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<strong>Zur</strong> <strong>Definition</strong> <strong>Rituelle</strong> <strong>Gewalt</strong>Claudia Fliß, Claudia Igney, Rudolf von BrackenWas ist <strong>Rituelle</strong> <strong>Gewalt</strong>?Claudia Igney und Claudia FlißAls wir dieses Handbuch planten, war uns bewusst, wie wichtig eine klare <strong>Definition</strong> ist. <strong>Gewalt</strong>und insbeson<strong>de</strong>re <strong>Rituelle</strong> <strong>Gewalt</strong> unterliegen in <strong>de</strong>r öffentlichen Darstellung <strong>de</strong>n Wellen vonBagatellisierung und Skandalisierung. Der Begriff „Trauma“ boomt und wird inflationärgebraucht. Und fast je<strong>de</strong>/r hat heute auch irgen<strong>de</strong>ine Vorstellung zu <strong>de</strong>m Begriff <strong>Rituelle</strong> <strong>Gewalt</strong>.Auf die „Sozialisierung“ durch mehr o<strong>de</strong>r weniger seriöse bis voyeuristische Medienberichtemöchten wir an dieser Stelle nicht eingehen. Allerdings gibt es auch unter Fachleuteninternational keine einheitlich gebräuchliche <strong>Definition</strong>.Wir haben uns in diesem Handbuch für die <strong>Definition</strong> nach Becker/ Fröhling entschie<strong>de</strong>n, weilsie uns als Arbeits<strong>de</strong>finition für unsere Praxis und Gedankenstütze für das Buch ambrauchbarsten erschien. Allerdings bleiben hier unseres Erachtens einige Aspekte zu wenigberücksichtigt. Und einige AutorInnen gaben weitere Aspekte zu be<strong>de</strong>nken und/o<strong>de</strong>r plädiertenfür einen umfassen<strong>de</strong>ren Begriff bzw. die erweiterte Anwendung <strong>de</strong>s Begriffs und <strong>de</strong>r<strong>Definition</strong>. Auszüge dieser Diskussion möchten wir im Folgen<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>rgeben.Die <strong>Definition</strong> nach Becker und Fröhling 1998 in Becker 2008, S. 25/26:„<strong>Rituelle</strong> <strong>Gewalt</strong> ist eine schwere Form <strong>de</strong>r Misshandlung von Erwachsenen, Jugendlichen undKin<strong>de</strong>rn. Intention ist die Traumatisierung <strong>de</strong>r Opfer. <strong>Rituelle</strong> <strong>Gewalt</strong> umfasst physische,sexuelle und psychische Formen von <strong>Gewalt</strong>, die planmäßig und zielgerichtet im Rahmen vonZeremonien ausgeübt wer<strong>de</strong>n. Diese Zeremonien können einen i<strong>de</strong>ologischen Hintergrund habeno<strong>de</strong>r auch zum Zwecke <strong>de</strong>r Täuschung und Einschüchterung inszeniert sein. Dabei wer<strong>de</strong>nSymbole, Tätigkeiten o<strong>de</strong>r Rituale eingesetzt, die <strong>de</strong>n Anschein von Religiosität, Magie o<strong>de</strong>rübernatürlichen Be<strong>de</strong>utungen haben. Ziel ist es, die Opfer zu verwirren, in Angst zu versetzen,gewaltsam einzuschüchtern und mit religiösen, spirituellen o<strong>de</strong>r weltanschaulich-religiösenGlaubensvorstellungen zu indoktrinieren. Meist han<strong>de</strong>lt es sich bei rituellen <strong>Gewalt</strong>erfahrungennicht um singuläre Ereignisse, son<strong>de</strong>rn um Geschehnisse, die über einen längeren Zeitraumwie<strong>de</strong>rholt wer<strong>de</strong>n.“Tanja Ro<strong>de</strong> schreibt im Kapitel 3.5, S. ergänzend und in Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>r <strong>Definition</strong>:„Häufig wer<strong>de</strong>n Opfer <strong>Rituelle</strong>n Missbrauchs dazu gezwungen, selber zu missbrauchen o<strong>de</strong>r zumisshan<strong>de</strong>ln o<strong>de</strong>r strafbare Handlungen innerhalb und außerhalb <strong>de</strong>s Kultes zu begehen. DieseMittäterschaft erfüllt zwei Funktionen: Zum einen wer<strong>de</strong>n diese Taten in <strong>de</strong>r Regel beobachteto<strong>de</strong>r gar