplan) gibt es 3 Pflanzen mit den Namen<br />
Zitronenmelisse, Oregano und Pfefferminze. Reibe je ein Blatt von je<strong>der</strong> Pflanze zwischen<br />
deinen Fingern und rieche daran. Versuche nun die Gerüche den einzelnen Pflanzen zuzuordnen<br />
und verbinde sie mit einer Linie!<br />
ZITRONENMELISSE OREGANO PFEFFERMINZE<br />
riecht nach Kaugummi duftet nach Pizza erinnert an eine Zitrone
50<br />
/ Von blauen Kartoffeln und gestreiften Tomaten<br />
BITTE NICHT DURCH DIE BEETE LAUFEN UND KEINE PFLANZEN AUSREISSEN!!<br />
3. Staubblätter und Stempel sind wichtige Teile <strong>der</strong> Blüte.<br />
Mit Hilfe dieser Blütenteile vermehren sich die Pflanzen und bilden Samen, woraus wie<strong>der</strong><br />
neue Pflanzen entstehen können.<br />
Suche im Gartenteil A die Stockrose o<strong>der</strong> die weiße Erdbeere und vervollständige die<br />
Zeichnung <strong>der</strong> Blüte, indem du die fehlenden Teile einzeichnest und die Pflanzenteile in <strong>der</strong><br />
richtigen Farbe anm<strong>als</strong>t. Farbstifte findest du am Eingang.<br />
4. Gehe in den Gartenteil B. Dort stehen nahe <strong>der</strong> Zwetschkenbäume rote Tontöpfe.<br />
Unter den Töpfen findest du den scharf schmeckenden Meerkohl, <strong>der</strong> versucht, Richtung Licht<br />
zu wachsen. Was glaubst du ist <strong>der</strong> wahre Grund, warum <strong>der</strong> Meerkohl einen Tontopf<br />
übergestülpt bekommt? Kreuze das Richtige an.<br />
O Damit er nicht von Tieren wie Vögeln und Schnecken gefressen wird<br />
O Damit ihn niemand sieht, weil er so häßlich ist<br />
O Damit seine grünen Pflanzenteile gelb gebleicht werden und somit zart und<br />
wohlschmeckend werden<br />
5. Ordne die 5 Wörter<br />
RUEBE, BIRNE, GURKE, BOHNE und HIRSE<br />
in <strong>der</strong> richtigen Reihenfolge in die Fel<strong>der</strong>.<br />
Es ergibt sich dann von oben links nach<br />
unten rechts wie von Zauberhand ein Tier, das in<br />
unserem Schaugarten sehr oft vorkommt und zum<br />
Bestäuben einiger Pflanzen wichtig ist.
Waltraud Niel<br />
Greisenhaar und Sonnentau<br />
Kin<strong>der</strong> erleben die Vielfalt im Botanischen Garten Wien<br />
Ein Garten zum Lernen<br />
Der historische Auftrag des Botanischen Gartens lag in <strong>der</strong><br />
Verbesserung des ärztlichen Wissens. Ein Arzt muss Heilpflanzen<br />
kennen - davon war van Swieten, Leibarzt Maria<br />
Theresias, überzeugt. Er riet <strong>der</strong> Kaiserin, einen Garten anlegen<br />
zu lassen, wo angehende Ärzte die Pflanzen studieren<br />
können. So entstand 1754 <strong>der</strong> Botanische Garten <strong>der</strong> Universität<br />
Wien.<br />
An <strong>der</strong> Universität hat sich die Pflanzenkunde schon lange<br />
von <strong>der</strong> Medizin abgelöst und <strong>der</strong> Botanische Garten ist<br />
über seinen historischen Auftrag hinausgewachsen. Heute<br />
interessieren sich Forscher für Verwandtschaftsbeziehungen<br />
und Entwicklungsprozesse bei Pflanzen, für ihre ökologischen<br />
Beziehungen und dafür, ob sie für Menschen nützlich<br />
sein können. Ein weiteres Anliegen ist <strong>der</strong> Artenschutz, <strong>der</strong><br />
nur Chance auf Erfolg hat, wenn BiologInnen ihre Erkenntnisse<br />
einer breiten Öffentlichkeit vermitteln können.<br />
Ein Fenster zur Vielfalt<br />
Im Botanischen Garten <strong>der</strong> Universität Wien öffnen wir ein<br />
Fenster zur Vielfalt, wir wollen Kin<strong>der</strong>n die Vielfalt an<br />
Lebensräumen und die erstaunlichen Anpassungen <strong>der</strong><br />
Pflanzen näher bringen. Bei einer Führung wählen wir, je<br />
nach thematischem Wunsch, aus <strong>der</strong> großen Anzahl <strong>der</strong> im<br />
Garten kultivierten Pflanzenarten (ca. 9000 Arten) die spannendsten<br />
aus. Die Kin<strong>der</strong> werden ermutigt zu beobachten,<br />
zu fühlen, zu riechen. Sie hören zu und sie erzählen von<br />
ihren Erfahrungen mit Pflanzen. Beson<strong>der</strong>s gern gehen sie<br />
mit einem Arbeitsblatt selbst auf Entdeckungsreise.<br />
Lernen und Lehren<br />
Im Botanischen Garten <strong>der</strong> Universität Wien gibt es Führungen<br />
für Schulklassen je<strong>der</strong> Altersstufe. Die Führenden sind<br />
junge LehrerInnen o<strong>der</strong> Studierende <strong>der</strong> Studiengänge<br />
Diplomstudium „Biologie“ o<strong>der</strong> Lehramtsstudium „Biologie<br />
und Umweltkunde“. Zur Vorbereitung auf ihre Tätigkeit<br />
müssen sie fachdidaktische Lehrveranstaltungen mit Bezug<br />
zum Botanischen Garten besuchen, z. B. „Pflanzen des Botanischen<br />
Gartens in Forschung, Lehre und Unterricht“. Hier<br />
lernen sie den Garten besser kennen und üben eine altersspezifische<br />
Darstellung botanischer Fakten.<br />
Durch die Führungen sollen folgende Bildungsziele erreicht<br />
werden:<br />
• Aufmerksamkeitsschulung<br />
• Artenkenntnis und Akzeptanz <strong>der</strong> Diversität<br />
• Urteilsbildung durch Wissen und Erleben<br />
• Verständnis für Nachhaltigkeit<br />
51
52<br />
/ Greisenhaar und Sonnentau<br />
Pflanzen von nah und fern –<br />
Vielfalt an Lebensräumen im Botanischen Garten<br />
Beispiel einer Führung für 10–14-jährige Kin<strong>der</strong><br />
Nach einem kurzen Blick auf die Entstehungsgeschichte des<br />
Botanischen Gartens bekommt die Gruppe an Hand eines<br />
Planes einen Überblick über die Anlage und erfährt Start<br />
und Ziel des heutigen Weges. Damit sich die Kin<strong>der</strong> bei späteren<br />
Aufgaben selbständig zurechtfinden, wird die Beschil<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Pflanzen erklärt. Dann kann es losgehen.<br />
Vielfalt durch Anpassungen an extreme Standorte<br />
Jede Pflanze hat einen Platz, an dem sie beson<strong>der</strong>s gut<br />
wächst und sich vermehren kann. Für manche dieser Pflanzenarten<br />
ist dieser Lieblingsplatz trocken, für an<strong>der</strong>e feucht.<br />
Der Platz kann ein Wegrand sein o<strong>der</strong> ein fruchtbarer Acker,<br />
eine Wüste o<strong>der</strong> ein Regenwald. Hier im Botanischen Garten<br />
wachsen viele Pflanzen von nah und fern, für welche die<br />
Gärtner einen – für die jeweiligen Pflanzen entsprechenden<br />
– Standort bereiten mussten.<br />
Die Kin<strong>der</strong> lernen heute ausgewählte Pflanzen verschiedenster<br />
Herkunft kennen und erfahren etwas über<br />
Strategien auch in unwirtlichen Gebieten zu überleben.<br />
Dass Pflanzen dabei manchmal seltsam anmutende Formen<br />
hervor bringen, regt die Fantasie und Neugier <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> an.<br />
Wüstenpflanzen – Überlebenskünstler bei Hitze und<br />
Trockenheit<br />
In <strong>der</strong> Nähe des Haupteinganges fällt uns schon von weitem<br />
eine exotische Pflanzengruppe auf: Dornige Säulen o<strong>der</strong><br />
kurze Stämme mit dickfleischigen Blättern. Pflanzen amerikanischer<br />
und afrikanischer Trockengebiete, die jedes Jahr<br />
nach dem letzten Kälteeinbruch im Mai aus den Überwinterungshäusern<br />
ins Freie gebracht werden. In ihrer Heimat<br />
sind Wüstenpflanzen starkem Sonnenlicht ausgesetzt und<br />
haben nur wenig Wasser zur Verfügung. Deswegen müssen<br />
sie sich davor schützen, „durstig“ zu werden. Dies gelingt<br />
ihnen, indem sie Wasser speichern und die Verdunstung einschränken.<br />
Der Feigenkaktus z. B. kann Wasser im Inneren<br />
seines Stammes speichern. Aber wo sind die Blätter, die normalerweise<br />
die Energie des Sonnenlichtes einfangen? Sie<br />
sind zu Dornen umgebildet; denn Blätter, wie wir sie von<br />
unseren heimischen Sträuchern kennen, würden von <strong>der</strong><br />
heißen Luft rasch ausgetrocknet werden. Der Stamm aber<br />
ist grün und kann dadurch mithelfen, die Sonnenenergie zu<br />
nutzen. Durstige Tiere würden sich gerne das im Stamm<br />
gespeicherte Wasser holen. Das verhin<strong>der</strong>n Kakteen mit<br />
ihren Dornen. Das Greisenhaar schützt sich mit seinen Dornen,<br />
die ausschauen wie Haare, vor <strong>der</strong> Sonne. Ähnlich einer<br />
Sonnenkappe halten die Haare (bitte nicht streicheln – die<br />
Dornen haben Wi<strong>der</strong>haken!) das starke Sonnenlicht ab. Mit<br />
so wenig Wasser können die meisten Wüstenpflanzen aber<br />
nur langsam wachsen. Der Kugelkaktus zum Beispiel wird in<br />
zwanzig Jahren höchstens 30 Zentimeter groß.<br />
Dann gibt es aber auch Pflanzen, die trotz Trockenheit<br />
große, aber sehr harte, dicke Blätter haben. Sie legen ihren<br />
Wasservorrat nicht im Stamm, son<strong>der</strong>n in den Blättern an.<br />
Ein Beispiel dafür ist die Aloe, die seit vielen Jahrhun<strong>der</strong>ten<br />
<strong>als</strong> Heilpflanze, vor allem zur Hautpflege, genutzt wird.
Insektenverdauende Pflanzen – Spezialisten beim<br />
Nahrungserwerb<br />
Nicht weit entfernt von den Wüstenpflanzen kommen wir<br />
zu einer Vitrine mit Pflanzen, die Insekten verdauen können.<br />
Wir schneiden eine <strong>der</strong> Pflanzen, eine Schlauchpflanze, auf<br />
und finden darin lauter tote Insekten. Wie kommen nun<br />
„sesshafte“ Pflanzen zu fliegenden Insekten? Und warum<br />
haben sie eigentlich so ausgefallene Ernährungsgewohnheiten?<br />
Insekten verdauende Pflanzen wachsen auf extrem<br />
nährstoffarmen Böden. Sie brauchen eine zusätzliche Nahrungsquelle,<br />
um gedeihen zu können. So locken sie Beute<br />
an, fangen sie und verdauen sie.<br />
Die Schlauchpflanze aus den Sumpfgebieten <strong>der</strong> südöstlichen<br />
USA lockt Insekten mit Nektar an. Der Nektar ist hier,<br />
nicht wie bei den meisten Pflanzen, in <strong>der</strong> Blüte zu finden,<br />
son<strong>der</strong>n oben auf einem Blatt, das zum Schlauch mit Deckel<br />
umgebildet ist. Sobald ein Tier nach mehr Nahrung im Inne-<br />
ren des Blattes sucht, rutscht es über eine glatte Wand in<br />
die Tiefe und wird dort verdaut.<br />
Der Sonnentau wächst bei uns in Österreich auf Mooren. Ein<br />
Moor besteht aus abgestorbenen Pflanzen, die seit Tausenden<br />
von Jahren nicht zersetzt worden sind. Darum sind auch<br />
keine Nährstoffe frei geworden. Wie fängt sich nun <strong>der</strong><br />
Sonnentau seine Nahrung?<br />
An seinen Blättern sitzen Drüsenhaare, die klebrige Tröpfchen<br />
abson<strong>der</strong>n. Daran bleiben kleine Insekten haften und<br />
werden anschließend zu einem Saft aufgelöst, den <strong>der</strong> Sonnentau<br />
aufnehmen kann.<br />
Greisenhaar und Sonnentau / 53<br />
Gebirgsblumen – Wind und Wetter können ihnen<br />
nichts anhaben<br />
Als nächstes lernen wir einen Lebensraum kennen, <strong>der</strong> mit<br />
seinem felsigen Untergrund, langen und kalten Wintern und<br />
starken Winden beson<strong>der</strong>e Anpassungen nötig macht. Unser<br />
Alpinum ist ein Steingarten mit kleinen Wegen, einem Wasserlauf<br />
und einem kleinen Teich. Wir sehen und ertasten,<br />
dass Hochgebirgspflanzen wie <strong>der</strong> Mannsschild dicht<br />
zusammengedrängt in Polstern wachsen. Die Kugelblume<br />
überzieht wie ein Teppich steiniges Gelände. Kräftige Wurzeln<br />
verankern die Pflanzen in Felsspalten. Je höher oben die<br />
Pflanzen wachsen, desto kleiner sind ihre Stängel o<strong>der</strong> ihre<br />
verholzten Stämmchen. Auch die Blätter bleiben klein und<br />
ledrig, damit sie von Wind und Sonne nicht so leicht ausgetrocknet<br />
werden. Dabei erinnern wir uns an das Greisenhaar<br />
aus <strong>der</strong> Wüste. Es besitzt lange, helle Dornen <strong>als</strong> Schutz vor<br />
<strong>der</strong> Sonne. Auch Pflanzen im Hochgebirge müssen sich<br />
gegen die Sonne schützen. Das Edelweiß zum Beispiel hat<br />
<strong>als</strong> Sonnenschutz dichte weiße Haare auf seinen Blättern.<br />
Nicht alles an Hochgebirgspflanzen bleibt klein: Wenn sie<br />
blühen, bringen sie auffällige und oft zu einem Blütenstand<br />
vereinigte Blüten hervor. Damit locken sie Insekten, die in<br />
großer Höhe selten sind, zur Bestäubung an.<br />
Selbständiges Erforschen mit Arbeitsblättern<br />
Nach diesem informativen Teil gehen die Kin<strong>der</strong> gern selbst<br />
auf Entdeckung. Sie können ihre Beobachtungen in Arbeitsblätter<br />
eintragen. Anschließend werden die Ergebnisse<br />
gemeinsam besprochen.
54<br />
/ Greisenhaar und Sonnentau<br />
Beispiel für ein Arbeitsblatt:<br />
Pflanzen im Gebirge sind gut ausgerüstet<br />
Suche Pflanzen, die sich gut an Wind und Sonne angepasst haben und<br />
finde auch solche, die mit großen Blüten Insekten zur Bestäubung anlocken.<br />
Notiere jeweils mindestens einen Pflanzennamen<br />
(vorletzte Zeile auf dem Namensschild)<br />
und die Heimat <strong>der</strong> Blume<br />
(Letzte Zeile auf dem Namensschild).<br />
Bitte bleibe auf dem Weg und reiße keine Pflanzen(teile) ab.<br />
Windschutz – Polsterwuchs<br />
Sonnenschutz – Haare<br />
Anlockung von Insekten – große Blüten o<strong>der</strong> Blütenstände<br />
Waldspaziergang<br />
Beim Abstieg aus dem „Hochgebirge“ durchwan<strong>der</strong>n wir<br />
fast immer noch einen allgemein bekannten Lebensraum:<br />
den Wald. Zum Abschluss vergleichen die Kin<strong>der</strong> ihre Erfahrungen<br />
im Gebirge mit dem Wald. Bei einem kleinen „Waldspaziergang“<br />
merken sie, dass es im Schatten <strong>der</strong> Nadelbäumen<br />
deutlich dunkler, kühler und feuchter ist <strong>als</strong> vorher.<br />
Sie werden gebeten, sich still zu verhalten: mit etwas Glück<br />
können sie Eichkätzchen o<strong>der</strong> Vögel (z. B. Meise, Kleiber,<br />
Specht) beobachten.<br />
Organisation<br />
• Anmeldung und eventuell Bekanntgabe eines<br />
gewünschten Themenschwerpunktes (siehe:<br />
http://www.botanik.univie.ac.at/hbv/deutsch/schulfuehrung/schulfuehrungen.htm)<br />
bei Mag. Ossi Abdel-Qa<strong>der</strong>,<br />
Tel.: 0676/95 60 701,<br />
E-Mail: ossi_abdel_qa<strong>der</strong>@hotmail.com<br />
Name <strong>der</strong> Blume Heimat <strong>der</strong> Blume<br />
Welche Blume gefällt dir am besten? Name <strong>der</strong> Blume Heimat <strong>der</strong> Blume<br />
Blütenfarbe weiß<br />
Blütenfarbe gelb<br />
Blütenfarbe rosa o<strong>der</strong> lila<br />
• Etwa einstündige Führungen o<strong>der</strong> mehrstündige Projekte;<br />
bei bestimmten Themen o<strong>der</strong> auf speziellen Wunsch<br />
werden Führungsprotokolle o<strong>der</strong> Arbeitsblätter (siehe<br />
Beispiel) mit Gartenplan ausgegeben.<br />
• Führungen gegen Spende, allenfalls mit finanzieller<br />
Unterstützung durch den „Verein <strong>der</strong> Freunde des Botanischen<br />
Gartens <strong>der</strong> Universität Wien“.<br />
Den Gartenplan findet man unter<br />
www.botanik.univie.ac.at/hbv/deutsch/plan1990.htm.<br />
Dr. Waltraud Niel<br />
führt seit 1997 (neben <strong>der</strong> Betreuung ihrer vier Kin<strong>der</strong>)<br />
ehrenamtlich durch den Botanischen Garten in Wien und<br />
hat zwei Jahre lang auch die Organisation <strong>der</strong> Führungen<br />
übernommen. Sie arbeitet jetzt am Institut für Botanik <strong>der</strong><br />
Universität Wien für den „Regenwald <strong>der</strong> Österreicher“.
Regina Kobler<br />
Die Kräuterspirale<br />
Vielfalt mit allen Sinnen genießen<br />
Die Naturküche, das Heilen mit Pflanzen und Großmutters<br />
Kräuterkunde erleben einen Boom. Exotische ebenso wie<br />
einheimische Kräuter und Gewürze sind selbstverständlich<br />
geworden. Sie werden nicht nur für schmackhafte Speisen<br />
und zum allgemeinen Wohlbefinden verwendet, son<strong>der</strong>n<br />
auch zum Heilen von Krankheiten. Denn wie sagt ein altes<br />
Sprichwort: „Gegen jede Krankheit ist ein Kraut gewachsen.“<br />
Dass aber Thymian nicht gleich Thymian ist und dass<br />
Schnittlauch an<strong>der</strong>e Wachstumsbedingungen braucht <strong>als</strong><br />
Rosmarin, dessen sind sich nur wenige bewusst.<br />
Die Kräuterspirale eignet sich ausgezeichnet, um ein Verständnis<br />
von Artenvielfalt zusammen mit <strong>der</strong> Vielfalt ihrer<br />
Lebensräume zu vermitteln. Neben <strong>der</strong> Darstellung des<br />
Eigenwertes <strong>der</strong> biologischen Vielfalt wird auch <strong>der</strong> Nutzen<br />
für den Menschen unmittelbar und sinnlich erlebbar.<br />
Unsere Küchenkräuter stammen aus sehr verschiedenen Klimagebieten<br />
und von unterschiedlichen Standorten. Jedes<br />
bringt seine eigenen Ansprüche an Boden, Temperatur,<br />
Feuchtigkeit etc. mit. Die Kräuterspirale kann diese Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
einfach und auf kleinstem Raum erfüllen.<br />
Durch die Vielfalt <strong>der</strong> Lebensbedingungen bietet die Kräuterspirale<br />
auch einer Vielzahl von Tieren Lebensmöglichkeiten.<br />
Unter ihnen befinden sich auch Nützlinge im Garten,<br />
wie eine große Zahl von Insekten, Eidechsen, Kröten, Vögel<br />
u. a. Das hat zur Folge, dass Pflanzenschutzmaßnahmen<br />
eingeschränkt o<strong>der</strong> sogar unnötig werden.<br />
So wird sie aufgebaut, die Kräuterspirale<br />
Es ist nicht schwer, eine solche Kräuterspirale zu bauen. Ist<br />
das benötigte Baumaterial bereitgestellt, kann sie an einem<br />
Nachmittag aufgebaut werden.<br />
Material<br />
Natursteine: 4–9 Scheibtruhen voll, je nach Größe<br />
<strong>der</strong> Spirale,<br />
Bauschutt (alte Ziegelsteine) o<strong>der</strong> Schotter:<br />
2–4 Scheibtruhen voll,<br />
Gartenerde: 3–6 Scheibtruhen voll,<br />
Komposterde: 2–3 Scheibtruhen voll,<br />
Sand: 3–4 Scheibtruhen voll,<br />
Teichfolie<br />
Kräuter; Wasser<br />
Werkzeug: Spaten, kleine Schaufel, Schubkarren, ev. Folie<br />
zum Unterlegen für die abgetragene Erde, Wasserbehälter<br />
(Kübel o<strong>der</strong> Gießkanne)<br />
55
56<br />
/ Die Kräuterspirale<br />
Die Schritte im Einzelnen:<br />
• Ein sonniger Platz wird gesucht.<br />
• Ein Kreis von zwei Metern Durchmesser wird ausgesteckt.<br />
• Die oberste Bodenschicht wird spatentief abgehoben, zur<br />
Seite gelegt und <strong>der</strong> Boden <strong>der</strong> Grube mit alten, zerbrochenen<br />
Ziegelsteinen, bzw. grobem Bauschutt aufgefüllt.<br />
• In <strong>der</strong> Mitte des Kreises wird ein 40-50 Zentimeter hoher<br />
Bauschuttkegel errichtet.<br />
• Am Südende <strong>der</strong> Spirale wird ein ca. 80 Zentimeter tiefes<br />
Loch (Wasserloch) ausgehoben (Größe nach Belieben).<br />
• Nun wird vom Süden (Wasserloch) aus mit dem Aufbau<br />
<strong>der</strong> Spirale begonnen: Der Außenrand <strong>der</strong> Spirale wird<br />
mit großen Natursteinen ausgelegt. Die Höhe nimmt<br />
dabei laufend zu: an <strong>der</strong> Spitze ist die Spirale ca. 70 cm<br />
hoch.<br />
• Das Innere <strong>der</strong> Spirale (<strong>der</strong> Hang) wird mit Erde von<br />
unten nach oben verlaufend folgen<strong>der</strong>maßen aufgefüllt<br />
(dies geschieht zum Teil gleichzeitig mit den Steinen,<br />
damit diese nicht umfallen): Am unteren Ende <strong>der</strong> Spirale<br />
Komposterde (nährstoffreich), dann folgt Erde, die vorher<br />
abgetragen wurde. Weiter oben wird <strong>der</strong> Erde Sand<br />
beigemischt und geht schließlich ganz oben in ein Erde-<br />
Sand-Gemisch von 1:1 über.<br />
• Das Wasserloch wird mit einer Teichfolie ausgelegt. Zur<br />
Spirale hin wird die Folie mit Erde überdeckt, sodass<br />
durch Kapillarwirkung <strong>der</strong> Boden im unteren Bereich <strong>der</strong><br />
Spirale feucht bleibt.<br />
• Der Boden des Folientümpels wird mit Steinen bedeckt<br />
und <strong>der</strong> Tümpel mit Wasser gefüllt.<br />
• Bei <strong>der</strong> Bepflanzung ist beson<strong>der</strong>s darauf zu achten, dass<br />
die Kräuter entsprechend ihren Bedürfnissen an die richtige<br />
Stelle <strong>der</strong> Spirale eingesetzt werden – siehe Pflanzplan
Und so funktioniert das Ökosystem<br />
„Kräuterspirale“<br />
Um den verschiedenen Wuchsbedingungen gerecht zu werden,<br />
soll in <strong>der</strong> Spirale ein Gefälle von sandig-nährstoffarmtrockenem<br />
(oben) zu lehmig-nährstoffreich-feuchtem<br />
(unten) Boden entstehen. Da <strong>der</strong> Kern <strong>der</strong> Spirale aus Bauschutt<br />
o<strong>der</strong> ähnlichem Material besteht und somit wasserdurchlässig<br />
ist, bleibt <strong>der</strong> obere Teil weitgehend trocken.<br />
Durch die Zugabe von Sand im oberen und Kompost im<br />
unteren Teil <strong>der</strong> Spirale werden diese Bedingungen noch<br />
verstärkt. Gieß- und Nie<strong>der</strong>schlagswasser, das nicht gleich<br />
im Boden versickert, kann gut in ein Becken am Fuß <strong>der</strong> Spirale<br />
abrinnen. Es ist günstig, die Kräuterspirale von Nord<br />
nach Süd auszurichten, dadurch werden die Sonnenstrahlen<br />
optimal genutzt. Die Steine sorgen für ein ausgeglichenes<br />
Kleinklima. Tagsüber nehmen sie die Sonnenenergie auf und<br />
geben sie nachts langsam an den Boden ab. Durch diesen<br />
Wärmespeicher können Nachtfröste bis –5 0 C abgefangen<br />
werden. So fühlen sich oben an <strong>der</strong> Spirale Mittelmeerpflanzen<br />
wohl und unten die Kräuter feuchterer und kühlerer<br />
Zonen.<br />
Die Vielfalt mit allen Sinnen genießen<br />
Es bieten sich verschiedene Themen an, die an Hand <strong>der</strong><br />
Kräuterspirale bearbeitet werden können. Ich möchte hier<br />
Beispiele beschreiben, wie Vielfalt sinnlich und spielerisch<br />
auch für kleine o<strong>der</strong> behin<strong>der</strong>te Kin<strong>der</strong> erlebbar gemacht<br />
werden kann.<br />
Geschmack raten<br />
Hintergrund:<br />
In Kräutern sind unterschiedliche ätherische Öle enthalten,<br />
wodurch sie ihren speziellen Geschmack bekommen. Sogar<br />
Kräuter <strong>der</strong>selben Gattung können verschieden schmecken.<br />
(z. B. verschiedene Minzen). Standort und Klima beeinflussen<br />
vor allem die Intensität des Geschmackes. Zusätzlich<br />
haben Menschen unterschiedlich sensibel ausgeprägte Geschmackswahrnehmungen<br />
(ganz zu schweigen von <strong>der</strong> persönlichen<br />
Bevorzugung!).<br />
Mit folgendem Spiel kann man testen, ob die Wahrnehmung<br />
verschiedener Menschen übereinstimmt, o<strong>der</strong> einfach wie<br />
sehr sich Kräuter ähneln.<br />
Die Kräuterspirale / 57<br />
Material:<br />
Kräuter, Schalen o<strong>der</strong> Becher, Augenbinde<br />
Anleitung:<br />
Verbinde deinem/r PartnerIn die Augen. Gib von den ausgewählten<br />
Kräutern kleine Proben in leere Schalen.<br />
Hilf deinem/r PartnerIn diese zu kosten und lass Dir sagen,<br />
wie die Kräuter schmecken. Trage das Ergebnis in die Tabelle<br />
ein. Vergleicht die Ergebnisse untereinan<strong>der</strong>.<br />
Beispiel:<br />
Kraut würzig süss Bitter scharf<br />
Petersilie<br />
Pfefferminze<br />
Schnittlauch<br />
Salbei<br />
Tip: Schwieriger wird das Spiel, wenn man verschiedene<br />
Kräuter <strong>der</strong> gleichen Gattung nimmt (z. B. verschiedene Minzen).<br />
Beson<strong>der</strong>s Kluge können auch versuchen den Namen<br />
<strong>der</strong> Pflanze zu erraten!<br />
Eurer Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, ihr könnt auch<br />
selbst Varianten <strong>der</strong> Spiele erfinden.<br />
Duftcocktail<br />
Hintergrund:<br />
Nicht nur <strong>der</strong> Geschmack, auch <strong>der</strong> Geruch <strong>der</strong> Kräuter ist<br />
verschieden. In diesem Spiel kann man sehr gut die Vielfalt<br />
<strong>der</strong> Düfte erkennen o<strong>der</strong> auch versuchen, gleiche Kräuter<br />
„herauszuriechen“.
58<br />
/ Die Kräuterspirale<br />
Material<br />
Kräuter, Becher, ev. Augenbinden<br />
Anleitung:<br />
Jede/r TeilnehmerIn sucht sich ein Kraut aus, füllt dieses in<br />
ein kleines Gefäß (z. B. Becher) und deckt es mit <strong>der</strong> Hand<br />
zu. Nun stellen sich die Teilnehmer im Kreis auf. Mit<br />
geschlossenen Augen (o<strong>der</strong> Augenbinden) werden nun alle<br />
Becher gleichzeitig reihum gegeben. Die Becher werden so<br />
lange weitergegeben, bis je<strong>der</strong> Spieler den „eigenen“ Duft<br />
wie<strong>der</strong>erkennt. Schwieriger wird’s, wenn <strong>der</strong> Spielleiter die<br />
Reihenfolge <strong>der</strong> Becher vertauscht.<br />
Je nach Alter und Vorwissen <strong>der</strong> Teilnehmer kann auch versucht<br />
werden, die Namen <strong>der</strong> Kräuter zu erraten. Überprüfung<br />
auf Richtigkeit erfolgt beim Spielleiter.<br />
Duftmemory<br />
Material<br />
Leere Filmdosen – auf gleiche Farbe und Größe achten<br />
(gratis erhältlich in Fotogeschäften)<br />
Kräuter, Klebeetiketten<br />
Anleitung<br />
Es werden jeweils zwei kleine Dosen (z. B. Filmdosen) mit<br />
den gleichen Kräutern gefüllt und verschlossen. Die zusammengehörenden<br />
Dosen werden auf <strong>der</strong> Unterseite mit dem<br />
gleichen Farbpunkt o<strong>der</strong> <strong>der</strong> gleichen Zahl (kleines Ettikettenstück<br />
aufkleben) versehen, <strong>als</strong> Kontrollmöglichkeit.<br />
Die Dosen werden gut gemischt aufgestellt. Nun müssen die<br />
TeilnehmerInnen zusammen passende Paare herausfinden,<br />
indem sie den Deckel kurz öffnen und daran riechen. Sind<br />
alle vermeintlichen Paare zusammengestellt, kann durch<br />
umdrehen <strong>der</strong> Dosen die Kontrolle erfolgen. (Richtige Paare<br />
müssen die gleiche Zahl bzw. Farbe aufweisen.)<br />
Eine an<strong>der</strong>e, etwas schwierigere Variante ist das<br />
Riechspiel<br />
Material<br />
Kräuterduftöle, Papierservietten<br />
Kräuter<br />
Leere Filmdosen - auf gleiche Farbe und Größe achten (gratis<br />
erhältlich in Fotogeschäften)<br />
Klebeetiketten<br />
Anleitung<br />
Es kann auch direkt bei <strong>der</strong> Kräuterspirale gespielt werden.<br />
Hierfür wird ein Tropfen eines Kräuterduftöles auf eine<br />
Papierserviette getropft und in eine Filmdose gesteckt,<br />
zugemacht und durchnummeriert. (Jede Nummer ist dem<br />
entsprechenden Kraut auf <strong>der</strong> Kräuterspirale zugeordnet –<br />
Liste hat <strong>der</strong> Spielleiter.) Nun lautet <strong>der</strong> Auftrag, „Finde zu<br />
diesem Duft das dazugehörige Kraut!“ Vergleiche das Ergebnis<br />
mit <strong>der</strong> Liste beim Spielleiter.<br />
Nach Beenden <strong>der</strong> Spiele die Kräuter nicht wegwerfen! Man<br />
kann sie (eventuell zum Ausklang des Tages) weiterverwenden.<br />
Zum Beispiel <strong>als</strong>:<br />
Kräutertopfen<br />
Hintergrund:<br />
Der Nutzen dieser Vielfalt an Kräutern ist für uns am unmittelbarsten<br />
zu spüren, wenn wir unseren Hunger mit einem<br />
geschmackvollen Kräutertopfen stillen. Die Variationsmöglichkeiten<br />
<strong>der</strong> Kräuter sind unbegrenzt.<br />
Material<br />
Messer, Schneidbrett, Schüssel, Löffel<br />
Zutaten: 25 dag Magertopfen, 1 Becher Jogurt, Kräutersalz,<br />
Pfeffer, ein paar Tropfen Öl<br />
Verschiedenste Kräuter (Schnittlauch, Petersilie, Basilikum,<br />
Kerbel, Thymian, Oregano, Salbei, Borretsch, Dille, Sellerie,<br />
Kapuzinerkresse ...)<br />
Anleitung:<br />
Kräuter fein schneiden, Topfen, Jogurt und Öl glatt verrühren,<br />
mit Salz und Pfeffer abschmecken und die fein<br />
geschnittenen Kräuter untermischen. Auf ein gutes Brot<br />
streichen und fertig ist eine hervorragende Jause.<br />
Mag. Regina Kobler<br />
arbeitet <strong>als</strong> wissenschaftliche Beamtin am Institut für<br />
Didaktik <strong>der</strong> Naturwissenschaften in Salzburg. Die Arbeitsschwerpunkte<br />
<strong>der</strong> Biologin: Einsatz leben<strong>der</strong> Organismen im<br />
Unterricht, Lehrerausbildung und -weiterbildung, Planung<br />
und Beratung zu Schulgärten und Kräutergärten
Barbara Dusek<br />
Der Umweltfuchs<br />
Das Forschungsmobil<br />
Gleich zum Basteltisch, wo kleine Webrahmen auf schöne<br />
Gräser und Blumen warten? O<strong>der</strong> doch lieber Tonklumpen<br />
bearbeiten, aus denen Tiere geformt werden können? Nein,<br />
zuerst zum Mikroskop ... was ist denn da zu sehen? Igitt igitt<br />
Ameisen! Und ein Tausendfüßler, <strong>der</strong> hat aber ein lustiges<br />
Gesicht ... Die Baumforschung ist beson<strong>der</strong>s interessant und<br />
spannend. Ein riesiger Gasluftballon schwebt an einer langen<br />
Schnur – damit kann die Höhe <strong>der</strong> Bäume vermessen<br />
werden. Und wenn <strong>der</strong> Umfang eines Baumes gemessen<br />
worden ist, kann ungefähr sein Alter geschätzt werden –<br />
wow – viele sind älter <strong>als</strong> die Oma!<br />
Der sozialpädagogische Verein Spektrum, das FORUM<br />
<strong>Umweltbildung</strong> und die Wissenschaftsagentur Salzburg<br />
starteten im Sommer 2000 mit dem Umweltfuchs ein für<br />
Österreich bisher einzigartiges Projekt. Eine Forschungsstation<br />
auf Rä<strong>der</strong>n: Mitarbeiter des Vereins sind unterwegs in<br />
einem Bus mit Mikroskopen, Lupen, verschiedensten Spielund<br />
Bastelmaterialien, einer Menge spannen<strong>der</strong> Ideen und<br />
allem was sonst noch nötig ist, um Geheimnissen in <strong>der</strong><br />
Natur auf die Spur zu kommen. Forschen ist dabei nicht im<br />
streng wissenschaftlichen Sinn zu verstehen, son<strong>der</strong>n <strong>als</strong><br />
natürliche Neugierde <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> ihre Umgebung zu „erforschen“.<br />
Diese – vor allem im städtischen Alltag oft verlorene<br />
– Lust am Entdecken möchte <strong>der</strong> Umweltfuchs wie<strong>der</strong><br />
wecken und för<strong>der</strong>n. SpielpädagogInnen und BiologInnen<br />
entwickelten dafür detaillierte Anleitungen, Spiele und<br />
Informationsmaterial zu verschiedensten Themenbereichen.<br />
Sofort von Kin<strong>der</strong>n umringt<br />
Kommt <strong>der</strong> Umweltfuchs in einen Park, sind die BetreuerInnen<br />
sofort von den Kin<strong>der</strong>n umringt. „Was machen wir?<br />
Wann geht’s los?“ Viele flinke Hände helfen beim Aufbau<br />
<strong>der</strong> Stationen. Am Startpunkt bekommen die Kin<strong>der</strong> einen<br />
Forscherpass in die Hand und auf gehts.<br />
Kleine Forscher<br />
Als Naturdedektive nehmen die Kin<strong>der</strong> ihre Umgebung unter<br />
die Lupe und unter das Mikroskop. Sie entdecken die Welt<br />
<strong>der</strong> kleinsten Lebewesen, lernen spielerisch und mit kindgerecht<br />
gestalteten Materialien verschiedene Tiere zu unterscheiden<br />
und sorgfältig mit ihnen umzugehen. Bei einer<br />
Rallye werden sie auf die oft unbeachtete Vielfalt an Pflanzen<br />
aufmerksam. Die Höhe und das Alter verschiedener<br />
Bäume geben weitere Rätsel auf. Ergebnisse werden diskutiert,<br />
ausgewertet, fotografiert und dokumentiert.<br />
Erleben mit allen Sinnen<br />
Im Labyrinth des Sinnesgartens führt ein abwechslungsreicher<br />
Pfad über harte und weiche, runde und kantige Ober-<br />
59
60<br />
/ Der Umweltfuchs<br />
flächen zu einem Dschungel aus klingenden Seilen. Beim<br />
Durchklettern entdeckt man, dass hier duftende Blumen<br />
wachsen. Im Reich <strong>der</strong> Sinne findet man auch Fühlboxen,<br />
akustische Memories, verschiedene Klangelemente, Riechgläser,<br />
optisch reizvolle Spiele und vieles mehr.<br />
Natur kreativ<br />
Naturerfahrung ist auch <strong>der</strong> handwerkliche Umgang mit<br />
Naturmaterialien. Die Kin<strong>der</strong> können einfache Dinge, die sie<br />
für das Forschen benötigen, wie Pflanzenpresse, Insektensauger<br />
usw. selbst herstellen. Materialien aus <strong>der</strong> unmittelbaren<br />
Umgebung verwenden sie für kreative Arbeiten:<br />
Weben mit Pflanzenfasern, Pflanzendruck, Blätterkronen<br />
basteln, das Herstellen von Pflanzenfarbstoffen und damit<br />
Färben, Naturskulpturen, Papier schöpfen ...<br />
Die Zeit vergeht im Flug. Je<strong>der</strong> kleine Forscher, jede kleine<br />
Forscherin mit zu mindest einem Stempel im Pass wird am<br />
Ende zur Salzburger Umweltfüchsin, zum Salzburger<br />
Umweltfuchs ernannt und bekommt eine Urkunde.<br />
Organisatorisches<br />
Schulen, Gemeinden o<strong>der</strong> Vereine können den Umweltfuchs<br />
für Aktionen mieten. Beim Telefonat mit dem Verein Spektrum<br />
werden Termin und Zeit, Gruppengröße- und Alter,<br />
Aktionsgebiet und beson<strong>der</strong>e Interessen sowie Kosten <strong>der</strong><br />
Aktion abgesprochen. Wenn notwendig, sehen sich die<br />
Betreuer des Umweltfuchses das Umfeld <strong>der</strong> Aktion vorher<br />
an und stimmen die Spiele und Module auf die örtlichen<br />
Gegebenheiten sowie die Gruppe ab. Im Sommer fährt <strong>der</strong><br />
Umweltfuchs wie das Spielrad o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Spielbus regelmäßig<br />
zu verschiedenen Salzburger Parks. Aktuelle Termine und<br />
Orte können beim Verein Spektrum erfragt werden.<br />
Infos:<br />
Petra Burgstaller, Michael Schmeikal<br />
Tel.: 0662/43 42 16<br />
E-Mail: pburgstaller@spektrum.at<br />
michael.schmeikal@aon.at<br />
www.spektrum.at/projekte<br />
Mag. Barbara Dusek<br />
absolvierte das Ökologiestudium an <strong>der</strong> Universität Wien<br />
und Ausbildungen in Natur- und Erlebnispädagogik. Sie ist<br />
Assistentin beim Projekt Bodensee Agenda 21 <strong>der</strong> Internationalen<br />
Bodensee-Konferenz und freiberuflich tätig <strong>als</strong><br />
Trainerin für Outdoor- und Erlebnispädagogik.
Julia Birnbaum und Barbara Dusek<br />
Mit Mikroskop und Becherlupe<br />
im Einkaufszentrum<br />
Science Week 2001 in Taxham<br />
Wissen Sie, was eine Heuschrecke vor dem Papiergeschäft<br />
und <strong>der</strong> Schimmelpilz vor dem Café suchen? Und weshalb so<br />
viele Kin<strong>der</strong> am Vormittag vor den Geschäften mit Pflanzen,<br />
Tieren und großen Postern beschäftigt sind?<br />
Die Antwort darauf ist die Science Week 2001 1) . Eine Woche<br />
lang hatten die BesucherInnen des Einkaufszentrums „Europark“<br />
im Salzburger Stadtteil Taxham Gelegenheit, Tiere und<br />
Pflanzen unter dem Mikroskop zu betrachten. Und sie konnten<br />
die VolksschülerInnen aus Taxham beobachten, die ihre<br />
nächste Umgebung erforschten und ihre Ergebnisse auf Plakaten<br />
präsentierten. Betreut wurde die Forschungsstation<br />
vom Umweltfuchs, einem gemeinsamen Projekt von FORUM<br />
<strong>Umweltbildung</strong> und dem sozialpädagogischen Verein Spektrum.<br />
Die sechs Stereolupen hatte uns das Institut für<br />
Didaktik <strong>der</strong> Naturwissenschaften <strong>der</strong> Universität Salzburg<br />
zur Verfügung gestellt, inklusive eines Mikroskops mit<br />
Funkkamera, das die kleinen Dinge riesengroß auf einen<br />
Fernsehschirm vor <strong>der</strong> Rolltreppe übertrug. Diese Installation<br />
fesselte viele Besucher und weckte ihr Interesse für den<br />
Mikroskopiertisch. Zu sehen waren u. a. Heuschrecken,<br />
Hummeln, Käfer, Blumen, Moose und Schimmelpilze. Besucher<br />
konnten in Büchern schmökern o<strong>der</strong> sich von den<br />
BetreuerInnen informieren lassen. Wir konnten beobachten,<br />
dass unsere Aktion häufig die Kin<strong>der</strong> in den Bann zog. Ihre<br />
Neugierde und ihr Wissensdurst führten auch die Eltern zu<br />
unseren Tischen und übertrugen sich auf sie.<br />
Die BewohnerInnen des Stadtteils interessierten sich beson<strong>der</strong>s<br />
für die Ausstellung, wo sie ihnen vertraute Plätze wie<strong>der</strong><br />
erkannten. Auf großen Plakaten hatten die Volksschulkin<strong>der</strong><br />
viele Tiere und Pflanzen aus <strong>der</strong> Umgebung des Einkaufszentrums<br />
nach Biotopen geordnet arrangiert.<br />
Vielfalt beginnt vor <strong>der</strong> eigenen Haustür<br />
Der Aktion im Europark vorausgegangen war ein Projekt in<br />
<strong>der</strong> Schule. Begonnen hatte <strong>der</strong> erste Tag mit einer Fantasiereise:<br />
61
62<br />
/ Mit Mikroskop und Becherlupe im Einkaufszentrum<br />
Fantasiereise:<br />
Dauer: ca. 1 h<br />
Material: Papier und Stifte für jedes Kind,<br />
entspannende Musik<br />
Die Kin<strong>der</strong> schließen die Augen, <strong>der</strong>/die BetreuerIn/<br />
LehrerIn liest langsam, mit Pausen, folgenden Text vor:<br />
Setze o<strong>der</strong> lege Dich bequem hin ... schließe deine<br />
Augen ... mache es Dir bequem ... wenn du lachen<br />
musst, dann tu es ... Nun werde wie<strong>der</strong> ruhiger und<br />
entspannter ... spüre wie dein Atem ganz ruhig geht ...<br />
spüre wie sich dein Bauch hebt und senkt ... deine<br />
Arme werden schwer ... deine Beine werden schwer ...<br />
dein Körper wird ganz warm, <strong>als</strong> würde die Sonne<br />
darauf scheinen ... du kannst die Sonnenstrahlen richtig<br />
spüren… sie sind angenehm warm ...<br />
Nun gehe einen Weg entlang ... ganz gemütlich<br />
schlen<strong>der</strong>e dahin ... du kommst an eine große Wiese ...<br />
die Sonne scheint darauf ... du gehst über diese Wiese<br />
und siehst dich um ... beobachte alles, was du hier<br />
entdecken kannst ... versuche Geräusche zu hören ...<br />
spüre einen leichten Wind und wan<strong>der</strong>e weiter mit<br />
offen Augen und Ohren und Sinnen über die<br />
Wiese ... Was kannst Du hier sehen, hören und<br />
riechen? ... Am Ende <strong>der</strong> Wiese findest du wie<strong>der</strong><br />
den Weg ... gehe ihn zurück, bis du wie<strong>der</strong> hier in<br />
dieses Zimmer/an diesen Ort kommst ...<br />
Nun spürst du deinen Atem wie<strong>der</strong> und wie sich<br />
<strong>der</strong> Bauch hebt und senkt ... du streckst vorsichtig<br />
die Hände aus ... balle sie zu Fäusten ... kreise mit<br />
den Füßen ... und beuge und strecke die Zehen,<br />
nun bewege den ganzen Körper und schließlich,<br />
wenn du spürst, dass du wie<strong>der</strong> ganz hier bist,<br />
öffne die Augen ...<br />
Nach <strong>der</strong> Reise zeichnete jedes Kind die Wiese, die es in seiner<br />
Fantasiereise gesehen hat, so genau wie möglich 2) .<br />
So eingestimmt, spielten wir im Anschluss das Spiel:<br />
Ich „gehe auf die Wiese und sehe …“.<br />
Dauer: ca. 1 h<br />
Material: Tafel o<strong>der</strong> großes Plakat, Stifte<br />
Ich gehe auf eine Wiese und sehe ...<br />
Das Spiel wird wie das altbekannte „Koffer packen“<br />
gespielt.<br />
Die Kin<strong>der</strong> sitzen im Kreis. Das erste Kind beginnt den<br />
Satz: „Ich gehe auf eine Wiese und sehe …“ und<br />
beendet den Satz mit einem Lebewesen (Pflanze, Tier),<br />
von dem es glaubt, es auf <strong>der</strong> Wiese zu sehen.<br />
Das nächste Kind beginnt den Satz genauso, wie<strong>der</strong>holt<br />
aber vorher den Begriff des ersten Kindes, ehe es seinen<br />
eigenen dazufügt. So entsteht eine Begriffskette, die<br />
gar nicht so leicht zu merken ist. Zur Unterstützung<br />
kann die Betreuungsperson die Begriffe (je nach<br />
Lesekönnen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Zeichentalent) auf eine<br />
Tafel o<strong>der</strong> ein großes Papier schreiben o<strong>der</strong> zeichnen.<br />
Unsere Aufgabe bestand darin, die von den Kin<strong>der</strong>n genannten<br />
Begriffe auf die Tafel zu malen. Am Ende des Spiels<br />
besprechen wir mit ihnen die so entstandene Wiese:<br />
Was gehört gar nicht hierher, was ist typisch, was eher selten,<br />
welche Tiere und Pflanzen können auch woan<strong>der</strong>s<br />
leben? etc.<br />
Die Kin<strong>der</strong> kommen erst jetzt richtig in Schwung, und so<br />
spielen wir noch eine zweite Runde, die gleich um einiges<br />
lebendiger läuft.<br />
Anschließend entsteht eine angeregte Diskussion, in <strong>der</strong> wir<br />
unter an<strong>der</strong>em auf den Begriff „Biologische Vielfalt“ näher<br />
eingehen: Was können sich die Kin<strong>der</strong> unter „Vielfalt“ vorstellen,<br />
verstehen sie, dass es von jedem Tier verschiedene<br />
„Arten“ gibt und dass diese unterschiedliche Ansprüche<br />
stellen? Beziehungen zwischen Arten und die Gedanken<br />
zum Thema Vielfalt haben wir ebenso auf <strong>der</strong> Tafel festgehalten.<br />
... in <strong>der</strong> Realität<br />
Nach diesem Trockentraining machen wir uns auf den Weg<br />
zu einer nahe gelegenen Wiese. Dort stärken sich einige<br />
Kin<strong>der</strong> zuerst mit ihrer mitgebrachten Jause, an<strong>der</strong>e beginnen<br />
sofort mit <strong>der</strong> Erforschung <strong>der</strong> Wiese.
