Zur Darstellung künstlerischer Existenz in Thomas Manns frühen ...
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Der Blick der Mutter aber hob sich oft von ihrer Handarbeit, um mit wehmüti-<br />
ger Freundlichkeit zu dem K<strong>in</strong>de h<strong>in</strong>überzugleiten. 59<br />
Friedemanns Schwestern s<strong>in</strong>d gleichfalls nicht gesünder, obwohl sie nicht physisch<br />
beh<strong>in</strong>dert s<strong>in</strong>d. Nicht nur Friedemann selbst, sondern auch sie s<strong>in</strong>d unerwünscht.<br />
Gleich ob es genetisch bed<strong>in</strong>gt ist oder durch e<strong>in</strong>en Unfall verursacht se<strong>in</strong> soll, s<strong>in</strong>d<br />
die K<strong>in</strong>der dieser Familie allesamt schwächlich oder entsprechend den Konventio-<br />
nen der Zeit unansehnlich und <strong>in</strong>folgedessen auch unverheiratet, also faktisch un-<br />
fruchtbar:<br />
Verheiratet waren sie leider noch immer nicht; aber sie waren längst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Alter, <strong>in</strong> dem man sich bescheidet, denn Friederike, die Älteste, hatte siebzehn<br />
Jahre vor Herrn Friedemann voraus. Sie und ihre Schwester Henriette waren e<strong>in</strong><br />
wenig zu lang und dünn, während Pfiffi, die Jüngste, allzu kle<strong>in</strong> und beleibt er-<br />
schien. Letztere übrigens hatte e<strong>in</strong>e drollige Art, sich bei jedem Worte zu schüt-<br />
teln und Feuchtigkeit dabei <strong>in</strong> die Mundw<strong>in</strong>kel zu bekommen. 60<br />
Dabei vertreten sie durchaus e<strong>in</strong>e Art lüstern-lächerlicher Sittlichkeit und ernsthaf-<br />
ter Naivität im Vergleich zu Friedemann, wenn sie versuchen, die sittlichen Bed<strong>in</strong>-<br />
gungen ihrer gesellschaftlichen <strong>Existenz</strong> zu wahren:<br />
[…] die drei Mädchen […] aber hielten treu zusammen und waren stets e<strong>in</strong>er<br />
Me<strong>in</strong>ung. Besonders wenn e<strong>in</strong>e Verlobung <strong>in</strong> ihrer Bekanntschaft sich ereignete,<br />
betonten sie e<strong>in</strong>stimmig, daß dies ja sehr erfreulich sei. 61<br />
Trotz se<strong>in</strong>er gebrechlichen Gesundheit versucht der kle<strong>in</strong>e Johannes, e<strong>in</strong>e Lehre als<br />
Kaufmann zu machen und e<strong>in</strong> selbstständiges Geschäft zu eröffnen, auch wenn die-<br />
ser Maßstab e<strong>in</strong>es bürgerlichen Weltbilds im Vergleich mit anderen Erzählungen des<br />
Frühwerks wie z. B. Tonio Kröger weniger akzentuiert ist.<br />
Stattdessen wird hier das ästhetische Bild Friedemanns entfaltet. Die Thematik<br />
des Außenseitertums ist ebenfalls ausgeprägt schon <strong>in</strong> dieser kurzen Erzählung zu<br />
59 Ebd., S. 89.<br />
60 Ebd., S. 93.<br />
61 Ebd.<br />
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