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Frauen ins Parlament! Wahlsysteme und Frauenquoten im Fokus

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zfmr 1 ❘ 2009bc<br />

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Michael Krennerich<br />

<strong>Frauen</strong> <strong>ins</strong> <strong>Parlament</strong>!<br />

<strong>Wahlsysteme</strong> <strong>und</strong> <strong>Frauen</strong>quoten <strong>im</strong> <strong>Fokus</strong><br />

Die gleichberechtigte Mitwirkung der Geschlechter am politischen <strong>und</strong> öffentlichen<br />

Leben ist eine demokratische <strong>und</strong> menschenrechtliche Gr<strong>und</strong>forderung. Sie findet sich<br />

in einer Vielzahl universeller <strong>und</strong> regionaler Menschenrechtsdokumente allgemeiner<br />

Natur <strong>und</strong> zum besonderen Schutz von <strong>Frauen</strong>. Vor allem das weithin ratifizierte<br />

UN-Übereinkommen über die Beseitigung jeder Form der Diskr<strong>im</strong>inierung der<br />

Frau (CEDAW) verpflichtet die Vertragsstaaten ausdrücklich dazu, alle geeigneten<br />

Maßnahmen zur Beseitigung der Diskr<strong>im</strong>inierung von <strong>Frauen</strong> zu treffen <strong>und</strong> zu<br />

gewährleisten, dass diese – de jure <strong>und</strong> de facto – gleichberechtigt am politischen <strong>und</strong><br />

öffentlichen Leben teilhaben.<br />

Trotz jahrzehntelanger Kämpfe für Emanzipation <strong>und</strong> Gleichberechtigung sind<br />

indes selbst etablierte Demokratien, ganz zu schweigen von Diktaturen, noch männlich<br />

dominiert. Nach der Wahlniederlage von Premierministerin Helen Clark in Neuseeland<br />

<strong>im</strong> November 2008 <strong>und</strong> der Regierungsübernahme von Jóhanna Sigurôardóttir in<br />

Island <strong>im</strong> Februar 2009 führten bezeichnenderweise nur in sechs Staaten – namentlich<br />

in Argentinien, Chile, Deutschland, Island, Liberia <strong>und</strong> auf den Philippinen – <strong>Frauen</strong><br />

die Regierungsgeschäfte. Das „Gruppenbild mit Dame“ prägt also noch <strong>im</strong>mer das<br />

Erscheinungsbild internationaler Treffen von Regierungschefs. Selbst der <strong>Frauen</strong>anteil<br />

in den nationalen <strong>Parlament</strong>en lag den Angaben der Interparlamentarischen<br />

Union zufolge <strong>im</strong> Februar 2009 weltweit gerade einmal bei 18,5 % (wobei hier nur<br />

Einkammerparlamente <strong>und</strong> die Unterhäuser von Zweikammerparlamenten erfasst<br />

wurden). Dem voraus ging ein allmählicher, zuletzt etwas beschleunigter Anstieg: von<br />

4,9 % (1960), auf 5,4 % (1970), 8,7 % (1980), 9,1 % (1990), 11,9 % (2003) <strong>und</strong><br />

16,3 % (2005). Im interregionalen Vergleich schneiden dabei Amerika <strong>und</strong> Europa mit<br />

21,8 % bzw. 21,3 % nur unwesentlich besser als andere Weltregionen ab. N<strong>im</strong>mt<br />

man die nordeuropäischen Spitzenreiter aus, liegt der europäische Durchschnitt mit<br />

19,3 % gegenwärtig kaum höher als jener von Asien (18,0 %) <strong>und</strong> dem subsaharischen<br />

Afrika (18,1 %). Am unteren Ende sind mit 13,0 % die pazifischen <strong>und</strong> mit 9,7 %<br />

die arabischen Staaten angesiedelt. 1<br />

Erst ab einer 40-%-Geschlechterrepräsentation lässt sich von einer „balanced<br />

representation“ sprechen, ist die gleichberechtigte Teilhabe am parlamentarischen


<strong>Frauen</strong>Menschenrechte ❘ Krennerich<br />

Geschehen zumindest numerisch annähernd gewährleistet. Im Februar 2009 wiesen<br />

lediglich sechs Staaten weltweit eine solche ausgeglichene Repräsentation <strong>im</strong> nationalen<br />