Unser Material: Lupen, Becherlupen, Gläser mit Verschluss<br />
und Luftlöchern, ein Exkursions-Binokular und einige einfache<br />
Bestimmungsbücher (vom Naturbuch Verlag o<strong>der</strong><br />
Mosaik Verlag). Es dauert nur wenige Minuten und schon<br />
haben die Kin<strong>der</strong> ihre ersten Tiere gefangen und versuchen<br />
herauszufinden, um welche es sich handelt. Kaum ist eine<br />
Spinne im Glas, untersuchen sie diese gründlichst. Viel<br />
gibt’s zu erforschen: Welche Spinne ist größer? Was machen<br />
zwei Spinnen im selben Glas? Was könnte diese Spinne<br />
denn fressen? Und im Nu beginnt eine wilde Jagd nach Fliegen.<br />
Eines ist zu beobachten: die „stille“ Art <strong>der</strong> Pflanzen hat das<br />
Nachsehen gegenüber allem, was da so kreucht und fleucht.<br />
Als <strong>der</strong> Forschungsdrang <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> nachlässt, versammeln<br />
wir uns und runden die Aktion mit ein paar Laufspielen ab<br />
und mit Erzählungen über einzelne Tiere o<strong>der</strong> Pflanzen.<br />
Der zweite Tag: „Was geht ab in Taxham“<br />
Dauer: ca. 1-1,5 h pro Lebensraum<br />
Material:<br />
Lupen, Becherlupen, Gläser mit Verschluss und<br />
Luftlöchern,<br />
Bestimmungsbücher<br />
Als Einführung besprechen wir mit den SchülerInnen die<br />
Begriffe „Biologische Vielfalt“ und „Lebensraum“ (Großlebensraum,<br />
Kleinlebensraum, Lebensbedingungen …).<br />
Gemeinsam versuchen wir Definitionen für „Vielfalt“ zu finden,<br />
sammeln mittels Brainstorming die einzelnen Begriffe<br />
und halten sie auf einem Plakat fest.<br />
Jetzt geht es um gezielteres Sammeln <strong>als</strong> am Vortag: Wir<br />
zeigen ihnen die sechs zu erforschenden Lebensräume auf<br />
Fotos: Wegrän<strong>der</strong>, Hecken, kleine Baumgruppen, Wiesenabschnitte,<br />
unkultivierte Flächen, ein Tümpel. Alle Kin<strong>der</strong><br />
erhalten Gläser für die zu sammelnden Tiere. Sie werden in<br />
drei Gruppen eingeteilt und beschriften ihre Gläser mit dem<br />
entsprechenden Lebensraum. Da wir drei Betreuungspersonen<br />
waren, bekam jede Gruppe zwei Untersuchungsgebiete.<br />
Spinnen, Ameisen, Käfer und Bienen waren die interessantesten<br />
Lebewesen für die Kin<strong>der</strong>. Stundenlang können die<br />
SchülerInnen einer Ameise o<strong>der</strong> einem Käfer hinterher kriechen.<br />
Sie legen ihnen Hin<strong>der</strong>nisse in den Weg und beobachten,<br />
wie diese mit den neuen Bedingungen fertig wurden.<br />
Mit Mikroskop und Becherlupe im Einkaufszentrum / 63<br />
Erneut weckten die Pflanzen wenig bis gar kein Interesse<br />
und wurden eher nebenbei gesammelt. 3)<br />
Die Ergebnisse werden <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />
präsentiert: 4)<br />
Vorbereitung: ca. 2 h (je nach Aufwand)<br />
Material:<br />
Plakatpapier, Stifte, Kleber (Tixo, Uhu ...)<br />
Wände, Stelltafeln<br />
Fotos von den Lebensräumen<br />
Bestimmungsbücher<br />
eventuell Tische, um Objekte wie frische Pflanzen in<br />
Vasen o<strong>der</strong> Tiere in Becherlupen o<strong>der</strong> unter<br />
Mikroskopen auszustellen<br />
Im Europark ist ein zentraler Platz für unsere Aktivitäten<br />
reserviert worden 5) . Die Kin<strong>der</strong> gestalten für jeden erforschten<br />
Lebensraum ein Plakat. In die Mitte kleben sie das Foto,<br />
das wir einige Tage zuvor von dem Lebensraum gemacht<br />
hatten. Rundherum ordnen sie die Tiere und Pflanzen an, die<br />
sie bei <strong>der</strong> Exkursion gefunden hatten.<br />
Die Kin<strong>der</strong> arbeiten mit sehr großem Eifer und haben sichtlich<br />
Spaß in <strong>der</strong> Öffentlichkeit ihre Poster zu gestalten. Sie<br />
stellen Pflanzen in kleine, mit Wasser gefüllte Röhrchen,<br />
befestigen diese mit Tixo auf den Plakaten und beschriften<br />
sie. Kleine Insekten werden in Röhrchen mit Luftlöchern<br />
gesteckt und aufgeklebt. (Abends ließen wir die Tiere wie<strong>der</strong><br />
frei!)<br />
Tiere und Pflanzen, <strong>der</strong>en Namen die Kin<strong>der</strong> nicht wissen,<br />
bestimmen sie gemeinsam mit Hilfe <strong>der</strong> aufgelegten Literatur.<br />
Von den entdeckten Lebewesen, die von den SchülerInnen<br />
nicht mitgenommen werden, wie eine Schlange, Eidechse<br />
o<strong>der</strong> Vögel, fertigen sie Zeichnungen an. Stolz präsentiert<br />
jede Gruppe den MitschülerInnen ihre Poster.
64<br />
/ Mit Mikroskop und Becherlupe im Einkaufszentrum<br />
Die Poster blieben während <strong>der</strong> <strong>gesamten</strong> Science Week im<br />
Einkaufszentrum ausgestellt und wurden dann in <strong>der</strong> Schule<br />
aufgehängt.<br />
Von Zuhaus in die weite Welt<br />
Unser drittes Thema für die beiden Volksschulklassen war<br />
die Vielfalt <strong>der</strong> Erde. Ziel war das Kennenlernen von Tieren<br />
und Pflanzen und <strong>der</strong>en Lebensräumen, die sich nicht vor<br />
unserer Haustüre befinden.<br />
Wir hatten dazu Plakate vorbereitet, die verschiedene<br />
Lebensräume zeigen: Berge, Wald, Meer, Wiese, Regenwald,<br />
Steppe, Arktis ... Auf einer Weltkarte können die verschiedenen<br />
Lebensräume gesucht werden. In einer Schachtel haben<br />
wir eine große Menge Bil<strong>der</strong> von Tieren und Pflanzen mitgebracht.<br />
Die Kin<strong>der</strong> sollen diese Bil<strong>der</strong> den richtigen<br />
Lebensräumen zuordnen und auf die entsprechenden Plakate<br />
kleben. Sie sind mit Eifer bei <strong>der</strong> Sache und haben Spaß<br />
daran, sich in ihrem Wissen zu messen. Die bekannten Lebewesen<br />
haben sie schnell gefunden, benannt und dem jeweiligen<br />
Lebensraum zugeordnet. Bei den weniger bekannten<br />
Arten helfen wir.<br />
Oft sind die Kin<strong>der</strong> erstaunt, dass manche Tiere und Pflanzen<br />
nicht überall zu finden sind.<br />
Die Kollagen wurden nach <strong>der</strong> Science Week von den LehrerInnen<br />
mit in die Klassen genommen und im Laufe des<br />
Schuljahres weiter bearbeitet. In den nächsten Wochen<br />
brachten die Kin<strong>der</strong> auch selbst Bil<strong>der</strong> mit und ordneten sie<br />
den entsprechenden Lebensräumen zu.<br />
„Was hat die Erde zu bieten“<br />
Dauer: mindestens 2 Stunden, besser mehr Zeit<br />
Material: große Plakate (Packpapier o<strong>der</strong> Flipcharts)<br />
mit Beschriftung o<strong>der</strong> einem Bild jeweils eines<br />
Lebensraums; viele Bil<strong>der</strong> von verschiedensten Tieren<br />
und Pflanzen aus Naturzeitschriften<br />
(das Sammeln dauert!)<br />
Die Kin<strong>der</strong> teilen die Bil<strong>der</strong> den entsprechenden<br />
Lebensräumen zu. Je nach Alter <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>/<br />
Jugendlichen kann die Einteilung gröber o<strong>der</strong><br />
differenzierter ausfallen (Regenwäl<strong>der</strong> in Afrika o<strong>der</strong><br />
Südamerika, tropische Seen und gemäßigte Seen o<strong>der</strong><br />
einfach nur: Wald - Wiese - See …). Eventuell ergibt<br />
sich im Laufe <strong>der</strong> Zeit die Gelegenheit, die Lebensräume<br />
zu erweitern …<br />
Darüber hinaus kann man, wenn ein Tier o<strong>der</strong> eine<br />
Gegend im Unterricht behandelt wird, auf die Plakate<br />
eingehen und eventuell die Kin<strong>der</strong> dazu anhalten,<br />
selbst regelmäßig Bil<strong>der</strong> von Pflanzen und Tieren<br />
mitzubringen o<strong>der</strong> auch Zeitungsartikel, die auf die<br />
biologische Vielfalt Bezug nehmen. 6)<br />
Die Aktion „Biologische Vielfalt im Stadtteil“ wurde im Rahmen<br />
<strong>der</strong> Science Week 2001 von FORUM <strong>Umweltbildung</strong><br />
gemeinsam mit dem sozialpädagogischen Verein Spektrum<br />
und LehrerInnen und SchülerInnen <strong>der</strong> Volksschule Taxham<br />
in Salzburg durchgeführt.<br />
Infos: Michael Schmeikal, +43/(0)662/43 42 16;<br />
www.spektrum.at/projekte<br />
Mag. Julia Birnbaum<br />
hat Spaß am Draußensein. Sie ist Spiel-Erlebnispädagogin<br />
(Outdoor-Trainerin), Zoologin, Lehrerin für Biologie und<br />
Umweltkunde und Ethik, Jugendführerin des Alpenvereins.<br />
Sie arbeitet freiberuflich für das FORUM <strong>Umweltbildung</strong>,<br />
Freiraum, Power beim Bauer und die Österreichische Kin<strong>der</strong>krebs<br />
Hilfe.<br />
Mag. Barbara Dusek<br />
absolvierte das Ökologiestudium an <strong>der</strong> Universität Wien<br />
und Ausbildungen in Natur- und Erlebnispädagogik. Sie ist<br />
Assistentin beim Projekt Bodensee Agenda 21 <strong>der</strong> Internationalen<br />
Bodensee-Konferenz und freiberuflich tätig <strong>als</strong><br />
Trainerin für Outdoor- und Erlebnispädagogik.
1) Science Week (http://www.scienceweek.at)<br />
Universitäten, Fachhochschulen, Schulen, wissenschaftliche Vereine und<br />
Unternehmen präsentieren sich und wissenschaftliche Erkenntnisse, allgemein<br />
verständlich und oft humorvoll inszeniert, jedes Jahr im Juni eine<br />
Woche lang in allen Bundeslän<strong>der</strong>n Österreichs in Kaufhäusern, Banken,<br />
Bahnhöfen, auf öffentlichen Plätzen etc.<br />
2) Eine Variation:<br />
Jedes Kind bekommt einen o<strong>der</strong> mehrere Diarahmen, in denen eine<br />
durchsichtige Folie eingelegt ist, und dünne bunte Folienstifte. Die Diafolie<br />
kann nun mit den Stiften bemalt werden. Nachdem die Kin<strong>der</strong> ihre<br />
Bil<strong>der</strong> gestaltet haben, werden diese mit Hilfe eines Diaprojektors auf<br />
eine Wand projiziert und die Kin<strong>der</strong> erzählen zu ihrem Bild ihre erlebte<br />
Fantasiereise. Zu beachten ist bei dieser Methode, dass jüngere Kin<strong>der</strong><br />
Schwierigkeiten haben, die sehr kleinen Flächen zu bemalen. Wenn man<br />
diese Methode einsetzt, ist es daher ratsam, für jedes Kind mehrere<br />
Diarahmen zur Verfügung zu stellen.<br />
3) Weitere Anregungen:<br />
Tiere können fotografiert, gezeichnet o<strong>der</strong> ihre Abbildung aus Büchern<br />
(o<strong>der</strong> Farbkopien) ausgeschnitten werden. Den Kin<strong>der</strong>n macht es meist<br />
großen Spaß, die Tiere mitzunehmen und zu beobachten. Die Tiere sollten<br />
aber später unbedingt wie<strong>der</strong> freigelassen werden.<br />
Pflanzen können gepresst o<strong>der</strong> auch gezeichnet und fotografiert werden.<br />
(Hier bietet sich auch die Möglichkeit zu fächerübergreifenden Arbeiten<br />
mit dem Werkunterricht o<strong>der</strong> dem Fach Bildnerische Erziehung).<br />
Das Sammeln des Ausstellungsmateri<strong>als</strong> kann auch bei Regen durchgeführt<br />
werden. Welche Tiere findet man bei jedem Wetter, welche nicht?<br />
Und wieso?<br />
4) Variation:<br />
Die Ausstellung kann an verschiedenen Plätzen stattfinden:<br />
im Schulfoyer, bei einer Schulveranstaltung, im Gemeindehaus, bei<br />
Schönwetter am Hauptplatz etc.<br />
Bewerben <strong>der</strong> Ausstellung: Flugzettel, Plakate o<strong>der</strong> eine Ankündigung in<br />
<strong>der</strong> lokalen Zeitung.<br />
5) Veranstalten Schüler eine Ausstellung in einem außerschulischen<br />
Gebäude, wie in unserem Fall in einem Einkaufszentrum, muss eine<br />
Erlaubnis von <strong>der</strong> Verwaltung des entsprechenden Gebäudes eingeholt<br />
und die festgelegten Bestimmungen (Raumaufteilung, Fluchtwege, Öffnungszeiten<br />
etc.) eingehalten werden. Unbedingt zu beachten ist, dass<br />
einerseits die Kin<strong>der</strong> genügend Platz für die Gestaltung <strong>der</strong> Plakate haben<br />
Mit Mikroskop und Becherlupe im Einkaufszentrum / 65<br />
sollen, an<strong>der</strong>erseits ausreichend Fläche vorhanden ist für die Ausstellung<br />
<strong>der</strong> Plakate (Wände, Stelltafeln) und es zusätzlich Platz für Tische gibt,<br />
um Objekte (frische Pflanzen, Material wie Becherlupen, Bücher, Mikroskop<br />
falls vorhanden ...) ausstellen zu können.<br />
6) Variationen:<br />
Es bietet sich hier ebenfalls die Möglichkeit zum fächerübergreifenden<br />
Unterricht mit Geographie an. Aus dem Geographieunterricht können die<br />
Lebensräume durch Klimadaten o<strong>der</strong> Ähnliches ergänzt werden. So können<br />
die Kollagen das ganze Schuljahr hindurch erweitert werden und<br />
nach Bedarf immer wie<strong>der</strong> für den Unterricht herangezogen werden.<br />
O<strong>der</strong>: Die Kin<strong>der</strong> arbeiten in Gruppen an einem bestimmten Lebensraum,<br />
versuchen selbst noch bestimmte Informationen (Hilfestellung, z. B. mit<br />
Büchern o<strong>der</strong> Internet) herauszufinden wie: Beson<strong>der</strong>heiten des Lebensraumes,<br />
ist dieser Lebensraum bedroht o<strong>der</strong> nicht u.v.a.
Brigitte Baier<br />
Nahrhafte Landschaft<br />
Erinnerungen an ein überaus fruchtbares Schulprojekt<br />
an <strong>der</strong> HLW für wirtschaftliche Berufe.<br />
Schüler und Schülerinnen erinnern sich<br />
„Wir haben verschiedene Kräuter gesammelt, welche wir<br />
dann später in <strong>der</strong> Küche verkochten. Ich selbst habe das sehr<br />
interessant gefunden, wir haben sehr viel darüber erfahren,<br />
was uns die wilde Natur an Kräutern und Gewürzen anbietet,<br />
ohne sie im Supermarkt kaufen zu müssen.“<br />
Angelika E<strong>der</strong><br />
„Ich war erstaunt darüber, was man aus den Produkten <strong>der</strong><br />
Natur alles herstellen kann. Auch <strong>der</strong> gute Geschmack überraschte<br />
mich.“<br />
Verena Zeilerbauer<br />
„Bei unserem Wan<strong>der</strong>tag durch die Moosalm hielten wir<br />
Ausschau nach Hagebutten. Ich habe dadurch eine an<strong>der</strong>e<br />
Betrachtungsweise <strong>der</strong> Natur entwickelt. Am Anfang konnte<br />
ich mir wenig vorstellen, je mehr ich aber erfuhr, um so mehr<br />
interessierte mich dieses Thema und ich war erstaunt, was<br />
sich aus Wildfrüchten alles herstellen lässt.“<br />
Christoph Rizoll<br />
Das Wildkräuterseminar und das Wildobstseminar in Ried<br />
am Wolfgangsee sollten den jungen Leuten die Bedeutung<br />
und Verwendbarkeit <strong>der</strong> Vielfalt von Pflanzen vor unserer<br />
Haustur näher bringen. Dieses in Vergessenheit geratene<br />
Wissen wie<strong>der</strong> ins Be-wusstsein <strong>der</strong> Menschen zu bringen,<br />
das war die grundlegende Botschaft des Seminarleiters<br />
Michael Machatschek. Das Projekt sollte fächerübergreifend<br />
stattfinden und viele SchülerInnen beteiligen. Wir waren<br />
uns einig, dass die Küche eine tragende Rolle spielen musste.<br />
Als Projektklassen boten sich die Haushaltungsschule, die<br />
2. Klasse Fachschule für wirtschaftliche Berufe und die einjährige<br />
Wirtschaftsfachschule an.<br />
Einige Wochen vor dem Projekttag begann ich mit meiner<br />
Klasse nach den Anweisungen unseres Projektleiters Schlüsselblumenlikör,<br />
Fichtenwipfelsirup und Bärlauchschnaps<br />
anzusetzen. Für die Zubereitung von Löwenzahn- und Gänseblümchenhonig<br />
mussten bei Sonnenschein hun<strong>der</strong>te Blütenköpfe<br />
gesammelt werden.
Wildkräuterseminar<br />
Erster Projekttag – Mai 1999<br />
Beim Landschaftsspaziergang lernen,<br />
schauen und sammeln<br />
Frühmorgens treffen wir uns im Schulhof, bei wun<strong>der</strong>barem<br />
Sonnenschein. Das unterstützt unser Vorhaben. Es ist wichtig,<br />
Pflanzen bei Sonnenschein zu sammeln: Da gelangen<br />
die für den Heilerfolg wichtigen ätherischen Öle in die oberen<br />
Pflanzenteile. Für den Landschaftsspaziergang haben<br />
wir zwei bis drei Stunden eingeplant. Das Schulgelände<br />
erweist sich <strong>als</strong> wahre Fundgrube. Michael Machatschek<br />
zeigt uns jede Pflanze, erläutert Merkmale, den bevorzugten<br />
Standort und die Verwendung. Wir schreiben mit, zwei<br />
Schüler legen ein Herbarium an. Was wir erfahren ist für<br />
SchülerInnen wie Lehrpersonen neu und erstaunlich. Auf<br />
einmal wird klar, wie wenig wir von unserer engsten Umgebung<br />
wissen, welche Schätze vor unserer Haustür existieren<br />
und wie achtlos an ihnen vorübergegangen wird. So entdecken<br />
wir den Wilden Oregano, den kleinen Wiesenkopf,<br />
Pimpinelle, Bocksbart und Margeriten, Taubnessel, Giersch,<br />
Wiesenkümmel, Wiesenkerbel und Bärenklau, Spitzwegerich<br />
und Schafgarbe. Wir erfahren, dass sich die frischen Blätter<br />
<strong>der</strong> Linden <strong>als</strong> stärkendes, frisches Wildgemüse für köstliche<br />
Salate und Gemüsebeilagen verwenden lassen. Diese jungen<br />
Blätter sind noch nicht rau, enthalten noch keine Bitterstoffe<br />
und lassen sich gut roh verwenden. Wir lernen weitere<br />
Speiselaubarten kennen wie Hasel, Ulme, Esche, Feldund<br />
Bergahorn.<br />
Zu zweit o<strong>der</strong> zu dritt, ausgestattet mit Plastiksäckchen,<br />
versehen mit genauen Sammelanweisungen – so beginnen<br />
wir mit <strong>der</strong> Ernte. Also, eine Gruppe sammelt nur Lindenblätter,<br />
eine an<strong>der</strong>e Taubnessel, Vergissmeinnicht und Gänseblümchen,<br />
wie<strong>der</strong> eine an<strong>der</strong>e Löwenzahn und Bärenklau.<br />
Die eingebrachte Ernte wird zu einem<br />
schmackhaften Menü verarbeitet<br />
Die Arbeit in <strong>der</strong> Küche. Hinein in die Arbeitskleidung und<br />
los geht’s. Die gesammelten Schätze müssen zunächst sortiert<br />
und gewaschen werden. Unser Seminarleiter trifft die<br />
Einteilung, welche Kräuter für welches Gericht zu verarbeiten<br />
sind, und sichtet sie noch einmal genau. Für Topfenaufstriche<br />
werden die Kräuter sehr fein gehackt. Ein unbeschreiblicher<br />
Duft erfüllt die Küche. Bald ist das erste<br />
Gericht fertig. Brötchen mit Aufstrich aus Wildkräutern,<br />
garniert mit den Blüten von Gänseblümchen, Taubnessel,<br />
Nahrhafte Landschaft / 67<br />
Klee o<strong>der</strong> Vergissmeinnicht. Zuerst ist es etwas ungewohnt,<br />
Blüten zu essen, aber <strong>der</strong> köstliche Geschmack nimmt uns<br />
bald die Scheu.<br />
Wie<strong>der</strong> zurück in die Küche. Der Speiseplan ist umfangreich:<br />
Eine herzhafte Wildkräutersuppe, Hühnerbrüstchen mit<br />
Kräuterbutter, Brennnessel-Risotto, Brennnesselspinat, Kartoffelsalat<br />
mit Gierschblättern und Löwenzahn-Lindenblättersalat.<br />
Eine größere Menge fein gehackter Geißfuß wird<br />
zum Aromatisieren des Brotteiges gebraucht. Margeriten<br />
und Bocksbartknospen kommen <strong>als</strong> gebackenes Vielerlei auf<br />
den Tisch. Manch einer verzehrt auch eine gebackene<br />
Pfingstrosenknospe. Als Nachspeise bereiten wir ein Pfefferminzparfait<br />
zu.<br />
Nach <strong>der</strong> anstrengenden Arbeit in <strong>der</strong> Küche wird das vorzügliche<br />
Mahl in gemütlicher Runde eingenommen.<br />
Ein schwarzer Tee aus Brombeer-, Himbeer- und<br />
Erdbeerblättern<br />
Wie aus Brombeer-, Himbeer- und Erdbeerblättern ein Tee<br />
hergestellt werden kann, demonstriert uns <strong>der</strong> Seminarleiter<br />
am Ende unseres Projekttages. Die Blätter werden zunächst<br />
von den Stängeln befreit und dann in kleine Stücke zerpflückt.<br />
Die lässt man zunächst etwas welken. Dann wickelt<br />
man sie straff in ein Tuch, das mit Spagat fest gebunden<br />
wird. Zur Fermentierung werden die Blätter einen Tag im<br />
Raum aufgehängt, dann das Tuch wie<strong>der</strong> geöffnet, mit Wasser<br />
bespritzt, neuerlich gewickelt und gebunden. Insgesamt<br />
vier mal. Nach vier Tagen lässt man die Blätter trocknen und<br />
füllt sie ab.<br />
Zum Nachdenken<br />
Michael Machatschek: „Manche Menschen vertragen Wildgemüse<br />
nicht sehr gut. Ist dies aber nicht schon ein Zeichen,<br />
dass wir uns nur mehr von ganz wenigen Nahrungsgruppen<br />
wie Fleisch, Milch, Getreide und gemästetem Gemüse und<br />
Obst ernähren und die Aroma- und Wirkstoffe durch Syn-
68<br />
/ Kin<strong>der</strong> für die Natur begeistern<br />
thetika ersetzen? Diese fünf Grundnahrungsmittel täuschen<br />
im Supermarkt eine Vielfalt vor, die real nicht vorhanden ist,<br />
da sie aus wenigen Ausgangsprodukten hergestellt wird. Sie<br />
nähren nicht mehr, son<strong>der</strong>n sind zu Sättigungsmitteln<br />
geworden. Schafgarbe, Waldmeister o<strong>der</strong> Arnika, Spitzwegerich<br />
und Frauenmantel können eben nicht in ihren speziellen<br />
Wirkstoffen durch Kartoffelchips o<strong>der</strong> Power-Getränke<br />
ersetzt werden. Was ist aber giftiger: synthetisch hergestellte<br />
Pharmaka, völlig überformte Nahrungsmittel o<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> fundierte Umgang mit wild wachsenden Kräutern?“<br />
Wildobstseminar<br />
Zweiter Projekttag – Oktober 1999<br />
Ein neues Schuljahr, ein neues Seminar:<br />
Wildobstnutzung<br />
Beim Wildobst ist es ja nicht so einfach wie bei den Wildkräutern,<br />
die uns im Schulgelände zur Verfügung standen.<br />
Um an Vogelbeeren, Schlehen, Preiselbeeren, Berberitzen,<br />
Heidelbeeren, Brombeeren und Himbeeren zu gelangen,<br />
muss man schon ausgedehntere Sammelgänge unternehmen.<br />
Außerdem reifen diese Wildfrüchte zu unterschiedlichen<br />
Zeiten und uns steht ja nur ein Projekttag zur Verfügung.<br />
So nutzen wir den kommenden Wan<strong>der</strong>tag gleich in<br />
dieser Hinsicht. Wir fragen SchülerInnen, welches Wildobst<br />
sie beschaffen können, und auch die am Seminar beteiligten<br />
LehrerInnen werden Wildobst organisieren.<br />
Eine Brücke zu den Generationen vor uns<br />
Für viele Generationen vor uns war die Wildobstnutzung<br />
etwas ganz Natürliches und etwas Unverzichtbares. Der<br />
Tisch war nicht so verschwen<strong>der</strong>isch gefüllt und Supermärkte<br />
mit ihrem Obstangebot über das ganze Jahr waren<br />
gar nicht vorhanden.<br />
Einkochen und Bevorraten<br />
Ein zweistündiger Dia-Vortrag vermittelt uns Wissen über<br />
Wildobstsorten, ihre Standorte und ihre Verwendung. Wildobst<br />
wurde gesammelt, um die Kost schmackhafter zu<br />
machen und sie zu bereichern. Von großer Bedeutung war<br />
die Heilanwendung – <strong>als</strong> Tee, Sirup o<strong>der</strong> in Form von<br />
getrockneten Beeren.<br />
Diese Wildobst-Sorten haben wir verwendet:<br />
Hagebutten<br />
Zu den wertvollsten Wildfrüchten zählen die Hagebutten.<br />
Unübersehbar leuchten sie im Herbst in ihrer roten Pracht.<br />
Das Sammeln bereitet wenig Mühe, dagegen ist das Putzen<br />
aufwändig und zeitintensiv. Doch die Arbeit lohnt sich, denn<br />
<strong>der</strong> gesundheitliche Wert ist hoch, <strong>der</strong> Geschmack fein und<br />
die Verwendung <strong>der</strong> Früchte vielseitig. Wir sammeln Hagebutten<br />
für Marmelade, einen Liköransatz und eine Teemischung.<br />
Die anfallenden Kerne wollen wir feinst ausmahlen<br />
und <strong>als</strong> Streckmehl für Striezel verwenden.<br />
Wir haben unsere Hagebutten beim Wan<strong>der</strong>tag und im<br />
Schulgarten gesammelt.<br />
Schwarzer Holler<br />
Die Wirkungen des schwarzen und roten Holun<strong>der</strong>s sind in<br />
<strong>der</strong> Volkskultur tief verwurzelt. Dabei werden den Blüten<br />
ebenso heilende Eigenschaften zugesprochen wie den reifen<br />
Beeren. In unserer Wildobstküche bereiten wir Hollermarmelade<br />
und Hollerlikör zu.<br />
Vogelbeeren<br />
Eine weitere Marmelade wollen wir mit Vogelbeeren zubereiten.<br />
Diese Beeren gelieren sehr gut, schmecken aber mitunter<br />
etwas herb. Mischungen mit Birne, Apfel o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Früchten sind empfehlenswert. Vogelbeeren haben<br />
einen deutlich höheren Vitamin-C-Gehalt <strong>als</strong> Zitronen o<strong>der</strong><br />
Orangen.<br />
Der hohe Säuregehalt macht Marmeladen gut haltbar. Die<br />
Verwendung von Vogelbeeren war früher aber noch vielfältiger.<br />
So wurden die Beeren geröstet und gemahlen zu<br />
einem schmackhaften Brotteig verarbeitet o<strong>der</strong> <strong>als</strong> Kaffee<br />
vermahlen.
Quitten<br />
Eine Schülerin hat uns Früchte vom elterlichen Quittenbaum<br />
mitgebracht. Quitten besitzen eine außerordentlich<br />
hohe Gelierfähigkeit und eignen sich deshalb gut zum<br />
Mischen mit an<strong>der</strong>en Obstarten, beispielsweise mit den<br />
Beeren <strong>der</strong> Judenkirsche o<strong>der</strong> Lampionblume, die teilweise<br />
verwil<strong>der</strong>t anzutreffen ist.<br />
Schlehen, Mispel, Sanddorn, Weißdorn und Kornelkirschen<br />
werden vom Seminarleiter beigestellt und von uns zu<br />
Liköransätzen, Säften und Marmeladen verarbeitet.<br />
Nussfrüchte<br />
Neben den Beerenfrüchten haben die Nussfrüchte wegen<br />
ihres Energiegehaltes eine beson<strong>der</strong>e Bedeutung. Zum<br />
Rohessen, <strong>als</strong> Beigabe zu Brot und Backwerk und sogar zur<br />
Ölgewinnung fanden sie Verwendung. Wichtige Vertreter<br />
sind die Haselnuss, die Eiche, die Edelkastanie, die Buche<br />
und die Walnuss. In unserer Wildobstküche haben wir<br />
Maroni in Schnaps eingelegt und Kipferl mit Kastanienfülle<br />
zubereitet.<br />
Am Ende des Projekttages waren viele Gläser gefüllt, die<br />
verziert und beschriftet in die Vorratskammern wan<strong>der</strong>n<br />
sollten.<br />
Die Erfahrungen beim Wildobstseminar haben wir in einem<br />
Rezeptbüchlein zusammengestellt.<br />
Die 34 Seiten starke Broschüre ist für 7 Euro zu bestellen bei<br />
Brigitte Baier, E-Mail: Brigitte_Baier@jet2web.cc<br />
Präsentationen<br />
Die intensive Beschäftigung mit <strong>der</strong> „Nahrhaften Landschaft“<br />
wollten wir nicht für uns alleine behalten. Als erste<br />
luden wir die Eltern <strong>der</strong> SchülerInnen <strong>der</strong> einjährigen Haushaltungsschule<br />
ein. Nach einem Diavortrag stand ein Wildkräuterbuffet<br />
bereit sowie ein umfangreiches Sortiment an<br />
Säften, Sirup und Liköransätzen zum Verkosten. Ein voller<br />
Erfolg, wie wir später feststellen können.<br />
Im November 1999 präsentierten SchülerInnen <strong>der</strong> 2. Klasse<br />
Fachschule für wirtschaftliche Berufe und <strong>der</strong> einjährigen<br />
Wirtschaftsfachschule das Seminar Wildobst auf <strong>der</strong><br />
Berufsinformationsmesse in Salzburg: Mit einer Ausstellung<br />
von Wildobst und den daraus hergestellten Produkten. Und<br />
mit Kostproben von Hagebuttenstriezel, Konfekt aus Quitten<br />
und Edelkastanien und Kastanienkipferln. In <strong>der</strong> Schule<br />
wurde dieses Projekt anlässlich des Elternsprechtages präsentiert.<br />
Rezepte zum Nachkochen<br />
Kin<strong>der</strong> für die Natur begeistern / 69<br />
Gänseblümchenhonig<br />
500 Gänseblümchenblüten bei Sonnenschein sammeln, kurz<br />
abbrausen und mit 3/4l kochendem Wasser übergießen.<br />
Eine Naturzitrone in Scheiben schneiden und dazugeben.<br />
Diesen Ansatz lässt man über Nacht ziehen. Am nächsten<br />
Tag wird <strong>der</strong> Ansatz durch ein Sieb o<strong>der</strong> feines Tuch gefiltert.<br />
Den Fruchtansatz gut ausdrücken. Die gewonnene<br />
Flüssigkeit wird mit 3/4kg Zucker vermischt und auf kleiner<br />
Flamme zum Kochen gebracht. Solange köcheln lassen, bis<br />
sich die Fruchtmasse sirupartig eindickt. In Gläser abfüllen<br />
und gut verschließen. Dieser Sirup kann <strong>als</strong> Brotaufstrich<br />
o<strong>der</strong> zum Süßen von Tee verwendet werden.<br />
Hagebutten-Likör<br />
Gesammelte Hagebutten von Blütenansätzen und Stängeln<br />
befreien und in ein verschließbares Glas füllen. Mit <strong>der</strong> doppelten<br />
Menge Kornschnaps (40 %) o<strong>der</strong> Obstler bedecken<br />
und an einem warmen Ort, z B. auf <strong>der</strong> Fensterbank, etwa<br />
5 Wochen ziehen lassen. Ab und zu durchschütteln.<br />
Während dieser Zeit färbt sich <strong>der</strong> Likör goldorange und<br />
übernimmt das Aroma <strong>der</strong> Hagebutten. Danach wird filtriert.<br />
Dazu eignen sich Kaffeefilter sehr gut, allerdings<br />
braucht man Geduld, weil es stundenlang dauern kann, bis<br />
die Flüssigkeit durchtropft. Vor dem Abfüllen in Flaschen<br />
kann mit Kandiszucker o<strong>der</strong> Zuckersirup (Zucker und Wasser
70<br />
/ Kin<strong>der</strong> für die Natur begeistern<br />
aufkochen) leicht gesüßt werden. Das volle Aroma entwickelt<br />
dieser wun<strong>der</strong>bare Likör nach längerem Reifen im<br />
Keller.<br />
Hagebutten-Marmelade<br />
Aus den alkoholgetränkten Hagebutten lässt sich eine köstliche<br />
Marmelade zubereiten. Dazu werden die Hagebutten<br />
mit <strong>der</strong> doppelten Menge Wasser weichgekocht. Mit einem<br />
Mixstab zerkleinert man die Früchte zu breiiger Konsistenz.<br />
Diese Masse wird durch die flotte Lotte gedreht, wodurch<br />
die Kerne entfernt werden. Um die unzähligen Härchen aus<br />
dem verbliebenen Fruchtmark zu entfernen, muss dieses<br />
noch durch ein feines Haarsieb gestrichen werden. Natürlich<br />
reduziert sich die Menge dadurch weiter. Die Herstellung<br />
mag aufwändig erscheinen. Der unvergleichliche<br />
Geschmack dieser Marmelade lohnt die Mühe aber auf<br />
jeden Fall. Mit <strong>der</strong> gleichen Menge Zucker wird die verbliebene<br />
Fruchtmasse aufgekocht und heiß in saubere Gläser<br />
abgefüllt. Dieses Rezept eignet sich auch hervorragend für<br />
frisch gepflückte Hagebutten.<br />
Eingelegte Löwenzahn- und Gänseblümchenknospen<br />
Löwenzahn- und Gänseblümchenknospen werden kurz<br />
blanchiert und in kleine Gläser gefüllt. Mit gesalzenem, verdünntem<br />
Essig übergießen und mit einer Ölschicht<br />
bedecken, Gläser gut verschließen. Die Knospen dienen <strong>als</strong><br />
Kapernersatz, lassen sich aber auch gut zum Garnieren verwenden<br />
o<strong>der</strong> unter Salate mischen.<br />
Literatur<br />
Gnaupe Friedrich/Koller Sepp, 1999: Delikatessen aus Unkräutern.<br />
Das Wildpflanzen – Kochbuch. HEYNE<br />
Machatschek, Michael, 1999: Nahrhafte Landschaft. Böhlau Verlag Wien<br />
Pahlow, Mannfried, 2001: Heilpflanzen. Gräfe u. U.<br />
Das Projekt wurde inhaltlich von Michael Machatschek<br />
getragen. Mitgearbeitet haben die SchülerInnen sowie die<br />
Lehrerinnen Gabi Fössl, Christina Fritz, Tanja Huber,<br />
Gertraud Zimmermann, Annemarie Ritzberger und<br />
Brigitte Baier.<br />
Fachlehrerin Brigitte Baier<br />
unterrichtet an <strong>der</strong> Höheren Lehranstalt für wirtschaftliche<br />
Berufe in Ried am Wolfgangsee das Fach Kreatives<br />
Gestalten.<br />
Als Klassenvorstand <strong>der</strong> einjährigen Wirtschaftsfachschule<br />
mit dem fächerübergreifenden Seminar Nahrhafte Landschaft<br />
beschäftigt.
