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Heimatfilm - Sissy

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Ausgabe dreizehn · März bis Mai 2012 · kostenlos<br />

s Racheengel: Das blutige Märchen s Umständehalber: Harvey Milk auf Farsi s Feste Größe: Peter Kern s <strong>Heimatfilm</strong> (1): Too much<br />

Berlin s Geschlechterfrage: Ganz konkret zurechtgerückt s Erlösung: Ein Schwuler in Menschengestalt s Pim und Gino: Träume jenseits<br />

von Cinecittà s Close Talk: Filmische Naherholung s Gleich und anders: Priscilla im Landkreis Sonneberg s <strong>Heimatfilm</strong> (2): Schande für<br />

Niederbayern s Muskeln und Glamour: Fang an zu drehen! s Hoffnungsloses Beige: Falsch bis zum letzten Augenblick s Dachgeschoss:<br />

Zähne zusammenbeißen und durch s Sprechblasenvortrag: Lutsch mir die Ente! s Knutschfleck: Die ExpertInnenjury entscheidet


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TITEL: EDITIoN SALZGEBEr<br />

<strong>Sissy</strong> dreizehn<br />

Es war mal wieder Berlinale, im Panorama gab’s mal wieder einen<br />

Queer-Schwerpunkt, Queer-Film-Festival-Kuratoren haben als Jurymitglieder<br />

Teddys verteilt. Das gibt es auf keinem anderen großen<br />

internationalen Filmfestival. Bestürzend und schade (wie immer) aber<br />

war, was und wie darüber geredet wurde. Von einer „Timeline“ ist da<br />

von den Veranstaltern die Rede, auf der „der Westen“ top Ergebnisse<br />

im Bekämpfen der Queer-Diskriminierung<br />

erzielt und alle anderen Kulturen zwischen 10<br />

und 30 Jahre hinterher seien. Da wird, wenn<br />

überhaupt das Wort „Film“ fällt, das audiovisuelle<br />

Medium allenfalls als Gefäß für wichtige<br />

Themen angesehen, nämlich, um bedrohte<br />

queere Menschen und Szenen vor allem der<br />

‚rückständigen‘ Orte dieser Welt zu zeigen,<br />

ganz egal wie. Als „Geschenk“ wird ein serbischer<br />

Mainstream-Film vorgestellt und empfohlen,<br />

der serbischen Homophoben erklärt,<br />

dass Schwule tatsächlich Menschen sind, was<br />

dort (Parada war ein Kassenhit) gut funktioniert<br />

hat. Schön für die Serben – problematisch<br />

für alle anderen, die sich mit flachen Klischees,<br />

leidenden und am Ende sterbenden schwulen<br />

Figuren und verschämter Körperlichkeit (kein Von Heterosexuellen umarmt: „Parada“ von Srdjan Dragojevic (2011).<br />

Kuss, kein Sex, um die homophoben Serben<br />

nicht zu verprellen, bevor sie was lernen) auseinandersetzen müssen.<br />

Diese Denke ist überheblich und unqueer – denn sie übersieht,<br />

dass Queer-Sein kein globales essentialistisches Phänomen ist, sondern<br />

in jeder Kultur und Szene, bei jedem Menschen anders ist und<br />

einen anderen (auch filmischen) Ausdruck findet, den zu entdecken ja<br />

gerade das Spannende am Queer Cinema ist.<br />

Davon unbeeindruckt hat die Teddy-Jury wie üblich gute Arbeit<br />

geleistet und u.a. einen Film prämiert, der eine private Beziehung in<br />

einem Land schildert, in dem queere Menschen nicht mit der Todesstrafe<br />

bedroht sind: Keep The Lights On tastet sich sensibel an das Bild<br />

einer schwulen Beziehung in New York heran, mit flimmernden Bildern,<br />

ätherischen Songs, einer taktilen Kamera, durch die das Thema<br />

der Berührbarkeit auch auf filmischer Ebene erkundet wird. Dass er<br />

überhaupt im Programm war (zuletzt wurden z.B. Weekend oder das<br />

Spielfilmdebüt von Travis Matthews abgelehnt), könnte daran gelegen<br />

haben, dass in dem Film eine Figur selbst einen Teddy gewinnt (so<br />

viel Schmeichelei muss belohnt werden).<br />

Natürlich haben auch wir dieses Jahr wieder viele tolle Entdeckungen<br />

gemacht (S. 37). Was das Queer-Cinema-Konzept der Berlinale<br />

angeht (eigentlich nur des Panoramas, denn Festivalchef Kosslick<br />

geht nach eigenen Worten „diese Trans-Kiste“ sowieso grundsätzlich<br />

an der eigenen vorbei), darüber sollte in einer der nächsten SISSYs<br />

mal offen gesprochen werden.<br />

vorspann<br />

Wenn Sie SISSY kostenlos abonnieren möchten: E-Mail an abo@sissymag.de<br />

3<br />

BErLINALE / VuKASIN VELjIC


mein dvd-regal<br />

Peter Kern – Regisseur, Schauspieler, Autor<br />

4 5<br />

Peter Kern


kino<br />

DIe BAllADe<br />

vOn vASSIlI<br />

unD AngelO<br />

von SaScha WeStphal<br />

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit sind zwei dunkle Engel<br />

in Gaël Morels blutigem Märchen „unser Paradies“. Die beiden<br />

Stricher wehren sich mit Gewalt gegen die entwürdigenden<br />

Blicke ihrer Freier und steuern auf der Suche nach einem<br />

ort für ihre Liebe immer mehr auf eine Katastrophe zu. Der<br />

Spielfilm mit Stéphane rideau (Porträt in der letzten SISSY)<br />

in der Hauptrolle läuft im März in der Gay-Filmnacht und ist<br />

ab 5. April in ausgewählten Kinos zu sehen.<br />

Over there / In the cold / Stands the hustler, / His eyes are old –<br />

He has seen a million ugly scenes, / Places where men droop with mould,<br />

The backrooms / Where soiled goods are sold,<br />

Seen with opened eyes since frail fifteen.<br />

He has found it hard at first / But on his brow there sits a curse<br />

For when the young must suffer / At the hands of men.<br />

marc almond: the hustler, 1986<br />

s Nachts im Bois de Boulogne. Vassili streift ziellos umher. Gerade<br />

hat ihn ein viel jüngerer Stricher von seiner Ecke an der Straße vertrieben.<br />

Einer wie Vassili ist nun mal schlecht für das Geschäft. Die<br />

Männer in den Autos suchen nach jungen, attraktiven Begleitern und<br />

nicht nach Typen, die vielleicht vor 15 Jahren einmal Könige in der<br />

Welt des schnellen, anonymen Sex’ waren. Aber Vassili hat eben nie<br />

den Absprung geschafft. Er lebt immer noch so wie am allerersten<br />

Tag, damals vor so vielen Jahren, als er in Paris angekommen ist und<br />

ihm, dem jungen Schwulen aus einem winzigen, viel zu engen Nest<br />

bei Grenoble, die Welt zu Füßen zu liegen schien. Mittlerweile dreht<br />

sich so leicht keiner mehr nach ihm um. Die Bewunderung ist aus den<br />

Blicken der anderen verschwunden. Nun registrieren sie ihn nur noch<br />

distanziert und fragend oder gleich spöttisch und verachtend. Die<br />

Jungen, die seine Söhne sein könnten, sehen in ihm höchstens noch<br />

ein abschreckendes Beispiel. So etwas darf ihnen nicht passieren.<br />

Also geht Vassili nun alleine mit sich und seinen Gedanken, seinen<br />

Erinnerungen und seiner Wut durch den Park. Nah am Wasser entdeckt<br />

er plötzlich im Gras einen bewusstlosen jungen Mann und holt<br />

ihn zurück ins Leben. „Bin ich tot?“, fragt der Fremde, als er die Augen<br />

wieder öffnet und in Vassilis leicht aufgedunsenes und schon ziemlich<br />

verlebtes Gesicht blickt. „Nein“, versichert ihm sein Retter. Aber der<br />

Tod wird trotz allem von nun an sein Begleiter sein. Zunächst will der<br />

Namenlose, der überfallen und wohl auch vergewaltigt wurde, Vassilis<br />

Hilfe nicht annehmen. Er setzt sich in einer Bushaltestelle auf eine<br />

Bank und will nur noch allein sein.<br />

Aber Vassili kann seine Augen nicht von dem blonden, aufreizend<br />

unschuldig wirkenden Jüngling nehmen. Von der anderen Straßenseite<br />

aus beobachtet er ihn und schreitet sofort ein, als ein Freier den<br />

Verletzten anspricht. Von diesem Moment an sind die beiden praktisch<br />

unzertrennlich. Noch in derselben Nacht wird Vassili seinen<br />

Schützling Angelo taufen. Zunächst hatte er es mit Ange und Angel<br />

versucht. Doch weder der eine noch der andere Name gefiel seinem<br />

Gast. Vielleicht waren sie diesem aus dem Nichts gekommenen, durch<br />

die Liebe Vassilis neugeborenen Engel zu offensichtlich und banal. In<br />

Angelo schwingen zumindest nicht nur die Erwartungen und Hoffnungen<br />

des Älteren mit. Dieser Name ist für den Fremden aus dem<br />

Park, der nicht ein einziges Wort über seine Vergangenheit verlieren<br />

wird, selbst eine Art Versprechen. Er hat etwas Exotisches an sich, ein<br />

Geheimnis, das nicht so ganz zu seinem Äußeren passen will.<br />

Eine Begegnung wie in einem Märchen ist dieses erste Zusammentreffen<br />

von Vassili und Angelo. Und so setzt sie Gaël Morel auch in<br />

Szene. Der Bois de Boulogne, diese Wildnis mitten in der Stadt, in der<br />

Nacht für Nacht die Hustler nach Freiern suchen, durch die aber auch<br />

homophobe Schläger marodieren, in der ein Leben kaum mehr wert ist<br />

als ein Blowjob, erscheint plötzlich in einem anderen Licht, verwandelt<br />

sich vom Straßenstrich in einen verwunschenen Märchenwald, in<br />

den ein Engel vom Himmel herabsteigen und ein schon vor langer Zeit<br />

gefallener Cherub noch einmal eine Chance bekommen kann.<br />

Morel nimmt das Wunder und Mysterium der Liebe genauso ernst<br />

wie die triste Wirklichkeit eines Lebens als alternder Stricher, in der<br />

Vassili zusammen mit Angelo in – wie er sagt – „unser Paradies“ entfliehen<br />

will. Wie dieses Paradies aussehen könnte, auch davon wird<br />

Morel später noch ganz ohne Kitsch erzählen. Sie finden es schließlich<br />

in den verschneiten Bergen und Wäldern rund um die Villa von<br />

Vassilis erstem Freier Victor. Für einige kostbare Momente, in denen<br />

die beiden ganz bei sich sind, taucht ihre bedingungslose, keine Grenzen<br />

akzeptierende Liebe die Welt in ein sanftes, beinahe goldenes<br />

Licht und transformiert sie. So könnte es vor dem Sündenfall, der bei<br />

Morel der Fall eines und damit aller Männer ist, gewesen sein.<br />

Doch das wiedergefundene, das selbst erschaffene Paradies hat<br />

keinen Bestand. Die Illusion muss zerplatzen, in einem anderen,<br />

neuen Sündenfall, den ein kleiner Junge, der auch Vassili heißt, mit<br />

ansieht. Das Paradies lässt sich nicht festhalten so wie die Zeit, die<br />

Vassili mit seiner Jagd nach bedeutungslosem Sex vergeudet und verloren<br />

hat, sich nicht wiederfinden lässt. Angelo, der Engel aus dem<br />

Bois de Boulogne, ist für ihn nun ein Versprechen auf eine zweite<br />

Jugend und auf ein Leben, das durch die Liebe doch noch einen Sinn<br />

erhält, das alles Gewesene, all das Dunkle und Kaputte, das Geld und<br />

die Gewalt transzendieren könnte. Doch die Wirklichkeit hat ihre<br />

eigenen Gesetze, an denen das Märchen nur zerbrechen kann. Und<br />

so verliert der alternde Hustler, der gelernt hat, seine Freier zu hassen,<br />

der sie nur mehr als Zerstörer der Liebe und Korrumpierer von<br />

Unschuld sehen kann, auch noch die ihm noch gebliebene Illusion<br />

über seine Vergangenheit.<br />

Lange galt in Vassilis Augen für Victor genau das, was Pierre Pruez<br />

in Avant que j’oublie, Jacques Nolots exquisitem Porträt des Gigolos<br />

als altem Mann, über einen seiner ersten Freier sagt: „Er war immer<br />

mein Vater, meine Mutter, meine Bank. Wie ein Elternteil, das du nur<br />

sehen willst, wenn die Dinge schlecht stehen.“ Doch dieser Vater in<br />

der Ferne, der ihm immer noch die Miete für sein Pariser Appartement<br />

zahlt, ist eben auch nur ein Mann wie alle anderen, denen er<br />

schon in einer Million hässlicher Szenen begegnet ist, ein Mann, der<br />

sich einen deutlich jüngeren Geliebten hält, der wiederum Ansprüche<br />

auf ihn erhebt. Damit ist das Idyll in den Bergen beschmutzt und die<br />

Katastrophe, auf die diese „Ballade von Vassili und Angelo“ schon von<br />

Anfang an zusteuert, unausweichlich.<br />

Aber nicht nur Vassili sucht nach einer verlorenen, einer ihm zwischen<br />

den Fingern davon geronnenen Zeit. Der Film selbst gleicht<br />

einer Beschwörung eines vergangenen oder zumindest aus der Mode<br />

gekommenen Kinos. Auf den ersten Blick könnte Unser Paradies mit<br />

seinem Hustler-Paar, das seine Freier für ihre Verderbtheit, ihre rein<br />

materialistische Vorstellung von Nähe und Sexualität richtet, die<br />

schwule Variante von Serienkiller-Pärchen à la California, Natural<br />

Born Killers oder auch Jean-Marc Barrs und Pascal Arnolds American<br />

Translation sein, in dem die amour fou zweier haltloser Twens in<br />

mehreren Morden an jungen Strichern kulminiert.<br />

EDITIoN SALZGEBEr<br />

6 7<br />

kino


kino kino<br />

Doch letzten Endes verbindet Morels Film<br />

kaum etwas mit diesem tief in der amerikanischen<br />

Popkultur des späten 20. Jahrhunderts<br />

verwurzelten Subgenre. Seine Ursprünge<br />

liegen viel eher im (französischen) Queer<br />

Cinema der 80er und 90er Jahre. Morel kehrt<br />

zurück zu den rauen, transgressiven Arbeiten<br />

von Filmemachern wie Patrice Chéreau und<br />

Cyril Collard. Von L’homme blesse über Wilde<br />

Nächte und Vincent Ravalecs ekstatischem<br />

Filmpoem Portrait des hommes qui se branlent<br />

scheint praktisch eine direkte Linie zu Unser<br />

Paradies zu führen, der angesichts der Radikalität<br />

und Intensität seiner ungeschminkten<br />

Bilder und Szenen aus dem Leben zweier<br />

Hustler aus einer anderen Zeit zu stammen<br />

scheint. Die Reise der vorbehaltlos Liebenden<br />

in Richtung Paradies ist eben auch eine Reise<br />

in die Vergangenheit, in die Zeit, in der Vassili<br />

noch jung und unwiderstehlich war.<br />

Doch die Uhr lässt sich nicht zurück drehen,<br />

weder von zwei gestürzten Engeln noch<br />

von einem Filmemacher, der sie auf diesen<br />

vergeblichen Trip schickt. Davon zeugen<br />

alleine schon Stéphane Rideaus Körper und<br />

Gesicht. In seinen Augen ist immer noch<br />

etwas zu erkennen von dem umwerfenden<br />

jungen Mann aus André Téchinés Wilde<br />

Herzen, in den man sich einfach verlieben<br />

musste. Aber von seinem spektakulären<br />

Körper ist nur noch eine Ahnung geblieben.<br />

Gleich in der ersten Szene sitzt er nahezu<br />

unbeweglich auf der Couch eines wohlhabenden<br />

Freiers und versucht nicht einmal,<br />

den Bauchansatz zu verstecken. In seinen<br />

Anzeigen, im Internet und am Telefon lügt<br />

dieser Vassili dreist, wenn es um sein Alter<br />

und sein Aussehen geht. Anders könnte er<br />

auch kaum noch Kunden finden. Ist er aber<br />

erst einmal bei ihnen, stellt er den Niedergang<br />

seines Körpers ebenso schamlos aus.<br />

Alles an diesem in die Jahre gekommenen<br />

rent boy verkündet den Männern, die ihre<br />

eigene Jugend noch einmal heraufbeschwören<br />

wollen, in dem sie möglichst junge und<br />

schöne Männer für Sex bezahlen: Auch ihr<br />

seid alt und hässlich, akzeptiert den Lauf der<br />

Zeit. Doch das können sie nicht, und so greift<br />

er zur nächstbesten Waffe. Den ersten Klienten,<br />

der selbstvergessen zu Roy Orbisons<br />

„In Dreams“ tanzt und gar nicht aufhören<br />

kann, auf Vassili einzureden, will er mit dem<br />

Stromkabel eines Plattenspielers erwürgen.<br />

Einen erschlägt er, und wieder einen anderen<br />

ersticht er in dessen Badewanne und lässt<br />

ihn dort in einer Pose zurück, die deutlich an<br />

Jacques-Louis Davids Gemälde „Der Tod des<br />

Marat“ erinnert. Nur liegt er vor einer Wand<br />

aus Panoramafenstern, die den Blick auf ein<br />

nächtliches Schneetreiben freigibt.<br />

In diesem Blick ins vom Schnee erhellte<br />

Dunkel schwingt noch ein anderes Bild mit.<br />

In André Téchinés Ich küsse nicht stehen an<br />

einem Weihnachtsabend der aus der Provinz<br />

nach Paris geflohene Pierre Lacaze und der<br />

erfolgreiche Fernsehproduzent und -Moderator<br />

Romain an einem Fenster hoch über<br />

der Stadt und betrachten den Schnee, der<br />

sanft auf die Straßen nieder rieselt. Pierre<br />

und Romain sind das Paar, das in Téchinés<br />

kristalliner Verfilmung von Jacques Nolots<br />

Drehbuch nie zusammenkommt. Selbst als<br />

Pierre seine Hemmungen überfunden hat<br />

und im Bois de Boulogne, in den es Romain<br />

trotz seiner Berühmtheit immer wieder<br />

zieht, anschaffen geht, versteckt er sich<br />

sofort, wenn er den älteren Mann sieht. Er<br />

entzieht sich konsequent der Möglichkeit,<br />

in Romain seinen Vater, seine Mutter, seine<br />

Bank zu sehen, und wird dafür einen hohen<br />

Preis zahlen. Wohin sein Weg führt, lassen<br />

Téchiné und Nolot offen, wobei dessen<br />

eigene Trilogie, L’arrière pays, La Chatte à<br />

deux têtes und Avant que j’oublie, sich durchaus<br />

auch als Fortschreibung von Pierres<br />

Geschichte lesen lässt.<br />

Vor diesem Hintergrund eröffnet sich<br />

noch einmal eine andere Facette in Morels<br />

lyrischem Märchen von Eros und Thanatos.<br />

Zusammen mit UIch küsse nicht und Avant<br />

que j’oublie bildet Unser Paradies eine Art<br />

von Dreieck, das verschiedene Möglichkeiten<br />

einer Biografie vermisst und durchspielt.<br />

Gemeinsam zeichnen sie das Bild eines Stri-<br />

chers und Gigolos als filmisches Triptychon,<br />

ein Panorama eines Lebens am Rand. Im<br />

Zentrum stände dabei Téchinés Bildnis eines<br />

jungen Mannes, der keinerlei Emotionen an<br />

sich heran lässt, nur um schließlich einer<br />

Prostituierten zu verfallen, die sein Spiegelbild<br />

sein könnte. Die Seitenflügel offenbaren<br />

Varianten seines Weges und ergänzen sich<br />

dabei auf eine geradezu unheimliche Weise.<br />

Nolots Pierre Pruez phantasiert einmal<br />

über Pasolinis Ende am Strand von Ostia und<br />

sagt zu einem alten Freund: „Pasolini muss<br />

Angst gehabt haben. Dennoch, es war ein<br />

schöner Tod.“ Und eben den sucht – zumindest<br />

wäre das eine Deutung der irritierenden,<br />

von Klängen aus dem ersten Satz von<br />

Mahlers Dritter Symphonie begleiteten und<br />

in einer Schwarzblende gipfelnden Schlussszene<br />

– Pierre schließlich selbst. Morel wirft<br />

mit Unser Paradies einen Blick auf die andere<br />

Seite: Der alt gewordene Freier, für den es<br />

letztlich nur noch den Tod gibt, braucht den<br />

zum Mörder gewordenen Stricher. Ihre Wege<br />

müssen sich kreuzen und kommen damit zum<br />

Ziel. Der tief gestürzte Cherub Vassili ist auch<br />

ein Engel des Todes. Seine große, von einer<br />

göttlichen Unschuld erfüllte Liebe zu Angelo<br />

ist die andere Seite des tödlichen, von gegenseitiger<br />

Schuld geprägten Hasses auf seine<br />

Opfer. Dieser Nachtseite seiner Existenz<br />

entflieht Vassili in den gemeinsamen Traum<br />

mit Angelo, seinem Engel des Lichts. „Only<br />

in dreams you can live for real“, singt Roy<br />

Orbison und verspricht damit den verzweifelten<br />

Liebenden ihr Paradies, einen Ort, wo<br />

sie nichts trennen oder zerstören kann, weder<br />

irgendein Freier noch die Polizei. s<br />

unser Paradies<br />

von Gaël Morel<br />

FR 2011, 100 Minuten,<br />

französische OF mit dt. UT<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino<br />

G-Filmnacht im März<br />

www.gay-filmnacht.de<br />

Kinostart: 12. April 2012<br />

EDITIoN SALZGEBEr (2)<br />

„DAS SinD<br />

echte helDen“<br />

IntervIeW: thomaS abeltShauSer<br />

Gaël Morel über seinen neuen Film. und über Schwule als<br />

knuffige Haustiere, die Schwulenikone Stéphane rideau und<br />

seine Filmfamilie, zu der auch regisseur Christophe Honoré<br />

(siehe Seite 25) gehört.<br />

sissy: „Unser Paradies“ mit seinen schwulen Antihelden erinnert an<br />

das amerikanische New Queer Cinema Anfang der Neunziger Jahre.<br />

War das ein bewusster Bezugspunkt?<br />

gaël Morel: Ich war es einfach leid, all diese völlig flachen französischen<br />

Filme zu sehen, die aussehen wie Fernsehfilme, die Samstagabend<br />

auf den Öffentlich-Rechtlichen laufen. Und dann nennt sich<br />

das auch noch Autorenfilm! Dagegen wollte ich aufbegehren. Ich<br />

wollte einen schwierigen, radikalen Film machen. Aber bewusst<br />

beziehe ich mich nicht auf andere Filme, ich zeige einfach eine Welt,<br />

die ich kenne. Französische Filme sind traditionell oft sehr naturalistisch<br />

und psychologiebetont und es wird gerne von der Gesellschaft<br />

geredet. Und das aus einer ästhetischen Perspektive, die mir sehr<br />

unpersönlich vorkommt. Ich dagegen wollte das Düstere betonen.<br />

Aber mit dem Begriff Antiheld kann ich nicht viel anfangen. Nehmen<br />

Sie die Figuren, die Charlie Chaplin in den Zwanzigern spielte oder<br />

Marlon Brando in den Fünfzigern. Das waren auch keine Helden im<br />

herkömmlichen Sinne. Ich habe an solche Charaktere gedacht. Es<br />

ist doch eine Wohltat, einmal ein schwules Liebespaar auf der Leinwand<br />

zu sehen, das Straftaten begeht! Sonst werden Schwule immer<br />

nur als beste Freunde irgendwelcher Teeniegören oder als knuffige<br />

Haustiere dargestellt. Das interessiert doch keinen. Als ich jung war,<br />

wollte ich auch lieber River Phoenix und Keanu Reeves in My Own<br />

Private Idaho oder Marlon Brando in Die Faust im Nacken sehen als<br />

irgendwelche schwulen Abziehbilder in x-beliebigen Coming-out-<br />

Komödien. Für mich sind diese Figuren echte Helden.<br />

Außer Angelo haben in Ihrem Film im Grunde alle Probleme mit dem<br />

Älter werden. Beschreiben Sie damit ein gesellschaftliches Phänomen<br />

oder treibt Sie das auch persönlich um?<br />

Beides. Älter werden wir alle. Aber wir Schwule haben damit vielleicht<br />

noch mehr zu kämpfen. Als älterer Hetero wird man für viele<br />

Frauen ja erst richtig interessant. Bei Schwulen zählt dann doch eher<br />

das Aussehen. Wie nett oder klug jemand ist, tut weniger zur Sache.<br />

Da herrscht ein Anspruchsdenken, was körperliche Attraktivität und<br />

Jugend angeht, das man kaum erfüllen kann. Man begehrt und verachtet<br />

es zugleich.<br />

Sie selbst haben bereits 1994 mit Stéphane Rideau in André Techinés<br />

„Wilde Herzen“ vor der Kamera gestanden und seitdem immer wieder<br />

mit ihm gedreht. Was ist für Sie das besondere an ihm? Und wie haben<br />

Sie ihn überzeugt, doch wieder eine schwule Rolle zu spielen?<br />

Er ist einfach ein sehr mutiger Schauspieler, mit dem ich gerne zusammenarbeite.<br />

Er ist in der französischen Filmbranche eine einzigartige<br />

Erscheinung, alleine schon was seine körperliche Präsenz angeht. Er<br />

ist sehr frei und aufgeschlossen und hat keine Angst vor Herausforderungen.<br />

Ja, es ist eine Schwulenrolle, aber genau damit wollte er auch<br />

brechen. Durch Filme wie Sommer wie Winter … wurde er weltweit<br />

zur Schwulenikone und Objekt der Begierde für Tausende Schwule.<br />

Die Rolle des Vassili gab ihm die Chance, sich neu zu positionieren.<br />

Es geht dabei weniger darum, wieder einen Schwulen zu spielen, sondern<br />

sich auch in seiner körperlichen Reife als Mann Mitte Dreißig<br />

mit Bart und Bauch zu präsentieren.<br />

Im Abspann des Films danken Sie Christophe Honoré. Was verbindet Sie?<br />

Christophe gehört definitiv zu den französischen Regisseuren, die<br />

ich am meisten schätze. Ich finde seine Filme interessant und überraschend.<br />

