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Diskussionspapier - puwendt.de

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DISKUSSIONSSPAPIER DES ARBEITSKREISES KRITISCHE SOZIALE ARBEITDRESDENSolidarische Soziale Arbeit12. Januar 2013Soziale Arbeit ist Teil <strong>de</strong>r praktischen Sozialpolitik und damit Teil staatlicherHerrschaftsverhältnisse. Integration und Exklusion sind die Spannungspunkte zwischen<strong>de</strong>nen sie stattfin<strong>de</strong>t.Die von Sozialer Arbeit betroffenen Menschen, wie auch die professionelle Soziale Arbeitselbst sind gesellschaftlich in beson<strong>de</strong>rem Maße belastet. Im Kampf um die Verteilung vonöffentlichen Mitteln, in <strong>de</strong>n For<strong>de</strong>rungen nach einer evi<strong>de</strong>nzbasierten Sozialen Arbeit, in <strong>de</strong>rgesellschaftlichen Rückkehr autoritärer Ansprüche und <strong>de</strong>r Einschränkung öffentlichverfügbarer und durch die Menschen gestaltbarer Räume zeigen sich die Auswirkung einerzwanzigjährigen neoliberalen Politik in Deutschland.Ausgegrenzte und marginalisierte Gruppen stehen einem „aktivieren<strong>de</strong>n Sozialstaat“gegenüber, <strong>de</strong>r an Stelle von Teilhabe nun Selbstverantwortung und Eigenleistung for<strong>de</strong>rt.Soziale Arbeit wird als Relikt eines angeblichen unbezahlbaren Sozialstaates alter Prägungverstan<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>m mittels „Neuer Steuerung“, „Dienstleistungsorientierung“,„Qualitätsmanagement“ und For<strong>de</strong>rungen nach erhöhter Effizienz gewissermaßen „Beinegemacht wer<strong>de</strong>n müsste“. Die belasteten Zielgruppen (z.B. Migrant_innen, Jugendliche,Armutserfahrene, Schulverweigern<strong>de</strong>, Psychisch Kranke, Arbeitslose, DrogenKonsumieren<strong>de</strong>, Unangepasste, etc.) treffen auf eine höchst verunsicherte Soziale Arbeit,die sich ten<strong>de</strong>nziell nicht mehr in <strong>de</strong>r Lage sieht, unvoreingenommen, spontan,adressat_innenbezogen und flexibel Unterstützungsangebote mit <strong>de</strong>njenigen zu entwickeln,die darauf angewiesen sind.Der Sozialen Arbeit wer<strong>de</strong>n erhöhte Anstrengungen, Konzentration auf die Arbeit mit Erfolgversprechen<strong>de</strong>n Adressat_innen, Kreativität im Einwerben von Drittmitteln und Spen<strong>de</strong>n,Unsicherheiten in <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung und insgesamt eine verän<strong>de</strong>rte Art <strong>de</strong>s „Helfens“abverlangt. Des lässt eine verän<strong>de</strong>rte Soziale Arbeit entstehen. Eine große Zahl vonengagierten Kolleg_innen steht erschrocken und staunend vor diesen Verän<strong>de</strong>rungen undfühlt sich diesen gegenüber machtlos. Und die Träger Sozialer Arbeit und ihre1