Jürgen Mayer<br />
Von <strong>der</strong> Färberpflanze zur Pflanzenfarbe<br />
Ein Unterrichtsmodell für nachhaltige Nutzung<br />
<strong>der</strong> biologischen Vielfalt<br />
Nachhaltige Nutzung <strong>der</strong> biologischen Vielfalt<br />
Die Nutzung und <strong>der</strong> Schutz <strong>der</strong> biologischen Vielfalt sind<br />
Bestandteil des umweltpolitischen Leitbildes <strong>der</strong> Nachhaltigen<br />
Entwicklung (sustainable development). Dieses Leitbild<br />
ist in den 90er Jahren weltweit zu einem Schlüsselbegriff<br />
<strong>der</strong> Umweltpolitik geworden (Fritz/Huber/Levi 1995). Ökologische,<br />
ökonomische und soziale Ziele sollen so in Einklang<br />
gebracht werden, dass die Bedürfnisse <strong>der</strong> heute lebenden<br />
Menschen befriedigt werden, ohne die Bedürfnisbefriedigung<br />
künftiger Generationen zu gefährden.<br />
Eine Strategie des nachhaltiges Wirtschaften ist die Verwendung<br />
von nachwachsenden Rohstoffen: Pflanzen o<strong>der</strong><br />
Pflanzenteile aus landwirtschaftlicher Erzeugung, die nicht<br />
zur Ernährung o<strong>der</strong> <strong>als</strong> Futtermittel dienen. Das bedeutet:<br />
weniger Schadstoffe, gut biologisch abbaubar, Schonung<br />
fossiler Rohstoffe, günstige Kohlenstoffdioxidbilanz und<br />
Zukunftsperspektiven für die Agrarindustrie (Eggersdorfer<br />
1995). Als nachwachsende Rohstoffe bekannt sind Methanol<br />
o<strong>der</strong> Rapsöl, die <strong>als</strong> Kraftstoffe<br />
Kreislaufökonomie und auf Umwelt-Bewertungsverfahren<br />
wie Ökobilanzen o<strong>der</strong> Produktlinienanalysen<br />
(Rupprecht/Mayer 1997, Sommer/Mayer 2001).<br />
Unmittelbare Erfahrung mit <strong>der</strong><br />
biologischen Vielfalt<br />
Naturerfahrungen sind heute nicht mehr selbstverständlicher<br />
Teil des Lebens von Schülerinnen und Schülern; Naturerfahrungen<br />
müssen bewusst gestaltet und in den Erziehungsprozess<br />
einbezogen werden (Mayer 2000).<br />
Für die unmittelbare Vertrautheit im Umgang mit <strong>der</strong> Natur<br />
prägte Gerhard Winkel das Leitmotiv des Pflegerischen<br />
(Winkel 1990, 1995). Dieses wird in verschiedenen Erfahrungsfel<strong>der</strong>n<br />
wie Umgang mit Rohstoffen, Ökosystemen und<br />
Kulturgütern verwirklicht. Der Schulgarten ist ein beson<strong>der</strong>s<br />
geeignetes Übungsfeld zur Umsetzung dieses Motivs.<br />
genutzt werden. Immer wichtiger Erfahrungsdimension Erfahrungsgehalt Aktivitäten im Unterricht<br />
werden Pflanzenfasern, Stärke für Soziale Naturerfahrung Zuneigung Tierhaltung in <strong>der</strong> Schule, Tierpatenschaft<br />
biologisch abbaubare Verpackungsstoffe<br />
und Naturfarben für Kleidung,<br />
Ästhetische Naturerfahrung<br />
Instrumentelle Naturerfahrung<br />
Schönheit<br />
Nutzen<br />
Malen, Fotografieren, Gestalten,<br />
Wahrnehmungsspiele, Zimmerpflanzen<br />
Schulgartenarbeit, Arbeit auf Schulbauernhöfen<br />
Kosmetik und Nahrungsmittel.<br />
Erkundende Naturerfahrung Erkenntnis Naturbeobachtung, Zoobesuch, Bestimmungsspiele<br />
Am Beispiel nachwachsen<strong>der</strong> Roh- Ökologische Naturerfahrung Bewahrung Arten- und Naturschutzmaßnahmen<br />
stoffe kann Nachhaltige Entwicklung<br />
erarbeitet werden (Mayer 1995,<br />
Schulbiotoppflege<br />
John/Ludwichowski 1996). Im Unterricht kann neben <strong>der</strong><br />
Vielfalt auch auf den Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie<br />
eingegangen werden (Mayer 1997), auf Prinzipien<br />
einer nachhaltigen Landwirtschaft, auf Konzepte einer<br />
Abb. 1: Erfahrungsdimension im Umgang mit biologischer Vielfalt
72<br />
/ Von <strong>der</strong> Färberpflanze zur Pflanzenfarbe<br />
Färberpflanzen im Schulgarten<br />
Die Pflanzung und Pflege von Färberpflanzen im Schulgarten<br />
ermöglichen eine Auseinan<strong>der</strong>setzung mit biologischen<br />
Beson<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> Arten, mit <strong>der</strong> Nutzung und <strong>der</strong> Kulturgeschichte.<br />
Wie groß die Nutzungsmöglichkeiten sind und welchen<br />
potenziellen Wert Biodiversität besitzt, wird aus <strong>der</strong> Fülle<br />
<strong>der</strong> verschiedenen zum Färben geeigneten Pflanzen deutlich<br />
(Roth U. A. 1992, Schweppe 1993). Bezüge zur umgebenden<br />
Pflanzenwelt ergeben sich, wenn das Färberbeet bereichert<br />
wird durch Arten aus <strong>der</strong> Wildkrautflora – beispielsweise<br />
Rainfarn Chrysanthemum vulgare, Brennnessel Urtica dioica,<br />
Wiesenkerbel Anthriscus silvestris, Tüpfel-Johanniskraut<br />
Hypericum perforatum.<br />
Durch die Bandbreite zum Färben geeigneter Pflanzen, zum<br />
Beispiel auf Exkursionen, wird die Bedeutung <strong>der</strong> Erhaltung<br />
von biologischer Vielfalt erfahrbar. So lässt sich zeigen, dass<br />
für den Menschen ein biologisches Potenzial mit erheblichem<br />
Nutzwert direkt „vor <strong>der</strong> Haustür“ liegt, aus dem heraus<br />
über die Jahrhun<strong>der</strong>te immer neue, auch komplexere<br />
Färbemittel entdeckt worden sind.<br />
Schematischer Aufbau eines Färberbeetes<br />
1. Färberwaid (Isatis tinctoria)<br />
2. Färberwau (Reseda luteola)<br />
3. Färberröte (Rubia tinctorum)<br />
4. Färberdistel (Carthamus tinctorius)<br />
5. Färbermeiser (Asperula tinctoria)<br />
6. Stockrose (Alcea rosea)<br />
7. Färberginster (Genista tinctoria)<br />
8. Ringelblume (Calendula officinalis)<br />
9. Ochsenzunge (Anchusa officinalis)<br />
Bei <strong>der</strong> Anlage eines Färberbeetes spielt neben <strong>der</strong> Artenvielfalt<br />
die Gestaltung nach ästhetischen und praktischen<br />
Gesichtspunkten eine Rolle: Blühzeit, Blütenfarbe, Pflanzengröße<br />
und -gestalt, Standort und Windschutz. Die Abbildung<br />
zeigt einen Vorschlag, <strong>der</strong> den örtlichen Gegebenheiten<br />
angepasst werden muss.<br />
Farbenpracht <strong>der</strong> Natur auf Malerpalette<br />
Gewinnung und Verwendung von Naturfarben<br />
Zum Färben größerer Stoffmengen wird in <strong>der</strong> Regel auf<br />
gekaufte Pflanzenfarbstoffe zurückgegriffen werden müssen.<br />
Die Ausbeute bei den selbst gezogenen Pflanzen ist zu<br />
gering und <strong>der</strong> Flächenbedarf für den Anbau ausreichen<strong>der</strong><br />
Mengen zu groß. Die Pflanzen im Färbergarten sollen die<br />
Bandbreite nutzbarer Arten darstellen. Die früher angewandten<br />
Techniken <strong>der</strong> Farbstoffgewinnung lassen sich gut<br />
am selbst gesammelten Material demonstrieren (John/Ludwichowski<br />
1996). Schüler und Schülerinnen gewinnen<br />
damit einen persönlichen Bezug zum Thema, <strong>der</strong> weit über<br />
den Schulalltag hinausreichen kann.<br />
Am einfachsten ist die Handhabung vieler Naturfarben <strong>als</strong><br />
Direktfarbstoff. Das zu färbende Material wird zusammen<br />
mit dem Farbstoff längere Zeit erhitzt, die Farbe geht auf<br />
den Stoff über (Pracht 1984). Die Färberpflanzen sollten<br />
vorher über Nacht eingeweicht werden, um das Färberesultat<br />
zu verbessern. Zur Verwendung <strong>als</strong> Beizfarbstoff bedarf<br />
es <strong>der</strong> Zugabe eines Salzes. Durch Beizen des Stoffes lässt<br />
sich <strong>der</strong> Farbton beeinflussen, außerdem wird durch Lackbildung<br />
die Lichtechtheit mancher Farben erhöht. Aus<br />
Umweltgesichtspunkten vertretbar sind Alaun (Kalium-<br />
Aluminium-Sulfat) o<strong>der</strong> Eisen-II-Sulfat-Beizen, mit Einschränkung<br />
auch Kupfer- sowie Zinnbeizen. Dagegen sollten<br />
Schwermetallbeizen auf Chrom- o<strong>der</strong> gar Quecksilberbasis<br />
wegen ihrer toxischen o<strong>der</strong> cancerogenen Wirkung<br />
nicht zum Einsatz kommen.<br />
Werden in Schulen umweltfreundliche Schreib- und Zeichenmaterialien<br />
verwendet, besteht die Möglichkeit Temperafarbe,<br />
Kreide und Wachsm<strong>als</strong>tifte mit den Schülern im<br />
Unterricht herzustellen.<br />
Im fächerübergreifenden Unterricht erarbeitete Nutzungsmöglichkeiten<br />
und Anwendungstechniken von Farbstoffpflanzen<br />
bieten einen ganzheitlichen Ansatz, <strong>der</strong> vom<br />
Pflanzenanbau bis zur Produktfertigung reicht. So können
Malen mit Farben aus<br />
<strong>der</strong> Natur<br />
Schüler und Schülerinnen die Farbstoffe selbst gewinnen<br />
und verarbeiten, mit unterschiedlichen Methoden Stoffe<br />
färben und an diesem Beispiel ökologische, ökonomische<br />
und kulturelle Aspekte <strong>der</strong> Verwendung nachwachsen<strong>der</strong><br />
Rohstoffe erarbeiten. In diesem Unterrichtsmodell wird<br />
sowohl eine Vertrautheit <strong>der</strong> uns umgebenden Vielfalt<br />
angestrebt <strong>als</strong> auch eine Handlungsmotivation und Handlungskompetenz<br />
zum Schutz <strong>der</strong> Vielfalt. Es trägt damit zur<br />
Sicherung <strong>der</strong> natürlichen Lebensgrundlagen <strong>der</strong> Menschen<br />
bei.<br />
Färberwaid (Isatis tinctoria)<br />
25–140 cm große, zweijährige Pflanze, kleine, gelb gefärbte<br />
Blüten. Wächst bevorzugt auf trockenen Rasen und<br />
Schuttflächen sowie im Fels in Europa, Westasien und Nordafrika.<br />
Die zwei- bis dreimal im Jahr gesammelten Blätter<br />
wurden in Waidmühlen verarbeitet. Aus dem entstehenden<br />
Brei formten die Waidbauern Kugeln, ließen diese trocknen<br />
und brachten sie so in den Handel. Unter Wasser- und Urinzusatz<br />
vergoren die Waidkugeln in Bottichen. Die abgezogene<br />
Flüssigkeit färbt sich durch Zusatz von Kalk gelb, durch<br />
Salzsäure blau. Der Färberwaid blüht von Mai bis August.<br />
Aussaat von März bis Mai ins Freiland, beson<strong>der</strong>s geeignet<br />
sind offene, warme und sommertrockene Standorte. Die<br />
Saat keimt nach 10 bis 30 Tagen.<br />
Färberröte (Krapp, Rubia tinctorum)<br />
Ausdauernde, 50 bis 80 cm hohe Staude. Sie liebt kalkhaltigen<br />
Boden und Sommerwärme. Die Blüten sind gelb. Die<br />
Wurzeln („Krapp“) werden ab dem dritten Jahr im Frühling<br />
und Herbst gesammelt, getrocknet und schließlich zerkleinert<br />
o<strong>der</strong> gemahlen. Das frische Rhizom ist innen stark gelb<br />
gefärbt, entwickelt den roten Farbton erst beim Trocknen<br />
und lässt sich lange lagern, ohne an Färbekraft zu verlieren.<br />
Die Samen werden zwischen März und Mai ausgesät und<br />
benötigen zum Keimen 30 bis 50 Tage.<br />
Von <strong>der</strong> Färberpflanze zur Pflanzenfarbe / 73<br />
Färberdistel (Saflor, Carthamus tinctorius)<br />
Ein- bis zweijährig, Wuchshöhe bis zu 1,30 m. Die Blüten<br />
von Juli bis September zeigen eine rote bis orangerote<br />
Farbe. Zur Farbherstellung werden die getrockneten Blätter<br />
verwendet, so sind verschiedene Gelbtöne zu bekommen.<br />
Saflor kann auch <strong>als</strong> farbgebendes Küchengewürz eingesetzt<br />
werden. Die Aussaat erfolgt im März und April, Keimdauer<br />
10 bis 30 Tage.<br />
Färberkamille (Anthemis tinctoria)<br />
Zwei- bis mehrjährig; bevorzugt sonnige Hänge und Wegrän<strong>der</strong><br />
und wächst auf kalkhaltigem Boden bis zu 80 cm<br />
hoch. Die Blüten leuchten goldgelb, Blütezeit von Juli bis<br />
September. Als färbende Pflanzenteile werden die Blüten<br />
verwendet. Neben <strong>der</strong> Färberkamille eignen sich weitere<br />
Arten, z. B. Hundskamille Anthemis cotula und Echte Kamille<br />
Matricaria chamomilla zum Färben. Ausgesät wird von<br />
März bis Mai, Keimdauer 10 bis 30 Tage.<br />
Färberwau (Reseda luteola)<br />
Zweijährig, kommt auf Schuttfluren, meist auf kalkreichen<br />
Böden vor, Wuchshöhe bis zu 150 cm. Blütezeit Juni bis<br />
September. Keimdauer bis zu 100 Tage. Aussaat Mitte Juli<br />
bis August, die Ernte im darauf folgenden Sommer. Verwendet<br />
wird <strong>der</strong> Färberwau zu Beginn <strong>der</strong> Blüte. Die ganze<br />
Pflanze kann mit Wurzeln ausgerissen und für spätere Verwendung<br />
getrocknet aufbewahrt werden. Durch Kochen in<br />
heißem Wasser lässt sich <strong>der</strong> gelbe Farbstoff Luteolin extrahieren.<br />
Bis ins vergangene Jahrhun<strong>der</strong>t wurde die Pflanze in<br />
vielen Teilen Europas kultiviert und <strong>als</strong> Textilfarbstoff verwendet,<br />
vor allem aber zum Bemalen von Wohnräumen.<br />
Stockrose (Schwarze Malve, Alcea rosea)<br />
Zweijährig, wird 3 m hoch. Die Blüten, die zum Färben<br />
gesammelt und im Schatten getrocknet werden, haben<br />
einen Durchmesser von 6 bis 10 cm und sind violett-rot,<br />
können aber auch schwärzlich, gelb o<strong>der</strong> weiß gefärbt sein.<br />
Sie wurden auch zur Rot-Färbung von Wein und Likör eingesetzt.<br />
Die Stockrose blüht von Juli bis September. Die<br />
Pflanze gedeiht auf Schuttfluren. Die Samen keimen unregelmäßig<br />
über die Saison verteilt. Aussaat zwischen März<br />
und Mai.<br />
Färberginster (Genista tinctoria)<br />
Sommergrüner Strauch, 30 bis 60 cm hoch. Der Färberginster<br />
bevorzugt sonnige Standorte. Er zeigt von Juni bis in den<br />
September seine goldgelben Blüten. Der Färberginster enthält<br />
<strong>als</strong> Hauptfarbstoff Luteolin. Zum Färben verwendet
74<br />
/ Von <strong>der</strong> Färberpflanze zur Pflanzenfarbe<br />
werden können die Zweige mit den Blüten, aber auch die<br />
Stiele mit den Blättern. Die Keimdauer <strong>der</strong> Saat beträgt bis<br />
zu 200 Tagen, die Aussaat erfolgt am besten im August o<strong>der</strong><br />
September<br />
Ringelblume (Calendula officinalis)<br />
Wuchshöhe bis 50 cm. Die Ringelblume gedeiht auf nährstoffreichen<br />
Böden. Sie blüht goldgelb bis rötlich von Mai<br />
bis Oktober. Die Pflanze kann ein- o<strong>der</strong> (selten) mehrjährig<br />
sein. Gefärbt wird mit den Blüten, die vor allem Carotiniode<br />
enthalten. Die Aussaat erfolgt von März bis Mai, Keimdauer<br />
10 bis 30 Tage.<br />
Färbermeister (Asperula tinctoria)<br />
Mehrjährig, Wuchshöhe bis 70 cm. Wächst auf Trockenrasen<br />
und felsigen Hängen. Die Blütenkrone ist weiß. Die<br />
Wurzel färbt in Verbindung mit einer Alaunbeize Textilien<br />
rot. Dafür ist im Wesentlichen das in <strong>der</strong> Wurzel enthaltene<br />
Pseudopurpurin und Purpurin verantwortlich, weniger das<br />
Alizarin, wie es den Krapp kennzeichnet. Die Saat, von März<br />
bis Mai in den Boden eingebracht, benötigt zur Keimung bis<br />
zu 120 Tage.<br />
Ochsenzunge (Anchusa officinalis)<br />
Bis 80 cm hoch, mehrjährig. Auffallend sind die dunkel purpurvioletten<br />
Blüten. Anchusa ist eine gute Bienenweide.<br />
Blüht von Mai bis September. Die Wurzel färbt rot. Die Saat<br />
kommt von März bis Mai ins Beet und keimt nach 10 bis 30<br />
Tagen.<br />
Hollun<strong>der</strong> (Sambucus nigra)<br />
Bis zu 10 m hoher, sommergrüner Strauch. Weit verbreitet<br />
in Gebüschen, feuchten Wäl<strong>der</strong>n und auf Schuttflächen.<br />
Dort können junge Pflanzen vorsichtig ausgegraben und im<br />
Färbergarten an geeigneter Stelle <strong>als</strong> Windschutz verwendet<br />
werden. Gefärbt werden kann mit den Blättern (eine<br />
Stunde kochen: grüngelb), mit Rindenstücken und Wurzeln<br />
(4 bis 5 Stunden kochen: schwarz) o<strong>der</strong> mit den vollreifen,<br />
frischen Beeren (1/2 Stunde: rotviolett). Holun<strong>der</strong>beeren<br />
enthalten Flavonoide und Anthocyane.<br />
Literatur<br />
Eggersdorfer, M.: Perspektiven nachwachsen<strong>der</strong> Rohstoffe in Energiewirtschaft<br />
und Chemie. Mensch, Umwelt, Wirtschaft. Heidelberg; Berlin:<br />
Spektrum, 1995<br />
Fritz, P.; Huber, L; Levi, H. W.: Nachhaltigkeit in naturwissenschaftlicher<br />
und sozialwissenschaftlicher Perspektive. Stuttgart: Wiss. Verl.<br />
Gesellsch., 1995<br />
John, S. & Ludwichowski, I.: Ökologische und ökonomische Aspekte nachwachsen<strong>der</strong><br />
Rohstoffe. In: Bayrhuber et. al.: Biologieunterricht<br />
und Lebenswirklichkeit. 10. Fachtagung <strong>der</strong> Sektion Fachdidaktik<br />
im VdBiol. Kiel: IPN, 1996<br />
John, S. & Ludwichowski, I. : Naturfarben im Unterricht. Köln: Aulis, 1996<br />
Koch, J. H.: Mit Model, Krapp und Indigo. Hamburg: Christians Verlag,1984<br />
Mayer, J.: Nachhaltige Entwicklung – ein Leitbild zur Neuorientierung <strong>der</strong><br />
Umwelterziehung. In: DGU-Nachrichten, 12,1995, 31-43<br />
Mayer, J. 1997. Natur <strong>als</strong> ökonomische Ressource. In: Praxis <strong>der</strong> Naturwissenschaften-Biologie.<br />
Jg. 46, H. 8, Themenheft „Ökologie in <strong>der</strong><br />
Gesellschaft“, 5-12.<br />
Mayer, J.: Dimensionen <strong>der</strong> Naturbeziehung. In: Bayrhuber, H.; Unterbrunner,<br />
U. (Hrsg.), Lernen im Biologieunterricht. Salzburg: Institut für<br />
Didaktik <strong>der</strong> Naturwissenschaften 1999. 28-29.<br />
Mayer, J.: Dimensionen <strong>der</strong> Naturbeziehung bei Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen.<br />
Schriftenreihe <strong>der</strong> GHK-Witzenhausen, Bd. 26, In: C.<br />
Simantke; W. Fölsch (Hrsg.), Pädagogische Zugänge zum Mensch-<br />
Nutztier-Verhältnis, Kassel: GHK-Witzenhausen, 2000.<br />
Pracht, F.-I.: Färben von Textilien. Köln: Verlagsgesellschaft Rudolf Müller,<br />
1984<br />
Roth, L.; Kormann K. & Schweppe H.: Färberpflanzen, Pflanzenfarbe. Lech:<br />
ecomed Fachverlag, 1992<br />
Rupprecht, C. & Mayer, J.: Nachwachsende Rohstoffe – eine umweltgerechte<br />
Alternative? Einweggeschirr <strong>als</strong> schulrelevantes Beispiel. In:<br />
Praxis <strong>der</strong> Naturwissenschaften – Biologie, Themenheft Nachwachsende<br />
Rohstoffe, 1997, Jg. 46, H. 3., S. 32-38.<br />
Schweppe, H.: Handbuch <strong>der</strong> Naturfarben. Vorkommen – Verwendung –<br />
Nachweise. Lech: ecomed Fachverlag, 1993<br />
Sommer, C. & Mayer, J.: Unterrichtseinheit: Nachhaltige Nutzung <strong>der</strong> biologischen<br />
Vielfalt. Köln: Aulis Verlag Deubner, 2001<br />
Winkel, G.: Leitlinien <strong>der</strong> Natur- und Umwelterziehung. Schulbiologiezentrum<br />
Hannover, 1990<br />
Winkel, G.: Umwelt und Bildung. Denk- und Praxisanregungen für eine<br />
ganzheitliche Natur- und Umwelterziehung. Seelze: Kallmeyer,<br />
1995<br />
Prof. Dr. Jürgen Mayer<br />
ist Professor am Institut für Biologiedidaktik<br />
<strong>der</strong> Justus-Liebig-Universität Gießen.
Katja Muchow<br />
„Come-back“ alter Nutzpflanzen<br />
in Schulgärten<br />
Deutsche und ecuadorianische Kin<strong>der</strong> för<strong>der</strong>n und erleben Vielfalt<br />
„Wir pflanzen in unserem Schulgarten Salat, Kürbisse,<br />
Rüben, Kohl und Paprika an“, schreibt Diego, Schüler aus San<br />
Lucas, Südecuador, an deutsche SchülerInnen. Diego und<br />
seine Schule nehmen am deutsch-ecuadorianischen Schulgartenprojekt<br />
mit alten Nutzpflanzen teil, das bereits im Jahr<br />
2001 begonnen hat. Die SchülerInnen beschäftigen sich mit<br />
dem Thema Vielfalt, indem sie selten gewordenes Gemüse<br />
und Kräuter anbauen.<br />
Wie kann man SchülerInnen schon in jungen Jahren vermitteln,<br />
dass <strong>der</strong> Erhalt von biologischer Vielfalt uns alle<br />
angeht? Diese Frage stellten sich Sigrun Lange und Katja<br />
Muchow von INKA – Internationales Netzwerk für Kulturund<br />
Artenvielfalt e.V. Der Verein setzt sich für den Erhalt<br />
von biologischer und kultureller Vielfalt im Andenraum ein<br />
und schlägt in <strong>der</strong> Bildungsarbeit eine Brücke zwischen<br />
Nord und Süd. Das Schulgartenprojekt ermöglicht es jungen<br />
Menschen, die Bedeutung biologischer Vielfalt anhand von<br />
praktischen Erfahrungen zu begreifen.<br />
Idee und Konzept des Schulgartenprojektes<br />
Für die Idee des binationalen Projektes waren im Jahr 2001<br />
Fotos <strong>der</strong> ecuadorianischen Partnerorganisation Nature and<br />
Culture International (NCI) ausschlaggebend. Sie zeigen<br />
fröhliche Kin<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Arbeit im Schulgarten: Sie legen<br />
In einer Münchner Hauptschule pflanzen SchülerInnen<br />
Beinwell und Eberraute<br />
Beete an, setzen Pflanzen, jäten, gießen und freuen sich<br />
über die Ernte. Auch in Deutschland gibt es an vielen Schulen<br />
Schulgärten – und so entstand die Idee des INKA-Teams:<br />
Biologische Vielfalt in Deutschland und Ecuador beim<br />
Anbau von alten Nutzpflanzen zu erleben.<br />
Mit Hilfe von Briefen, Zeichnungen und Fotos (per Post o<strong>der</strong><br />
E-Mail) soll ein Austausch zwischen den beteiligten Schulen<br />
in Deutschland und Ecuador stattfinden, um zu verdeutlichen,<br />
dass <strong>der</strong> Verlust von Kulturpflanzenvielfalt ein weltweites<br />
Problem ist. Gleichzeitig soll globales Lernen und<br />
Verständnis gegenüber an<strong>der</strong>en Völkern geför<strong>der</strong>t werden.<br />
So wurden in Ecuador von NCI auch Schulen in indigenen<br />
(ursprünglich hier heimischen) Gemeinden ausgewählt. Das<br />
Projekt steht ganz im Sinne <strong>der</strong> Agenda 21 – lokal handeln,<br />
global denken.
76<br />
/ „Come-back” alter Nutzpflanzen<br />
Erdbeerspinat und Rote Gartenmelde<br />
Mitarbeiter von INKA e.V. schrieben verschiedene Schulen<br />
<strong>der</strong> Stadt München an. So konnten im Jahr 2002 fünf Schulen<br />
im Raum München für die Beteiligung an diesem Projekt<br />
gewonnen werden. INKA e.V. unterstützt und betreut die<br />
Einrichtungen. In Nie<strong>der</strong>sachsen übernimmt diese Aufgabe<br />
die Klima-Bündnis-Agentur-Nord, wo ebenfalls SchülerInnen<br />
von fünf Schulen mitarbeiten. In Südecuador beteiligen<br />
sich mittlerweile elf Schulen, welche von Nature and Culture<br />
International unterstützt werden.<br />
Die SchülerInnen <strong>der</strong> Gartengruppen besuchen die 5., 6.<br />
o<strong>der</strong> 7. Klasse. Das Projekt wird in die wöchentliche Gartenarbeit<br />
integriert, doch zu Möhren o<strong>der</strong> Blumen kommen nun<br />
seltene Sorten dazu wie die Bayerische Rübe, ein fast ausgestorbenes<br />
Wurzelgemüse.<br />
Die jungen GärtnerInnen erfahren in einem einführenden<br />
Dia-Vortrag von Katja Muchow, dass es eine weitaus größere<br />
Vielfalt gibt <strong>als</strong> die Auswahl an Obst, Gemüse und Kräutern,<br />
die im Supermarkt angeboten wird. Sie fragt die SchülerInnen,<br />
ob sie wissen, woher Kürbisse, Kartoffeln, Paprika,<br />
Tomaten o<strong>der</strong> Mais ursprünglich kommen. Nur bei Kartof-<br />
Erdbeerspinat, eine alte Kulturpflanze<br />
feln wissen die meisten, dass die aus Süd- und Mittelamerika<br />
stammen. Im Gespräch mit den Kin<strong>der</strong>n erläutert Katja<br />
Muchow, welche Gemüsesorten sich vor mehr <strong>als</strong> hun<strong>der</strong>t<br />
Jahren in deutschen Gärten fanden:<br />
„Wir möchten gerne Erdbeerspinat anpflanzen”, so die<br />
SchülerInnen des Münchner Heinrich-Heine-Gymnasiums,<br />
nach <strong>der</strong> Einführung. Sie beschließen, welche alten Gemüsesorten<br />
angepflanzt werden. Einen Tag später beginnt die<br />
praktische Arbeit im Garten. Unter Anleitung einer INKA-<br />
Mitarbeiterin pflanzen sie Erdbeerspinat, Rote Gartenmelde,<br />
seltene Bohnensorten und die Delikatesskartoffel „Bamberger<br />
Hörnchen“, die bereits 1870 gezüchtet wurde.<br />
Von den Gemüsesorten sollen die SchülerInnen eigenes<br />
Saatgut gewinnen und im kommenden Jahr wie<strong>der</strong> aussäen<br />
o<strong>der</strong> weitergeben. Damit leisten sie einen kleinen Beitrag<br />
zum Erhalt biologischer Vielfalt am Beispiel von Nutzpflanzen.<br />
Beson<strong>der</strong>s spannend verläuft <strong>der</strong> Austausch mit den<br />
ecuadorianischen Schulen. In den letzten Monaten sind<br />
Briefe, Fotos und Zeichnungen aus Ecuador eingetroffen, in<br />
denen die Kin<strong>der</strong> über ihre Aktivitäten im Schulgarten<br />
berichten und neugierig sind, welche Erfahrungen die SchülerInnen<br />
an den Partnerschulen machen.<br />
Zu Besuch im Schulgarten<br />
Im nie<strong>der</strong>sächsischen Amelinghausen feiern SchülerInnen<br />
<strong>der</strong> Orientierungsstufe ein Kartoffelerntefest. Eltern und<br />
LehrerInnen sind eingeladen die blau- und rotschaligen Kartoffeln<br />
zu kosten. Eine Münchner Schule organisiert einen<br />
Projekttag. Die SchülerInnen präsentieren ihre Gartenarbeit<br />
in einer Ausstellung und laden die Besucher auf einen<br />
Rundgang in ihren Schulgarten ein.<br />
Um weitere MitschülerInnen und Eltern für das Thema zu<br />
begeistern, eignet sich auch ein Tag <strong>der</strong> Kulturpflanze o<strong>der</strong><br />
eine Fotoausstellung über die Pflanzaktionen und Ernteerträge.<br />
Alte Kartoffelsorten, die heute nicht mehr im Handel erhältlich sind<br />
Zu Besuch in Ecuador<br />
Im Oktober 2001 besuchen INKA-MitarbeiterInnen Schulgärten<br />
in Ecuador. Ruben Dario Escandón, Direktor einer<br />
indigenen Schule <strong>der</strong> Saraguros in Südecuador, zeigt den<br />
deutschen BesucherInnen, was in den Beeten wächst:<br />
Mangold, Weißkohl, Broccoli, Kürbis und Kartoffeln. Die<br />
zehn- bis zwölfjährigen SchülerInnen sind gerade dabei, ein<br />
fünf mal zehn Meter großes Feld umzugraben, dort wachsen<br />
nun die eiweißreichen Inka-Körner Quinoa und Amaranth.<br />
In Ecuador rückt in diesem Jahr mit Oca (eine Sauerkleeart<br />
<strong>der</strong> Anden), Avocadobäumen und Baumtomaten <strong>der</strong><br />
Anbau traditioneller Nutzpflanzen in den Schulgärten stärker<br />
in den Vor<strong>der</strong>grund.<br />
Nach <strong>der</strong> Besichtigung des Schulgartens geben die ecuadorianischen<br />
Kin<strong>der</strong> einen Einblick in ihre Lebensweise. In tra-
ditioneller Kleidung – die Jungen mit knielangen Hosen und<br />
aus Schafwolle gepressten Hüten, die Mädchen mit<br />
schwarzen Faltenröcken – tragen sie Lie<strong>der</strong> und Tänze vor.<br />
Die INKA-MitarbeiterInnen zeigen Briefe und Fotos aus<br />
Deutschland – so erfahren die SchülerInnen in Ecuador, dass<br />
die deutschen Kin<strong>der</strong> in ihren Schulgärten alte Kartoffelsorten<br />
anbauen. Die Briefe <strong>der</strong> deutschen an die ecuadorianischen<br />
SchülerInnen werden auf deutsch und spanisch vorgelesen.<br />
Die meisten Kin<strong>der</strong> hören interessiert zu, aber noch<br />
spannen<strong>der</strong> finden sie die Fotos. „Warum tragen die deutschen<br />
Kin<strong>der</strong> keine Schuluniform?“, fragt eine Schülerin. Sie<br />
hängen die Briefe und Fotos im Klassenzimmer auf.<br />
Brückenschlag zwischen Süden und Norden<br />
Der Kontakt zwischen den Schulen wurde in diesem Jahr<br />
verstärkt. Die SchülerInnen <strong>der</strong> beteiligten Schulen in Ecuador<br />
und Deutschland tauschten Briefe, Zeichnungen sowie<br />
Fotos aus. Für die deutschen und ecuadorianischen Kin<strong>der</strong><br />
ist das jeweils an<strong>der</strong>e Land sehr weit weg. Fotos sind wichtig,<br />
um eine Vorstellung des fremden Landes zu wecken.<br />
Ecuadorianische SchülerInnen schauen sich neugierig Fotos von<br />
deutschen Schulgartenkin<strong>der</strong>n an<br />
Dass <strong>der</strong> Brückenschlag von Ecuador nach Deutschland<br />
interkulturelles Verständnis und globales Lernen för<strong>der</strong>n<br />
kann, zeigt sich am Engagement <strong>der</strong> Schule in Amelinghausen.<br />
Die SchülerInnen hatten im Herbst 2001 Geld für eine<br />
Regentonne nebst Schlauch für eine ecuadorianische Schule<br />
gesammelt, <strong>als</strong> sie von Katja Muchow erfuhren, dass die<br />
Ernte höher ausfallen könnte, wenn während <strong>der</strong> Trockenzeit<br />
eine Bewässerung möglich wäre.<br />
Gesunde Ernte für die Schulküche<br />
In Deutschland lernen die SchülerInnen durch praktisches<br />
Arbeiten im Garten ihnen bisher unbekannte Gemüsesorten<br />
und Kräuter kennen, beobachten das Wachstum und übernehmen<br />
die Pflege. Die Kin<strong>der</strong> gehen freiwillig zu <strong>der</strong> Schul-<br />
„Come-back” alter Nutzpflanzen / 77<br />
gartengruppe. Die Schulgärten haben sechs bis zehn Beete<br />
und manchmal auch eine Kräuterspirale. Die Beteiligung an<br />
dem Projekt hängt stark vom Engagement <strong>der</strong> LehrerInnen<br />
ab. Eine Integration in an<strong>der</strong>e Fächer ist selten, da sich die<br />
KollegInnen an <strong>der</strong> Schule oft wenig für den Schulgarten<br />
interessieren.<br />
In Ecuador haben die wesentlich größeren Schulgärten eine<br />
zusätzliche Bedeutung. Neben den pädagogischen Aspekten<br />
<strong>der</strong> Arbeit trägt das geerntete Gemüse auch zur abwechslungsreichen<br />
und gesunden Ernährung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> bei. Das<br />
Gemüse wird in <strong>der</strong> Schulküche verwendet, wo viele <strong>der</strong><br />
SchülerInnen zu Mittag essen. Die Arbeit im Schulgarten ist<br />
nicht freiwillig son<strong>der</strong>n gehört zum Schulalltag. An den<br />
Dorfschulen nehmen die Kin<strong>der</strong> Gemüse mit nach Hause,<br />
um die Ernährung <strong>der</strong> Familie mit Reis, Bohnen und Kartoffeln<br />
vielfältiger zu gestalten.<br />
Einige Eltern ecuadorianischer SchülerInnen arbeiten engagiert<br />
im Projekt mit, z.B. beim Anlegen von Terrassen für die<br />
Beete o<strong>der</strong> beim Bau einer Schulküche.<br />
Hintergrund des Schulgartenprojektes<br />
Nahrungseinfalt<br />
Viele Menschen bedauern, dass Obst und Gemüse heute fad<br />
schmecken. Doch wen wun<strong>der</strong>t dies bei hochgedüngten und<br />
gespritzten Pflanzen, die selbst nach langem Transport noch<br />
frisch aussehen müssen.<br />
Alte Kulturpflanzen bereichern den Speiseplan, sind<br />
schmackhaft o<strong>der</strong> sehen schön aus, wie z.B. <strong>der</strong> Erdbeerspinat<br />
mit seinen leuchtend roten Früchten. Sortenvielfalt entsteht<br />
nur durch viele Menschen in verschiedenen Regionen.<br />
Viele unserer heute selbstverständlich genutzten Kulturpflanzen<br />
kommen ursprünglich aus Lateinamerika, Asien,<br />
Afrika und dem Mittelmeerraum. Die Nutzpflanzen wurden<br />
je nach Region weiterentwickelt, um sie an Boden und<br />
Klima anzupassen; neue, so genannte Landsorten entstanden.<br />
Sie bilden die Grundlage für kulinarischen Genuss und<br />
Ernährungssicherheit.<br />
Waren es früher nach Angaben <strong>der</strong> FAO (Landwirtschaftsund<br />
Ernährungsorganisation <strong>der</strong> Vereinten Nationen) noch<br />
mehrere tausend Nutzpflanzenarten, von denen sich die<br />
Menschen ernährten, sind es heute nur noch rund 150. Die<br />
Welternährung basiert auf immer weniger Pflanzenarten<br />
und auch innerhalb dieser Arten nimmt die genetische Vielfalt<br />
weiter ab. Die Ursachen liegen in den Monokulturen
78<br />
/ „Come-back” alter Nutzpflanzen<br />
einer industrialisierten Landwirtschaft und <strong>der</strong> Konzentration<br />
des Saatgutmarktes in den Händen weniger Konzerne.<br />
Hochleistungssorten auf dem Vormarsch<br />
Auch in Südamerika verdrängen Hochleistungssorten die an<br />
Klima und Boden angepassten lokalen Sorten. Aus dem<br />
industriell gezogenen Saatgut können die Bauern meist kein<br />
eigenes Saatgut mehr gewinnen und müssen es so jedes<br />
Jahr neu kaufen; dies schafft Abhängigkeiten und ist zudem<br />
teuer. Der Vorteil regionaler Sorten ist, dass sie an die lokalen<br />
Umweltgegebenheiten angepasst sind und ihr Erbgut<br />
Resistenzgene enthält. Bei auftretenden Krankheiten o<strong>der</strong><br />
Schädlingen werden nicht alle Sorten befallen und aus den<br />
beson<strong>der</strong>s wi<strong>der</strong>standsfähigen Exemplaren können neue<br />
Sorten gezüchtet werden.<br />
Die von Menschenhand durch Züchtungen entstandene Kulturpflanzenvielfalt<br />
ist auch heute noch ein Garant für eine<br />
gesunde und abwechslungsreiche Ernährung.<br />
Apfelvielfalt im Bioladen<br />
Vielfalt auf dem Teller<br />
Langfristig gesehen wäre es für mehr Vielfalt auf dem Teller<br />
wünschenswert, wenn mehr Produkte aus biologischem<br />
Anbau und regionale Erzeugnisse gekauft würden. Im biologischen<br />
Anbau wird durch einen ausgedehnten Fruchtwechsel<br />
mit vielfältigen Kulturpflanzen <strong>der</strong> Boden nicht einseitig<br />
ausgelaugt. Wenn das Bewusstsein <strong>der</strong> Verbraucher für die<br />
Herkunft von Nahrungsmitteln und für <strong>der</strong>en Anbaumethoden<br />
gestärkt wird, kann es gelingen auch ausgefallenere<br />
Sorten zu pflanzen. Einige Biobauern bauen z. B. wie<strong>der</strong> das<br />
Getreide Emmer an. Schon die Germanen nutzten Emmer<br />
zum Brotbacken. Emmer ist die Weizenart mit dem höchs -<br />
ten Proteinanteil, geriet aber wegen seiner geringen Erträge<br />
in Vergessenheit.<br />
Infos für Interessierte<br />
Gruppen, die Interesse haben, alte Sorten auch in ihrer<br />
Schule zu pflanzen, können bei INKA e.V. die Broschüre<br />
„Nutzpflanzenvielfalt erhalten – ein Leitfaden zum Anbau<br />
alter Gemüsesorten, Kräuter und Färbepflanzen“ bestellen –<br />
7 Euro zuzüglich Versandkosten. Die Broschüre beantwortet<br />
Fragen wie: Warum ist die Vielfalt von Kulturpflanzen auch<br />
heute noch so wichtig und wie gewinnt man Saatgut?<br />
Woher kommen eigentlich unsere wie selbstverständlich<br />
verwendeten Nutzpflanzen? Wo kann Saatgut bestellt werden?<br />
Die Ausstellung „Nutzpflanzenvielfalt entdecken“ kann bei<br />
INKA e.V. kostenlos ausgeliehen werden, die Transportkosten<br />
müssen selbst übernommen werden.<br />
Weitere Informationen bei<br />
INKA e.V., Katja Muchow, Gravelottestraße 6,<br />
D-81667 München, Tel.: 0049/(0)89-45 91 19-19<br />
Fax: 0049/(0)89-45 91 19-20, www.inka-ev.de,<br />
E-Mail: katja.muchow@inka-ev.de<br />
Kooperationspartner<br />
In Deutschland sind die Klima-Bündnis-Agentur Nord in<br />
Lüneburg, das Klima-Bündnis/Alianza del Clima e.V. und <strong>der</strong><br />
Verein zur Erhaltung <strong>der</strong> Nutzpflanzenvielfalt (VEN), in<br />
Ecuador NCI Kooperationspartner. Das Projekt wird geför<strong>der</strong>t<br />
unter Mitwirkung <strong>der</strong> Bürgerstiftung Zukunftsfähiges<br />
München mit Agenda 21-Mitteln des Referates für Gesundheit<br />
und Umwelt <strong>der</strong> Landeshauptstadt, <strong>der</strong> Deutschen<br />
Umwelthilfe, Patagonia, <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>sächsischen Umweltlotterie<br />
Bingo und <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>sächsischen Umweltstiftung. Auf<br />
die ecuadorianischen und deutschen Schulen kommen keine<br />
Kosten zu.<br />
Katja Muchow<br />
arbeitet <strong>als</strong> Kulturwissenschaftlerin (MA) mit dem<br />
Schwerpunkt <strong>Umweltbildung</strong> und Öffentlichkeitsarbeit<br />
bei INKA e.V. Sie ist auch zuständig für Fundraising.
Michaela Pichler<br />
Biodiversität in<br />
tropischen Regenwäl<strong>der</strong>n<br />
Ökologische Vielfalt<br />
Der Lebensraum Regenwald ist gekennzeichnet durch eine<br />
enorme Biodiversität. In Costa Rica gibt es auf einem Hektar<br />
Regenwald mehr <strong>als</strong> 190 Baumarten. In ganz Europa<br />
existieren nur 60 Baumarten. Ähnliches gilt auch für die<br />
Tierwelt. In Panama wurden auf einem einzigen Baum über<br />
40 Ameisenarten gefunden, mehr <strong>als</strong> in ganz Großbritannien<br />
existieren. In Amazonien leben 30 bis 50 % aller Pflanzen<br />
und Tierarten <strong>der</strong> Erde.<br />
Durch die Abholzung <strong>der</strong> Regenwäl<strong>der</strong> wird eines <strong>der</strong> empfindlichsten<br />
und artenreichsten Ökosysteme vernichtet.<br />
Warum ist diese ökologische Vielfalt so wichtig? Was sind<br />
die Folgen ihrer Zerstörung?<br />
Biodiversität, eine medizinische Fundgrube<br />
Die ökologische und kulturelle Vielfalt im Regenwald bietet<br />
ein großes Spektrum an Heilpflanzen und Heilwissen. Schamanen<br />
und Heiler <strong>der</strong> ursprünglichen (indigenen) Bevölkerung<br />
sind die Hüter des Wissens über Heilkräfte von Pflanzen.<br />
Sie kennen ihre Wirkung, Standorte und Zubereitung.<br />
Dieses Wissen ist auch für die westliche Medizin von großer<br />
Bedeutung. Mehr <strong>als</strong> die Hälfte <strong>der</strong> Wirkstoffe von Medikamenten,<br />
die am europäischen Markt verkauft werden, kommen<br />
ursprünglich aus dem Regenwald. Der Film „Tatort Tropen<br />
– wer profitiert von <strong>der</strong> Artenvielfalt“ zeigt ein spannendes<br />
Szenario. 1) Forscher werden von Pharmafirmen<br />
beauftragt, Heilpflanzen zu suchen und Zugang zum Wissen<br />
von Schamanen zu erlangen.<br />
Folgendes fiktives Beispiel zur Erklärung: Nehmen wir an,<br />
Indigene von Amazonien verfügen über eine Frucht, die sie<br />
traditionell verarbeiten und gegen Gelenksschmerzen verwenden.<br />
Eine Pharmafirma hört davon und interessiert sich<br />
dafür. Sie kann die Wirksubstanz im Labor isolieren und<br />
danach synthetisch herstellen. Wenn das Medikament ein<br />
Erfolg wird, erzielt die Firma große Gewinne mit diesem<br />
Produkt, ohne dass das ursprüngliche Wissen abgegolten<br />
werden muss (siehe Biopiraterie – die neue Kolonialisierung?).<br />
Dieses Anliegen <strong>der</strong> indigenen Bevölkerung wurde das erste<br />
Mal in <strong>der</strong> Konvention über biologische Vielfalt (Convention<br />
on Biological Diversity CBD) beim UNO-Erdgipfel in Rio de<br />
Janeiro 1992 gesetzlich verankert. Es war die erste rechtlich<br />
bindende internationale Vereinbarung zur Erhaltung und<br />
nachhaltigen Nutzung von biologischer Vielfalt. Damit wollte<br />
man erreichen, dass die Gewinne aus ethnobiologischem<br />
Wissen gerecht verteilt werden. Dieses Spannungsfeld von<br />
biologischer Vielfalt, internationaler gesetzlicher Regelung<br />
und Biotechnologie ist ein wichtiger Aspekt in den aktuellen<br />
Diskussionen über Alternativen zur gegenwärtigen Globalisierung.<br />
Eine vertiefende Auseinan<strong>der</strong>setzung bietet das<br />
Buch „Biologische Vielfalt. Wer kontrolliert die globalen<br />
genetischen Ressourcen?“<br />
Biodiversität, Speicher <strong>der</strong> Lebensenergie<br />
Regenwäl<strong>der</strong> zählen trotz und möglicherweise auch gerade<br />
wegen ihres Artenreichtums und dem hohen Grad an ökologischer<br />
Vernetzung zu den sensibelsten und gefährdetsten<br />
Ökosystemen <strong>der</strong> Welt. Die Regenwäl<strong>der</strong> wachsen meist auf<br />
sehr unfruchtbarem Boden, da die Nährstoffe fast zur Gänze<br />
in den Pflanzen gespeichert sind.<br />
Deshalb ist eine nachhaltige Wirtschaft beson<strong>der</strong>s wichtig.<br />
Das traditionelle Verhältnis vieler indigener Völker zu ihrer<br />
natürlichen Umwelt beruht auf Mythen und sozialen und<br />
politischen Regelungen. Die typischen Wirtschaftsformen<br />
wie Brandrodungsfeldbau, Jagd, Fischfang und Sammeltätigkeit<br />
verwenden die Natur schonend und maßvoll. Welche<br />
Tiere getötet werden dürfen, wie viele und wann, unterliegt<br />
strengen Vorschriften. Die sind auf spiritueller, kultureller<br />
und wirtschaftlicher Ebene erklärt. Bei dieser Nutzung
80<br />
/ Biodiversität in tropischen Regenwäl<strong>der</strong>n<br />
von Boden, Wald und Wasser regenerieren sich Ressourcen<br />
immer wie<strong>der</strong> und können daher nachhaltig und von<br />
zukünftigen Generationen verwendet werden.<br />
Im Gegensatz dazu steht die Realität, in <strong>der</strong> immer mehr<br />
Regenwäl<strong>der</strong> in Plantagen umgewandelt werden. Bananen,<br />
Kakao, Kaffee, Tabak und Zuckerrohr werden in den Tropen<br />
angepflanzt. Hintergründe dafür sind vielfältig. Die Verschuldung<br />
vieler Entwicklungslän<strong>der</strong> for<strong>der</strong>t höhere Exporte<br />
und <strong>der</strong> sinkende Rohstoffpreis vermehrte Produktion.<br />
Ungerechte Landverteilung führt dazu, dass viele Menschen<br />
in diese ökologisch sensiblen Gebiete gedrängt werden. Im<br />
Kampf ums Überleben hat nachhaltiges Wirtschaften meist<br />
keine Priorität.<br />
Intensive Land- und Forstwirtschaft verwandelt die grüne<br />
Lunge <strong>der</strong> Erde in unfruchtbare und karge Böden. Biodiversität<br />
<strong>der</strong> Pflanzen und Bäume speichert die Lebensenergie<br />
dieses Systems. Wird die Biodiversität genommen, stirbt das<br />
ganze System.<br />
Biodiversität und Regenwäl<strong>der</strong> für die Schule<br />
Diese Themen können auch im Schulunterricht diskutiert<br />
werden. Als Unterstützung wurde von Südwind NÖ das<br />
Internet-Schulprojekt Regenwald initiiert, das eine Homepage<br />
sowie Hilfestellungen für die Umsetzung im Unterricht<br />
bietet.<br />
Die Innovation dieses Projekts liegt in <strong>der</strong> Verwendung <strong>der</strong><br />
neuen Medien. Es wurde eine Regenwaldhomepage<br />
www.eduhi.at/regenwald erstellt – eine österreichische<br />
Plattform für Regenwaldinformation und Präsentation von<br />
Regenwald-Schulprojekten. SchülerInnen und LehrerInnen<br />
können sich auf dieser Plattform informieren und danach<br />
ihr Wissen, ihre Fragen, Erfahrungen und Aktivitäten in eine<br />
Homepage verwandeln. Es gibt bereits viele Schulprojekte<br />
online, die <strong>als</strong> Inspiration und Motivation dienen.<br />
Zu folgende Fragen bietet Südwind<br />
Informationen an:<br />
• Wie leben Menschen im Regenwald?<br />
• Welche unserer täglichen Nahrungsmittel kommen<br />
aus dem Regenwald?<br />
• Was können wir für Umwelt- und Klimaschutz tun?<br />
• Warum werden so große Flächen an Regenwald zerstört?<br />
• Warum ist Biodiversität so wichtig?<br />
Je nach Interesse können LehrerInnen einen Schwerpunkt<br />
wählen. Wenn erwünscht, werden sie mit ReferentInnen,<br />
Workshops und Unterrichtsmaterialien bei <strong>der</strong> Gestaltung<br />
dieses Projekts unterstützt.<br />
Für Anfrage und weitere Informationen:<br />
Mag. Michaela Pichler<br />
Südwind NÖ Süd<br />
Bahngasse 46, A-2700 Wiener Neustadt<br />
Tel.: 0043/(0)2622/248 32<br />
E-Mail: michaela.pichler@oneworld.at<br />
Literatur:<br />
Dangl, Bruno; Helm, Barbara; Künzi, Erwin, 1999: Begleitmaterial zur<br />
Erlebnisausstellung „Klima verbündet“, Medieninhaber: Amt <strong>der</strong><br />
NÖ. Landesregierung, 3. Auflage<br />
Kuppe, Rene, 2001: Der Schutz des traditionellen umweltbezogenen Wissens<br />
indigener Völker, In: Biologische Vielfalt: Wer kontrolliert die<br />
globalen genetischen Ressourcen? Gertrude Klaffenböck und Eva<br />
Lachkovits, Südwind Agentur,<br />
Singh Nijar, Gurdial, 2000: Patente auf Lebensformen: Bedrohung <strong>der</strong><br />
biologischen und kulturellen Vielfalt. In: Biologische Vielfalt: Wer<br />
kontrolliert die globalen genetischen Ressourcen?<br />
Gertrude Klaffenböck und Eva Lachkovits, Südwind Agentur<br />
Weissenhofer, Anton: Biodiversität in den tropischen Regenwäl<strong>der</strong>,<br />
www.eduhi.at/regenwald<br />
1) Tatort Tropen – wer profitiert von <strong>der</strong> Artenvielfalt?: Dokumentarfilm.<br />
Am Beispiel Westafrikas und Costa Ricas sowie einer deutschen Genbank<br />
gibt <strong>der</strong> Film einen Überblick über Konflikte um die Nutzung genetischer<br />
Ressourcen und die ungleiche Verteilung <strong>der</strong> Gewinne, die aus dieser<br />
Nutzung für Pharmakonzerne hervorgehen.<br />
Bezugsquelle: Baobab (Verleihstelle für entwicklungspolitische Bildungsmaterialien,<br />
www.baobab.at) A-1090 Wien, Berggasse 7<br />
Mag. Michaela Pichler<br />
ist Sozial- und Kulturanthropologin, Studium in San Francisco<br />
mit Schwerpunkt Entwicklungszusammenarbeit. Sie<br />
ist seit 2 Jahren Bildungsreferentin bei Südwind NÖ Süd,<br />
Partizipative Kommunalentwicklung Nord-Indien.