Einkammer-<strong>Parlament</strong> oder Abgeordnetenhaus auf: Ruanda, Schweden, Kuba, Finnland,<br />

die Niederlande <strong>und</strong> Argentinien. Im April 2009 kam die Republik Südafrika<br />

hinzu. Dabei ist Ruanda derzeit das einzige Land, in dem das nationale <strong>Parlament</strong>,<br />

zumindest das Unterhaus, mehrheitlich aus weiblichen Abgeordneten besteht: Bei<br />

den Wahlen von 2008 wurden dort – teilweise auf Gr<strong>und</strong>lage von „reserved seats“<br />

– 45 weibliche Abgeordnete <strong>ins</strong> 80-Sitze starke Abgeordnetenhaus gewählt; der <strong>Frauen</strong>anteil<br />

<strong>im</strong> <strong>Parlament</strong> von 56,3 % liegt nun leicht über jenem in der Bevölkerung.<br />

Auf subnationaler Ebene stellten erstmals <strong>im</strong> walisischen <strong>Parlament</strong> die <strong>Frauen</strong> die<br />

Mehrheit, <strong>und</strong> zwar infolge der Wahlen von 2003 <strong>und</strong> einer anschließenden Nachwahl<br />

(vgl. Chaney 2008).<br />

Weitere 17 Staaten lagen <strong>im</strong> Februar 2009 über der 30-%-Marke, darunter sechs<br />

europäische: Dänemark, Spanien, Norwegen, Belgien, Island <strong>und</strong> Deutschland. Der<br />

Wert von 30-35 % wird in Politik <strong>und</strong> Wissenschaft oft als „benchmark“ benutzt, so<br />

auch seitens des CEDAW-Ausschusses. 2 Dahinter steht die Annahme, dass es einer<br />

„kritischen Masse“ (Dahlerup 1988) von etwa einem Drittel weiblicher Abgeordneter<br />

bedürfe, damit <strong>Frauen</strong> das parlamentarische Geschehen nachhaltig beeinflussen <strong>und</strong><br />

prägen. Obwohl die numerische Repräsentation von <strong>Frauen</strong> noch kein Garant für<br />

eine geschlechtersensible <strong>und</strong> frauenfre<strong>und</strong>liche Politik ist, gilt also ein entsprechender<br />

<strong>Frauen</strong>anteil <strong>im</strong> <strong>Parlament</strong> als wichtige Voraussetzung dafür, dass die Belange <strong>und</strong> Interessen<br />

von <strong>Frauen</strong> <strong>im</strong> parlamentarischen Prozess stärker zur Geltung kommen (siehe<br />

u.a. Dahlerup 1988; Lovenduski 2005; Mateo Díaz 2005). Dies schließt natürlich<br />

nicht aus, dass auch weniger <strong>Frauen</strong> einen Unterschied machen können (vgl. etwa<br />

Raaum 2005: 876 f.). Letztlich ist <strong>im</strong> Einzelfall zu prüfen, inwieweit die „deskriptive<br />

Repräsentation“ tatsächlich zu einer „substantiellen Repräsentation“ führt, die sich in<br />

der Politikgestaltung niederschlägt. 3<br />

In den allermeisten Staaten besteht jedoch nach wie vor eine ausgeprägte nummerische<br />

Unterrepräsentation von <strong>Frauen</strong>. Dies gilt auch für die meisten der 47 Mitgliedsstaaten<br />

des Europarates, der eine herausgehobene Rolle für den europäischen Menschenrechtsschutz<br />

einn<strong>im</strong>mt <strong>und</strong> sich nachdrücklich zur Förderung der <strong>Frauen</strong>partizipation<br />

bekennt 4 – <strong>und</strong> dessen Mitgliedern daher <strong>im</strong> Folgenden besondere Aufmerksamkeit<br />

zuteilwird. 16 dieser Staaten wiesen <strong>im</strong> Februar 2009 lediglich einen <strong>Frauen</strong>anteil<br />

zwischen 20 % <strong>und</strong> 30 % auf, ebenso viele gar nur einen zwischen 10 % <strong>und</strong> 20 %.<br />