Wohlfahrtsverbän<strong>de</strong> schützen zunehmend nicht mehr die sozial Marginalisierten und dieSoziale Arbeit vor dieserart „neosozialen Entwicklungen“. Im Gegenteil forcieren sie mitbetriebswirtschaftlicher „Marktorientierung“ Strukturen, die prekäre Arbeitsverhältnisse für diein <strong>de</strong>r Sozialen Arbeit Beschäftigten zur Folge haben. Die Auf<strong>de</strong>ckung von Wi<strong>de</strong>rsprüchen in<strong>de</strong>r sozialpolitischen Agenda und Spielräumen in <strong>de</strong>r eigenen Arbeit wer<strong>de</strong>n dabei <strong>de</strong>nBeschäftigten allein überlassen.Gegen diese Entwicklungen braucht es eine Wie<strong>de</strong>rent<strong>de</strong>ckung und eineNeuformulierung <strong>de</strong>s Solidarischen in <strong>de</strong>r Sozialen Arbeit. Es ist und bleibt AufgabeSozialer Arbeit, selbstkritisch und dialogisch die Interessen <strong>de</strong>r Betroffenen wahrzunehmen,konzeptionell die Lebensverhältnisse <strong>de</strong>r Betroffenen zu reflektieren und praktisch wiepolitisch sichtbar zu machen, was Solidarität be<strong>de</strong>utet. Soziale Arbeit muss sich wie<strong>de</strong>r alsBestandteil <strong>de</strong>s historischen Emanzipationsprozesses verstehen. Dieses <strong>Diskussionspapier</strong>soll dazu erste Ansatzpunkte liefern.Solidarische Soziale Arbeit beschreibt Lebenslagen benachteiligterBevölkerungsgruppen als öffentliches und politisches ProblemKeine an<strong>de</strong>re Profession hat einen <strong>de</strong>rart umfassen<strong>de</strong>n Einblick in die Lebenslagen undLebenswelten sozial bedrängter Individuen und Gruppen. Diese Kenntnisse und diesesWissen verpflichten Sozial Arbeiten<strong>de</strong> zur gesellschaftlichen Kommunikation <strong>de</strong>r Folgen <strong>de</strong>rUnterordnung nahezu je<strong>de</strong>r Lebensäußerung unter Bedingungen kapitalistischen Marktesund Wettbewerbs. Dies bezieht auch die zunehmen<strong>de</strong> Unterordnung jeglicher Bildung unterVerwertungskriterien mit ein (z.B. Kita, Schule, Berufsausbildung, Hochschule).Insbeson<strong>de</strong>re Bereiche von Armut, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Deliquenz und Abweichen<strong>de</strong>nVerhalten sind aber beson<strong>de</strong>rs betroffen. Solche Beschreibungen und Analysen können nur -wollen sie erfolgreich sein - skandalisierend und ungeschönt erfolgen. All dieangesprochenen Prozesse und die Verweigerung gesellschaftlicher Teilhabe grün<strong>de</strong>n aufpolitischen Entscheidungen und sind somit adressierbar und revidierbar. Darzustellen ist,welche bewussten Entscheidungen politischer Verantwortungsträger_innen undAkteur_innen in <strong>de</strong>r Sozialen Arbeit mitursächlich sind. Zu skandalisieren ist, welcherpolitisch und wirtschaftlich verän<strong>de</strong>rte Zeitgeist herrscht und welche begrifflichenUminterpretationen wirksam sind (z.B. „Kin<strong>de</strong>swohl“ o<strong>de</strong>r „Empowerment“). DieBeschreibung <strong>de</strong>r Lebenslagen marginalisierter Bevölkerungsgruppen und <strong>de</strong>r Verweis auf<strong>de</strong>ren Ursachen ist die sozialpolitische Querschnittsaufgabe Sozialer Arbeit und damitAufgabe aller Sozial Arbeiten<strong>de</strong>n.2


Solidarische Soziale Arbeit nutzt reflektierte Begriffe <strong>de</strong>s SozialenDie Begriffe von Solidarität, För<strong>de</strong>rn, Helfen und Unterstützen sind in <strong>de</strong>r neuerenVergangenheit massiv umge<strong>de</strong>utet o<strong>de</strong>r nicht mehr benutzt wor<strong>de</strong>n. Ein gesellschaftlicheEntwicklungen reflektieren<strong>de</strong>r Sprachgebrauch macht es nötig, sich gängigen undversan<strong>de</strong>ten sprachlichen Wegen zu verweigern und <strong>de</strong>n Missbrauch offen zu legen. Begriffewie „Solidarität“, „Hilfe zur Selbsthilfe“ o<strong>de</strong>r „Emanzipation“ sind reflektiert und in ihremursprünglichen kritischen Gehalt zu verwen<strong>de</strong>n. Politik, Öffentlichkeit und Soziale Arbeithaben weitgehend unterschiedliche Verständnisse dieser Begriffe. Die nach außengerichteten Beschreibungen Solidarischer Sozialer Arbeit müssen genau, verständlich,vielleicht ganz neu und nah an <strong>de</strong>n Lebenswelten <strong>de</strong>r Adressat_innen Sozialer Arbeitformuliert sein.Solidarische Soziale Arbeit ist fundamental <strong>de</strong>mokratischDas kritische Nach<strong>de</strong>nken über Gesellschaft („In welcher Gesellschaft wollen wir leben“) wirdaktuell diffamiert als, meist linksextreme, Variante systemgegnerischer Aktivitäten. Wer dieDemokratie und die UN-Menschenrechtskonvention als Grundlage sozialarbeiterischerProfession und sozialpolitischer Aktivität fundamental versteht, kann innerhalb <strong>de</strong>rbestehen<strong>de</strong>n Gesellschaftsordnung die Rechte <strong>de</strong>r Betroffenen massiv stärken undUnterstützungen einfor<strong>de</strong>rn sowie gegen anti<strong>de</strong>mokratische Entwicklungen (z.B.Ausgrenzung aufgrund von Armut, Geschlecht, Nationalität, Aufenthaltsstatus etc.) arbeiten.Fundamental für diese Perspektiven ist aber auch die <strong>de</strong>mokratische Gestaltung <strong>de</strong>r eigenenArbeitsverhältnisse im System <strong>de</strong>r Sozialen Arbeit.Solidarische Soziale Arbeit solidarisiert sich mit <strong>de</strong>n Verlierern neosozialer PolitikSoziale Arbeit soll Inklusion möglich machen, soziale Teilhabe beför<strong>de</strong>rn und ermöglichen.Die umfassen<strong>de</strong> Erfüllung dieser Ziele Sozialer Arbeit ist nicht zuletzt angesichts <strong>de</strong>rVerän<strong>de</strong>rung ihres Auftrages und ihrer unzureichen<strong>de</strong>n Ressourcen strukturell gefähr<strong>de</strong>t. Mitallem, was Sozialer Arbeit an Möglichkeiten geblieben ist, wirken die Sozial Arbeiten<strong>de</strong>nnachhaltig <strong>de</strong>r Exklusion entgegen und bin<strong>de</strong>n die Menschen wie<strong>de</strong>r inKommunikationsprozesse und soziale Zusammenhänge ein. Ziel ist hierbei die Herstellungvon Gegenöffentlichkeit und Gegenmacht.Solidarische Soziale Arbeit agiert nie gegen die beteiligten MenschenWer sich professionell für die Belange marginalisierter Bevölkerungsgruppen einsetzt, darfnicht Gefahr laufen, das eigene Mandat ohne die Adressat_innen zu entwickeln. Diesozialpolitische Analyse muss rückgekoppelt wer<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>n Erfahrungswelten <strong>de</strong>r3