Wir arbeiten schon lange zusammen, ich war bereits bei<br />

seinem ersten Kurzfilm vor zehn Jahren dabei. Er hat mir dann bei<br />

Après lui und Brüder Liebe geholfen. Er ist für mich Filmemacher und<br />

Freund. Es ist uns beiden wichtig, dass wir nicht allein dastehen in<br />

dieser Branche, wir bilden eine Art Filmfamilie. Dabei ähneln sich<br />

unsere Filme noch nicht einmal, aber wir schätzen, was der jeweils<br />

andere macht. Und wir würden auch gerne einen gemeinsamen Film<br />

machen.<br />

Für Honoré ist auch relevant, dass Sie beide aus der Provinz stammen.<br />

Sehen Sie das ebenso?<br />

Mit Sicherheit. Wenn man aus der Provinz nach Paris kommt, geht es<br />

darum, die fremde Stadt zu erobern, sie sich anzueignen. Und viele,<br />

die in Paris geboren wurden, sehen die Besonderheiten dieser Stadt<br />

gar nicht. Das verbindet uns. Eine andere Gemeinsamkeit ist sicherlich<br />

unsere Radikalität und unser Anspruch, auch wenn unsere Filme<br />

grundverschieden sind. Und noch etwas verbindet uns: das enge Verhältnis<br />

zum geschriebenen Wort. Wie ich schreibt Christophe seine<br />

Drehbücher selbst und wir lesen gegenseitig unsere Texte. Christophe<br />

ist mein erster Leser und mein erster Zuschauer. Er gibt Ratschläge<br />

und kritisiert ohne jede Herablassung. Das weiß ich sehr zu<br />

schätzen. s<br />

Sommer wie Winter …<br />

von Sébastien Lifshitz<br />

FR 2011, 100 Minuten,<br />

deutsche SF, OmU<br />

Auf DvD bei der Edition<br />

Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Full Speed<br />

von Gaël Morel<br />

FR 1996, 82 Minuten,<br />

französische OF mit dt. UT<br />

Auf DvD bei Pro-Fun Media,<br />

www.pro-fun.de<br />

Brüderliebe<br />

von Sébastien Lifshitz<br />

FR 2004, 86 Minuten,<br />

französische OF mit dt. UT<br />

Auf DvD bei Pro-Fun Media,<br />

www.pro-fun.de<br />

8 9<br />

EDITIoN SALZGEBEr


kino<br />

10<br />

EDITIoN SALZGEBEr AnDeRe<br />

umStänDe<br />

von maIke Schultz<br />

kino<br />

Das heimische Wohnzimmer als Schutzraum: „Sharayet – Eine<br />

Liebe in Teheran“ erzählt von einer Beziehung in den Zwängen<br />

des Mullah-regimes. Das Spielfilm-Debüt von Maryam<br />

Keshavarz gewann den Publikumspreis beim Sundance<br />

Festival, läuft im März in der L-Filmnacht und kommt am 24.<br />

Mai ins Kino.<br />

s Der Übergang ist fließend. Die beiden Mädchen lachen und weinen<br />

zusammen, umarmen sich auf dem Schulhof, gehen mit, wenn die<br />

Lehrerin eine von ihnen ausschimpft. Sie tuscheln, rauchen und rangeln<br />

miteinander. Und dann, eines Nachts, wandert eine Hand unter<br />

das Nachthemd der Anderen. Ganz selbstverständlich, so als hätte sie<br />

nie etwas anderes getan.<br />

Kein Schlüsselerlebnis, kein sexuelles Erwachen findet statt in<br />

Sharayet – Eine Liebe in Teheran. Weil das, worum es geht, schon die<br />

ganze Zeit da war: Nicht nur Freundinnen, sondern Liebende sehen<br />

wir hier flirten und herumtollen. Von Anfang an werfen sich Shirin<br />

und Atafeh Blicke zu, die selbst der Mutter nicht entgehen können.<br />

„Sharayet“ heißt „Lebensumstand“. Muss man sein Leben den<br />

Umständen anpassen, die der Geburtsort einem vorgibt – mit all<br />

dessen gesellschaftlichen und politischen Zwängen? Oder siegt der<br />

Wunsch nach Freiheit über die Angst, letztlich auch die familiäre<br />

Bindung aufzugeben? Für die beiden Schülerinnen Shirin und Atafeh<br />

stellt sich diese Frage zunächst gar nicht. In der liberalen Teheraner<br />

Oberschicht aufgewachsen, leben sie in einer Art Grauzone: Nach<br />

außen hin passen sie sich den strengen Vorsätzen des öffentlichen<br />

Lebens an, doch im Untergrund tanzen sie mit anderen Jugendlichen<br />

auf illegalen Techno-Partys, sprühen Graffiti und träumen von einer<br />

Popkarriere im Ausland.<br />

Die US-amerikanisch-iranische Regisseurin Maryam Keshavarz<br />

porträtiert in ihrem Spielfilm-Debüt den privilegierten iranischen<br />

Mittelstand. Viele Vertreter dieses gebildeten Bürgertums verteidigen<br />

ihre private Freiheit mit öffentlicher Anpassung und Geld: In<br />

Atafehs Wohnzimmer herrschen weder Kopftuchzwang noch die<br />

Gebetsriten des Islam. Und wenn sie doch einmal von der Moralpolizei<br />

erwischt wird, reicht meist ein Bündel Scheine vom Vater, um<br />

deren Schweigen zu erkaufen.<br />

Für die Tochter und ihre beste Freundin bildet dieses Umfeld der<br />

Liebe und Akzeptanz einen Schutzraum, in dem sie sich sicher fühlen.<br />

Wie brüchig die Zuflucht ist, zeigt Atafehs Bruder Mehran: Seine<br />

Exzesse und Eskapaden wider die Konvention haben ihn zu einem<br />

Drogensüchtigen gemacht, der nach einem Entzug nun ausgerechnet<br />

im Glauben Halt findet. Immer radikaler wandeln sich seine Ansichten<br />

und irritieren selbst seine durchaus kritischen Angehörigen.<br />

Keshavarz’ fiktive Charaktere agieren in einem Spannungsfeld,<br />

das angesichts der aktuellen Debatten um das Atomprogramm des<br />

iranischen Präsidenten Ahmadinedschad schon beinahe in Vergessenheit<br />

geraten ist. Im Juni 2009 wurden Tausende Iranerinnen<br />

und Iraner von der so genannten „Grünen Revolution“ erfasst und<br />

protestierten auf den Straßen Teherans: Sie warfen dem Regime vor,<br />

die Wahlergebnisse gefälscht zu haben. Die Mullahs reagierten mit<br />

11


kino kino<br />

Härte auf die Demonstranten. Es gab zahlreiche<br />

Opfer wie die Studentin Neda Soltani,<br />

die durch ihren gewaltsamen Tod zur<br />

Ikone der iranischen Widerstandsbewegung<br />

wurde. Ein konkretes Ergebnis der Proteste<br />

blieb jedoch aus. Wohl auch, weil die Opposition<br />

so heterogen ist: Viele sind gegen einen<br />

islamischen Gottesstaat, wollen aber auch<br />

kein System nach westlichem Vorbild.<br />

Shirin und Atafeh wünschen sich das<br />

durchaus. Sie vertreten eine Generation junger<br />

Menschen, die sich die Regeln nicht mehr<br />

von Mullahs diktieren lassen wollen. „Ihr<br />

habt uns das doch erst eingebrockt mit eurer<br />

Revolution“, macht Shirin ihren Vater im<br />

Streit für die eigene Revolte verantwortlich.<br />

Gemeint ist jener Aufstand gegen die Monarchie,<br />

der 1979 zur Errichtung eines islamischen<br />

Staates geführt hatte. Erst danach<br />

wurden die Frauenrechte so stark beschnitten,<br />

wie Atafeh es nun täglich zu spüren<br />

bekommt. Nicht einmal alleine Taxi fahren<br />

kann sie, ohne gleich für eine Prostituierte<br />

gehalten zu werden.<br />

Mit ihrer rebellischen Art erinnert sie<br />

an eine andere berühmte Figur aus Teheran:<br />

Die Comic-Heldin in Marjane Satrapis autobiografischer<br />

Erzählung Persepolis. Auch sie<br />

erzählt von den Umbrüchen der Islamischen<br />

Revolution. Und genau wie Satrapi ist auch<br />

Keshavarz zwischen den Welten aufgewachsen.<br />

Die Schulzeit verbrachte sie in New York,<br />

die Sommermonate in Shiraz. Das Drehbuch<br />

zu Sharayet entwickelte sie aus dieser Erfahrung,<br />

orientierte sich bei ihren Figuren an<br />

eigenen Bekannten und ließ sie von einem<br />

Schauspieler-Ensemble verkörpern, das nur<br />

aus Emigrierten besteht.<br />

In Sharayet ist es Atafehs Cousin Hossein,<br />

der in Amerika studiert hat und nun<br />

mit Befremden auf die eigene Heimat schaut.<br />

Mit seinen Freunden will er den Film Milk<br />

synchronisieren, der als Hollywood-Porträt<br />

eines schwulen Bürgermeisters in Teheran<br />

nur unter der Ladentheke verkauft wird<br />

– vor allem aber will Hossein damit „eine<br />

ernsthafte Diskussion entfachen“. „Politik<br />

hat wenig Romantisches“, entgegnet<br />

ihm eine desillusionierte Shirin. Als Kind<br />

zweier Gelehrter, die wegen revolutionärer<br />

Schriften zum Tode verurteilt wurden, steht<br />

sie unter besonderer Beobachtung. Shirin<br />

wächst bei ihrem Onkel auf, der sie so schnell<br />

wie möglich verheiraten will. Sie ist diejenige,<br />

die immer wieder vom Auswandern<br />

spricht. Und doch ist es auch ausgerechnet<br />

sie, die sich letztlich am schwersten aus der<br />

Bindung ihrer Ersatzfamilie, nämlich der<br />

von Atafeh, lösen kann – vielleicht, weil sie<br />

diese nicht noch einmal verlieren will.<br />

Um ihrer Geliebten nahe zu sein, gibt<br />

sie dem Werben von Atafehs Bruder Mehrat<br />

nach. „Ich habe das nur für dich getan“,<br />

erklärt sie der sichtlich leidenden Schwester<br />

12<br />

ihre Entscheidung. Für Shirin ist auch dieser<br />

Übergang fließend, denn an ihren heimlichen<br />

nächtlichen Besuchen hat sich nichts<br />

geändert. Ihre Ehe ist eine Farce, eine weitere<br />

öffentliche Anpassung, um ihr Privatleben<br />

zu schützen. Doch mit dem drängenden<br />

Gatten ist auch die Leichtigkeit aus diesem<br />

Mikrokosmos gewichen. Und umso schwerer<br />

fällt es den Frauen, den Druck von außen<br />

fernzuhalten.<br />

Ob sie streiten, warten oder einsam ins<br />

Leere starren – immer wieder sehen wir die<br />

Darsteller in den körnigen Aufnahmen einer<br />

Überwachungskamera. Was zunächst wie<br />

ein Regie-Stilmittel wirkt, das die Kontrolle<br />

durch den Staat visualisieren soll, entpuppt<br />

sich jedoch als realer Beobachtungsapparat.<br />

Längst hat das Regime die Familie in Gestalt<br />

eines religiösen Fundamentalisten unterwandert.<br />

Es ist Mehran, der sich an seinem<br />

Computer in Atafehs Schlafzimmer klickt.<br />

Wie aus diesem vertrauten, am eigenen<br />

Freiheitsstreben gescheiterten Bruder ein<br />

Bösewicht und Konkurrent um die große<br />

Liebe wird, ist sicher eine der interessantesten<br />

Wendungen des Films. Niemand kann<br />

darin der Zerstörung entkommen, auch<br />

nicht der Intrigant selbst. Sehenden Auges<br />

läuft Mehrat in sein Unglück mit einer Frau,<br />

die auch patriarchalisches Machtgehabe<br />

nicht umpolen kann. Und sitzt mit in der<br />

Falle, die er selbst gebaut hat. „Ich hoffe, der<br />

Zuschauer hat genauso viel Mitleid für den<br />

Gefängniswärter wie für den Inhaftierten“,<br />

sagt Maryam Keshavarz über diese Parabel,<br />

die ihr ihm beim Sundance Film Festival<br />

2010 zurecht den Publikumspreis einbrachte.<br />

Die Problematisierung von Homosexualität<br />

ist darin nur ein Aspekt der Sehnsucht<br />

nach einem selbstbestimmten Leben. Für sie<br />

findet Keshavarz viele Projektionsflächen:<br />

Hollywood etwa, auf das die Jugendlichen<br />

mit hartem Alkohol anstoßen, dessen Filme<br />

sie bewundern und dessen Traumbilder Pate<br />

standen für eine erotische Fantasie, in der<br />

EDITIoN SALZGEBEr (2)<br />

Shirin und Atafeh sich in einer Villa am Meer<br />

lieben.<br />

Dabei bleiben die beiden stets in ihrer<br />

Kultur verhaftet. In ihren tatsächlichen<br />

Fluchtplänen ist das Ziel weit weniger westlich,<br />

sexuelle Unabhängigkeit glauben sie<br />

auch im vermeintlich weltoffenen Dubai zu<br />

finden. Die eine als glitzernder, singender<br />

Bauchtanzstar, die andere als ihre Managerin<br />

in dunklen Nachtclubs. Selbst ein Emirat,<br />

in dem Schwule und Lesben mit Haftstrafen<br />

und Ausweisung rechnen müssen, erscheint<br />

den Iranerinnen schon als paradiesische Verbesserung.<br />

In ihren Tagträumen können sie sich<br />

auflösen, frei sein – und immer wieder in der<br />

Musik. In Sharayet fungiert sie als eine Art<br />

Geigerzähler der Emotionen. Traditionelle<br />

arabische Weisen, wie sie Shirins Familie an<br />

gesellschaftlichen Abenden anzustimmen<br />

pflegt (auch die Frauen, die das öffentlich<br />

nicht dürfen); der iranische HipHop im Autoradio<br />

der Taxifahrer; die TV-Castingshow,<br />

in der die Kandidatin „Total Eclipse of The<br />

Heart“ singt; Atafehs Eifersuchts-Amokfahrt,<br />

begleitet von Le Tigres „Deceptacon“.<br />

All das sind Puzzleteile einer Protestkultur,<br />

die sich gegen ein permanentes Klima<br />

der Bedrohung, harten Strafen und Unterdrückung<br />

richtet. Seit einem Jahr flimmert<br />

sie uns wieder auf den Fernsehbildschirmen<br />

entgegen, blutig, verbreitet sich dank sozialer<br />

Netzwerke über das Internet und stürzt<br />

in anderen Ländern bereits Diktatoren: Als<br />

Motor der Arabellion. s<br />

Sharayet – eine liebe in Teheran<br />

von Maryam Keshavarz<br />

USA/F/IRA 2010, 105 Minuten,<br />

farsische OF mit dt. UT<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino<br />

L-Filmnacht im März<br />

www.l-filmnacht.de<br />

Kinostart: 24. Mai 2012<br />

Persepolis<br />

von Vincent Paronnaud<br />

und Marjane Satrapi<br />

FR 2007, 91 Minuten,<br />

französische OF, deutsche SF<br />

Auf DvD bei Universal/Prokino,<br />

www.uphe.de<br />

13<br />

Gute Filme.<br />

Neu auf DVD!<br />

Überall im Handel und auf www.goodmovies.de<br />

Weekend<br />

Russell lernt eines Tages<br />

Glen kennen. Nach zwei<br />

gemeinsamen Nächten merkt<br />

Russell: er hat sich verliebt in<br />

einen, der Liebe nicht braucht,<br />

nicht will und obendrein das<br />

Land verlassen wird. Zumindest<br />

seine Liebe gestehen<br />

will er, und trifft Glen am<br />

nächsten Tag am Bahnhof…<br />

Mein Sommer<br />

mit Mario<br />

Zwei Kinder, ein Mädchen<br />

und ein Junge, während eines<br />

gemeinsamen Sommers:<br />

Jorgelina lernt Mario kennen,<br />

mit dem sie durch die Gegend<br />

streift und die freie Zeit genießt.<br />

Plötzlich jedoch merkt<br />

sie, dass bei Mario manches<br />

anders ist als bei den<br />

anderen Jungen…<br />

Gianni und die Frauen<br />

Frührentner Gianni lebt<br />

seine Tage im schönen Rom<br />

im immergleichen Trott von<br />

Besorgungen und Gefälligkeiten<br />

für andere. Bis ihm<br />

plötzlich eines Tages ein<br />

Freund die Augen öffnet:<br />

Auch in seinem Alter gibt es<br />

genug attraktive Frauen,<br />

Zeit für Spaß, Sex…<br />

Das lässt sich Gianni nicht<br />

zwei Mal sagen und macht<br />

sich daran, sein Leben<br />

zu ändern!


kino<br />

14<br />

EDITIoN SALZGEBEr<br />

texAS<br />

liegt Am<br />

meeR<br />

von paul Schulz<br />

Bavo Defurne hat zehn jahre gebraucht, um mit „Nordzee,<br />

Texas“ seinen ersten Spielfilm fertigzustellen. Das Warten hat<br />

sich gelohnt, denn die zarte Geschichte über die erste Liebe<br />

von zwei jungen ist ein echter Kinotraum geworden. Kinostart<br />

ist am 10. Mai, im April kann man ihn bereits in der Gay-<br />

Filmnacht träumen.<br />

kino<br />

s „Über Filme zu sprechen heißt über Träume zu sprechen, weil<br />

beide so viel gemein haben: Jahre vergehen in Sekunden und man<br />

springt räumlich frei assoziierend von einem Ort zum anderen. Beide<br />

sprechen in Bildern zu uns. Und in wirklich guten Filmen hat, genau<br />

wie in Träumen, jeder Gegenstand und jeder Lichtstrahl eine Bedeutung“,<br />

behauptet Fellini. Der gute Federico. Der eitle Fatzke. Darunter<br />

macht er es nicht: Das Kino, ein Traum. Er, ein Träumer für die Welt.<br />

Bavo Defurne hängt sein Licht da ein bisschen tiefer: „Ich mag<br />

Dialoge nicht besonders, weil ich in Bildern denke. Deswegen wird<br />

in meinen Filmen wenig gesprochen. Wenn ihnen deswegen eine<br />

traumhafte Qualität zugesprochen wird, freut mich das. Aber ich<br />

kann gar nicht anders.“ So geht es auch: Der Filmemacher als ein in<br />

seiner Ästhetik beschränkter Bilderbauer. Dabei hätte Defurne so viel<br />

Bescheidenheit gar nicht nötig. Er ist erst knapp 40 und wird doch<br />

jetzt schon weltweit gefeiert. Der junge Meister hat nach neun Kurzfilmen<br />

in zehn Jahren weitere zehn Jahre gebraucht um seinen ersten<br />

Spielfilm Noordzee, Texas fertig zu stellen. Seit 2000 hat er daran<br />

gearbeitet. Und es hat sich gelohnt. Bavos erster langer ist ein wunderbarer<br />

Film geworden, was nicht überrascht, kennt man sein Werk.<br />

Denn wenn man Fellinis Traumthese ernst nimmt, gibt es derzeit<br />

kaum einen größeren und besseren Träumer als Defurne im europäischen<br />

Kino: Farben, Licht, Stimmungen, Blicke, daraus baut er, seit er<br />

Anfang Zwanzig ist, eine ganz eigene, immer größer werdende Welt,<br />

die Zuschauern doch merkwürdig vertraut ist, weil sie den nächtlichen<br />

Bildern in ihrem Kopf nicht unähnlich ist. Und weil sie einen<br />

genauso anfasst.<br />

Das Grundgefühl in Defurnes Werk ist, auch wenn er das vielleicht<br />

nicht gerne hört, der Wunsch danach, die Welt durch Liebe<br />

zu heilen. Es geht immer um Schmerz und die Möglichkeit, dass er<br />

irgendwann aufhört, um Sehnsucht und den Wunsch danach, dass<br />

sie gestillt werden möge, um Schönheit und die wahnwitzige Vorstellung,<br />

sie könnte von Dauer sein. Schwule Träume eben. Ein großer<br />

Künstler ist er, weil er ein großartiger Querdenker ist und seine technischen<br />

Limitierungen zu filmischen Möglichkeiten macht: Wenn<br />

er sich kein anständiges Mikrofon leisten kann, wird dann eben gar<br />

nicht gesprochen, wenn man kein Geld für Schauspieler hat, arbeitet<br />

man mit talentierten Laien, wenn man alles an einem Film selber<br />

15


kino kino<br />

machen muss, entwickelt man „eine erotische Beziehung zum Filmmaterial,<br />

dessen Handhabung auch erregen kann.“ Er ist nicht mit<br />

Absicht kompromisslos, er kann einfach nicht anders.<br />

Federico weiß: „Es geht bei Film nicht so sehr um metaphysische<br />

Dinge wie Inspiration oder einen Kunstbegriff, es geht um Handwerk.<br />

Was wir erzählen, ist weniger entscheidend als das Wie. Ein Filmemacher<br />

muss sein Medium beherrschen, nicht umgekehrt.“ Jaja. So kann<br />

man vielleicht daherreden, wenn einem ganz Cinecittà zur Verfügung<br />

steht und die Welt einen mit Geld bewirft, sobald man ein Exposé fertig<br />

hat. Wenn man, wie Defurne, in Belgien Filme macht, muss man<br />

sich bescheiden. „Die Finanzierung für dieses Projekt auf die Beine zu<br />

stellen hat viele Jahre gedauert. Schließlich ist es mein erster langer<br />

Film. Und der Casting-Prozess war anstrengend, weil es erstens nur<br />

wenige Schauspieler gab, die überhaupt für die beiden Hauptrollen in<br />

Frage kamen und von denen dann wiederum viele diese Rollen nicht<br />

spielen wollten oder durften. Es gab einen Jungen, dem sein Vater<br />

gesagt hat, er dürfe keine anderen Jungen küssen, nicht mal für einen<br />

Film.“ Sowas passiert 2010 in einem der liberalsten Länder Europas.<br />

Man stelle sich vor, Giulietta Masinas Vater hätte ihr gesagt, sie dürfe<br />

nicht in La Strada mitspielen, weil sie sich dabei dreckig macht. Das<br />

ist nicht lustig.<br />

Geküsst wird jetzt in Noordzee, Texas aber trotzdem, Jungs küssen<br />

andere Jungs, und zwar reichlich. Eines von Defurnes Dauerthemen<br />

ist, wie ganz junge Männer ihre Sexualität entdecken. Das hat er<br />

mit anderen Filmemachern wie Gregg Araki gemeinsam. Im Gegensatz<br />

zu Araki geht es aber nicht um Sexualität als entspannte Freizeitgestaltung.<br />

Bei Defurne riskiert man immer gleich das Kippen der<br />

Welt, das ein Kuss mit sich bringen kann. Man ist ein anderer danach,<br />

für sich und oft auch für die anderen. Die Welt, die in Noordzee, Texas<br />

kippt, ist die von Pim, der mit seiner Mutter Yvette in einem windschiefen<br />

Haus in einem kleinen Ort an der Nordseeküste wohnt, demselben<br />

Kaff, in dem auch Defurne aufgewachsen ist. Yvette ist Akkordeonspielerin<br />

und benimmt sich wenig mütterlich. „Willst du wieder<br />

die ganze Nacht zeichnen? Normale Jungs sind in deinem Alter mit<br />

ihren Freunden unterwegs!“, belehrt sie ihren 15-jährigen, strohblonden<br />

Sohn. „Und normale Frauen schlagen sich in deinem Alter nicht<br />

mehr die Nächte in Kneipen um die Ohren“, antwortet der Sohn.<br />

Yvette ist eine fröhliche Schlampe. Und laut. Vielleicht ist ihr Kind<br />

deswegen so still. Sein bester Freund ist drei Jahre älter, heißt Gino<br />

und ist genau so, wie man sich jemanden vorstellt, der Gino heißt:<br />

Wildes schwarzes Haar über glühenden Augen, Lederjacke, Motorrad,<br />

kranke Mutter, die er sehr liebt, um die er sich aber wenig kümmert.<br />

Außerdem hat er eine Schwester, Sabrina. Sie ist ziemlich in Pim<br />

verliebt. Der merkt davon nichts, denn er hat nur Gino im Kopf, und<br />

wenn sie nachts im Zelt am Strand alleine sind oder mit dem Motorrad<br />

an einen abgelegenen Küstenstreifen fahren, hat er Gino auch noch<br />

ganz woanders. Jelle Florizone als Pim und Mathias Vergels als Gino<br />

sind ein hinreißendes Paar und Defurne gestattet ihnen nach allerlei<br />

Scherereien (eine Mutter rennt mit einem jungen Mann vom Rummelplatz<br />

weg, die andere stirbt, Gino hat zwischendurch eine Freundin,<br />

etc.) sogar ein angedeutetes Happy End. Was eher untypisch für ihn<br />

ist und daran liegen mag, dass er sich Noordzee, Texas nicht alleine<br />

ausgedacht hat. Der Film basiert auf dem Jugendbuch „Nooit gaat dit<br />

over“ von André Sollie. „Ich wollte diesen Film unbedingt machen,<br />

nachdem ich das Buch gefunden hatte. Und dazu gehörte auch das<br />

Ende. Ich finde es gut, dass es zum Schluss Licht am Ende des Tunnels<br />

gibt und man zwar im Zweifel, aber hoffnungsfroh entlassen<br />

wird“, erklärt Defurne in Interviews.<br />

Er wird eben auch älter und vielleicht auch ein bisschen glücklicher.<br />

Oder schlicht selbstbewusster. Denn Noordzee, Texas hält, was<br />

seine Kurzfilme seit vielen Jahren versprechen: Hier findet jemand zu<br />

seinem ganz eigenen Stil. Wo der Auteur in seinen Kurzfilmen noch<br />

Anleihen bei so unterschiedlichen Vorbildern wie Dreyer, Eisenstein,<br />

Leni Riefenstahl oder dem Fotografenpaar Pierre et Gilles erkennen<br />

ließ, mit denen er lustvoll spielte, ist sein erster Spielfilm nun ein in<br />

sich geschlossenes ästhetisches Universum, das eine völlig originäre<br />

Sprache hat. Deren Quelle ist eine gewisse Zeitlosigkeit. Von Kostümen<br />

über die Frisuren und Orte bis zum Licht ist man sich nie sicher,<br />

in welchem Jahr der Film denn nun spielt, Anfang der 70er, heute,<br />

irgendwo dazwischen? Ein gewollter Kunstgriff. „Wir haben nicht<br />

versucht, den Film zeitlich genau zu verorten, sondern uns eher überlegt,<br />

was man heute noch tragen, sagen oder tun würde.“ Der Effekt<br />

ist berauschend: Als Zuschauer betritt man eine Welt, in der zwar<br />

Referenzen an eine bestimmte Periode auftauchen, ist aber bei den<br />

Konflikten der Figuren immer hautnah dabei, weil man sie eben nicht<br />

historisieren und so von sich wegschieben kann. „Unsere Jungend,<br />

irgendwann in den letzten Jahren“, so beschreibt es Defurne selbst. Der Film scheint aus der<br />