Hans Schuster<br />
Biopiraterie – die neue Kolonialisierung?<br />
Ein Rollenspiel<br />
Einleitung<br />
In den letzten Jahren häufen sich die Fälle von „Biopiraterie“<br />
(dieser Begriff wird im Einleitungsstatement <strong>der</strong> Diskussionsleiterin<br />
näher erklärt).<br />
Betroffen sind vor allem Län<strong>der</strong> des Südens wie Indien o<strong>der</strong><br />
Lateinamerika.<br />
Einerseits werden mit Kapital aus den Industriestaaten jährlich<br />
tausende Quadratkilometer Regenwald abgeholzt,<br />
wodurch die Artenvielfalt unseres Planeten bedroht ist.<br />
An<strong>der</strong>erseits schicken eben diese Staaten Forscher und<br />
Sammler in die noch unberührten Gebiete, um biologisches<br />
Material zu sammeln. Dies sind ganze Pflanzen, aber auch<br />
Wurzeln, Blätter und ganz beson<strong>der</strong>s die Samen. In denen<br />
sitzen die Genbestände, die man sichern will.<br />
Offiziell natürlich „wohltätig“ im Dienste <strong>der</strong> <strong>gesamten</strong><br />
Menschheit, um die Artenvielfalt zu bewahren. Sie erkundigen<br />
sich auch bei <strong>der</strong> Bevölkerung über die Anwendungen<br />
und erfahren somit oft uraltes, traditionelles Wissen.<br />
Tatsächlich lassen sich die Firmen das Material dann patentieren,<br />
womit den Herkunftsstaaten und speziell <strong>der</strong> dort<br />
ansässigen („indigenen“) Bevölkerung <strong>der</strong> Zugang zu diesen<br />
Ressourcen zumindest erschwert, wenn nicht unmöglich<br />
gemacht wird.<br />
Die Patentämter spielen hier mit, wobei nicht nur gegen<br />
internationale Konventionen verstoßen wird, son<strong>der</strong>n auch<br />
ethische Grenzen lässig überschritten werden.<br />
Längst hat sich weltweit Wi<strong>der</strong>stand gebildet, es sind meist<br />
NGOs, die dagegen ankämpfen. Sie for<strong>der</strong>n westliche Regierungen<br />
auf, die Konventionen gesetzlich stärker zu verankern<br />
und Verstöße dagegen härter zu ahnden. Sie erheben<br />
Einspruch gegen Entscheidungen <strong>der</strong> Patentämter und versuchen<br />
Firmen öffentlich anzuprangern und damit unter<br />
Druck zu setzen.<br />
Das alles ist spannen<strong>der</strong> Unterrichts-Stoff für Biologie und<br />
Umweltkunde, Ethik, Geografie und Wirtschaftskunde,<br />
Geschichte und politische Bildung, Religion u.a. Aus<br />
pädagogisch-didaktischer Sicht wäre dieses Thema ein<br />
Musterbeispiel für ein fächerübergreifendes Unterrichtsprojekt.<br />
Für <strong>der</strong>art vielschichtige Problemstellungen bietet sich<br />
neben Faktensammeln und Materialrecherche die Durchführung<br />
eines Rollenspiels an (siehe „Rollenspiele im Unterricht“<br />
Seite 85).<br />
Ausgangssituation für das Rollenspiel<br />
Im Rahmen einer entwicklungspolitischen Enquete <strong>der</strong> Bundesregierung<br />
findet eine Podiumsdiskussion über Patente<br />
auf Organismen und Biopiraterie im Publikumssaal des ORF-<br />
Zentrums Küniglberg/Wien (o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>swo in einem Bundesland)<br />
statt.<br />
Am Podium sitzen VertreterInnen von Regierung, staatlichen<br />
Organisationen, UNO, Firmen und NGOs.<br />
Für jede Position gibt es eine Rollenkarte, welche die Argumentationslinien<br />
vorzeichnet. In <strong>der</strong> Vorbereitungsphase<br />
können diese verfeinert bzw. weitere Argumente gefunden<br />
werden. Weitere Rollenkarten könnten im Rahmen des (Projekt-)Unterrichts<br />
von den SchülerInnen geschrieben werden.<br />
Dabei sollte man allerdings darauf achten, dass das Podium<br />
nicht „überfüllt“ ist.<br />
Im Publikum sollte man noch mindestens zwei Reporterrollen<br />
(eine konzernfreundliche und eine Pro-NGO-Person)<br />
sowie einen Fotoreporter und ein Fernsehteam (Videoaufnahme<br />
für Dokumentation und spätere Analyse) vorsehen.<br />
(Weitere methodische Hinweise auf Seite 86.)<br />
81
82<br />
/ Biopiraterie – die neue Kolonialisierung?<br />
Rollen:<br />
Fr. Claudia Schuh, Mo<strong>der</strong>atorin<br />
Fr. Dr. jur. Richter, Staatsanwältin<br />
Hr. Dipl.-Ing. Dr. Hoffmann, Pharmakonzern<br />
Fr. Birgit Kemptner, ÖIE und EZA<br />
Hr. Antonio Meira Mendez, COICA<br />
Hr. Dr. Hahnenfuss, Botanik-Forscher<br />
Fr. Mag. Grünbaum, Vertreterin von UNEP<br />
Rollenkarten<br />
Fr. Claudia Schuh, Mo<strong>der</strong>atorin – Einleitungsstatement<br />
„Es gibt sie noch, die Piraten“<br />
Es zieht sie immer noch nach Übersee. Sie haben sich<br />
mo<strong>der</strong>nisiert: sie fusionieren, sie globalisieren, sie „machen<br />
in Bio“. Es sind die Gentechnikfirmen, Pharmaunternehmen,<br />
Samenbanken usw. Sie plün<strong>der</strong>n und lassen sich die fremden<br />
Güter rechtlich peinlich genau <strong>als</strong> Eigentum zuschreiben<br />
(Patente).<br />
Biopiraterie – eine neue Ära <strong>der</strong> Kolonialisierung?<br />
Jorge Terena, brasilianischer Indianer mit Studienabschluss<br />
in den USA, schil<strong>der</strong>te bereits vor einigen Jahren die Praktiken<br />
<strong>der</strong> Biopiraten:<br />
„Kaum jemand kennt sich im Jargon <strong>der</strong> Wissenschaftler<br />
aus. Aber wenn wir auch nicht wissen, was Biotechnologie<br />
bedeutet, so wissen wir sehr genau, wie sie in <strong>der</strong> Praxis<br />
funktioniert. Ständig kommen Leute in unser Dorf, um unser<br />
Wissen zu rauben. Ein Forscher erfährt im Gespräch mit den<br />
Ältesten alle Geheimnisse <strong>der</strong> Kräuter- und Naturheilkunde.<br />
Er nimmt das Wissen und einige Pflanzenproben, geht in<br />
sein Labor und erwirbt ein Patent. Jetzt gehört ihm offiziell<br />
das Wissen, das er uns gestohlen hat. Und was haben wir<br />
davon? Nichts! Ich finde, jedes Land sollte das Recht am<br />
geistigen Eigentum per Gesetz festschreiben. Allerdings<br />
fürchte ich, dass wir auch dieses Mal mit leeren Händen<br />
dastehen werden.“<br />
Piraterie ist definiert <strong>als</strong> „nicht berechtigte Übernahme und<br />
Ausnutzung von fremden Rechten“. Unter Biopiraterie versteht<br />
man die Aneignung und Verwertung von biologischen<br />
Ressourcen und Traditionswissen mit Hilfe des Patentrechtes.<br />
Durch die Patentierung werden allgemein verfügbares<br />
Wissen und biologische Ressourcen sowie <strong>der</strong>en freie Nutzung<br />
vom Patentinhaber auf zwanzig lange Jahre privatisiert.<br />
Die Piraten sind meist Konzerne <strong>der</strong> Industrielän<strong>der</strong>,<br />
die im Bereich Agro und Pharma operieren. Sobald ein<br />
großes Marktpotenzial vorhanden ist, richten sich ihre<br />
Patentzugriffe auf alles, was in Landwirtschaft, Ernährung<br />
und Medizin verwertbar ist.<br />
Fr. Dr. jur. Richter, Staatsanwältin<br />
„Patente ohne Erfindung – juristische Fallbeispiele“<br />
Wenn es um die Rechte indigener Völker geht, ist das<br />
„Übereinkommen Nr. 169 über indigene und in Stämmen<br />
lebende Völker in unabhängigen Län<strong>der</strong>n“ von großer<br />
Bedeutung. Diese ILO-Konvention will nicht nur die körperliche,<br />
son<strong>der</strong>n auch die kulturelle Existenz <strong>der</strong> indigenen<br />
Völker sichern. Allerdings wird darin die Rolle <strong>der</strong> indigenen<br />
Völker auf Beratung beschränkt, konkrete Entscheidungsrechte<br />
werden ihnen vorenthalten. Diese obliegen dem ratifizierenden<br />
Staat.<br />
Ein Fall, <strong>der</strong> auch in Österreich bekannt wurde, ist das 1997<br />
erteilte „Basmati-Patent“. Er hat in Indien einen Sturm <strong>der</strong><br />
Entrüstung hervorgerufen. Basmati ist ein Spitzenreis, <strong>der</strong><br />
an den Hängen des Punjab gedeiht. Die Qualität ist bekannt<br />
und begehrt und bringt daher einen höheren Preis <strong>als</strong> an<strong>der</strong>e<br />
Sorten.<br />
Grund genug für die US-amerikanische Firma RiceTec Inc.,<br />
einen Reis mit Basmati-ähnlichen Eigenschaften zum<br />
Patent anzumelden. Wie sich später herausstellte, ist diese<br />
neue Sorte gekreuzt aus zwei Ursprungssorten <strong>der</strong> berühmten<br />
Kollektion des International Rice Research Institute<br />
(IRRI). Die ist eine <strong>der</strong> großen internationalen Samenbanken,<br />
die aber dem Gemeinwohl verpflichtet sind!<br />
Die Leistung <strong>der</strong> Firma bestand hauptsächlich in <strong>der</strong> Formulierung<br />
des Patentes, wobei in diesem Fall sogar <strong>der</strong> für den<br />
Handelswert entscheidende Herkunftsname „Basmati“<br />
beansprucht und damit enteignet worden ist. Würde das<br />
Patent in Kraft bleiben und durchgesetzt werden, dürften
die indischen Reisbauern den werbewirksamen Namen<br />
„Basmati“ für ihren, den originalen Basmati, nicht mehr verwenden.<br />
Die indische Initiative „Basmati Campaign“ ist jedoch gegen<br />
das Patent vorgegangen, später auch die Regierung von<br />
Indien. Inzwischen lässt das US Patent Office nur noch drei<br />
von den ursprünglich 19 Ansprüchen bestehen. Das Verfahren<br />
ist noch nicht abgeschlossen.<br />
Durch Einspruch gegen einzelne Patente ist <strong>der</strong> Biopiraterie<br />
nicht beizukommen. Notwendig ist die zügige Umsetzung<br />
<strong>der</strong> CBD, die Neuverhandlung <strong>der</strong> EU-Biopatent-Richtlinie<br />
unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Vorgaben <strong>der</strong> CBD und die Integration<br />
dieser Punkte auch in die TRIPS-Verhandlungen<br />
(Abkommen über handelsbezogene Aspekte <strong>der</strong> Rechte an<br />
geistigem Eigentum im Rahmen <strong>der</strong> Welthandelsorganisation<br />
WTO). Das scheint umso dringlicher, <strong>als</strong> manche Konzerne,<br />
am Patentrecht vorbei, durch bilaterale Verträge<br />
Zugriffsrechte auszuhandeln beginnen, ohne dass es irgendwelche<br />
verbindlichen Mindeststandards dafür gäbe.<br />
Fr. Birgit Kemptner, ÖIE und EZA<br />
„Biopiraterie ist Enteignung ohne Ausgleich“<br />
Opfer <strong>der</strong> Biopiraterie sind in erster Linie die Län<strong>der</strong> des<br />
Südens. Sie besitzen vielfältige biologische Ressourcen<br />
sowie differenziertes und umfangreiches Traditionswissen<br />
in Bezug auf dieses Erbe. Ressourcen und Wissen geraten<br />
durch die Patentierung zunehmend unter die Kontrolle global<br />
orientierter Unternehmen.<br />
Das bedeutet Enteignung <strong>der</strong> vormaligen Verfügungsberechtigten,<br />
und zwar ohne jede Ausgleichsregelung. Darum<br />
spricht man auch von „Biokolonialismus“.<br />
Die Piraterie-Patentierung verschärft das wirtschaftliche<br />
Ungleichgewicht zugunsten <strong>der</strong> reichen Län<strong>der</strong>. Durch Einkommensausfälle<br />
und Verlust von Handlungsfreiheit greift<br />
man tief in das soziale und kulturelle Gefüge betroffener<br />
Regionen ein.<br />
Der erhoffte Technologietransfer findet kaum statt. Die Ausbeutung<br />
biologischer Ressourcen in industriellem Maßstab<br />
- zum Beispiel für die Herstellung von Medikamenten -<br />
führt oft zu einer Ressourcen-Verknappung für den lokalen<br />
Bedarf.<br />
Ohne vorsorgliche Rahmenbedingungen führt sie auch zu<br />
einer Gefährdung <strong>der</strong> biologischen Vielfalt. Bei den Nahrungspflanzen<br />
kann dies auf lange Sicht sogar die<br />
Ernährungssicherheit in Frage stellen.<br />
Biopiraterie – die neue Kolonialisierung? / 83<br />
Hr. Antonio Meira Mendez, COICA<br />
„Privatisierung des biologischen Erbes durch Konzerne”<br />
Durch die Praxis <strong>der</strong> Biopatentierung seit den 80er-Jahren<br />
wird das gemeinsame biologische Erbe zunehmend privatisiert.<br />
Die nach wie vor umstrittene, 1998 verabschiedete<br />
EU-Richtlinie zum Schutze biotechnologischer Erfindungen<br />
schreibt diese Praxis fest. Die Patentfähigkeit von Pflanzen<br />
und Tieren, von biologischem Material schlechthin, sowie<br />
die juristische Schutzlosigkeit von Traditionswissen und<br />
Kulturpraktiken begünstigen Biopiraterie.<br />
Beides steht jedoch im Wi<strong>der</strong>spruch zu den Vorgaben <strong>der</strong><br />
Convention on Biodiversity (CBD), die 1992 von den Vereinten<br />
Nationen beschlossen wurde.<br />
Mit dem Ziel <strong>der</strong> Erhaltung <strong>der</strong> biologischen Vielfalt sind<br />
dort unter an<strong>der</strong>em vorgesehen: Farmers' Rights (Rechte <strong>der</strong><br />
Landwirte), Benefit-Sharing (Teilhabe am Nutzen), Schutz<br />
von Traditionswissen und rechtlich geregelter Zugang zu<br />
den Ressourcen.<br />
Ein spezieller Fall sind die ernährungspolitisch äußerst<br />
wichtigen pflanzengenetischen Ressourcen <strong>der</strong> großen<br />
internationalen Samenbanken. Im International Un<strong>der</strong>taking<br />
(IU), einer Plattform <strong>der</strong> FAO (Food and Agricultural<br />
Organisation, UNO) sollen die Zugriffsbedingungen geregelt<br />
werden.<br />
Außerdem geht es auch hier um Nichtpatentierung von<br />
Pflanzen, insbeson<strong>der</strong>e von Nahrungspflanzen. Sehr deutlich<br />
wird das Problem auch, wenn das Patent sich auf kulturell<br />
beson<strong>der</strong>s wichtige Heilpflanzen bezieht.<br />
So wird z.B. von Indianern aus dem Amazonasgebiet heftig<br />
gegen die Patentierung <strong>der</strong> Pflanze Banisteriopsis caapi<br />
(Ayahuasca) protestiert.<br />
Firmen wie AMERICAN CYANAMID, BRISTOL-MYERS SQIBB,<br />
MONSANTO, MERCK (USA) und PFIZER haben spezielle Forschungsprogramme<br />
gestartet, die gezielt nach traditionellen<br />
Anwendungen von Heilpflanzen vor allem in den Regenwäl<strong>der</strong>n<br />
suchen.<br />
Hr. Dr. Hahnenfuss, Botanik-Forscher<br />
„Ich bin kein Bio-Pirat“<br />
Es heißt, ich wäre in den Urwald des Amazonas vorgedrungen,<br />
im Auftrag von multinationalen Konzernen, um dort im<br />
Austausch gegen ein paar Aspirintabletten eventuell die<br />
Geheimnisse <strong>der</strong> alten Medizinmänner herauszutragen.<br />
Geheimnisse, die Milliardenbeträge an Dollars bringen können.
84<br />
/ Biopiraterie – die neue Kolonialisierung?<br />
Ich sehe mich <strong>als</strong> Opfer <strong>der</strong> Justiz, <strong>der</strong> Politik und <strong>der</strong> Presse.<br />
Ich habe von den Kaxinawa gehört, einem <strong>der</strong> größten<br />
Stämme am Rio Tarauacá. Eines Tages bin ich dort hingeflogen<br />
und habe den Koordinator von 3500 Indianern kennen<br />
gelernt. Dieser sehr tüchtige Koordinator hat mir ein Projekt<br />
vorgelegt, das von ihm handschriftlich geschrieben war und<br />
das vorsah, die Wie<strong>der</strong>geburt und Weiterpflege <strong>der</strong> tausendjährigen<br />
Indianermedizin ins Leben zu rufen.<br />
Das sei ein Projekt, das einen Sponsor bräuchte, <strong>der</strong> dafür<br />
Zugang zu den Heilpflanzen hätte, um die eventuell zu<br />
exportieren.<br />
Die Indianer haben <strong>als</strong>o vielmehr mich bei <strong>der</strong> Vermarktung<br />
ihres Wissens um Hilfe gebeten. Die meisten Unkosten,<br />
sogar meine Rundreise in Europa, habe ich aus eigener<br />
Tasche gezahlt. Allerdings habe ich von <strong>der</strong> Industrie hin<br />
und wie<strong>der</strong> Zuwendungen erhalten. Ich habe Sachspenden<br />
bekommen von Bayer und Hoechst und Ciba Geigy. Die<br />
Unternehmen haben mir Medikamente für die Indianer und<br />
für die Flussuferbevölkerung gespendet.<br />
1992 wollten wir die Sache größer aufziehen, aber da kam<br />
uns in die Quere, dass die Bundesregierung das ganze<br />
Gebiet entlang <strong>der</strong> peruanischen Grenze zum Nationalpark<br />
erklärt hat. Genau dort waren die Gebiete, in denen wir<br />
unsere ersten Pilotprojekte durchführen wollten. Das wurde<br />
dadurch unmöglich, denn dieser Nationalpark durfte nicht<br />
mehr betreten werden. Deshalb haben wir dann umgeschwenkt<br />
auf reine soziale Leistungen für die min<strong>der</strong>bemittelte<br />
Bevölkerung und die Indianer.<br />
Die erwähnten Firmen haben allerdings kein Interesse an<br />
einer Verwertung <strong>der</strong> Heilkräuter bekundet. Sie respektierten<br />
die Rio-Konvention, auf dem Gebiet „Heilkräuter“ hat<br />
es mit mir keine Zusammenarbeit gegeben.<br />
Hr. Dipl.-Ing. Dr. Hoffmann, Pharmakonzern<br />
„Wir erhalten die Artenvielfalt“<br />
Unsere Forschungen laufen unter dem Projektoberbegriff<br />
„Biodiversität“ ab. Unter diesem Begriff fasst die Pharmabranche<br />
Bestrebungen zusammen, die sich dem Erhalt<br />
<strong>der</strong> biologischen Vielfalt auf dem Globus verschrieben<br />
haben.<br />
Auch durchaus renommierte amerikanische Universitäten<br />
sind über das National Institutes of Health (NIH) sowie die<br />
National Science Foundation (NSF) <strong>der</strong> USA in die Forschungsarbeiten<br />
eingebunden.<br />
Amerikanische Forschungszentren wie die University of Arizona<br />
erhalten zunächst Projektbudgets in Höhe von rund<br />
500.000 Dollar, um die Bio-Schatzsuche in „Quellenlän<strong>der</strong>n“<br />
wie Argentinien, Brasilien, Chile o<strong>der</strong> Mexiko voranzutreiben.<br />
Sie arbeiten mit Wissenschaftlern vor Ort zusammen,<br />
<strong>der</strong>en Aufgabe es ist, sich über die Naturheilmethoden <strong>der</strong><br />
einheimischen Landbevölkerung aufzuklären.<br />
Das Wissen <strong>der</strong> Einheimischen ist schließlich längst Allgemeingut<br />
und steht somit allen zur Verfügung. Die ortsansässige<br />
Bevölkerung wird miteinbezogen, hat dadurch<br />
Arbeit und verdient somit auch Geld.<br />
Wir investieren Millionenbeträge in diese Forschungen,<br />
sichern den genetischen Bestand, nehmen zudem gentechnische<br />
Verbesserungen vor, damit wir noch besser gegen<br />
Krankheiten vorgehen können usw.<br />
Daraus leite ich für uns durchaus die Berechtigung für die<br />
Patentierung dieser Organismen ab und verbiete mir den<br />
Begriff „Biopiraterie“.<br />
Fr. Mag. Grünbaum, Vertreterin von UNEP<br />
„Die Bundesregierungen müssen handeln!“<br />
Das UNEP for<strong>der</strong>t die Bundesregierungen dazu auf, sich für<br />
die Erarbeitung eines völkerrechtlich verbindlichen Protokolls<br />
(ABS-Protokoll) zum Zugang zu genetischen Ressourcen<br />
und zur Vorteilsaufteilung einzusetzen. Nur dadurch<br />
können Rechtssicherheit und staatliche Verantwortlichkeiten<br />
garantiert werden.<br />
Das UNEP for<strong>der</strong>t die Bundesregierungen dazu auf, entsprechende<br />
nationale und EU-Gesetze zu erarbeiten.<br />
Ein ABS-Protokoll muss so ausgestaltet sein, dass es die<br />
Interessen indigener und lokaler Gemeinschaften stärkt. Es<br />
müssen Mindeststandards für Verträge über eine gerechte<br />
und effektive Vorteilsaufteilung festlegt werden.<br />
Mit begleitenden Programmen müssen Prozesse in Gang<br />
gesetzt werden, welche die indigenen und lokalen Gemeinschaften<br />
befähigen, ihre Interessen besser vertreten zu können.<br />
Das betrifft v. a. Interessen im Zusammenhang mit dem<br />
Macht-, Finanz- und Wissensgefälle zwischen Nord und<br />
Süd.<br />
Ein ABS-Protokoll muss ein „Recht, nein zu sagen“ garantieren.<br />
Es muss so ausgestaltet werden, dass <strong>der</strong> Transfer<br />
von finanziellen und nicht finanziellen Vorteilen <strong>der</strong> Erhaltung<br />
und nachhaltigen Nutzung biologischer Vielfalt zugute<br />
kommt.<br />
Das Ausschöpfen des Potenzi<strong>als</strong> biologischer Vielfalt muss<br />
in erster Linie <strong>der</strong> Armutsbekämpfung und Ernährungssicherung<br />
dienen.
Abkürzungen – Erklärungen – Organisationen<br />
ABS Access and Benefit Sharing – gerechte Aufteilung<br />
des Zugangs und <strong>der</strong> Vorteile<br />
(Nutzen) von biologischen Ressourcen<br />
CBD Convention on Biodiversity – Übereinkommen über<br />
Artenvielfalt im Rahmen <strong>der</strong> Rio-Konferenz 1992<br />
COICA Koordination <strong>der</strong> Indianerorganisationen<br />
des Amazonasbeckens<br />
EZA Organisation für Entwicklungszusammenarbeit<br />
FAO Food and Agricultural Organisation <strong>der</strong> UNO<br />
(Landwirtschaft und Ernährung)<br />
IFPRI International Food Policy Research Institute<br />
(Int. Forschungs-Institut f. Ernährungspolitik)<br />
ILO International Labour Organisation <strong>der</strong> UNO<br />
(Arbeitsorganisation)<br />
IRRI International Rice Research Institute<br />
(Reisforschung)<br />
IU International Un<strong>der</strong>taking – Plattform <strong>der</strong> FAO<br />
NGOs Non Governmental Organisations –<br />
Regierungsunabhängige Gruppen<br />
ÖIE Österr. Informationsdienst Entwicklungshilfe<br />
Ratifizieren - einen völkerrechtlichen Vertrag<br />
(z.B. Artenschutzabkommen, Abrüstungsverträge,<br />
Klimaschutzkonvention) durch das Parlament<br />
eines Staates rechtskräftig und verbindlich<br />
machen, muss meist vom Staatsoberhaupt<br />
bestätigt werden<br />
Reserven - nicht regenerierbare Rohstoffe wie Erdöl,<br />
Kohle, Mineralien etc.<br />
Ressourcen - regenerierbare Grundlagen wie Wasser,<br />
Boden, Luft, Artenvielfalt, nachwachsende<br />
Energieträger (Holz, Stroh ...)<br />
TRIPS Abkommen über handelsbezogene Aspekte<br />
geistigen Eigentums<br />
UNEP United Nations Environmental Programme –<br />
Umweltorganisation <strong>der</strong> UNO<br />
WTO World Trade Organisation –<br />
Welthandelsorganisation<br />
Biopiraterie – die neue Kolonialisierung? / 85<br />
ROLLENSPIELE im UNTERRICHT<br />
Rollenspiele haben seit Jahrzehnten ihren festen Platz im<br />
Unterrichtsgeschehen. Nicht nur sozialkundliche Inhalte<br />
bieten sich an, son<strong>der</strong>n auch naturwissenschaftlich-technische<br />
Fragestellungen. Am besten geeignet sind sie für<br />
fachübergreifende Themen, wie sie etwa in <strong>der</strong> <strong>Umweltbildung</strong><br />
häufig vorkommen.<br />
Hier prallen praktisch immer technisch-ökonomische Interessen<br />
und soziale, ökologische und emotionale Interessen<br />
aufeinan<strong>der</strong>.<br />
Für die Unterrichtsfächer bedeutet dies, dass Aspekte von<br />
Biologie und Umweltkunde, Chemie, Ethik, Geografie und<br />
Wirtschaftskunde, Geschichte und Sozialkunde, Philosophie<br />
und Psychologie, Physik, politische Bildung, Religion etc.<br />
angesprochen werden.<br />
Rollenspiele sind eine beson<strong>der</strong>e Art des Lernens. SchülerInnen<br />
spielen verschiedene Personen mit den entsprechenden<br />
Standpunkten und Argumenten in einer Situation, die für<br />
die Wirklichkeit bedeutsam ist: ein Streitgespräch, eine<br />
Gemein<strong>der</strong>atssitzung, eine Bürgerversammlung, eine Podiumsdiskussion.<br />
• Im Rollenspiel wird die ganze Person beansprucht, nicht<br />
nur <strong>der</strong> Verstand. Emotionale, soziale und motorische<br />
Fähigkeiten werden ebenso gefor<strong>der</strong>t und geför<strong>der</strong>t wie<br />
kognitive.<br />
• SchülerInnen können beim Rollenspiel die Wirklichkeit<br />
erproben. Es können Aussagen gemacht, Aktionen<br />
gesetzt und Entscheidungen getroffen werden, ohne<br />
dass Fehler reale Folgen zeigen. Sie sind sogar för<strong>der</strong>lich,<br />
weil aus ihnen gelernt werden kann. Bestimmte<br />
Situationen können in verschiedenen Versionen durchgespielt<br />
werden, um verschiedene Konsequenzen zu<br />
erproben. Rückmeldungen kommen sofort durch die<br />
Reaktionen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en MitspielerInnen.<br />
• SchülerInnen lernen bei Rollenspielen einiges hinsichtlich<br />
<strong>der</strong> Diskussionstechnik, <strong>der</strong> Argumentation und des<br />
Umgangs miteinan<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Diskussionsrunde. Offenbar
86<br />
/ Biopiraterie – die neue Kolonialisierung?<br />
ist es für die SchülerInnen unerheblich, ob sie an guten<br />
Beispielen lernen (Motto: „So sollte man es machen“)<br />
o<strong>der</strong> an schlechten (Motto: „Genau so sollte man es<br />
nicht machen!“). Das heißt, es wird an guten wie an<br />
schlechten Beispielen gelernt.<br />
• Das Übernehmen verschiedener Rollen ermöglicht es,<br />
unterschiedliche, oft sogar konträre Standpunkte und<br />
Wertvorstellungen zu erleben, die dadurch verständlicher<br />
werden können. Dadurch können Feindbil<strong>der</strong> abgebaut<br />
und die Gesprächsbereitschaft geför<strong>der</strong>t werden.<br />
Gleichzeitig kann auch die eigene Sicht <strong>der</strong> Dinge quasi<br />
mit an<strong>der</strong>en Augen gesehen und dabei in Frage gestellt<br />
werden.<br />
• Rollenspiele bieten die Möglichkeit, Fachthemen mit<br />
gesellschaftlich bedeutsamen Problemstellungen zu verknüpfen.<br />
Einsicht und Verständnis für gesellschaftliche<br />
Zusammenhänge werden dadurch geför<strong>der</strong>t, vernetztes<br />
Denken wird geschult und <strong>der</strong> Blick für komplizierte<br />
Problemlagen geschärft.<br />
Soziale Fähigkeiten werden gefor<strong>der</strong>t und geför<strong>der</strong>t, wie<br />
etwa argumentieren, Vorschläge unterbreiten, Verbündete<br />
suchen, sich gut ausdrücken etc.<br />
• SchülerInnen identifizieren sich meist stark mit ihrer<br />
Rolle unabhängig davon, warum sie ihre Rolle gewählt<br />
haben und ob sie ihrer tatsächlichen Einstellung entspricht.<br />
Sie sind dementsprechend stark emotional<br />
beteiligt. Es wird ebenso lustvoll erlebt, in wi<strong>der</strong>sprüchliche<br />
Positionen zu schlüpfen und gegen die eigene<br />
wirkliche Meinung zu argumentieren, wie seine<br />
tatsächliche Einstellung darzulegen und zu verteidigen.<br />
• Rollenspiele sind wegen ihres seltenen Einsatzes eine<br />
Abwechslung im Unterricht, sie sind, gute Vorbereitung<br />
vorausgesetzt, stark motivierend. Für einzelne SchülerInnen<br />
stellen sie manchmal ein Schlüsselerlebnis dar,<br />
an das sich Folgeaktivitäten anknüpfen können. Rollenspiele<br />
machen somit Spaß und bereichern den Unterricht.<br />
Methodische Hinweise:<br />
Rollenverteilung<br />
Für die Verteilung <strong>der</strong> Rollen innerhalb <strong>der</strong> Klasse o<strong>der</strong> eines<br />
sonstigen Interessentenkreises empfiehlt es sich, die Rollen<br />
auf einer Overheadfolie zu präsentieren und kurz verbal zu<br />
charakterisieren, um die Wahlentscheidung zu erleichtern.<br />
Sollten sich für bestimmte Rollen mehrere BewerberInnen<br />
interessieren, dann wäre es günstig, einvernehmliche<br />
Lösungen durch Tausch o<strong>der</strong> Verzicht zu erzielen. Man kann<br />
aber auch das Los entscheiden lassen.<br />
Nachbesprechung<br />
Beson<strong>der</strong>s interessant und vor allem für die Aufarbeitung<br />
hinterher nahezu unerlässlich ist es, das gesamte Rollenspiel<br />
auf Video aufzuzeichnen. Jemand aus <strong>der</strong> Zuhörerschaft<br />
kann <strong>als</strong>o die Rolle „FernsehreporterIn“ spielen,<br />
genauso wie FotoreporterIn und RedakteurInnen <strong>der</strong> Printmedien<br />
dabei sein können bzw. sollen. Unterschiedlich<br />
gefärbte Berichte (Boulevardpresse, seriöse Zeitungen etc.)<br />
von ein und demselben Ereignis bringen ein gutes Stück<br />
Medienerziehung in das Unterrichtsgeschehen.<br />
Rollenkarten<br />
Die meistens verwendete Form mit den eher klischeehaft<br />
vorgegebenen Rollenkarten ist natürlich nur eine mögliche<br />
Spielform und kann abgewandelt werden,<br />
• indem Rollenkarten aufgezeigt werden mit <strong>der</strong> Fragestellung:<br />
„Wie würdest Du zu diesen Argumenten<br />
Stellung nehmen?“<br />
• indem nur die Rollen aufgelistet werden und die einzelnen<br />
MitspielerInnen selbständig Argumente suchen und<br />
finden<br />
• indem nur die Argumente aufgelistet werden und die<br />
TeilnehmerInnen versuchen, diese Argumente einzelnen<br />
Rollen zuzuordnen, die anschließend gespielt werden
• indem die Ausgangslage verän<strong>der</strong>t wird (z.B. Gemein<strong>der</strong>atsitzung<br />
o<strong>der</strong> Podiumsdiskussion anlässlich einer<br />
Tagung o. ä.) und weitere Rollen entwickelt werden<br />
Zeitfaktor<br />
Je nach Spontaneität bzw. <strong>der</strong> zur Verfügung stehende Zeit<br />
muss die Vorbereitungszeit mehr o<strong>der</strong> weniger knapp gehalten<br />
werden. Bei Rollenspielen im Unterricht ist mindestens<br />
eine Unterrichtsstunde dafür vorzusehen (inklusive Rollenverteilung).<br />
Für die Durchführung reicht oft eine weitere Stunde, wenn<br />
die vorbereitenden Arbeiten (Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Sitzordnung,<br />
Aufbau <strong>der</strong> Videokamera ...) schon in <strong>der</strong> Pause vorher erledigt<br />
werden. Für eine solide Aufarbeitung sollte man mindestens<br />
zwei Stunden vorsehen, wobei es günstig sein kann,<br />
eine davon gleich im Anschluss an das Spiel zu legen, die<br />
zweite aber erst nach einer gewissen „Abkühlphase“ für die<br />
Gemüter.<br />
Tipps zum Schluss<br />
Ein Hinweis ist mir noch wichtig, falls gegenüber dem Rollenspiel<br />
im Unterricht noch Hemmungen bestehen: Bevor<br />
man <strong>als</strong> LehrerIn erstm<strong>als</strong> ein Rollenspiel mit einer ganzen<br />
Klasse durchführt, sollte man es vorher möglichst „am eigenen<br />
Leib verspürt“ bzw. erlebt haben.<br />
Diese Erfahrung habe ich selbst gemacht, sie deckt sich mit<br />
<strong>der</strong> von jenen KollegInnen, die ebenfalls Rollenspiele in<br />
ihren Unterricht eingebaut haben. Durch das Wissen, wie es<br />
läuft, dass eigentlich wenig schief gehen kann und dass es<br />
für die meisten Beteiligten ein starkes Erlebnis darstellt,<br />
entsteht ein beruhigendes Gefühl, ohne dass Spannung verloren<br />
geht.<br />
Man sollte deshalb eine günstige Gelegenheit ergreifen<br />
(pädagogische Konferenz, Lehrerarbeitgemeinschaft, Fortbildungsveranstaltung,<br />
interessierter LehrerInnenkreis ...),<br />
um diesbezüglich Erfahrungen zu sammeln.<br />
Rollenspielanalyse – Fragen an die SpielerInnen<br />
Die folgenden Fragen sollen einen Leitfaden für die Nachbereitung<br />
des Rollenspiels (mit o<strong>der</strong> ohne Videoaufzeichnung)<br />
darstellen. Selbstverständlich können/müssen je nach<br />
Verlauf und Situation weitere, vertiefende Fragen gestellt<br />
werden.<br />
- Wie hast du das Spiel gefunden? (zu dieser Frage sollten<br />
sich zu Beginn alle äußern)<br />
Biopiraterie – die neue Kolonialisierung? / 87<br />
- Wie realistisch/unrealistisch war die Diskussion?<br />
- Warum hast du deine Rolle gewählt?<br />
- Wie wertest du die Tatsache, dass beim Rollenspiel<br />
dieses (... näher bezeichnen, evtl. „kein“ ...)<br />
Ergebnis erzielt wurde?<br />
- Hast du Folgen bei an<strong>der</strong>en Diskussionen bemerkt – bei<br />
dir selber o<strong>der</strong> bei an<strong>der</strong>en?<br />
- Wie stark hast du dich mit deiner Rolle identifiziert?<br />
Warum?<br />
- Wie hat sich das Rollenspiel auf den weiteren Verlauf<br />
des Unterrichts (-Projekts ...) ausgewirkt?<br />
- Was war für dich beson<strong>der</strong>s o interessant<br />
o motivierend<br />
o störend<br />
o lehrreich?<br />
- Welche Erfahrungen, Einsichten, Lernprozesse hast du<br />
gemacht? (Sachinformation, Diskussionstechnik ...)<br />
- Waren deine Eltern in irgendeiner Weise miteinbezogen?<br />
(Diskussionen daheim, vorbereitende Fragen ...)<br />
- Waren deine FreundInnen in irgendeiner Weise miteinbezogen?<br />
(Diskussionen in <strong>der</strong> Gruppe, am Schulweg,<br />
Ratschläge, Kritiken, Fragen ...)<br />
Literatur:<br />
Schuster, Hans, 1995: „Rollenspiele in <strong>der</strong> Umwelterziehung“. ARGE<br />
Umwelterziehung in <strong>der</strong> Österreichischen Gesellschaft für Natur<br />
und Umweltschutz, Wien<br />
Bezug: FORUM <strong>Umweltbildung</strong>, Alser Straße 21, A-1080 Wien<br />
Dr. Hans Schuster<br />
unterrichtet Biologie und Umweltkunde sowie Physik am<br />
Privatgymnasium <strong>der</strong> Herz-Jesu-Missionare. Er ist Akademielehrer<br />
am Pädagogischen Institut und Leiter <strong>der</strong> Ethikausbildung<br />
in Salzburg. Doktorat Fachdidaktik Biologie,<br />
Zertifikat in Schulentwicklungsberatung.
88<br />
Angelina Blaschke<br />
Schützt den Regenwald –<br />
er geht uns alle an<br />
Regenwaldprojekt an <strong>der</strong> Haupt- und Re<strong>als</strong>chule Graz-Webling<br />
Unter dem Motto „Was geht uns <strong>der</strong> Regenwald an?“<br />
beschäftigten sich alle SchülerInnen und LehrerInnen mit<br />
<strong>der</strong> Problematik <strong>der</strong> Zerstörung des Regenwaldes und den<br />
globalen Folgen in Form einer Projektwoche. Am Programm:<br />
Lehrausgänge in das Tropenhaus des Botanischen Gartens<br />
<strong>der</strong> Universität Graz, Diavortrag über den Regenwald in<br />
Costa Rica, Workshops <strong>der</strong> Agentur Südwind Graz, Bearbeiten<br />
von Informationen aus dem Internet, Malen, Kochen mit<br />
Früchten, Programmieren von Lernspielen.<br />
Ein spannen<strong>der</strong> Diavortrag brachte uns auf die Idee<br />
Der Grundstein für dieses klassenübergreifende Schulprojekt:<br />
ein Diavortrag im Jänner 2001 von Mag. Richard Kunz.<br />
SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern waren begeistert von<br />
den interessanten Dias und dem exzellenten Vortrag.<br />
In den folgenden drei Wochen wurden SchülerInnen und<br />
LehrerInnen aufgefor<strong>der</strong>t, Ideen für das Regenwaldprojekt<br />
zu sammeln. In <strong>der</strong> Eingangshalle standen zwei Pinnwände<br />
mit <strong>der</strong> Aufschrift „Hast du eine Idee?“. Die SchülerInnen<br />
konnten hier ihre Vorschläge in ein Kuvert einwerfen. Auf<br />
dem PC im Konferenzzimmer befand sich eine Schulprojektliste<br />
mit Themen, die sich auf die verschiedenen Unterrichtsfächer<br />
bezogen. Alle LehrerInnen trugen hier ihre<br />
Ideen ein.<br />
Die Vorbereitungsphase dauerte mehrere Wochen. Das Kollegium<br />
traf sich zu einem regelmäßigen Austausch, um<br />
organisatorische und inhaltliche Fragen abzuklären, – Lernziele,<br />
Zuteilung <strong>der</strong> SchülerInnen zu den jeweiligen Themen<br />
bzw. Lehrern, Raumeinteilung usw.<br />
Die SchülerInnen sollten alle Facetten des Regenwaldes<br />
kennen lernen<br />
Im Rahmen <strong>der</strong> Besprechungen formulierten wir folgende<br />
Lernziele, die sich aus dem Ideenkatalog und den festgelegten<br />
Themenbereichen ergaben:<br />
Die SchülerInnen sollen<br />
• den Lebensraum Regenwald kennen lernen<br />
• die Notwendigkeit <strong>der</strong> Erhaltung des Lebensraumes<br />
erkennen<br />
• Bedingungen, die im Lebensraum herrschen, mit den<br />
Sinnen aufnehmen (Glashaus)<br />
• die Auswirkungen von Regenwaldzerstörung erkennen<br />
und Lösungen finden – was kann man gegen die<br />
Zerstörung tun?<br />
• Mitgefühl mit den Menschen entwickeln, die im<br />
Regenwald leben, und einsehen, dass man ihnen ihren<br />
Lebensraum nimmt<br />
• einsehen, dass unser Konsumverhalten Auswirkungen<br />
auf die Zerstörung des Regenwaldes haben kann<br />
Die SchülerInnen hefteten<br />
ihre Ideen für die Projektwoche<br />
an diese Pinnwand
Genau geplant<br />
Die Zeiteinteilung für die Projektwoche: Pro Tag vier Einheiten<br />
zu 60 Minuten. So standen längere Arbeitsphasen zur<br />
Verfügung.<br />
In einem Organisationsplan hatten wir in einem Raster den<br />
geplanten Ablauf festgehalten: Zuordnung <strong>der</strong> SchülerInnen<br />
und LehrerInnen zu den einzelnen Themenbereichen, Projekteinheiten<br />
und Räumen. Zum Teil waren pro Gruppe zwei<br />
LehrerInnen zugeteilt.<br />
Am Beginn <strong>der</strong> Projektwoche erhielt jede Klasse einen Organisationsplan.<br />
Die drei EDV-Räume versahen wir ebenfalls<br />
mit einem Organisationsplan, da SchülerInnen hier Informationen<br />
aus dem Internet bearbeiteten und recherchierten<br />
und auch Zusammenfassungen schrieben.<br />
Zur Sache<br />
Die SchülerInnen <strong>der</strong> ersten Klasse (5. Schulstufe) beschäftigten<br />
sich mit <strong>der</strong> Artenvielfalt im Regenwald. Dazu suchten<br />
sie Bil<strong>der</strong> von Tieren und Pflanzen im Internet und<br />
beschrieben sie auf Karteiblättern. Anschließend ordneten<br />
sie diese dem Stockwerksbau im Regenwald zu. Sie erfuhren<br />
vom Lehrer, dass tropische Zimmerpflanzen, die es bei uns<br />
zu kaufen gibt, aus den Regenwäl<strong>der</strong>n kommen. Sie<br />
beschäftigten sich eingehend mit <strong>der</strong> Vielfalt tropischer<br />
Früchte und stellten ein köstliches Früchtebüfett her. Eine<br />
Rezeptsammlung für alkoholfreie Fruchtcocktails rundete<br />
das Thema ab.<br />
Ein Teil <strong>der</strong> SchülerInnen <strong>der</strong> fünften Klasse (9. Schulstufe)<br />
arbeitete an <strong>der</strong> Programmierung von Lernspielen zur Tierund<br />
Pflanzenwelt des Regenwaldes.<br />
Die SchülerInnen <strong>der</strong> sechsten Klasse studierten englische<br />
Texte, die von <strong>der</strong> Problematik des Regenwaldes handelten,<br />
übersetzten diese ins Deutsche und diskutiert darüber. Sie<br />
erstellten auch Kurzfassungen von Texten zu verschiedenen<br />
SchülerInnen verfassen<br />
englische Texte<br />
Um in den Dschungel zu gelangen, müssen<br />
die Affen die gefährliche Schlucht über eine<br />
unsichere Wackelbrücke überwinden<br />
Schützt den Regenwald – er geht uns alle an / 89<br />
Themen wie „Bedrohter Lebensraum“, „El Nino“ und „Klimaverän<strong>der</strong>ungen“.<br />
Weitere Aktivitäten: die Erstellung eines Videofilms in digitaler<br />
Form und einer Regenwaldzeitung<br />
Neben den arbeitsintensiven Aufgaben kam auch die Bewegung<br />
in dieser Woche nicht zu kurz. Dafür baute eine Schülergruppe<br />
mit Hilfe zweier TurnlehrerInnen einen Dschungelparcours<br />
auf. Der kam bei den SchülerInnen von <strong>der</strong> 1. bis<br />
zur 6. Klasse so gut an, dass nach <strong>der</strong> Projektwoche <strong>der</strong> Parcours<br />
noch einmal aufgebaut wurde.<br />
Abschließend schrieben alle SchülerInnen ihre Wünsche für<br />
den Regenwald auf einen Zettel. Einige befestigten ihre<br />
Wünsche an Luftballons und ließen diese beim Regenwaldfest<br />
in die Lüfte steigen.<br />
Eine Gruppe von SchülerInnen erstellte mit dem Webmaster<br />
<strong>der</strong> Schule Internet-Seiten über das Projekt.<br />
Informationen über unser Projekt finden Sie unter:<br />
http://www.hrs-webling.at/regenwald<br />
Den Regenwald feiern<br />
Ein großes Regenwaldfest, bei dem die SchülerInnen die<br />
Ergebnisse <strong>der</strong> Woche präsentierten, rundete das Projekt ab.<br />
Dazu luden wir Eltern, Verwandte, Bekannte und die Sponsoren<br />
ein. Beson<strong>der</strong>s freuten wir uns, dass Lehrer unserer<br />
Comenius-Partnerschulen aus Italien und Schweden mitfeiern<br />
konnten, da gerade Arbeitsgespräche zu dieser Zeit<br />
stattfanden.<br />
In einem Raum hatten wir ein reichhaltiges Büffet aufgebaut.<br />
Duft und Geruch <strong>der</strong> zauberhaften Speisen und<br />
Fruchtcocktails gaben einen kleinen Eindruck von <strong>der</strong> Vielfalt<br />
<strong>der</strong> Regenwäl<strong>der</strong>. Wer genau wissen wollte, um welche<br />
Früchte es sich hier handelte, konnte sich bei <strong>der</strong> Früchteausstellung<br />
informieren.
Präsentation <strong>der</strong> Talkshow zur Situation <strong>der</strong> Plantagenarbeiter<br />
Auf Plakaten wurden die Ergebnisse <strong>der</strong> Arbeitsgruppen<br />
präsentiert. Das Zentrum des Festes bildete <strong>der</strong> Turnsaal.<br />
Hier führten alle Klassen auf einer Bühne Beiträge zum<br />
Regenwald vor: den Regenwaldsong, eine Talkshow über die<br />
Situation <strong>der</strong> Plantagenarbeiter im Regenwald, einen kritischen<br />
Text über „Bru<strong>der</strong> Baum“, englische Texte über den<br />
Regenwald u.v.m.<br />
Dazu wurden eine Diashow über den Regenwald, ein Videofilm<br />
über die Aktivitäten während <strong>der</strong> Projektwochen und<br />
die Internetseite mit <strong>der</strong> Projekthomepage präsentiert.<br />
Was ist beson<strong>der</strong>s gut angekommen?<br />
Wie aus <strong>der</strong> Projektdokumentation ersichtlich ist (Umfrage<br />
<strong>der</strong> SchülerInnen), kamen die Diashow von Mag. Kunz und<br />
<strong>der</strong> Dschungelparcours sehr gut an. Auch die kritischen<br />
Texte regten die SchülerInnen <strong>der</strong> 6. Klasse zu eifrigen Diskussionen<br />
an. Die Workshops <strong>der</strong> Agentur Südwind waren<br />
für die Kin<strong>der</strong> sehr abwechslungsreich. Alles in allem waren<br />
sie von dieser Woche deshalb so begeistert, weil das Thema<br />
„Regenwald“ so vielschichtig durchleuchtet wurde.<br />
Was könnte man än<strong>der</strong>n?<br />
Wir würden bei einer Projektwoche, die wie<strong>der</strong>um die<br />
gesamte Schule betrifft, eine an<strong>der</strong>e Verteilung <strong>der</strong> Stundeneinheiten<br />
vornehmen. Es wäre wahrscheinlich besser,<br />
wenn zwei bis drei Lehrer ein Thema anbieten (altersgemäß<br />
aufbereitet) und die SchülerInnen zu diesen Lehrern „arbeiten“<br />
kommen, d. h. sie wählen selbst aus, was sie machen<br />
möchten. Wir haben nämlich eine Einteilung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zu<br />
den entsprechenden Klassenlehrern gewählt. Nur einige Fix-<br />
punkte (wie Diavortrag, Dschungelparcours und Gewächshaus<br />
des Botanischen Gartens) waren für alle SchülerInnen<br />
verpflichtend.<br />
Geför<strong>der</strong>t wurde dieses Projekt vom Bundesministerium für<br />
Bildung, Wissenschaft und Kultur (Bereich Umwelt), von <strong>der</strong><br />
Agentur Südwind NÖ und Graz, von den Bezirksämtern<br />
Strassgang und Wetzelsorf in Graz und vom Elternverein <strong>der</strong><br />
Schule.<br />
Geleitet wurde dieses Projekt von HOL Maria Drescher und<br />
HOL Angelina Blaschke.<br />
Literatur:<br />
Bärtels, Andreas, 1996: Farbatlas Tropenpflanzen, Ulmer Verlag<br />
Blancke, Rolf, 1999: Farbatlas Pflanzen <strong>der</strong> Karibik u. Mittelamerikas,<br />
Ulmer Verlag<br />
Blancke, Rolf, 2000: Farbatlas Exotische Früchte, Obst und Gemüse <strong>der</strong><br />
Tropen und Subtropen, Ulmer Verlag<br />
Brandl, Franz, 1997: Cocktails ohne Alkohol, Cormoran im Südwestverlag<br />
Faszination Tierleben. Verblüffende Entdeckungen aus <strong>der</strong> Tierwelt.<br />
Orbis 2001<br />
Gogger, Harold G., 1999: Enzyklopädie <strong>der</strong> Reptilien u. Amphibien,<br />
Bechtermünz Verlag<br />
Münzing, Ingeborg, 2001: Kursbuch gesunde Ernährung, Bechtermünz<br />
Verlag<br />
Nowak, Bernd; Schulz, Bettina, 1998: Bestimmungsbuch Tropische<br />
Früchte. Biologie, Verwendung, Anbau und Ernte; BLV Verlagsgesellschaft<br />
mbH<br />
Preston-Mafham, Rod & Ken, 2000: Das große Buch <strong>der</strong> Insekten,<br />
Dumont<br />
Rias-Bucher, Barbara, 1998: Exotische Früchte, Verlag Heyne<br />
Rohwer, Jens G., 2000: Pflanzen <strong>der</strong> Tropen. BLV Verlagsgesellschaft mbH<br />
CD-Rom, Mit Alex auf Reisen in den Regenwald, Klett<br />
CD-Rom, Naturwissenschaften begreifen und anwenden<br />
Links, die sich auf unserer Projektseite befinden, haben wir verwendet –<br />
sind empfehlenswert: http://www.hrs-webling.at/regenwald<br />
Angelina Blaschke<br />
unterrichtet Informatik, Deutsch und Bildnerische<br />
Erziehung an <strong>der</strong> Haupt- und Re<strong>als</strong>chule Graz-Webling.<br />
Sie arbeitete mit an den Lehrplänen für das Modell <strong>der</strong><br />
Re<strong>als</strong>chule – eine sechsjährige Pflichtschulform.
