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Drogenkonsum in der Kontrollgesellschaft

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E<strong>in</strong>zelne untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> ausfechten.Solche Verhaltensanfor<strong>der</strong>ungen und die Fähigkeit, sie zu gewährleisten, s<strong>in</strong>d die Grundbed<strong>in</strong>gungendes ökonomischen und somit auch des sozialen Überlebens. Wenn dies so ist, o<strong>der</strong>vielleicht besser: zunehmend so se<strong>in</strong> wird, so dient die eigene Selbstkontrolle dem Individuumals bedeutsamer und unentbehrlicher Produktionsfaktor. Das gibt <strong>der</strong> Selbstkontrolle e<strong>in</strong>enneuen, gegenüber den traditionalen Anfor<strong>der</strong>ungen noch verstärkten Stellenwert; 'Funktionieren'heißt nicht mehr nur - gesteuert durch Gebote, Verbote und Belohnungsstrukturen - denAnfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Außenwelt nachzukommen, son<strong>der</strong>n - darüber h<strong>in</strong>aus - <strong>in</strong>nengeleitet dieseAußenwelt durch Darstellung des Selbst und unternehmerisches Handeln zu bearbeiten und zubee<strong>in</strong>flussen, und dieses Selbst ist jetzt e<strong>in</strong>e Ressource von Produktion und darstellerisch verspielterKonsumtion. 8Und wenn das Individuum davor versagt? Die Antwort ist e<strong>in</strong>fach. Traditionell wird e<strong>in</strong>Versagen <strong>der</strong> Selbstkontrolle mit Formen <strong>der</strong> Pathologisierung wie Medikalisierung undPsychiatrisierung, oft begleitet von moralischer Verachtung bestraft, unter den Bed<strong>in</strong>gungene<strong>in</strong>es allgegenwärtigen Marktes aber erübrigen sich solche psychisch und materiell aufwendigenReaktionen. An ihre Stelle tritt <strong>der</strong> unternehmerische Konkurs, und das ist we<strong>der</strong> e<strong>in</strong>emoralische noch e<strong>in</strong>e pathologisierende Kategorie, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e ökonomische: gefragt ist we<strong>der</strong>Verantwortung noch Verschulden, we<strong>der</strong> Therapie noch Sozialarbeit, son<strong>der</strong>n allenfalls dieHaftung für Schulden und als Konsequenz <strong>der</strong> - jedenfalls momentane - Ausschluß von <strong>der</strong>Teilnahme am Markt. Dieses Programm zielt somit explizit nicht auf Normalisierung, wie es diesozialpolitische Programmatik mithilfe von Therapie versucht hatte, es kommt aber doch nichtohne Kontrolle aus. Zwar unterstellt es den Individuen pr<strong>in</strong>zipiell marktförmig-rationale Entscheidungen,rechnet aber immer auch mit <strong>der</strong>en Versagen. '<strong>Kontrollgesellschaft</strong>' verzichtetzwar, soweit es irgend geht, auf die Diszipl<strong>in</strong>ierung ihrer Mitglie<strong>der</strong>, unterwirft sie aber dafüre<strong>in</strong>er allgegenwärtigen Kontrolle.Diese Kontrolle beruht auf <strong>der</strong> Vorstellung, dass alle Gesellschaftsmitglie<strong>der</strong> ökonomischrational und nach Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten handeln. Führt man diese Perspektive fort, solässt sich ohne Mühe <strong>der</strong> Konsum von Drogen und auch jede Form <strong>der</strong> Abhängigkeit und Suchtebenfalls als e<strong>in</strong>e rationale Wahl begreifen. Die Individuen, die gerade diese Option wählen,nehmen wie mit je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Option auch Vorteile und Nachteile <strong>in</strong> Kauf, und ob sie im obenbezeichneten S<strong>in</strong>ne bankrottieren, ist sowieso ihre Sache, aber auch nicht notwendig ausgemacht.Mehr als die Praxis des Umgangs mit Sucht hat die Theorie darauf bereits reagiert. Solöst Herwig-Lempp 9 konsequent jede Begrifflichkeit von Sucht und Abhängigkeit auf un<strong>der</strong>setzt das bisher vorherrschende Erklärungspr<strong>in</strong>zip 'Abhängigkeit' durch das Erklärungspr<strong>in</strong>zip'Autonomie': <strong>der</strong> Konsum von Drogen wird dabei als autonom und selbstbestimmt betrachtetund gilt nur dann als therapiebedürftig, wenn die Person dies selbst für sich so sieht. AlleFormen von 'akzeptieren<strong>der</strong> Drogenarbeit' lassen sich als e<strong>in</strong> Schritt <strong>in</strong> diese Richtung werten.Allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d Süchtige unter dem Gesichtspunkt von Risikokalkülen auch 'irgendwie'gefährlich, und das färbt immer auch die Kontrollformen, die man ihnen gegenüber anwendet.Denn mit <strong>der</strong> rationalen Wahl <strong>der</strong> Individuen zu rechnen, bedeutet letztlich ja nicht, auf ihreKontrolle zu verzichten; es bedeutet, die Konsequenzen aus jenen Verhaltensweisen zu ziehen,die sie bei solchen Kontrollen offenbaren.Kontrolle im spätmo<strong>der</strong>nen S<strong>in</strong>ne bedeutet dabei vor allem Kontrolle von Sichtbarkeit, und dasist <strong>der</strong> zweite Aspekt, <strong>der</strong> <strong>Kontrollgesellschaft</strong> auszeichnet: die Ortung <strong>der</strong> Körper. Politik sucht4

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