gefilmt und dienen <strong>de</strong>m Kult dazu, über <strong>de</strong>n Weg <strong>de</strong>r direkten Erpressung Druck auf<strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n auszuüben. Zum an<strong>de</strong>ren wer<strong>de</strong>n diese Taten im Rahmen von Mind-Control-Techniken benutzt, um Schuldgefühle zu implantieren, das Gefühl von Zugehörigkeit einerseitsund von Ausweglosigkeit an<strong>de</strong>rerseits zu verstärken. Die Intention zur Traumatisierung, die zurVollständigkeit <strong>de</strong>r zitierten <strong>Definition</strong> dazugehört, ist für mich kein notwendiger Bestandteil <strong>de</strong>sBegriffs. Vorsichtig bin ich auch mit <strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzung um reelle o<strong>de</strong>r Schein-Religiositäto<strong>de</strong>r -Magie. Dies <strong>de</strong>shalb, weil dahinter auch die Frage steckt, ob es, wenn nicht in diesemKontext, überhaupt so etwas wie Magie gibt (wenn eine Schein-Magie postuliert wird, ist damitnahe gelegt, dass es eine reelle Magie gebe) und wenn, worin diese dann bestün<strong>de</strong>.“Für Woodsum (zit. nach Huber 2003, S. 174) ist ein zentraler Punkt, dass die Misshandlungen inritualisiert-repetitiver Form – hinsichtlich Zeitpunkt, Ort und Misshandlungsart – wie<strong>de</strong>rholtwer<strong>de</strong>n. Hierzu gehören auch spezielle Misshandlungsformen wie Elektroschocks, das Opfer


Extreme <strong>Gewalt</strong>, die ritualisiert ausgeübt wird - o<strong>de</strong>r <strong>Rituelle</strong> <strong>Gewalt</strong> als komplexespezifische <strong>Gewalt</strong>form?Wir haben im vorliegen<strong>de</strong>n Buch <strong>Rituelle</strong> <strong>Gewalt</strong> als Eigennamen für eine spezifische<strong>Gewalt</strong>form verwen<strong>de</strong>t, weil unserer Erfahrung nach gera<strong>de</strong> das systematische Zusammenwirken<strong>de</strong>r oben genannten Faktoren <strong>de</strong>n Ausstieg, die Unterstützung <strong>de</strong>r Opfer und auch dieStrafverfolgung so schwierig machen. Es ist notwendig, die spezifische „Qualität“, dieKomplexität und die spezifischen psychischen Folgen (siehe Kap. 3.2) zu verstehen, umangemessen helfen zu können und Chancen <strong>de</strong>r Strafverfolgung und <strong>de</strong>s Opferschutzes zu haben.Dennoch ist uns wichtig, <strong>Rituelle</strong> <strong>Gewalt</strong> auch als äußerstes En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Spektrums an psychischer,physischer und körperlicher Misshandlung <strong>de</strong>nken zu können (vgl. Huber 2003, S. 171- 175).Elemente <strong>Rituelle</strong>r <strong>Gewalt</strong> kommen auch in an<strong>de</strong>ren Kontexten vor, z. B. wenn ein sadistischerVater seinen Sohn immer wie<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>nselben sadistischen Bestrafungsritualen quält o<strong>de</strong>r in<strong>de</strong>r Ausbildung von Kin<strong>de</strong>rsoldaten, bei politischer Folter und in <strong>de</strong>r Pornoindustrie undZwangsprostitution, wenn „magische Rituale“ lediglich inszeniert wer<strong>de</strong>n zurVerkaufssteigerung und für <strong>de</strong>n „beson<strong>de</strong>ren Kick“.Und auch wenn <strong>Rituelle</strong> <strong>Gewalt</strong> zunächst unvorstellbar erscheint: <strong>Gewalt</strong>, einfacheKonditionierung und <strong>de</strong>n Kampf um Macht gibt es auch in unserer Gesellschaft in erheblichemAusmaß (siehe Kap. 1.1. und 1.3). Chrystine Oksana, eine Überleben<strong>de</strong> <strong>Rituelle</strong>r <strong>Gewalt</strong>,schreibt: „Alles, was kollektiv im rituellen Missbrauch auftaucht (physischer Missbrauch,emotionaler Missbrauch, sexueller Missbrauch, Inzest, sadistische <strong>Gewalt</strong>, Mord, Drogen,Betrug, Manipulation, Konditionierung, die auf