Zeit gefallen und an jedem Ort, an dem es Meer gibt, spielen zu können. Wie in Träumen oder<br />

im Märchen, aber eben so, dass man nicht umhin kommt, die Parabel auch auf sich zu beziehen.<br />

Noordzee, Texas ist nicht Die fabelhafte Welt der Amélie, aber schon eher dem französisch<br />

magischen Realismus verhaftet als deutschen Sozialdramen, in denen nicht weniger, aber viel<br />

ernsthafter geschwiegen wird.<br />

Das ist bei Defurne immer so, weil all seine Protagonisten, vom heiligen Sebastian zu jungen<br />

Männern an Lagerfeuern, diese lose Perspektive zulassen. Schließlich befinden sich alle<br />

seine Charaktere auf einem Gleis irgendwo zwischen kindlicher Naivität und dem Ernst des<br />

Lebens. Dem Ort also, wo wir darauf hoffen, dass irgendjemand, zum Beispiel wir selbst, am<br />

richtigen Hebel zieht und es dann ab geht in eine schönere Zukunft, von der aus wir gelassen<br />

und voller sentimentaler Erinnerung auf die Zeit zurückblicken können, in der wir uns gerade<br />

befinden.<br />

Was nicht heißen muss, wir hätten gerade keinen Spaß. Defurne versteht es wie viele<br />

große schwule Regisseure vor ihm, seine schwebende Weltsicht durch seine Frauenfiguren<br />

zu verankern. Wie die wunderbare Eva van der Gucht ihre gesamte, beachtliche Körperlichkeit<br />

benutzt, um Pims Mutter Yvette eben nicht zu einem Monster zu machen, das<br />

letztendlich ihr Kind sitzen lässt, sondern zu einer Frau, die so viel mehr vorhat, als zu Hause<br />

herumzusitzen und auf den Tod zu warten, wie Katelijne Damen als Ginos Mutter Marcella<br />

ihr immer kleiner werdendes Lebenslicht nur aus ihren müden Augen hell scheinen lässt,<br />

wie Nina Marie Kortekaas ihrer Sabrina trotz deren enttäuschter Liebe keinerlei Bitterkeit<br />

mitgibt, dass alles braucht und hat einen Regisseur, der Frauen als mehr betrachtet, als als<br />

Stellschrauben für die Liebesgeschichte seiner beiden jungen Helden. Und das ist ein feministisches<br />

Fest, wie es im Kino in dieser leichtfüßigen Komplexität selten eines zu sehen gibt.<br />

Keine weiblichen Abziehbilder wie bei Ozon, echte Frauen in echten Körpern in einer traumhaften<br />

Umgebung.<br />

Bleibt noch der Sex. Der schwierig sein könnte, wenn man ihn ironisieren würde, oder<br />

anstrengend, wenn er zu voyeuristisch betrachtend inszeniert wäre. Aber auch hier macht<br />

Defurne wirklich alles richtig. Die erste Liebe zwischen Pim und Gino ist tapsig, ungeschickt,<br />

gierig und wird an den passenden Stellen ausgeblendet, weil sie sonst die Erzählung beschädigen<br />

würde. Auch die sexuelle Überinszenierung einiger seiner früheren Filme, die auch eine<br />

Scham im Umgang mit Körpern bedeuten kann, löst sich in Noordzee, Texas in liebevolles<br />

Wohlgefallen auf.<br />

Auf Defurnes nächsten Film werden wir wohl nicht wieder zehn Jahre warten müssen.<br />

Souvenir befindet sich, nachdem Noordzee, Texas ein weltweiter Festivalerfolg ist, schon in<br />

der Produktion. Er erzählt die Geschichte einer ehemaligen Teilnehmerin am Grand Prix de<br />

la Chanson, die sich mit Anfang 50 in einen 18-jährigen Boxer verliebt. Ein Traum, oder? Wir<br />

können es kaum erwarten. s<br />

EDITIoN SALZGEBEr (3)<br />

noordzee, Texas<br />

von Bavo Defurne<br />

BE 2011, 94 Minuten,<br />

flämische OF mit dt. UT<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino<br />

Gay-Filmnacht im April<br />

www.gay-filmnacht.de<br />

Kinostart: 10. Mai 2012<br />

Kurzfilme von Bavo Defurne<br />

BE 1995–2000, 94 Minuten,<br />

flämische OF mit dt. UT<br />

Auf DvD bei der Edition Salzgeber,<br />

www.salzgeber.de<br />

16 17


kino<br />

geSchlechteRRiten<br />

im PRäliminARfRieDen<br />

von bIru DavID bInDer<br />

Die zehnjährige Laure ist mit ihrer Familie umgezogen und nutzt die Chance, sich ihren neuen Freunden als „Michael“<br />

vorzustellen. Die meisten halten sie ohnehin für einen jungen. Céline Sciammas („Waterlilies“) zweiter Spielfilm „Tomboy“ erhielt<br />

auf der 2011er Berlinale den Spezialpreis der Teddy-jury, kommt am 3. Mai ins Kino und läuft vorab in der April-Ausgabe der<br />

L-Filmnacht.<br />

s „Du bist nicht wie die andren …“, stellt Lisa (Jeanne Disson) in<br />

einer Mischung aus Ernst, Überraschung und Anerkennung fest, als<br />

sie mit dem neuen Nachbarsjungen Michael (Zoé Heran) am Rande<br />

des Fußballfeldes steht. „Ich spiele nicht, ich schaue lieber zu …“, hatte<br />

der zuvor gesagt.<br />

Für den zweiten Kinofilm nach ihrem Debut Naissance des pieuvres<br />

(Wasserlilien) im Jahr 2007 ging die 1978 geborene und in einem<br />

Pariser Vorort aufgewachsene Regisseurin und Drehbuchautorin<br />

Céline Sciamma gleich mehrere vermeintliche Schritte zurück: mit<br />

einem Budget von mickrigen 500.000 Euro, einer 15-köpfigen Crew,<br />

in einem Zwanzig-Tage-Dreh im August 2010, nachdem sie das Skript<br />

Ende März des selben Jahres begonnen hatte. ‚A philosophy‘, nannte<br />

Sciamma diese Radikalität ihres Projektes Tomboy, die dem Mythos<br />

vom zweiten und schwersten aller Filme einer Regiekarriere ein<br />

Schnippchen schlagen solle.<br />

Also vier zurück, um acht Schritte vorangekommen zu sein? Tomboy<br />

ist ein Film, der mit einer Handvoll von Erwachsenen in Nebenrollen<br />

auskommt – ob’s deshalb ein „Kinderfilm“ ist, sollten Kinder<br />

ALAMoDE FILM<br />

selbst entscheiden (dürfen). Und deshalb ergo wohl eher<br />

fünf Schritte zurück in einer auf Erwachsene(nrollen)<br />

fokussierten (Film-)Welt. Dabei ist Sciammas Regiearbeit,<br />

aber vor allem das Spiel der Kinder so atemberaubend,<br />

dass sich einem die Armhärchen aufstellen vor<br />

Erinnerung oder Schreck, ihnen beiwohnen zu dürfen<br />

und qua dieser Reaktion ein wenig schmerzhaft und<br />

schmollend erkennen zu müssen, wohl eben das: kein<br />

Kind mehr zu sein.<br />

„Das Kind“ – im Deutschen ein Neutrum – mag<br />

mensch sich bei Tomboy besinnen, hat zuvorderst keinen<br />

Schnipsel eines irgendwie „natürlich“ gearteten Bezugs<br />

zu den Erwartungen seiner nicht-kindlichen Umwelt<br />

an sein Verhalten aufgrund eines ihm bei der Geburt<br />

zugewiesenen Geschlechts. „Das Kind“ verhält sich<br />

zuvorderst wie’s ihm gefällt und mag damit, o glücksversprechender<br />

Zufall, ebensolchen Erwartungen gerecht<br />

werden, wofür es zumeist wiederholt und ausgiebig<br />

belohnt wird. Wurde „das Kind“ – so in Tomboy – von seinen<br />

Eltern Laure genannt, lautet demnach die Vereinbarung<br />

der allermeisten (Nicht-Kinder): Das Kind Laure hat<br />

sich Laure zu nennen und als Mädchen zu erkennen zu<br />

geben. Wie aber nur, wenn das Konzept „Mädchen“ dem<br />

Kind erst einmal so abstrakt ist wie, sagen wir, „Kapitalismus“?<br />

Nennt sich dieses Kind namens Laure aber selbst<br />

Michael und nennt es sich nicht „Mädchen“ vor den anderen<br />

Kindern, dann gibt’s Ärger mit, sprich: Bestrafung<br />

durch seine nicht-kindliche Umgebung. Wie sehr dieses<br />

etwas stumpf-simpel anmutende Belohnungs-/ Bestrafungsgebaren<br />

selbst bei Zehnjährigen bereits verinnerlicht<br />

sein kann und reproduziert wird, so und so sehr,<br />

dass diese selbst die an ihnen verübten oder zumindest<br />

vorgelebten Bestrafungsmechanismen an Gleichaltrigen<br />

ausüben, auch dies zeigt Tomboy in einer seiner grausamsten<br />

Sequenzen.<br />

Was aber soll das ganze „Spiel“ der nicht-kindlichen<br />

Umgebung? „Ich muss das tun!“, behauptet die Mutter<br />

(Sophie Cattani) Michaels/Laures, nachdem sie ihn in<br />

ein Kleid gezwungen und zur Nachbarschaft gezerrt hat,<br />

um in seiner Anwesenheit vor ausgesuchten Müttern mit<br />

ihren jeweiligen Kindern im von Foucault so eingehend<br />

beschriebenen, vorbildlichsten Sinne nicht etwa nur zu<br />

sagen, sondern zu gestehen, dass ihre Tochter ein Mädchen<br />

sei und sie keinen Sohn namens Michael habe [ah,<br />

zwei weiße Schimmel?]. Nee, klar … Was offenbar wird in<br />

diesen Sequenzen, ist eben nicht die „story of a lie“ als<br />

die Sciamma ihren Film zusammenfasste. Geschlecht<br />

„muss“ überhaupt und hier ganz konkret offensichtlich<br />

zurechtgerückt und „klar“ gestellt werden, damit es<br />

„wahr“ wird, damit die basale (kindlich-)geschlechtliche<br />

Tendenz zur Uneindeutigkeit vermeintlichen Eindeutigkeiten<br />

von Mädchen/Junge und richtig/falsch zugeführt<br />

werden kann. Gibt es sie, die Geschichte einer „Lüge“ in<br />

Tomboy? Wessen Lüge ist das? Gibt es sie, die „wahre“<br />

Geschichte? Falls ja, wessen Geschichte ist das?<br />

An dieser Stelle gesteht der Autor freimütig ein, sich<br />

für den Part der Mutter Michaels/Laures aufs Unangenehmste<br />

fremdgeschämt zu haben. Die mit einem weiteren<br />

Male in einer Ohrfeige physisch werdende Gewalt<br />

der Mutter wirft die Frage auf: Wie groß muss die Angst<br />

dieser Mutter gewesen sein? Womöglich panischen Ausmaßes,<br />

sei es aus Angst um ihr Kind, vor ihrem Kind<br />

und seiner „Tat“, vor deren Zeugen, vor sich selbst oder<br />

einer Gemengelage aus der Summe mindestens dieser<br />

einzelnen Teile. Die zur Herrschaft erstarrte, in physische<br />

Bestrafung geronnene (Ohn)Macht (im Angesicht)<br />

der binären Geschlechterordnung wird hier beispielhaft<br />

greifbar. Da wird auch nichts versöhnt durch einen<br />

Mutter-Liebesschwur samt „Ist doch für mich total okay,<br />

wenn du dich jungenhaft benimmst!“. Denn: Ist dieses<br />

erzwungen inszenierte Geständnis gleichermaßen „total<br />

okay“ für Michael? Ist tatsächlich kein anderer Umgang<br />

mit einem Kind denkbar, das offenbar erfolgreich (siehe<br />

Die geschichte eines<br />

geschlechtereigenwillig<br />

agierenden Kindes<br />

auch die ersten fast 15 Minuten für die Zuschauenden)<br />

wie glücklich als Michael über einen Sommer lang lebt?<br />

Mysteriös erscheint der filmtitelgebende Ausdruck<br />

„Tomboy“ selbst, auf den sich der Autor noch nie einen<br />

Reim machen konnte, auch nach diesem Film nicht – ein<br />

Tomboy, ein JungeJunge also? Noch mysteriöser wird<br />

der Ausdruck, denkt mensch an sein vermeintliches Pendant<br />

„<strong>Sissy</strong>boy“ – der Referenzpunkt scheint auf Gedeih<br />

und Verderb der Junge zu sein. Warum dann im ersten<br />

Fall nicht Tomgirl, wenn das (angebliche) Girl ein „falscher<br />

(?) Tom“ ist oder sein mag? Das kann sich kaum<br />

ein „Girl“ ausgedacht haben … Ganz grantig konsequent<br />

weitergedacht, mag der Begriff „Tomboy“ (und nicht<br />

Tomgirl) dann auf Tomboys Michael zutreffen, der spielt<br />

zwar „Mädchen“ mit Lisa und ganz famos Fußball mit<br />

den Jungs, nur Michael, den spielt er nicht.<br />

Durch Tomboys bewussten und auf diese Weise wohl<br />

bislang einzigartigen Fokus auf die Geschichte eines<br />

geschlechtereigenwillig agierenden Kindes (und, möchte<br />

mensch hinzufügen, seiner Schwester Jeanne, hinreißend<br />

gespielt von Malonn Lévana) wird eine Offenheit<br />

an Interpretationsfläche gespannt, die sich jeglichem<br />

Schablonieren in ‚weibliche Hete auf Abwegen‘ versus<br />

‚Butch-Lesbe‘ versus ‚Trans*‘ konsequent zu entziehen<br />

vermag. Die Hauptdarstellerin Zoé Heran, die laut Sciamma<br />

vor ihrer Rolle in Tomboy selbst mit ihren langen<br />

Haare Schwierigkeiten hatte, aufgrund ihrer Ausstrahlung<br />

gebucht zu werden, erhielt in New York den Newfest<br />

Best Actress Award [sic!].<br />

Und doch: Das Film-Ende erscheint banal-feige und<br />

wird aufgrund der impliziten Entlassung der Zuschauenden<br />

in die Harmlosigkeit einer kindlichen „Sommerlüge“<br />

die Angepasste(re)n, die rar Zweifelnden und die Gewalt<br />

des binären Geschlechterdispositivs leugnenden Gemüter<br />

auf- und ausatmen lassen. Auf den zweiten Blick erscheint<br />

die letzte Szene vielleicht aber als das, was sie wohl<br />

ebenso sein mag: als ein Präliminarfrieden. Denn, gezeigt<br />

zum Beispiel in Klassenzimmern, wird sich vielleicht die<br />

ein oder andere Stimme erheben und daran erinnern, dass<br />

die Hauptfigur erst zehn Jahre alt ist und darum gewiss<br />

geneigt, der Mutter hinterherzuplappern, was Muttern<br />

gefällt, denn ohne Ohrfeigen lebt’s sich schlicht unbeschwerter,<br />

ganz gleich welchen Geschlechts. Ob’s beim<br />

Hinterherplappern der Perlen mütterlicher Weisheit<br />

bleibt, ist wohl mehr als ungewiss. s<br />

Tomboy<br />

von Céline Sciamma<br />

FR 2011, 82 Minuten, dt SF<br />

Alamode, www.alamodefilm.de<br />

Im Kino<br />

L-Filmnacht im April<br />

www.l-filmnacht.de<br />

Kinostart: 3. Mai 2012<br />

Water lilies<br />

von Céline Sciamma<br />

FR 2006, 81 Minuten, französische<br />

OF mit dt. UT<br />

Auf DvD bei Pro-Fun Media,<br />

www.pro-fun.de<br />

18 19<br />

kino


kino kino<br />

Siehe da:<br />

ein Penis!<br />

von paul Schulz<br />

Müssen schwule Männer erst ihre Hosen<br />

ausziehen, um sich zueinander bekennen<br />

zu können? Ein kulturtheoretischer<br />

Diskurs über den Schwanz als Merkmal<br />

der Menschwerdung am Beispiel der<br />

Sexcomedy „Longhorns“ (Gay-Filmnacht<br />

im Mai).<br />

s Als ich noch Protestant war, so mit fünf,<br />

habe ich mich immer darüber gewundert,<br />

wie wenig Jesus meistens anhat. Links vom<br />

Taufbecken in unserer Dorfkirche hing ein<br />

Bild von seiner Geburt, auf dem Mama Maria<br />

den fröhlichen Säugling (später Weltenretter)<br />

so festhält, dass sie ihm dabei auf den<br />

Bauch drückt. Von meinen winzigen Cousins<br />

wusste ich schon: keine gute Idee. Nachdem<br />

dir ein grinsender Cherubin mal mit voller<br />

Wucht in dein interessiertes Kindergesicht<br />

gestrullt hat, lernst du ganz schnell, dass<br />

man Babys am Kopf und am Po, aber nicht in<br />

der Mitte anfasst. Nachdem ich einige langweilige<br />

Predigten damit zugebracht hatte,<br />

mir vorzustellen, wie Gottes Söhnchen sich<br />

vor der versammelten Gemeinde in hohem<br />

Bogen ins Taufbecken entleert und danach<br />

seine Mutter triumphierend anguckt, fiel<br />

mir auf: der Kleine war nackt, im Dezember,<br />

in Judäa: Maria war eine ganz schlechte<br />

Mutter. Nachdem ich unseren Pfarrer darauf<br />

aufmerksam gemacht hatte, bekam ich<br />

die Auskunft, das hätte schon Gründe, dass<br />

Jesus nichts anhat, ich würde das, wenn ich<br />

groß wäre, schon verstehen. Und so geschah<br />

es auch.<br />

Denn kaum 15 Jahre später, erklärte mir<br />

ein Professor für Kunstgeschichte in einem<br />

Seminar, das einer Predigt nicht unähnlich<br />

war, dass es sehr wichtig sei, dass man Jesus’<br />

„Männlichkeit“ sähe, nur so würde seine<br />

Menschwerdung veranschaulicht. Erwachsene<br />

Engel beispielsweise hätten, genau wie<br />

Barbies, keine primären Geschlechtsmerkmale.<br />

Der Sohn Gottes sei da anders. Er<br />

käme, um die Welt in Menschengestalt zu<br />

erlösen: „Und siehe da, ein Penis.“<br />

Ähnlich scheinen die Macher amerikanischer<br />

Sex-Comedys ihre Protagonisten<br />

zu sehen: Niemand scheint wirklich schwul<br />

zu sein, bevor er sich nicht untenrum frei<br />

macht. Angefangen damit hat 2004 Q. Allan<br />

Brocka in Eating Out, einer Reihe, die seitdem<br />

in sechs (!) fröhlichen Teilen postuliert:<br />

Zeig mir deinen Schwanz und ich sage dir,<br />

was du bist.<br />

Der aktuelle Beleg für diese Maxime heißt<br />

Longhorns, was sich entweder lose mit „Büffel“<br />

oder als Vorschlaghammermetapher mit<br />

„Langhörner“ übersetzen lässt. Erzählt wird<br />

die komplett nebensächliche, aber amüsante<br />

Geschichte von Kevin, der in den 1980ern an<br />

einem amerikanischen Provinz-College sein<br />

Coming-Out hat, weil er sich ganz furchtbar<br />

in einen Mitstudenten verliebt. Auf der<br />

Flucht vor seinem wahren Ich, zieht er sich<br />

kurzzeitig mit zwei Freunden auf eine Ranch<br />

im Nirgendwo zurück und masturbiert sehr<br />

unterhaltsam. Es gibt die üblichen Sprüche,<br />

die üblichen Komplikationen, und das filmemacherische<br />

Niveau der Angelegenheit liegt<br />

nicht spürbar über, aber auch nicht unter<br />

dem von Porgys oder American Pie, nur eben<br />

in schwul. Wer das subversive Potential dreckiger<br />

Witze schätzt, und wer täte das nicht,<br />

hat sehr unterhaltsame anderthalb Stunden<br />

mit Longhorns. Nur die Anzahl der gezeigten<br />

Schwänze liegt eben deutlich über dem ähnlich<br />

gelagerter heterosexueller Kost.<br />

Die Frage ist: Warum? Ich wage zu<br />

behaupten: Das ist wie bei Jesus. Schwule<br />

Sexualität, deren Ausleben enormen Anteil<br />

an der selbstbewussten Menschwerdung<br />

jedes schwulen Mannes hat, ihn eigentlich<br />

erst zu dem werden lässt, was er ist, und mit<br />

ihr das offensichtliche Begehren eines baugleichen<br />

Körpers, lässt sich eben am besten<br />

darstellen, indem man einen Schwanz zeigt<br />

oder zwei. So retten wir uns selbst die Welt,<br />

ganz ohne Hilfe von oben. Das ist bei Heteros<br />

nicht nötig, Küsse, okay, Hände, feine Sache,<br />

Ärsche, selbstverständlich, Brüste, wenn ihr<br />

euch das traut, aber Schwänze? Fehlanzeige.<br />

Man muss das gesellschaftlich dominierende<br />

Steckspiel nicht mehr en detail erklären, es<br />

ist in den letzten 5000 Jahren millionenfach<br />

erläutert worden.<br />

Für das sexuelle Vergnügen der Minderheit<br />

gilt das nicht. Und für Mainstreamschauspieler<br />

auch nicht. Jeder volle Frontalauftritt<br />

eines männlichen Stars lässt das<br />

Internet für ein paar Tage erzittern und es<br />

gibt Bücher, Webpages und jede Menge notgeiler<br />

Nerds, die sich mit nichts weiterem<br />

beschäftigen, als dem kanonischen Erfassen<br />

jedes künstlerisch gerechtfertigten Untenohne<br />

männlicher Darsteller. Und das ist gut<br />

so. Denn die scheinbar nutzlose und nur<br />

der Erotisierung des Publikums hinterhergeiernde<br />

Sexszene in schwulen Filmen ist<br />

eine echte Notwendigkeit. Weil der schwule<br />

Mann nach Ansicht vieler Filmemacher wohl<br />

wirklich erst dann zum schwulen Menschen<br />

wird, wenn er sich zu seinem Penis und dem<br />

anderer Männer bekennt, ihn betrachtet und<br />

offen begehrt. Und wenn Schwule in ihren<br />

30ern jesusgleich nur in eine Windel gehüllt<br />

an Kreuzen hängen, ist das freiwillig und<br />

eine zutiefst gottlose Angelegenheit.<br />

Longhorns fügt diesem zutiefst freiheitlichen<br />

Gedanken fünf weitere Belege hinzu.<br />

Und das ist doch prima. s<br />

longhorns<br />

von David Lewis<br />

US 2011, 74 Minuten, englische OF<br />

mit dt. UT<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino<br />

Gay-Filmnacht im Mai<br />

www.gay-filmnacht.de<br />

EDITIoN SALZGEBEr<br />

Komm her, geh weg!<br />

von rIcharD Garay<br />

Mit der vielfach ausgezeichneten lesbischen Altersromanze „Hannah Free“ machte<br />

die regisseuren Wendy jo Carlton 2009 auf sich aufmerksam. Mit ihrem neuen Film<br />

„jamie und jessie sind nicht zusammen“ wagt sie sich auf leichteres Terrain und<br />

erzählt die Geschichte einer besonderen Freundschaft, die viel zu eng für Gefühle ist.<br />

