34 NEUE FORSCHUNG_BINDUNG VON ZEITARBEITNEHMERNBindung von Zeitarbeitnehmern –eine Frage <strong>de</strong>r QualifikationVon Prof. Dr. Manfred Bornewasser (Universität Greifswald) und Christian Lehmann (Universität Bayreuth)Im Juni 2011 waren in Deutschland mehr als 900.000 Zeitarbeitnehmerin knapp 17.500 Verleihbetrieben beschäftigt.Der Arbeitskräftebestand in <strong>de</strong>r Arbeitnehmerüberlassungentspricht damit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r IT- und Telekommunikationsbranche(Bun<strong>de</strong>sagentur für Arbeit, 2012). Für die Vermittlungvon Arbeitskräften ist die Zeitarbeit seit geraumer Zeitwichtigster Partner <strong>de</strong>r Jobcenter und Arbeitsagenturen. InEntleihbetrieben hat sich die Arbeitnehmerüberlassung alswichtiges Instrument <strong>de</strong>r externen, numerischen Flexibilisierungbewährt. Vor allem zum Zweck <strong>de</strong>r Bewältigung vonAuftragsspitzen, aber auch zur befristeten Ausführung vonTätigkeiten in Projekten, für die Unternehmen kein hochwertigesQualifikationspotenzial bereithalten, wird Zeitarbeit imunteren wie im höheren Qualifikationssegment von Dienstleisternbereitgestellt. Auftragsschwankungen, die Vermeidung<strong>de</strong>s Eingehens von Beschäftigungsrisiken und die Auslagerungvon Personalfunktionen, insbeson<strong>de</strong>re im Rahmen <strong>de</strong>rRekrutierung, sind Hauptmotive von Unternehmen, Zeitarbeiteinzusetzen (siehe Abb. 1).Abb. 1: Grün<strong>de</strong> für die Nutzung von ZeitarbeitQuelle: Flex4Work (2011): Zustimmen<strong>de</strong> Nennungen in %, Mehrfachantworten möglich (N=235).Diese Befun<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n auch durch eine Studie von Baszenski(2011) bestätigt. Damit sind zwei direkte Konsequenzen<strong>de</strong>r Zeitarbeit angesprochen. Zum Ersten wird ein hochgradigproduktives betriebliches Arbeitssystem auf <strong>de</strong>r Basis einesgemischten Arrangements von sowohl internen als auch externenArbeitsmärkten etabliert. Die Beschäftigten <strong>de</strong>s internenArbeitsmarkts gelten dabei gewöhnlich als gut ausgebil<strong>de</strong>t,engagiert und an das Unternehmen gebun<strong>de</strong>n, die Beschäftigten<strong>de</strong>s externen Arbeitsmarkts, gera<strong>de</strong> im Fall starker numerischerErgänzungen, als eher schlecht ausgebil<strong>de</strong>t, wenigerengagiert und weniger stark gebun<strong>de</strong>n.Zum Zweiten wird auf diese Weise eine Kern- o<strong>de</strong>r Stammbelegschaftund eine periphere o<strong>de</strong>r Randbelegschaft innerhalb<strong>de</strong>r Firma gebil<strong>de</strong>t. Das Vorhan<strong>de</strong>nsein einer Randbelegschafterfüllt dabei <strong>de</strong>n Zweck, die Stammbelegschaft systematischvor extremen Überlastungen zu schützen. Die Peripheriewirkt wie ein Puffer, <strong>de</strong>r Umwelteinflüsse absorbiert und eineErosion <strong>de</strong>s Qualifikationskerns verhin<strong>de</strong>rt (Kalleberg, 2011).Diese Beschreibung trifft genau die Kernannahmen <strong>de</strong>s Core-Periphery-Mo<strong>de</strong>lls von Atkinson (1984) mit Geringqualifiziertenan <strong>de</strong>n Rän<strong>de</strong>rn und Hochqualifizierten. Allerdingssind dort alle Randbeschäftigten wie etwa Zeitarbeitnehmergering qualifiziert. Verschie<strong>de</strong>nen Untersuchungen zufolgeliegt <strong>de</strong>r Helferanteil, also <strong>de</strong>r Anteil von Zeitarbeitnehmern,die über keine tätigkeitsrelevante Berufsausbildung verfügeno<strong>de</strong>r ausbildungsfern eingesetzt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>utlich unter 50 %(Lehmann/Ratzmann/Bouncken, 2010). Daraus ergibt sich dieFrage, ob das klassische Core-Peripherie-Mo<strong>de</strong>ll auch auf höherqualifizierte Zeitarbeitnehmer übertragen wer<strong>de</strong>n kann.Zwar wird auch dort ein gemischtes Arrangement gebil<strong>de</strong>t,jedoch gelten die Beschäftigten <strong>de</strong>s externen Arbeitsmarktsim Vergleich zur Stammbelegschaft in <strong>de</strong>r Regel entwe<strong>de</strong>r alsgleich o<strong>de</strong>r sogar besser ausgebil<strong>de</strong>t.Bei diesen Beschäftigten besteht aufgrund <strong>de</strong>r Abhängigkeit<strong>de</strong>r entleihen<strong>de</strong>n Unternehmen und <strong>de</strong>r Besserbezahlungkein Interesse an einer Übernahme. Der hoch qualifizierteKern wird hier nicht um eine min<strong>de</strong>r qualifizierte Peripherieergänzt, son<strong>de</strong>rn um noch besser qualifizierte, bezahlte undanerkannte Experten auf Zeit bereichert. Wenn numerischeFlexibilisierung z. B. durch eine hohe Anzahl von IngenieurenPERSONAL<strong>quarterly</strong> 02 / 12
