12.07.2015 Aufrufe

Die Mutprobe

Die Mutprobe

Die Mutprobe

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Geschichte<strong>Die</strong> <strong>Mutprobe</strong>«Heute nachmittag beim Bärenbrunnen.Punkt zwei!», hat der Grossegesagt. Was sie ihm wohl für eineAufgabe stellen werden? Alex spürtein seltsames Gefühl im Bauch. Erist erst vor zwei Wochen mit seinerFamilie, der Mutter und der kleinenSchwester, im Block Nummer elfeingezogen. Heute ist in der Pauseder Grosse zu ihm gekommen undhat gefragt, ob Alex in seiner Bandemitmachen wolle. <strong>Die</strong> Bande desGrossen ist die Bande im Quartier,das weiss Alex von Mirco, der auchin Nummer elf wohnt. Der «Grosse»aus dem KinSo 7/2006 (www.kik-verband.ch)ist der Chef. Er heisst so, weil er alleum wenigstens einen Kopf überragt.Und weil er so stark ist. Was er sagt,das gilt. Mirco ist in dieser Bande.Alex möchte auch dazugehören.«Du musst im Italiener-Laden dadrüben für uns Schokolade klauen.Mindestens drei Tafeln», sagt derGrosse zu Alex, als alle beim Brunnenversammelt sind. «Wenn du dasmachst, nehmen wir dich in unsereBande auf. Wenn nicht, bist du einHosenscheisser und gehörst nichtzu uns. Du darfst nicht auf unse-9


em Platz tschutten und musst allevon der Bande mit ‹Sie› anreden,kapiert?!» Alex traut seinen Ohrennicht. Er hat ja gewusst, dass esnichts Leichtes sein würde. Aberstehlen! Richtig echt in einem Laden!So etwas hat er noch nie gemacht.Der Grosse spürt Alex’ Zögern.Er lacht höhnisch: «Hast dudie Hose jetzt schon voll?» <strong>Die</strong> ganzeBande lacht. Auch Mirco. Alexwird rot: Ein Hosenscheisser – daswill er nicht auf sich sitzen lassen.«Wart’s ab», sagt er ganz locker.«Bongiorno, hallo Bub», sagt dieschwarzhaarige Frau an der Kasse.Sie hat eine freundliche Stimme.– «Grüezi», sagt Alex. Jetztfühlt er sich noch schlechter. Eineso nette Frau kann man doch nichtbestehlen. Rasch verkriecht sichAlex hinter das Gestell mit den Suppenund Saucen. Der Moment istgünstig. Ausser ihm ist kein Kundeim Laden. Da sind auch schon dieSchokoladen. Alex schaut in seinenTaschen nach. Zwei Franken undfünfzig Rappen findet er. Das reichtfür eine Tafel, vielleicht für zwei voneiner billigen Sorte. Aber niemals fürdrei. «Suchst du etwas Bestimmtes?»,ruft die Frau von vorne. «Ichschaue nur», gibt Alex zur Antwort.Fieberhaft denkt er nach. Zuhausehätte er mehr Geld. Aber der Grossewill nicht, dass er etwas kauft.Er will, dass Alex klaut. In der Hosentaschevon Alex ist genug Platz.Zwei Tafeln Schokolade sind schnellverstaut. <strong>Die</strong> Dritte behält er in derHand. Wenigstens diese will er bezahlen.«Hast du alles, was du brauchst?»,fragt die Frau an der Kasse. «Caromio. Du bist ein lieber Junge. Nochnicht lange hier, gell? Deine Mutterkenne ich schon. Wie ist doch deinName?» – «Alex», sagt Alex. «SchöneGrüsse zuhause», sagt die Frau,10


«Arrivederci.» Alex geht. Bei der Türbleibt er stehen. Durchs Glas siehter die andern beim Brunnen; sie bewerfenden eisernen Bären auf demSockel mit Steinen. Plötzlich tut Alexalles Leid: Der Bär, die nette Verkäuferin,einfach alles. «Ich muss nochetwas nachsehen», sagt er raschzur Kasse hinüber und verschwindetnochmals hinter den Gestellen.«Und wo ist der Rest?», fragt derGrosse, als Alex ihm kurz daraufeine Tafel Nussschokolade reicht.«Das ist alles», sagt Alex. «Für mehrhat mein Geld nicht gereicht.» –«Versager!», sagt der Grosse, «einHosenscheisser bist du! Kommt,Leute, mit dem haben wir nichtszu tun.» Im Gehen wirft er Alex dieSchokolade vor die Füsse: «DeineSchoggi kannst du behalten, diebrauchen wir nicht.»Langsam macht sich Alex aufden Heimweg. Im Hof trifft er Mirco.Vorhin beim Brunnen hat Mircoauch gelacht, Alex will sich raschins Haus verdrücken. Doch Mircokommt ihm nach. «Hey, Alex», sagter, «ich finde, du bist mutig.» Alexstaunt. Er hat doch versagt, oderetwa nicht? «Weisst du», sagt Mirco,«ich musste auch Schokoladestehlen für den Grossen. Eigentlichwollte ich nicht – aber ich habe estrotzdem getan. Ich habe manchmalAngst vor dem Grossen.»Alex setzt sich neben Mirco aufdie Treppenstufen. Nachdenklichzieht er die Schoggi aus der Hosentasche.Sie ist schon etwas weichgeworden. «Willst du?», fragt er.Mirco strahlt: «Ja, gern.» <strong>Die</strong> Schokoladeschmeckt gut. Alex fühlt sichauf einmal sehr zufrieden. Es kommtihm so vor, als habe er eben einenFreund gefunden.Mach den Kiki-Test:– Bist du ehrlich?– Bist du mutig?www.kiki.ch/testaus dem KinSo 7/2006 (www.kik-verband.ch)11

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!