Im Mai läuft der Film in der L-Filmnacht.<br />

s Zu viel Nähe kann ganz schön unangenehm<br />

sein. Mir war z.B. neu, dass es im<br />

Amerikanischen den Begriff „close talker“<br />

für Menschen gibt, die einem beim Reden<br />

zu nahe rücken („one who leaves little space<br />

in face-to-face chatter“, Urban Dictionary).<br />

Einander genug Raum lassen – das ist ohnehin<br />

nicht die Stärke von Close-Talkerinnen<br />

Jamie und Jessie, die sich in Chicago ein<br />

Apartment teilen. Jessie denkt, dass sie<br />

eigentlich in Jamie verliebt ist. Aber wie soll<br />

Liebe entstehen, geschürt und schließlich<br />

gestanden werden, wenn man die Mitbewohnerin<br />

sogar an der eigenen Wäsche riechen<br />

lässt, um zu entscheiden, ob ein Waschgang<br />

nötig ist? Was einem so nah ist, kann nicht<br />

mehr erobert werden.<br />

Ok, wir sind unter kreativen, hübschen,<br />

intelligenten Indie-Mädchen in Chicago,<br />

die sich zugute halten, ziemlich neurotisch<br />

zu sein. Die sich grundsätzlich zu nah sind<br />

und immer im entscheidenden Moment<br />

auf Abstand gehen. Die Angst vor Spinnen<br />

haben, allergisch auf Gras (also den natürlichen<br />

Bodenbelag) reagieren, sich begrüßen<br />

mit „You look like Shit!“, und schon mal nach<br />

einem Kuss (Vorsicht: Nähe!) angewidert<br />

feststellen: „Du rauchst ja!“<br />

Jessie ist da ein besonderes Exemplar,<br />

die um ihre Neurosen weiß und trotzdem<br />

instinktiv zwei Schritte nach vorne macht,<br />

wenn sie eigentlich zurückweichen will.<br />

Toll, wie Jessica London-Shields das spielt:<br />

einen Großstadt-Tolpatsch mit ständig verwirrtem<br />

Gesichtsausdruck und einer irritierend<br />

explosiven Lache, die ihre hysterischen<br />

Redeanfälle rhythmisch strukturiert.<br />

Jessies Eigentlich-Beziehung zu Jamie ist<br />

ziemlich gemein vom Drehbuch angelegt,<br />

denn ständig steht sie im Schatten ihrer<br />

burschikosen Freundin, ständig ist sie drei<br />

Schritte hinterher, ob es nun die Schauspielkarriere<br />

ist, der bevorstehende Umzug nach<br />

New York oder die sexuellen Affären. Aber<br />

da findet der Film auch sein Thema, denn es<br />

ist eine besondere Emanzipationgeschichte,<br />

die er erzählen will: von einer, die ihre große<br />

Liebe verlässt, um endlich selbst liebenswert<br />

zu werden.<br />

Jamie sitzt auf Umzugskartons und wird<br />

bald die Stadt verlassen. Jessie muss wissen,<br />

ob sie ihr fehlen wird. Jessie versucht,<br />

sich zu entziehen, um Nähe zu provozieren,<br />

stattdessen gelingt ihr endlich der Sprung<br />

aus dem Schatten und eigentlich alles, was<br />

sie sonst noch so will. Auf ganz tölpelhafte,<br />

EDITIoN SALZGEBEr<br />

neurotische und sehr witzige Weise. Wir<br />

freuen uns für sie, denn gelitten hat sie wirklich<br />

genug. Wie gemein ist das denn, wenn<br />

man zum Vorsprechen für eine Lieblingsrolle<br />

eingeladen wird, die Mitbewohnerin zur<br />

Unterstützung mitnimmt, diese aber dann<br />

ungewollt vom Fleck weg engagiert wird?<br />

Schon sehr gemein. Aber es geht noch gemeiner<br />

– als der Anruf mit dem Rollenangebot<br />

für Jamie kommt, kann sich die Kamera an<br />

Jessies Verletzung nicht sattsehen. Und als<br />

Jamie pflichtschuldig die Rolle ablehnt, klingelt<br />

Sekunden später Jessies Telefon mit den<br />

schönen Nachrichten. Und jetzt sehen wir die<br />

milde lächelnde Jamie. So sieht Erniedrigung<br />

aus … „Manche kriegen einfach alles, was sie<br />

wollen!“, stöhnt Jessie, kurz bevor sie selbst<br />

vom Drehbuch alles kriegt, was sie will.<br />

Jetzt können alle queer-aktivistischen<br />

Festivalkurator_Innen wieder stöhnen und<br />

sich fragen, was diese überdrehten Mädchen<br />

in einem Chicago, das so schön fotografiert<br />

ist und so viele schöne Frauen beherbergt<br />

(sehr sexy z.B. Fawzia Mirza als Jamies<br />

Freundin Rhonda), dass man gar nicht versteht,<br />

warum Jamie und Jessie nach New<br />

York abhauen wollen, eigentlich für Probleme<br />

haben. Die sie so ausgiebig diskutieren<br />

und gerne auch mal in plötzlichen Musical-<br />

Nummern vorsingen. Aber das ist ziemlicher<br />

Unsinn, denn warum darf man nicht<br />

90 Minuten mit süßen und etwas verwirrten<br />

Frauen verbringen, die wie alle anderen ihre<br />

kleinen Dramen durchstehen müssen und<br />

immer wieder auch ihr kleines Glück finden.<br />

Warum sollte man vor einer „lesbian Musical<br />

Romantic Comedy with a big fat heart!“<br />

(Webseite) davonlaufen? Hiergeblieben!<br />

Jamie und Jassie sind nicht zusammen ist<br />

eine filmische Naherholung. s<br />

Jamie und Jessie sind nicht<br />

zusammen<br />

von Wendy Jo Carlton<br />

US 2011, 95 Minuten, englische OF<br />

mit dt. UT<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino<br />

L-Filmnacht im Mai<br />

www.l-filmnacht.de<br />

20 21


kino<br />

22<br />

EDITIoN SALZGEBEr<br />

Ostler<br />

In „Unter Männern“ macht sich der junge Filmemacher Ringo Rösener auf die Suche nach seinen Vorvätern: Schwulen<br />

in der DDR. Er findet sie und mit ihnen auch ein Stück von sich selbst. Der Film wurde nach der Uraufführung auf der<br />

Berlinale für den Teddy Award nominiert und startet am 26. April in den Kinos. Zwei Autoren, die als Schwule die DDR<br />

er-lebt haben, haben sich den Film angesehen und dazu positioniert.<br />

DAS ungeSAgte,<br />

AbeR mitgeDAchte<br />

von Paul Schulz<br />

s Will man Irgendetwas über persönliche Beziehungen<br />

in der DDR erfahren, gibt es dafür eigentlich nur zwei<br />

Quellen: Stasi-Akten und persönliche Gespräche mit<br />

denen, die dabei waren. Wobei die Stasi-Akten die verlässlicheren<br />

Auskünfte geben. Die Akribie und Wahllosigkeit,<br />

mit der der Apparat auch die kleinsten Details aus<br />

dem Leben seiner Beobachtungsobjekte katalogisierte,<br />

hilft hier, wenn man selbst in der Lage ist, eine Sortierung<br />

vorzunehmen – und ähnlich viel Zeit mitbringt wie<br />

die Sammler des Materials. Ansonsten gibt es wenig, was<br />

man gebrauchen könnte, um zu erfahren, wie es so war.<br />

Das ist so, weil sich über alles andere die staatstragend<br />

repressive Patina des Arbeiter- und Bauernstaates,<br />

die freundlich kolonialisierende Attitüde westdeutscher<br />

Berichterstattung über denselben oder der weichzeichnende<br />

Schleier der Erinnerung ans eigene Leben legt.<br />

Jedes Buch, jeder Artikel, jedes Foto, jeder Schnipsel<br />

Film, mit dem man heute historisch betrachtend arbeiten<br />

möchte, wurde in seinem Herstellungsprozess sanft oder<br />

unsanft auf seine Propaganda-Verwendbarkeit für die eine<br />

oder andere Seite abgeklopft. So ist das in Kriegen, zumal<br />

in kalten, die öffentlich eben hauptsächlich über Medien<br />

geführt wurden. Und die oft strikte Trennung zwischen<br />

privaten und öffentlichen Räumen im Bewusstsein von<br />

DDR-Bürgern ist zwar gut für die Reinerhaltung der einzelnen<br />

Auskünfte aus dem jeweiligen Gebiet, macht es für<br />

Außenstehende aber schwer, gedankliche Verbindungen<br />

zwischen ihnen herzustellen und zu belegen, wie genau<br />

sich staatliche Politik aufs Zwischenmenschliche ausgewirkt<br />

hat. Jeder, der in der DDR groß geworden ist, kennt<br />

das Phänomen des Ungesagten, aber Mitgedachten, das<br />

seine besten Ausdrücke deswegen in Metaphern, Witzen<br />

und Fabeln fand, weil man es umschreiben musste, um es<br />

überhaupt erfassen zu können. Aus diesem Grund reden<br />

Ostdeutsche und Westdeutsche auch 22 Jahre nach der<br />

Wende oft aneinander vorbei.<br />

Schwule in der DDR waren eine staatlich geduldete<br />

Untergrundkultur. Nicht so verfolgt wie andere, aber<br />

auch alles andere als gefördert. Die Artikel, Bücher und<br />

Filme über sie von vor 1989 passen bequem auf ein Regalbrett.<br />

Deswegen ist das Reden über sie und mit ihnen erst<br />

einmal eine Sammlung von Fakten, die sich wohl nicht<br />

einmal allen Interviewten in Unter Männern – Schwul in<br />

der DDR von Ringo Rösener und Markus Stein zu einem<br />

Gesamtbild erschließen wird, obwohl die beiden jungen<br />

„Unter der Dusche“ (Jürgen Wittdorf, 1964, Ausschnitt)<br />

kino<br />

Filmemacher ihr Möglichstes versuchen. Rösener wurde<br />

1983 in Anklam geboren, wusste nichts über schwules<br />

Leben in der DDR, wollte das ändern und begibt sich<br />

vor der Kamera auf die Suche nach seinen Vorvätern.<br />

Er bedient sich mit seinem filmisch autobiografischen<br />

Bericht über eigene Erkenntnisse eines im DDR-Kulturbetrieb<br />

gern genutzten Mittels, zu erzählen, was zu erzählen<br />

nicht erlaubt ist, weil man das Persönliche exemplarisch<br />

wiedergibt, während man parallel durch die postulierte<br />

„eigene“ Perspektive versucht, der politischen Instrumentalisierung<br />

des Gesagten zuvorzukommen. Was in<br />

Nachdenken über Christa T. geklappt hat, gelingt auch in<br />

Unter Männern hervorragend.<br />

Rösener und Stein lassen ihre völlig unterschiedlichen<br />

Protagonisten (vom punkig schillernden Star-<br />

Friseur bis zum verbitterten 80-Jährigen ist alles dabei)<br />

ihre eigenen Geschichten erzählen und so verdeutlichen:<br />

„Das schwule Leben“ in der DDR gab es gar nicht. Es<br />

gab eine Menge Einzelschicksale, die ihre Gemeinsamkeit<br />

nur daraus bezogen, anders als der Durchschnitt<br />

zu sein und so mit dem System in Konflikt zu geraten.<br />

Wenn Coiffeur Frank Schäfer fröhlich davon berichtet,<br />

wie er von einem Stasioffizier „quasi vergewaltigt“<br />

wurde, hat das mit der Biografie von Eduard Stapels,<br />

dem „Homopfarrer“ des wilden Ostens, der einer der<br />

ersten war, der innerhalb der Kirche Schwulengruppen<br />

gründete, in der persönlichen Wahrnehmung des jeweils<br />

Erzählenden nichts zu tun. Beide stehen aber für eine<br />

ganze Reihe ähnlicher Schicksale<br />

Die filmische Klammer, die Rösener für seine Suche<br />

findet, Ausschnitte aus Coming Out von 1989 mit seiner<br />

eigenen Perspektive des Spätgeborenen abzugleichen,<br />

funktioniert hinreichend, weil sie die Veränderung der<br />

letzten zwanzig Jahre gut illustriert, verdeutlicht aber<br />

auch, dass man den Film nicht einmal als Laser für die<br />

sechs Männer benutzen kann, die in Unter Männern<br />

beschrieben werden. Das Coming-out des ostdeutschen<br />

Schwulen wird durch diesen Widerspruch in seiner Verschiedenheit<br />

hübsch illustriert.<br />

Es wird spannend sein zu beobachten, wie Ost- und<br />

Westdeutsche den Film aufnehmen. Die Unterschiede<br />

werden groß sein, denn wo bei den einen ein Wiedererkennen<br />

möglich ist, bleibt den anderen immer noch und<br />

immer wieder nur ein Besuch im Zoo der Geschichte, in<br />

dem man den Tieren, die man betrachtet, mit größtmöglichem,<br />

aber beschränktem Einfühlungsgefühl begegnet.<br />

Dass klar zu erkennen ist, dass Rösener zur ersten<br />

Gruppe gehört, ist vielleicht das Spannendste an Unter<br />

Männern, weil es andeutet, dass es wohl eine Sehnsucht<br />

nach historisch stringenter Gemeinsamkeit gibt, die sich<br />

aus mehr als nur Sexualität speist. Das „Sehr wertvoll“<br />

für Unter Männern gab es schon während seiner Weltpremiere<br />

auf der Berlinale und zwar ganz zu Recht. s<br />

23


kino kino<br />

Friseur Frank Schäfer (links), Künstler Jürgen Wittdorf<br />

nAivität iSt ’ne<br />

gROSSe KRAft<br />

von Michael Sollorz<br />

s Zu Beginn sehen wir den Hauptdarsteller in Heiner Carows<br />

Coming Out 1989 auf seinem Fahrrad, und hineingeschnitten, dieselbe<br />

Strecke radelnd, kommt anno heute der junge Filmemacher. „Ich<br />

glaube, ich bin ein verhinderter Ossi.“ Sinnlicher, schöner Beginn, wie<br />

ein Versprechen. Beim Mauerfall war Rösener sechs, und angeblich<br />

will er nun wissen: „Wie hat man als Schwuler in der DDR leben können?“<br />

So strampelt er los, um ein paar Antworten einzusammeln, raus<br />

aufs Minenfeld Geschichte. Gerührt folgt ihm der Betrachter, und<br />

nach dem Abspann kommen die Fragen.<br />

Was bedeutet der Titel, geht’s auf ein Kriegsschiff? Was erhellt es,<br />

dass der privilegierte Prominenten-Sohn Frank Schäfer als schriller<br />

Szene-Friseur im vergleichsweise aufgeklärten Ostberlin der Vorwendezeit<br />

andere Erfahrungen machte als ein schüchterner Schullehrer<br />

im Sachsen der 70er? Soll hier Vielfalt vermittelt werden? Wenngleich<br />

das „Sammelgebiet“ als abgeschlossen gilt – empfähle sich nicht eine<br />

stärkere Fokussierung, um der Beliebigkeit Herr zu werden?<br />

Und wo streifte der Film, als DDR-Kennzeichen erster Güte, auch<br />

nur ein einziges Mal den Konflikt zwischen Individuum und Kollektiv,<br />

wie ihn westlich der Elbe nach dem Krieg keine Seele mehr<br />

vergleichbar auszutragen hatte? Waren nicht auch die Schwulen<br />

zunächst einmal Staatsbürger? Versprochen wurde ein besseres<br />

Leben, frei von Ausbeutung. Ganze Generationen glaubten daran,<br />

legten sich ins Zeug. Ein schwerer gemeinsamer Weg, die Mühen<br />

der Ebene, und als Lohn winkte eine radikal neue Gesellschaft, in<br />

der das Geld abgeschafft war und sich jede einzelne Persönlichkeit<br />

nach ihren Fähigkeiten frei entfalten würde. Bis dahin galt es, sich zu<br />

bescheiden, zurückzutreten hinter die Erfordernisse des Fortschritts.<br />

Bediente die Forderung nicht treffsicher das verheerende Muster<br />

schwuler Selbstablehnung, den Wunsch, wie jedermann zu sein?<br />

Wurden nicht andere ebenfalls unentwegt vertröstet, man werde sich<br />

ihrer Bedürfnisse annehmen, sobald erst vorrangigere Probleme des<br />

Aufbaus gelöst wären? Soufflierte nicht Hegel selbst der Einheits-<br />

Partei, Freiheit sei Einsicht in die Notwendigkeit?<br />

Etwas diesem Gemeinschafts-Pathos vergleichbar Wirkmächtiges<br />

existiert für den Westen heute nicht mehr und wird seit über 20<br />

Jahren in Betrachtung des sozialistischen Experiments als Drangsal<br />

dargestellt, als pathologisch diffamiert oder der Einfachheit halber<br />

völlig ausgeblendet. Im Ergebnis wird die DDR hinter dieser „Aufarbeitung“<br />

zunehmend unkenntlicher, und nicht erst Unter Männern<br />

provoziert die Frage, ob unter Verzicht auf die ideelle Dimension in<br />

der Lebenserfahrung des Einzelnen überhaupt irgendwas herausgefunden<br />

werden kann, das nicht ebenso anderswo zuträfe. Auf andere<br />

Leute. Zu anderer Zeit.<br />

Warum, ausgerechnet, findet der Film erst in der Gegenwart<br />

erzählerische Sicherheit, in seinem starken Schlussbild von der ewigen<br />

Provinz? Im thüringischen Glasbläser-Kaff Lauscha geht ein<br />

Mittvierziger im weißen Ballkleid seine steile Straße runter, aus<br />

ihren Fenstern glotzende Nachbarn grüßend. Priscilla im Landkreis<br />

Sonneberg, eine derbe Fee aus unser aller Hinterwald, bevölkert von<br />

immer den gleichen Zwergen.<br />

„Naivität ist ja auch ’ne große Macht und ’ne große Kraft“,<br />

erinnert sich der Grafiker Jürgen Wittdorf. Nimmt Rösener sie als<br />

Arbeits-Haltung für sich in Anspruch? Was eine Klappe sei, fragt<br />

er seinen mehr als doppelt so alten Interviewpartner. Meint er das<br />

ernst oder geht es um den O-Ton? Funktioniert Ahnungslosigkeit als<br />

produktives Prinzip? Was sollte man mitbringen, will man von Menschen<br />

etwas erfahren und Dritten mitteilen? Gegen Ende bekennt der<br />

alte Lehrer: „Ich denke, wenn ich mich geoutet hätte, wäre das besser<br />

gewesen. Da war ich zu feige.“ Ein Moment, der Stille verlangt, schon<br />

aus Respekt. „Aber weswegen ist man denn feige?“ kommt es prompt<br />

aus dem dem Off, und dem Betrachter verschlägt es die Sprache. Kann<br />

ein junger Mann 2012 wirklich schon so herausgewachsen sein aus<br />

der „Geschichte der eigenen Geschichte“? Erfüllt sie sich womöglich<br />

doch noch, die unausrottbare These vom Verschwinden der Homosexualität<br />

mit dem Verschwinden ihrer Verfolgung? Naht uns der Tag,<br />

da erstaunt gefragt wird, was das denn überhaupt sei, ein Schwuler?<br />

Sind wir nicht heute schon alle queer? s<br />

unter Männern –<br />

Schwul in der DDR<br />

von Ringo Rösener und<br />

Markus Stein<br />

DE 2012, 91 Minuten, dt. OF<br />

Edition Salzgeber,<br />

www.salzgeber.de<br />

Im Kino<br />

ab 26. April 2012<br />

Coming Out<br />

von Heiner Carow<br />

DDR 1989, 108 Minuten, dt. OF<br />

Auf DvD bei Icestorm<br />

Entertainment, www.icestorm.de<br />

Westler<br />

von Wieland Speck<br />

DE 1985, 96 Minuten, dt. OF<br />

Auf DvD bei der Edition<br />

Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

EDITIoN SALZGEBEr (2)<br />

nostalgie und<br />

exorzismus<br />

IntervIeW: thomaS abeltShauSer<br />

Neben Chéreau, ozon, Lifshitz und Morel ist Christophe Honoré der wichtigste und<br />

unter ihnen wahrscheinlich unberechenbarste Filmemacher des französischen Queer<br />

Cinema. Demnächst erscheint seine jüngste große Kinoproduktion „Die Liebenden“,<br />

Abschlussfilm Cannes 2011 mit Cathérine Deneuve und Ludivine Sagnier, im Kino und<br />

kurz darauf der radikale No-Budget-Film „Man at Bath“ mit François Sagat auf DVD.<br />

SISSY hat mit ihm über beide und ihren notwendigen Zusammenhang gesprochen.<br />

SENATor<br />

sissy: In „Die Liebenden“ ist eine Nostalgie<br />

für eine Ära zu spüren, in der Sie noch nicht<br />

einmal geboren waren.<br />

Christophe Honoré: Oh, ich hoffe nicht, dass<br />

ich nostalgisch bin! Was mich interessiert<br />

hat, war die Epochenwende, die sich da<br />

vollzogen hat. Deshalb habe ich die Zeit,<br />

als meine Eltern jung waren, mit meiner<br />

eigenen Jugend verglichen. Anfangs wollte<br />

ich einen Film über die Liebe machen und<br />

was sie auszeichnet. Denn der große Unterschied<br />

zwischen meinen Eltern und mir ist<br />

nicht Politik oder Ideologie oder wie gut wir<br />

mit Computern umgehen können, sondern<br />

was wir unter Liebe verstehen. Für sie ist<br />

Liebe, Sex und Verlangen immer mit Hoffung<br />

verbunden. Denn Hoffnung gab es in<br />

den 1960er Jahren, selbst wenn es manchmal<br />

schwierig war, z.B. für Mädchen, die<br />

ungewollt schwanger wurden. Mitte der<br />

Achtziger dagegen, als ich ins Alter kam,<br />

mich für Liebe und Sex zu interessieren, war<br />

das Klima geprägt von Angst. Unsere Eltern<br />

haben uns vor anonymem Sex und ungeschütztem<br />

Geschlechtsverkehr gewarnt.<br />

Durch Aids hatte es alles Spielerische verloren,<br />

Sex wurde zu einer tödlichen Gefahr,<br />

man konnte davon sterben. Ich glaube<br />

unsere Generation, und ich rede nicht nur<br />

von den Schwulen, hat in ihrer Jugend Liebe<br />

und Tod sehr eng miteinander verknüpft.<br />

Und das haben wir immer noch im Kopf,<br />

auch wenn wir damit umzugehen gelernt<br />

haben. Deshalb kann man vielleicht den Eindruck<br />

gewinnen, dass mein Film nostalgisch<br />

ist, aber ich beschreibe nur.<br />

Sind Liebe und Beziehungen auch komplizierter<br />

geworden? Unser Klischee von den Sechzigern<br />

ist ja das der freien Liebe …<br />

Was natürlich eine Illusion ist! Aber ich male<br />

mir die Zeit, als meine Eltern jung waren, so<br />

schön aus. Es muss toll gewesen sein damals,<br />

schließlich haben sie mich gezeugt. Aber mir<br />

ist schon klar, dass es auch eine rückständige<br />

Zeit war und ich bin sehr froh, heute zu<br />

leben. Allerdings nicht als Filmemacher, die<br />

Goldene Ära des französischen Kinos waren<br />

die Sechziger. Ich bevorzuge die Nouvelle<br />

Vague gegenüber den Regisseuren meiner<br />

Generation. Da habe ich keine andere Wahl …<br />

Aber haben Sie heute nicht viel größere Freiheiten<br />

als Filmemacher?<br />

Ich glaube nicht. Wir sind in Frankreich<br />

natürlich sehr privilegiert, was unsere Filmindustrie<br />

und Filmförderung angeht. Aber<br />

als Künstler ist es doch viel anregender, einer<br />

Gruppe anzugehören, die man verehrt und<br />

auf die alle Welt schaut, weil von hier die<br />

Innovationen ausgehen. Das ist in Frankreich<br />

schon lange nicht mehr der Fall. Wenn<br />

wir pro Jahr zehn gute Filme produzieren,<br />

ist es schon viel. Und die heute erfolgreich<br />

24 25


kino<br />

„Die Liebenden“ (2011)<br />

sind, interessieren mich nicht. Damals machten Leute wie Godard,<br />

Chabrol und Rivette Filme, weil sie Cinephile waren. Wenn man sich<br />

heute auf sie bezieht, wird einem gleich Nostalgie vorgeworfen. Die<br />

Probleme draußen auf der Straße soll man filmen, aber dieser Realismus<br />

ist doch bloße Konvention. Realismus und Wahrheit sind nicht<br />

dasselbe!<br />

Sie nehmen sich doch aber zumindest die Freiheit, neben einem großen<br />

Mainstream-Film mit Starbesetzung auch einen kleinen Experimentalfilm<br />

wie „Man at Bath“ zu drehen.<br />

Ich wusste, dass mich Die Liebenden lange in Anspruch nehmen<br />

würde, deswegen wollte ich davor etwas ganz anderes machen. Ich<br />

habe Man at Bath in einer Woche gedreht, ohne Drehbuch und mit<br />

Darstellern, die ich auf der Straße oder in einer Homobar gefunden<br />

habe. Es stimmt, dass ich diese Freiheit nutze. Aber in dem Film steckt<br />

auch kein Geld, deswegen habe ich da auch keinen Druck. Man at Bath<br />

ist sehr viel näher an den Filmen der Sechziger, vielleicht ist der Film<br />

sehr viel nostalgischer als Die Liebenden, in der Art wie er gedreht<br />

wurde. Stell deine Freundin oder deinen Freund vor die Kamera und<br />

fang an zu drehen, das reicht. Das ist für mich das Ideal der Nouvelle<br />

Vague. Man braucht kein großes Thema, um einen guten Film zu<br />

machen. Aber viele haben Man at Bath nicht verstanden. Sie haben<br />

nach Chanson der Liebe einen anderen Film erwartet. Aber für mich<br />

ist es sehr wichtig, beide Arten von Filmen machen zu können. Ich<br />

brauche diese kleinen Filme als Exorzismus. Und es ist beruhigend zu<br />

wissen, dass, wenn ich nächstes Jahr kein Geld für einen neuen Film<br />

bekommen sollte, ich immer Filme wie Man at Bath machen kann.<br />

Und wer weiß, vielleicht bin ich damit sogar glücklicher. Verstehen<br />

Sie mich nicht falsch, ich mag Die Liebenden wirklich sehr, aber in<br />

Man at Bath steckt viel Risiko.<br />

Und auch in Bezug auf Liebe und Beziehungen ist „Man at Bath“ ein<br />

Gegenstück zu „Die Liebenden“. Er zeigt, dass Beziehungen heute sehr<br />

viel komplizierter, aber auch freier sind, was etwa Geschlechterrollen<br />

angeht.<br />

Stimme ich voll zu. Mir ging es bei Die Liebenden um einen Vergleich<br />

zwischen der Generation meiner Eltern und meiner. Und Man at Bath<br />

wiederum handelt von einer neuen Generation, in der François Sagat<br />

wie ein Dinosaurier ist, ein altmodisches Modell aus den Neunzigern<br />

mit seinem muskulös überdefinierten Körper. Die heute Zwanzigjährigen<br />

definieren sich ganz anders, sie haben ein anderes Verständnis<br />

davon, was männlich ist. Und sie gehen sehr offen mit ihrer Sexualität<br />

um, die Orientierung ist da eher zweitrangig. Ich war sehr überrascht,<br />

als ich Jungs auf der Straße für den Film ansprach. Ich sagte, er ist mit<br />

einem Pornostar als Hauptdarsteller und etlichen Nacktszenen und<br />

stieß damit gleich auf große Begeisterung.<br />

Ist der Filmemacher Omar in „Man at Bath“ Ihr alter Ego?<br />

Ich wäre gerne wie Omar, aber er hat definitiv mehr Glamour als ich.<br />

Ich habe die Figur auch als Filmemacher angelegt, um Aufnahmen,<br />

SENATor ALAMoDE FILM<br />

„Man at Bath“ (2010)<br />

die ich selbst in New York gedreht hatte, als eine Art Tagebuch in den<br />

Film einzubauen.<br />

Neben Ihren eigenen Filmen haben Sie auch die Drehbücher zu Gaël<br />

Morels Filme „Brüder Liebe“ und „Après lui“ verfasst. Wie würden Sie<br />

ihr Verhältnis beschreiben?<br />

Ich habe nicht viele Freunde in der Branche und Gaël ist einer von<br />

ihnen. Ich mag ihn sehr. Wir sind beide nicht ursprünglich aus Paris,<br />

wir kommen beide aus der Provinz und sind in recht einfachen Verhältnissen<br />

aufgewachsen. Wir teilen also das Gefühl, in der französischen<br />

Filmfamilie nie so richtig dazuzugehören. Wir machen ganz<br />

unterschiedliche Filme, schätzen einander und das Urteil des anderen<br />

aber sehr. Und ich glaube auch, dass Man at Bath Gaël ermutigt<br />

hat, Unser Paradies zu drehen.<br />

Sie schreiben auch Romane und Kinderbücher. Gibt es einen roten<br />

Faden, der Ihre unterschiedlichen Werke zusammenhält?<br />

Literatur spielt auch in meinen Filmen eine große Rolle. Chanson der<br />

Liebe etwa habe ich basierend auf Liedtexten geschrieben, Ma mère<br />

ist nach einem Roman von George Bataille, Dans Paris von Salinger<br />

beeinflusst und auch in Die Liebenden sind Lieder sehr wichtig.<br />

Umgekehrt vergesse ich beim Schreiben eines Romans ganz den Filmemacher,<br />

weil es mir nicht weiterhilft. s<br />

Die liebenDen<br />

Von 1963 bis 2008 geht der reigen<br />

der Liebesaffären mehrerer Figuren<br />

in Honorés aktuellstem Spielfilm.<br />

Gegenübergestellt werden die<br />

elterngeneration, die sich in den<br />

1960ern sexuell emanzipiert,<br />

und die Generation des Autors<br />

und regisseurs, deren sexuelles<br />

erwachen unter dem Fanal von Aids<br />

stattfand. Honoré lässt Motive aus<br />

vielen seiner Filme zusammenfließen<br />

und variiert sie neu: Der Umgang<br />

mit Aids war schon das thema<br />

seines ersten Spielfilms „Mein<br />

Bruder Leo“, Gesangseinlagen<br />

gab es schon in „Chansons der<br />

Liebe“, die Beziehungen von<br />

Frauen zu schwulen Männern<br />

interessierte Honoré bereits in<br />

„17 Mal Cécile Cassard“. Auch<br />

in „Die Liebenden“ glaubt er<br />

an die Kraft des Kinos, nicht an<br />

sozialrealistische Beschreibungen.<br />

nur so kann er die disparaten<br />

elemente seiner erzählung in einen<br />

einzigen Film einfließen lassen.<br />

Die liebenden<br />

von Christophe Honoré<br />

FR 2011, 139 Minuten, deutsche SF<br />

Senator, www.senator.de<br />

Im Kino<br />

ab 3. Mai 2012<br />

mAn At bAth<br />

Der Film schildert in losen<br />

Bruchstücken das nachspiel einer<br />

zu Bruch gegangenen Beziehung<br />

zweier Männer, die sich beide<br />

beweisen müssen, dass sie auch<br />

ohne den anderen leben können.<br />

Während der eine (Omar Ben<br />

Sellem) nach new York fliegt, um<br />

seinen Film dort zu präsentieren, hat<br />

sein Partner (François Sagat) Zeit,<br />

aus der gemeinsamen Wohnung<br />

auszuziehen. In nebenrollen sind<br />

u.a. Chiara Mastroianni und die<br />

Ikone der US-amerikanischen Queer-<br />

Literatur Dennis Cooper zu sehen.<br />

Man at Bath<br />

von Christophe Honoré<br />

FR 2010, 72 Minuten, OmU<br />

Auf DvD ab 22. Juni 2012 bei Pierrot<br />

Le Fou, www.alamodefilm.de.<br />

Mehr dazu im nächsten Heft.<br />

26 27<br />

kino


kino kino<br />

Der kalte blick<br />

von anDré WenDler<br />

Im ohnehin schon etwas schrägen Milieu der konservativen weißen oberschicht<br />

