Gesellschafts- politische Kommentare - Leo Schütze Gmbh
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gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 2/08 – März 2008 – Seite 20<br />
Professionelle unterschätzen die Partizipationsbereitschaft<br />
der Patienten<br />
Dass dies beeinflusst ist durch eine ganze Reihe von<br />
Variablen, wie Alter, Sozialschicht usw., müssen wir<br />
an dieser Stelle nicht unterstreichen. Interessant ist,<br />
dass nur 44,8 Prozent der Befragten angeben, dass<br />
dieser Wunsch in konkreten Behandlungskontakten<br />
auch tatsächlich akzeptiert wird. Zwischen dem, was<br />
die Menschen wünschen, und dem, wie die Professionellen<br />
darauf reagieren, klafft offenbar eine ziemliche<br />
Lücke.<br />
Interessant ist in diesem Zusammenhang der kulturelle<br />
Vergleich. Die Bereitschaft, sich auf eine aktive<br />
Rolle als Patient einzulassen, ist in Spanien und Polen<br />
deutlich geringer als in Deutschland.<br />
Diese und ähnliche Studien zeigen: Die Partizipationsbereitschaft<br />
der Menschen wird von den Professionellen<br />
deutlich unterschätzt und kaum abgefordert.<br />
Das bedeutet: Wir brauchen eine neue Kommunikationskultur<br />
im Gesundheitswesen. Wir brauchen gezielte<br />
Ermutigung für die Menschen, sich aktiv einzubringen.<br />
Nicht jeder Patient hat von sich aus die Fähigkeit,<br />
seine Bedürfnisse zu artikulieren. Was wir sicherlich<br />
auch brauchen – und damit sind wir wieder auf der<br />
Ebene der Systemfragen – sind finanzielle Anreize<br />
für eine gesprächsorientierte Medizin und eine konsequente<br />
Patientenorientierung als Leitmotiv in der<br />
Aus-, Fort- und Weiterbildung aller Gesundheitsberufe.<br />
Es gibt Merkmale für die Kompetenz des Patienten,<br />
sich im Gesundheitssystem zu bewegen. Das entsprechende<br />
Stichwort in der theoretischen Debatte<br />
heißt „health literacy“. Ausgangsfrage ist: Wie gut ist<br />
jemand in der Lage, sich und seine Interessen nicht<br />
nur zu vertreten, sondern gesundheitsbezogene Themen<br />
überhaupt zu verstehen?<br />
„Health literacy“ als Begriff kommt aus den USA und<br />
setzt sich aus verschiedenen Aspekten zusammen.<br />
Ein Patient muss zunächst das Notwendige hören und<br />
verstehen können, er muss auch geschriebene Texte<br />
verstehen können usw. Wettbewerb setzt voraus,<br />
dass Menschen in der Lage sind, Material, das sie für<br />
ihre Entscheidung brauchen, erstens zu finden, zweitens<br />
zu lesen und drittens wirklich zu verstehen.<br />
In den USA beispielsweise sind mehr als 50 Prozent<br />
der Menschen nicht in der Lage, einfache Informationen<br />
zu verstehen. Man hofft, dass es in Deutschland<br />
besser aussieht, aber einige Studien lassen uns, gerade<br />
was die prospektive Entwicklung angeht, nicht<br />
unbedingt optimistisch sein.<br />
Jedenfalls brauchen wir, wenn wir Wettbewerb wollen,<br />
deutliche Anstrengungen, die „health literacy“ der<br />
Menschen entscheidend zu verbessern. Das geht<br />
natürlich zunächst über Information. Es gibt eine Fülle<br />
von Informationen auf der einen Seite – wir diskutieren<br />
sogar über einen Informations-Overload –, auf der<br />
anderen Seite ist die Qualität sehr heterogen.<br />
Wir müssen also mehr als bisher die Information so<br />
aufbereiten, dass sie auch diejenigen verstehen können,<br />
die nicht auf einem hohen „health literacy“-Level<br />
sind. Wir müssen auf die unterschiedlichen Informationstypen<br />
eingehen, auf diejenigen, die sehr viel Information<br />
wollen, und auch diejenigen, die Entscheidungen<br />
vollständig ihrem Arzt überlassen möchten<br />
und nur wenige, ausgewählte Informationen wünschen.<br />
Deutschland Schlusslicht bei Information<br />
und Kommunikation<br />
Wie sieht es mit der Informationsvermittlung, einem<br />
zentralen Bedürfnis der Patienten, in Deutschland<br />
aus. In einer international vergleichenden Studie des<br />
Commonwealth Fund hat Deutschland, wenn es um<br />
den Zugang zu medizinischen Leistungen geht, sehr<br />
gute Ergebnisse erzielt. Wir haben hierzulande sehr<br />
kurze Wartezeiten, eine gute Versorgung von chronisch<br />
kranken Patienten, zeitnahe Befunde und eine<br />
niedrige Rate von Infektionen im Krankenhaus.<br />
Allerdings ist Deutschland Schlusslicht bei der Koordination<br />
von Leistungserbringern und Sektoren, im Entlassungsmanagement<br />
und im Bereich der Information<br />
und Kommunikation. Was die Menschen sich wünschen<br />
und häufig schmerzhaft vermissen sind Information,<br />
Kommunikation und das Eingehen auf ihre<br />
Bedürfnisse.<br />
Hier brauchen wir zukünftig deutlich mehr Anstrengungen<br />
im System, diese Bedürfnisse tatsächlich zu<br />
realisieren. Dazu zählen Anreizsysteme für Professionelle,<br />
möglicherweise neue Berufsprofile, aber auch<br />
der Ausbau niedrigschwelliger, leicht zugänglicher<br />
und verständlicher Informationsangebote. Patienten<br />
müssen Zugang zu guten, möglichst evidenz-basierten<br />
Informationen haben, und sie brauchen Unterstützungsinstanzen,<br />
die ihnen bei der Aneignung von<br />
Informationen helfen.<br />
Ein weiteres, zentrales Bedürfnis der Menschen ist<br />
der Wunsch nach Transparenz über die Qualität der<br />
Versorgung. Patienten wollen wissen, wie gut die<br />
Leistungserbringer sind, an wen sie sich im Krankheitsfall<br />
wenden können. Auch wenn wir zur Zeit noch<br />
keine genauen Kenntnisse darüber haben, wie Transparenzinformationen<br />
tatsächlich genutzt würden und