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Der Originalbegriff im Zeitalter virtueller Welten - Medienwissenschaft

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Die (E)lnschrift des Originals<br />

Die Unterlage jeder Aufschrift ist eine Textur, und zwar kein zufälliger, sondern ein binärer<br />

(die kreuzweise Verflechtung der Papyrusstreifen und aller textilen, von jacquart-Webstühlen<br />

fabrizierten Leinwände). Die Archi(v)textur aller Geschichten, das ist ihre Fabrikation,<br />

eine Digitalität endloser Variationsmöglichkeiten. Es gab nie einen ersten Text, denn<br />

das Vorwort jedes Textes ist sein Träger: „Not even a virgin surface for its inscription, and<br />

if the pal<strong>im</strong>psest requires a bare, material support for an arche-writing, no pal<strong>im</strong>psest."78<br />

Und Barbara Johnson ergänzt: „In order for something to function as an act, it<br />

must be inscribed somewhere, whether it be on paper, in memory, on a tomb-stone, or<br />

on videotape, celluloid, or floppy discs." 79<br />

Im Videobild aber fallen Raster als Infrastruktur und als Repräsentation zusammen.<br />

Die Bedingung dafür ist <strong>im</strong> technischen Raum die Speicherbarkeit des zu Reproduzierenden<br />

<strong>im</strong> Medium. Was aber geschieht, wenn eine Reproduktionstechnik selbst historisch,<br />

oder besser: medienarchäologisch diskontinuiert wird? Denn jedes neue Medium hat, einem<br />

Diktum Marshall McLuhans zufolge, die Aura des vorherigen zur Botschaft: Die Erfindung<br />

der Photographie offenbarte, dass die Malerei so bezaubernd ist, weil die Leinwand<br />

nicht die Wirklichkeit zeigt; die Einführung des Films offenbarte, dass das Photo<br />

seine Schönheit der mangelnden Bewegung entlehnt; der Tonfilm offenbarte, dass der<br />

Stummfilm erschüttert, weil er kein Geräusch macht. Und die Farbfilmer waren die führenden<br />

Köpfe der Ästhetik des „Film Noir". Daraufhin machte das Fernsehen klar, dass all<br />

jene Filmformen ihre Attraktivität dem Schwarzen zwischen den Bildern entliehen. Und<br />

jetzt lehrt High Vision, dass das Video etwas geboten hat, das <strong>im</strong> Moment verlorengeht:<br />

die Ästhetik der Rasterzeile. Im Cyberspace werden wir uns bewusst werden, dass die<br />

Kraft der distanzierten Medien unsere Abstinenz auf dem Schirm war. S<strong>im</strong>st<strong>im</strong> zeigt uns<br />

anschließend, dass Cyberspace so angenehm war, weil es außerhalb unseres Nervensystems<br />

stattfand. 80 So wird auch Cyberspace aus medienarchäologischer Distanz zum Raum<br />

des Originals.<br />

Das Verlangen des technischen Bildes nach Reproduktion<br />

Indem jedes technische Bild bereits eine Kodierung darstellt, knüpft es an Roland Barthes<br />

Definition des Realen an; um es zu erfassen, muss es <strong>im</strong>mer schon „in einen gemalten<br />

(eingerahmten) Gegenstand transformiert werden", um dann wieder entmalt werden<br />

zu können: Code über Code, sagt der Realismus. Deshalb kann der Realismus nicht<br />

„kopierend", sondern eher „nachahmend" genannt werden (durch eine zweite M<strong>im</strong>esis<br />

kopiert er, was schon Kopie ist). 81<br />

Die Reisenden des 18. und 19. Jahrhunderts haben die Landschaft „mit den Augen<br />

von Leuten" betrachtet, „die zu zeichnen gewohnt sind" 82 ; Chris Marker sagt es in seinem<br />

Filmessay Sans soleil: I remember a January in Tokyo, or rather I remember the <strong>im</strong>ages I<br />

filmed in January in Tokyo. They have replaced my memories, they are .memories. I wonder<br />

how people remember who don't film, who don't photograph, who don't use taperecorders.<br />

83<br />

Kopie (Reproduzierbarkeit) und Archiv stehen also <strong>im</strong> Bund. An dieser Stelle diagnostiziert<br />

auch Benjamin eine medienarchäologische Bruchstelle: Die technischen Me-<br />

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