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Zur Darstellung künstlerischer Existenz in Thomas Manns frühen ...

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velle, wenn <strong>Thomas</strong> Mann die beiden Tanzveranstaltungen thematisiert und die pro-<br />

fane Bedeutung der Musik für gesellschaftlichen Standards und Rituale der bürger-<br />

lichen Gesellschaft schildert. Gerade hieraus ergibt sich se<strong>in</strong>e Ironie angesichts der<br />

Mittelmäßigkeit der Bürger-Figuren. Vor allem der Tanzmeister Knaak wird als di-<br />

lettantische und darum lächerliche Gestalt charakterisiert: Er ist ke<strong>in</strong> echter ‚Seil-<br />

tänzer’ im romantischen S<strong>in</strong>ne oder im S<strong>in</strong>ne Nietzsches. Dagegen f<strong>in</strong>det der musi-<br />

kalisch empf<strong>in</strong>dsame und empfängliche, dekadente Tonio Kröger se<strong>in</strong>e Liebe zu<br />

Inge während des Tanzes und leidet:<br />

Tonio Krögers Herz zog sich schmerzlich zusammen bei diesem Gedanken [an<br />

Inge] … Mehr als e<strong>in</strong>mal stand er mit erhitztem Angesicht an e<strong>in</strong>samen Stellen,<br />

woh<strong>in</strong> Musik, Blumenduft und Gläsergeklirr nur leise drangen, und suchte <strong>in</strong><br />

dem fernen Festgeräusch de<strong>in</strong>e kl<strong>in</strong>gende Stimme zu unterscheiden, stand <strong>in</strong><br />

Schmerzen um dich und war dennoch glücklich. 29<br />

Trotz des Liebesdrangs, den die Musik bewirkt hat, kann Tonio Kröger durch den<br />

E<strong>in</strong>satz se<strong>in</strong>es Geistes und se<strong>in</strong>er Willenskraft dem gefährlichen Gefühl widerste-<br />

hen. Die eigentliche Gewalt des Dionysischen trifft ihn erst auf der Seefahrt und<br />

überwältigt ihn, so dass er se<strong>in</strong> Gedicht nicht zu Ende br<strong>in</strong>gen kann – denn er ist<br />

nun vollends der Gewalt se<strong>in</strong>es Unbewussten ausgeliefert:<br />

Tonio Kröger hielt sich an irgende<strong>in</strong>em gestrafften Tau und blickte h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> all<br />

den unbändigen Übermut. In ihm schwang sich e<strong>in</strong> Jauchzen auf, und ihm war,<br />

als sei es mächtig genug, um Sturm und Flut zu übertönen. E<strong>in</strong> Sang an das<br />

Meer, begeistert von Liebe, tönte <strong>in</strong> ihm. Du me<strong>in</strong>er Jugend wilder Freund, so<br />

s<strong>in</strong>d wir e<strong>in</strong>mal noch vere<strong>in</strong>t, [….] so war es ihm im Halbschlaf wie e<strong>in</strong>e Lieb-<br />

kosung. 30<br />

Anders als der an Wagners Modernität geschulte Artist <strong>Thomas</strong> Mann kann se<strong>in</strong>e<br />

Figur Tonio Kröger <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em derart unbewussten Zustand ke<strong>in</strong> Kunstwerk formen<br />

und schmieden – denn nun ist er gleichsam dem Dionysos erlegen. (Hierauf wird <strong>in</strong><br />

späteren Kapiteln noch ausführlicher e<strong>in</strong>gegangen.)<br />

29 Mann 2004, S. 261.<br />

30 Ebd., S. 315.<br />

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