Strafe beruht, und vorbehaltslose Anbetung vonMacht) ist bekannt, unabhängig voneinan<strong>de</strong>r in unserer Gesellschaft zu existieren. Wir wissenauch, dass es tragischerweise üblich ist, dass Menschen in unserer Gesellschaft sich organisieren,um an<strong>de</strong>re zum eigenen Machtgewinn zu missbrauchen (wie z.B. Neo-Nazis o<strong>de</strong>r Ku KluxKlan). <strong>Rituelle</strong>r Missbrauch kombiniert alles oben Genannte. Es ist organisierter Missbrauch,von einer Gruppe ausgeführt, um Macht zu erlangen. Der Missbrauch zielt darauf ab, die Seeleeines Opfers zu brechen und ultimative Macht zu gewinnen – absolute Kontrolle über einenan<strong>de</strong>ren Menschen.“ (Oksana 1996, S. E-15)Diese Verbindungen zu sehen, verhin<strong>de</strong>rt, dass <strong>Rituelle</strong> <strong>Gewalt</strong> als das Unvorstellbare,Verrückte o<strong>de</strong>r schlechthin „das Böse“ aus unserer Vorstellungswelt abgespalten wer<strong>de</strong>n kanno<strong>de</strong>r muss. Es öffnet Denkräume und Möglichkeiten, die Wahrheit <strong>de</strong>r Opfer <strong>Rituelle</strong>r <strong>Gewalt</strong>anzuerkennen.Wahrheit und GerechtigkeitRudolf von Bracken<strong>Rituelle</strong> <strong>Gewalt</strong> und ihre rechtlichen Aspekte, das Thema für meinen Beitrag in diesem Buch,haben unentrinnbar mit <strong>de</strong>m Begriff Wahrheit zu tun. Es gibt keine Gerechtigkeit ohne Wahrheit,<strong>de</strong>nn die Gerechtigkeit ist ein Anspruch an die Wirklichkeit. Wer Gerechtigkeit will, muss dieWirklichkeit kennen. Weiße Flecken, „rechtlose Räume“ darf es nicht geben, sie relativieren dieGerechtigkeit in ihrem allgültigen Anspruch, und das verträgt sie nicht. Von <strong>de</strong>r vollenErkenntnis <strong>de</strong>r Wirklichkeit, also <strong>de</strong>r Wahrheit, geht <strong>de</strong>r Gestaltungsanspruch <strong>de</strong>r Gerechtigkeitaus. Wenn es Gerechtigkeit nicht für alle gibt, für alle Menschen und alle ihre Wirklichkeiten, istdas <strong>de</strong>r Gerechtigkeit immanente Prinzip <strong>de</strong>r Gleichheit verletzt, <strong>de</strong>nn Gleichheit vor <strong>de</strong>m Gesetzist ein fundamentaler Anspruch <strong>de</strong>r Gerechtigkeit.In diesen Monaten Anfang 2010 erleben wir, wie machtvoll sich <strong>de</strong>r Gerechtigkeitsanspruch aufdie Wahrheit bezieht. Mit täglich neuen Nachrichten von Misshandlungen in kirchlichen undpädagogischen Kin<strong>de</strong>rheimen, die <strong>Gewalt</strong> und sexuellen Missbrauch umfassen, vor <strong>de</strong>nen diekindlichen Opfer in <strong>de</strong>n jeweils gegebenen Anstaltsrahmen zu fliehen außerstan<strong>de</strong> waren, stürzt3


eine Wahrheit in die öffentliche Wahrnehmung, die in unserem bisherigen Gerechtigkeitssystemnicht „wahr“-genommen wur<strong>de</strong>. Unzählige Ablehnungsbeschei<strong>de</strong> von Staatsanwaltschaften, einVielfaches davon an achselzucken<strong>de</strong>n Hinweisen auf die strafrechtlichen Verjährungsfristenhaben die längst erwachsenen Opfer, so sie sich <strong>de</strong>nn trauten, erfahren müssen. So viele„bedauerliche Einzelschicksale“ drängten in die Akten, die dann darüber geschlossen wur<strong>de</strong>n.Die bun<strong>de</strong>srepublikanische Wirklichkeit war – nach Schauergeschichten aus Portugal, Irland,Großbritannien und <strong>de</strong>n USA - schon in <strong>de</strong>n letzten Jahren eingeholt wor<strong>de</strong>n von Berichten aus<strong>de</strong>m Werkhof Torgau aus <strong>de</strong>r damaligen DDR, die nach aktuellen Meldungen nicht nur <strong>Gewalt</strong>,son<strong>de</strong>rn auch regelhafte sexuelle Übergriffe <strong>de</strong>s Heimleiters(!) umfassen (Süd<strong>de</strong>utsche Zeitung,3.4.2010). Staatliche und kirchliche (!) Einrichtungen <strong>de</strong>r Schwarzen Pädagogik praktizierten in<strong>de</strong>n 50er, 60er Jahren und bis in die 70er Jahre in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik systematischeKin<strong>de</strong>rmisshandlungen, die bei näherem Hinschauen und Nachfragen in erschrecken<strong>de</strong>rVoraussehbarkeit sexuellen Kin<strong>de</strong>smissbrauch umfassen.Bis ins Mark erschüttert unsere aufgeklärte und erziehungswissenschaftlich so fortgeschrittene,gesellschaftliche Überzeugung die nicht mehr bestreitbare, weil gestan<strong>de</strong>nekin<strong>de</strong>rmissbrauchen<strong>de</strong> Pädosexualitat <strong>de</strong>s höchst angesehenen Leiters eines Leuchtturmspädagogischen Fortschritts, <strong>de</strong>r O<strong>de</strong>nwaldschule. Das waren nicht finstere katholischeZwangsrituale, son<strong>de</strong>rn offene, progressive Ansätze, in Wertschätzung die Kin<strong>de</strong>r und ihrevorhan<strong>de</strong>nen Entwicklungsmöglichkeiten zu Entfaltung zu bringen, zu för<strong>de</strong>rn. Und auch da:Ausgeliefertsein, Unfreiheit, sexuelle Ausbeutung! Und überall auf <strong>de</strong>r bun<strong>de</strong>srepublikanischenLandkarte tauchen neue, auch hoch angesehene kirchliche und weltliche Erziehungsheime,Internatsschulen und sonstige gruppenmäßig geschlossene Verbün<strong>de</strong> auf, mit weiteren Opfern,die jetzt <strong>de</strong>n Mut haben zu berichten: die Wahrheit.Die Opfer von ritueller <strong>Gewalt</strong> und rituellem Missbrauch wissen um die Wahrheit.Mit <strong>de</strong>n Herausgeberinnen hatte ich einen Disput über die Relevanz all dieser in jüngster Zeitöffentlich gewor<strong>de</strong>nen Berichte für das Buchthema <strong>Rituelle</strong> <strong>Gewalt</strong>.Nach <strong>de</strong>r <strong>Definition</strong> von Thorsten Becker und Ulla Fröhling (2008) erkenne ich <strong>de</strong>nunmittelbaren Bezug an <strong>de</strong>m, was all diese Heimkin<strong>de</strong>r erleben mussten an „physischer,sexueller und psychischer Form von <strong>Gewalt</strong>, die planmäßig und zielgerichtet im Rahmen vonZeremonien ausgelebt wur<strong>de</strong>“. Den „i<strong>de</strong>ologischen Hintergrund“ und die Inszenierungen zumZwecke von Täuschung und Einschüchterung haben diese Heimkin<strong>de</strong>r erlebt, allerdings scheintes zu fehlen an <strong>de</strong>n Symbolen, Tätigkeiten und Ritualen, „die <strong>de</strong>n Anschein von Religiosität,Magie o<strong>de</strong>r übernatürlichen Be<strong>de</strong>utungen haben“. Ziel war es aber auch da, „die Opfer zuverwirren, in Angst zu versetzen, gewaltsam einzuschüchtern und mit religiösen, spirituelleno<strong>de</strong>r weltanschaulich religiösen Glaubensvorstellungen zu indoktrinieren“, ob I<strong>de</strong>ologie undReligion nun Zweck an sich o<strong>de</strong>r nur Mittel für Täuschung und Einschüchterung mit <strong>de</strong>m Ziel<strong>de</strong>s Gefügigmachens waren. Dass es sich dabei nicht „um singuläre Ereignisse, son<strong>de</strong>rn umGeschehnisse han<strong>de</strong>lte, die über einen längeren Zeitraum wie<strong>de</strong>rholt“ wur<strong>de</strong>n, markiert diezeitliche Dimension <strong>de</strong>r Ausweglosigkeit.Aus Sicht <strong>de</strong>r damaligen Kin<strong>de</strong>r han<strong>de</strong>lte es sich um ein geschlossenes System, überhöht mitvorgeschobenen und religiösen o<strong>de</strong>r pädagogischen Dogmen, objektiv wie subjektivunentrinnbar, ihnen vorgegeben als ihr gewolltes, bestimmtes o<strong>de</strong>r auch „selbstverschul<strong>de</strong>tes“Schicksal. Die Rituale von Bestrafung und Belohnung weisen auf ein normatives Regelsystemfür Ausbeutung und Unterdrückung hin, die vielen Schil<strong>de</strong>rungen beweisen die Organisiertheitdieses Systems aus unmittelbarer körperlicher <strong>Gewalt</strong> und normativer Erzwingung und erfüllenfür mich die <strong>Definition</strong> <strong>de</strong>r <strong>Rituelle</strong>n <strong>Gewalt</strong>.4


