Das Gutachterverfahren auf dem Prüfstand: Sachstandslage und ReformbestrebungenSaarlandIn Zusammenhang mit der seit längererZeit geführten Diskussion über die Reformder Psychotherapie-Richtlinien sind auchÜberlegungen zum derzeitig bestehendenGutachterverfahren in Gang gekommen.Niedergelassene PsychotherapeutInnen erlebendie Berichtspflicht im Rahmen desGutachterverfahrens häufig als belastendeArbeitsanforderung. Berufsverbände setzensich daher für die Erleichterung desAntragsverfahrens ein und haben entsprechendeKonzepte zur Reformierung entwickelt.Auch seitens der Krankenkassenwerden Reformvorschläge erarbeitet.Hintergründe und Grundlagendes GutachterverfahrensDie Einrichtung eines Gutachterverfahrenswar seitens der gesetzlichen Krankenversicherungenobligate Voraussetzung für dieEinführung der Psychotherapie in die kassenärztlicheVersorgung. Das GAV hat demnachdie Funktion, die Notwendigkeit,Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit derbeantragten Behandlung festzustellen. „Diepsychotherapeutischen Leistungen müssennach § 12 SBG V zweckmäßig und wirtschaftlichsein und dürfen das Maß desNotwendigen nicht überschreiten. Leistungen,die nicht notwendig oder unwirtschaftlichsind, können nach § 12 SGB V Versichertenicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringernicht bewirken und die Krankenkassennicht bewilligen“ (Rüger et al.,2003, S. 73). Weiter ist in § 12 der Psychotherapie-Vereinbarunggeregelt: „Das Gutachterverfahrendient dazu festzustellen, obdie in den Psychotherapie-Richtlinien desBundesausschusses für Ärzte und Krankenkassenund in dieser Vereinbarung niedergelegtenVoraussetzungen für die Durchführungeiner Psychotherapie zulasten dergesetzlichen Krankenversicherung erfülltsind. Dabei ist insbesondere zu prüfen, obdas beantragte Psychotherapieverfahrennach den Richtlinien anerkannt und im konkretenBehandlungsfall indiziert und ob diePrognose einen ausreichenden Behandlungserfolgerwarten lässt“.Die Prüfung der geplanten Behandlungdurch das GAV hat zur Folge, dass PsychotherapeutInnenvon der Wirtschaftlichkeitsprüfungausgenommen sind: „Bestätigt dieKrankenkasse ihre Leistungspflicht für Psychotherapieaufgrund eines Antragsverfahrens,wird eine zusätzliche Wirtschaftlichkeitsprüfungfür die bewilligte Psychotherapienicht durchgeführt“ (§ 13 Psychotherapievereinbarung).Vor- und Nachteile desGutachterverfahrens –politischer KommentarAls wesentliche Kritikpunkte im Gutachterverfahrenkönnen die geringe Honorierungund die geringe Akzeptanz des GAV genanntwerden, Faktoren, die wahrscheinlichmiteinander in Zusammenhang stehen.Des Weiteren sind die Bewilligungsschrittesowie der Ergänzungsbericht diskussionswürdig.Ungünstig ist zudem, dassGutachter zum Teil nicht in der ambulantenVersorgung tätig und im Bereich dertiefenpsychologisch fundierten Psychotherapiemeist Psychoanalytiker sind.Als Vorteile des Gutachterverfahrens könnengenannt werden: Wegfall der Wirtschaftlichkeitsprüfung,keine zusätzlichenMaßnahmen der Qualitätssicherungdurch die KVen, sichere Mindestvergütung,keine Steuerung durch die Krankenkassen.Aus berufspolitischen Gründen wurde dasGutachterverfahren daher stets als Qualitätssicherungsinstrumentfür die Honorarverhandlungenmit eingebracht und hat