Südafrikas spielt olivier Hermanus’ Spielfilm „Beauty“, der im letzten jahr in Cannes<br />

die „Queer Palm“ gewann. Noch schräger ist der Verlauf der Geschichte, in der ein<br />

voyeuristisch auf einen jungen Mann fixierter Familienvater kein Ventil für Begierde<br />

und Aggression findet. Die handgreifliche Tod-in-Venedig-Variante startet am 8. März<br />

in den Kinos.<br />

s Alles beginnt auf einer unauffälligen Hochzeit: schön gekleidete<br />

Gäste, Blumensträuße, Sektgläser, Frauen mit etwas ausgefalleneren<br />

Frisuren, Männer in belanglos-feierlichen Krawatten, ein Brautpaar,<br />

Geschenke, Küsschen. Es könnte alles ganz normal sein, das Glück der<br />

heterosexuellen Mittelschicht. Noch bevor ich aber weiß, in welchen<br />

Abgrund mich der Film gleich schauen lässt, ahne ich, dass es mit der<br />

Normalität hier nicht so weit her sein kann, wie es auf den ersten Blick<br />

scheint. Die Farben sind, wie später im ganzen Film, auffällig matt,<br />

ertränkt in einem hoffnungslosen Beige und verwaschenem Taubenblau.<br />

All das Lächeln, all die zauberhaften Kleider sehen irgendwie<br />

falsch aus. Die Kamera schwenkt sehr langsam und sehr gleichmäßig<br />

nach links, überblickt die ankommenden Gäste und kommt auf einer<br />

geöffneten Doppeltür zum stehen, vor der das Hochzeitspaar Glückwünsche<br />

entgegen nimmt. Kurz bleibt das symmetrische Bild mit der<br />

Tür in der Mitte stehen, bevor ein Zoom sehr langsam auf die Mitte des<br />

Bildes zielt. Gleichzeitig verlagert sich die Schärfe hinter all die fröhlichen<br />

Menschen, die das schrumpfende Bildfeld bevölkern. Immer<br />

weniger beige Menschen sind in diesem Bild und wir sehen, was sich<br />

in dem Mittelpunkt befindet, auf den sich das Bild zu bewegt. Es ist<br />

ein etwas pausbäckiger und ziemlich gutaussehender junger Mann,<br />

der gerade mit zwei blonden Frauen spricht und scherzt. Er sieht sich<br />

um, grüßt hierhin und zwinkert dorthin. Schnitt. Ein anderer, älterer<br />

Mann in Nahaufnahme blickt ebenfalls in die Richtung der Kamera<br />

und ich bin genötigt, die vorherige Einstellung als seinen Blick zu<br />

interpretieren. Schnitt zurück. Der junge Mann schaut nach rechts,<br />

nach links und plötzlich direkt in die Kamera. Sofort Schnitt auf den<br />

anderen Mann. Dieser wendet sich unmittelbar ab und vermeidet es,<br />

wieder in die Richtung der Kamera, in die Richtung dieser anderen<br />

Einstellung und also in Richtung des jungen Mannes zu blicken.<br />

Ich weiß nach diesen knappen vier Minuten noch nicht, was der<br />

ältere François dem jüngeren Christian später antun wird, aber ich<br />

weiß aus den präzise gefilmten Bildern, dass alles an dieser Begegnung<br />

vom ersten Moment an falsch ist und bis zum letzten Augenblick<br />

falsch bleiben wird. Ich weiß, dass es mit Liebe nichts zu tun hat,<br />

ich weiß, dass es mich schrecklich peinigen wird und ich weiß, dass<br />

ich vor diesen Bildern am liebsten flüchten würde, so wie Christian<br />

das unbedingt tun sollte. Die maschinenhafte Gleichförmigkeit des<br />

Schwenks und des Zooms, die im Schnitt als Blick eines Menschen<br />

ausgegeben werden, haben nichts Menschliches an sich, so wie François<br />

jede Menschlichkeit verlieren wird. Die Vorstellung, ein so präzise<br />

geführter Kamerablick sei eine menschliche Wahrnehmung, ist<br />

eine so offensichtliche und mit Ruhe vorgetragene Lüge, wie François<br />

sie ständig an seine Mitmenschen verteilt.<br />

Immer wieder verknüpft der Film ähnliche Überwachungsbilder<br />

mit dem Blick von François: am Strand, an dem Christian mit einer<br />

jungen Frau liegt, in einem Restaurant, wo zwei Männer miteinander<br />

sprechen und sich küssen. Die Kamera bleibt jederzeit kalt und unbe-<br />

teiligt. Sie nimmt den verrauschten Porno, in dem zwei gut aussehende<br />

Boys mechanisch miteinander ficken, mit der selben Gleichgültigkeit<br />

zur Kenntnis wie die animalisch grunzenden Männer, die es vor dem<br />

Fernseher miteinander treiben. Bevor die Figuren des Films irgendeinen<br />

Ort in einen Schauplatz von Gefühlen, Hoffnungen, Ängsten<br />

verwandeln, ist die Kamera oft schon da: sie liegt in einem Auto, in<br />

das gleich jemand einsteigen wird, sie steht in einem Büro, das gleich<br />

einer betritt, sie hat sich schon in einem noch leeren Hotelzimmer<br />

niedergelassen. Und wenn die Filmfiguren längst schon wieder weg<br />

sind, glotzt die Kamera mit der gleichen Neutralität in die Gegend: ob<br />

hier gerade etwas geschehen ist, oder ob gleich etwas geschehen wird,<br />

spielt für automatische Bildaufzeichnung keine Rolle. Die erfüllten<br />

oder enttäuschten Konventionen der Montage und die erfüllten oder<br />

enttäuschten Erwartungen der Zuschauer_innen sind es, die all das<br />

mit Sinn überfluten.<br />

Dem Film gelingt es, beide Seiten dieses sehr schmalen Grades<br />

gleichermaßen zu denken und zu erfüllen. Während man ihn nämlich<br />

oberflächlich als eine jener schlimmsten filmischen Katastrophen<br />

sehen könnte, die ihre Zuschauer_innen dazu nötigt, sich mit<br />

den Motiven und Gedanken eines Vergewaltigers zu identifizieren<br />

oder sie nachzuvollziehen, tut er genau das Gegenteil. Man glaubt<br />

nur, seine Blicke zu teilen. Was wie Point-of-View-Shots aussieht, sind<br />

in Wirklichkeit die Bilder einer Kamera und eine Montage, die nur<br />

deshalb den Mut und die Kraft finden, das Schrecklichste festzuhalten,<br />

weil sie dem blutenden und fast toten Gesicht Christians mit der<br />

selben Kälte begegnen, wie den Maschinen eines Sägewerks, Wassertanks<br />

vor einem Farmhaus oder Tankern in der Bucht von Kapstadt.<br />

Die filmisch falsche Nähe zu den Blicken und dem leeren Starren des<br />

Täters erlaubt uns, ihn zu sehen, ohne uns unfreiwillig mit ihm zu<br />

verbünden. Man kann in diesem Film etwas verstehen: dass sich das<br />

Unmenschliche, was sich dort auf der Leinwand abspielt, nicht allein<br />

mit Menschlichkeit begreifen lässt. Dass die Unterschiede winzig<br />

klein werden, wenn wir es dennoch versuchen, und dass wir die Hilfe<br />

des Kinos dankbar annehmen sollten bei dem Versuch, zu verstehen,<br />

was Menschen allein nicht begreifen können. s<br />

Beauty<br />

von Oliver Hermanus<br />

ZA/FR 2011, 105 Minuten,<br />

Englisch-Afrikaans mit dt. UT<br />

Pro-Fun Media, www.pro-fun.de<br />

Im Kino<br />

ab 8. März 2012<br />

Pro-FuN MEDIA<br />

28 29


kino<br />

Muttis Berliner<br />

Bergtour<br />

von manuel Schubert<br />

Lange Texte über kurze Filme, in diesem Fall zügige 64 Minuten, sind eine Herausforderung.<br />

unser SISSY-Autor stellt sich ihr. Denn „Mommy Is Coming“, der neue Film<br />

von Cheryl Dunye, startet am 8. März in den Kinos und muss empfohlen werden.<br />

s voluptuous Panic. Über die Story von<br />

Mommy Is Coming gibt’s nur wenig zu schreiben.<br />

Ein junges Lesben-Paar streunt getrennt<br />

voneinander durch Berlin auf der Suche nach<br />

sexueller Selbsterfahrung. Die Mutter einer<br />

der beiden Frauen reist überraschend an,<br />

nur vordergründig besorgt um das seelische<br />

Wohl ihrer Tochter. Sie sucht eigentlich nach<br />

jener sexuellen Erfüllung, die sie von ihrem<br />

Ehemann nicht mehr bekommt. Es gibt ein<br />

schrilles Finale und Happy End. Abspann.<br />

Ok, ein bisschen mehr passiert doch noch.<br />

Aber erzählen wir stattdessen besser andere<br />

Geschichten.<br />

Mommy is coming. Ich sah einige Szenen dieses<br />

Films erstmals im August 2011. Der Regisseur,<br />

Schauspieler und Sektionsleiter des<br />

Berlinale-Panoramas, Wieland Speck, feierte<br />

im Berliner Kino Arsenal seinen Geburtstag<br />

nach. Einen Monat lang „Speck-Schau“. Private<br />

Memorabilien, Gespräche, Filme. Sogar<br />

jene Pflanzen, die Speck 30 Jahre zuvor an<br />

derselben Stelle ausgegraben und anschließend<br />

auf seinem Balkon kultiviert hatte,<br />

schleppte er ins Foyer des Arsenals. Zu erleben<br />

war auch ein Filmschnipsel-Vortrag über<br />

die kurze Vita des Schauspielers Speck. Unter<br />

anderem spielte er Nebenrollen für Ulrike<br />

Ottinger und im letzten Film von Marlene<br />

Dietrich. Es blieb bei Nebenrollen. Die amerikanische<br />

Underground-Regisseurin Cheryl<br />

Dunye bat Speck, nun einen Part in ihrem<br />

neuen Film zu übernehmen. In Mommy Is<br />

Coming erscheint er in der (Neben-)Figur des<br />

Hans Eberhardt. Ein heterosexueller Mann,<br />

der Wert auf die Feststellung legt, erst 59<br />

Jahre alt zu sein. Der seiner Frau sexuelle<br />

Apathie simuliert und heimlich mit zwei<br />

Geliebten davon fährt. Paraderolle.<br />

Fuck london. Mommy Is Coming ist eine Art<br />

moderner <strong>Heimatfilm</strong>. <strong>Heimatfilm</strong>e kommen<br />

qua Definition nicht ohne Klischees und<br />

Berge aus. Hier heißen die Berge Kreuzberg<br />

und Schöneberg. Die Klischees sind jene des<br />

billigen, dreckigen, wilden Berlin – in dem<br />

natürlich alles geht. „Berlin is where your<br />

dreams come true“, sagt Regisseurin Cheryl<br />

Dunye in ihrer Rolle als alles verbindende<br />

Taxifahrerin. „Berlin ist wie San Francisco,<br />

nur besser“, heißt es in einer der inszenierten<br />

Interview-Sequenzen, die diesen Film narrativ<br />

durchsetzen. Too much Berlin, möchte<br />

man ihnen antworten. Zu ihrer Verteidigung<br />

könnte man aber auch behaupten, der Film<br />

GM-FILMS / jürGEN BrüNING FILMProDuKTIoN / EMILIE jouVET<br />

spiele lediglich lustvoll mit dem Berlin-Hype.<br />

Dieses Werk ist jedenfalls auf beiden Seiten<br />

der Kamera ein Mikrokosmos der nicht-heterosexuellen<br />

Underground-Szene der Stadt.<br />

Interstellar love. Kaum Innovationskraft,<br />

das Internet, Amateure und ihre Smartphones.<br />

Der schwule Porno ist vor einigen Jahren<br />

zugrunde gegangen. Die explizite Darstellung<br />

von Männersex zählt heute zu den<br />

abgekautesten Formen des Bewegtbilds. Die<br />

festgefahrenen Rollenklischees des schwulen<br />

Pornos wurden inzwischen von progressiven<br />

lesbischen Regisseurinnen wie Courtney<br />

Trouble oder hier Cheryl Dunye in die<br />

sexuelle Performance on screen transferiert.<br />

Das ist nur auf den ersten Blick ein Paradox.<br />

Zwar ähnlich im Erscheinungsbild, verfügt<br />

lesbischer und genderqueerer Porno über<br />

eine komplett andere Energie. Es scheint<br />

sichtbar mehr Aktionsfreude bei den Darstellerinnen<br />

zu geben und fühlbaren Spaß an<br />

der Zitierung und Überzeichnung von Rollen<br />

und Geschlechternormen des Genres. Lesbischer<br />

Porno brodelt und begeistert, auch in<br />

Mommy Is Coming.<br />

Das ende kommt zum Schluss. Trash, zentrales<br />

Element des nicht-heterosexuellen<br />

Filmschaffens. Dieser Streifen reiht sich<br />

ein in eine endlose Liste von Filmen, deren<br />

Hauptmerkmal ihr hoher Gehalt an gezielter<br />

Überzeichnung von allem ist, Ernsthaftigkeit<br />

oder Talent ausgenommen. Logisch: Auch<br />

Wieland Specks Performance ist ganz dem<br />

Trash verpflichtet. Und selbstverständlich<br />

ist der Filmtitel doppeldeutig zu lesen. In<br />

diesem Sinne und als Abschluss eine Frage:<br />

Wann haben Sie, liebe Leser und Leserinnen,<br />

zuletzt über Sex mit ihrer Mutter nachgedacht?<br />

Mommy Is Coming – schrille Absurdität.<br />

Wunderbar. s<br />

Mommy Is Coming<br />

von Cheryl Dunye<br />

DE 2012, 65 Minuten, englische<br />

OF mit dt. UT<br />

GMFilms, www.gmfilms.de<br />

Im Kino<br />

ab 8. März 2012<br />

The Watermelon Woman<br />

von Cheryl Dunye<br />

US 1996, 80 Minuten, englische OF<br />

mit dt. UT<br />

Auf DvD bei der Edition Salzgeber,<br />

www.salzgeber.de<br />

Der Prototyp<br />

von Jan künemunD<br />

„König des Comics“ ist ein dokumentarisches Porträt von rosa von Praunheim über<br />

ralf König. Nicht mehr, nicht weniger. Ein schwuler Promi, der was geleistet hat,<br />

wird der Filmgeschichte hinzugefügt. Das lief selbstverständlich im Panorama der<br />

Berlinale. und gleich anschließend (seit 23. Februar) im Kino. und selbstverständlich<br />

wird das von uns empfohlen.<br />

s Das erste Bild dauert gerade mal 9 Sekunden:<br />

Ralf König zeichnet. Das reicht nicht,<br />

um zu sehen, wie er zeichnet. Es reicht nur<br />

für die Information: Ralf König zeichnet.<br />

In Rosas Dokumentarfilmen kann man sich<br />

das Beobachten wie üblich abschminken.<br />

Information, intimpersönlichprivate Frage,<br />

weiter geht’s. Zack, Schnitt, Dom: ah, Köln.<br />

Ralf Morgenstern sagt was, Hella von Sinnen<br />

sagt was. Die Kölner Szene hat eine<br />

Meinung zum Kölner Szenemitglied König.<br />

Der Ralf. Mal gleich vorwegschicken, dass<br />

der bewegte Mann ein schwuler Comic war,<br />

der zum Mainstream-Hetenfilm verbogen<br />

wurde. Der „Producer“ von der Ufa sieht das<br />

anders. Ralf Königs schöne Leseperformances<br />

(eine Diashow der Panels mit Sprechblasenvortrag)<br />

sind Rosas Steilvorlage, auch die<br />

Comics filmisch einzusetzen. Naheliegend<br />

und gut. Zuschauer werden befragt und ein<br />

Comicladenbesitzer. Rosa fragt nicht: Welche<br />

Bedeutung hat das Werk Ralf Königs?<br />

Rosa fragt den Comicladenbesitzer: Kannst<br />

du darüber auch als Hete lachen? Und den<br />

Heterozuschauer fragt er: Machen Ralf<br />

Königs Zeichnungen schwul? (Nach rasanten<br />

15 Minuten:) Jetzt aber mal Biografie.<br />

Als ich gehört habe, Rosa macht einen<br />

Film über Ralf König, im Auftrag von ZDF/<br />

Arte, dachte ich: naja. Alle mögen Ralf<br />

König, Ralf König ist schwul. Reicht das?<br />

Das Übliche also: aufgewachsen in, gelebt<br />

in, erster Erfolg durch, Krise während, Geld,<br />

Freunde, Karriere, zurückblickend heute …<br />

Alte Schulfreundinnen werden besucht,<br />

Joachim Król hat bewegte Dreharbeiten<br />

erlebt, dann kommen die besten König-<br />

Pointen (Suck my Duck!), Knollennase und<br />

Prototyp, der 50. Geburtstag wird gefeiert,<br />

der neue Beziehungspartner darf „Ich liebe<br />

dich“ sagen, Abspann. Steht irgendwie alles<br />

auch auf Wikipedia. Rosa hat die rosa Brille<br />

auf: Und, wie war DEIN Coming-Out, warst<br />

AUCH DU schwulenbewegt, wie war das in<br />

DEINEM Freundeskreis mit Aids, und findest<br />

du die katholische Kirche und die Islamisten<br />

nicht AUCH bescheuert? Und wie<br />

hast du mit deinen Zeichnungen auf all das<br />

reagiert? (Mutig, selbstbewusst, kontrovers,<br />

mit Humor.) Ein bewegtes schwules Familientreffen.<br />

Und dann kommen sie doch, die Bilder. Im<br />

Kopf. Der „Sauerkrautbach“ (ein stinkendes<br />

Rinnsaal in Westönnen, in das die nahe Fabrik<br />

was einleitet und wo Ralf die ersten sexuellen<br />

Erfahrungen macht). „Elvira Brunftschrei“<br />

im „Kommunikationszentrum Ruhr“<br />

(erste Theatererfahrungen in Dortmund).<br />

BASIS-FILM VErLEIH<br />

König des Comics<br />

von Rosa von Praunheim<br />

DE 2012, 80 Minuten, deutsche OF<br />

Basis-Film, www.basisfilm.de<br />

Im Kino<br />

seit 23. Februar 2012<br />

Die Düsseldorfer Kunstakademie-Lehrer, die<br />

drei ungeordnete Knollennasen sehen und<br />

den jungen Bewerber sofort annehmen. Die<br />

spitzen Finger der Rowohlt-Sekretärin, die<br />

ihrem Chef angewidert das erste Manuskript<br />

überreicht. „Der Brasilianer“ (kein Name<br />

und kein Bild) und die leidenschaftlichsten<br />

Jahre. Der Karikaturenstreit, gerade, als<br />

„Dschinn Dschinn“ in Vorbereitung ist. Das<br />

größte Kompliment: „Ich habe mir auf deinen<br />

Comic einen runtergeholt.“<br />

Und dann ein typischer Rosa-Einfall:<br />

Statt selbst zu fragen, setzt er Ralf König<br />

einen Fan aufs Sofa, einen promisken Zahnarzt<br />

aus Zürich, der ein knappes T-Shirt<br />

angezogen hat und den Herrn König nach<br />

seinem „Männertyp“ ausfragt. Der Herr<br />

König ist charmant verlegen. Und nach 80<br />

Minuten ist einem das Familienmitglied sehr<br />

ans Herz gewachsen.<br />

Ende der 70er entdeckt Herr König aus<br />

Westönnen bei seinem Sohn im Buchregal<br />

„Sex & Karriere“ von Rosa von Praunheim.<br />

Konflikt, Coming-Out und erzwungene<br />

Nestflucht waren die Folge. 2012 fragt Rosa<br />

den Ralf über Sex & Karriere aus. Auf Rosa<br />

ist eben Verlass. Findet auch Arte. So habe<br />

ich das schon öfters gesehen. Macht aber<br />

nichts. s<br />

30 31<br />

kino


dvd dvd<br />

Der Schmutz<br />

von außen<br />

von FrItz Göttler<br />

Vielleicht im Fahrwasser des Erfolgs von „Das weiße Band“<br />

ist nun endlich „jagdszenen aus Niederbayern“ auf DVD<br />

erschienen, Peter Fleischmanns 1969er Verfilmung des<br />

berühmten Stücks von Martin Sperr, über die Ausgrenzung<br />

eines jungen Schwulen aus der heilen Welt eines<br />

selbstgefälligen süddeutschen Dorfs. „Eine Schande für<br />

Niederbayern“ war das damals für viele – nicht die Handlung,<br />

sondern der Film.<br />

s Ein Erfolgsrezept, gleich zu Beginn des Films: Wir stehen früh auf<br />

und leben gesund … So erklärt einer der gstandenen niederbayerischen<br />

Mannsbilder gleich zu Beginn des Films den Drive seines Dorfes, und<br />

dann legt er gleich noch einen ganz konkreten Tipp drauf: Nicht so<br />

viel in der Horizontale arbeiten! Die Sinnenlust wird groß geschrieben,<br />

das Derblecken und der Sex, und keiner kann sicher sein, dass<br />

er im nächsten Augenblick nicht das Opfer von Spottlust, Vorurteilen<br />

und geilem Begehren wird.<br />

Eins der begehrtesten Opfer ist die junge Hannelore, gespielt von<br />

Angela Winkler, ein Mädel, das unbedarft und frech ist, von einer<br />

koketten Naivität, der keiner widerstehen kann. Sie hat ein Kind vom<br />

spröden Abram, sagt sie, der nach einiger Zeit zurück ist im Dorf, er<br />

sei im Gefängnis gewesen in Landshut, heißt es, er hätte merkwürdige<br />

Sachen gemacht, er sei anders, ein Schwuler.<br />

Eine Sauerei sei der Film, eine Schande für Niederbayern, hieß<br />

es damals nach der Uraufführung, Juni 1969, in Leserbriefen in der<br />

Landshuter Zeitung. Begriffe wie heiliger Zorn und Entartung,<br />

gesundes Empfinden und Vätersitte fanden spontan ihren Weg in die<br />

Diskussion zurück. Er habe den Film aus Liebe zu Bayern gemacht,<br />

sagt dagegen der Produzent Rob Houwer.<br />

Es sind Lausbubengeschichten der bösen Art, die der Film präsentiert.<br />

Verachtung und Diskriminierung, Stichelei und Denunziation,<br />

Lynchmobstimmung und Menschenjagd. Die Mobilisierung der<br />

Gesellschaft. Gewaltige Mähdrescher drücken sich bedrohlich durch<br />

die engen Dorfstraßen. Starfighter durchschneiden regelmäßig den<br />

Himmel über dem Dorf.<br />

Der Film sei Kitsch, hieß es in einem der Leserbriefe, „größerer<br />

Kitsch als der kitschigste <strong>Heimatfilm</strong> seligen Angedenkens“. Auch<br />

das Dumpfe und Derbe hat seinen Kitsch, die Geilheit und der Dreck.<br />

Ein Begriff, mit dessen Hilfe in der ästhetischen Diskussion der Nach-<br />

EuroVIDEo<br />

kriegszeit Diskriminierung an die Stelle der Analyse gesetzt wurde.<br />

Kitsch, das Gegenstück zur echten, wahren, tiefen Kunst. Kitsch ist<br />

nicht der Rede, des Nachdenkens wert, der Intellekt ist nicht gefordert.<br />

Mit der Kitsch-Blindheit hat dann in den Siebzigern das junge<br />

deutsche Kino Schluss gemacht, das auf die Oberflächen schaut und<br />

auf die Emotionen. Kurz nach den Jagdszenen fingen Schlöndorff,<br />

Kitsch ist nicht der Rede, des nachdenkens wert,<br />

der intellekt ist nicht gefordert.<br />

Hauff, Vogeler, Brandner mit ihren neuen <strong>Heimatfilm</strong>en an, andere<br />