Am unteren Ende der Europaratsmitglieder befanden sich, mit jeweils unter 10 %, die<br />

Türkei, Malta, Armenien, die Ukraine, Albanien <strong>und</strong> das Schlusslicht Georgien (siehe<br />

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zfmr 1 ❘ 2009bc<br />

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Tab. 1, S. 73). Sie sind nicht weit von den reinen Männerparlamenten entfernt, wie<br />

sie noch in einigen Staaten des Pazifiks <strong>und</strong> des Nahen Ostens vorzufinden sind.<br />

1. Hürdenlauf der <strong>Frauen</strong> <strong>ins</strong> <strong>Parlament</strong><br />

Das allgemeine Wahlrecht ist unabdingbare Voraussetzung für eine gleichberechtigte Teilhabe<br />

am politischen Geschehen <strong>und</strong> gehört zu den gr<strong>und</strong>legenden <strong>und</strong> unverrückbaren<br />

Standards demokratischer Wahlen. Als erstes Land Europas führte Finnland 1906 das<br />

aktive wie passive Wahlrecht für Männer <strong>und</strong> <strong>Frauen</strong> zugleich ein. In anderen europäischen<br />

Staaten erhielten <strong>Frauen</strong> etwas oder erheblich später als Männer das Wahlrecht, meist<br />

aber noch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts (vgl. Rule 2000). Das uneingeschränkte<br />

<strong>Frauen</strong>wahlrecht gilt heutzutage als so selbstverständlich, dass es <strong>im</strong> Rückblick<br />

erstaunt, wie mühsam es erkämpft <strong>und</strong> wie beschämend spät es in einigen europäischen<br />

Ländern eingeführt wurde. Zu den Nachzüglern gehören Monaco (1962), die Schweiz<br />

(1971), Andorra (1973), San Marino (1973), Portugal (1976) <strong>und</strong> Liechtenstein (1984).<br />

In anderen Weltregionen gibt es noch einige Staaten, die das <strong>Frauen</strong>wahlrecht bislang<br />

nicht eingeführt (z.B. Saudi-Arabien) oder noch nicht umgesetzt haben (etwa Katar) oder<br />

in denen de facto überhaupt kein Wahlrecht weder für Männer noch für <strong>Frauen</strong> besteht<br />

(z.B. die Vereinigten Arabischen Emirate). Ohnehin ist dort, wo die Demokratie noch<br />

nicht Fuß gefasst hat bzw. die Wahlen noch nicht demokratischen Standards genügen,<br />

die Bedeutung eines möglicherweise formal garantierten Wahlrechts beschränkt.<br />

Die historisch so bedeutsame Einführung des <strong>Frauen</strong>wahlrechts ist eine notwendige,<br />

aber gewiss keine hinreichende Bedingung für die angemessene parlamentarische<br />

Repräsentation von <strong>Frauen</strong>, auch nicht in Demokratien. Damit <strong>Frauen</strong> <strong>ins</strong> <strong>Parlament</strong><br />

gelangen, müssen sie gleich mehrere Hürden nehmen: Sie müssen bereit sein<br />

zu kandidieren, müssen als Kandidatinnen aufgestellt <strong>und</strong> schließlich auch gewählt<br />

werden (vgl. Matland 2005: 93 ff.). Der kritischste Punkt ist hierbei der zweite: die<br />

Kandidaturaufstellung, die in modernen Demokratien weitgehend in der Hand der<br />

politischen Parteien <strong>und</strong> ihrer Entscheidungsgremien liegt. Die „party gate-keepers“<br />

best<strong>im</strong>men nicht nur, wer zur Wahl steht, sondern beeinflussen auch maßgeblich den<br />

Wahlerfolg von Kandidatinnen <strong>und</strong> Kandidaten, indem sie diesen mehr oder weniger<br />

„sichere“ Wahlkreise oder Listenplätze zuweisen. Bei den Kandidaturentscheidungen<br />

von Parteien spielen dabei gesellschaftliche Normen <strong>und</strong> innerparteiliche Macht ebenso<br />

eine Rolle wie politisch-strategische Überlegungen, die wiederum von vielen Faktoren,<br />

auch vom Wahlsystem, beeinflusst werden. Zugleich setzen auf der Kandidaturebene<br />

die meisten Quotenregelungen an.

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