wesentlichzum festen, gestützten Punktwertfür psychotherapeutische Leistungen verholfen.Andererseits ist allen Insidern bekannt,dass das Gutachterverfahren ein „zahnloserTiger“ ist, der zwar einerseits den Gutachterneinen guten Umsatz beschert (70.000,– €pro Gutachter pro Jahr bei Gesamtkostenvon fast 28 Mio. € – Kurzzeitgutachten18,60 €, Langzeitgutachten 38,20 €, Obergutachtendas Doppelte), andererseits dieAblehnungsquote konstant sehr gering ist.Das Leistungsverhalten der KollegInnen inder Niederlassung weist darauf hin, dasslängst nicht die Behandlungskontingenteausgeschöpft werden, die bewilligt werden;es wird sorgsam mit den Ressourcenumgegangen. Zudem bedeutet das Gutachterverfahrenper se natürlich einenZweifel an der Fachkompetenz des Behandlers,der immer noch einmal neu beweisenmuss, was längst bewiesen ist: denKrankheitszustand des Patienten.Andererseits zwingt das Gutachterverfahrenauch zur Strukturierung der Psychotherapie.Es bedarf sicherlich einiger Korrekturen, diein allen Vorschlägen der beteiligten Akteurevorhanden sind. Im Kern sind diese:1. Nur noch Stichprobengutachten,2. Angleichung der Kontingente für VTund Tiefenpsychologisch fundierte Therapie(TP),334 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/<strong>2013</strong>
Saarland3. Begutachtung der TP-Therapien nurdurch TP- und nicht durch psychoanalytischeGutachter,4. pragmatische Veränderung der Bewilligungskontingente(50 Sitzungen imersten Schritt, weitere 50 im zweitenSchritt),5. Vereinfachung der Beantragung fürGruppentherapie,6. größere Freiheit für die Krankenkasse inder Bewilligungspraxis (z. B. bei Akutfällenbzw. bei Erhaltungstherapien nachAbschluss des Kontingentes).Eine Umsetzung dieser pragmatischenVeränderungen und Anpassungsschrittewürde sicherlich eine erhebliche Entlastungfür die niedergelassenen PsychotherapeutInnenbedeuten.Diskussion in der ProfessionIm März <strong>2013</strong> fand auf Einladung der BPtKein Round-Table-Gespräch statt, hier wurdendie Reformvorschläge mehrerer Berufsverbändevorgestellt und diskutiert.Diese Gespräche sollen fortgeführt werden,um in weiteren Diskussionen möglicherweiseeinen Verbände übergreifendengemeinsamen Reformvorschlag formulierenzu können.Konstituierende Sitzung des Gemeinsamen LandesgremiumsAm 12. Juni <strong>2013</strong> ist das sogenannte „GemeinsameLandesgremium“ zu seinerkonstituierenden Sitzung im Ministeriumfür Soziales, Gesundheit, Frauen und Familiezusammengekommen.Rechtlicher Hintergrund –GesetzestextDer Bundesgesetzgeber hat § 90a SGB Vim Jahr 2011 neu in das SozialgesetzbuchV (SGB V) eingefügt:„Abs. 1: Nach Maßgabe der landesrechtlichenBestimmungen kann für den Bereichdes Landes ein gemeinsames Gremiumaus Vertretern des Landes, der KassenärztlichenVereinigung, der Landesverbändeder Krankenkassen sowie der Ersatzkassenund der Landeskrankenhausgesellschaftsowie weiteren Beteiligten gebildet werden.Das gemeinsame Landesgremiumkann Empfehlungen zu sektorenübergreifendenVersorgungsfragen abgeben.Abs. 2: Soweit das Landesrecht es vorsieht,ist dem gemeinsamen LandesgremiumGelegenheit zu geben, zu der Aufstellungund der Anpassung der Bedarfspläne undzu den von den Landesausschüssen zutreffenden Entscheidungen Stellung zunehmen.