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Interview mit Marco Seliger, Autor des Buches „Sterben für Kabul ...

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Schwierigkeiten beschreibt und dann zeigt, wie sie stirbt, wie sie verwundet wird, dann<br />

schreibt sich das vielleicht in das Gedächtnis der Menschen ein. Wenn ein junger Mensch<br />

bei einem Bombenanschlag in seinem Panzer von dem aus der Verankerung gerissenen<br />

Motor zerquetscht wird, so dass sein Leichnam stundenlang nicht gefunden werden kann,<br />

dann sagt das etwas über die Brutalität und Dimension dieses Krieges aus, in dem unsere<br />

Soldaten stehen. Das muss beschrieben werden, da<strong>mit</strong> es bekannt wird. Denn letztlich, und<br />

das ist auch eine meiner Intentionen, geht es mir <strong>mit</strong> diesem Buch darum, die Politiker, die<br />

militärische Führung und die Gesellschaft an ihre Verantwortung <strong>für</strong> unsere Soldaten zu<br />

erinnern. Man sollte sich genau überlegen, ob es unsere Ziele in Afghanistan rechtfertigen,<br />

dass ein junger Mensch in einem Panzer zerquetscht wird.<br />

Sind sie es denn wert?<br />

Unter den gegebenen Umständen leider nein. Es entspricht nicht deutschen Interessen, eine<br />

korrupte, teils verbrecherische Clique in <strong>Kabul</strong> und in anderen Orten durch den Einsatz<br />

unserer Soldaten und von Milliarden Euro an der Macht zu halten, eine Regierung, gegen die<br />

sich letztlich der Aufstand richtet. Der derzeitige Verteidigungsminister de Maizière meint, die<br />

Soldaten könnten nichts da<strong>für</strong>, dass der politische Aufbau in Afghanistan nicht vorankommt.<br />

Das stimmt, aber die Klage über die politischen Zustände in Afghanistan höre ich schon zu<br />

lange. Hamid Karsai, der Präsident, ist in den Augen der Afghanen eine Marionette <strong>des</strong><br />

Westens. Was <strong>mit</strong> solchen Herrschern und denen, die sie stützen, geschieht, da<strong>für</strong> hält die<br />

afghanische Geschichte genügend Beispiele bereit.<br />

Und welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?<br />

Der Karren sitzt extrem tief im Schlamassel. Jede Regierung im Westen hat das begriffen.<br />

Es gibt keine zufrieden stellende Lösung mehr und schon gar kein gesichtswahren<strong>des</strong> Ende.<br />

Wir haben durch unsere Politik, unser Geld und unsere Truppen die alten zerstörerischen<br />

Kräfte Afghanistans, die Kriegsherren, wieder an die Macht gebracht. Wir haben ihre<br />

Kriegskassen gefüllt, ihre Truppen ausgerüstet und ausgebildet. Wir haben sie hofiert. Diese<br />

Kräfte sind in das machtpolitische Vakuum gestoßen, das sich nach dem Ende der Taliban<br />

aufgetan hat. Es sind ihre Leute, die in der afghanischen Armee und Polizei dienen, die dort<br />

Geld verdienen und militärisch ausgebildet werden. Es wäre naiv anzunehmen, diese Kräfte<br />

würden ihre Machtposition aufgeben, nur weil das eine Regierung in <strong>Kabul</strong> so will und weil<br />

diese Regierung nun über mehr als 300.000 Sicherheitskräfte verfügt. Eine, ich behaupte<br />

zwei Generationen wird es dauern, bis sich die Verhältnisse in Afghanistan unter<br />

fortdauerndem internationalem Engagement in allen Bereichen vielleicht verändern würden.<br />

Das sind 50 Jahre. Da<strong>für</strong> hat kein Staat der Welt den Atem, die Truppen und schon gar kein<br />

Geld. Wir könnten etwas verändern, bleiben aber <strong>mit</strong>ten auf dem Weg stehen. Ganz gleich,<br />

ob wir unsere Truppen 2012 oder 2014 abziehen, wir kapitulieren vor den afghanischen<br />

Verhältnissen. Der Tod unserer Soldaten war daher sinnlos.<br />

Das <strong>Interview</strong> führte der Verlag E.S. Mittler & Sohn <strong>mit</strong> <strong>Marco</strong> <strong>Seliger</strong> und ist zum Abdruck in<br />

Ihrem Medium freigegeben.

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