Sigrun Lange<br />
Faszination Anden<br />
Eine Computer-Reise durch tropische Bergwäl<strong>der</strong><br />
Eintauchen in den tropischen Bergwald<br />
Anschauen, lesen, zuhören und eintauchen in fremde Welten:<br />
Das können alle, die sich auf eine virtuelle Reise in die<br />
Bergregenwäl<strong>der</strong> Südecuadors einlassen wollen. Die CD<br />
„Faszination Anden“ lädt SchülerInnen ab <strong>der</strong> 9. Klasse und<br />
alle Naturbegeisterten ein, die Schönheit dieses Lebensraumes<br />
mit seinen Tier- und Pflanzenarten zu entdecken. INKA<br />
– Internationales Netzwerk für Kultur- und Artenvielfalt e.V.<br />
entwickelte die CD in deutscher und spanischer Sprache, um<br />
die Bedeutung <strong>der</strong> Bergregenwäl<strong>der</strong> hervorzuheben. Damit<br />
soll eine Wissenslücke geschlossen werden: Im öffentlichen<br />
Bewusstsein wurden bisher vor allem die Tieflandregenwäl<strong>der</strong><br />
des Amazonasgebietes wahrgenommen, die durch Holzeinschlag,<br />
Ausbeutung von Bodenschätzen und Monokul-<br />
turanbau bedroht sind. Der dramatische Verlust <strong>der</strong> Bergwäl<strong>der</strong><br />
findet kaum Beachtung, obwohl diese <strong>als</strong> Wassereinzugsgebiet,<br />
Erosionsschutz und für den Erhalt genetischer<br />
Ressourcen eine beson<strong>der</strong>s wichtige Rolle spielen.<br />
Der virtuell Reisende ist eingeladen, die Zusammenhänge<br />
zwischen Pflanzen und Tieren kennen zu lernen. Er erfährt<br />
beispielsweise, dass tropische Fle<strong>der</strong>mäuse nicht nur blutsaugende<br />
Vampire sind, son<strong>der</strong>n vor allem wichtige Bestäuber<br />
von Fruchtbäumen und Heilkräutern. Schließt man die<br />
Augen, so tragen einen die Geräusche <strong>der</strong> Fle<strong>der</strong>mäuse mit-<br />
ten hinein in den Bergwald. Kurzfilme geben Einblick in die<br />
Vogelwelt Südecuadors. Am Ende <strong>der</strong> Reise lädt ein Fragenkatalog<br />
ein, sein Wissen zu testen.<br />
Artenreiche Lebensräume von globaler Bedeutung<br />
Ab einer Höhe von etwa 1500 Meter werden die tropischen<br />
Tieflandwäl<strong>der</strong> von den so genannten Bergregenwäl<strong>der</strong>n<br />
abgelöst. Typisch sind die vielen Epiphyten, dass heißt auf<br />
Bäumen wachsende Pflanzen. In höheren Lagen, etwa ab<br />
2500 Meter, schließen sich die meist in Wolken gehüllten<br />
Nebelwäl<strong>der</strong> an. Man nennt sie auch „Augenbraue des<br />
Dschungels“ o<strong>der</strong> spanisch „Ceja andina“. Ihr undurchdringliches<br />
Dickicht von niedrigen Bäumen, Sträuchern und Lianen<br />
erinnert an die Haarbüschel einer Augenbraue.<br />
Die tropischen Bergwäl<strong>der</strong> <strong>der</strong> Anden zählen zu den artenreichsten<br />
Lebensräumen unserer Erde. Sie beherbergen<br />
15 Prozent aller bekannten Pflanzen, <strong>als</strong>o etwa 45.000<br />
Arten. Im Bergwald des Podocarpus Nationalpark in Südecuador<br />
zählten ForscherInnen auf einer Fläche von 146<br />
Quadratkilometern bis zu 4000 Pflanzenarten. In Deutschland<br />
wachsen rund 3300 Arten. Im Jahr 2000 wurden die<br />
Bergwäl<strong>der</strong> <strong>der</strong> tropischen Anden von <strong>der</strong> Organisation<br />
Conservation International <strong>als</strong> „Biodiversitäts-Hotspots“<br />
ausgewiesen. Diese Gebiete zeichnen sich durch eine<br />
extrem vielfältige Pflanzenwelt und einen hohen Grad an<br />
Endemismus aus, was heißt, dass viele Pflanzen nur in dieser<br />
Region und nirgendwo sonst auf <strong>der</strong> Welt vorkommen.<br />
Die Isolierung vieler Berge während <strong>der</strong> letzten Eiszeit ist<br />
verantwortlich für den hohen Anteil an endemischen Arten.<br />
Natürliche Rutschungen auf steilen Hängen sowie die Vielfalt<br />
von trockenen Bergrücken bis hin zu feuchten Schluch-
92<br />
/ Faszination Anden<br />
ten sorgen für eine Bandbreite ökologischer Nischen im<br />
Bergwald. Dieser Reichtum an genetischer Vielfalt kommt<br />
auch uns zugute: Viele Kulturpflanzen wie Kartoffeln,<br />
Tomaten, Bohnen kommen ursprünglich aus dem Andenraum,<br />
aber auch Heilpflanzen wie die Chinarinde, aus <strong>der</strong><br />
das Malariamittel Chinin gewonnen wurde. Ein weiteres<br />
Kriterium für die Ausweisung eines Gebietes <strong>als</strong> „Biodiversitäts-Hotspot“<br />
ist die starke Gefährdung dieses Lebensraumes.<br />
Sauberes Trinkwasser<br />
Tropische Bergwäl<strong>der</strong> spielen eine entscheidende Rolle für<br />
sauberes Trinkwasser. Nie<strong>der</strong>schläge werden vom Blattwerk<br />
abgefangen und erst nach und nach an den Boden weitergegeben.<br />
Das einsickernde Wasser wird durch das Erdreich<br />
gefiltert. Werden Bergwäl<strong>der</strong> zerstört, droht starke Bodenerosion,<br />
da die Erde nicht mehr von dichtem Wurzelwerk<br />
gehalten wird. Nach den für die Tropen typischen starken<br />
Regenfällen stürzt das Wasser ungehin<strong>der</strong>t die Hänge hinab<br />
und löst Muren aus. Nebelwäl<strong>der</strong> kämmen mit ihrem reich<br />
verzweigten Ast- und Blattwerk weitere Feuchtigkeit aus<br />
den tief hängenden Wolkenschwaden heraus und leiten<br />
diese an das Erdreich weiter. Die zusätzliche Feuchtigkeit<br />
kann bis zu 20 Prozent <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>schläge ausmachen und<br />
ist damit ein wichtiger Faktor im Wasserhaushalt.<br />
Unbekanntes Forschungsgebiet<br />
In tropischen Bergwäl<strong>der</strong>n können WissenschaftlerInnen<br />
noch auf Entdeckungsreise gehen: Sie gehören zu den am<br />
wenigsten erforschten Gebieten unserer Erde. Nature and<br />
Culture International (NCI), die Partnerorganisation von<br />
INKA e.V., versucht Forschung zu för<strong>der</strong>n. 1997 wurde die<br />
Forschungsstation ECSF (Estacion Cientifica San Francisco)<br />
im südecuadorianischen Bergwald errichtet. Sie bietet<br />
Arbeitsräume, Labors und Unterkünfte für 40 WissenschaftlerInnen.<br />
Im Mittelpunkt des Interesses: Der Vergleich zwischen<br />
gestörten und ungestörten Bergwäl<strong>der</strong>n. „Bis heute<br />
ist unklar, welche Bedeutung die Artenvielfalt für das Funktionieren<br />
des Ökosystems hat“, so Prof. Fiedler, Sprecher <strong>der</strong><br />
deutschen Forschergruppe auf <strong>der</strong> ECSF. An die Nutzung <strong>der</strong><br />
Forschungsstation ist die Bedingung geknüpft, die wissenschaftlichen<br />
Arbeiten in die spanische Sprache zu übersetzen,<br />
um sie für angewandte Projekte, Lehre und Öffentlichkeitsarbeit<br />
im Land nutzbar zu machen.<br />
Bergwäl<strong>der</strong> – wie lange noch?<br />
Vor 30 Jahren existierten weltweit noch etwa 50 Millionen<br />
Hektar Nebelwald, heute sind nur noch kleine Restbestände<br />
erhalten. Philip Bubb, Direktor <strong>der</strong> 1999 in England gegründeten<br />
„Initiative Tropischer Bergwald“, schätzt, dass im<br />
nördlichen Andenraum bereits 90 Prozent <strong>der</strong> Nebelwäl<strong>der</strong><br />
verschwunden sind. „In zehn Jahren werden die südamerikanischen<br />
Nebelwäl<strong>der</strong> Geschichte sein“, warnt Percy<br />
Nuñez, ein peruanischer Bergwaldforscher.<br />
Werden auch die letzten Hänge gerodet, hat dies weitreichende<br />
Folgen – auch für die Tieflandregenwäl<strong>der</strong> im Amazonasgebiet.<br />
Viele Flüsse des Amazonasbeckens, wie <strong>der</strong> Rio<br />
Napo, entspringen den Ostabhängen <strong>der</strong> Anden. Laut einer<br />
im Oktober 2001 im Science Magazin vorgestellten Studie<br />
aus dem Monteverde Nationalpark in Costa Rica beeinflusst<br />
auch die Zerstörung <strong>der</strong> Tieflandregenwäl<strong>der</strong> die Existenz<br />
<strong>der</strong> Bergwäl<strong>der</strong>. Entwaldung hat generell zur Folge,<br />
dass mehr Wärme von <strong>der</strong> Erdoberfläche in die Atmosphäre<br />
entweichen kann. Dies bewirkt, dass die Luft über entwaldeten<br />
Flächen höher steigen muss, um Wolken zu bilden. Da<br />
<strong>der</strong> Lebensraum Nebelwald von tief hängenden Wolken<br />
geprägt ist, könnte die Zerstörung <strong>der</strong> Tieflandwäl<strong>der</strong> und<br />
die damit einhergehende Klimaverän<strong>der</strong>ung die Austrocknung<br />
dieser Wäl<strong>der</strong> bewirken. Mit den tropischen Bergwäl<strong>der</strong>n<br />
<strong>als</strong> bedeutenden Zentren biologischer Vielfalt verschwinden<br />
auch viele Pflanzen- und Tierarten für immer.<br />
Es bleibt zu hoffen, dass wir den Wettlauf mit <strong>der</strong> Zeit<br />
gewinnen und es schaffen, die letzten Bergwaldreste zu<br />
erhalten – um ihrer Schönheit willen und zu unserem eigenen<br />
Nutzen.<br />
INKA e.V. setzt auf Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit, um<br />
ein Bewusstsein für den Wert dieser Wäl<strong>der</strong> zu schaffen. Die<br />
CD-Rom „Faszination Anden“ kann für 12 Euro (inklusive<br />
Versandkosten) bestellt werden bei INKA e.V., Gravelottestr.<br />
6, D-81667 München<br />
Weitere Infos unter: Tel. 0049/(0)89/45 91 19-19,<br />
E-Mail: info@inka-ev.de, Web: http://www.inka-ev.de<br />
Mag. Sigrun Lange<br />
ist Diplom-Biologin und bei INKA e.V. für<br />
Projektkoordination, Webseite und <strong>Umweltbildung</strong><br />
zuständig.
Kurt Zernig<br />
bananenrot und himbeerblau<br />
Vom Keim <strong>der</strong> Fantasie zur Frucht des Erkenntnis<br />
„Am Anfang war die Erde eine Erbse.“<br />
Barbara Baumann<br />
Früchte sind für einen Botaniker spannende Gebilde. Neben<br />
<strong>der</strong> unglaublichen Formenvielfalt faszinieren vor allem die<br />
unterschiedlichen Mechanismen, mit denen Früchte für die<br />
Ausbreitung <strong>der</strong> in ihnen heranreifenden Samen sorgen.<br />
Manche Früchte bzw. Samen können fliegen, an<strong>der</strong>e sind<br />
ausgezeichnete Schwimmer; manche benutzen Tiere <strong>als</strong><br />
Taxi und einige Früchte schleu<strong>der</strong>n ihre Samen sogar explosionsartig<br />
von sich. Daneben haben Früchte aber auch noch<br />
an<strong>der</strong>e Qualitäten: unscheinbar klein o<strong>der</strong> riesengroß,<br />
leuchtend knallbunt o<strong>der</strong> grau, wohlschmeckend o<strong>der</strong><br />
wi<strong>der</strong>lich, herrlich nach Vanille duftend o<strong>der</strong> abscheulich<br />
nach Aas.<br />
In je<strong>der</strong> Frucht ist eine Vielzahl an Sinneseindrücken,<br />
Geschichten und Geheimnissen verborgen. Diese gilt es zu<br />
ergründen und einzelne solcher Entdeckungen zu präsentieren.<br />
Eine Son<strong>der</strong>ausstellung im Landesmuseum Joanneum<br />
und ein Buch sollen entstehen – und beides speziell für Kin<strong>der</strong>!<br />
Am Anfang ist die Schreibwerkstatt<br />
Ein Team wird zusammengestellt, dem die bildende Künstlerin<br />
Luise Kloos, <strong>der</strong> Jugendbuchautor Heinz Janisch und<br />
ich <strong>als</strong> Botaniker angehören. Eine Schreibwerkstätte mit<br />
Kin<strong>der</strong>n bildet unseren Ausgangspunkt: Einerseits müssen<br />
Texte für das Buch erarbeitet werden, an<strong>der</strong>erseits erhoffen<br />
wir uns auch viele Anregungen, Hinweise und Tipps zur<br />
Gestaltung <strong>der</strong> Ausstellung.<br />
Eine uns bekannte Deutschlehrerin informiert mehrere Kin<strong>der</strong><br />
über das Thema, und die entscheiden sich dann freiwillig,<br />
ob sie bei uns mitarbeiten wollen. Die Hälfte <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />
besucht eine Hauptschule, die an<strong>der</strong>e Hälfte kommt aus<br />
Gymnasien, ein Mädchen geht noch zur Volksschule. Insgesamt<br />
werden 15 Kin<strong>der</strong> im Alter von 9 bis 13 Jahren ausgewählt.<br />
Es wird sich herausstellen, dass die 10- bis 12-Jährigen<br />
die größte Begeisterung entwickeln.<br />
Zwei junge Schriftstellerinnen werden von <strong>der</strong> Seychellen-Nuss zu einer<br />
Geschichte inspiriert<br />
Gemeinsam tauchen wir an zwei Wochenenden in die<br />
geheimnisvolle Welt <strong>der</strong> Früchte ein. Gearbeitet wird samstags<br />
und sonntags, von 9 bis 17 Uhr mit zwei Stunden Mittagspause.<br />
Als Arbeitsräume dienen zwei Räume, die später<br />
auch einen Teil <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>ausstellung beherbergen.<br />
Auf einer langen Tischreihe liegt dicht gedrängt eine Auswahl<br />
aus <strong>der</strong> Früchte- und Samensammlung des Landesmuseums<br />
Joanneum. Um auch die kleinsten Details von Früchten<br />
und Samen erkennen zu können, blicken wir durch ein<br />
Binokular. Einige Bücher, hauptsächlich Bildwerke, stehen<br />
den jungen Entdeckern ebenfalls zur Verfügung. Die größte<br />
Attraktion ist aber ein kleiner Tisch, auf dem jeden Tag eine<br />
neue Auswahl an exotischen Früchten offeriert wird.
94<br />
/ bananenrot und himbeerblau<br />
Erst wenn die Sprache lustvoll erfahren wird,<br />
macht die Schreib-Arbeit Spaß<br />
Es mag riskant erscheinen, den Kin<strong>der</strong>n reale Sammlungsstücke<br />
in die Hand zu geben. Oft sind es historische Einzelstücke,<br />
die nicht so ohne weiteres wie<strong>der</strong> beschaffbar sind.<br />
Die Erfahrung zeigt aber, dass Kin<strong>der</strong> sehr wohl in <strong>der</strong> Lage<br />
sind, ihren Wert zu ermessen; Vorsicht und oft sogar Ehrfurcht<br />
kennzeichnen den Umgang <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> mit den<br />
Sammlungsstücken.<br />
Mit Hilfe <strong>der</strong> ausgestellten Objekte werden verschiedene<br />
botanische Themen angesprochen: <strong>der</strong> mehrschichtige Aufbau<br />
<strong>der</strong> Kokosnuss ermöglicht ihr zu schwimmen; Früchte<br />
fliegen mit unterschiedlichen „Flugapparaten“; die roten<br />
Beeren <strong>der</strong> Eberesche sind eine wohlschmeckende Vogelmahlzeit;<br />
auf tropischen Bäumen wachsen bohnenartige,<br />
bis zu einen Meter lange Hülsenfrüchte ...<br />
Die Schreibwerkstatt darf man sich nicht vorstellen <strong>als</strong><br />
einen langen Tisch mit fünfzehn Sesseln, fünfzehn gespitzten<br />
Bleistiften und fünfzehn leise vor sich hin schreibenden<br />
Kin<strong>der</strong>n! Körper, Stimme, Bewegung gehören ebenso dazu<br />
wie Musik. Die Kin<strong>der</strong> werden angeregt, ihre Ideen in Bildgeschichten<br />
auszudrücken, Kochrezepte, Witze und Rätsel<br />
zu gestalten. Aus dem Zeichnen und Malen heraus werden<br />
oft neue Worte gefunden, manchmal entstehen daraus<br />
ganze Geschichten.<br />
Wichtige Voraussetzung für das Gelingen <strong>der</strong> Schreibwerkstatt<br />
ist, dass die Kin<strong>der</strong> jeden Vorschlag, jede Idee einbringen<br />
können müssen. Die Ernsthaftigkeit hinter dem Spaß<br />
muss dabei spürbar werden. Niemand wird bloßgestellt, alle<br />
Texte sind gleichwertig. Ermutigung – im Sinne von Mut<br />
machen ist die beste Motivation. Das Vertrauen in die<br />
beson<strong>der</strong>en Fähigkeiten aller Teilnehmer muss immer wie<strong>der</strong><br />
neu bestätigt und bestärkt werden.<br />
„Nichts ist zu klein für die Literatur” ist das Motto von Heinz<br />
Janisch. So interviewen die Jungliteraten verschiedene<br />
Früchte, schreiben Briefe an eine Frucht, gießen fruchtige<br />
Eigenschaften in Reime und Gedichte, ersinnen Kalen<strong>der</strong>sprüche,<br />
denken sich Früchte-Märchen aus.<br />
Beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeit genießen die bereit liegenden<br />
exotischen Früchte: Zuerst werden sie genau von außen<br />
betrachtet. Fachgerecht zerteilt geben die Früchte ihr<br />
Innenleben preis. Das löst oft großes Erstaunen aus. Nach<br />
ausgiebigem Betrachten und Beschnuppern folgt <strong>der</strong> Höhepunkt:<br />
die Früchte werden verkostet. Je nachdem, ob ihnen<br />
die Früchte geschmeckt haben, formulieren sie dann Lobo<strong>der</strong><br />
Pfuireden.<br />
Eine Mappe liegt <strong>als</strong> „Sammelbecken” bereit. Je<strong>der</strong> entscheidet<br />
für sich, wann ein Text, ein Bild zur Abgabe bereit<br />
ist. Zuerst werden die Texte aber den drei Betreuern zum<br />
Lesen gegeben. Gespannt warten die Kin<strong>der</strong> auf die Reaktionen.<br />
Sie sind vor allem neugierig, ob wir Erwachsene zu<br />
unterschiedlichen Meinungen kommen. Vertrauensför<strong>der</strong>nd<br />
wirkt wohl auch, dass von Beginn an eine gute Rechtschreibung<br />
nicht Voraussetzung ist, um gute Texte zu schreiben.<br />
Die Rechtschreibfehler sind niem<strong>als</strong> Thema unserer Textbesprechungen.<br />
Beson<strong>der</strong>es bemühen wir uns, eine bildhafte Sprache zu för<strong>der</strong>n.<br />
Um das Vokabular zur Beschreibung von Geschmack,<br />
Aussehen, Geruch usw. spielerisch zu erweitern, wandelt<br />
Luise Kloos das bekannte Spiel „Stadt, Land“ ab. So müssen<br />
zu einem bestimmten Buchstaben Worte in den Kategorien<br />
Frucht, Land, Geschmack, Farbe, Geruch usw. gefunden werden.<br />
Hun<strong>der</strong>te von Texten entstehen. Neue Früchte tauchen auf,<br />
neue Ideen werden entwickelt. Jede Frucht und je<strong>der</strong> Samen<br />
ist es wert, genau betrachtet zu werden. Jedes Detail interessiert<br />
uns. Die Erbse ist ebenso eine Geschichte wert wie<br />
die Kokosnuss. Spielerisch werden so immer neue Zugänge<br />
gefunden. Auch <strong>der</strong> kleinste Apfelkern ist einem Jungen ein<br />
Gedicht wert: „Im Apfelkern wohnt <strong>der</strong> Keimungsstern“<br />
Die unterschiedlichen Herangehensweisen <strong>der</strong> drei Betreuungspersonen<br />
– sprachlich und sprachspielerisch, künstle-
Es könnte doch sein, dass eine Himbeere aus Scham blau geworden<br />
ist. O<strong>der</strong> eine Zitrone Wetterberichte erstellt ...<br />
risch und wissenschaftlich – wurden meist gemeinsam eingebracht.<br />
So war einerseits für die nötige Abwechslung<br />
gesorgt, an<strong>der</strong>erseits konnte sich jedes Kind auf <strong>der</strong> Ebene<br />
betätigen, zu <strong>der</strong> es gerade die meiste Lust empfand.<br />
Aus Kin<strong>der</strong>texten wird ein Buch<br />
All die Texte werden von den drei Betreuern mit Punkten<br />
bewertet. In einer gemeinsamen Besprechung werden die<br />
Texte mit den meisten Punkten für das Buch ausgewählt.<br />
Die letzte Entscheidung darüber, ob ein Text ins Buch aufgenommen<br />
wird, liegt bei Luise Kloos, die das Buch auch<br />
gestaltet.<br />
Sie legt Wert auf qualitativ hochwertige Materialien und<br />
auf ein Design, das trotz <strong>der</strong> Vielfalt einen Gesamteindruck<br />
beim Lesen und Schauen ermöglicht. Schließlich wird damit<br />
doch die Wertschätzung für die Kin<strong>der</strong> <strong>als</strong> Leser gezeigt.<br />
Die Früchte werden mit unterschiedlichen Medien dargestellt,<br />
in Zeichnungen, Malereien und Fotografien. Die Fotos<br />
zeigen vor allem die exotischen Früchte wegen ihrer Fremdheit<br />
in größtmöglicher Realitätstreue. Bei den an<strong>der</strong>en<br />
Früchten wechseln sich Realismus und Abstraktion ab, um<br />
Form und Farbe, Geschmack und Geruch, Eigenschaften und<br />
Lebensformen darzustellen. Die Grundlage für die gestalte-<br />
bananenrot und himbeerblau / 95<br />
rische Überlegung ist aber <strong>der</strong> Text selbst, <strong>der</strong> ja auch immer<br />
in die Bildelemente einbezogen wird.<br />
Die Sinnlichkeit <strong>der</strong> Früchte will Luise Kloos auch durch die<br />
Wahl <strong>der</strong> Materialien zum Ausdruck bringen. So werden<br />
verschiedene Papiere gewählt: Alle Windfrüchte fliegen auf<br />
einem Transparentpapier daher, um das Luftige, Schwebende,<br />
Leichte dieser Früchte zu unterstreichen. Eine gefalzte<br />
Seite zum Aufklappen macht das Geheimnis <strong>der</strong> Seychellennuss<br />
auch greifbar.<br />
Die Arbeit aller Beteiligten wird hochoffiziell belohnt: Das<br />
Buch erhält den Österreichischen Kin<strong>der</strong>- und Jugendbuchpreis<br />
1999 in <strong>der</strong> Kategorie Sachbuch. In erster Linie hat <strong>der</strong><br />
Erfolg des Buches mit den sprachschöpferischen Leistungen<br />
<strong>der</strong> schreibenden Kin<strong>der</strong> zu tun. Ihre Fantasie, ihre Lust am<br />
Fabulieren, Erfinden, Erzählen, ihr Eintauchen in diese Welt<br />
<strong>der</strong> Gerüche, Formen und Farben machen das Buch so spannend.<br />
Früchte einer Ausstellung<br />
In drei Räumen auf etwa 250 Quadratmeter ermöglicht eine<br />
Son<strong>der</strong>ausstellung am Landesmuseum Joanneum eine fantastische<br />
Reise in die Welt <strong>der</strong> Früchte und Samen. In <strong>der</strong><br />
Gestaltung <strong>der</strong> Ausstellung folgt Luise Kloos <strong>der</strong> Gestaltung<br />
des Buches. Ein sonniges Gelb <strong>als</strong> Hauptfarbe an den Wänden<br />
vermittelt Wärme und Geborgenheit, noch verstärkt<br />
durch einen Teppichboden, <strong>der</strong> zum Hinsetzen einlädt.<br />
In großen Vitrinen erzählen wir Geschichten: die Geschichte<br />
von den Mistelbeeren, <strong>der</strong>en Kerne von den Misteldrosseln<br />
hoch in den Bäumen an Äste geklebt werden; die<br />
Geschichte vom Eichhörnchen, das vergrabene Haselnüsse<br />
vergisst; die Geschichte von <strong>der</strong> langen Reise <strong>der</strong> Kokosnuss<br />
über die Weltmeere ...<br />
Auch in <strong>der</strong> Ausstellung wechseln Realismus und Abstraktion<br />
einan<strong>der</strong> ab: während die Tiere <strong>als</strong> ausgestopfte Präparate<br />
in klassischer Weise gezeigt werden, müssen spiralig<br />
gedrehte Aluminiumstangen die Äste und Zweige einer<br />
Eberesche genauso darstellen wie die eines Haselstrauches<br />
und einer Zirbe.<br />
In die Wände sind kleine würfelförmige Vitrinen eingelassen.<br />
In ihnen werden Modelle von Obstsorten gezeigt, die<br />
vor etwa 150 Jahren angefertigt wurden; und ein Querschnitt<br />
durch die Formenfülle von Früchten und Samen aus<br />
aller Welt. Die Art <strong>der</strong> Präsentation dieser 124 Objekte in<br />
den kleinen Vitrinen erinnert nicht umsonst an Ausstellungen<br />
von teuren Schmuckstücken.<br />
Beson<strong>der</strong>s behutsam sind die Texte eingesetzt. Wir wollen ja<br />
niemandem den Eindruck vermitteln, dass er ein aufge
96<br />
/ bananenrot und himbeerblau<br />
Mit einer Performance in Orange wird die Son<strong>der</strong>ausstellung eröffnet<br />
Die Kunstwerke <strong>der</strong> jungen Besucher werden in einer eigenen Galerie<br />
präsentiert<br />
schlagenes Schulbuch betritt! Daher sind alle Erläuterungstexte<br />
hinter Klappen versteckt und müssen aktiv entdeckt<br />
werden – ein Gegenentwurf zum „Schulbuch im Raum”.<br />
Eigene Aktivität ist in <strong>der</strong> Ausstellung sowieso gefor<strong>der</strong>t:<br />
Mit einem Mikroskop kann ein Käfer genau studiert werden.<br />
Auf Knopfdruck singt eine Amsel am Vogelbeerbaum ihr<br />
Lied, worauf <strong>der</strong> Eichelhäher mit seinem Krächzen antwortet<br />
– o<strong>der</strong> man kann den Flug <strong>der</strong> „Hubschrauberfrucht“ des<br />
Ahornbaumes in <strong>der</strong> „Flugmaschine“ bestaunen. In einer<br />
Geruchsgalerie sind feine Nasen gefragt, will man nur auf<br />
Grund des Duftes erkennen, welche Früchte sich dahinter<br />
verbergen.<br />
Erreichen wollen wir in erster Linie eine fantasievolle Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
mit Früchten und Samen. Ein Zeichen- und<br />
Malwettbewerb bündelt die künstlerischen Aktivitäten <strong>der</strong><br />
jungen Besucher. Über 1000 eingesendete Kunstwerke<br />
bezeugen, dass <strong>der</strong> „Samen <strong>der</strong> Fantasie” in <strong>der</strong> Ausstellung<br />
bei den Besuchern reichlich Früchte getragen hat. Monatlich<br />
wird eine Auswahl von dreißig Werken in einer eigenen<br />
„bananenrot“-Galerie ausgestellt.<br />
Und wo bleibt die Erkenntnis?<br />
Jetzt haben die Kin<strong>der</strong> – und auch wir Erwachsenen – viel<br />
Spaß gehabt. War es das dann auch schon? Die sinnlichemotionale<br />
Annäherung, das Ermuntern zum Fantasieren<br />
mag für ein naturwissenschaftliches Thema ungewöhnlich<br />
erscheinen, ist man doch eher den Weg <strong>der</strong> Präsentation<br />
von „harten Fakten” gewohnt. Doch ist erst einmal <strong>der</strong> Bann<br />
gebrochen, sind die Kin<strong>der</strong> bereit, ihre Fantasie und Kreativität<br />
einzubringen. Dann suchen sie auch aus eigenem<br />
Antrieb heraus Erklärungen. Da die Erkenntniserlebnisse in<br />
diesen Fällen mit positiven Gefühlen verbunden sind, kann<br />
<strong>als</strong> These durchaus behauptet werden, dass dieser Lernerfolg<br />
lang anhalten wird.<br />
„Wenn die Erde eine Kokosnuss wäre, würde es statt Erdöl<br />
Kokosmilch geben.” Für David, <strong>der</strong> hier den Schalenbau <strong>der</strong><br />
Erde mit den Schichten <strong>der</strong> Kokosnuss vergleicht, wird die<br />
Kokosnuss nie mehr eine runde, recht dünnschalige Kugel<br />
wie im Werbefernsehen sein! Er weiß, dass bei diesen Früchten<br />
in Wirklichkeit noch eine zusätzliche dicke Faserschicht<br />
vorhanden ist.<br />
Die Son<strong>der</strong>ausstellung „bananenrot und himbeerblau – Die<br />
Geheimnisse <strong>der</strong> Früchte” war im Steirischen Landesmuseum<br />
Joanneum in <strong>der</strong> Zeit vom 19. 09. 1998 bis zum 28. 03.<br />
1999 zu erleben.<br />
Literatur<br />
Kloos, Luise; Janisch, Heinz; Zernig, Kurt; 1998: „bananenrot und him-<br />
beerblau – Die Geheimnisse <strong>der</strong> Früchte” (Hrsg.: Landesmuseum<br />
Joanneum, Graz) Medienfabrik Graz.<br />
Kurt Zernig<br />
arbeitet <strong>als</strong> Biologe im Referat für Botanik am Steiermärkischen<br />
Landesmuseum Joanneum in Graz.
Gertrude Zulka-Schaller<br />
Rettungsinseln – Inselrettung<br />
Vermittlung aktueller Naturschutzprobleme<br />
im Naturhistorischen Museum Wien<br />
Ozonloch, Treibhauseffekt, großflächige Zerstörung von<br />
Lebensräumen und weltweit rapi<strong>der</strong> Artenverlust. Angesichts<br />
<strong>der</strong> globalen ökologischen Umweltkrisen müssen wir<br />
uns <strong>als</strong> VermittlerInnen fragen, wie wir an Schülerinnen und<br />
Schüler herantreten können, ohne schon von vornherein auf<br />
Frustration und Abwehr zu stoßen. Wir lösen nicht nur<br />
Betroffenheit aus, son<strong>der</strong>n wir hinterlassen oft auch ein<br />
Gefühl <strong>der</strong> Hilflosigkeit. Zu global sind die Probleme, zu weit<br />
weg, <strong>als</strong> dass ein einzelner von uns wirklich etwas ausrichten<br />
könnte.<br />
Ökologische Probleme finden wir aber nicht nur irgendwo in<br />
Brasilien o<strong>der</strong> am Südpol. Wenn wir die Landschaft in unserer<br />
nächsten Umgebung genauer betrachten, sehen wir uns<br />
auch hier mit gravierenden Naturschutzproblemen und<br />
gefährlichen ökologischen Entwicklungen konfrontiert.<br />
Naturnahe Lebensräume werden immer weniger und kleiner<br />
und wenn man sie noch findet, dann meist nur mehr in<br />
Form von Inseln, weit voneinan<strong>der</strong> entfernt, isoliert und<br />
getrennt durch Fel<strong>der</strong>, Äcker, Straßen und Siedlungen. Das<br />
Wiener Becken – zum Beispiel – ist von Fel<strong>der</strong>n und Äckern<br />
geprägt. Niemand würde in dieser monotonen Kulturlandschaft<br />
noch beson<strong>der</strong>e Naturschönheiten erwarten. Dennoch<br />
liegen an vielen Stellen kleine Lebensraum-Inseln wie<br />
Oasen in die Kulturwüste eingebettet. Sie beherbergen eine<br />
vielfältige Tier- und Pflanzenwelt. Auch seltene Arten – wie<br />
Kuhschellen, Zwergschwertlilien, Segelfalter und Smaragdeidechsen<br />
finden hier Lebensraum. Diese Trockenrasen sind<br />
zu Rettungsinseln für viele Arten geworden, die in <strong>der</strong><br />
intensiv genutzten Agrarlandschaft sonst nirgends mehr<br />
leben können. Aber die Aussichten sind schlecht. Düngemittel<br />
und Insektenbekämpfungsmittel vergiften den Boden.<br />
Sträucher verdrängen die artenreichen Rasen. Vielen Arten<br />
gelingt es nicht mehr, an<strong>der</strong>e Trockenrasen-Inseln zu errei-<br />
chen. In schlechten Jahren können die Individuenzahlen so<br />
klein werden, dass die Arten genetisch verarmen und<br />
schließlich aussterben. Die Rettungsinseln bedürfen <strong>der</strong><br />
Inselrettung. Wenn es nicht gelingt, die Lebensraum-Inseln<br />
wie<strong>der</strong> miteinan<strong>der</strong> zu verbinden, können künftige Generationen<br />
Artenvielfalt nur mehr aus Büchern o<strong>der</strong> aus Museen<br />
kennen lernen.<br />
Artenvielfalt – hoffentlich nicht nur im Museum!<br />
Kaum jemand hat bis jetzt von Lebensraum-Verinselung und<br />
Lebensraum-Zerstückelung und ihren Folgen für die Biodiversität<br />
gehört. Das Wissen darüber ist nur in Lehrbüchern,<br />
vorwiegend in englischer Sprache, abgehandelt und somit<br />
Fachleuten vorbehalten. In Schulbüchern findet man zwar<br />
die Biologie von Schmetterlingen und Heuschrecken sowie<br />
die Ökologie von Trockenrasen beschrieben. Das ist aber nur<br />
die halbe Wahrheit. Die an<strong>der</strong>e Hälfte müsste davon handeln,<br />
ob und wie Trockenrasen-Arten Äcker, Siedlungen und<br />
Autobahnen überwinden können und wie geeignete Naturschutzmaßnahmen<br />
in einer zerstückelten Landschaft aussehen<br />
könnten.<br />
Was kann ein Naturhistorisches Museum zur Vermittlung<br />
von Biodiversität beitragen? Das Museum besitzt eine reiche<br />
wissenschaftliche Sammlung. Artenvielfalt kann <strong>als</strong>o<br />
hier gut illustriert werden. Aber wird Artenvielfalt in<br />
Zukunft nur noch in Museen anhand bereits ausgestorbener<br />
Organismen zur Schau gestellt werden? Unsere Schülerinnen<br />
und Schüler sollen auch noch nach Jahrzehnten eine<br />
Vielfalt an Tieren und Pflanzen in freier Natur antreffen,<br />
wenn sie durch ihre Landschaft wan<strong>der</strong>n. Kann <strong>als</strong>o das<br />
Museum darüber hinaus auch zu einem Ort <strong>der</strong> Vermittlung<br />
von aktuellen, brisanten Naturschutzproblemen werden?<br />
Wir haben die Probe aufs Exempel gemacht. Gemeinsam mit
98<br />
/ Rettungsinseln – Inselrettung<br />
Disteln – stachelige Pflanzenwelt auf Trockenrasen<br />
einem Naturschutzbiologen und einer Zoologin <strong>der</strong> Universität<br />
Wien haben Vermittler des Naturhistorischen<br />
Museums ein Projekt entwickelt und Schulklassen in das<br />
Museum und auf einen Trockenrasen eingeladen. Das Projekt<br />
wurde vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft<br />
und Kultur geför<strong>der</strong>t.<br />
Rettungsinseln – Inselrettung: ein Projekt<br />
im Naturhistorischen Museum Wien<br />
Zu Beginn des dreistündigen Projekts führen wir die Schüler<br />
in die Schausammlung, wo wir typische Tiere und Pflanzen<br />
des Trockenrasens vorstellen und besprechen. Danach illustrieren<br />
Dias von intakten Trockenrasen, Großaufnahmen von<br />
eindrucksvollen Tieren und Pflanzen und eine Geräuschkulisse<br />
zirpen<strong>der</strong> Grillen, wie attraktiv dieser Lebensraum sein<br />
kann.<br />
Alles ist schön und in bester Ordnung ...<br />
O<strong>der</strong> doch nicht? Verlässt man den Trockenrasen und blickt<br />
von ferne zurück, bietet sich ein völlig an<strong>der</strong>es Bild: Die<br />
wun<strong>der</strong>schönen Stellen werden zu kleinen Inseln, umgeben<br />
von einem Meer von Fel<strong>der</strong>n und Äckern. Damit die Inselsituation<br />
dieser Lebensräume noch deutlicher wird, zeigen<br />
wir den Schülern abwechselnd Trockenrasen-Inseln im Wiener<br />
Becken und Inseln mitten im Ozean. Das Meer ist für uns<br />
Menschen lebensfeindlich und unüberwindlich. Ein Schiffbrüchiger<br />
ist zwar fürs Erste gerettet, aber letztendlich auch<br />
auf <strong>der</strong> Insel gefangen. Genauso ergeht es den Tieren und<br />
Pflanzen auf ihren Trockenrasen-Inseln. Viele von ihnen<br />
können die Fel<strong>der</strong>, Weingärten, Straßen und Siedlungen<br />
nicht überqueren, um neue Lebensräume zu erreichen. Sie<br />
sind im Meer <strong>der</strong> Kulturwüste verloren.<br />
Simulation am Spielbrett<br />
Damit wir Fragmentation und Isolation von Lebensräumen<br />
überhaupt erst wahrnehmen können, müssen wir unseren<br />
Blick auf die gesamte Landschaft richten und große Gebiete<br />
überblicken. Das geht am besten aus <strong>der</strong> Vogelperspektive.<br />
Das ganze Ausmaß <strong>der</strong> Zerstückelung und Isolation von<br />
Lebensräumen erkennt man erst vom Flugzeug aus o<strong>der</strong> auf<br />
Luftbil<strong>der</strong>n. Überdies ist Fragmentierung ein schleichen<strong>der</strong><br />
Vorgang. Aussterbensprozesse hinken den auslösenden Eingriffen<br />
um lange Zeit nach. Wir sehen allerdings immer nur<br />
die momentane Situation.<br />
Deshalb haben wir <strong>als</strong> Dreh- und Angelpunkt unserer Vermittlung<br />
ein Inselspiel entwickelt und die Landschaft auf<br />
ein Spielbrett gemalt. Wir bekommen einen Überblick über<br />
das Geschehen und können Vorgänge in kurzer Zeit simulieren,<br />
die sonst Jahrzehnte dauern. Wir können Eingriffe ausprobieren<br />
und zusehen, was passiert. Nicht von ungefähr ist<br />
Metapopulationsökologie – <strong>als</strong>o die Dynamik von Lebewesen<br />
in zerstückelten Landschaften, mit mathematischen<br />
Modellen und Computersimulationen erforscht worden. Das<br />
Spiel leistet Ähnliches.<br />
Auf einem Brettspiel sind einige Trockenrasen-Inseln verteilt,<br />
die durch Agrarland voneinan<strong>der</strong> getrennt sind. Im<br />
Spiel leben vier typische Tier- und Pflanzenarten auf den<br />
Trockenrasen-Inseln in <strong>der</strong> Kulturlandschaft. Einige dieser<br />
Trockenrasen sind bereits besiedelt, an<strong>der</strong>e sind noch unbewohnt.<br />
Die Schüler und Schülerinnen schlüpfen in die Rollen<br />
von Eidechsen, Schmetterlingen, Heuschrecken und<br />
Steppenrollern und müssen versuchen, möglichst viele<br />
Inseln zu kolonisieren. Auf ihrer Wan<strong>der</strong>ung warten jedoch<br />
viele Gefahren. Auf beson<strong>der</strong>en Fel<strong>der</strong>n entscheidet eine<br />
Ereigniskarte, ob das Tier vom Traktor erfasst wird, an<br />
Schwäche stirbt o<strong>der</strong> vielleicht mit dem Wind vorangetrieben<br />
wird.<br />
Der Spielplan verän<strong>der</strong>t sich, wie das für eine Kulturlandschaft<br />
nicht an<strong>der</strong>s zu erwarten ist: Schafherden weiden<br />
auf den Trockenrasen, Parasiten befallen die Heuschrecken,<br />
Fel<strong>der</strong> werden umgeackert o<strong>der</strong> mit Gift besprüht, Büsche<br />
gerodet, Brachen und Ackerrandstreifen angelegt, eine<br />
Autobahn wird gebaut. Wie sich diese Aktionen auswirken,<br />
können die Schüler am eigenen Leib erleben, wenn sie in<br />
den Rollen von Tieren und Pflanzen am Existenzkampf <strong>der</strong><br />
Lebewesen teilnehmen. Populationsbiologie, Landschaftsökologie<br />
und Metapopulationsdynamik werden so zum spielerischen<br />
Abenteuer.
Wer sind die Sieger, wer die Verlierer? Waren die Eidechsen<br />
die schlechteren Strategen? Schon während des Spiels<br />
wurde den Spielenden bewusst: „Die Eidechsen haben es<br />
wirklich schwer“. Sind große Inseln artenreicher? Wie wertvoll<br />
sind kleine Inseln? Brauchen verschiedene Arten unterschiedliche<br />
Schutzkonzepte? Die Schüler und Schülerinnen<br />
schil<strong>der</strong>n ihre Erfahrungen mit eigenen Worten. Sie entwickeln<br />
Ideen, Hypothesen und Theorien, die auch professionelle<br />
Naturschutzbiologen beschäftigen und die – wenn<br />
auch in an<strong>der</strong>er Formulierung, in Lehrbüchern und Fachartikeln<br />
zu finden sind. Aus dem Spiel ist Realität geworden.<br />
Erkundungsraupen, Ökologen<br />
und Umweltdetektive<br />
Ein „Steppenroller“ –<br />
erkennbar an seiner<br />
Karte an <strong>der</strong> Brust –<br />
nimmt lebhaft Anteil<br />
am Schicksal seiner<br />
Gruppe<br />
Der Lebensraum <strong>der</strong><br />
Smaragdeidechse ist<br />
bedroht<br />
Im nächsten Schritt wollen wir überprüfen, ob die Hypothesen<br />
und Theorien, die wir in <strong>der</strong> Diskussion entwickelt<br />
haben, <strong>der</strong> Realität standhalten. Dazu besuchen wir einen<br />
Trockenrasen.<br />
Die Schüler sollen den Lebensraum und seine Grenzen vorerst<br />
nicht nur sehen, son<strong>der</strong>n auch mit an<strong>der</strong>en Sinnen<br />
wahrnehmen. Dazu verbinden wir den Schülern die Augen<br />
und fädeln sie wie die Segmente einer Raupe an einem Seil<br />
auf. Das Seil ist das Verbindungsstück zwischen den<br />
Schülern und dem Gruppenleiter, <strong>der</strong> <strong>als</strong> sehen<strong>der</strong> Kopf die<br />
Rettungsinseln – Inselrettung / 99<br />
Erkundungsraupe: SchülerInnen erkunden blind die Umgebung<br />
Raupe anführt. Nun lenkt <strong>der</strong> Raupenführer seine Rumpfglie<strong>der</strong><br />
durch die Landschaft, abseits vom Weg, den Wegrain<br />
entlang, einen kurzen Abstecher in das Feld, in die Brache,<br />
lässt die Schüler hin und wie<strong>der</strong> etwas betasten, den Untergrund<br />
prüfen, an bestimmten Stellen etwas erschnuppern,<br />
bis die Raupe schließlich im Trockenrasen gelandet ist. Im<br />
Trockenrasen können die Schüler ihre Binden abnehmen<br />
und schil<strong>der</strong>n, welche Elemente <strong>der</strong> Landschaft sie wahrgenommen<br />
haben. Die Schülerinnen und Schüler sollen keine<br />
Lehrbuchdefinition eines Trockenrasens lernen, son<strong>der</strong>n sie<br />
sollen den Trockenrasen erleben und selber feststellen, wie<br />
er sich von seiner Umgebung unterscheidet.<br />
Im nächsten Programmpunkt überprüfen wir, ob Trockenrasen<br />
artenreicher sind <strong>als</strong> die umliegenden Fel<strong>der</strong>. Die<br />
Schüler untersuchen in Kleingruppen jeweils eine Fläche<br />
von 25 Quadratmetern im Trockenrasen und im Acker; die<br />
gefangenen Tiere werden vorsichtig in Glasbehälter gesetzt.<br />
Bei einer Besprechung zeigen die BetreuerInnen, welche<br />
Organismen für den Trockenrasen charakteristisch sind und<br />
warum sie nur im Trockenrasen vorkommen. Die Unterschiede<br />
zwischen den Untersuchungsflächen machen die<br />
Unwirtlichkeit von Äckern für bestimmte Organismen klar.<br />
Zum Schluss werden die gefangenen Tiere wie<strong>der</strong> freigelassen.<br />
Beim Umherschweifen können sich die Schüler <strong>als</strong> Umweltdetektive<br />
betätigen und in einem Arbeitsblatt Spuren dokumentieren,<br />
die von menschlichen Aktivitäten zeugen. Gibt<br />
es einen Hochstand, eine Fütterungsstelle, Sitzbänke. Sieht<br />
man Mountainbikespuren, Müllablagerungen o<strong>der</strong> die Einwirkung<br />
von Düngemitteln? Wie nutzt <strong>der</strong> Mensch die<br />
Trockenrasen?
100 / Rettungsinseln – Inselrettung<br />
Sammeln: SchülerInnen untersuchen einen Trockenrasen<br />
und seine Bewohner<br />
Wir lassen den Blick in die Ferne schweifen und sehen Fel<strong>der</strong>,<br />
Wege, Straßen, Siedlungen – nur eines sehen wir nicht:<br />
den nächsten Trockenrasen. Um den nächsten Trockenrasen<br />
zu finden, müssen wir schon Landkarten, Luftbil<strong>der</strong> und<br />
Feldstecher bemühen. Oft liegen viele Kilometer zwischen<br />
unserem Standort und dem nächsten Trockenrasen. Die Vorstellung,<br />
eine Heuschrecke o<strong>der</strong> Eidechse könnte von hier<br />
zur nächsten Insel gelangen, fällt uns schwer. Auf <strong>der</strong> Suche<br />
nach Verbindungswegen, so genannten Korridoren, die die<br />
Tiere zum nächsten Lebensraum leiten könnten, merken wir<br />
schnell: Heuschrecken und Zauneidechsen haben kaum eine<br />
Chance. Wir denken zurück an das Inselspiel im Museum.<br />
Wir erinnern uns an die vielen Gefahren, die den Tieren auf<br />
den Fel<strong>der</strong>n drohten. In <strong>der</strong> Realität wirken die Entfernungen<br />
aber noch unüberwindlicher, scheinen die Aussichten,<br />
<strong>der</strong> Insel im Notfall entfliehen zu können, noch geringer. Die<br />
SchülerInnen erkennen den Ernst <strong>der</strong> Lage, doch sie wissen<br />
mittlerweile auch, wie Abhilfe geschaffen werden kann. Mit<br />
Brachen, Wegrän<strong>der</strong>n und Ackerrandstreifen kann den<br />
Trockenrasenbewohnern geholfen werden. Nur wer das Problem<br />
<strong>der</strong> Lebensraum-Verinselung erkannt und die Ursachen<br />
erforscht hat, kann auch Lösungen finden. Und wenn<br />
wir weiterdenken, so merken wir, dass nicht nur Trockenrasen<br />
von <strong>der</strong> Verinselung betroffen sind, son<strong>der</strong>n auch Wäl<strong>der</strong>,<br />
Moore, Feuchtwiesen und viele an<strong>der</strong>e Lebensräume.<br />
... und was den SchülerInnen vom Projekt blieb<br />
Wir haben die Schüler und Schülerinnen gebeten, nach den<br />
Projekten im Museum und im Freiland Fragebögen auszufüllen.<br />
Aus den Antworten sehen wir, dass vor allem das<br />
Spiel gut angekommen ist. Ein Schüler schrieb: „Ihr habt mir<br />
ein Thema gut verständlich vermittelt: Erst wenn man sich<br />
in die Rolle eines Tieres begibt, weiß man, wie sie sich<br />
fühlen beim Überqueren <strong>der</strong> Äcker!“ Es wird aber auch klar,<br />
dass viele SchülerInnen das Problem <strong>der</strong> Lebensraum-Verinselung<br />
erkannt und verstanden haben: „Stell dir vor, alle<br />
Mädchen sind in Amerika und du musst über den Ozean<br />
schwimmen. So ist es mit den Trockenrasen.“<br />
Organisatorisches<br />
Dauer:<br />
3-stündiges Projekt im Naturhistorischen Museum Wien<br />
3-stündige Freiland-Exkursion<br />
Anmeldung:<br />
Mag. Gertrude Zulka-Schaller<br />
Naturhistorisches Museum Wien<br />
Tel.: 01/521 77-335<br />
Mo, Mi–Fr 9–12 Uhr<br />
SchülerInnenanzahl:<br />
Museum: max. 24<br />
Freiland: max.12<br />
(bei größeren Schülerzahlen muss ein zweites Projekt<br />
gebucht werden)<br />
Altersstufe: ab <strong>der</strong> 7. Schulstufe<br />
beson<strong>der</strong>s geeignet für Wahlpflichtfächer<br />
Kosten (ab 1. 1. 2003):<br />
Museumsteil: pro SchülerIn € 6,– + Eintritt € 2,–<br />
Freilandteil: bis max. 12 SchülerInnen € 72,–<br />
Mag. Gertrude Zulka-Schaller<br />
bringt <strong>als</strong> Museumspädagogin das Naturhistorische Museum<br />
Wien ins Gespräch. Die Biologin arbeitet mit an Son<strong>der</strong>ausstellungen,<br />
konzipiert Vermittlungsprogramme, erstellt<br />
Lehrerinfos, schult und betreut freie MitarbeiterInnen.