Jagdszenen, mit Outlaws, am Western orientiert.<br />

Auch bei Fleischmann schimmern amerikanische Muster durch,<br />

die Provinzmelodramen der Fünfziger, von Picnic bis Some Came<br />

Running – der Bus, der in das Dorf einfährt und auf dem Marktplatz<br />

Station macht, das ist eine klassische Szene des Genres. Der Junge,<br />

der von draußen zurückkommt und nicht mehr in die Gemeinschaft<br />

zurückfindet.<br />

Der Außenseiter, der bestraft wird für sein Anderssein, für das<br />

Wagnis, anders zu sein – und die Lust, die das bedeutet. Beim Wiedersehen<br />

wird Abrams Schicksal von dem Martin Sperrs überlagert,<br />

der das Stück schrieb und im Film selbst den Abram spielt. Er hatte<br />

innerhalb weniger Jahre eine aufregende Karriere gestartet, die jäh<br />

abgebrochen wurde nach einer Gehirnblutung, von der er sich nie<br />

wieder restlos erholte.<br />

Die Jagdszenen sind in Schwarzweiß gedreht, mit einem sanften,<br />

liebevollen Blick fürs Detail, ein Stillleben, in dem jedes Fenster ein<br />

feines Blumengesteck aufweist. Das Natürliche und das Künstliche<br />

sind manchmal nicht mehr zu unterscheiden, das Normale und das<br />

Abartige – so wie man es aus den Filmen von Buñuel kennt, Las Hurdes,<br />

aber auch den Spielfilmen. Die Bewohner des Dorfes Unholzing<br />

im Landkreis Landshut spielen mit, und selbst in den hässlichsten<br />

Momenten – das hebt den Film dann doch über simple Denunziation<br />

hinaus – meint man irgendwie den Geist der Commedia dell’arte zu<br />

spüren.<br />

In langen Kamerafahrten bringt der Film seine Figuren zusammen,<br />

beim Kirchgang, beim Sauschlachten, beim Erntefest, dabei<br />

kriegt das Dorf einen gemeinsamen Körper, wird community. Die<br />

Bösartigkeit, Grausamkeit, Gemeinheit, die hier sich auswirken, wurzeln<br />

in einer urtümlichen Anarchie, die Peter Fleischmann in seinen<br />

weiteren Filmen immer stärker beschworen hat. Sie mag eine Gesellschaft<br />

degenerieren lassen, aber sie garantiert ihr auch einen Rest an<br />

Vitalität. s<br />

Jagdszenen aus niederbayern<br />

von Peter Fleischmann<br />

DE 1969, 85 Minuten,<br />

deutsche OF<br />

Auf DvD bei EuroVideo,<br />

www.eurovideo.de<br />

32 33<br />

EuroVIDEo (2)


dvd<br />

Sex und gewalt und die<br />

Sehnsucht nach liebe<br />

von Jan Gympel<br />

Eigentlich ist Peter Kern seit jahrzehnten eine feste Größe im deutschsprachigen Kino. Als Schauspieler,<br />

aber in mindestens dem gleichen Maße auch als Filmemacher. Doch wie viele seiner Werke sind wirklich<br />

präsent, zumal außerhalb seiner österreichischen Heimat? Sind seine Arbeiten zu quer und vielleicht auch<br />

zu queer, um in die Kinos zu kommen und im Fernsehen zu laufen? überprüfen kann man dies an Hand<br />

einiger von Peter Kerns Filmen, die immerhin auf DVD verfügbar sind.<br />

s Es gibt Regisseure, die drehen fleißig Filme, und dies nicht unter<br />

komfortablen Bedingungen, denn sie sind Außenseiter geblieben. Sie<br />

erhalten nicht leicht eine Förderung nach der anderen und einen Fernsehauftrag<br />

nach dem nächsten, haben keine Aufnahme gefunden in<br />

jene Branchenzirkel, wo man sich gern gegenseitig Preise verleiht –<br />

und dennoch bekommen sie nicht einmal als Exoten die ihnen gebührende<br />

Aufmerksamkeit.<br />

Einer dieser ebenso unermüdlichen wie unabhängigen Außenseiter<br />

ist Peter Kern. In den Siebzigern hinterließ der 1949 geborene<br />

Wiener schon dank seines leicht wiedererkennbaren Äußeren – (sehr)<br />

runde Körperformen, rundes Gesicht, Kulleraugen – in vielen Filmen<br />

einen bleibenden Eindruck, ob mit kurzen Auftritten wie als übertölpelter<br />

Blumenhändler in Fassbinders Schwulendrama Faustrecht<br />

der Freiheit oder mit Hauptrollen wie in Walter Bockmayers und Rolf<br />

Bührmanns Frühwerk Flammende Herzen, wo er 1977 an der Seite<br />

von Barbara Valentin – und einer echten Kuh – agierte. Für Letzteres<br />

und für seine Mitwirkung in Hans-Jürgen Syberbergs Hitler – Ein<br />

Film aus Deutschland erhielt Peter Kern den Bundesfilmpreis in Gold.<br />

1975 war er damit bereits als Mitglied des Ensembles von Wim Wenders’<br />

Goethe-Adaption Falsche Bewegung ausgezeichnet worden.<br />

In den Achtzigern begann Kern, der auch bei Hans W. Geißendörfer,<br />

Daniel Schmid oder Helmut Dietl spielte – sehr schön sein Part in<br />

der ersten und wohl besten Kir Royal-Folge als Wirt des einfallslosen<br />

Nouvelle-Cuisine-Restaurants, das von Baby Schimmerlos am Ende<br />

notgedrungen zum neuen In-Lokal hochgeschrieben wird –, selbst<br />

Filme zu drehen. Was bei ihm seither meist bedeutete: Er schrieb,<br />

produzierte und inszenierte sie.<br />

Eine Handvoll Vergnügen – Crazy Boys, 1987 im Berlinale-Panorama<br />

gezeigt, war seine erste Spielfilmregie. Nach eigenem Drehbuch schilderte<br />

Kern die Rettung der angeschlagenen Hamburger Szenebühne<br />

„Pulverfass“ durch eine damals noch relativ neuartige und originelle<br />

Idee: Beim Striptease mal die Rollen zu vertauschen und schmucke<br />

Männer sich zum Vergnügen von Frauen entblättern zu lassen.<br />

In diesem Streifen fanden sich bereits viele Elemente, die für Peter<br />

Kerns Filmschaffen typisch werden sollten. Etwa die Vermischung<br />

von Realität und Fiktion: Kerns Spielfilme spielen gern mit der Wirklichkeit<br />

(allen voran bei der Polit- und Medienfarce Haider lebt, die<br />

Jahre vor dem tatsächlichen Unfalltod des Titelhelden entstand) und<br />

beinhalten oft nahezu phantastische Elemente, die nicht zuletzt aus<br />

einer gewissen Stilisierung oder dem Unwillen zur naturalistischen<br />

Nachinszenierung von Geschichte oder Gegenwart entstehen – so die<br />

Szenen aus der NS-Zeit in Blutsfreundschaft oder die umfangreichen<br />

Sequenzen aus den Kinder- und Jugendjahren der einstigen Starhure<br />

und späteren Huren-Aktivistin Domenica Niehoff in Domenica, die<br />

Kern 1994 einfach im Ambiente der damaligen Gegenwart drehte.<br />

Zugleich inszeniert er bei seinen Dokumentationen auch manches –<br />

mal mehr, mal weniger deutlich. Eigentlich haben alle Regiearbeiten<br />

Peter Kerns etwas Essayistisches, sind souveräne Äußerungen eines<br />

„Blutsfreundschaft“ (2009)<br />

engagierten, da über die Zustände empörten Künstlers, der sich an<br />

Kino- wie andere Konventionen nicht halten mag.<br />

Für gewöhnlich wird in seinen Filmen eine Handlung denn auch<br />

nicht „ordentlich“ – also im gewohnten Ablauf – erzählt, und auch<br />

Portraits oder Biopics zeichnen kein vollständiges Bild der im Fokus<br />

stehenden Personen, ihres Charakters und Schicksals. Peter Kern hat<br />

den Mut zur Lücke, welche die Zuschauer durch ihr eigenes Denken<br />

und ihre eigene Phantasie füllen dürfen, seine Filme lassen Fragen<br />

offen. Die Schilderung eines bedeutenden Moments scheint ihm meist<br />

wichtiger als eine Geschichte detailliert darzustellen.<br />

Eine inhaltliche Konstante in Peter Kerns Filmschaffen ist sein<br />

Interesse für das, was gern – im weitesten Sinne – als „Rotlichtmilieu“<br />

bezeichnet wird: Immer wieder fungieren der Straßenstrich und<br />

gewisse „Etablissements“ als Schauplätze, spielen Stricher, Huren,<br />

Freier, Transvestiten und Transsexuelle wichtige Rollen.<br />

Aber darf man Transvestiten und Transsexuelle denn so einfach<br />

zum „Rotlichtmilieu“ zählen? Natürlich nicht. Doch für Kern sind<br />

diese wie andere Menschen, die sich eher freiwillig oder auch unfreiwillig<br />

im „Milieu“ aufhalten, nicht aus voyeuristischen Gründen von<br />

Interesse, sondern als Außenseiter, dramatischer ausgedrückt: Ausgestoßene<br />

der Gesellschaft. Dies gilt für die schon erwähnte Domenica<br />

Niehoff, die aus desolaten familiären Verhältnissen kam und aus<br />

blanker finanzieller Not ihre Tätigkeit als Sexarbeiterin begann. Es<br />

gilt für die alternden oder bereits alten Kölner Schwulen, die sich rund<br />

um das Szene-Original Mutter Colonia ein Biotop – oder genauer: eine<br />

Ersatzfamilie – geschaffen haben und in Knutschen, kuscheln, jubilieren<br />

portraitiert werden. Und es gilt für den halbwüchsigen Titelhelden<br />

von Gossenkind, der von seiner Mutter beschimpft und verstoßen,<br />

von seinem Stiefvater geschlagen, bestohlen und sogar vergewaltigt<br />

wird, und auf der Straße und dem Straßenstrich eine nicht gute, aber<br />

bessere Heimat gefunden zu haben scheint.<br />

Zwischen diesem Film, den Peter Kern 1991 in seiner damaligen<br />

Wahlheimat Düsseldorf drehte, und dem 2009 in Wien entstandenen<br />

Blutsfreundschaft gibt es einige bemerkenswerte Parallelen: In beiden<br />

Fällen heißt der jugendliche Protagonist Axel und findet Zuflucht<br />

bei einem biederen Mann – in einigen Szenen ähneln die Kleidung<br />

und der Habitus des von Winfried Glatzeder in Gossenkind gespielten<br />

Familienvaters mittleren Alters mit heimlicher Neigung zu Minderjährigen<br />

sogar der Erscheinung des von Helmut Berger verkörperten<br />

betagten Schwulen in Blutsfreundschaft. In beiden Fällen ist das<br />

Glück zwischen dem Jungen und dem Älteren brüchig und daher nur<br />

von kurzer Dauer, letzterer zeigt suizidale Tendenzen, und auch dem<br />

Heranwachsenden winkt kein Happy End.<br />

Den wesentlichsten Unterschied zwischen den beiden Filmen bildet<br />

die „Nazi-Komponente“: Während Rechtsradikale – trotz des Aufflammens<br />

fremdenfeindlicher Gewalt in den frühen Neunzigern und<br />

obwohl jenes Axels bester Freund farbig ist – in Gossenkind gar keine<br />

Rolle spielen, nehmen sie in Blutsfreundschaft eine zentrale Position<br />

34 35<br />

dvd<br />

FILMGALErIE 451


dvd wir verreisen<br />

„Gossenkind“ (1991, links), „Knutschen kuschlen jubilieren“ (1998)<br />

ein. Das Schwanken des entwurzelten, desorientierten dortigen Axels<br />

zwischen seinen Neonazifreunden und dem alten Reinigungsbesitzer,<br />

den er eigentlich für sie ausspionieren soll, wird gespiegelt durch die<br />

Erinnerungen dieses Mannes an seine erste Liebe im „Dritten Reich“,<br />

die mit Entdeckung, Verrat, drakonischer Bestrafung und Tod endete.<br />

Dank des nun bereits mehr als zwei Jahrzehnte währenden Erfolgs<br />

der FPÖ und ihrer Abspaltungen mag die Auseinandersetzung mit der<br />

extremen Rechten für den politisch engagierten Österreicher Peter<br />

Kern naheliegen. Sie findet sich denn auch schon in seinem 2003 entstandenen<br />

Film Haider lebt – 1. April 2020, wo ein bizarres Zukunftsbild<br />

entworfen wird: Der (nur angeblich?) tote Ex-Bundeskanzler Jörg<br />

Haider avanciert zum Idol all jener Österreicher, die sich gegen die<br />

umfassende Übernahme ihres Landes durch die Amerikaner wehren;<br />

ein TV-Journalist (August Diehl) geht Hinweisen nach, Haider sei<br />

noch am Leben. Und der ein Jahr ältere Hamlet – This is your family<br />

ist die filmische Dokumentation oder eher Ergänzung von Christoph<br />

Schlingensiefs Projekt um Neonazis und vor allem – womöglich nur<br />

vorgebliche? – Aussteiger aus der Neonaziszene (womit sich der Film<br />

wiederum um, glücklicherweise, Außenseiter dreht).<br />

Bedenkt man, wie schwer es der Produzent und Regisseur Peter<br />

Kern zumindest in der bundesdeutschen Filmszene hat, wie relativ<br />

wenig Anerkennung er hier genießt, so erstaunt, wie viele Prominente<br />

sich immer wieder in den Besetzungslisten seiner Werke<br />

finden. Christoph Schlingensief beispielsweise, der bereits in Gossenkind<br />

einen geistig zurückgeblieben wirkenden Knecht spielte,<br />

arbeitete vor wie hinter der Kamera häufiger mit Kern zusammen,<br />

der auch unter Schlingensiefs Regie agierte. Beide schätzten einander<br />

sehr. Es gibt einige Ähnlichkeiten hinsichtlich der Art, wie sie<br />

auf politische und gesellschaftliche Entwicklungen reagierten und<br />

diese in ihren Arbeiten reflektierten. Allerdings wird kaum jemand<br />

auf die Idee kommen, Kern vorzuwerfen, er führe seine Außenseiter<br />

vor oder beute sie in anderer Weise aus. Dazu dürften auch zu viel<br />

eigene Betroffenheit, zu viele eigene Erfahrungen in seine Filme eingeflossen<br />

sein – als von je her stark übergewichtiger Schwuler konnte<br />

er sich bestimmt auch innerhalb der so gern gepriesenen „Community“<br />

Ausgrenzung sicher sein und erleben, wie gern Diskriminierte<br />

einmal selbst diskriminieren.<br />

Deutlich kreisen Peter Kerns Filme letztendlich auch immer um<br />

Sex und Gewalt und – kann man sagen: „andererseits“? – um Einsamkeit<br />

und die Sehnsucht nach Liebe. Wobei offen bleibt, inwieweit sich<br />

manch einer seine Hölle selbst kreiert: Zumindest die älteren Schwulen<br />

scheinen die so dringend begehrte Zuneigung nur von jungen bis<br />

sehr jungen Männern erhalten zu wollen, gleichaltrige betrachten sie<br />

als so unattraktiv wie sie selbst – zu ihrem Schmerz – als unattraktiv<br />

betrachtet werden. Und es geht immer wieder um die Irrwege, auf die<br />

fehlgeleitete oder falsch verstandene Liebe führen kann – was wiede-<br />

rum als ein Thema erscheinen mag, das sich einem österreichischen<br />

Filmemacher aufdrängt, nachdem aus alpenländischen Kellern manch<br />

Ungeheuerliches bekannt geworden ist. Peter Kerns vorletztes Werk<br />

Mörderschwestern, das erst kürzlich seine bundesdeutsche Erstaufführung<br />

erlebte, wurde von den authentischen Fällen österreichischer<br />

Krankenschwestern inspiriert, die Patienten „aus Mitleid“ töteten.<br />

Es sind sehr grundlegende Dinge, die Peter Kern in seinen Filmen<br />

behandelt, auch wenn dies zuweilen von manch grellen Elementen<br />

und Tabubrüchen verdeckt zu werden droht. Filme, die der Entdeckung<br />

wert sind und zu denen sich ständig weitere gesellen. Nach<br />

dem 2009 entstandenen Blutsfreundschaft hat der höchst Produktive<br />

schon wieder drei weitere Werke fertiggestellt: King Kongs Tränen,<br />

die erwähnten Mörderschwestern und – jüngst im Berlinale-Panorama<br />

zu sehen gewesen – Glaube, Liebe, Tod, in dem er selbst einen alten,<br />

kranken Schwulen spielt, der um die Liebe seiner Mutter kämpft. Mal<br />

sehen, ob der Film in die deutschen Kinos kommen wird. s<br />

Blutsfreundschaft<br />

von Peter Kern<br />

AU 2009, 95 Minuten,<br />

deutsche OF<br />

Knutschen kuscheln jubilieren<br />

von Peter Kern<br />

DE 1998, 87 Minuten,<br />

deutsche OF<br />

Haider lebt - 1 April 2021<br />

von Peter Kern<br />

AU 2002, 74 Minuten,<br />

deutsche OF<br />

gossenkind<br />

von Peter Kern<br />

DE 1991, 85 Minuten, deutsche OF<br />

Beide auf DvD bei Pro-Fun Media,<br />

www-pro-fun.de<br />

Hamlet – This Is Your Family<br />

von Peter Kern<br />

AU 2002, 80 Minuten,<br />

deutsche OF<br />

Alle drei auf DvD bei der<br />

Filmgalerie 451,<br />

www.filmgalerie451.de<br />

Pro-FuN MEDIA (2)<br />

Queer und<br />

erwachsen<br />

von anDré WenDler<br />

Die schönsten Entdeckungen des Berlinale-Queer-Programms<br />

– und ein paar grundsätzliche überlegungen.<br />

s Es kommt die Zeit im Leben der meisten queeren Menschen, wo<br />

Coming-Out und erste nicht-heterosexuelle Erfahrungen lange vorbei<br />

sind und die damit verbundenen Fragen und Probleme ihre Dringlichkeit<br />

verlieren. Das queere Kino befasst sich gern mit solchen Erweckungsszenarien,<br />

vielleicht, weil sich dann das straighte Publikum<br />

einreden kann, es habe für alle eine Zeit des Normal-Seins gegeben.<br />

Mit großer Genugtuung und auch Überraschung habe ich im diesjährigen<br />

Berlinale-Programm eine Reihe queerer Filme gesehen, in<br />

denen keine Gründungsmythen diverser Identitäten heruntergebetet<br />

werden, sondern in denen erwachsene queere Menschen erwachsene<br />

Probleme haben, die auch jede_r andere haben könnte, die aber eine<br />

spezifisch queere Farbe bekommen. Jaurès ist einer dieser Filme, der<br />

glücklicherweise und völlig zu Recht den Spezialpreis der Teddy-<br />

Jury bekommen hat. Der Regisseur zeigt einer Kollegin einen Film,<br />

den er in der Wohnung seines ehemaligen Geliebten Simon gedreht<br />

hat. Zu sehen sind afghanische Flüchtlinge, die vor dem Fenster am<br />

Kanal kampieren müssen, weil sie illegal in Frankreich sind und ein<br />

Ende ihrer Illegalität nicht in Sicht ist. Gleichzeitig erzählt er ihr von<br />

seinem Geliebten, dem Schmerz und der Freude, die ihre in vielerlei<br />

Hinsicht besondere Beziehung produziert hat. Die Spannung, die sich<br />

zwischen den intimen Überlegungen zur Liebe zweier Männer, von<br />

denen einer schon Opa ist, und der distanzierten Beobachtung der<br />

Flüchtlinge ergibt, ist nicht immer leicht zu ertragen. Sie zeigt aber,<br />

das queeres Begehren niemals jenseits der räumlichen und zeitlichen<br />

Zufälle urbanen Lebens existiert und fortwährend mit Dingen konfrontiert<br />

ist, die vordergründig scheinbar wenig miteinander zu tun<br />

haben. Jaurès verkneift sich dabei Plattitüden über das Politische der<br />

persönlichen Beziehungen und fordert seine Zuschauer_innen dazu<br />

auf, sich zu den Zutaten seines filmischen Experimentierkastens<br />

selbst in Beziehung zu setzen.<br />

Der Gewinner des Teddy Awards, Keep the Lights on, weiß von<br />

derartigen formalen Experimenten nichts. Es ist ein ziemlich geradeheraus<br />

erzählter Spielfilm über die Beziehung zweier Männer, die<br />

über etwa zehn Jahre begleitet wird. Die beiden gehen durch alle<br />

Phasen, die sich in einer Beziehung denken lassen. Vieles von dem,<br />

was den beiden begegnet, von der Frage nach Treue oder Polyamorie,<br />

Verbindlichkeit, Lachen und Leiden, könnte in ähnlicher Form in fast<br />

jeder Beziehungskonstellation auftauchen. Der Film schafft es aber,<br />

diese generellen Beziehungsfragen immer wieder um spezifisch<br />

großstädtisch-schwule Belange zu ergänzen. An der komischen und<br />

unerträglich traurigen Beziehung von Eric und Paul ist alles allgemein<br />

und spezifisch zugleich. Beziehungsarbeit ist damit immer<br />

auch die Justierung der spezifischen Situation am jeweiligen Erwartungshorizont.<br />

Im Kino bilden die klassischen Beziehungsnarrative<br />

noch immer diesen Horizont. Keep the Lights on hat diese Erzählungen<br />

immer im Hinterkopf und serviert sie einmal in Reinform,<br />

„Keep The Lights On“ von Ira Sachs (2012)<br />

um ihnen beim nächsten Mal in einer gewitzten Volte auszuweichen.<br />

Im Forum der Berlinale haben zwei Filme, die man unbedingt<br />

zusammen sehen muss, einmal dem Zustand heterosexueller Ehen<br />

und Beziehung auf den Zahn gefühlt. What is Love und Beziehungsweisen<br />

haben offenbar bis ins Letzte verstanden, was daraus folgt,<br />

wenn eine éducation sentimentale unter den Bedingungen des Kinos<br />

absolviert wird. In beiden Filmen werden Paarbeziehungen durch<br />

das Kinoauge betrachtet: Einmal sitzen Schauspieler_innen als Paare<br />

in Paartherapien, einmal spielen Familien Szenen aus ihrem Leben,<br />

als seien sie darin nur die Statisten. Die Begegnung der beiden Filme<br />

ist spannend: An den echten Personen hängen ihre realen Probleme<br />

wie ausgetragene übergroße Kleidungsstücke. Die Schauspieler<br />

hingegen stecken in ihren Rollen wie in Maßanzügen. Die Liebes-<br />

und Beziehungskonzepte, die in beiden Filmen vorgeführt werden,<br />

bleiben immer auf Film und Kino bezogen. Calle Overweg hat die<br />

Geschichten, die den Improvisationen seiner Schauspieler_innen als<br />

Grundlage dienen, von ihm geschätzten Filmen entnommen. Die Bilder<br />

von Ruth Mader sehen aus wie neueste Berliner Schule. Wir können,<br />

so scheinen sich beide Filme gegenseitig zu kommentieren, jenseits<br />

kinematografischer Techniken und Repräsentationen gar nicht<br />

mehr verstehen, was Pärchen sind und wie sie funktionieren. Das<br />

wäre nun aber, bei aller Konventionalität der Anordnungen in beiden<br />

Filmen, eine ziemlich weitreichende These. In jedem Darkroom, in<br />

jedem Ehebett, bei jedem Date, bei jeder Trennung, schliefen, stritten,<br />

küssten, fickten, weinten Kinobilder, Kinofiguren, Kinokonzepte,<br />

Kinoliebhaber_innen mit.<br />

In anderen Filmen der diesjährigen Berlinale finden wir ähnliche<br />

Konstellationen: Die Beziehung der beiden Jungs in Westerland lässt<br />

sich nur verstehen, wenn man sie nicht nur vor dem Hintergrund der<br />

gleichnamigen Landschaft begreift. Man muss das ganze Repertoire<br />

affektiver Liebeslandschaften des amerikanischen Western oder des<br />

<strong>Heimatfilm</strong>es mitdenken, um zu verstehen, warum Beziehungen in<br />

den Tönen der gefrorenen Nordsee etwas anderes sind als solche aus<br />

der Glut des Südens. Die Wiederaufführung von Tom Kalins Swoon<br />

hat uns daran erinnert, wie untrennbar bestimmte Paarbeziehung an<br />

die Kinobilder ihrer Zeit gebunden sind. Der Film reflektiert nämlich<br />

nicht nur die politischen Fragen seiner Entstehungszeit, sondern mindestens<br />

genauso intensiv die Konventionen schwuler Beziehungsbilder<br />

der 1920er Jahre, in denen er spielt. Filme wie diese haben uns in<br />

diesem Jahr daran erinnert, dass mit queeren Inhalten und Figuren<br />

allein kein queeres Kino zu machen ist. Queeres Kino muss immer<br />

beiden gerecht werden: den Queers und dem Kino. Filme, die beide<br />

Register ziehen können, sind für mich erwachsenes queeres Kino.<br />

Daran sollten sich nicht nur die Filmemacher_innen von Zeit zu Zeit<br />

erinnern, sondern auch die Auswahlkommissionen der Filmfestivals<br />

mit verstärkt queeren Ansprüchen. s<br />

36 37<br />

BErLINALE / jEAN CHrISToPHE HuSSoN


film-flirt<br />

valeska gert –<br />

Ästhetik der Präferenzen<br />

von Wolfgang Müller<br />

Martin Schmitz Verlag, Berlin 2010<br />

Subkultur West-Berlin 1979–1989<br />

von Wolfgang Müller<br />

Philo Fine Arts, Hamburg 2012<br />

Kosmas<br />

von Wolfgang Müller<br />

Verbrecher Verlag, Berlin 2011<br />

Die elfe im Schlafsack<br />

von Wolfgang Müller<br />

Verbrecher Verlag, Berlin 2011<br />

38<br />

Der moment<br />

SchriftSteller Sehen filme: Wolfgang müller<br />

Wolfgang Müller, Autor, Künstler, Musiker und Elfenfachmann, nimmt den „protoqueeren“<br />

„Kiss“ von Andy Warhol und das Homo-Mahnmal in Berlin zum Anlass,<br />

über den Film-Moment des Kusses nachzudenken. Genauer: über die Verbindung von<br />

Schönheit und Ekel.<br />

s Im Homo-Mahnmal von Künstlerduo Elmgreen und Dragset ist ein Film integrierter Teil<br />

des Gesamtkonzeptes. In einer Betonauslassung sollten, so plante das Künstlerduo, die Videoaufnahmen<br />

zweier küssender Männer erscheinen. Nachdem die Entscheidung zum Bau des<br />

Homo-Mahnmals gefallen war, erhob sich Streit: Emma-Chefredakteurin Alice Schwarzer<br />

und andere wiesen darauf hin, dass lesbische Frauen als Opfer des Naziterrors durch diese<br />

