Der stoische Weise – ein Materialist - Asclepios Edition Lothar Baus
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unter<strong>ein</strong>ander zusammenhängender Vorgänge und ihre ständige und<br />
unabänderliche Selbstverkettung.“<br />
Gegen diese Definition haben die Anhänger anderer Philosophenschulen<br />
allerhand Einwendungen laut werden lassen. So hört man sagen: „Wenn<br />
Chrysippos behauptet, alles werde durch <strong>ein</strong> unabänderliches Schicksal bewegt<br />
und gelenkt und es sei unmöglich, die Schläge und Winkelzüge des Schicksals<br />
abzuwenden und zu umgehen, so werden auch die Sünden und Laster der<br />
Menschen ihren Willensantrieben weder zum Vorwurf gemacht, noch gar<br />
angerechnet werden können, sondern immer nur der aus dem Verhängnis<br />
entspringenden Unvermeidlichkeit und harten Notwendigkeit, die über alles<br />
gebietet und alles vertreten muss, auf deren Macht<strong>ein</strong>fluss hin alles geschehen<br />
muss, was geschehen soll. Deshalb sei auch die Einführung von Strafen für<br />
Übeltäter den Gesetzen nach durchaus nicht gerechtfertigt und billig, wenn die<br />
Menschen nicht aus eigenem freien Willen dem Verbrechen anheimfallen, sondern<br />
von der starken Hand des Schicksals unaufhaltsam hingerissen werden.“<br />
Über diesen Einwurf hat sich Chrysippos mit großer Klarheit und<br />
Scharfsinnigkeit geäußert. S<strong>ein</strong>e Argumente laufen kurzgefaßt auf folgende<br />
Gedanken hinaus:<br />
„Mag nun alles <strong>ein</strong>em unvermeidbaren Naturgesetz unterworfen und<br />
deshalb mit <strong>ein</strong>er Vorherbestimmung des Schicksals eng verknüpft s<strong>ein</strong>, so sind<br />
doch die Charaktereigentümlichkeiten unseres Geistes selbst je nach ihrer<br />
Individualität und Beschaffenheit dem Schicksal unterworfen. Denn wenn die<br />
Charaktereigenschaften ihrem Wesen und ihrem Beschaffens<strong>ein</strong> nach von<br />
vornher<strong>ein</strong> zum Heil und Nutzen angelegt sind, werden sie damit jenen ganz<br />
gewaltigen Einfluss, der ihnen von außen her wie <strong>ein</strong> schweres Unwetter seitens<br />
des Schicksals droht, ohne großen Widerstand und mit wenig Anstrengung zu<br />
überstehen und zu vermeiden wissen. Sind dagegen diese Charaktereigenschaften<br />
ungefüge, plump und roh, ferner auf k<strong>ein</strong>e Hilfe <strong>ein</strong>es Bildungsmittels gestützt, so<br />
werden solche Menschen durch ihre Unwissenheit und durch eigenen Antrieb sich<br />
beständig in Laster und Selbsttäuschung stürzen, selbst wenn sie sich nur von<br />
<strong>ein</strong>er kl<strong>ein</strong>en und unbedeutenden Not oder <strong>ein</strong>er vom Zufall über sie verhängten<br />
Unbequemlichkeit bedrängt fühlen. Dass diese Vorgänge selbst auf solche <strong>Weise</strong><br />
sich vollziehen müssen, wird verursacht durch jenes beständige In<strong>ein</strong>andergreifen<br />
und durch jene unabänderliche Verkettung aller Dinge, was man eben unter dem<br />
Begriff >Schicksal< versteht. Es ist nämlich im Allgem<strong>ein</strong>en <strong>ein</strong>e<br />
Urnotwendigkeit und Folgerichtigkeit, dass Menschen mit gleichsam<br />
„angeborenen“ [anerzogenen] bösen Neigungen dem Laster und dem Irrtum<br />
verfallen müssen.“<br />
Zum Beweise dieser s<strong>ein</strong>er Behauptung bedient er sich <strong>ein</strong>es wahrlich ganz<br />
aus dem Leben gegriffenen, passenden und recht geistvollen Gleichnisses und<br />
sagt: „Wenn man z. B. <strong>ein</strong>en runden St<strong>ein</strong> über <strong>ein</strong>e schräge und abschüssige<br />
Bahn stößt, so wird man zwar die erste Ursache s<strong>ein</strong>es Herabrollens gewesen<br />
s<strong>ein</strong>; bald rollt der St<strong>ein</strong> jedoch von selbst weiter, nun nicht all<strong>ein</strong> mehr aufgrund<br />
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