Manfred Durchhalter, Martin Scheuch<br />
„GEO-Tag <strong>der</strong> Artenvielfalt“<br />
am Ökogymnasium Krems<br />
Biodiversität am Beispiel <strong>der</strong> Vegetation des Kremser Kuhberges<br />
Zwei Lehrerinnen <strong>der</strong> Fächer Biologie und Geographie<br />
machten Artenvielfalt zum fächerübergreifenden Unterrichtsthema.<br />
Aus Anlass des GEO-Tages – alljährlich vom<br />
Magazin GEO <strong>als</strong> Tag <strong>der</strong> Artenvielfalt ausgerufen - luden<br />
sie uns <strong>als</strong> Vegetationsökologen ein, mit ihrer 7. Klasse<br />
einen Projekttag zur Biodiversität am Beispiel <strong>der</strong><br />
Gefäßpflanzen zu gestalten.<br />
Projektziele<br />
Wir wollen das Interesse für die lebendige Vielfalt wecken,<br />
die uns umgibt. Dafür die Gruppe <strong>der</strong> Gefäßpflanzen zu verwenden,<br />
liegt in diesem Fall nahe: Die höheren Pflanzen<br />
sind eine übersichtliche Gruppe und die Artbestimmung<br />
funktioniert mit einfachen Mitteln, Büchern und Lupen gut.<br />
Wir beide sind mit <strong>der</strong> Flora halbwegs vertraut. Die SchülerInnen<br />
des Ökogymnasiums, in einem speziellen Lehrplan<br />
unterrichtet, verfügen zudem über Grundwissen <strong>der</strong> Pflanzensystematik<br />
und Pflanzenbestimmung.<br />
Wir wollen zeigen, in welcher Beziehung Pflanzen zu ihrer<br />
Umwelt stehen und wie <strong>der</strong> Mensch Kulturlandschaft<br />
gestaltet. Der Mensch hat in <strong>der</strong> Vergangenheit durch<br />
Rodung und Landwirtschaft vielen Arten Lebensraum<br />
geschaffen; jedoch zerstört er diese Lebensräume im Verlauf<br />
<strong>der</strong> industriellen Revolution und bis herauf in die Gegenwart.<br />
Wir wollen den SchülerInnen die Vielfalt an Gefäßpflanzen<br />
zeigen, die ihnen zunächst wohl nur <strong>als</strong> gleichförmige Wild-<br />
nis erschienen ist. Wichtig war uns das genaue Schauen, die<br />
Suche nach den unterscheidenden Merkmalen; dadurch soll<br />
die Wahrnehmung geschärft werden.<br />
Das Forschen in <strong>der</strong> Natur soll die Arbeit des Freilandökologen<br />
erlebbar machen. An den Pflanzen des Kuhbergs sollten<br />
<strong>der</strong> Naturschutz und seine Konsequenzen deutlich werden.<br />
Erleben <strong>als</strong> Projektziel<br />
• Vielfalt wahrnehmen durch genaues Schauen und<br />
systematisches Suchen<br />
• Schönheit sehen, Landschaft neu entdecken<br />
• Staunen <strong>als</strong> Anlass zur eigenen Beschäftigung mit<br />
Natur<br />
Erkenntnisse <strong>als</strong> Projektziel<br />
• Wissen über lokale Vielfalt erwerben, dessen weltweite<br />
Gültigkeit erkennen<br />
• SchülerInnen sammeln alle Arten ihrer Biotoptypen, um<br />
<strong>der</strong>en Eigenschaften mit Hilfe <strong>der</strong> Pflanzen zu beschreiben:<br />
Dazu verwenden sie die Wuchsformentypen, die<br />
Zeigerwerte von Ellenberg 1 und eigene Beobachtungen.<br />
• Unterschiede aller Biotoptypen werden herausgearbeitet<br />
• Artenschutz ist nur mit Hilfe von Biotopschutz sinnvoll
102<br />
/ „GEO-Tag <strong>der</strong> Artenvielfalt“ am Ökogymnasium<br />
Vorbereitung im Unterricht<br />
Um auf ein solides Grundwissen <strong>der</strong> Klasse aufbauen zu<br />
können, legten wir gemeinsam mit den Lehrerinnen Lehrinhalte<br />
fest. Die Biologielehrerin behandelte Gefäßpflanzenfamilien<br />
und das Fachvokabular. Sie übte mit den SchülerInnen<br />
das Bestimmen, damit diese mit dem Bestimmungsschlüssel<br />
vertraut werden. Der Unterricht beschäftigte sich<br />
auch mit dem Biodiversitätskonzept und einer Einführung in<br />
das Untersuchungsgebiet (siehe Box „Hintergrund“). Die<br />
Geographielehrerin behandelte den Menschen <strong>als</strong> Gestalter<br />
<strong>der</strong> Kulturlandschaft, die Landschaftsökologie und die Funktion<br />
<strong>der</strong> Landschaftselemente. Die Naturschutzpolitik wurde<br />
am Beispiel des europäischen Netzwerks NATURA2000 2 und<br />
dessen Grundlagen in <strong>der</strong> FFH-Richtlinie 3 und <strong>der</strong> Vogelschutzrichtlinie<br />
behandelt.<br />
Treffen in <strong>der</strong> Schule<br />
Als letzte Vorbereitung für den Projekttag diente eine Doppelstunde<br />
in <strong>der</strong> Schule, wo wir erstm<strong>als</strong> mit den SchülerInnen<br />
zusammentrafen. Zu Beginn sammelten wir in einer<br />
Runde Assoziationen zum Thema Vielfalt. Um Probleme bei<br />
<strong>der</strong> Ordnung von Vielfalt bewusst zu machen, spielten wir<br />
mit den Caminalcules (siehe Box „Spiele“).<br />
Ausgehend von diesen Erfahrungen diskutierten wir die<br />
Ordnungskriterien und die Vielfalt in unserem Umfeld. Nach<br />
dem zweiten Spiel „Autotypen - Pflanzenarten“ (siehe Box<br />
„Spiele“) schlossen wir einen vertiefenden Vortrag zur<br />
Biodiversität und ihrem Wert an.<br />
Abschließend präsentierten wir unsere Pläne, gefolgt von<br />
einer Verhandlung zwischen den SchülerInnen, <strong>der</strong> Lehrerin<br />
und uns über den Ablauf des Forschungstages. So wurde <strong>der</strong><br />
Bestimmen und Herbarisieren im Feld<br />
Vorschlag eines gemeinsamen Herbars verworfen, dafür<br />
festgehalten, dass Raum für individuelles Herbarisieren sein<br />
müsse. Der Vorschlag, die Lebensräume auf Postern zu präsentieren,<br />
wurde von SchülerInnen eingebracht. Die einzelnen<br />
Punkte hielten wir in Form eines schriftlichen Vertrag<br />
fest, <strong>der</strong> von allen Beteiligten unterschrieben wurde. Wir<br />
verfassten eine Arbeitsbeschreibung, damit je<strong>der</strong> wusste,<br />
was sein Aufgabenbereich bei <strong>der</strong> Freilandarbeit sein würde.<br />
Die SchülerInnen hatten sich in Gruppen den Landschaftselementen<br />
zuzuteilen.<br />
Projekttag<br />
Am Morgen gingen wir mit den SchülerInnen das Untersuchungsgebiet<br />
ab und besprachen die einzelnen Landschaftselemente<br />
(siehe Box „Hintergrund“). Themen waren<br />
menschliche Einflüsse sowie mikroklimatische und bodenbedingte<br />
Eigenschaften. Danach starteten die Gruppen, um<br />
in den zugewiesenen Landschaftselementen alle für sie<br />
unterscheidbaren Gefäßpflanzen zu sammeln. Die Feldarbeit<br />
und die entsprechenden Standorte wurden von <strong>der</strong> Lehrerin<br />
und den SchülerInnen mit einer Digitalkamera dokumentiert.<br />
Bei seltenen Arten - weniger <strong>als</strong> fünf Exemplare in<br />
unmittelbarer Umgebung – durften die Pflanzen nicht<br />
gepflückt werden. Wir halfen den SchülerInnen, diese am<br />
Standort zu bestimmen. Das Besammeln <strong>der</strong> Landschaftselemente<br />
machte den SchülerInnen Spaß.<br />
Wussten sie einmal nicht weiter, holten sie sich bei uns<br />
Hilfe. Für jedes Landschaftselement lag eine Liste bereit, in<br />
welche die SchülerInnen dann die bestimmten Arten eintrugen.<br />
Unbekannte Arten wurden zum größten Teil noch im<br />
Feld, <strong>der</strong> Rest in <strong>der</strong> Schule mit Hilfe von Binokularen<br />
bestimmt. Als Grundlage dienten vor allem die Bücher
„Exkursionsflora von Österreich“, „Exkursionsflora von<br />
Deutschland“ und die „Flora Helvetica“. Davon hatte jede<br />
Gruppe jeweils ein Exemplar zur Verfügung (siehe Box<br />
„Tipps“). Bei <strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong> Arten war die Erfolgsquote<br />
sehr hoch, da die SchülerInnen in Kleinteams arbeiteten<br />
(siehe Box „Tipps“).<br />
Auswertung in <strong>der</strong> Schule<br />
• Die SchülerInnen gaben die Artenlisten mit einem Code<br />
für jede Art in eine vorbereitete Access-Datenbank ein.<br />
• Mit digitalem Bildmaterial präsentierten SchülerInnen<br />
das Projekt auf <strong>der</strong> Homepage ihrer Schule:<br />
http://schulen.asn-noe.ac.at/gymkrems/<br />
• An<strong>der</strong>e SchülerInnen verfassten einen Artikel für die<br />
Lokalzeitung.<br />
• Pflanzen wurden zur Dokumentation in<br />
Schüler-Herbaren gepresst.<br />
Trotz <strong>der</strong> Anstrengung wurde bis zum Abend gearbeitet.<br />
Einzelne SchülerInnen „seilten“ sich ab, <strong>der</strong> Großteil aber<br />
blieb. Im nachbereitenden Unterricht wurden die offen<br />
gebliebenen Punkte - das Redigieren des Zeitungsartikels<br />
und das Nachschlagen in <strong>der</strong> Roten Liste - erledigt.<br />
Folgende Themen haben wir nachbearbeitet und den SchülerInnen<br />
geschickt, damit sie die Ergebnisse ihrer Arbeit<br />
nachvollziehen konnten.<br />
Einfache Auswertung <strong>der</strong> Daten:<br />
• Gesamtliste aller gefundenen Arten<br />
• Welcher Lebensraumtyp enthält die meisten gefundenen<br />
Arten und warum?<br />
Eingabe in die Datenbank<br />
•<br />
„GEO-Tag <strong>der</strong> Artenvielfalt“ am Ökogymnasium / 103<br />
Welche Arten kommen in nahezu jedem Lebensraum<br />
vor? Welche Arten kommen in nur einem Lebensraum<br />
vor? Welche Arten sind Generalisten, welche Spezialisten?<br />
• Arten, die nur in einem Lebensraumtyp vorkommen,<br />
sind durch Landschaftsverän<strong>der</strong>ungen stärker gefährdet.<br />
Was bedeutet das für den Artenschutz?<br />
Eingabe <strong>der</strong> Arten in die Internetdatenbank von GEO<br />
Reflexion<br />
Am Abend des Projekttages reflektierten wir gemeinsam mit<br />
<strong>der</strong> Biologielehrerin die Vorbereitung und den Projektablauf.<br />
Wir holten uns von den SchülerInnen Feedback durch anonyme<br />
Mind-Maps und Fragebögen. Interessanterweise<br />
schlugen SchülerInnen, Biologen und Lehrerin Ähnliches zur<br />
Verbesserung vor. Mit diesen Rückmeldungen planen wir<br />
das Folgeprojekt (siehe Box „Tipps“).<br />
Aus den Mind-Maps lassen sich folgende Rückmeldungen<br />
herausgreifen: Die prägendsten Naturerlebnisse waren die<br />
große Hitze, die lästigen Insekten, <strong>der</strong> persönliche Zuwachs<br />
von Artenkenntnis und die Erfolgserlebnisse beim Bestimmen<br />
<strong>der</strong> Pflanzen. Auch die Zusammenarbeit in <strong>der</strong> Kleingruppe<br />
wurde mehrm<strong>als</strong> erwähnt.<br />
Innovation<br />
Das innovative Element dieses Projektes ist die Verbindung<br />
von Wissenschaft und Schule: Wir Wissenschaftler gehen<br />
an die Schule und bereiten das Wissen gemeinsam mit den<br />
LehrerInnen didaktisch auf. Wir diskutierten unser Konzept<br />
mit den LehrerInnen und nutzten <strong>der</strong>en Berufswissen. Mit<br />
Sicherheit ist dieses Ergebnis des Forschungstages erst<br />
durch die gute persönliche Zusammenarbeit möglich<br />
geworden.
104<br />
/ „GEO-Tag <strong>der</strong> Artenvielfalt“ am Ökogymnasium<br />
Caminalcules<br />
Spiele<br />
1. Caminalcules<br />
(aus Robert R. Sokal, 1966)<br />
Die SchülerInnen spielen WissenschaftlerInnen. Sie kommen<br />
auf einem neuen Planeten an und sammeln verschiedene<br />
Individuen einer unbekannten Lebensform. Diese Wesen<br />
unterscheiden sich durch Merkmale wie Fleckenmuster am<br />
Rücken, Kopfformen und Fortbewegungsarten.<br />
In Zweiergruppen erhalten sie 29 Abbildungen <strong>der</strong> fiktiven<br />
Sippe <strong>der</strong> Caminalcules - benannt nach John Camin, einem<br />
Pflanzentaxonomen. Die SchülerInnen sollen die Caminalcules<br />
ordnen, das System wird offen gelassen. Die Zeit dafür<br />
beträgt zwanzig Minuten. Die erstellten Ordnungen werden<br />
auf Papierbögen aufgeklebt und mit den Varianten an<strong>der</strong>er<br />
Gruppen verglichen. Alle Lösungen sind richtig, aber nur so<br />
gut wie die verwendete Argumentation. In einer Runde werden<br />
die Strategien diskutiert, die zur Ordnung <strong>der</strong> Wesen<br />
verwendet wurden.<br />
Leitfragen <strong>der</strong> Diskussion waren:<br />
• Welche Merkmale waren wichtig für die Zuordnung zu<br />
einer Gruppe?<br />
• Gab es Merkmale, die wichtiger waren <strong>als</strong> an<strong>der</strong>e?<br />
• Gab es ein System, das einen Stammbaum durch eine<br />
erkennbare Hierarchie <strong>der</strong> Gruppen nahe legt? Fanden<br />
die SchülerInnen ursprüngliche und abgeleitete Merkmale?<br />
2. Autotypen & Pflanzenarten sammeln<br />
Vierergruppen erhalten je ein Blatt mit zwei Spalten. In jede<br />
Spalte sollen nun innnerhalb von fünf Minuten auf <strong>der</strong><br />
einen Seite möglichst viele Typen von Autos eingetragen<br />
werden, auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite möglichst viele Pflanzenarten.<br />
Wichtig ist dabei die kurze Arbeitszeit. Durch den Zeitdruck<br />
kommt es zu einer Abbildung <strong>der</strong> persönlichen Interessens-<br />
und Wertigkeitslandschaft. In einer Diskussion wird<br />
das Ergebnis verglichen – in welcher Spalte steht mehr?<br />
3. Rekursive Artensuche<br />
Die Arbeitsgruppen bekommen zu Beginn des Freilandteils<br />
auf einem Zettel je drei lateinische Pflanzennamen. Ihre<br />
Aufgabe besteht darin, diese Pflanzen mit Hilfe <strong>der</strong> Bestimmungsliteratur<br />
zu finden. Der übliche Weg sieht dabei so<br />
aus:<br />
- Identifizieren des deutschen Namens,<br />
- Nachschlagen in einem Bil<strong>der</strong>buch,<br />
- gemeinsame Suche.<br />
Wir wollen mit diesem Spiel den Bestimmungsablauf<br />
umdrehen und das genaue Schauen und Suchen herausfor<strong>der</strong>n.<br />
Hintergrund<br />
Das Untersuchungsgebiet liegt am Kuhberg bei Krems an<br />
<strong>der</strong> Donau. Auf 398 Meter Seehöhe sind von uns 4,5 Hektar<br />
Kulturlandschaft ausgewählt worden. Weingärten, Felsen<br />
und Legesteinmauern, Brachen verschiedenen Alters, Wald,<br />
Gebüsche und Hecken, Halbtrockenrasen und ein Lößhohlweg<br />
bieten uns ein vielfältiges Betätigungsfeld (sic!).<br />
Nach zweimaliger Durchführung des Projekts konnten wir<br />
265 Gefäßpflanzenarten nachweisen, ein Drittel <strong>der</strong> Arten<br />
ist in <strong>der</strong> Roten Liste für Österreich zu finden. Zwei Beson<strong>der</strong>heiten<br />
sind <strong>der</strong> Löwenzahnblättrige Pippau (Crepis taraxacifolia,<br />
Asteraceae) und die Heilwurz-Sommerwurz (Orobanche<br />
bartlingii, Orobanchaceae), die laut „Exkursionsflora<br />
von Österreich“ für Nie<strong>der</strong>österreich nicht bekannt sind.<br />
Tipps<br />
• Es hat sich herausgestellt, dass für den Projekttag eine<br />
Teilung in zwei aufeinan<strong>der</strong> folgende Tage sinnvoll<br />
wäre. Ein Tag sollte für die Sammel- und Bestimmungsarbeit,<br />
<strong>der</strong> zweite für Auswertungen zur Verfügung stehen.<br />
• Weitere Möglichkeiten in <strong>der</strong> Schule mit an<strong>der</strong>en<br />
Fächern zu kooperieren:<br />
- Geschichte und Sozialkunde können die Landschaftsgeschichte<br />
des Untersuchungsgebietes erforschen –<br />
anhand alter Karten (z.B. Franciscäischer Kataster um<br />
1820) o<strong>der</strong> mit Interviews (mehrere Zeitspannen möglich);<br />
- Bildnerische Erziehung kann Landschaftsästhetik und<br />
Wahrnehmung zum Thema machen, Land-Art <strong>als</strong><br />
gestalterisches Element im Umgang mit Natur einsetzen;<br />
- Informatik und Mathematik können mit Statistik zur<br />
Auswertung <strong>der</strong> Daten dienen, digitale Präsentationen<br />
erstellen (Powerpoint, Homepage);<br />
• Infos zum Tag <strong>der</strong> Artenvielfalt unter
http://www.geo.de/projekte/artenvielfalt/index.html<br />
o<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Homepage <strong>der</strong> Schule mit dem Bericht <strong>der</strong><br />
Schüler unter http://schulen.asn-noe.ac.at/gymkrems/<br />
• Statt Auto-Pflanzen-Sammelspiel bei Volksschülern<br />
können auch Pokémons-Pflanzen versucht werden.<br />
• Beim Besammeln <strong>der</strong> Landschaftselemente waren die<br />
Gruppen am erfolgreichsten, die die Sammelarbeit gut<br />
aufteilten - eine Person nur Gräser, eine nur gelb<br />
blühende Pflanzen, eine nur Gehölze, ...<br />
• Bestimmungsbücher:<br />
Umfangreiche Bildbestimmungsbücher in Farbe wie die<br />
„Flora Helvetica“ und „Was blüht denn da?“ fanden den<br />
meisten Zuspruch. Ihr Vorteil liegt im problemlosen<br />
Erreichen <strong>der</strong> Familien und Gattungen. Bei <strong>der</strong> Bestimmung<br />
auf Artniveau bleiben aber viele Unsicherheiten,<br />
da zumeist nicht alle Arten des Untersuchungsgebietes<br />
abgebildet sind.<br />
Sucht man innerhalb einer Gattung, lässt sich <strong>der</strong><br />
Atlasband <strong>der</strong> „Deutschen Exkursionsflora“ verwenden.<br />
Dieser stellt die Pflanzen in Strichzeichnungen dar und<br />
hebt die Unterschiede zwischen den einzelnen Arten<br />
hervor. Der dichotome Bestimmungsschlüssel <strong>der</strong><br />
„Exkursionsflora von Österreich“ wird zumeist <strong>als</strong> kompliziert<br />
empfunden. Das liegt zum einen am Fachvokabular,<br />
zum an<strong>der</strong>en an <strong>der</strong> spärlichen Bebil<strong>der</strong>ung.<br />
Allerdings beinhaltet nur dieses Buch alle in Österreich<br />
heimischen Wildpflanzen, was es unverzichtbar macht.<br />
Beim Bestimmen mit diesem Schlüssel hat sich <strong>als</strong> vorteilhaft<br />
erwiesen, wenn eine Person vorliest, eine zweite<br />
sich auf die Pflanze konzentriert.<br />
• Eine interessante Bestimmungsmöglichkeit bietet sich<br />
durch CD-ROMs:<br />
Die „Flora Helvetica auf CD-ROM“ ermöglicht in einem<br />
ersten Schritt durch Auswahl von Merkmalen eine Vorselektion,<br />
in einem zweiten Schritt wählt man daraus<br />
mittels Bil<strong>der</strong>n aus.<br />
„Schmeil-Fitschen interaktiv“ bietet einen herkömmlichen<br />
dichotomen Bestimmungsschlüssel mit vielen<br />
Zusatzinformationen zu den Arten. Österreich ist mit<br />
Ausnahme des Pannonikums auch erfasst.<br />
1) Die Ellenberg´schen Zeigerwerte geben für jede Pflanzenart an, unter<br />
welchen Bedingungen sie wächst. In Zahlenwerten sind die<br />
Ansprüche an Licht, Temperatur, Kontinentalität, Feuchte, pH-<br />
Wert, Stickstoffversorgung. Salzgehalt sowie die Schwermetalltoleranz<br />
<strong>der</strong> Pflanzen ausgedrückt.<br />
„GEO-Tag <strong>der</strong> Artenvielfalt“ am Ökogymnasium / 105<br />
2) Natura2000 ist das Naturschutzprogramm <strong>der</strong> Europäischen Union. EUweit<br />
soll ein ökologisches Netzwerk eingerichtet werden, in dem<br />
wertvolle Habitate sowie bedeutende Tier-und Pflanzenarten<br />
geschützt werden.<br />
3) FFH-Richtlinie <strong>der</strong> EU: In <strong>der</strong> Fauna-Flora-Habitatrichtlinie sind beson<strong>der</strong>s<br />
bedrohte Tier-und Pflanzenarten sowie <strong>der</strong>en Habitate festgeschrieben.<br />
Literatur<br />
Adler, W.; Oswald, K.; Fischer, R. (1994): Exkursionsflora von Österreich,<br />
Verlag Ulmer<br />
Aichele, D. (1977): Was blüht denn da? Franckh`sche Verlagshandlung,<br />
39. Auflage<br />
Lauber, K.; Wagner, G. (1996): Flora Helvetica, Verlag Paul Haupt, Bern,<br />
Stuttgart, Wien<br />
Niklfeld, H. (1999): Die Rote Listen gefährdeter Pflanzen Österreichs,<br />
austria medienservice; 2. Auflage<br />
Haupt Berne, P. (1997): Flora Helvetica auf CD-ROM, Version 1.0<br />
ISBN 3-258-05407-X<br />
Rothmaler, W. (1994): Exkursionsflora von Deutschland, Band 3 (Bildband),<br />
Verlag Fischer, Jena<br />
Seybold, S. (2001): Schmeil-Fitschen interaktiv, Quelle & Meyer<br />
ISBN 3-494-01298-9<br />
Sokal, R. (1966): Numerical Taxonomy, in Scientific American<br />
Vol 215, Nr.6 pp106-116<br />
Manfred Durchhalter<br />
Studiert Ökologie und Lehramt Biologie in Wien. Der ausgebildete<br />
Spiel- und Naturpädagoge betreut Schulprojekte<br />
und Ferienlager bei Freiraum, WWF-Seewinkelhof und dem<br />
Umweltspürnasen-Club.<br />
Martin Scheuch<br />
Studiert Ökologie und Botanik in Wien. Er arbeitet bei Freiraum<br />
in Spiel- und Erlebnispädagogischen Projekten und<br />
absolvierte den Lehrgang zum Outdoortrainer. Als Seminarleiter<br />
ist er für verschiedene Institutionen in <strong>der</strong> Naturvermittlung<br />
tätig. Außerdem: Jongleur und Äquilibrist.<br />
Beide Autoren sind Gründungsmitglie<strong>der</strong> von „Strohkopf –<br />
Verein zur biologischen Wissensvermittlung“, arbeiten im<br />
Forschungsmodul „LandschaftsBildungslandschaft“ des Kulturlandschaftsforschungsschwerpunktes<br />
mit und sind Teil<br />
des UMILE-Netzwerks (Umwelt Innovationen in <strong>der</strong> LehrerInnenbildung).
106<br />
Bernhard Kohler & Andreas Zahner<br />
Die Vielfalt im Netz<br />
Von Fischen, Sümpfen und dem Wert <strong>der</strong> Wasserwelten<br />
„Only in the last moment of human history has the delusion<br />
arisen that people can flourish apart from the rest of the<br />
living world“<br />
E. O. Wilson (1992): „The diversity of life“<br />
Auf den Punkt gebracht besteht die Hauptaufgabe von<br />
<strong>Umweltbildung</strong> darin, mit dieser „delusion“ – dieser Selbsttäuschung<br />
– Schluss zu machen. Wir sind <strong>als</strong> Lebewesen<br />
nicht allein auf <strong>der</strong> Welt und wir können es auch gar nicht<br />
sein. Allen Finessen <strong>der</strong> Technik zum Trotz bleiben wir eng<br />
mit dem Netz des Lebens verwoben. Es ist eine triviale, aber<br />
darum nicht weniger ernst zu nehmende Tatsache, dass<br />
auch die höchst entwickelten Gesellschaften vom Vorhandensein<br />
und Funktionieren natürlicher o<strong>der</strong> zumindest halbnatürlicher<br />
Ökosysteme abhängig sind. Dort wo diese<br />
Abhängigkeit aufgehoben scheint, hat meist nur eine Verschiebung<br />
in räumlicher o<strong>der</strong> zeitlicher Hinsicht stattgefunden,<br />
die Probleme wurden in an<strong>der</strong>e Gegenden bzw. in die<br />
Zukunft verlagert. <strong>Umweltbildung</strong> hat die Aufgabe, das<br />
ganze Ausmaß unserer Abhängigkeit von intakter Natur<br />
bewusst zu machen.<br />
Den Wert <strong>der</strong> Feuchtgebiete gebührend schätzen<br />
Nun werden diesbezüglich nicht alle Ökosystemtypen gleichermaßen<br />
unterschätzt. Zum Beispiel erfreuen sich –<br />
wenigstens in unseren Breiten – die Wäl<strong>der</strong> eines hohen<br />
Ansehens. Der berühmte „Mann auf <strong>der</strong> Straße“ dürfte um<br />
die positiven Leistungen von Waldökosystemen wie Luftreinhaltung,<br />
Lawinen-, Erosions- und Hochwasserschutz,<br />
um Erholungsfunktion und Rohstoffproduktion recht gut<br />
Bescheid wissen, auch wenn er vielleicht keinen unmittelbaren<br />
Zusammenhang mit seinem Lebensalltag herstellen<br />
kann. Im Alpenland Österreich begegnet ihm die Schutzfunktion<br />
des Waldes zumindest im Urlaub o<strong>der</strong> wenigstens<br />
in den Naturkatastrophen-Meldungen <strong>der</strong> Medien. Das<br />
hierzulande weit verbreitete Bewusstsein für den Wert <strong>der</strong><br />
Wäl<strong>der</strong> dürfte nicht zuletzt auf <strong>der</strong> langjährigen Öffentlichkeitsarbeit<br />
einschlägiger Interessensgruppen beruhen, denn<br />
Wald ist im Waldland Österreich auch gesellschaftlich präsent.<br />
Für eine an<strong>der</strong>e, mindestens ebenso wichtige Gruppe von<br />
Lebensräumen, die Feuchtgebiete, kann dies lei<strong>der</strong> nicht<br />
behauptet werden. Sie verfügen über keine Lobby und ihre<br />
Leistungen für die menschliche Gesellschaft werden nicht<br />
nur bei uns, son<strong>der</strong>n so gut wie überall übersehen – und das,<br />
obwohl sie um ein Vielfaches größer sein können <strong>als</strong> jene<br />
des Waldes. Neueste Untersuchungen haben gezeigt, dass<br />
sich im globalen Durchschnitt aus den Funktionen und Leistungen<br />
intakter Feuchtgebiete ein monetärer Wert pro<br />
Flächeneinheit ergibt, <strong>der</strong> 15-mal höher ist <strong>als</strong> jener <strong>der</strong><br />
Wäl<strong>der</strong> (Costanza et al. 1997)! Im Wasserland Österreich,<br />
dem „Wasserschloss Europas“, wie es von Politikern stolz<br />
genannt worden ist, kann unwi<strong>der</strong>sprochen darüber lamentiert<br />
werden, dass wir nur 3 % des heimischen Wasserdargebots<br />
nutzen (sprich: vermarkten). Ob die restlichen 97 %<br />
tatsächlich verfügbar sind, ohne dass an<strong>der</strong>weitig Schaden<br />
entsteht, bzw. worauf die Verfügbarkeit auch nur <strong>der</strong> 3 %<br />
beruht – das wird nicht diskutiert. Tatsächlich wird Wasser<br />
abstrakt <strong>als</strong> wertvoller „Bodenschatz“ betrachtet, dessen
Ausbeutung wir uns sorgfältig vorbehalten müssen. Es fehlt<br />
jegliches Bewusstsein dafür, dass <strong>der</strong> Weg des Wassers<br />
durch den Wasserkreislauf (den wir nun zu kommerziellen<br />
Zwecken verstärkt anzapfen wollen) über weite Strecken<br />
durch Ökosysteme führt, die weit mehr „können“ <strong>als</strong> nur die<br />
Verfügbarkeit des Wassers zu regulieren.<br />
Schon diese Fähigkeit alleine wäre Grund genug, den vom<br />
Wasser geprägten Lebensräumen größte Aufmerksamkeit zu<br />
schenken. Doch intakte Feuchtgebiete fungieren nicht bloß<br />
<strong>als</strong> Wasserspeicher und Abflussregulatoren, son<strong>der</strong>n auch<br />
<strong>als</strong> Klimaregler und Kläranlagen, <strong>als</strong> Erosionsschutz und<br />
Sedimentfilter, <strong>als</strong> Produzenten pflanzlicher Biomasse und<br />
<strong>als</strong> Orte <strong>der</strong> Grundwasserneubildung. Sie liefern eine Fülle<br />
von Rohstoffen, von pflanzlichen und von tierischen Produkten,<br />
sie bieten Erholungs- und Freizeitmöglichkeiten und<br />
spielen nicht selten eine wichtige Rolle in Kultur, Geschichte<br />
und Religion. Die Erfüllung all dieser Leistungen ist eng<br />
mit den feuchtgebietsbewohnenden Organismen und ihren<br />
speziellen Anpassungen verknüpft, hat <strong>als</strong>o unmittelbar mit<br />
Aspekten <strong>der</strong> Biodiversität zu tun.<br />
Nur intakte Feuchtgebiete bringen<br />
die volle Leistung<br />
Zu beachten ist dabei, dass viele Feuchtgebiete ihre spezifische<br />
Bandbreite von Wohlfahrtswirkungen nur dann erbringen<br />
können, wenn sie naturbelassen o<strong>der</strong> zumindest in<br />
funktioneller Hinsicht intakt sind. Das bedeutet, dass beim<br />
Umgang mit Feuchtgebiets-Ressourcen dem Konzept <strong>der</strong><br />
ökologischen Nachhaltigkeit ein beson<strong>der</strong>er Stellenwert<br />
zukommt. Die zentrale For<strong>der</strong>ung in <strong>der</strong> Nachhaltigkeits-<br />
Debatte, nämlich die „Berücksichtigung <strong>der</strong> Belastbarkeitsgrenzen<br />
jener Ökosysteme, von <strong>der</strong>en Funktionieren das<br />
Wohlergehen <strong>der</strong> Menschen abhängig ist“ (IUCN et al.<br />
1991), hat im Feuchtgebietsschutz lange Tradition. Schon<br />
20 Jahre bevor „ökologische Nachhaltigkeit“ in <strong>der</strong><br />
Umweltszene zum Schlüsselbegriff wurde, hat die Ramsar-<br />
Konvention auf die Notwendigkeit <strong>der</strong> „wohlausgewogenen<br />
Nutzung“ („wise use“) von Feuchtgebieten hingewiesen. Das<br />
ist kein Zufall, denn bei kaum einem an<strong>der</strong>en Lebensraumtyp<br />
haben nicht-nachhaltige Formen <strong>der</strong> Nutzung zu <strong>der</strong>art<br />
offensichtlichen und rasch eintretenden Folgeschäden<br />
geführt. Aus den bitteren Erfahrungen unzähliger Fallbeispiele<br />
ist schon frühzeitig klar geworden, dass sich einseitige<br />
Ertragsmaximierung nicht mit dem Fortbestand empfindlicher<br />
Feuchtgebiets-Ökosysteme verträgt. Und es hat<br />
sich auch gezeigt, dass die Gewinne, die durch die Zer-<br />
Die Vielfalt im Netz / 107<br />
störung von Feuchtgebieten erzielt werden können, oft in<br />
keinem Verhältnis zu den langfristigen Folgekosten stehen,<br />
die sich aus dem Verlust <strong>der</strong> ökosystemaren Leistungen<br />
ergeben (Dugan 1990, Barbier et al. 1997).<br />
<strong>Umweltbildung</strong> für den Feuchtgebietsschutz ist <strong>als</strong>o mit<br />
zwei großen Herausfor<strong>der</strong>ungen konfrontiert: Menschen<br />
über den Wert und die Leistungen intakter Feuchtgebiete<br />
aufzuklären und den Unterschied zwischen ökologisch<br />
nachhaltiger und ausbeuterischer Ressourcennutzung<br />
sichtbar zu machen. Beides entspricht einer Positionsbestimmung<br />
des Menschen in Bezug auf seine Umwelt, mit<br />
bewusster Betonung <strong>der</strong> Interaktionen und Abhängigkeiten.<br />
Der WWF Seewinkelhof stellt sich<br />
<strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
Die WWF Bildungswerkstätte Seewinkelhof hat ihr Programm<br />
in den letzten Jahren zunehmend auf diese Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
hin ausgerichtet. Die naturräumlichen Voraussetzungen<br />
sind dafür beson<strong>der</strong>s günstig – <strong>der</strong> Seewinkelhof<br />
liegt inmitten des Neusiedler See-Gebiets, das sich nicht nur<br />
durch eine große Vielfalt an Feuchtgebietstypen, son<strong>der</strong>n<br />
auch durch eine weit zurückreichende Tradition <strong>der</strong> Feuchtgebietsnutzung<br />
und des Feuchtgebietsschutzes auszeichnet.<br />
Hier lassen sich die Probleme großer und kleiner Feuchtgebiete<br />
ebenso anschaulich studieren wie verschiedene<br />
Lösungsansätze.<br />
Der Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel ist dabei das<br />
wichtigste „Anschauungsobjekt“, denn die wirksamsten<br />
Schutzmaßnahmen wurden rings um dieses Großschutzgebiet<br />
entwickelt (wobei es sich nicht immer um Nationalpark-spezifische<br />
Lösungen handelt, son<strong>der</strong>n durchaus auch<br />
um Modelle, die in an<strong>der</strong>e Regionen übertragbar sind).<br />
Anhand <strong>der</strong> vielfältigen Landnutzung lassen sich nachhaltige<br />
und nicht-nachhaltige Praktiken im Umgang mit den<br />
Feuchtgebiets-Ressourcen darstellen. Um das reichhaltige<br />
Anschauungsmaterial gezielt einsetzen zu können, hat <strong>der</strong><br />
Seewinkelhof in den Jahren 1998–2000 mit Unterstützung<br />
<strong>der</strong> Europäischen Gemeinschaft (GD XI Naturschutz) ein<br />
neues Projektwochenprogramm entwickelt. Dieses Projektwochenprogramm<br />
richtet sich an 10–13-jährige Schüler<br />
und trägt den Titel „Vom Wert <strong>der</strong> Wasserwelten“ (s.<br />
Kasten).
108<br />
/ Die Vielfalt im Netz<br />
Zugnetzfischerei<br />
Vielfalt im Netz – „Feuchtgebiete & Fischerei“<br />
Als Beispiel dafür, wie im Rahmen des Programms mit den<br />
Themen Biodiversität und ökologisch nachhaltige Nutzung<br />
umgegangen wird, soll hier das Thema „Feuchtgebiete &<br />
Fischerei“ dienen. Es ist zu betonen, dass die nachfolgend<br />
beschriebenen Aktivitäten nur einen Teil des insgesamt<br />
zweitägigen Programmoduls „Biodiversität“ darstellen (sie<br />
nehmen etwa einen Tag in Anspruch). Die Fischerei wird im<br />
Programm deshalb thematisiert, weil sie – beson<strong>der</strong>s in globaler<br />
Perspektive – die mit Abstand wichtigste Form <strong>der</strong><br />
Biodiversitätsnutzung in Feuchtgebieten ist (Groombridge<br />
und Jenkins 1998). Zudem sind die Probleme, die sich für die<br />
Fischerei aus einem unvorsichtigen Umgang mit Feuchtgebieten<br />
ergeben, weltweit erstaunlich ähnlich. Auch die<br />
Geschichte <strong>der</strong> Fischerei am Neusiedler See (Herzig et al.<br />
1994) ist ein Paradebeispiel für die Folgen unbedachter Eingriffe<br />
in ein Feuchtgebiet.<br />
Früher wurden Hechte sogar an Schweine<br />
verfüttert<br />
Begonnen wird die Aktivität mit einem Gespräch über<br />
Fische <strong>als</strong> Nahrungsmittel. Die BetreuerInnen fragen nach<br />
<strong>der</strong> Herkunft <strong>der</strong> Fische (bzw. Fischstäbchen), die die Schü-<br />
lerInnen zu Hause essen. Anhand <strong>der</strong> Verpackungs-Schachteln<br />
von Tiefkühlfisch wird gemeinsam eruiert, um welche<br />
Fische es sich handelt und woher sie kommen. Auf einer<br />
Weltkarte werden die Herkunftsgebiete (z.B. Nordpazifik,<br />
Nordsee, Westafrikanische Küste) markiert, indem an die<br />
entsprechende Stelle eine Abbildung <strong>der</strong> jeweiligen Fischart<br />
geklebt wird. Die SchülerInnen werden dann gefragt, warum<br />
denn die Fische von so weit her geholt werden müssen, wo<br />
es doch auch in Österreich große Seen und Flüsse gibt. Der<br />
meistens gegebenen Antwort, dass es dort wahrscheinlich<br />
zu wenige Fische gibt, wird zugestimmt. Als Ursache nennen<br />
die SchülerInnen oft gleich auch die Verschmutzung <strong>der</strong><br />
Gewässer, aber damit sind die BetreuerInnen nicht ganz einverstanden.<br />
Heutzutage sind viele Seen und Flüsse in Österreich wie<strong>der</strong><br />
recht sauber, die Fischbestände könnten eigentlich größer<br />
sein. Die BetreuerInnen erzählen, dass es noch vor 50 Jahren<br />
am Neusiedler See so viele Hechte gegeben hat, dass<br />
man sie im Frühjahr auf den überschwemmten Wiesen körbeweise<br />
fangen konnte, und dass man sie manchmal, weil<br />
es so viele waren, sogar an die Schweine verfüttert hat. Die<br />
BetreuerInnen hantieren dabei mit einem Weidenkorb und<br />
einer traditionellen Hechtgabel. Heutzutage, so erklären sie<br />
weiter, werden nur mehr wenige Hechte gefangen und <strong>der</strong><br />
Fischfang insgesamt hat keine große Bedeutung mehr.
Irgend etwas muss <strong>als</strong>o passiert sein. Die SchülerInnen werden<br />
eingeladen, mehr darüber herauszufinden. Zuvor aber<br />
sollen sie sich selber <strong>als</strong> Fischer betätigen!<br />
Fischfang in <strong>der</strong> Praxis<br />
Die Gruppe begibt sich an eine fischereilich genutzte Lacke<br />
unweit des Seewinkelhofs, an <strong>der</strong> sie – natürlich auf <strong>der</strong><br />
Grundlage eines speziellen Übereinkommens mit dem lokalen<br />
Pächter – mit einem Uferzugnetz Fische fängt. Fünf bis<br />
zehn SchülerInnen waten mit dem 10 Meter langen Zugnetz<br />
in etwa knietiefes Wasser, schlagen ein weiten Bogen und<br />
bewegen sich dann vorsichtig aufs Ufer zu, wobei sie<br />
Bedacht darauf nehmen müssen, dass das mit einer Bleileine<br />
beschwerte Netz am Gewässerboden entlang gezogen<br />
wird. Die Aktivität verlangt ein erhebliches Ausmaß an<br />
Kooperation in <strong>der</strong> Gruppe und wird trotz beträchtlicher<br />
Aufregung <strong>der</strong> TeilnehmerInnen meist in höchster Konzentration<br />
durchgeführt. Beson<strong>der</strong>s spannend wird es, wenn<br />
sich das Netz dem Ufer nähert: im extrem trüben Wasser<br />
<strong>der</strong> Seewinkellacken wird <strong>der</strong> Fangerfolg erst im letzten<br />
Augenblick sichtbar. In den weiten Taschen des Zugnetzes<br />
befinden sich nach einem erfolgreichen Durchgang bis zu<br />
zwanzig, dreißig Fische von sehr unterschiedlicher Größe,<br />
vom 10 cm langen Kaulbarsch bis zum 30 cm langen Gibel.<br />
Die Fische werden aus dem Netz genommen und in wassergefüllte<br />
Plastikwannen gesetzt, die ein an<strong>der</strong>er Teil <strong>der</strong><br />
Gruppe am Ufer vorbereitet hat. Den SchülerInnen wird<br />
gezeigt, wie man vorsichtig mit den Tieren hantiert (damit<br />
es zu keiner Verletzung <strong>der</strong> schützenden Schleimschicht und<br />
<strong>der</strong> Schwimmblase kommt). Nun werden die Fische nach<br />
und nach aus den Behältern genommen, die einzelnen Arten<br />
werden näher vorgestellt (mit Betonung <strong>der</strong> „beson<strong>der</strong>en<br />
Kennzeichen“ wie z.B. <strong>der</strong> „Dornen“ des Kaulbarschs, <strong>der</strong><br />
Zähne des Hechts, des „Staubsaugermauls“ des Karpfens).<br />
Nach <strong>der</strong> raschen Durchmusterung des Fangs werden die<br />
Tiere wie<strong>der</strong> freigelassen. Meist werden pro Aktion zwei<br />
Fischzüge durchgeführt, damit alle TeilnehmerInnen Gelegenheit<br />
haben, mit dem Zugnetz zu arbeiten. Anschließend<br />
wird zum Seewinkelhof zurückgekehrt, wo es eine Umziehpause<br />
für die meist völlig durchnässten und schlammverschmierten<br />
FischerInnen gibt.<br />
Ohne Laichplätze keine Fische<br />
Die Gruppe kommt dann wie<strong>der</strong> zusammen, um sich weiter<br />
Gedanken über den Rückgang <strong>der</strong> Fischbestände am Neusiedler<br />
See zu machen. Im Gespräch stellt sich heraus, dass<br />
Die Vielfalt im Netz / 109<br />
eine Voraussetzung für hohe Fischbestände gute Fortpflanzungsmöglichkeiten<br />
sind. Die BetreuerInnen zeigen den<br />
SchülerInnen stark vergrößerte Abbildungen von Fischlaich<br />
und Jungfischlarven im Dottersackstadium und sagen ihnen,<br />
dass die Fische im See an verschiedenen Plätzen ihre Eier<br />
ablegen. Auf einem vorbereiteten Plakat stehen Fischnamen<br />
und dazugehörige Laichplätze (wie Freiwasser, Kiesboden,<br />
Wasserpflanzengürtel, Schilfrand, <strong>der</strong> Schilfgürtel selbst,<br />
sowie die ihm vorgelagerten Seggenwiesen). Die SchülerInnen<br />
bekommen die Aufgabe, gemeinsam ein Plakat zu<br />
gestalten, auf dem ein Querschnitt durch das Seeufer mit<br />
allen genannten Teillebensräumen zu sehen ist (mit dem<br />
Konzept <strong>der</strong> Zonierung <strong>der</strong> Vegetation am Seeufer sind sie<br />
durch eine Aktivität vertraut, die am Vortag stattgefunden<br />
hat). Dann erhalten sie Schwarzweiß-Kopien <strong>der</strong> einzelnen<br />
Fischarten aus einem Fischbestimmungsbuch zum Ausschneiden.<br />
Anhand <strong>der</strong> Liste kleben sie die Fischabbildungen<br />
auf die richtigen Plätze im Lebensraumplakat und beschriften<br />
sie. Die BetreuerInnen achten darauf, dass auf dem Bild<br />
ein hoher Wasserstand dargestellt ist, bei dem auch die<br />
landseitigen Wiesen überflutet sind. Das fertige Plakat wird<br />
aufgehängt und gemeinsam noch einmal durchbesprochen:<br />
Stichlinge legen ihre Eier im freien Wasser des Sees ab, Zan<strong>der</strong><br />
und Kaulbarsch lieben kiesigen Boden vor dem Schilfgürtel,<br />
Karauschen, Rotaugen und Rotfe<strong>der</strong>n laichen gern<br />
im Wasserpflanzengürtel, Schleien im Schilfgürtel, Karpfen<br />
und Hecht wan<strong>der</strong>n zur Eiablage in die landseitigen Seggenwiesen<br />
usw.<br />
Die BetreuerInnen weisen darauf hin, dass nicht alle diese<br />
Teillebensräume ganzjährig mit Wasser bedeckt sind. Sie<br />
führen die SchülerInnen zu einem Sandkasten, in dem das<br />
Seebecken mit (stark überhöht) gestuftem Ufer nachgebildet<br />
ist. Füllt man das Modell mit Wasser langsam auf, dann<br />
werden die einzelnen Stufen nach und nach überschwemmt.<br />
Die Stufen entsprechen den von den SchülerInnen<br />
gezeichneten Vegetationsgürteln, was mit entsprechenden<br />
Pflanzenteilen, die in den Sand gesteckt werden,<br />
veranschaulicht wird. Alle können sich anhand des Modells<br />
überzeugen, dass die landseitigen Seggenwiesen nur bei<br />
hohem Wasserstand überflutet sind.<br />
Wo blieben die Lebensräume für die Fische?<br />
Nun erzählen die BetreuerInnen, was in den letzten<br />
100 Jahren am Neusiedler See passiert ist. Die Menschen<br />
rund um den See wollten mehr Platz für ihre Fel<strong>der</strong> und<br />
haben deshalb beschlossen, den Wasserstand drastisch
110<br />
/ Die Vielfalt im Netz<br />
Laichplatz - Plakat Bau eines Grundwassermodells<br />
abzusenken. Sie haben das erreicht, indem sie einen großen<br />
Entwässerungskanal (den so genannten Einser-Kanal)<br />
gebaut haben. Im Modell wird das nachvollzogen, die SchülerInnen<br />
graben einen Kanal in den Sand und leiten Teile des<br />
Wassers aus dem „Seebecken“ ab. Der Wasserstand sinkt<br />
ganz offensichtlich, die obersten Stufen (die landseitigen<br />
Seggenwiesen) fallen trocken. Wieviel Wasser man auch<br />
nachgießt, es gelingt nicht mehr, sie zu überschwemmen,<br />
solange <strong>der</strong> Kanal besteht. Jetzt können die Fel<strong>der</strong> näher an<br />
den See rücken, was mit kleinen Matchbox-Traktoren und<br />
einer Verlegung <strong>der</strong> Fel<strong>der</strong> im Modell veranschaulicht wird.<br />
Die BetreuerInnen lenken nun die Aufmerksamkeit <strong>der</strong><br />
SchülerInnen wie<strong>der</strong> zurück zum Plakat und zeichnen hier<br />
mit ihnen einen neuen Wasserstand ein, <strong>der</strong> die landseitigen<br />
Wiesen trocken lässt. Die Folgen sind für alle klar: Hechte<br />
und Karpfen haben ihre Laichplätze verloren! Genau das ist<br />
auch am Neusiedler See passiert. Hecht und Karpfen, die<br />
früher die wichtigsten Fischarten für die Berufsfischer<br />
waren, sind so selten geworden, dass heute kein Fischer<br />
mehr von ihrem Fang leben könnte. Hecht und Karpfen werden<br />
auf dem Plakat durchgestrichen. Damit ist die<br />
Geschichte aber noch nicht zu Ende. Die BetreuerInnen<br />
erzählen, dass die Fischer mit dieser Situation selbstverständlich<br />
nicht zufrieden waren und auf die Idee kamen,<br />
exotische Fischarten auszusetzen. Sie haben zunächst zwei<br />
Arten ausprobiert, die aus Ostasien stammen: den Silberund<br />
den Amurkarpfen (Abbildungen <strong>der</strong> beiden werden auf<br />
das Plakat geklebt). Es sind gierige Pflanzenfresser und das<br />
war auch <strong>der</strong> Grund, warum man sie ausgewählt hat: die<br />
Fischer waren <strong>der</strong> Meinung, dass die exotischen Karpfen<br />
Schilf fressen würden, man erhoffte sich angesichts des riesigen<br />
Schilfangebots Rekor<strong>der</strong>träge. Die ausgesetzten Karpfenarten<br />
zeigten jedoch überhaupt kein Interesse am Schilf,<br />
son<strong>der</strong>n machten sich über die üppigen Wasserpflanzenbestände<br />
des Sees her. Binnen weniger Jahre vernichteten sie<br />
den ausgedehnten Laichkrautgürtel, <strong>der</strong> dem Schilfgürtel<br />
vorgelagert war, und damit verloren zahlreiche Fischarten<br />
ihre Laichplätze und Kin<strong>der</strong>stuben (auf dem Plakat werden<br />
alle betroffenen Arten durchgestrichen). Nach diesem Misserfolg,<br />
<strong>der</strong> nur zu einer Verarmung <strong>der</strong> Fischfauna geführt<br />
hat, begann man Aale auszusetzen, die im Neusiedler See<br />
ebenfalls nicht heimisch sind. Der Aalbesatz brachte zwar<br />
die gewünschten Ertragssteigerungen, die unnatürlich<br />
hohen Dichten <strong>der</strong> ausgesetzten Tiere bewirkten jedoch<br />
einen weiteren Artenschwund. Beson<strong>der</strong>s bodenbrütende<br />
Fische wie <strong>der</strong> Kaulbarsch und <strong>der</strong> Zan<strong>der</strong> hatten unter den<br />
Aalen zu leiden, die sich <strong>als</strong> eifrige Laichräuber betätigten<br />
(wie<strong>der</strong> werden alle betroffenen Arten auf dem Plakat<br />
gestrichen). Das Ergebnis aller Eingriffe – eine verarmte und<br />
aus dem Gleichgewicht geratene Fisch-Biozönose – steht<br />
am Ende <strong>der</strong> Erzählung allen ZuhörerInnen vor Augen. Auf<br />
dem Plakat gibt es nur mehr wenige Arten, die nicht durchgestrichen<br />
sind. Wenn die BetreuerInnen lebendig erzählt<br />
haben, dann ist an diesem Punkt die Betroffenheit <strong>der</strong><br />
SchülerInnen meist groß. Hier ist es nun ganz wichtig, die<br />
Sache positiv zu Ende zu führen: Es wird diskutiert, wie man<br />
die Entwicklung wie<strong>der</strong> rückgängig machen könnte. Die<br />
Lösungen sind schnell gefunden - Einstellung des Exotenbesatzes,<br />
Wie<strong>der</strong>anhebung des Seespiegels, Nutzung <strong>der</strong> einheimischen<br />
Arten. Meist kann im Gespräch auch auf die<br />
dazu nötigen Rahmenbedingungen eingegangen werden<br />
(z. B. geför<strong>der</strong>te Flächenstilllegung auf seenahen Äckern,<br />
neue Schleusenregelungen am Einser-Kanal). Die SchülerInnen<br />
werden jedenfalls mit <strong>der</strong> Gewissheit entlassen, dass<br />
diese Maßnahmen gerade jetzt vom Nationalpark umgesetzt<br />
werden und dass man deshalb zuversichtlich sein<br />
kann, in einigen Jahren wie<strong>der</strong> natürliche und artenreiche<br />
Fischbestände im See zu haben.