“Der Gesetzgeber hat mit der Umsetzungder Neufassung der Bedarfsplanungs-Richtlinie als erste entscheidende Neuregelunggleich zu Anfang unter der amtlichenÜberschrift „Zweck und Regelungsbereich“die mit der Bedarfsplanung verfolgtenZiele umschrieben. So geht dievom Gemeinsamen Bundesausschuss(GB-A) erlassene Richtlinie teilweise neueWege und regelt in Umsetzung des zum 1.Januar 2012 neu in Kraft getretenen § 99Abs. 1 S. 3 SGB V zukünftig auch, wannund unter welchen Voraussetzungen aufgrundregionaler Besonderheiten bei derAufstellung der Bedarfspläne der einzelnenKVen von der Bedarfsplanungs-Richtlinieabgewichen werden darf.Waren Sonderbedarfszulassung bislang(nach der Richtlinie) nur qualifikationsbezogenfestzustellen, sollen zukünftig zudemauch lokale Besonderheiten in dieFeststellung einfließen. Ebenso berücksichtigtist die Möglichkeit der Festlegungeines zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarfsin nicht unterversorgten Planungsbereichenund die damit verbundene Möglichkeitder Normierung von Ausnahmenbei Zulassungsbeschränkungen.Regionale BesonderheitenRegionale Besonderheiten sollen sich ergebenaus der regionalen Demografie(z. B. ein über- oder unterdurchschnittlicherAnteil von Kindern oder älteren Menschen),der regionalen Morbidität (z. B.auffällige Prävalenz- oder Inzidenzraten),sozioökonomischen Faktoren (z. B. Einkommensarmut,Arbeitslosigkeit und Pflegebedarf),räumlichen Faktoren (z. B. Erreichbarkeit,Entfernung, geografische Phänomenewie Gebirgszüge oder Flüsse,Randlagen, Inseln oder eine besondereVerteilung von Wohn- und Industriegebieten)sowie infrastrukturellen Besonderheiten(u. a. Verkehrsanbindung, Sprechstundenzeiten/Arbeitszeitenund Versorgungsschwerpunktedes Vertragsarztes, Barrierefreiheit,Zugang zu Versorgungsangebotenangrenzender Planungsbereiche unter Berücksichtigungvon Über- und Unterversorgungund anderer Sektoren, z. B. in Krankenhäusern,Pflegeeinrichtungen etc.).Neue Versorgungsebenen undVerhältniszahlenWar bislang nur zwischen der allgemeinärztlichenund der fachärztlichenVersorgung unterschieden worden, gehtdas neue Regelungsgefüge von insgesamtvier sogenannten Versorgungsebenenaus. Neben die allgemeine hausärztlicheund fachärztliche Versorgung (zurFachärztlichen Versorgung gehören PPund KJP) treten zukünftig die spezialisiertefachärztliche Versorgung (z. B. KinderundJugendpsychiater, Radiologen) unddie gesonderte fachärztliche Versorgung(z. B. Laborärzte, Neurochirurgen, Pathologen,Strahlentherapeuten und Transfusionsmediziner).Für die Gruppe der Hausärzte wird die Verhältniszahl(mit Ausnahme der Region desRuhrgebietes) einheitlich auf 1 zu 1.671festgelegt. Für Fachärzte reicht sie von 1 zu3.527 für Kinderärzte über 1 zu 5.555 fürFrauenärzte, 1 zu 31.373 für Nervenärztebis hin zu 1 zu 58.218 für Anästhesisten.Für uns Psychotherapeuten beträgt dieVerhältniszahl 1: zu 8.743. Für die (neu)beplanten Arztgruppen der gesondertenfachärztlichen Versorgung reicht sie von 1zu 102.001 (Labormediziner) bis 1 zu1.322.452 (Transfusionsmediziner). DieAllgemeinen Verhältniszahlen werden miteinem Demografiefaktor modifiziert, dersich aus Altersfaktoren und Leistungsbedarfsfaktorenberechnet.Saarland<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/<strong>2013</strong>335