Menschen. Das ermöglicht und erfor<strong>de</strong>rt das gemeinsame und gleichberechtigte Entwickelnvon sozialpolitischen und sozialarbeitspraktischen Interventionen. Das gemeinsame Han<strong>de</strong>lnmit <strong>de</strong>n Adressat_innen muss im Selbstverständnis und in <strong>de</strong>n Aktionen einer SolidarischenSozialen Arbeit gestärkt und selbstverständlich wer<strong>de</strong>n.Solidarische Soziale Arbeit entwickelt Formen von Wi<strong>de</strong>rstandProtagonist_innen neosozialer Politik agieren machtvoll und gegenüber <strong>de</strong>n Betroffenenübergriffig. Deshalb muss Solidarische Soziale Arbeit hier machtvolle Aktionenentgegensetzen. Soziale Arbeit kann auf die Erfahrungen von gesellschaftlichenBewegungen (z.B. Frauenbewegung, Umwelt- o<strong>de</strong>r Occupy-Bewegung) o<strong>de</strong>r aufErfahrungen mit Selbstverwaltungsprojekten und Gemeinwesenarbeit zurückgreifen. Esreicht nicht mehr, gemessen an <strong>de</strong>r aktuellen Politik und <strong>de</strong>ren Folgen, zu warnen o<strong>de</strong>r zurufen. Trotz aller Einschränkungen hat Soziale Arbeit noch die Spielräume, die Fähigkeitenund die Zeit, sich nachhaltig für verän<strong>de</strong>rte gesellschaftliche Bedingungen <strong>de</strong>s Lebens undAufwachsens einzusetzen. Aber auch eine Strategie <strong>de</strong>s Aufklärens über neosozialeProzesse allein kann keine nachhaltige Wirkung erzielen. Soziale Arbeit muss Bündnisse mitan<strong>de</strong>ren gesellschaftlichen Gruppen eingehen und sich gemeinsam mit Adressat_innen anwi<strong>de</strong>rständigen Aktionen beteiligen. Gleichzeitig gilt es Formen <strong>de</strong>r Einmischungsstrategienweiterzuentwickeln, z. B. in <strong>de</strong>r Bildungs-, Beschäftigungs- o<strong>de</strong>r Armutspolitik.Solidarische Soziale Arbeit ist VerweigerungDer öffentliche Auftraggeber Sozialer Arbeit verknappt Ressourcen und macht unmoralischeAngebote. Solidarische Soziale Arbeit wehrt sich gegen eine Zunahme von Repression undKontrolle in <strong>de</strong>r Praxis. Sie macht dies gegenüber <strong>de</strong>n Adressat_innen und <strong>de</strong>r Gesellschaft<strong>de</strong>utlich und sucht Wege <strong>de</strong>r Aufgabenerfüllung im Interesse <strong>de</strong>r Menschen. Gleichzeitigwer<strong>de</strong>n die Arbeitsbedingungen <strong>de</strong>r Sozialarbeiten<strong>de</strong>n und die Fachstandards für dieErfüllung <strong>de</strong>r Aufgaben teilweise dramatisch verschlechtert. Diese Ten<strong>de</strong>nzen müssenöffentlich sichtbar, erklärt und bekämpft wer<strong>de</strong>n. Dazu sind Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen mitgesellschaftlichen Gruppen, <strong>de</strong>n Vorgaben von Gesetz- und Geldgeber_innen sowie <strong>de</strong>nStrategien <strong>de</strong>r marktorientierten „Sozialwirtschaft“ notwendig. Leitorientierungen hierfür sinddie Prinzipien <strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong>, einer gerechten Gesellschaft, die Interessen <strong>de</strong>rMenschen und die professionseigenen fachlichen Standards. Solidarische Soziale Arbeitvertritt konsequent das Soziale in <strong>de</strong>r Gesellschaft!Solidarische Soziale Arbeit ist Praxis!Solidarische Soziale Arbeit ist kritisch gegenüber <strong>de</strong>n herrschen<strong>de</strong>n Verhältnissen. Sie istpraktisch und beginnt jetzt; vor Ort, im Konkreten und entsprechend <strong>de</strong>m Prinzip „lokal4


han<strong>de</strong>ln - global <strong>de</strong>nken“. Sie ist nicht erwartbar aber möglich. Eine an<strong>de</strong>re Welt ist möglich;eine an<strong>de</strong>re Soziale Arbeit ist möglich!5

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