Rollenspiel: Verschiedene Landnutzer im<br />
Feuchtgebiet tragen Interessenskonflikte aus<br />
Ob die Geschichte einen lebendigen Eindruck hinterlassen<br />
hat, zeigt sich jeweils beim Feuchtgebiets-Rollenspiel, das<br />
in <strong>der</strong> Endphase je<strong>der</strong> „Wasserwelten“-Woche stattfindet.<br />
Dabei schlüpfen die SchülerInnen in die Rolle verschiedener<br />
Landnutzer im Feuchtgebiet und tragen im Rahmen von<br />
„Gemein<strong>der</strong>atssitzungen“ auftauchende Interessenskonflikte<br />
rund um die Nutzung von Feuchtgebiets-Ressourcen aus.<br />
Wurde zuvor das Fischereithema in <strong>der</strong> beschriebenen<br />
Weise behandelt, dann taucht es nicht nur umrisshaft, son<strong>der</strong>n<br />
mit all seinen Facetten und einem erstaunlichen Grad<br />
an Realitätsnähe in den Diskussionen wie<strong>der</strong> auf. Wir<br />
schließen daraus, dass wir in <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> Aktivität<br />
jeweils zum richtigen Zeitpunkt die richtigen „Bil<strong>der</strong> im<br />
Kopf“ erzeugt haben und dass wir das notwendige Maß an<br />
Anschaulichkeit liefern, mit dem auch komplexe Zusammenhänge<br />
verständlich werden.<br />
Insgesamt sind wir nach unseren Erfahrungen mit dem<br />
„Wert <strong>der</strong> Wasserwelten“ zuversichtlich, dass man das oft<br />
unentflechtbar scheinende Gewirr <strong>der</strong> „root causes of biodiversity<br />
loss“ (Wood et al. 2000) auch im Rahmen von Bildungsveranstaltungen<br />
bloßlegen kann und dass es möglich<br />
ist, Wege zum schonenden Umgang mit <strong>der</strong> Ressource<br />
Biodiversität aufzuzeigen.<br />
Vom Wert <strong>der</strong> Wasserwelten<br />
„Feuchtgebiete sind wertvoll – wir brauchen sie!“, das ist die<br />
zentrale Botschaft hinter dem Projektwochenprogramm <strong>der</strong><br />
WWF-Bildungswerkstätte Seewinkelhof. Konkret vermittelt<br />
wird diese Botschaft anhand <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s vielfältigen und<br />
ausgedehnten Feuchtgebiete des Nationalparks Neusiedler<br />
See-Seewinkel.<br />
Der coole Sumpf<br />
Zielgruppe des Programms sind Schulklassen <strong>der</strong> 5.–7.<br />
Schulstufe. Eindrucksvolle Naturerlebnisse und jede Menge<br />
Gelegenheit zu selbständigem Arbeiten, Entdecken und<br />
Ausprobieren bilden die Eckpfeiler <strong>der</strong> fünftägigen Forschungsreise<br />
durch den Nationalpark. An <strong>der</strong>en Ende<br />
erscheint <strong>der</strong> sonst so negativ besetzte „Sumpf“ in einer<br />
neuen, „echt coolen“ Perspektive. Wir erforschen mit dem<br />
Kanu den undurchdringlichen Schilfdschungel des Neusiedler<br />
Sees, decken mit selbst geerntetem Schilf und traditio-<br />
Die Vielfalt im Netz / 111<br />
nellen Werkzeugen ein Hüttendach und tüfteln gemeinsam<br />
an einem Modell aus Kies, Sand und Ton, das die rätselhaften<br />
Grundwasserströmungen im Seewinkel veranschaulichen<br />
soll. Wir bauen Wetterstationen und sind dem geheimnisvollen<br />
Mister „N“ auf <strong>der</strong> Spur, <strong>der</strong> unser Trinkwasser verseucht.<br />
Unsere Kooperationsfähigkeit wird bei <strong>der</strong> Fischfangaktion<br />
auf die Probe gestellt, während wir für die<br />
Gestaltung des großen Feuchtgebietsfests eine ordentliche<br />
Portion Phantasie und Organisationstalent brauchen. Kühle<br />
Köpfe und gute Argumente sind schließlich beim Rollenspiel<br />
gefragt, bei dem sich die unterschiedlichen Nutzungsinteressen<br />
an einem Feuchtgebiet in einer mitunter turbulenten<br />
„Gemein<strong>der</strong>atsversammlung“ entladen.<br />
Die Programmschwerpunkte<br />
Der Wert von Feuchtgebieten kann aus verschiedenen Blickwinkeln<br />
betrachtet werden. Derzeit stehen folgende Themenschwerpunkte<br />
bei <strong>der</strong> Gestaltung von Projektwochen<br />
zur Auswahl:<br />
Feuchtgebiete sind wertvoll, weil sie<br />
• einen positiven Einfluss auf das Regionalklima ausüben<br />
• eine wichtige Rolle im Grundwasserhaushalt spielen<br />
• <strong>als</strong> „natürliche Kläranlagen“ wirken<br />
• <strong>als</strong> „natürliche Fabriken“ große Mengen nutzbarer<br />
pflanzlicher Biomasse produzieren<br />
• Zentren <strong>der</strong> Artenvielfalt sind<br />
• unverzichtbare „Knotenpunkte“ in einem internationalen<br />
Gebiets-Netzwerk darstellen, das von wan<strong>der</strong>nden<br />
Tierarten genutzt wird<br />
Transfer in den Alltag<br />
Ein wesentlicher Aspekt des neuen Programms ist das<br />
Bestreben, Brücken zwischen den Erlebnissen und Erfahrungen<br />
im Seewinkel und dem Lebensalltag <strong>der</strong> SchülerInnen<br />
zu schlagen.<br />
Dieser Transfer wird mittels eines eigens konzipierten<br />
Schulbesuchsprogramm vor <strong>der</strong> Projektwoche, mit Unterrichtsmaterialien<br />
für die „Zeit danach“ und mit Hilfe einer<br />
multimedialen Ausstellung sichergestellt, die von den SchülerInnen<br />
im Verlauf <strong>der</strong> Woche gestaltet wird. Idealerweise<br />
kommt es im Anschluss an die Projektwoche zu kleinen Folgeprojekten,<br />
z.B. in Feuchtgebieten vor <strong>der</strong> Haustür o<strong>der</strong><br />
auch nur am Schulteich. Auch laufende o<strong>der</strong> geplante Was-
112<br />
/ Die Vielfalt im Netz<br />
ser- o<strong>der</strong> Feuchtgebietsaktivitäten <strong>der</strong> Schule können im<br />
Programm berücksichtigt werden.<br />
Die Menschen hinter <strong>der</strong> Programmentwicklung: Andreas<br />
Zahner, Erika Keller, Eva Ripfl, Irmela Röd und Bernhard<br />
Kohler vom WWF Seewinkelhof. Die Erfahrungen, Rückmeldungen<br />
und Anregungen aus einer Testphase des Programms<br />
(mit zwei Gymnasien aus Wien und einer Hauptschule<br />
aus St. Pölten) wurden in einem eigenen Evaluationsprojekt<br />
von Klara Reininger & Eva Aigner Breuss erhoben,<br />
ausgewertet und für die Weiterentwicklung des Programms<br />
zugänglich gemacht.<br />
Literatur:<br />
Barbier, E. B.; Acreman M. & Knowler D. (1997): Economic valuation of<br />
wetlands: a guide for policy makers and planners. Ramsar<br />
Convention Bureau, Gland, Switzerland, 127 pp.<br />
Costanza, R.; d´Arge, R.; de Groot, R.; Farber, S.; Grasso, M.; Hannon, B.;<br />
Limburg, K.; Naeem, S.; V. o´Neill, R.; Paruelo, J.; Raskin, R.;<br />
Sutton, G. & van den Belt, M. (1997): The value of the world´s<br />
ecosystem services and natural capital. Nature 387, 253-260.<br />
Dugan, P. J. (ed.) (1990): Wetland Conservation. A review of current issues<br />
and required action. IUCN Gland, Switzerland 96 pp.<br />
Groombridge, B. & Jenkins, M. (1998): Freshwater biodiversity:<br />
a preliminary global assessment. World Conservation Monitoring<br />
Centre Biodiversity series no. 8.<br />
Herzig, A.; Mikschi, E.; Auer, B.; Hain, A.; Wais, A. & Wolfram, A. (1994):<br />
Fischbiologische Untersuchung des Neusiedler Sees. Biologisches<br />
Forschungsinstitut Burgenland (BFB)-Bericht 81, Illmitz, 125 pp.<br />
IUCN, UNEP & WWF (1991): Caring for the Earth. A strategy for sustainable<br />
living. Gland, Switzerland, 256 pp.<br />
Wilson, E. O. (1992): The Diversity of Life. The Belknap Press of Harvard<br />
University Press.<br />
Wood, A., Stedman-Edwards, P. & Mang, J. (2000): The root causes of<br />
biodiversity loss. Earthscan Publications Ltd. London, 399 pp.<br />
Mag. Andreas Zahner<br />
leitet die WWF Bildungswerkstätte Seewinkelhof.<br />
Der Biologe ist zuständig für Umweltpädagogik und<br />
methodische Weiterentwicklung.<br />
E-Mail: andreas.zahner@wwf.at<br />
Dr. Bernhard Kohler<br />
ist <strong>als</strong> Biologe an <strong>der</strong> WWF Bildungswerkstätte Seewinkelhof<br />
zuständig für inhaltliche Fragen.<br />
E-Mail: bernhard.kohler@wwf.at
Hermann Sonntag<br />
Riverwatch<br />
Die Artenvielfalt des Lech hautnah erleben<br />
Der wilde Lech beherbergt eine große Artenvielfalt<br />
Die Gemeinde Elbigenalp in Tirol liegt nur wenige Meter<br />
vom Flusslauf des Oberen Lechs entfernt. Aufgrund seiner<br />
Wildheit und Unberechenbarkeit galt <strong>der</strong> Lech lange Zeit <strong>als</strong><br />
Gegner und „größter Grundbesitzer im Tal“. Wir wollten den<br />
Schülern an <strong>der</strong> Hauptschule Lechtal den Wert des großteils<br />
naturnahen Flusslaufs näher bringen – die Artenvielfalt und<br />
die Bedeutung dieser Landschaft für Tiere und Pflanzen.<br />
Unser Projektgebiet war für diese Ziele bestens geeignet, da<br />
es sowohl naturnahe Bereiche enthält – mit Schotterbänken,<br />
Steilufern, Kleinstgewässern <strong>als</strong> auch vom Menschen<br />
verän<strong>der</strong>te und begradigte Abschnitte.<br />
Gemeinsame Visionen und Ziele entstehen<br />
Lehrer <strong>der</strong> Hauptschule Lechtal und WWF-Mitarbeiter setzten<br />
sich zusammen, um einen genauen Zeitplan zu erstellen<br />
und die Aufgaben untereinan<strong>der</strong> genau aufzuteilen. Der<br />
Exkursionsteil wurde vom WWF vorbereitet. Wegen <strong>der</strong><br />
großen Zahl an SchülerInnen <strong>als</strong> Stationsbetrieb. Die Lehrer<br />
planten die Aufarbeitung <strong>der</strong> Erlebnisse beim Exkursionsteil<br />
in den folgenden Unterrichtsstunden.<br />
Eine Lehrerin <strong>der</strong> Hauptschule startete einen Fotowettbewerb,<br />
bei dem alle Schüler des Oberen Lecht<strong>als</strong> sowie <strong>der</strong>en<br />
Eltern aufgerufen wurden, Fotos von ihren Lieblingsplätzen<br />
am Lech einzusenden. Im Werkunterricht erstellten die<br />
Schüler Modelleier (für die Vogelstation) und ein Lechmodell,<br />
das bis zum Projektende vollendet und ausgestellt werden<br />
konnte.<br />
Die vom WWF und <strong>der</strong> Hauptschule gemeinsam formulierten<br />
Ziele und Visionen bildeten die Grundlage für das Projekt.<br />
VISION<br />
Die Hauptschule Lechtal entwickelt sich zu einem Impulszentrum<br />
für <strong>Umweltbildung</strong> im Oberen Lechtal. Die Hauptschule<br />
organisiert und betreibt Projekte im Bereich <strong>Umweltbildung</strong><br />
und motiviert Partner (an<strong>der</strong>e Schulen, Gemeinden,<br />
Erwachsenenbildung etc.) dabei mitzuwirken o<strong>der</strong> eigene<br />
Projekte zu initiieren.<br />
ZIELE<br />
• Die SchülerInnen <strong>der</strong> Hauptschule Lechtal lernen mit<br />
unterschiedlichen didaktischen Methoden verschiedene<br />
Flusslebensräume (Auwald, Schotterbänke, Steilufer,<br />
Kleingewässer etc.) mit ihren typischen Tier- und Pflanzenarten<br />
kennen.<br />
• Das Thema „Biodiversität“ wird den SchülerInnen am<br />
Beispiel des Flusssystems „Lech“ nähergebracht.<br />
• Die SchülerInnen setzten ihr erworbenes Wissen in verschiedenen<br />
Fächern (Werkunterricht, Deutsch, Zeichnen<br />
etc.) praktisch um.<br />
113
114<br />
/ Riverwatch<br />
Die Forscher unterwegs – Exkursionen<br />
Mitte Mai war es soweit. Die ersten 70 SchülerInnen brachen<br />
frühmorgens auf, um den Lech mit seinen Bewohnern<br />
unter die Lupe zu nehmen. An den Stationen im Gelände<br />
lagen alle Materialien für den Einsatz bereit. Je 10–15<br />
SchülerInnen arbeiteten an einer Station und wechselten<br />
nach einer halben Stunde zur nächsten weiter. Die Gruppen<br />
wurden von Lehrern <strong>der</strong> Hauptschule begleitet. Betreut<br />
wurden die Stationen durch Biologie-Studenten des WWF-<br />
Panda Clubs. Die verfügen über biologisches Fachwissen<br />
und über Erfahrung in <strong>der</strong> <strong>Umweltbildung</strong>.<br />
Insgesamt fanden drei Exkursionstage statt.<br />
Jede Station war in drei Phasen unterteilt:<br />
• Einführung<br />
Den SchülerInnen wird in Form eines Umweltspieles<br />
o<strong>der</strong> einer Geschichte das Thema vorgestellt, abhängig<br />
von Schulstufe und Thema.<br />
• Bewusst machen<br />
Die SchülerInnen lernen Neues zum Thema: zum Beispiel<br />
Arbeiten am Mikroskop mit Unterstützung <strong>der</strong><br />
Betreuer.<br />
• Selbstständiges Arbeiten<br />
Die SchülerInnen errechnen gemeinsam die Gewässergüte,<br />
lösen ein Rätsel, zählen die Vogelarten ... Begleitend<br />
dazu wird eine Artenliste geführt.<br />
Die stummen Begleiter des Lech<br />
1. Station<br />
Die SchülerInnen machen sich spielerisch mit <strong>der</strong> reichen<br />
Vegetation <strong>der</strong> Lechtalauen vertraut:<br />
Fühlbox:<br />
Acht verschiedene pflanzliche Gegenstände sollen durch<br />
Fühlen erraten werden:<br />
Föhrenrinde, Zapfen, Tannenzweig, Fichtenzweig, Baumpilz,<br />
wolliges Lungenkraut, Flechte, Moos ...<br />
Anschließend bespricht <strong>der</strong> Stationsbetreuer mit den SchülerInnen<br />
die einzelnen Gegenstände: Was ist eine Flechte?<br />
Symbiose Pilz-Alge: Wofür? Unterschied Fichte-Tanne?<br />
Warum gibt’s hier und überhaupt wenige Tannen? Tannenzapfen<br />
– warum finde ich den nie? Baumpilz – und <strong>der</strong><br />
Zusammenhang mit Ötzi?<br />
Erfahrungen<br />
Es machte allen viel Spaß und auch anschließend bei den<br />
Erklärungen arbeiten alle sehr eifrig. Die Fühlbox kann auch<br />
leicht für an<strong>der</strong>e Lebensräume/Themen eingesetzt werden.<br />
Steckbriefe von Bäumen und Sträuchern<br />
Die Kin<strong>der</strong> finden auf einer Leine aufgehängte Zettel. Hier<br />
sind die wichtigsten Bäume und Sträucher des Auwaldes<br />
beschrieben und gezeichnet (Blätter, Früchte, Blüten). Die<br />
SchülerInnen machen sich mit den Steckbriefen auf den<br />
Weg und suchen so viele Pflanzen wie möglich. Sie heften<br />
die Zettel dann mit einem Blatt o<strong>der</strong> Zweig <strong>der</strong> entsprechenden<br />
Pflanze wie<strong>der</strong> auf die Leine.<br />
Die Betreuerin kontrolliert die eingesammelten Arten,<br />
erklärt Details zur leichteren Unterscheidung und zur möglichen<br />
Verwendung – <strong>als</strong> Heilpflanze.<br />
Erfahrungen:<br />
Die 2. Klassen waren leicht zu motivieren und stürmten<br />
gleich los. Die 3. Klassen waren am Anfang zögerlich, dann<br />
aber viel genauer beim Suchen. Einige wenige haben einfach<br />
zugeschaut bei <strong>der</strong> Sache. Motivierend war die Punktevergabe<br />
für richtige Pflanzen.<br />
Bei großen Gruppen ist das Spiel problematisch, weil viel<br />
zertrampelt und abgerissen wird. Erstaunlich viele Pflanzen<br />
wurden gefunden – mindestens die Hälfte immer. Der<br />
Rekord: 12 von 16.
Der Sound des Lechs<br />
2. Station<br />
Schotterbänke und Auwäl<strong>der</strong> sind Lebensraum für viele darauf<br />
spezialisierte Vögel.<br />
Tarnen und täuschen: Eiersuche<br />
Im Unterricht bauen die SchülerInnen aus Holz Eier des<br />
Flussuferläufers und Flussregenpfeifers. Die Betreuer verstecken<br />
diese nun in einem abgesteckten Gebiet auf <strong>der</strong><br />
Schotterbank. Die Eier des Flussregenpfeifers legen sie auf<br />
den blanken Schotter, die des Flussuferläufers in etwas Pioniervegetation<br />
– am besten in die Nähe einer kleinen Weide.<br />
Die SchülerInnen schwärmen aus, um die Eier zu suchen.<br />
Doch die sind gut getarnt. Genaues Schauen ist gefor<strong>der</strong>t.<br />
Abschließend erklärt <strong>der</strong> Betreuer Wissenswertes über den<br />
Lebensraum dieser gefährdeten Vogelarten. Über Gefie<strong>der</strong>färbung,<br />
die Tarnung ihrer Gelege, Gesänge.<br />
Erfahrungen:<br />
Anfangs waren alle sehr begeistert. Einige Gruppen verloren<br />
aber die Motivation, nachdem ihre Suche lange vergeblich<br />
war (darauf schränkte <strong>der</strong> Betreuer das Suchgebiet ein).<br />
Wissenswertes über Gefährdung und Schutz<br />
Flussuferläufer und Flussregenpfeifer sind durch Uferverbauungen<br />
stark gefährdet (Lebensraumverlust). Sie sind <strong>als</strong><br />
Bodenbrüter sehr störungsempfindlich gegenüber Menschen.<br />
Vor Bodenraubfeinden schützen sie ihr Gelege durch<br />
gute Tarnung. Räuber locken sie unter Vortäuschung einer<br />
Verletzung (Hängenlassen des Flügels) vom Gelege weg.<br />
Die SchülerInnen lernen hier die Bedeutung des Lecht<strong>als</strong> für<br />
Vögel kennen – für viele ist dieser Lebensraum eine letzte<br />
Zufluchtstätte.<br />
Vogelstimmen am Fluss und Auwald<br />
Die SchülerInnen nehmen auf einer kleinen Lichtung Platz,<br />
schließen für zwei Minuten die Augen und versuchen verschiedene<br />
Vogelstimmen wahrzunehmen. Anschließend vergleichen<br />
sie die Zahl <strong>der</strong> Stimmen untereinan<strong>der</strong>.<br />
Der Betreuer gibt einen Überblick zu den verschiedenen<br />
Lauten o<strong>der</strong> Gesängen eines Vogels: Warnrufe und Gesänge<br />
zur Revierverteidigung bzw. zur Anlockung eines Partners.<br />
Auch auf günstige Nistmöglichkeiten in gut strukturierten<br />
Lebensräumen wird eingegangen.<br />
Die Eier des Flußuferläufers und des Flußregenpfeifers sind gut getarnt<br />
Anlocken eines Vogels<br />
Jetzt ist es beson<strong>der</strong>s spannend. Die Kin<strong>der</strong> hören Vogelstimmen<br />
aus einem CD-Player. Beim Gesang <strong>der</strong> Mönchsgrasmücke<br />
taucht plötzlich ein Männchen auf, das sich<br />
ganz nah an die Gruppe heranwagt und lauth<strong>als</strong> zu zwitschern<br />
beginnt.<br />
Die Begeisterung <strong>der</strong> SchülerInnen war extrem groß – einen<br />
Vogel aus dieser Distanz hatten sie bisher selten beobachten<br />
können.<br />
Eulen und Krähen – Abschluss-Spiel<br />
(nach Cornell 1999)<br />
Das Abschluss-Spiel Eulen und Krähen haben wir bei J. Cornell<br />
entlehnt. Gegen die Mittagszeit zu, <strong>als</strong> die SchülerInnen<br />
schon müde wurden, konnte man sie gut dazu motivieren.<br />
Wasserinsekten<br />
3. Station<br />
Die SchülerInnen lernen hier Eintagsfliegen, Köcherfliegen,<br />
Steinfliegen, Kribelmücken, Bachflohkrebse zu unterscheiden.<br />
Tierbilddiktat – Eintagsfliegenlarve<br />
(aus „Natur <strong>als</strong> Abenteuer“)<br />
Das Spiel ist <strong>als</strong> Einstieg für den Themenbereich „Fließgewässer“<br />
gut geeignet.<br />
Tiere sammeln und mikroskopieren<br />
Die Kin<strong>der</strong> teilen sich auf in zwei Gruppen. Die einen<br />
schwärmen mit Lupengläsern und Keschern bestückt zum<br />
Bach und sammeln Tiere. Die an<strong>der</strong>en beobachten vorher<br />
gefangene Tiere unter dem Mikroskop.<br />
Die Schüler versuchen zum Teil selbständig die Tiere zu<br />
Abbildungen <strong>der</strong> Tiergruppen zuzuordnen bzw. in Büchern<br />
115
116<br />
/ Riverwatch<br />
zu finden. Wissenswertes zu den Lebensräumen <strong>der</strong> Tiere, zu<br />
verschiedenen Lebensformen und ökologischen Nischen<br />
erklärt <strong>der</strong> Stationsbetreuer. Nach einer Viertelstunde<br />
wechseln die Gruppen.<br />
Erfahrungen:<br />
Alle Kin<strong>der</strong> waren vom Suchen und Mikroskopieren voll<br />
begeistert! Diese Station war bei allen Klassen am beliebtesten.<br />
Die Gestalt des Lech – Gewässermorphologie<br />
4. Station<br />
An Hand eines selbst gebastelten Flussmodells erklärt <strong>der</strong><br />
Betreuer den SchülerInnen die Auswirkung von Flussbegradigungen<br />
auf den umgebenden Lebensraum mit seiner Tierund<br />
Pflanzenwelt.<br />
Einführungsspiel<br />
Die SchülerInnen ziehen Zettel mit verschiedenen Begriffen<br />
zum Lech (Quelle, Deltamündung, Mäan<strong>der</strong>, Aufgabelung,<br />
Steilufer, Auwald, Blockgestein, Kieselstein, Sand ...). Sie<br />
sollen sich mit ihren Begriffen in einer Reihe aufstellen, die<br />
dem Lech von <strong>der</strong> Quelle bis zur Mündung entspricht. Dann<br />
bespricht <strong>der</strong> Betreuer die einzelnen Begriffe und klärt Fragen<br />
– Warum stehe ich mit diesem Begriff an dieser Stelle?<br />
Die SchülerInnen füllen dann in Zweiergruppen einen vorbereiteten<br />
Fragebogen zum Thema aus.<br />
In <strong>der</strong> Nachbesprechung wird auf Flussbegradigungen eingegangen.<br />
Erfahrungen:<br />
Der erste Tag mit SchülerInnen <strong>der</strong> zweiten Klasse Hauptschule<br />
zeigte, dass die Aufgaben schwierig zu lösen waren.<br />
Die Kin<strong>der</strong> erlebten insgesamt die Station <strong>als</strong> sehr theoretisch<br />
und schwer verständlich. Um die trockene Materie an<br />
das Kind zu bringen, ließen wir die SchülerInnen ein Flussmodell<br />
bauen und verpassten dem Stationsbetrieb einen<br />
sportlichen Charakter, indem wir bei Spielen die Zeit maßen.<br />
Geän<strong>der</strong>ter Ablauf:<br />
Die Zettel mit den Begriffen zum Lech (Deltamündung,<br />
Mäan<strong>der</strong>, Aufgabelung, Steilufer, Auwald, Blockgestein, Kieselstein)<br />
werden zerschnitten und von den Kin<strong>der</strong>n gezogen.<br />
Die Schüler müssen die Begriffe zusammenfinden.<br />
Anschließend baut die ganze Gruppe mit natürlichen Materialien<br />
in einer Sandkiste ein Flussmodell, das diesem<br />
Abschnitt des Lechs entspricht.<br />
Das Einführungsspiel des ersten Tages wurde <strong>als</strong> Abschlussspiel<br />
und zur Wie<strong>der</strong>holung umfunktioniert.<br />
Die Verän<strong>der</strong>ung des Programms hatte sich gelohnt. Die<br />
SchülerInnen waren wesentlich aufmerksamer und mit<br />
mehr Einsatz bei <strong>der</strong> Sache.<br />
Die ursprüngliche Idee für die Gestaltung <strong>der</strong> Station – eine<br />
Fantasiereise von <strong>der</strong> Quelle des Lechs bis zu seiner Mündung,<br />
konnte lei<strong>der</strong> wegen <strong>der</strong> kurzen Zeit pro Gruppe nicht<br />
umgesetzt werden.<br />
Tiere und Pflanzen am Wiesenbach<br />
5. Station<br />
Einführung<br />
Der Ruf des Grasfrosches ertönt aus den Boxen eines Discman.<br />
Die Frage an die Kin<strong>der</strong>: Um welchen Bewohner handelt<br />
es sich hier? Meistens können sie auf Anhieb die richtige<br />
Antwort geben. Und sogar die Entfernung, über die Frösche<br />
wan<strong>der</strong>n, wird recht gut geschätzt.<br />
Die SchülerInnen sollen überlegen, für welche Lebensräume<br />
diese Amphibien typisch sind. Dann folgt eine kurze<br />
Erklärung über Fortpflanzungs- und Wan<strong>der</strong>verhalten von<br />
Amphibien.<br />
Die SchülerInnen teilen sich selbst in drei Gruppen auf:<br />
• Die „Wissenschaftler“ messen die Temperatur, den pH-<br />
Wert und die Fließgeschwindigkeit am Wiesenbach und<br />
am Lech. Sie erkennen die Unterschiede zwischen den<br />
beiden Gewässern und <strong>der</strong>en Ursachen.<br />
• Die „Künstler“ sammeln Pflanzenmaterial und stellen<br />
Farbpaletten nach Kartonvorlagen zusammen. So werden<br />
sie auf Arten- und vor allem Farbenvielfalt aufmerksam.<br />
• Die „Insektenforscher“ sammeln Insekten, die am und im<br />
Wiesenbach leben, aber auch an<strong>der</strong>e Arthropoden und<br />
Wirbeltiere. Sie gewinnen Einblick in die Arten- und
Formenvielfalt und erkennen kleinräumige Vielfalt –<br />
feuchte und trockene Standorte nebeneinan<strong>der</strong>;<br />
Die einzelnen Gruppen stellen anschließend ihre Ergebnisse<br />
vor.<br />
Erfahrungen<br />
Die Kin<strong>der</strong> sind zum überwiegenden Teil sehr interessiert<br />
und eifrig bei <strong>der</strong> Sache! Das hat sich insbeson<strong>der</strong>e in den<br />
Insekten-Fangergebnissen wi<strong>der</strong>gespiegelt. Einige können<br />
gar nicht genug bekommen!<br />
Beim Aufteilen <strong>der</strong> Gruppen hat sich – wie zu erwarten, <strong>der</strong><br />
größte Teil <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> fürs Sammeln von Insekten entschieden.<br />
Und trotzdem hat sich fast immer eine Gruppe gemeldet,<br />
um die Messungen am Gewässer zu machen. Das<br />
Zusammenstellen von Farbpaletten wurde am wenigsten<br />
angenommen, aber dennoch von einigen Kin<strong>der</strong>n, vor allem<br />
von Mädchen, mit Hingabe betrieben! Dieser Teil würde sich<br />
<strong>als</strong> Fixpunkt in einem längeren Programm sicher besser einbauen<br />
lassen. Auch ohne anfängliche Begeisterung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />
entstehen dabei oft wahre Kunstwerke!<br />
Tierrätsel – Abschluss-Spiel<br />
Verschiedene Merkmale von Tieren stehen auf verschiedenen<br />
Zetteln. Die Gruppen müssen die Merkmale richtig<br />
zuordnen und die Tiere erraten (Grasfrosch, Libelle, Wasserläufer,<br />
Wasserschnecke).<br />
Der Kreativität waren keine Grenzen gesetzt<br />
Riverwatch / 117<br />
Nach einer ausgedehnten Mittagspause kehren die jungen<br />
Forscher in die Schule zurück. Hier ist vieles vorbereitet<br />
worden. So können die SchülerInnen ihre Eindrücke vom<br />
Vormittag kreativ verarbeiten. Die dabei entstandenen Ausstellungsstücke<br />
können im Rahmen einer Schlusspräsentation<br />
bestaunt werden.<br />
Werkerziehung<br />
SchülerInnen flechten fünf Tage vorher geschnittene und<br />
eingeweichte Weidenruten und biegen sie zu Buchstaben:<br />
„Riverwatch“, „Inser Lech“ und „Inser Au“.<br />
Eine Gruppe schneidet aus Holzfaserplatten Vögel aus und<br />
bemalt diese mit Hilfe von Bestimmungsbüchern. Diese<br />
Vögel werden auf eine Holzfaserplatte gestellt, bemalt je<br />
nach Lebensraum.<br />
Eine weitere Gruppe formt aus Ton verschiedene Amphibien.<br />
Die werden von Begleitlehrern glasiert und gebrannt.<br />
Deutsch<br />
SchülerInnen verfassen einen gemeinsamen Text über ein<br />
fiktives Lechfabelwesen. Ein Wesen, das sie bei ihrer Arbeit<br />
am Lech empfindlich in seiner Ruhe gestört haben. In Dreier-Gruppen<br />
werden Rätsel, Kreuzworträtsel und Frage-Antwort-Spiele<br />
zusammengestellt.<br />
Bildnerische Erziehung<br />
Tiere werden auf Leinentüchern gezeichnet und mit Stofffarben<br />
bemalt. Alle Stoffflecken zusammengenäht, ergeben<br />
ein wun<strong>der</strong>schönes Patchwork-Tuch.<br />
Die Themen <strong>der</strong> Exkursion bilden außerdem die Grundlage<br />
für darauf folgende Biologiestunden.<br />
Patchworktuch mit Tiermotiven Bemalte Vögel wurden ihren Lebensräumen zugeordnet
118<br />
/ Riverwatch<br />
Amphibien entstehen aus Ton<br />
Öffentlichkeitsarbeit<br />
In lokalen Zeitungen (Außerferner Nachrichten, Blickpunkt<br />
Reutte, EXTRA) erschienen Berichte über das Projekt. Bei<br />
„Tirol heute“ (Bundeslän<strong>der</strong>sendung) wurde ein kurzer Fernsehbeitrag<br />
gesendet.<br />
Die beiden WWF-Verantwortlichen (Hermann Sonntag,<br />
Andreas Danzl) stellten gemeinsam mit Christoph Ba<strong>der</strong> das<br />
Projekt im GEO-Magazin September 2000 vor.<br />
„Was hats gebracht?!“<br />
Zwei Studenten <strong>der</strong> Pädagogischen Akademie Stams führten<br />
im Rahmen ihrer Diplomarbeit die Evaluierung durch.<br />
„Das Schulprojekt Riverwatch war für alle Beteiligten ein<br />
voller Erfolg und motiviert alle Mitarbeiter in diesem<br />
Bereich weiterzuarbeiten!“ fasst Martin Wolf die Evaluierung<br />
zusammen. „Für uns sind die Ergebnisse sehr wichtig,<br />
da wir dadurch unsere Arbeiten verbessern und die Evaluierung<br />
<strong>als</strong> Beispiel für an<strong>der</strong>e Projekte im Lechtal und<br />
auch außerhalb heranziehen werden“, freut sich Mag. Hermann<br />
Sonntag.<br />
Biodiversität und Fließgewässer<br />
Fließgewässer gehören zu den artenreichsten Großlebensräumen.<br />
Viele Vertreter <strong>der</strong> Vögel, Schmetterlinge und verschiedener<br />
Käferfamilien sowie Amphibien und Libellen<br />
haben ihren Lebensraum in Fließgewässern und Auwaldökosystemen.<br />
Für Österreich nennt GEPP (1986) zumindest<br />
12.000 Tier- und Pflanzenarten, die zu regelmäßigen<br />
Bewohnern <strong>der</strong> Auen gehören. Gründe für die Artenvielfalt<br />
sind die vielen unterschiedlichen Habitate, die Flussdynamik,<br />
die ständig die Lebensräume verän<strong>der</strong>t und neue<br />
schafft und <strong>der</strong> räumliche Zusammenhang entlang des<br />
Flusslaufs (Plachter 1991).<br />
Fließgewässer gehören aber auch zu den gefährdetsten<br />
Lebensräumen im Alpenraum. So ist <strong>der</strong> Großteil <strong>der</strong> Flüsse<br />
und Bäche Mitteleuropas verbaut, begradigt o<strong>der</strong> durch<br />
Wehre und Staumauern zerstückelt.<br />
Der Tiroler Lech gehört noch zu den „letzten Wilden“. Er<br />
besitzt noch Flussstrecken, an denen Verän<strong>der</strong>ungen stattfinden<br />
können. Aus diesem Grund beherbergt <strong>der</strong> Lech mit<br />
seinen Schotterbänken, Auwäl<strong>der</strong>n und -tümpeln, seinen<br />
Zubringern und Gießen oft die „Letzten ihrer Art.“<br />
Literatur<br />
Alpenreport 1998: Daten, Fakten, Probleme, Lösungsansätze; CIPRA-Inter-<br />
national (Hrsg.) – Bern, Stuttgart; Wien: Haupt 1<br />
Augsburger Ökologische Schriften, Heft 2: Der Lech – Wandel einer Fluss-<br />
landschaft; Stadt Augsburg, Referat Umwelt und Kommunales<br />
(Hrsg)<br />
Cornell 1999: Mit Kin<strong>der</strong>n die Natur erleben. Verlag an <strong>der</strong> Ruhr, Mülheim<br />
Natur <strong>als</strong> Abenteuer – Wege zum Erleben und Entdecken 1999: Institut<br />
für Angewandte Umwelterziehung Steyr<br />
WWF Österreich 1998: PLANET WASSER, Lerninhalt: Schutz <strong>der</strong> Feuchtgebiete<br />
und Erforschen von Lebenden Flüssen. 1.–12. Schulstufe<br />
Mag. Hermann Sonntag<br />
arbeitet <strong>als</strong> Biologe für den WWF im Bereich Naturschutz.
P. Schreilechner, A. Krombass, D. Urhahne, J. Jeschke & U. Harms<br />
Multimediales Lernen im Naturkundemuseum<br />
Dornbirn<br />
Das EU-Projekt „TREBIS“ – Informationen über Artenvielfalt und Ökologie<br />
Ich finde das Programm lustig und lehrreich. Es ist auch für<br />
Jugendliche verständlich. Das Quiz hat mir am besten gefallen.<br />
(Magdalena, Bundesgymnasium Feldkirch, 3e)<br />
Das Programm ist interessant. Es gibt vieles zum Anschauen<br />
und die Gestaltung ist nicht schlecht. Mein Interesse am<br />
Thema Natur ist nicht sehr groß. Aber ich kann mir vorstellen,<br />
dass ich das Programm bei einem Besuch im Museum<br />
verwenden würde.<br />
(Benjamin, Bundesgymnasium Lustenau, 4b)<br />
Im EU-Projekt TREBIS beschreiten die drei Partner Biogis<br />
Consulting GmbH, Vorarlberger Naturschau und die<br />
Didaktik <strong>der</strong> Biologie an <strong>der</strong> Universität München neue<br />
Wege <strong>der</strong> Wissensvermittlung über Artenvielfalt und ökologische<br />
Zusammenhänge. Wissen, das kaum zugänglich war,<br />
wird mit Multimedia- und Datenbank-Software aufbereitet<br />
und präsentiert.<br />
Naturkundemuseen sind schon seit jeher ein Ort <strong>der</strong> Erforschung<br />
und Dokumentation von Flora und Fauna. Im Laufe<br />
<strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>te sind umfangreiche Sammlungen entstanden.<br />
In den letzten Jahren ging man in vielen Museen dazu<br />
über, diese Schätze <strong>als</strong> Datenbanken digital zu speichern:<br />
Angaben über Sammlungsobjekte, Beobachtungsdaten o<strong>der</strong><br />
Feldprotokolle.<br />
Die Leiterin <strong>der</strong> Vorarlberger Naturschau (VNS), Margit<br />
Schmid, erkannte gemeinsam mit ihrem Team schon Mitte<br />
<strong>der</strong> 80er Jahre, dass diese Daten ein großes Potenzial darstellen,<br />
das in seiner Bedeutung weit über die Auswertung<br />
für wissenschaftliche Fragestellungen hinausgeht. Aus diesem<br />
Grund wurde das Projekt „Digitales NaturArchiv“ ins<br />
Leben gerufen. Dabei wurde eine wissenschaftliche Datenbank<br />
aufgebaut, die mittlerweile mehrere hun<strong>der</strong>ttausend<br />
Datensätze beinhaltet, mit Angaben über die Verbreitung<br />
von Pflanzen und Tieren im Bundesland Vorarlberg. Diese<br />
Informationen werden ergänzt durch Listen, beschreibende<br />
Texte, Fotos, Filme, Landkarten o<strong>der</strong> Tondokumente, die<br />
ebenfalls im digitalen „NaturArchiv“ verwaltet werden.<br />
Zusammen mit dem Wissen <strong>der</strong> Forscher ist ein Informations-Pool<br />
entstanden, <strong>der</strong> im TREBIS-Projekt auf unterhaltsame<br />
und verständliche Weise aufbereitet und zugänglich<br />
gemacht wird. Museumsbesucher haben damit die Möglichkeit,<br />
selbst auf Informationen über Vielfalt, Verbreitung,<br />
Gefährdung und Ökologie <strong>der</strong> Arten und Lebensräume vor<br />
ihrer Haustür zuzugreifen.<br />
Interesse an <strong>der</strong> Vielfalt wecken<br />
Mit Hilfe des Informationssystems tauchen die Benutzer in<br />
das Thema Biodiversität ein. Je nach Interesse kann <strong>der</strong><br />
Benutzer verschiedene Bereiche auswählen:<br />
• Artenvielfalt und Verbreitung <strong>der</strong> Arten in ihrem natürlichen<br />
Lebensraum<br />
• Dynamik und Beziehungen in <strong>der</strong> Natur ablaufen<strong>der</strong><br />
Prozesse<br />
• Gefährdung von Arten und Lebensräumen<br />
• Bedeutung <strong>der</strong> Artenvielfalt für den Menschen
120<br />
/ Multimediales Lernen im Naturkundemuseum Dornbirn<br />
Fachkollegen des Institutes für Didaktik an <strong>der</strong> Universität<br />
München erstellten das didaktische Konzept, auf dessen<br />
Grundlage die Mitarbeiter von Biogis die Software entwickelten.<br />
Dabei geht es nicht vor<strong>der</strong>gründig um das Vermitteln<br />
von Fachwissen und Fakten zu einzelnen Organismen,<br />
son<strong>der</strong>n um das Wecken des Interesses. Im Idealfall<br />
beschäftigt sich <strong>der</strong> Benutzer nach dem Museumsbesuch<br />
eigenständig und unabhängig vom Computer mit Biodiversität.<br />
Zumindest sollte er eine positive Haltung gegenüber<br />
<strong>der</strong> Notwendigkeit entwickeln, die Artenvielfalt zu erhalten.<br />
So geht es um die wirtschaftliche Bedeutung einer intakten,<br />
artenreichen Landschaft ebenso wie um die Wahrnehmung<br />
ihrer Ästhetik. Weitere inhaltliche Zugänge sind Gesundheit,<br />
die Bedeutung für Wissenschaft und Forschung sowie die<br />
ethische und philosophische Betrachtung.<br />
Die Wissensorientierten sollen sich angesprochen fühlen,<br />
ebenso wie die Unterhaltungsorientierten und die Naturschutzorientierten.<br />
Aufbau des Informationssystems<br />
Im TREBIS-Informationssystem erfolgt <strong>der</strong> Zugang für den<br />
Benutzer über eine intuitiv handhabbare, spielerisch gestaltete<br />
Oberfläche. Der Rahmen: Ein allgemeiner Programmteil<br />
zum Thema Biodiversität. Die Teile Artenvielfalt, ihre Dynamik<br />
und im Zusammenhang damit ethische Gesichtspunkte<br />
erscheinen auf <strong>der</strong> Grundlage des oben genannten didaktischen<br />
Konzeptes. Beachtung findet sowohl die lokale Ebene,<br />
in diesem Fall Vorarlberg, <strong>als</strong> auch die globale Ebene.<br />
Von mehreren Stellen dieses allgemeinen Biodiversitätsteils<br />
gelangt man zu weiteren Modulen, die ein hohes Maß an<br />
Interaktion ermöglichen:<br />
Suche nach Information<br />
Eine SchülerIn interessiert sich beispielsweise für Frösche.<br />
Durch Eingabe des Begriffes „Frosch“ auf <strong>der</strong> Suchseite<br />
erhält sie <strong>als</strong> Suchergebnis alle Seiten, in denen <strong>der</strong> Begriff<br />
vorkommt sowie eine Auflistung <strong>der</strong> Arten, die „Frosch“ im<br />
deutschen Namen enthalten. Symbole weisen auf weitere<br />
Informationen hin – auf Texte, Fotos, Karten o<strong>der</strong> Videos.<br />
Ökologische Steckbriefe<br />
Durch einen Klick auf die gewünschte Art gelangt man zum<br />
ökologischen Steckbrief. Hier findet man Informationen zu<br />
ökologischen Beson<strong>der</strong>heiten, Gefährdung, Lebensraum<br />
usw. Ein Symbol führt zur Verbreitungskarte <strong>der</strong> Art. Rechts<br />
oben findet sich eine Liste <strong>der</strong> Lebensräume, in <strong>der</strong> die Art<br />
vorkommt.<br />
Beschreibung <strong>der</strong> Lebensräume<br />
Hier gibt es Informationen zu sämtlichen Lebensräumen im<br />
Bundesland Vorarlberg, geglie<strong>der</strong>t in Gewässer und Feuchtlebensräume,<br />
Wald, Gebirge, Grünland und Siedlungsraum.<br />
Wie schon bei den ökologischen Steckbriefen findet man<br />
auch hier neben den Textinformationen Fotos und Karten.<br />
Kartenmodul<br />
Neben den bereits erwähnten Karten zur Verbreitung <strong>der</strong><br />
Arten und Lebensräume führt ein eigener Eintrag in <strong>der</strong><br />
Navigationsleiste in das Kartenmodul, wo Luft- und Satellitenbil<strong>der</strong><br />
weitere Erkundungen ermöglichen.