35ABSTRACTForschungsfrage: Welche Faktoren beeinfl ussen <strong>de</strong>n Aufbau einer erfolgreichen Arbeitsbeziehungzwischen Zeitarbeitnehmern und Entleihunternehmen?Metho<strong>de</strong>: Fragebogengestützte Erhebungen von Unternehmen mit Zeitarbeitseinsatz undvon Zeitarbeitnehmern in Deutschland (2011).Praktische Implikationen: Erfolgreich gestaltete Arbeitsbeziehungen sind Voraussetzungfür Motivation und Leistung. Im Helfersegment sind Erfolge durch verbesserte Integration undGleichbehandlung zu realisieren. Im Spezialistensegment ist das Spannungsverhältnis vonqualifi zierter Stammbelegschaft und vorübergehend beschäftigten Fachkräften zu gestalten.herbeigeführt wird, dann entsteht auch dort ein Core-Periphery-Gefälle.So erledigen z. B. viele externe Ingenieure auf Zeitbestimmte routinierte Konstruktionstätigkeiten, Krankenschwesterno<strong>de</strong>r Ärzte wer<strong>de</strong>n auf Zeit eingestellt und IT-Expertennehmen vorübergehend komplexe Systemumstellungenvor. Diese Unterscheidung anhand <strong>de</strong>r Qualifikation <strong>de</strong>r Zeitarbeitnehmerkonnten wir in mehreren Studien nachweisen. NutzenUnternehmen Zeitarbeit, tun sie dies entwe<strong>de</strong>r mit einemSchwerpunkt auf Helfern (durchschnittlicher Helferanteil 87 %,Fachkräfte und Aka<strong>de</strong>miker 13 %) o<strong>de</strong>r mit einem Schwerpunktauf Fachkräften und Aka<strong>de</strong>mikern (85 % und 15 % Helfer). 47 %aller Unternehmen nutzen Zeitarbeit im Helfersegment, 53 %eher im Fachkräftebereich (eigene Erhebung 2011, N=503).Psychologische Aspekte <strong>de</strong>s ZeitarbeitseinsatzesDer <strong>de</strong>utsche Arbeitsmarkt gilt als konservativ und reglementiert.Das schafft für alle Seiten Sicherheit. Sie bil<strong>de</strong>t <strong>de</strong>n Kern<strong>de</strong>s sogenannten Normalarbeitsverhältnisses in Deutschland(Mückenberger, 1985). Dessen Sicherheit ergibt sich im Wesentlichenaus <strong>de</strong>m zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n Arbeitsvertrag. Dieserregelt Arbeitsinhalte, Arbeitszeiten, Arbeitsbedingungen unddas Arbeitsentgelt und trifft eine Aussage über die vorgeseheneDauer <strong>de</strong>s Vertrags. Die atypische Beschäftigung hingegenstellt vor allem die Unbefristetheit infrage (Polivka/Nardone,1996). Dies trifft insbeson<strong>de</strong>re auf befristete Arbeitsverhältnisse,aber auch auf die Zeitarbeit zu, in <strong>de</strong>r zwar u. U. einunbefristeter Vertrag zwischen Zeitarbeitnehmern und <strong>de</strong>mVerleihunternehmen besteht, die eigentliche Tätigkeit beimKun<strong>de</strong>n jedoch zeitlich befristet ist. Zeitarbeit impliziert vondaher auch immer Aspekte von Unsicherheit und damit einerGesundheitsbeeinträchtigung (Galais/Moser, 2009).Zeitarbeit, Leiharbeit o<strong>de</strong>r Arbeitnehmerüberlassung liegt vor,wenn ein Unternehmen (Verleiher) einem an<strong>de</strong>ren (Entleiher)eigene Mitarbeiter (Zeitarbeitnehmer) gegen Entgelt zur Erbringungvon Arbeitsleistungen überlässt (§ 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz).Dadurch wird das für die Zeitarbeit typischeDreiecksverhältnis konstituiert (siehe Abb. 2). Wie auch an<strong>de</strong>reBeschäftigungsverhältnisse, so sind Zeitarbeitsverhältnisse alsrelationale Verträge anzusehen. Der zwischen Zeitarbeitnehmerund Personaldienstleister geschlossene Arbeitsvertrag schafftzwar einerseits eine langfristige Beziehung, diese ist jedochmit Ausnahme <strong>de</strong>r explizit geregelten Vertragsbestandteilewie Arbeitszeit, Arbeitsort und -inhalt und Bezahlung in seinerkonkreten Ausgestaltung ungewiss und damit unsicher. DerAbb. 2: Dreiecksverhältnis <strong>de</strong>r ZeitarbeitQuelle: Crimmann et al. (2009), S. 5.02 / 12 PERSONAL<strong>quarterly</strong>