Entscheidung vollkommen ausgeblendet seien. Unterstützung erhielt ihre Kritik von Comiczeichner<br />

Ralf König und weiteren schwulen und lesbischen Prominenten. Der heftige Streit<br />

führte dazu, dass nach einer Bundestagsdebatte beschlossen wurde, den Videoclip im Inneren<br />

des Mahnmals alle zwei Jahre durch einen neu zu produzierenden Film auszuwechseln.<br />

Natürlich gilt die Autonomie der Kunst noch weniger für Denkmäler und Mahnmale als für<br />

„reine“ Kunst. Bei Denkmälern besteht ganz generell die Problematik, dass ausführende<br />

Künstler gezwungen sind, zahlreiche Stimmen, Ansichten und Interessen von vorneherein<br />

mit zu berücksichtigen – von den zu gedenkenden Opfern und Toten, die nicht gefragt werden<br />

können, bis hin zu Baustadträten und Gleichstellungsbeauftragten, die ebenfalls ihre aktuellen<br />

politischen Interessen geltend machen wollen. Weigern sich Künstler, auf all diese Änderungswünsche<br />

einzusteigen, endet die Forderung nach ständiger Nachbesserung des Mahnmals<br />

keineswegs automatisch. Der von Elmgreen und Dragset geplante „Schwulenkuss“ (Sirko<br />

Salka in der „Siegessäule“) wurde also in einer parlamentarischen Diskussion durch einen<br />

„Lesbenkuss“ erweitert (angeglichen? vervollständigt?). Eine „ExpertInnenjury“ entscheidet<br />

nun über die Auswahl der zwei Jahre gezeigten Kusssequenzen. Das klingt sehr demokratisch,<br />

aber vielschichtige Kunst ist weder demokratisch, noch kann sie Mehrheitsentscheidungen<br />

berücksichtigen. Da miteinander küssenden Frauen in den bestehenden gesellschaftlichen<br />

Hierarchien und den ihr innewohnenden Ästhetiken eine völlig andere Stellung zugewiesen<br />

wird als zwei küssenden Männern, werden die Normalitätsregime der Mehrheit durch diese<br />

Inklusion keineswegs irritiert, sondern weiterhin bestätigt. Die Unterdrückung von Frauen<br />

ist völlig anders strukturiert als die von Schwulen, die immerhin das Privileg genießen, zur<br />

bevorzugten Gruppe „Mann“ zu zählen. Extrem zwiespältig klingt der Wunsch des Regisseurs<br />

des aktuellen Videos, Gerald Backhaus: „Schön wäre es, wenn sich andere Leute an den<br />

Küssen erfreuen würden (…)“, da es genau das bedient, was andere als Homonationalismus<br />

oder queere Rassifizierungspolitiken zu diskutieren versucht haben. Denn der Appell an den<br />

normalen Geschmack manövriert genau von der Schwelle Normalität/Perversion wie selbstverständlich<br />

zur Affirmation bestehender Geschmackshierarchien. Die große Differenz zwischen<br />

„homosexuell“ und „homosozial“, zwischen „privat“ und „öffentlich“, zwischen „Männerküssen“<br />

und „Frauenküssen“ lässt sich gut an den politischen Bruderküssen zwischen<br />

Honecker/Gorbatschow, aber auch aktuell Sarkozy/Merkel beobachten. Es wäre natürlich<br />

schön, wenn dieses neo-individual-liberale Einerlei irgendwie ausgrenzende Diskriminierungsstrukturen<br />

irritieren würde. Denn wenn dem so einfach wäre, hätte das ganze Denkmal<br />

einen rein nostalgischen Zweck.<br />

Auf unübertreffliche Weise gelingt es mit ganz ähnlichen Kussmotiven, Andy Warhols Film<br />

Kiss von 1963, die ganze Ambivalenz zwischen Intimität und normalen Geschmackspolitiken<br />

in einem Raum ins Spiel zu bringen. Schönheit und Ekel garantiert inklusive. In diesem 16mm-<br />

Schwarzweiß-Stummfilm küssen sich über fünfzig Minuten lang Paare unterschiedlichster<br />

sexueller Orientierung. Oft ist wegen der Schwarz-Weiß-Kontraste und der bewegten Kamera<br />

nicht ohne Weiteres erkennbar, wer da welches Geschlecht aufweist. Unter den Küssenden<br />

befinden sich der 1923 geborene, schwule Popart-Künstler Robert Indiana, dessen „LOVE“ allseits<br />

bekannt ist, als auch Warhol-Superstar Baby Jane Holzer, Jahrgang 1940 – benannt nach<br />

Robert Aldrichs gleichnamigen Film Baby Jane. Sie betreibt heute einen Eisladen in Florida<br />

und arbeitet als Immobilienmaklerin. Warhols Küsse sind revolutionär – bis heute. Sie sind<br />

film-flirt<br />

Blixa Bargeld (rechts im Bild) überraschte den Autor Wolfgang Müller im Westberlin von<br />

1980 mit einem Zungenkuss.<br />

in unterschiedlichster Hinsicht proto-queer und übertreffen fünfzig<br />

Jahre nach ihrer Aufnahme noch jeden bisher im Mahnmal von<br />

Elmgreen und Dragset integrierten Kussfilm. Zum einen findet sich<br />

in Kiss das genaue Gegenstück zum perfekt inszenierten Hollywood-<br />

Filmkuss, in dem kein Speichelfaden oder gequetschte Gesichtsteile<br />

die Ästhetik irritieren sollen. Und – sehr wichtig – sie kümmern sich<br />

nicht einmal darum, ob der jeweilige Kuss nun auf allgemeines Gefallen<br />

stößt oder ob er es nicht tut. Trotzdem tut Kiss beileibe nicht so,<br />

als ob die angestrebte Utopie bereits verwirklicht wäre, also es völlig<br />

egal sei, ob Frauen Frauen oder Männer Männer körperlich berühren<br />

und begehren. Mancher Kuss in Kiss sieht vielleicht lecker aus, mancher<br />

eher komisch oder gar abstoßend – aber die Ästhetik des Kusses<br />

spielt keine Rolle. Vielleicht macht den Küssenden ja viel Spaß, was<br />

für die Betrachter so aussieht, als schnappe ein kranker Karpfen nach<br />

Luft? In seiner Entstehungszeit 1963 stellt Kiss eine zusätzliche Provokation<br />

dar, eben dadurch, dass er gesellschaftlich eine Attacke auf<br />

Mehrheitsregime und ihre Ästhetik war, in vielerlei Hinsicht. Die weißen<br />

Punkte am Ende jeder auslaufenden Filmrolle, die Andy Warhol<br />

deutlich sichtbar in seinen Filmen beließ, sind das Signal für Filmvorführer<br />