Entschei<strong>de</strong>nd für mich sind subjektive Ausweglosigkeit, gewollte und systematisch angerichteteUnentrinnbarkeit für die Opfer.Nach<strong>de</strong>m nun die Öffentlichkeit anhand <strong>de</strong>r Berichte sowohl das Opfer- wie auch das Täterbild,welches bisher die „bedauernswerten Einzelschicksale“ als solche disqualifizierte und damit aus<strong>de</strong>r Wirklichkeit verdrängte, verabschie<strong>de</strong>n muss, ringt die gesellschaftliche Diskussion darüber,wie sie <strong>de</strong>n laut und beredt gewor<strong>de</strong>nen Opfern gerecht wird und <strong>de</strong>n Tätern, oft hochangesehene Persönlichkeiten aus ihrer Mitte, gegenübertritt. Die Verjährung <strong>de</strong>r Taten ist jetztnicht mehr die letzte und gültige Antwort, die Opfer wer<strong>de</strong>n ermuntert und zu berichtenaufgefor<strong>de</strong>rt, die bisher unterdrückte Wahrheit offenzulegen und geltend zu machen. Dass ihnenGenugtuung, dass ihnen auch Entschädigung geboten wer<strong>de</strong>n muss, ist selbstverständlichgewor<strong>de</strong>n.Deswegen fin<strong>de</strong> ich gera<strong>de</strong> für das Thema dieses Buches die aktuellen Ereignisse undErkenntnisse absolut spannend. Wenn es nun gelungen ist, die Wahrheit in das Licht <strong>de</strong>röffentlichen Wahr-Nehmung zu heben, for<strong>de</strong>rt die Gerechtigkeit weitergehen<strong>de</strong> und mitunterganz an<strong>de</strong>re Regelungen und Reaktionen, als sie das bisher gelten<strong>de</strong> gesetzte Recht vorsieht. Alldiese Opfer haben die „Organisation von Machtbeziehungen in einem ausweglosem Raum“erlebt (Georg Seeßlen“, taz 10.03.2010). Das gilt doch erst recht für die Opfer von kultischen<strong>Gewalt</strong>systemen und ist in meinen Augen eine ungeheure Gelegenheit, die dort erfahreneWirklichkeit als Wahrheit in die Öffentlichkeit zu heben und mit <strong>de</strong>mselben Recht die Wahr-Nehmung, also Anerkennung von erlittenem Leid zu for<strong>de</strong>rn.Ich plädiere für die Bekundung von Wahrheit als Anspruch <strong>de</strong>r Opfer auf Gerechtigkeit. Werjetzt laut die – seine - Wahrheit sagt, <strong>de</strong>n fin<strong>de</strong>t auch die – seine - Gerechtigkeit. Die Wür<strong>de</strong>dieses Menschen wird wie<strong>de</strong>r unantastbar, auch <strong>de</strong>r dunkle Bereich <strong>de</strong>s Opferseinsschreckschrumpft nicht mehr bei je<strong>de</strong>r Näherung. Das Trauma, die Wun<strong>de</strong>, kommt ans Licht undschließt sich, die Narbe wird zum Or<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Bestehens, zum Ausweis <strong>de</strong>r wahren Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>sÜberlebens und <strong>de</strong>s Wissens darum, nicht für Mitleid, son<strong>de</strong>rn für die Überwindung <strong>de</strong>s Leids,zum eigenen Weiterleben. In dieser Gesellschaft ist niemand mehr allein.LiteraturBecker, T. (2008). Organisierte und <strong>Rituelle</strong> <strong>Gewalt</strong>. In: Fliß, C., Igney, C. (Hg.) (2008). Handbuch Trauma undDissoziation. Lengerich: Pabst Science Publishers, S. 23-37.Huber, M. (2003). Trauma und Traumabehandlung. Teil 1: Trauma und die Folgen. Pa<strong>de</strong>rborn: Junfermann.Oksana, Chr. (1996). Safe Passage to Healing (In Sicherheit heilen - ein Leitfa<strong>de</strong>n für Überleben<strong>de</strong> von rituellemMissbrauch), Übersetzung ausgewählter Kapitel. Erhältlich über VIELFALT e.V., Postfach 10 06 02, 28006Bremen, www.vielfalt-info.<strong>de</strong>.5

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