Glossar<br />
In allen Texten erscheinen anklickbare Wörter o<strong>der</strong> Phrasen<br />
rot eingefärbt. Dabei handelt es sich um Fachbegriffe, die in<br />
einem Glossar erklärt werden.<br />
Bodensee-Quiz<br />
Wer sein ökologisches Wissen testen möchte, kann dies bei<br />
einer Tauchfahrt mit einem U-Boot durch den virtuellen<br />
Bodensee tun. Geschwindigkeit und Richtung können vom<br />
Benutzer gesteuert werden. Im See begegnet man Fischen<br />
und Wasserpflanzen, die beim Anklicken zu Quizfragen<br />
führen. Je nach gewähltem Schwierigkeitsgrad erhält man<br />
schwerere o<strong>der</strong> leichtere Fragen. Für jede richtige Antwort<br />
leuchten Lämpchen auf. Ziel ist es, aus den vier Bereichen<br />
des Sees „Ufer“, „Tiefsee“, „Frei-Wasser“ und „Wasseroberfläche“<br />
möglichst viele Fragen zu beantworten. F<strong>als</strong>che Antworten<br />
führen zu einem Punkteabzug. Am Ende des Spiels<br />
ermöglicht eine Highscore-Liste den Vergleich mit an<strong>der</strong>en<br />
Benutzern.<br />
Vernetzung <strong>der</strong> Programmteile<br />
In <strong>der</strong> TREBIS-Software kann man je<strong>der</strong>zeit zwischen den<br />
Modulen wechseln. Wer zum Beispiel eine Quizfrage nicht<br />
weiß, kann Informationen im Lebensraum- o<strong>der</strong> Steckbriefteil<br />
suchen und dann wie<strong>der</strong> weiter spielen.<br />
Multimediales Lernen im Naturkundemuseum Dornbirn / 121<br />
Projektablauf<br />
1000 Schüler im Alter zwischen 10 und 18 Jahren sowie<br />
200 Tagesbesucher werden eingeladen, die vorbereiteten<br />
Fragebögen nach Ansicht des Computerprogramms zu bearbeiten.<br />
Die Schülerinnen und Schüler, <strong>der</strong>en Fragebögen bereits<br />
ausgewertet wurden, bewerteten das TREBIS-Programm<br />
fast ausnahmslos sehr positiv. Sie stimmten Aussagen auf<br />
dem Fragebogen wie z. B. „das Computerprogramm ist<br />
attraktiv gestaltet“ o<strong>der</strong> „die Tätigkeit hat mir Spaß<br />
gemacht“ – zumeist vollkommen zu. Eine 15-jährige Schülerin:<br />
„Besser <strong>als</strong> Führungen, bei denen <strong>der</strong> gelernte Text<br />
einfach heruntergeredet wird. Mehr Informationsmöglichkeit!“<br />
Beson<strong>der</strong>s beliebt ist das dreidimensional gestaltete<br />
Bodenseequiz, bei dem die Schülerinnen und Schüler mit<br />
einem virtuellen U-Boot die biologische Vielfalt des Bodensees<br />
erkunden. Sie navigieren das Tauchboot an Tiere o<strong>der</strong><br />
Pflanzen heran und beantworten die dann erscheinenden<br />
Fragen zur Biodiversität.<br />
Die Benutzung <strong>der</strong> Software machte den Schülerinnen und<br />
Schülern nicht nur Spaß, sie lernten auch einiges dabei. Auf<br />
die Frage „Wie hoch ist die weltweit wissenschaftlich<br />
beschriebene Artenzahl – 1,75 Tausend, 1,75 Millionen, 1,75<br />
Milliarden o<strong>der</strong> 1,75 Billionen?“ kreuzte im Vortest nur jede<br />
fünfte Testperson die richtige Antwort (1,75 Millionen) an.<br />
Nach <strong>der</strong> Lernphase mit dem TREBIS-Programm war es<br />
bereits jede zweite.<br />
Die statistische Auswertung <strong>der</strong> erhobenen Daten erlaubt<br />
Schlüsse über die Effektivität des multimedialen Systems. Es<br />
wird analysiert, welche Ziele in <strong>der</strong> Vermittlung von Biodi-
122<br />
/ Multimediales Lernen im Naturkundemuseum Dornbirn<br />
versität erreicht wurden und welche Programmteile noch<br />
angepasst werden müssen. Ziel ist, das Informationssystem<br />
anschließend dauerhaft im Naturkundemuseum einzurichten.<br />
Mittelfristig beabsichtigen die Projektpartner, die Software<br />
<strong>als</strong> Basis für die Vernetzung von Naturkundemuseen im<br />
deutschsprachigen Raum zu verwenden, um so das Thema<br />
Biodiversität auch über Landesgrenzen hinweg <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />
näher zu bringen.<br />
Der Projekttitel „TREBIS“ steht für „Trial and Evaluation of a<br />
Biodiversity Information System for public use in a natural<br />
history museum“. Das Projekt wird im Rahmen des fünften<br />
Forschungsprogramms <strong>der</strong> Europäischen Union unter dem<br />
Handlungsschwerpunkt III.1. „Interaktives Publizieren, digitale<br />
Inhalte und kulturelles Erbe“ durchgeführt.<br />
Mag. Paul Schreilechner<br />
gründete nach dem Botanik- und Geographie-Studium die<br />
Firma Biogis Consulting Softwareentwicklungs- und Handels-GesmbH.<br />
Dort ist er <strong>als</strong> geschäftsführen<strong>der</strong> Gesellschafter<br />
tätig. Er ist Universitätslektor am Institut für<br />
Botanik <strong>der</strong> Universität Salzburg und am ZGIS - Zentrum<br />
für Geographische Informationsverarbeitung Salzburg.<br />
Prof. Dr. Ute Harms<br />
leitet die Didaktik <strong>der</strong> Biologie an <strong>der</strong> Ludwig-Maximilians-Universität<br />
in München. Schwerpunkte ihrer wissenschaftlichen<br />
Arbeit sind: Biotechnik <strong>als</strong> Themen für den<br />
Biologieunterricht, interdisziplinäres und kumulatives Lernen<br />
im Biologieunterricht, Interessenför<strong>der</strong>ung an molekularbiologischen<br />
Themen, Einsatz neuer Medien im Museum<br />
und in <strong>der</strong> Schule.<br />
Dipl.-Biol. Angela Krombass<br />
arbeitet <strong>als</strong> wissenschaftliche Mitarbeiterin an <strong>der</strong> Didaktik<br />
<strong>der</strong> Biologie <strong>der</strong> Ludwig-Maximilians-Universität München.<br />
In ihrer Dissertation untersucht sie, wie neue Medien<br />
Interesse und Verständnis für Biodiversität för<strong>der</strong>n können.<br />
Dipl.-Biol. Jonathan Jeschke<br />
untersuchte am Lehrstuhl für Ökologie <strong>der</strong> Ludwig-Maximilians-Universität<br />
München Räuber-Beute-Beziehungen.<br />
Datenbanken zur Artenvielfalt sind ein Bestandteil des<br />
TREBIS-Projekts, an dem er beteiligt ist.<br />
Dr. Detlef Urhahne<br />
forscht über neue Medien, Lernmotivation und Wissensentwicklung.<br />
Der Betriebswirtschaftler und Psychologe<br />
arbeitet <strong>als</strong> wissenschaftlicher Assistent in die Didaktik <strong>der</strong><br />
Biologie <strong>der</strong> Universität München.
Wilfried Stichmann<br />
Kann die Arche Noah eine Lösung sein?<br />
Gefährdung und Bewahrung <strong>der</strong> genetischen Vielfalt im Wald<br />
Ein Paar von je<strong>der</strong> Art ist nicht genug<br />
Die uralte Idee ist faszinierend und trügerisch zugleich:<br />
Wann und wo immer Lebensraum und Lebensgrundlagen<br />
einer Tier- o<strong>der</strong> Pflanzenart schwinden und diese auszusterben<br />
droht, hole man ein Pärchen ins rettende Boot, in die<br />
Arche Noah, um sie nach Abklingen <strong>der</strong> Gefahr wie<strong>der</strong> an<br />
Land auszusetzen. Tatsächlich sorgen heute Zoologische<br />
und Botanische Gärten dafür, dass zumindest einige <strong>der</strong><br />
vom Aussterben bedrohten Tiere und Pflanzen <strong>der</strong> Nachwelt<br />
erhalten bleiben. Das darf jedoch nicht zu <strong>der</strong> Annahme verleiten,<br />
künftig auf Schutzgebiete und Artenschutz im natürlichen<br />
Lebensraum verzichten zu können.<br />
Der 1992 auf <strong>der</strong> Konferenz von Rio formulierte Auftrag an<br />
alle Län<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erde, die biologische Vielfalt zu erhalten,<br />
wird durch die Sicherung des Überlebens einzelner Individuen<br />
nicht erfüllt. Er zielt auf die Bewahrung <strong>der</strong> Arten in ihrer<br />
genetischen Vielfalt ab. Das Erbgut eines Lebewesens stellt<br />
nur einen winzigen Ausschnitt aus dem <strong>gesamten</strong> Genpool<br />
einer Art dar. Der kommt in <strong>der</strong> Verschiedenheit <strong>der</strong> Erscheinungsbil<strong>der</strong><br />
und physiologischen Leistungen von Individuen<br />
ein und <strong>der</strong>selben Art zum Ausdruck. So wie kaum ein<br />
Mensch einem an<strong>der</strong>en, so gleicht auch kaum eine Rotbuche<br />
einer an<strong>der</strong>en. Erst die Summe <strong>der</strong> Genotypen 1) macht<br />
die Art aus, die es zu erhalten gilt.<br />
In <strong>der</strong> genetischen Vielfalt findet die Selektion das Material<br />
für die Anpassungsprozesse, die Evolution die Vorausset-<br />
zung für weitere Entwicklungen. Selbst unter natürlichen<br />
Verhältnissen können sich Lebensbedingungen extrem<br />
än<strong>der</strong>n. Noch wichtiger wird genetische Vielfalt angesichts<br />
gravieren<strong>der</strong> Umweltbelastungen durch den Menschen, bis<br />
hin zur anthropogenen Verän<strong>der</strong>ung des Klimas. Sie erhöht<br />
zumindest die Chance, dass sich in ihr überlebensfähige<br />
Typen finden – darunter auch solche, die den künftigen<br />
Nutzungsinteressen des Menschen entgegenkommen. Die<br />
auf <strong>der</strong> genetischen Vielfalt basierende Anpassungsfähigkeit<br />
ist Voraussetzung für Angepasstheit, sodass eine Population<br />
unter den gegebenen Umweltbedingungen überleben<br />
und sich reproduzieren kann.<br />
Isolation und keimungsunfähiger Samen können<br />
zum Verhängnis werden<br />
Bei allen Baumarten, selbst bei weit verbreiteten, ist auf die<br />
Erhaltung <strong>der</strong> genetischen Vielfalt zu achten. Die früher fast<br />
ganz Mitteleuropa bedeckenden Rotbuchenwäl<strong>der</strong> sind auf<br />
7 % <strong>der</strong> Fläche <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland zurückgedrängt<br />
worden, zum Teil inselartig vereinzelt. Noch isolierter<br />
wachsen Neben- o<strong>der</strong> Mischbaumarten wie Eschen,<br />
Berg- o<strong>der</strong> Flatterulmen und ausgesprochene Seltenheiten<br />
wie wildwachsende Eiben, die Elsbeere o<strong>der</strong> Wildobstarten.<br />
Ihr Flächenanteil liegt unter einem Prozent. Die Seltenheit<br />
o<strong>der</strong> die Verinselung mancher Baumarten ist oft auf <strong>der</strong>en<br />
Verdrängung zugunsten an<strong>der</strong>er Arten (z. B. Eiche, Fichte,<br />
Kiefer, Douglasie) zurückzuführen.
124<br />
/ Kann die Arche Noah eine Lösung sein?<br />
Anlass, sich stärker um die Erhaltung <strong>der</strong> genetischen Vielfalt<br />
zu bemühen, waren jedoch weniger die Isolation und<br />
die Seltenheit mancher Baumarten <strong>als</strong> vielmehr die Sorge,<br />
dass in Mitteleuropa ganze Waldbestände für die Fortpflanzung<br />
ausfallen o<strong>der</strong> zumindest Teile <strong>der</strong> Population keine<br />
keimfähigen Samen mehr hervorbringen werden:<br />
• Die Verinselung <strong>der</strong> Bestände einzelner Baumarten – vor<br />
allem durch Rodung für die Landwirtschaft, für Siedlung,<br />
Gewerbe und Industrie sowie für den Verkehr –<br />
führt leicht zu einer Vermin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> genetischen<br />
Vielfalt, weil <strong>der</strong> genetische Austausch, <strong>der</strong> Genfluss,<br />
stark o<strong>der</strong> gar völlig unterbrochen ist. Die Folgen wären<br />
noch fataler, wenn nicht die meisten Waldbäume Windblütler<br />
wären.<br />
• Ein Drittel aller über 60-jährigen Waldbestände Mitteleuropas<br />
ist seit Jahren erheblich immissionsgeschädigt.<br />
Auf versauerten, schwermetallbelasteten Böden kommt<br />
<strong>der</strong> Jungwuchs über das Keimlingsstadium meist nicht<br />
hinaus. Es sind daher Auswirkungen auf die genetische<br />
Struktur von Populationen zu erwarten<br />
- durch die unterschiedliche Überlebenswahrscheinlichkeit<br />
<strong>der</strong> geschädigten Individuen (Vitalitätsselektion)<br />
und<br />
- durch Beeinträchtigung <strong>der</strong> Blütenbildung, Befruchtung<br />
und Keimung (Fertilitätsselektion).<br />
Auf die Herkunft des Saatgutes kommt es an<br />
Lokal angepasste Populationen heimischer Baumarten gingen<br />
zum Teil infolge <strong>der</strong> Übernutzung und Devastierung 2)<br />
<strong>der</strong> Wäl<strong>der</strong> im 18. und Anfang des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts verloren.<br />
Bei <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>aufforstung griff man aus Unkenntnis<br />
vielfach auf Saatgut beliebiger, zum Teil völlig ungeeigneter<br />
Herkünfte zurück. So verpflanzte man Vermehrungsgut aus<br />
Hochlagen in die Nie<strong>der</strong>ungen, aus kontinentalen in atlantische<br />
Bereiche, von tiefgründigen auf flachgründige Standorte.<br />
Dadurch konnte es auch zur Vermischung des Erbguts<br />
natürlicherweise von einan<strong>der</strong> getrennter Populationen und<br />
damit zu einer künstlichen Zunahme <strong>der</strong> genetischen Vielfalt<br />
kommen. Allerdings war die Chance einer allmählichen<br />
Anpassung an die Bedingungen des neuen Standorts durch<br />
natürliche Selektion stark eingeschränkt. Der Frage nach<br />
Herkunft, <strong>der</strong> Provenienz, des Saatguts wurde bis in das<br />
20. Jahrhun<strong>der</strong>t hinein oft nicht die nötige Beachtung<br />
geschenkt. Erst in den letzten Jahrzehnten wird man sich<br />
fast überall des Wertes autochthoner, standortangepasster<br />
Waldbestände und <strong>der</strong>en genetischer Vielfalt bewusst.<br />
Fast in allen Bundeslän<strong>der</strong>n Deutschlands widmen sich<br />
Institute <strong>der</strong> Sicherung forstlicher Genressourcen. In <strong>der</strong><br />
Praxis haben vor allem die In-situ-Maßnahmen 3) Bedeutung<br />
erlangt. So bemüht man sich um die Erhaltung von Beständen,<br />
die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Naturverjüngung und die Aufstockung<br />
kleinster Vorkommen. Konkurrenzschwache<br />
Baumarten werden gezielt geför<strong>der</strong>t. In vielen Bundeslän<strong>der</strong>n<br />
werden darüber hinaus Samenplantagen angelegt und<br />
Saatgut eingelagert. Um die genetische Vielfalt zu erhalten,<br />
muss das Saatgut pro zugelassenem Erntebestand von mindestens<br />
20 Bäumen gewonnen werden. Außerdem dürfen<br />
nicht immer wie<strong>der</strong> dieselben Bäume und nicht stets<br />
schwachwüchsige Exemplare ausgewählt werden, <strong>der</strong>en<br />
Saatgut am leichtesten zu ernten wäre.<br />
Kellerraum zur Lagerung des Saatgutes von kleinsamigen Nadelhölzern<br />
Die Möglichkeit einer langfristigen Konservierung von Saatgut,<br />
Knospen und Geweben sowie <strong>der</strong> Vermehrung mit<br />
Gewebekulturtechniken sind <strong>der</strong>zeit Gegenstand zahlreicher<br />
Forschungsprojekte.<br />
Gestaltung des Unterrichtsverlaufs<br />
Die Schüler zum Nachdenken anregen<br />
Das Phänomen des Waldsterbens sorgte vor zwanzig Jahren<br />
für engagierte Diskussionen. Heute ist das Thema fast völlig<br />
aus den Schlagzeilen verschwunden. Allenfalls <strong>der</strong> jährliche<br />
Bericht des Bundesamts für Verbraucherschutz, Ernährung<br />
und Landwirtschaft (BVLE) über den Zustand des Waldes<br />
rückt den nahezu ungebremsten Schwund gesun<strong>der</strong> Waldbäume<br />
und -flächen ins Bewusstsein <strong>der</strong> Öffentlichkeit.<br />
Langfristig bedeutet diese Entwicklung eine Gefahr für die<br />
genetische Vielfalt <strong>der</strong> heimischen Waldbaumarten. Die vorliegende<br />
Unterrichtsanregung will den SchülerInnen diese<br />
Probleme bewusst machen und gleichzeitig zum Nachdenken<br />
über Lösungen auffor<strong>der</strong>n.
Kein Baum ist wie <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e!<br />
1. Unterrichtsabschnitt<br />
Bei einem Unterrichtsgang in einen Wald lernen die SchülerInnen<br />
den Unterschied zwischen künstlicher Verjüngung<br />
durch Aussaat o<strong>der</strong> Pflanzung und einer Naturverjüngung<br />
kennen. In einem älteren Waldbestand – am besten mit Rotbuchen<br />
o<strong>der</strong> Eichen – werden sie aufgefor<strong>der</strong>t, verschiedene<br />
Exemplare einer Baumart auf individuelle Merkmale zu<br />
untersuchen, beispielsweise<br />
• Astfreiheit des Stammes o<strong>der</strong> tief ansetzen<strong>der</strong> Wipfel,<br />
• viele dünne Äste o<strong>der</strong> wenige kräftige,<br />
• an Borkenstrukturen („Chinesenbärte“) erkennbare, früh<br />
abgestorbene Äste,<br />
• frühe Aufteilung des Stammes in zwei Hauptäste<br />
(„Zwieselbildung“),<br />
• Gradschaftigkeit (gera<strong>der</strong> Stamm),<br />
• Drehwüchsigkeit und Krümmungen des Stammes.<br />
SchülerInnen notieren alle beobachteten Merkmale <strong>der</strong> Bäume<br />
und fertigen Skizzen an<br />
Indem sie die Merkmale stichwortartig notieren o<strong>der</strong> in<br />
Skizzen festhalten und danach vergleichen, wird den<br />
SchülerInnen bewusst, dass keine zwei Bäume einan<strong>der</strong> völlig<br />
gleichen. Über die genetische o<strong>der</strong> die adaptive 4) Basis<br />
<strong>der</strong> unterschiedlichen Merkmale bzw. Merkm<strong>als</strong>kombinationen<br />
ist hier keine Aussage möglich.<br />
Eine Arche Noah reicht nicht<br />
2. Unterrichtseinheit<br />
Ausgehend von <strong>der</strong> alttestamentlichen Geschichte von <strong>der</strong><br />
Arche Noah schlägt <strong>der</strong> Lehrer einen Bogen zu Rettungsversuchen<br />
für vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten:<br />
Reichen Aktivitäten in Zoos, Botanischen Gärten und<br />
Arboreten aus? Wie berechtigt ist die Sorge, dass immer<br />
Kann die Arche Noah eine Lösung sein? / 125<br />
mehr Tier- und Pflanzenarten aussterben? Sind weiterreichende<br />
Bemühungen um den Artenschutz überflüssig?<br />
Wozu for<strong>der</strong>n viele Menschen noch größere Schutzgebiete?<br />
Je nach Kenntnisstand <strong>der</strong> SchülerInnen führt das Unterrichtsgespräch<br />
bis zur Bedeutung eines möglichst hohen<br />
Heterozygotiegrads 5) innerhalb einer Population o<strong>der</strong> Art<br />
o<strong>der</strong> nur zur genetischen Vielfalt <strong>als</strong> Voraussetzung für die<br />
Anpassungsfähigkeit, ohne die das Überleben in einer sich<br />
wandelnden Umwelt sehr erschwert wird. Die SchülerInnen<br />
sollen erkennen, dass die Erhaltung <strong>der</strong> Biodiversität mehr<br />
ist <strong>als</strong> bloße Existenzsicherung für Individuen möglichst<br />
aller Tier- und Pflanzenarten; sie schließt die genetische<br />
Diversität mit ein, die nur in größeren Populationen und<br />
unter den Bedingungen ihres jeweiligen Lebensraumes dauerhaft<br />
zu sichern ist.<br />
Die genetische Vielfalt schrumpft<br />
3. Unterrichtsabschnitt<br />
Der Lehrer ruft ins Bewusstsein, dass es in Mitteleuropa keinen<br />
Quadratmeter Boden gibt, auf dem <strong>der</strong> Mensch nicht<br />
direkt o<strong>der</strong> indirekt seine Spuren hinterlässt, keine Tiero<strong>der</strong><br />
Pflanzenart, die er nicht bewusst o<strong>der</strong> unbewusst,<br />
direkt o<strong>der</strong> indirekt geför<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> behin<strong>der</strong>t hat. Es stellt<br />
sich die Frage, wie weit und wodurch <strong>der</strong> Mensch die genetische<br />
Vielfalt einzelner Baumarten beeinflusst.<br />
Diese Frage wird zunächst in Gruppen diskutiert. Argumente<br />
liefert Material 1 (siehe nächste Seite). Die Ergebnisse <strong>der</strong><br />
Diskussionen in den Kleingruppen werden geordnet und für<br />
ein Rollenspiel genutzt, in dem folgende Aspekte deutlich<br />
werden sollten:<br />
• Obwohl die meisten Waldbäume Windblütler sind,<br />
beeinträchtigt die Verinselung <strong>der</strong> Bestände den genetischen<br />
Austausch unter ihnen.<br />
• Hohe Schadstoffimmissionen verringern die Überlebenswahrscheinlichkeit<br />
<strong>der</strong> geschädigten Individuen und<br />
stören Blütenbildung, Befruchtung, Keimung und Jungwuchs.<br />
• Der Mensch för<strong>der</strong>t bewusst bestimmte Nutzbaumarten<br />
(z. B. Eiche, Fichte, Kiefer, Douglasie) und verdrängt<br />
dafür an<strong>der</strong>e.<br />
• Bei Wie<strong>der</strong>aufforstungen mit beliebigem, standortfremden<br />
Saatgut wird zwar die genetische Vielfalt erhöht,<br />
aber die Chance einer allmählichen Anpassung an die<br />
Gegebenheiten des neuen Standorts eingeschränkt.
126<br />
/ Kann die Arche Noah eine Lösung sein?<br />
Rettungsversuche haben begonnen<br />
4. Unterrichtsabschnitt<br />
Bei <strong>der</strong> Auflistung <strong>der</strong> Ursachen für die Gefährdung <strong>der</strong><br />
forstlichen Genressourcen kommen Überlegungen auf, wie<br />
diesen Gefahren zu begegnen ist. Material 2 informiert über<br />
die Methoden, die teilweise bereits in <strong>der</strong> Praxis, teilweise<br />
erst in Forschungsinstitutionen angewandt werden. Die<br />
SchülerInnen erhalten Zeit, um diese Informationen auf die<br />
im Material 1 beschriebenen Fälle anzuwenden.<br />
Im Labor entwickeln sich auf einem Nährmedium aus Knospengewebe<br />
neue Pflänzchen<br />
Nachdem die Gruppenergebnisse im Klassenverband vorgestellt<br />
und diskutiert worden sind, ergänzt <strong>der</strong> Lehrer, dass<br />
etwa seit 1900 Methoden <strong>der</strong> landwirtschaftlichen Pflanzenzüchtung<br />
auch auf Waldbäume angewendet werden.<br />
Zuchtziel sind Steigerung von Masse, Qualität und Wi<strong>der</strong>standskraft.<br />
Die SchülerInnen werden schnell das<br />
grundsätzliche Problem <strong>der</strong> Züchtung von Bäumen erkennen:<br />
Aufgrund <strong>der</strong> langen Lebensdauer und <strong>der</strong> Generationszeiträume<br />
kann das Ergebnis züchterischer Bemühungen<br />
erst spät beurteilt werden. Der Lehrer sollte darauf hinweisen,<br />
dass die Wartezeiten durch vegetative Vermehrung<br />
verkürzt werden können.<br />
Material 1<br />
Was gefährdet die genetische Vielfalt im Wald?<br />
Standpunkt eines Waldbesitzers:<br />
Auf den für den Ackerbau geeigneten Böden sind die<br />
ursprünglichen Buchenwäl<strong>der</strong> nahezu restlos verschwunden.<br />
Dafür gibt es an<strong>der</strong>swo noch größere Buchenwäl<strong>der</strong>,<br />
weit verstreut in den verschiedensten Landschaften. Immerhin<br />
wachsen Buchen noch auf 7 % <strong>der</strong> Gesamtfläche <strong>der</strong><br />
Bundesrepublik. Bei einer so weit verbreiteten Baumart<br />
kann doch von einer Gefährdung <strong>der</strong> genetischen Vielfalt<br />
keine Rede sein.<br />
Meinung eines Waldbesuchers:<br />
Offensichtlich nimmt die Anzahl <strong>der</strong> Fichten zu, die durch<br />
die Schadstoffbelastung <strong>der</strong> Luft und des Bodens kränkeln<br />
und absterben. Die übrigen Fichten tragen mehr Zapfen <strong>als</strong><br />
früher. Dafür keimen die zu Boden fallenden Samen vielerorts<br />
nicht mehr aus. An einigen Stellen aber stehen die Fichtensämlinge<br />
weiterhin ganz dicht bei einan<strong>der</strong>, „so dicht<br />
wie die Haare auf dem Hund“. Warum pflanzt man die Jungpflanzen<br />
nicht einfach dort aus, wo keine Saat auskeimt?<br />
Dann wäre <strong>der</strong> Schaden schon behoben.<br />
Hinweis eines Naturschützers:<br />
In großen Rotbuchenbeständen mit Naturverjüngung entdeckt<br />
man anfangs auch einzelne kleine Eschen und Ahornbäumchen.<br />
Doch die werden nicht groß. Viele werden von<br />
den Buchen überwachsen, beschattet und verdrängt. Auch<br />
diejenigen, die schneller waren <strong>als</strong> die Rotbuchen, haben<br />
keine Chance. Sie wurden von den vielen Rehen gefressen,<br />
die gern von dem naschen, was nicht Alltagskost ist. Ähnlich<br />
ergeht es einzelnen kleinen Tannen in großen Fichtenwäl<strong>der</strong>n.<br />
Die Buchen und Fichten schließen dann mühelos<br />
die entstandenen Lücken.<br />
Erklärung des Waldbesitzers:<br />
Früher hatte je<strong>der</strong> Waldbesitzer einen eigenen kleinen<br />
Forstgarten, in dem er junge Bäume anzog. Das Saatgut<br />
wurde im eigenen Wald gesammelt. Heute ist das zu<br />
arbeitsaufwändig; und Arbeit kostet Geld! Forstbaumschulen<br />
liefern das gewünschte Pflanzenmaterial billiger.<br />
Sorge eines Försters:<br />
In vielen industrie- und stadtnahen alten Buchenwäl<strong>der</strong>n<br />
findet praktisch keine Naturverjüngung statt, auch wenn<br />
einzelne Bäume absterben o<strong>der</strong> abgeholzt werden, sodass<br />
genügend Licht den Waldboden erreicht. Teils infolge <strong>der</strong>
Bodenversauerung, teils infolge <strong>der</strong> Bodenverdichtung<br />
durch die Tritte allzu vieler Waldbesucher bleiben die Keimlinge<br />
aus. Möglicherweise sind auch die Bucheckern <strong>der</strong><br />
alten Buchen nicht mehr keimfähig. Jedenfalls wird man<br />
früher o<strong>der</strong> später mit an<strong>der</strong>en Jungpflanzen wie<strong>der</strong> aufforsten<br />
müssen.<br />
Befürchtung des Naturschützers:<br />
Eibenholz war in früheren Jahrhun<strong>der</strong>ten wegen seiner<br />
Härte für Kriegsmaterial, nämlich für Bögen und Armbrüste,<br />
und für Gegenstände des täglichen Gebrauchs sehr begehrt.<br />
Eiben sind deshalb sehr selten geworden. Das gilt auch für<br />
die heute nicht mehr genutzten Wildapfel- und Wildbirnenbäume.<br />
Die Elsbeere wurde durch konkurrenzkräftigere,<br />
Schatten werfende Bäume aus vielen Wäl<strong>der</strong>n verdrängt.<br />
Die meisten Ulmen fielen einer Krankheit zum Opfer. Zwar<br />
blieben weit verstreut einige wenige Exemplare aller dieser<br />
Arten erhalten. Das dürfte aber für die Zukunft kaum reichen.<br />
Beobachtung des Waldbesuchers:<br />
Es kann eigentlich nicht schwer sein, im Wald genügend<br />
Saatgut zu sammeln, um damit geschädigte Bestände wie<strong>der</strong><br />
aufzubauen. Manche Fichten hängen so voller Zapfen,<br />
dass man allein durch das Pflücken <strong>der</strong> Zapfen eines einzigen<br />
Baumes schon genug Saat einbringen könnte. Ähnliches<br />
gilt für Eichen: Sammler brauchen nicht weit zu laufen,<br />
son<strong>der</strong>n nur die Eicheln unter einigen Bäumen aufsammeln,<br />
die reichlich Frucht tragen.<br />
Kritische Bemerkung des Försters:<br />
Auf die Herkunft des Saatguts hat man in diesem Waldrevier<br />
lange Zeit nicht beson<strong>der</strong>s geachtet und manchmal<br />
sogar Billigware unbekannter Herkunft gekauft. Beson<strong>der</strong>s<br />
billiges Saatgut stammt häufig aus Niedriglohn-Län<strong>der</strong>n<br />
Ost- und Südosteuropas. Die heranwachsenden Bäume sind<br />
oft nicht an unsere Witterungsbedingungen und Schadinsekten<br />
angepasst. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht sind<br />
diese Baumbestände teilweise min<strong>der</strong>wertig. Außerdem stehen<br />
sie jetzt im Verdacht, dass sie durch Pollenflug und<br />
damit Bastardisierung auch benachbarte Wäl<strong>der</strong> genetisch<br />
verän<strong>der</strong>n.<br />
Aufgabe<br />
Überlegt, ob und wodurch auf die genetische Vielfalt Einfluss<br />
genommen wird und wie man einer Gefährdung <strong>der</strong><br />
genetischen Vielfalt begegnen kann. Notiert eure Ergebnisse<br />
und versucht sie zu ordnen.<br />
Material 2<br />
Kann die Arche Noah eine Lösung sein? / 127<br />
Bäume für die Samenbank – Sicherung <strong>der</strong> Gen-<br />
Ressourcen heimischer Waldbäume<br />
Er sieht aus wie ein Robin Hood des 21. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Unter<br />
dem Arm trägt er eine Art Armbrust. Martin Ebel ist ein<br />
staatlich angestellter Jäger <strong>der</strong> fast verlorenen Schätze. Die<br />
Objekte seiner Begierde hängen oben in den Kronen <strong>der</strong><br />
Bäume: Reiser, Zweige seltener Bäume. Mit <strong>der</strong> Armbrust<br />
schießt Ebel eine angeseilte Säge über einen Ast. Dann ziehen<br />
er und seine Kollegin so lange abwechselnd an den Seilen,<br />
bis <strong>der</strong> Ast durchtrennt ist und zu Boden fällt. Nun können<br />
die Forstleute die Baumreiser abschneiden, zu Bündeln<br />
zusammenschnüren und für den Transport in wassergetränkte<br />
Tücher packen. In einer Plantage werden die Reiser<br />
auf Baumunterlagen aufgepfropft. Die Bäumchen wachsen<br />
schnell heran und tragen mit ihren Samen zum Erhalt seltener<br />
Arten und speziell an regionale Bedingungen angepasste<br />
Bäume bei. Denn Bäume einer Art unterscheiden sich<br />
– je nach dem, ob sie z.B. vom Nie<strong>der</strong>rhein, aus dem Harz<br />
o<strong>der</strong> aus dem Hochsauerland kommen. In Baumplantagen<br />
und Samenbanken wird ihr Erbgut konserviert.<br />
Zapfenpflücker beim Beernten in einer Fichtenkrone<br />
Voraussetzung für alle Maßnahmen zum Erhalt <strong>der</strong> genetischen<br />
Vielfalt von Waldbäumen ist eine gute Kenntnis <strong>der</strong><br />
Verbreitung und Einzelvorkommen aller Arten, vor allem<br />
auch <strong>der</strong> seltenen. Als beson<strong>der</strong>s erhaltungswürdig gelten<br />
im Gebiet ursprünglich und bis heute heimische (autochthone)<br />
Bäume und Waldbestände, weil sie den ökologischen<br />
Bedingungen ihres Standorts optimal angepasst sind.<br />
Außerdem kann ein Bestand erhaltungswürdig sein, weil er<br />
an Extremstandorten innerhalb des Gesamtverbreitungsgebiets<br />
wächst. Erhaltungswürdig sind aber auch Bestände<br />
nicht heimischer Baumarten, wenn sie sich <strong>als</strong> anpassungsfähig<br />
o<strong>der</strong> <strong>als</strong> gut angepasst erwiesen haben.
128<br />
/ Kann die Arche Noah eine Lösung sein?<br />
Zur Sicherung <strong>der</strong> Gen-Ressourcen kommen in Betracht:<br />
A. In-situ-Maßnahmen (an Ort und Stelle)<br />
wie die Erhaltung ausreichend großer Bestände<br />
1. Durch Naturverjüngung; wie im Urwald entwickeln sich<br />
die nachwachsenden Bäume aus dem Saatgut des vorhandenen<br />
Bestandes. Dies gelingt am besten, je mehr<br />
die örtlichen Standortverhältnisse den Ansprüchen <strong>der</strong><br />
jeweiligen Baumarten entsprechen. Voraussetzungen<br />
sind: genügend Licht am Waldboden, keine hemmende<br />
Bodenvegetation und nicht zu viel Wild. Naturverjüngung<br />
im Dauerwald schützt den Waldboden und entlastet<br />
die Kasse, weil „Kulturkosten“ entfallen.<br />
2. Durch Saat und Pflanzung von Vermehrungsgut, das aus<br />
lokalen Beständen gewonnen wurde.<br />
B. Ex-situ-Maßnahmen<br />
(außerhalb <strong>der</strong> natürlichen Lage)<br />
1. Unter Bedingungen eines natürlichen Standorts:<br />
• Saat und Pflanzung von Vermehrungsgut belasteter<br />
Standorte auf ähnlichen, aber unbelasteten Standorten<br />
mit dem Ziel, die Pflanzen nach Besserung <strong>der</strong> Umweltsituation<br />
an den alten Standort zurückzubringen.<br />
• Anlage von Samenplantagen aus Sämlingen, Steckreisern<br />
o<strong>der</strong> Pfropflingen seltener o<strong>der</strong> gefährdeter Arten<br />
o<strong>der</strong> Bestände mit dem Ziel, später Samen und Jungpflanzen<br />
in die Herkunftsgebiete zurückzubringen o<strong>der</strong><br />
isolierte Vorkommen zu Bestäubungseinheiten zu verbinden.<br />
2. Unter den künstlichen Bedingungen einer Samenbank:<br />
• Sammeln und Einlagern von Saatgut, um es unter<br />
schadstofffreien Bedingungen zu konservieren und es zu<br />
gegebener Zeit zur Aussaat o<strong>der</strong> Aufforstung zu verwenden,<br />
Anzucht von Sämlingen und Stecklingen im Schutz des Gewächshauses<br />
• Einlagern von Steck- und Pfropfreisern,<br />
• Einlagern von Knospen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en pflanzlichen<br />
Geweben für eine spätere Vermehrung mit Gewebekulturtechniken.<br />
Alle Waldbesitzer können bei <strong>der</strong> zuständigen Bezirksregierung<br />
einen Antrag auf Zulassung ihrer Bestände zur Ernte<br />
von Vermehrungsgut stellen. Für die Zulassung und Registrierung<br />
im amtlichen Erntezulassungsregister müssen die<br />
Bestände bestimmte Kriterien erfüllen. Einige sind in Tab. 1<br />
aufgelistet.<br />
Art Wichtige Merkmale Mindestfläche Mindestalter<br />
_________________________________________________________________<br />
Traubeneiche Holzgüte, Gradschaftigkeit,<br />
wenig Wasserreiser 1,0 ha 70 Jahre<br />
_________________________________________________________________<br />
Stieleiche wenig Zwiesel 0,5 ha 70 Jahre<br />
_________________________________________________________________<br />
Rotbuche Wipfelschäftigkeit, Feinastigkeit,<br />
kein Drehwuchs 2,5 ha 70 Jahre<br />
_________________________________________________________________<br />
Bergahorn Gradschaftigkeit, wenig Steiläste 0,25 ha 50 Jahre<br />
_________________________________________________________________<br />
Esche Gradschaftigkeit, Astreinheit,<br />
kein Drehwuchs o<strong>der</strong> Krebsbefall,<br />
wenig Zwiesel 0,25 ha 50 Jahre<br />
_________________________________________________________________<br />
Fichte Massenleistung, Resistenz 2,5 ha 60 Jahre<br />
_________________________________________________________________<br />
Kiefer Gradschaftigkeit,<br />
Wipfelschäftigkeit,<br />
Feinastigkeit, Holzgüte 2,5 ha 60 Jahre<br />
Tab. 1: Anfor<strong>der</strong>ungen an Waldbestände für die Zulassung von ausgewähltem<br />
Vermehrungsgut (Auswahl)<br />
Beim Pflücken von Zapfen und Sammeln <strong>der</strong> Samen – z.B.<br />
Eicheln und Bucheckern – helfen oft auch Jugendliche. Im<br />
Jahr 2000 wurden in den Samen- und Genbanken <strong>der</strong> Bundeslän<strong>der</strong><br />
insgesamt etwa 30 t eingelagert. Die Lebensdauer<br />
<strong>der</strong> Samen ist von Art zu Art unterschiedlich. Trockene,<br />
hartschalige Samen haben die längste Lagerdauer. Zur Zeit<br />
sucht man nach Methoden, um das Saatgut so lange wie<br />
möglich zu konservieren und keimfähig zu erhalten (vgl.<br />
Tab. 2).<br />
Vor allem bei Nadelholz spielt die Saatgutaufbereitung eine<br />
wichtige Rolle. Sie findet in Klengen o<strong>der</strong> Darren statt. Dort<br />
werden beim Trocknen <strong>der</strong> Zapfen die Samen frei. Bei <strong>der</strong><br />
anschließenden Vorreinigung werden die Samen entflügelt.<br />
Danach wird das Saatgut nochm<strong>als</strong> gereinigt, indem Hohlkörner<br />
und leichte Verunreinigungen weggeblasen werden.<br />
Bucheckern werden nur getrocknet, in Folienbeuteln versie-
Schematische Darstellung<br />
des Klengvorganges<br />
in <strong>der</strong> Kleindarre<br />
Art Wassergehalt (%) Lagertemperatur (°C) Lagerdauer<br />
_______________________________________________________________<br />
Berg-/Spitzahorn 24-32 -3 bis -5 2-3<br />
Birken-Arten 1-3 +2 bis +4 3-6<br />
Douglasie 5 -10 > 10<br />
Eibe lufttrocken +1 bis +2 5-6<br />
Esche 10 -5 > 10<br />
Fichte < 5 < -5 > 30<br />
Lärchen-Arten < 5 < -10 > 20<br />
Linden-Arten 10 -5 etwa 5<br />
Rotbuche 8-10 -5 bis -10 5<br />
Schwarzpappel 7-8 -18 bis -20 > 5<br />
Schwarzerle < 5 -10 > 10<br />
Stiel-/Traubeneiche 40-45 -1 bis -3 max. 1<br />
Waldkiefer 4-7 -5 bis -15 > 10<br />
Weißtanne 7-9 -10 bis -15 3-6<br />
Tab. 2: Lagerfähigkeit forstlichen Saatguts<br />
gelt und dann bei –5°C gelagert. Die Baumarten mit großen<br />
Früchten – allen voran Stiel- und Traubeneiche, bereiten die<br />
größten Schwierigkeiten.<br />
Aufgabe 1:<br />
Sucht geeignete Hilfsmaßnahmen für die im Material 1<br />
beschriebenen Fälle.<br />
Aufgabe 2:<br />
Erkundigt euch, wo in eurer Nähe ein zugelassener Bestand<br />
für die Ernte von Vermehrungsgut liegt.<br />
Kann die Arche Noah eine Lösung sein? / 129<br />
1) Als Genotyp bezeichnet man die Gesamtheit <strong>der</strong> Erbanlagen eines Individuums.<br />
Die Summe <strong>der</strong> Genotypen einer Population von Organismen<br />
macht den Genpool aus.<br />
2) Zerstörung, Verwüstung<br />
3) Maßnahmen, die an Ort und Stelle durchgeführt werden.<br />
4) Adaptiv, d. h. angepasst, kann auch ein Merkmal durch nicht erbliche<br />
Reaktion auf die jeweiligen Umweltbedingungen sein.<br />
5) Der Heterozygotiegrad meint den Anteil <strong>der</strong> je Individuum vorkommenden<br />
Chromosomen mit ungleichen Allelen.<br />
Literatur<br />
Bundesforschungsanstalt f. Forst- und Holzwirtschaft (Hrsg.), 1986: Wald<br />
im Wandel. Mitteilungen Nr. 185, Hamburg<br />
Geburek, T.; Heinze, B. (Hrsg.), 1998: Erhaltung genetischer Ressourcen im<br />
Wald. Ecomed, Landberg<br />
Hessische Landesanstalt f. Forsteinrichtung, Waldforschung und Waldökologie<br />
(Hrsg.), 1997: Erfassung forstlicher Genressourcen. Forstliche<br />
Samenplantagen. Hann, Münden<br />
Lehnert, H.-J. 2000: (K)ein Miniwald im Klassenzimmer.<br />
In: UB 253, S. 14-19<br />
Nie<strong>der</strong>sächsisches Ministerium ELF (Hrsg.): Schriftenreihe Waldinformation.<br />
Heft 2: Forstliches Saat- und Pflanzgut, 1998. – Heft 8: Vielfalt<br />
bewahren, 1997<br />
Sächsische Landesanstalt f. Forsten (Hrsg.), 1994: Für Sachsens Wäl<strong>der</strong>.<br />
Planen – Forschen – Informieren. Pirna-Graupa<br />
Sächsische Landesanstalt f. Forsten (Hrsg.), 2000: Konzept zur Erhaltung<br />
und nachhaltigen Nutzung forstlicher Genressourcen in <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
Deutschland. Pirna-Graupa<br />
Quellennachweis<br />
Dieser Artikel ist erschienen in Unterricht Biologie<br />
„Pflanzen züchten und vermehren“ Heft 274, Mai 2002,<br />
Friedrich Verlag, Seelze<br />
Dr. Wilfried Stichmann<br />
Studium <strong>der</strong> Biologie, Geographie, Pädagogik und Philosophie<br />
an <strong>der</strong> Universität Münster. Professor für Biologie und<br />
Didaktik <strong>der</strong> Biologie an <strong>der</strong> Uni Dortmund, emeritiert.
130<br />
Jürgen Dahl<br />
Verteidigung des Fe<strong>der</strong>geistchens<br />
Das Fe<strong>der</strong>geistchen. Aus ihrer Winterstarre aufgestört, flattert<br />
die weiße Motte hoch, taumelt umher, lässt sich gleich<br />
wie<strong>der</strong> nie<strong>der</strong> – und scheint im selben Augenblick verschwunden.<br />
Sie ist aber nicht verschwunden, son<strong>der</strong>n hat<br />
nur ihre im Flug weiß schimmernden Flügel ganz schmal<br />
zusammengefaltet zu einem millimeterdünnen und jetzt<br />
bräunlichen Strich.<br />
Der Schmetterling, den man manchmal bei den ersten Frühjahrsarbeiten<br />
im Garten aufscheucht, gehört zur Familie <strong>der</strong><br />
Fe<strong>der</strong>motten und wurde zu einer Zeit, da man die Namen<br />
<strong>der</strong> Lebewesen gern noch etwas poetischer und anschaulicher<br />
wählte, Fe<strong>der</strong>geistchen genannt. Fe<strong>der</strong>geistchen deshalb,<br />
weil seine Hinterflügel tatsächlich fast wie Vogelfe<strong>der</strong>n<br />
gebaut sind: sie bestehen aus je drei schmalen Keulen,<br />
und diese sind von oben bis unten mit langen Haaren so<br />
besetzt wie <strong>der</strong> Schaft einer Vogelfe<strong>der</strong> mit Seitenästen.<br />
Man kann diese Hinterflügel nur ahnen, wenn man das<br />
Fe<strong>der</strong>geistchen flattern sieht, denn sobald es sich nie<strong>der</strong>lässt,<br />
verschwinden die Hinterflügel schier geisterhaft – nun<br />
nicht etwa, wie bei an<strong>der</strong>en Schmetterlingen, unter den<br />
Vor<strong>der</strong>flügeln, son<strong>der</strong>n regelrecht darin. Das heißt: Die<br />
(nicht mit Haaren besetzten, häutigen) Vor<strong>der</strong>flügel falten<br />
sich längs in <strong>der</strong> Mitte zusammen wie die Klappen einer<br />
Muschel und bergen in dieser schmalen Tasche die drei<br />
fe<strong>der</strong>igen Glie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Hinterflügel.<br />
Die Erscheinung ist ganz und gar einmalig bei den Schmetterlingen,<br />
<strong>der</strong> son<strong>der</strong>bare Mechanismus gehört allein dem<br />
Fe<strong>der</strong>geistchen. Seine Raupen leben auf <strong>der</strong> Ackerwinde,<br />
einem lästigen Feld- und Gartenunkraut. Das ausgeschlüpfte<br />
Fe<strong>der</strong>geistchen lebt von so gut wie nichts, überwintert im<br />
Verborgenen, legt im Frühsommer seine Eier an die Ackerwinde<br />
und stirbt dann. Die stoffliche und energetische<br />
Grundlage dieses Lebenszyklus wird fast ausschließlich von<br />
den Raupen besorgt.<br />
Im Sinne einer kybernetischen Ökologie erscheint das<br />
Fe<strong>der</strong>geistchen ganz unerheblich, es schlägt nicht groß zu<br />
Buche, genau genommen überhaupt nicht: Natürlich können<br />
die Raupen des Fe<strong>der</strong>geistchens von Vögeln gefressen<br />
werden – aber wenn es das Fe<strong>der</strong>geistchen nicht gäbe, würden<br />
die Vögel keineswegs verhungern. Und die Ackerwinde,<br />
<strong>der</strong>en unterirdische Rhizome ihr das Überleben sicher wird<br />
von den Raupen des Fe<strong>der</strong>geistchens, die sich von ihr<br />
nähren, nicht ernstlich in ihrer Ausbreitung gehemmt. Das<br />
heißt: für die rechnerische Ökologie ist das Fe<strong>der</strong>geistchen<br />
überflüssig bis dorthinaus.<br />
Das spricht aber nicht gegen das Fe<strong>der</strong>geistchen, son<strong>der</strong>n<br />
gegen eine Ökologie, die, kaum dass sie von den vielfältigen<br />
Verkettungen des Lebens ein bisschen begriffen hat, gleich<br />
glaubt, sie könne es in ein großes Programm vom Walten<br />
<strong>der</strong> Natur umsetzen. Sie versteift sich aufs Berechenbare,<br />
forscht mit großer Genauigkeit den Bruchstücken von Wissen<br />
über offenkundige und verborgene Abhängigkeiten<br />
nach, fertigt darüber Statistiken und systemanalytische<br />
Diagramme an, leitet aus diesen wie<strong>der</strong>um Handlungsvorschriften,<br />
Gebote und Verbote ab – und hat doch, so vernünftig<br />
das alles sein mag, für entscheidende wichtige<br />
Aspekte überhaupt keine Begriffe in ihrer kybernetischen<br />
Sprache.<br />
Wer weiß denn wirklich, ob nicht sogar das Fe<strong>der</strong>geistchen<br />
in irgendeiner noch ganz unbekannten Weise eine große<br />
Rolle im „System“ spielt, ob es <strong>als</strong>o wirklich so entbehrlich<br />
ist, wie es dem Rechner erscheinen muss?<br />
Und, wichtiger noch: Wo steckt denn in <strong>der</strong> ökologischen<br />
Kalkulation die Bewertung <strong>der</strong> ungeheuerlichen, aber „ökologisch<br />
irrelevanten“ Tatsache, dass das Fe<strong>der</strong>geistchen <strong>der</strong><br />
einzige Schmetterling ist, <strong>der</strong> seine wie Vogelfe<strong>der</strong>n gebauten<br />
Hinterflügel in <strong>der</strong> Klapptasche seiner mit Längsscharnieren<br />
versehenen Vor<strong>der</strong>flügel verstecken kann?
Es kommt nicht vor in <strong>der</strong> Kalkulation. Stürben die Fe<strong>der</strong>geistchen<br />
aus – die Ökologen würden es gar nicht merken,<br />
denn die Statistik würde davon kaum berührt und <strong>der</strong><br />
Naturhaushalt litte nicht darunter, – aber: die Erfindung <strong>der</strong><br />
fe<strong>der</strong>igen Hinterflügel in Verbindung mit den klappbaren<br />
Vor<strong>der</strong>flügeln wäre ein für allemal dahin.<br />
Eben diese Qualität <strong>der</strong> Einmaligkeit entzieht sich einer<br />
ökologischen und systemtheoretischen Bewertung, die nur<br />
das Funktionieren streng definierter Teilkreisläufe im Auge<br />
hat, fixiert bleibt auf das Verhältnis von Ursache und Wirkung,<br />
von Jäger und Beute. Da sie die Fe<strong>der</strong>geistchen aller<br />
Arten übersieht, wird auch diese ganze Ökologie schließlich<br />
nichts dagegen ausrichten, dass die Welt zum Warenhaus<br />
verkommt und, wie alle Warenhäuser, irgendwann einmal<br />
den Räumungs-Schlussverkauf annoncieren muss. Dafür,<br />
dass hier ungehobene Schätze vernichtet werden, unzählige<br />
Arten, die durch nichts an<strong>der</strong>es von Bedeutung sind <strong>als</strong><br />
durch ihre Einmaligkeit o<strong>der</strong> ihre Schönheit – dafür fehlen<br />
<strong>der</strong> Ökologie die Worte: So wenig sie einen Begriff für die<br />
Einmaligkeit hat, so wenig sie <strong>als</strong>o das Fe<strong>der</strong>geistchen wirklich<br />
zu schätzen vermag, so wenig weiß sie, was Schönheit<br />
ist.<br />
Quellenangabe:<br />
Dahl, Jürgen 1995: Der unbegreifliche Garten und seine<br />
Verwüstung. Über Ökologie und Ökologie hinaus.<br />
Klett-Cotta Stuttgart<br />
Verteidigung des Fe<strong>der</strong>geistchens / 131