zum Wechsel bei der Vorführung. Andy Warhol outet damit<br />

außerdem den Wechsel der Rollen, er macht sichtbar, was eigentlich<br />

nur der Vorführer wissen soll, nicht aber die Zuschauer – das offene<br />

Geheimnis, das eigentlich im Verborgenen bleiben soll. Und dadurch,<br />

dass er die sexuelle Orientierung der jeweils Küssenden zur zweitrangigen<br />

Angelegenheit macht – Homosexualität war 1963 sicherlich<br />

absolut keine „Nebensache“, schon gar nicht für die Empfindungen<br />

und Gefühle der Mehrheit – entfaltet Andy Warhols Kiss über diesen<br />

Umweg der Wahrnehmungen seine bis heute unübertroffene subversive<br />

Energie. s<br />

39<br />

WoLFGANG MüLLEr / ANNo DITTMEr


frisch ausgepackt frisch ausgepackt<br />

neu auf DvD<br />

von chrIStoph meyrInG (cm), paul Schulz (pS) unD Jan künemunD (Jk)<br />

das TraurIge LeBeN der gLorIa s.<br />

DE 2011, regie: ute Schall & Christine Groß, Edition<br />

Salzgeber<br />

Eine bitterböse, rabenschwarze<br />

Komödie über<br />

zwei starke Frauen, die<br />

sich gegenseitig verdient<br />

haben: Die eine ist Schauspielerin<br />

und braucht<br />

dringend einen Job; die<br />

andere ist Regisseurin<br />

und muss dringend einen<br />

Film über prekär lebende Frauen machen.<br />

Christine Groß und Ute Schall haben daraus<br />

eine durchgeknallte Farce über das falsche Bild<br />

vom wahren Leben und über glamouröse Überlebensstrategien<br />

gemacht.<br />

„Bevor das Spiel mit der Inszenierung von Realität<br />

in Gang kommt, sei zumindest noch der<br />

Vollständigkeit halber darauf hingewiesen,<br />

dass der Film zumindest skizzenhaft versucht,<br />

noch eine weitere Realitätsebene einzubauen,<br />

die auf die konkrete Realität der Figuren verweist.<br />

Auf dieser Ebene ist Das traurige Leben<br />

der Gloria S. weitgehend ein Frauenfilm. Da ist<br />

die erfolglose, unter prekären Bedingungen lebende<br />

Schauspielerin Gloria, die, wiewohl sie<br />

in einer nicht unproblematischen lesbischen<br />

Beziehung lebt, sich als integraler Bestandteil<br />

einer zwar kaputten, aber strukturell der<br />

Norm entsprechenden Kleinfamilie inszenieren<br />

muss/will. Charlotte, die Filmemacherin,<br />

sucht wiederum den Kontakt zur sozialen<br />

Realität aufgrund einer diffusen Krisenerfahrung,<br />

weil ihre Parameter einer Erfahrung des<br />

Politischen nicht mehr zu greifen scheinen. Als<br />

‚Realitätsprinzip‘ fungiert die toughe Filmproduzentin<br />

von Lösch, die das fadenscheinige<br />

Spiel früh und instinktiv durchschaut. (Ulrich<br />

Kriest in SISSY 4/2011)<br />

LoLLIPoP MoNsTer<br />

DE 2010, regie: Ziska riemann, Edition Salzgeber<br />

Die quietschbunte Ari<br />

und die düstercoole Oona<br />

werden Freundinnen, die<br />

sich gegen ihre Familien<br />

wehren und gemeinsam<br />

explodieren. „Unstet wie<br />

pubertäre Stimmungsschwankungen<br />

wechselt<br />

der Film von der Story in<br />

Musikclips, vom Spielfilm über Super8 in eine<br />

Comicästhetik. Egal, wann man jung war, ob<br />

zu Tolle-, Flattop-, Föhnwelle- oder Stachelfrisurzeiten,<br />

egal, ob die Eltern einem Rolling<br />

Stones, Joy Division oder Chicago House verbieten<br />

wollten: Riemanns Film, bei dem die<br />

Berliner Comiczeichnerin, Autorin und Musikerin<br />

erstmalig Regie führte, versucht, das globale<br />

Pubertistinnengefühl einzufangen, und es<br />

in der gleichen Windstärke bildlich umzusetzen,<br />

in der es subjektiv empfunden wird. Sie<br />

hat dazu Musik er- und gefunden, die das Außenseitermotiv<br />

illustriert: Die imaginäre<br />

Oona- und Ari-Lieblingsband ‚Tier‘, deren Sänger<br />

aussieht wie der Voodoo-Priester Baron Samedi<br />

(aus James Bonds Leben und sterben lassen),<br />

und die in Rammstein-Manier rocken, nur<br />

mit mehr Gitarre, besingen ‚Trieb, Lust und<br />

Instinkt‘. Eine andere der vielen Musikeinlagen<br />

zeigt strippende Barbiemädchen beim Teddypeitschen.<br />

Wer das ein bisschen protzig und<br />

übertrieben findet, hat Recht. Aber es geht hier<br />

schließlich um Aufruhr im Hypothalamus.“<br />

(Jenni Zylka in SISSY 2/2011)<br />

HerBsTgefÜHLe – 80 eguNeaN<br />

ES 2010, regie: jose Garaño & josé María Goenaga,<br />

Edition Salzgeber<br />

Zwei Damen um die 70<br />

fragen sich, ob sie ihre<br />

Gefühle füreinander endlich<br />

zulassen wollen.<br />

„Maite küsst Axun in einem<br />

Arrangement wie<br />

damals in der Sepia-Erinnerung.<br />

Axun küsst sekundenlang<br />

zurück, entschließt<br />

sich dann zur Abwehr. Der<br />

dramatische Ausbruch der lange verschlossen<br />

gehaltenen Gefühle findet auch metaphorische<br />

Entsprechungen: Das Boot der beiden<br />

hängt seeuntüchtig in den Seilen, als sie zum<br />

Steg zurück kommen, Axun schließlich fällt<br />

ins Wasser und Maite springt hinterher. Die<br />

sexuelle Konnotation der klatschnassen Körper,<br />

der unmittelbare physische Kampf zwischen<br />

beiden nach all den Gesprächen, Berichten,<br />

Diskussionen wirkt befreiend. Gefragt,<br />

wie sie auf die Idee für einen lesbischen Liebesfilm<br />

über 70-jährige Frauen gekommen<br />

seien, sagten die beiden Regisseure, die einzige<br />

Vorgabe für sie wäre gewesen, es sollte von<br />

älteren Menschen handeln und Baskisch sollten<br />

sie sprechen. Ansonsten hätten sie keine<br />

Randgeschichte, auch keine kämpferische<br />

Emanzipationsgeschichte erzählen oder ein<br />

Coming-Out beschreiben wollen, sondern eine<br />

universale Geschichte. Ein Stück Normalität.“<br />

(Angelika Nguyen in SISSY 4/2011)<br />

scHLafKraNKHeIT<br />

DE/Fr/NL 2011, regie: ulrich Köhler, Lighthouse<br />

Ein Arzt geht in Afrika<br />

verloren. Ein anderer<br />

kommt gar nicht erst an.<br />

Letzterer ist „eine Identifikationsfigur,<br />

findet Regisseur<br />

Ulrich Köhler:<br />

Alex Nzila, der schwule,<br />

schwarze WHO-Bürokrat<br />

aus Paris, dessen erster<br />

Auftrag eine Reise nach Afrika ist, das er nur<br />

soweit wahrnimmt wie der Schein seiner kleinen<br />

Taschenlampe reicht. Tatsächlich ist das<br />

eine originelle Figur, unbeholfen, ängstlich,<br />

schwach – so ganz anders als die kolonialen<br />

und postkolonialen Herren, die sich die Fremde<br />

verständlich machen und dann aneignen<br />

wollen, in den kolonialkritischen Erzählungen<br />

aber schließlich scheitern und degenerieren,<br />

zu Nicht-Afrikanern und Nicht-mehr-Europäern<br />

werden. Auch diese Figur gibt es in Schlafkrankheit,<br />

Ebbo, der andere Mediziner, der natürlich<br />

auch weiß, was man bei Schwulsein in<br />

Afrika verschreibt (‚bloß keinem erzählen‘).<br />

Der Film hat seine zwei Teile um diese zwei Figuren<br />

herum aufgebaut, weniger, um Thesen<br />

kultureller Fremdheiten gegeneinander auszuspielen,<br />

sondern eher, um undurchdringliche<br />

Bilder zu setzen und vom Scheitern der Strategien<br />

zu erzählen, Fremdheit aufzulösen, die<br />

eigentlich selbstgemacht ist.“ (Jan Künemund<br />

in SISSY 2/2011)<br />

VIer MÄNNer uNd eINe HocHZeIT<br />

GB 2011, regie: Trevor Garlick, Pro-Fun Media<br />

Wenn Danny Weatherill<br />

sein Erbe nicht verlieren<br />

möchte, dann sollte er<br />

möglichst bald vom Single-Markt<br />

verschwunden<br />

sein. Eine Klausel im Testament<br />

seines verstorbenen<br />

Vaters bestimmt nämlich,<br />

dass er bis zu einem<br />

nicht mehr allzu fernen Termin verheiratet sein<br />

muss, um es antreten zu dürfen. Ob mit einer<br />

Frau oder einem Mann, lässt der entsprechende<br />

Passus offen. Gott sei dank, denn Danny hat sich<br />

nach seiner ersten gescheiterten Ehe mit einer<br />

Frau sexuell umorientiert. Um nun auf die<br />

Schnelle einen geeigneten Lebenspartner zu<br />

finden, setzt er einen ausgeklügelten Dating-<br />

Masterplan in die Tat um. Die letzten drei sorgsam<br />

ausgesiebten Kandidaten werden am Abend<br />

vor der Hochzeit in ein Schlosshotel eingeladen,<br />

wo anderntags einer von ihnen vor den Traualtar<br />

geführt werden soll … Die Grundidee für diese<br />

britische Komödie scheint indessen, wie unschwer<br />

zu erkennen ist, von TV-Casting-Shows<br />

á la Der Bachelor vorgezeichnet worden zu sein.<br />

Nach der Zugabe von einigen auch nicht mehr<br />

ganz taufrischen Zitat-Zutaten aus Kino-Vorbildern,<br />

allerdings ohne würzenden und bindenden<br />

Schuss Witz, ist aus dem Homo-Lustspiel<br />

leider etwas eher Fades von bröckelig-heterogener<br />

Konsistenz geworden. Dies betrifft leider<br />

auch die Leistung der Darsteller − nicht zuletzt<br />

die des Hauptdarstellers, dessen enervierende<br />

Dauer-Aufgeräumtheit zuweilen abrupt von einer<br />

ebenso aufgesetzten Gefühligkeit unterbrochen<br />

wird. Und zuletzt sei noch an den Haager<br />

Gerichtshof appelliert, den unsäglichen (Speed-)<br />

Dating-Gag (Held sitzt im Café, trifft skurrile<br />

Type Nr. 1, Schnitt, skurrile Type Nr. 2, Schnitt,<br />

Nr. 3 etc. pp.), ohne den seit gefühlten drei Jahrzehnten<br />

kaum noch eine Beziehungskomödie<br />

auszukommen meint, endlich als Menschenrechtsverletzung<br />

anzu erkennen und dafür empfindliche<br />

Strafen in Aussicht zu stellen! cm<br />

ToasT<br />

GB 2011, regie: S.j. Clarkson, Ascot Elite<br />

Toast ist ein Film über die<br />

Kindheit und Jugend von<br />

Nigel Slater, Englands berühmtestem<br />

Fernsehkoch.<br />

Ja, es gibt auch in England<br />

berühmte Köche. Sollte<br />

man nicht denken, wenn<br />

man mal versucht hat, die<br />

englische Küche zu genießen,<br />

ist aber so. Dazu kommt: Toast ist ein toller<br />

Film, weil er nicht in den Küchen von Nobelrestaurants,<br />

sondern in einer Arbeitersiedlung<br />

spielt. Hier wächst der kleine Nigel auf. Als seine<br />

Mutter stirbt, holt sich sein Vater eine neue Frau<br />

ins Haus: Mrs. Potter, die sich vor allem dadurch<br />

auszeichnet, kochen und exzellent putzen zu<br />

können und Mr. Slater die Einsamkeit zu vertreiben.<br />

Sie wird es sein, die den Jungschwulen<br />

Nigel anspornt, ein Spitzenkoch zu werden, allerdings<br />

indirekt: Der Kleine hasst den ordinären<br />

Mutterersatz und versucht einfach, in der<br />

Küche besser zu sein als sie, um sie wieder los zu<br />

werden. Freddie Highmore und Helena Bonham-Carter<br />

liefern sich in den beiden Rollen<br />

nicht nur in der Küche, sondern auch auf der<br />

Leinwand eine leise Schlacht, die man gesehen<br />

haben sollte. Das ist großes, wunderbares<br />

Schauspielerkino, das von Regisseurin S.J. Clarkson<br />

gekonnt umgesetzt wird. Als Nigel, nachdem<br />

Mrs. Potter seinen Vater mit zu viel guter<br />

Kost zu Grunde gerichtet hat, in den letzten<br />

Filmminuten seinen ersten Mann küsst, weiß<br />

man, ab hier geht es aufwärts mit ihm. ps<br />

sTory of a Bad Boy<br />

uSA 1999, regie: Tom Donaghy, Edition Salzgeber<br />

Pauly ist notgeil wie alle<br />

17-Jährigen. Sein Leben<br />

kreist um seine Körpermitte<br />

und um die nächste<br />

Gelegenheit, seinen Hormonstau<br />

zu beheben. Dabei<br />

flirtet er mit Nonnen,<br />

Messdienern und seinem<br />

verschreckten Schauspiellehrer<br />

Noel, der nicht so Recht weiß, wohin mit<br />

sich oder seinem Zögling. Dass sein Leben so<br />

schwanzgesteuert ist, ist nicht gut für Pauly,<br />

denn so kommt er permanent in Schwierigkeiten.<br />

Story Of A Bad Boy ist ein erfreulicher kleiner<br />

Film, der gut gealtert ist und der, obwohl er<br />

schon 13 Jahre auf dem schmalen Buckel hat,<br />

nichts von seiner amüsanten Frische verloren<br />

hat. Was auch an seinem 1980er Setting liegen<br />

mag, das ihm einige Witze gestattet, die man in<br />

der Gegenwart so nicht machen würde. Der<br />

Film verschwand, nachdem er kurz nach seiner<br />

Entstehung auf vielen Festivals lief und paar<br />

Mal im deutschen Fernsehen zu sehen war,<br />

spurlos von der Bildfläche. Dass Salzgeber die<br />

überdrehte Komödie dem Publikum nun auf<br />

DVD wieder zugänglich macht, ist schön. ps<br />

augusT<br />

uSA 2011, regie: Eldar rapaport, Pro-Fun Media<br />

Als Troy nach Jahren aus<br />

Spanien nach Los Angeles<br />

zurückkehrt, versucht er<br />

da anzuknüpfen, wo er<br />

aufgehört hat – vor allem<br />

bei seinem Exfreund Jonathan.<br />

Dass der längst<br />

einen neuen Freund hat,<br />

ist für Troy aber kein<br />

wirkliches Hindernis. Das Ergebnis ist eine<br />

Dreiecksgeschichte mit explosivem Ausgang.<br />

Regisseur und Drehbuchautor Eldar Rapaport<br />

liefert mit August die Langfassung seines guten<br />

ersten Kurzfilms Postmortem von 2005 ab,<br />

und hat dabei viel richtig gemacht. August ist<br />

eine Geschichte über heiße Leidenschaft, die<br />

er in eiskalte Bilder wickelt. Das ergibt einen<br />

reizvollen Widerspruch, den er erzählerisch zu<br />

nutzen versteht. Auch seine beiden Hauptdarsteller<br />

Daniel Dugan (Jonathan) und Murray<br />

Bartlett als Troy waren schon in der Kurzfassung<br />

dabei und haben sichtlich Freude daran,<br />

ihren Charakteren jetzt mehr Hintergrund<br />

und Tiefe zu geben. Das, was einige an August<br />

allerdings am aufregendsten finden werden, ist<br />

die nicht-lineare Erzählweise und der Schnitt.<br />

Modern oder anarchisch? Geschmackssache,<br />

ich fand’s super. ps<br />

sWaNs – HuNger NacH LeBeN<br />

PT/DE 2010, regie: Hugo Vieira da Silva, Edition Salzgeber<br />

„Aus Portugal kommen<br />

sie. Der Vater, Tarso, arbeitet<br />

im Import-Export-<br />

Gewerbe, kauft Autos in<br />

Deutschland, die er in<br />

Portugal mit Gewinn wieder<br />

verkauft. Der Sohn,<br />

Manuel, ist ein Skater, ein<br />

sehr virtuoser, von einem<br />

Sponsor ist die Rede, auch davon, dass es der<br />

Vater ist, der seine Miete bezahlt. Im Zentrum<br />

des Films jedoch steht die Ex-Frau des Vaters,<br />

die Mutter des Sohnes, der jedoch keine Erinnerung<br />

an sie hat. Man muss genauer auch sagen:<br />

Die Mutter steht nicht, sondern liegt. Sie<br />

ist nach einer aggressiven Krebs-Chemotherapie<br />

ins Koma gefallen; nicht bei Bewusstsein,<br />

komplett immobil. (…) Swans ist ein Körperhorrorfilm.<br />

Das Koma als vollständiger Kontrollverlust,<br />

der in die Bewegungs- und Leblosigkeit<br />

führt. Die totale Kontrolle des Skaters beim<br />

Skaten. Einmal macht der Vater Meditationsübungen<br />

und überlässt sich dabei ganz den Anweisungen<br />

der von ihrem Körper dissoziierten<br />

Stimme von der CD. Wie Sonden sind die Figuren<br />

in der Stadt unterwegs, auf einer Suche, sie<br />

wissen nur nicht, wonach. Reinhold Vorschneiders<br />

Kamera liegt mit ihren virtuosen Fahrten<br />

und Eigenbewegungen, das Berührungs- als<br />

Abbildungsbegehren verdoppelnd, noch einmal<br />

quer dazu. Der Film selbst nimmt zu alledem<br />

die einzig plausible Position ein: Er hält es<br />

konsequent fest, unter enigmatischem Titel,<br />

und mobilisiert den Betrachter, indem er sich<br />

seinem schnellen Begreifen entzieht.“ (Ekkehard<br />

Knörer in SISSY 2/2011)<br />

My LasT rouNd<br />

CHI/ArG 2011, regie: julio jorquera Arriagada, Bildkraft<br />

Kurz nachdem er seine<br />

Großmutter beerdigt hat,<br />

lernt der junge Restaurantmitarbeiter<br />

Hugo in<br />

der chilenischen Provinz<br />

den etwas älteren Boxer<br />

Octavio kennen, der ebenfalls<br />

mit einem Verlust<br />

fertig werden muss. Denn<br />

gesundheitliche Probleme zwingen ihn, seine<br />

Boxhandschuhe endgültig an den Nagel zu<br />

hängen. Aus schüchterner Annäherung wird<br />

unversehens Liebe. Und da die beiden ohnehin<br />

kaum mehr etwas zu verlieren haben, beschließen<br />

sie einen gemeinsamen Neuanfang in der<br />

Hauptstadt Santiago, wo der gelernte Friseur<br />

Octavio schnell eine Anstellung in einem Herrensalon<br />

findet. Hugo kommt als Fahrer in einer<br />

Tierhandlung unter. Doch das Zusammenleben<br />

„wie Mann und Frau“ in der kleinen,<br />

ärmlichen Wohnung ist nicht nur mit einem<br />

41


frisch ausgepackt frisch ausgepackt<br />

Versteckspiel vor der homophoben Umwelt verbunden,<br />

es mutet auch irritierend an, da es klassisch<br />

männliche Rollenvorstellungen in Frage<br />

stellt. Problemverschärfend kommt noch hinzu,<br />

dass die Tochter des Tierhändlers Hugo<br />

schöne Augen macht, während Octavio mit einem<br />

lebensgefährlichen Comeback im Ring<br />

liebäugelt … Der Umstand, dass die an Rocky,<br />

Wie ein wilder Stier, The Wrestler und unzählige<br />

andere Kinovorbilder erinnernde Lebenskampf-Metapher<br />

mithin selbst reichlich abgekämpft<br />

erscheint, sollte für das potenzielle Publikum<br />

kein K.o.-Kriterium darstellen. Denn<br />

nicht nur die in regenschleierverhangenen, melancholischen<br />

Schlechtwetterbildern schwelgende,<br />

überraschend kunstsinnige Kamera<br />

sorgt dafür, dass Julio Jorqueras Regie-Debüt<br />

mit weit weniger als einem blauen Auge davonkommt.<br />

Auch − und vor allem − das reduzierte<br />

und in jeder Situation glaubwürdige Spiel der<br />

beiden hervorragenden Hauptdarsteller beschert<br />

diesem Film schließlich einen eindeutigen<br />

Sieg nach Punkten. cm<br />

I WaNT To geT MarrIed<br />

uS 2011, regie: William Clift, Pro-Fun Media<br />

Nachdem er in seiner<br />

quietschbunten Wohnung<br />

die Hochzeit seiner<br />

lesbischen Freundinnen<br />

Rebecca und Susan ausgerichtet<br />

hat, fasst Paul<br />

Roll, Inhaber einer Werbagentur,<br />

den festen Entschluss,<br />

demnächst auch<br />

selbst mit dem Mann seiner Träume die Ringe<br />

zu tauschen. Es gibt dabei nur ein paar Probleme:<br />

Da die Homoehe in Kalifornien aufgrund<br />

eines bevorstehenden Volksentscheids (Proposition<br />

8) bald wieder abgeschafft werden<br />

könnte, steht dafür − erstens − mitunter nur<br />

ein sehr kleines Zeitfenster offen. Zweitens ist<br />

noch überhaupt gar kein Traummann in Sicht.<br />

Und drittens ist Paul zwar im Job ein Genie,<br />

abgesehen davon aber extrem schüchtern,<br />

nicht sonderlich attraktiv und so schrullig,<br />

dass ihn die Weltvereinigung aller Nerds einstimmig<br />

zu ihrem Vorsitzenden wählen würde.<br />

Jetzt ist Zweck optimismus gefragt … Regisseur<br />

William Clift begibt sich mit seiner<br />

schwulen Heiratskomödie, die auch als kritischer<br />

Kommentar zum zeitgleich mit Obamas<br />

Wahlsieg vollzogenen kalikornischen Rollback<br />

in Sachen Homoehe zu verstehen ist, eindeutig<br />

auf das Gebiet des Trash, wo man sich<br />

fast alles herausnehmen kann. Das Wenige,<br />

das man sich nicht herausnehmen darf, was<br />

sich dieser Film aber leider nicht verkneift, besteht<br />

− erstens − darin, sich nicht genug herauszunehmen,<br />

also zu wenig absurd, überdreht<br />

und geschmacklos daherzukommen.<br />

Zweitens verträgt ein Trash-Machwerk weder<br />

Sentimentalität noch vernunftbegabte, ganz<br />

42<br />

„normal“ agierende Charaktere, die hier einmal<br />

mehr lesbisch sein müssen. Und drittens<br />

reicht es nicht, sich eine Woody-Allen-Brille<br />

auf die Nase zu setzten, um auf so witzige Weise<br />

tollpatschig zu wirken wie Besagter in seinen<br />

frühen Slapstick-Komödien. Matthew<br />

Montgomerys Darstellung lässt zuweilen sogar<br />

an die mütterliche Ermahnung „Darüber<br />

lacht man nicht!“ erinnern. Zu lachen gibt es<br />

zwar manchmal schon etwas, aber eindeutig<br />

zu wenig für einen lustigen DVD-Abend. cm<br />

dIe MIssIoN<br />

uSA 2009, regie: Peter Bratt, Pro-Fun Media<br />

Die Mission ist eine Familienangelegenheit:Hollywoodstar<br />

Benjamin Bratt<br />

spielt die Hauptrolle in einem<br />

Film, den sein Bruder<br />

Peter geschrieben und als<br />

Regisseur betreut hat. Das<br />

ist keine Gefälligkeit unter<br />

Geschwistern, sondern<br />

ein geschickter Karriereschritt auf beiden Seiten.<br />

Benjamin kann als Raubein, das im Hispanic-Viertel<br />

von San Francisco einen schwulen<br />

Sohn großziehen und dabei seine eigenen Vorurteile<br />

überwinden muss, eine Glanzleistung<br />

abliefern, die ihm viel mehr abverlangt als sein<br />

schönes Gesicht – und Peter hat einen großen<br />

Namen über dem Titel. Der Film ist das feinfühlige<br />

Porträt einer gespaltenen Figur und eine<br />

Studie darüber, wie weit sich eine in Machismo<br />

getränkte Kultur von ihren Wurzeln entfernen<br />

kann, ohne in der Luft zu hängen. Die Antwort<br />

lautet: sehr weit, aber langsam. Fein beobachtet,<br />

noch besser geschrieben und brillant gespielt:<br />

Mehr kann man von einem Film nicht<br />

wollen. Dass Die Mission daneben stellenweise<br />

auch noch sehr witzig und hochgradig unterhaltsam<br />

ist, sind feine Zugaben. ps<br />

PrIVaTe roMeo<br />

uS 2010, regie: Alan Brown, Edition Salzgeber<br />

Private Romeo liebt Private<br />

Juliet – quatsch: Private<br />

Glenn. Die größte<br />

Liebesgeschichte aller<br />

Zeiten in schwul, unter<br />

Soldaten und im Originaltext<br />

von Shakespeare. „Du<br />

bist in diesem verlassenen<br />

Militärstützpunkt gefangen<br />

und außer ein paar merkwürdig poetisch<br />

veranlagten Soldaten gibt es da auch nicht viel.<br />

Aber trotzdem wäre ich jetzt gerne bei dir und<br />

würde dafür auch Shakespeare auswendig lernen.<br />

Das machen diese merkwürdig poetisch<br />

veranlagten Soldaten ja auch die ganze Zeit.<br />

Die habe ich echt falsch eingeschätzt. Sitzen da<br />

wie die letzten Macker in diesem Army-Klassenzimmer<br />

und zitieren fleißig aus Reclam-<br />

heftchen, oder wie die bei euch in den Staaten<br />

heißen. ‚Reclaim‘-Heftchen vielleicht. Reclaim<br />

the classics – Erobere die Klassiker zurück.<br />

Naja, egal. Erst sitzen sie da wie die Obermachos<br />

und plötzlich wird der ganze Stützpunkt<br />

zur magischen Bühne und du natürlich in der<br />

Mitte.“ (Tobias Rauscher in SISSY 3/2011)<br />

gIgoLa<br />

Fr 2010, regie: Laure Charpentier, Pro-Fun Media<br />

Laure Charpentiers<br />

schwelgerische Ode an die<br />

Pariser Garçonnes der<br />

frühen 60er Jahre beruht<br />

auf ihrem eigenen Roman<br />

– und auf ihren eigenen<br />

Erinnerungen. „Es gibt<br />

Momente von ungeheuerer<br />

Kälte und verstörender<br />

Härte in Gigola. Wenn Georges zum ersten Mal<br />

der reichen Odette begegnet, sich ihr anbietet<br />

und sie dabei zugleich unterwirft, ist ihr Triumph<br />

und Odettes Niederlage schon beim ersten<br />

Tanz besiegelt – Camillo Felgen singt ‚Sag<br />

warum‘ und erzählt dabei eben auch von der<br />

unendlichen Einsamkeit der älteren Frau. Wie<br />

das ‚Ich‘ des Lieds stürzt auch sie durch die Liebe<br />

in eine noch tiefere Einsamkeit. Sie verfällt<br />

Gigola und wird sie nie besitzen … sag warum.<br />

Aber selbst eine Antwort auf diese Frage wäre<br />

kein Trost. Die Liebe und das Begehren treiben<br />

alle Figuren Laure Charpentiers an, aber Erfüllung<br />

oder gar Erlösung findet keine von ihnen.<br />

Die Nacht ist und bleibt die einzige Antwort. Sie<br />

ist die Zeit des Dahin-Treibens, des Vergessens,<br />

der Lust und der Schönheit.“ (Sascha Westphal<br />

in SISSY 3/2011)<br />

MeIN soMMer MIT MarIo<br />

Ar/Fr/ES 2009, regie: julia Solomonoff, GMFilms<br />

Es ist der Sommer der Abschiede<br />

und Neuanfänge,<br />

des Erwachsenwerdens,<br />

der Emanzipation. Zwischen<br />

Mario und Jorgelina<br />

entsteht einen Urlaubsfreundschaft<br />

in der<br />

argentinischen Pampa: Sie<br />

reiten, baden an schlammigen<br />

Flussufern, sammeln Schlangenhäute.<br />

Doch was so unbeschwert aussieht, hat viel zu<br />

unterschiedliche Voraussetzungen: Jorgelina<br />

ist eine etwas verwöhnte Arzttochter, die das<br />

Problem hat, dass ihre Schwester jetzt mehr an<br />

Jungs interessiert ist als daran, mit dem kleinen<br />

„Tomboy“ zu spielen. Mario dagegen ist das<br />

Kind von Farmarbeitern, der die Schule schmeißen<br />

musste, um seinem Vater zu helfen, ein von<br />

den anderen Jungs argwöhnisch beobachtetes<br />

Reitertalent. Als Jorgelina entdeckt, dass mit<br />

Marios Körper ähnliche Dinge ablaufen wie bei<br />

ihrer Schwester, greift sie zum Anatomiebuch<br />

ihres Vaters und deckt ein gut gehütetes Geheimnis<br />

auf. Ihr Vater, der Arzt, drängt auf<br />

Klarheit. Die Menschen vom Land regeln das<br />

pragmatisch. Jorgelina hört auf ihre Gefühle<br />

und wird dadurch erwachsen.<br />

Feinfühlig erzählt das der Film, etwas hastig<br />

vielleicht und sehr problemfixiert, womit den<br />

jungen Darsteller etwas zu viel aufgebürdet<br />

wird. Seit XXY ist das Intersexualitätsthema<br />

im argentinischen Kino etabliert. Problematisiert<br />

werden sollten aber vielleicht eher die<br />

‚normalen‘ Männlichkeitskonzepte. Mario jedenfalls,<br />

der ein Pferderennen gewinnen soll,<br />

um zu zeigen, dass er ein Mann ist, macht das<br />

mit links und reitet dann noch ein Stück weiter.<br />

Hier würde auch mal ein Film anfangen. jk<br />

KLeINe WaHre LÜgeN<br />

Fr 2010, regie: Guillaume Canet, universal<br />

Sommerurlaub mit Freunden<br />

in einem schwierigen<br />

Alter (Mitte 30). Einer ist<br />

darunter, der einem anderen<br />

nach vielen Jahren<br />

plötzlich die Liebe gesteht.<br />

Für den bourgeoisen Reigen<br />

wohlhabender Franzosen<br />

in der Lebenskrise<br />

ist Schwulsein eine ernsthafte Überforderung.<br />

„Gemeinsam mit einigen der angesagtesten<br />

Darsteller des aktuellen fran zö sischen Kinos<br />

gelingt es Schauspieler-Regisseur Guillaume<br />

Canet mit seiner dritten Regie-Arbeit, dem strapazierten<br />

Begriff der Tragi komödie insofern<br />

eindrucksvoll gerecht zu werden, als man an<br />

vielen Stellen nicht mehr weiß, ob man noch lachen<br />

kann oder schon weinen möchte. Der überdies<br />

meisterlich fotografierte und erklärtermaßen<br />

an Erfolge wie Lawrence Kasdans Der<br />

große Frust und Kenneth Branaghs Peter’s<br />

Friends anknüpfende Film avancierte in Frank-<br />

reich mit mehr als 5,3 Mio. Besuchern zum<br />

zweiterfolgreichsten des Kinojahres 2010.“<br />

(Christoph Meyring in SISSY 2/2011).<br />

THe oNe − MeINe WaHre LIeBe<br />

uS 2011, regie: Caytha jentis, Pro-Fun Media<br />

Wir freuen uns auf Euch!<br />

Der New Yorker Tommy,<br />

von Beruf − richtig geraten!<br />

− Anwalt, trifft seinen<br />

Jugendfreund David<br />

− ganz genau: Typ athletisch<br />

gebauter Kapitän irgendeiner<br />

High-School-<br />

Mannschaft aus gutem<br />

Hause − zufällig wieder<br />

und verbringt mit ihm eine Liebesnacht. David<br />

ist aber − schon wieder richtig geraten! − „eigentlich<br />

hetero“ und will in Kürze − volle<br />

Punktzahl erreicht! − seine Verlobte Jen ehelichen,<br />

was er aus Pflichtgefühl und Familienrücksichten<br />

dann auch tut. Die Frage, ob das<br />

wohl gut gehen kann, zählt nun nicht mehr<br />

zum Ratespiel, da offensichtlich von rhetorischer<br />

Natur. Der Rest − „Ich bin schwanger“,<br />

„Liebst du ihn?“, „Wie konntest du mir das antun“<br />

− ist dementsprechend vorprogrammiert.<br />

Wer nun schon angesichts dieser preisgünstigen,<br />

weil mithilfe des inneren Klischeebaukastens<br />

für US-amerikanisches Mainstream-Gay-<br />

Kino weitgehend selbständig zu montierenden<br />

Inhaltsangabe meint, diesen Film so oder so<br />

ähnlich bereits dreißigmal gesehen zu haben,<br />

wird in dieser Empfindung aufs Eindrucksvollste<br />

bestärkt, wenn er der wunderlichen Caprice<br />

nachgeben sollte, sich ihn tatsächlich<br />

anzusehen. Denn die Dialoge lassen sich nicht<br />

nur mühelos mitsprechen, auch der Tonfall, in<br />

dem sie vorgebracht werden, und die Mimik,<br />

die sie begleitet, verschaffen dem geschulten<br />

Zuschauer das behagliche Gefühl jahrzehntelanger<br />

Vertrautheit. Von daher ist The One aus<br />

voller Überzeugung, ohne Einschränkung und<br />

mit Nachdruck zu empfehlen − und zwar all<br />

denjenigen, die bereits kleinsten Überraschungen<br />

mit tiefer Abscheu begegnen und Malen<br />

nach Zahlen für ein Hochamt künstlerischer<br />

Kreativität halten. cm<br />

VIer WeITere JaHre −<br />

WaHLKaMPf ’MaL aNders<br />

S 2010, regie: Tova Magnusson-Norling, Pro-Fun Media<br />

„Viel los am rechten Flügel?“<br />

− „Und selbst, wie<br />

geht’s in der Regierung?“<br />

Mit diesen Sätzen beginnt<br />

eine belanglose erste<br />

Fahrstuhlplauderei zwischen<br />

zwei politischen<br />

Gegnern, nämlich dem offen<br />

schwulen Sozialdemokraten<br />

Martin Kovac und dem konservativen<br />

David Holst, der soeben die Ernennung zum<br />

schwedischer Ministerpräsidenten in letzter<br />

Minute verpasst hat. Gut so, denn David verbirgt<br />

hinter der Maske des aalglatten Berufspolitikers<br />

eine schlaffe Marionette, die mehr oder<br />

weniger willenlos an den Fäden seiner ehrgeizigen<br />

Ehefrau und seines persönlichen Referenten<br />

über das glitschige Parkett des Parlamentsbetriebes<br />

gelotst und von ihnen<br />

pünktlich mit Vorlagen, Reden und den aktuell<br />

opportunen Meinungen versorgt wird. Nach<br />

seinem Wahldebakel agiert David noch lustloser<br />

als sonst. Allein für den frechen Sozi Martin,<br />

der ihm in der Parlamentskantine zufällig<br />

wieder über den Weg läuft, zeigt er ein bald<br />

schon auffälliges Interesse. Und der andere −<br />

überraschender Weise − auch für ihn …<br />

Tova Magnusson-Norlings Screwball-Komödie<br />

überrascht ebenso − und zwar durch eine<br />

hochprofessionelle, temporeiche Erzählweise,<br />

durch ein wirklich witziges Drehbuch und<br />

Unser Paradies von Gaël Morel · Sharayet – Eine Liebe<br />

in Teheran von Maryam Keshavarz · Noordzee, Texas<br />

von Bavo Defurne · Tomboy von Céline Sciamma ·<br />

Longhorns von David Lewis · Jamie uns Jessie sind<br />

nicht zusammen von Wendy Jo Carlton<br />

Mit freundlicher<br />

Unterstütung durch<br />

www.L-Filmnacht.de<br />

43<br />

www.Gay-Filmnacht.de


frisch ausgepackt<br />

durch wunderbare Hauptdarsteller, die den<br />

Wortwitz mit staubtrockener Lakonie auch<br />

zünden lassen − und außerdem einmal nicht<br />

aussehen wie im Sportstudio geformte Marzipanschweinchen.<br />

Vor allem Björn Kjellman<br />

versteht es, so verzweifelt-melancholisch<br />

dreinzublicken, sich so lustvoll im eigenen Unglück<br />

zu suhlen, sich zuweilen so linkisch daneben<br />

zu benehmen und dann wieder einen so<br />

kindlich-anrührenden Charme zu versprühen,<br />

dass man ihm bis zum Ende gerne dabei zusieht.<br />

Und an diesem Ende verzichtet der Film<br />

wohltuender Weise darauf, schließlich doch<br />

noch in Sentimentalität abzugleiten, sondern<br />

präsentiert eine schöne Schlusspointe. cm<br />

raBBIT HoLe<br />

uS 2010, regie: john Cameron Mitchell, Ascot Elite<br />

Things ain’t nice anymore.<br />

Der vierjährige Sohn von<br />

Becca und Howie ist bei<br />

einem Unfall ums Leben<br />

gekommen und sie kommen<br />

nicht darüber hinweg.<br />

Das ist eigentlich alles,<br />

was der Film erzählen<br />

will. Ein Schwebezustand<br />

um eine Leerstelle herum, mit kleinen Fluchten,<br />

unvermeidbaren Diskussionen, hilflosen Entscheidungen.<br />

Es trifft einen Mr. und eine Mrs.<br />

Perfect, weiß, intellektuell, gutaussehend, deren<br />

Vororttraum eines selbstgemachten Glücks<br />

mit einem Schlag ausgeträumt ist. Aber der Film<br />

denunziert sie nicht, er hat Mitleid mit ihnen.<br />

Wie überhaupt jede Figur hier zu ihrem Recht<br />

kommt, menschlich zu sein, auch in den kleinsten<br />

Nebenrollen. Das also ist der langerwartete<br />

neue Film von John Cameron Mitchell, der sich<br />

in Hedwig And The Angry Inch und Shortbus<br />

eher für Alternativen zu dieser Welt interessiert<br />

hatte. Man mag trotzdem in der Art und Weise,<br />

wie Mitchell hier den Finger auf die verwundete<br />

Normalität legt, eine Handschrift erkennen. Realistischerweise<br />

muss man den Film aber als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme<br />

für einen talentierten<br />

Hollywood-Außenseiter sehen: ein<br />

Auftrag von Nicole Kidman (mach mir eine Oscar-Rolle<br />

– was auch beinahe geklappt hätte),<br />

ein pulitzerpreisgekröntes Theaterstück, das<br />

der Autor selbst umgeschrieben hat, eine gut<br />

ausgestattete Produktion von Fox Searchlight.<br />

Und doch stimmt alles an diesem Film: Nicole<br />

Kidman ist großartig, die Dialoge auch, jedes<br />

Bild sitzt. Und das alles, um das schwarze Loch<br />

einer Traurigkeit einzufangen, aus dem es keinen<br />

Ausweg gibt. Traurige Filme erscheinen<br />

hierzulande auf DVD und kommen gar nicht<br />

erst ins Kino. Die Parallelwelt, die Beccas jugendlicher<br />

Freund im Film in seine Comics<br />

zeichnet, ist den Bedürfnissen des deutschen<br />

Kinopulikums offensichtlich sehr ähnlich: „Irgendwo<br />

da draußen existieren andere Versionen<br />

von uns, die nicht traurig sind.“ jk<br />

44<br />

ÜBerLeBeN IN NeW yorK<br />

NeW yorK MeMorIes<br />

dIe JuNgs VoM BaHNHof Zoo<br />

DE 1989/2010/2011, regie: rosa von Praunheim, basis dvd<br />

Die dokumentarische<br />

Methode Rosa von Praunheims<br />

ist nichts für Feingeister:<br />

Hektisch geschnitten<br />

sind diese<br />

Filme, plakativ bebildert,<br />

laut in der Wahl von Orten,<br />

Szenen und Protagonisten,<br />

mit einer manchmal<br />

ehrlichen, manchmal eitlen Anwesenheit<br />

des Regisseurs in ihnen, das Ganze ungeheuer<br />

produktiv herausgehauen, mindestens ein<br />

Film pro Jahr, fast schon in fassbinderschen<br />

Dimensionen. Das hat Vor- und Nachteile –<br />

führt aber auch, was die einzelnen Filme angeht,<br />

zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen.<br />

Einzigartig ist das Projekt, das dahintersteht:<br />

eine oft schwule, manchmal tatsächlich queere<br />

filmische Geschichtsschreibung über Erinnerungen,<br />

Sichtweisen und Menschen, die im<br />

‚offiziellen‘ Bewusstsein nicht dazu gehören,<br />

oder nicht „so“ dazugehören, wie Praunheim<br />

sie zeigt. Überleben und Erinnern sind die beiden<br />

Achsen dieses Konzepts. Überleben als alleinstehende<br />

deutsche Frau in New York während<br />

der Hochphase von Crack. Oder als Junge<br />

auf dem Berliner Strich. Erinnern an queere<br />

Kämpfe, wilde Zeiten, die eigene Jugend, an<br />

vergessene Stars. Ob das einen eigenen Drive<br />

kriegt, hängt vor allem von den Protagonisten<br />

ab, die Praunheim findet: Seine drei Frauen in<br />

New York sind nach wie vor unschlagbar, auch<br />

als Wiedergefundene im NY-Erinnerungsfilm.<br />

Ihre fremden Perspektiven, ihre ganz unterschiedlichen<br />

Strategien verbinden sich in Rosas<br />

Erfolgsfilm von 1989 mit der experimentellen<br />

Jazzmusik und den grenzgenialen Bildern<br />

des jungen Kameramanns Jeff Preiss zu einem<br />

atmosphärischen Gewebe, das einer Stadt,<br />

aber auch den Protagonistinnen in jedem Moment<br />

gerecht wird. Das gelingt in anderen Filmen<br />

nicht immer – den Berliner Strichern<br />

kommt man nicht nah, weil sie gar nicht genug<br />

Raum bekommen, weil ihre Geschichten von<br />

Initiativen und Hilfsprojekten vermittelt bzw.<br />

in den Film eingespeist werden, weil den Roma-Jungs<br />

sogar das Wort entzogen und durch<br />

eine Übersetzerstimme ersetzt wird. Und<br />

nicht alle Protagonisten in den eher persönlichen<br />

Filmen haben wirklich etwas zu sagen<br />

(die nervigen Geschwister Pohl im Memories-<br />

Film z.b., die wohl jede Kamera nehmen, die<br />

sie kriegen), manchmal auch er selbst nicht.<br />

Wie das Ganze zusammengeschnitten wird,<br />

ist oft bestürzend wirr und planlos – was<br />

manchmal passt (zur komplexen Recherche in<br />

Meine Mütter z.b., in der ja selbst irgendwann<br />

der Überblick verloren geht), manchmal aber<br />

auch schade ist, vor allem, wenn Menschen<br />

nur noch auf einzelne Statements reduziert<br />

werden wie die Berliner Stricher.<br />

Trotzdem wird man und muss man auf jeden<br />

neuen Praunheimfilm gespannt bleiben.<br />

So viele FilmemacherInnen gibt es nicht, die<br />

konsequent ‚unsere‘ Geschichte(n) erzählen.<br />

Vielleicht bräuchten die Projekte im Einzelnen<br />

mehr Zeit, um in die Tiefe zu gehen. Aber das<br />

könnten ja auch mal andere machen. Der Punk<br />

der schnellen Praunheimproduktionen steht<br />

für sich. jk<br />

VeruscHKa – INsZeNIeruNg<br />

(M)eINes KÖrPers<br />

DE 2005/11, regie: Paul Morissey & Bernd Böhm, Missing-<br />

Films / PF Media<br />

Wie üblich macht Vera<br />

von Lehndorff alles selbst.<br />

Auch den Veruschka-Karriererückblick.<br />

Dass der<br />

seit den 1970ern in die Obskurität<br />

gerutschte Paul<br />

Morissey (Flesh usw.) hier<br />

als Regisseur firmiert,<br />

darf nicht darüber hinwegtäuschen,<br />

dass das „erste deutsche Topmodel“,<br />

die „schönste Frau der Welt“ (Richard<br />

Avedon), die große Verwandlungskünstlerin<br />

hier selbst alles geschrieben, vorgelesen, erzählt<br />

hat, was sie zum Thema „Ich“ für relevant<br />

hält. Nichts Privates natürlich, sondern<br />

Prinzipien, Tricks, Werkberichte einer Künstlerin,<br />

die mit ihren vielen Identitäten spielt,<br />

wie sie lustig ist. Obwohl … lustig ist sie eigentlich<br />

nicht. Wenn sie ein Kinderfoto zeigt, sagt<br />

sie dazu: „Arischer Babyspeck im Schloss“.<br />

Ihre Model-Tätigkeit war für sie „Kleiderständer<br />

sein“. Und sie gibt nur zögerlich zu:<br />

„Manchmal war auch ich ein Fan von Veruschka<br />

– manchmal …“<br />

Ein toller und verrückter Bilderbogen ist das<br />

hier, von einem Musikteppich zugedeckt wie<br />

eine Modenschau, von der knarzenden Stimme<br />

der Erzählerin angetrieben. Die tausend<br />

Verwandlungen der Vera von L. nehmen einem<br />

ohnehin den Atem, diese 1,83m „Storchensalat“<br />

(Spitzname als Kind) mit Big Hair und<br />

Bodypaint, dessen Leitmotiv laut Susan Sontag<br />

war, „das Selbst in der Welt aufzulösen“. Kein<br />

Wunder, wenn man schon als Kind Model für<br />

Nazi-Inszenierungen war, wenn die Mutter<br />

die Rechnung für die Hinrichtung des Vaters<br />

bekam, wenn man in Sippenhaft genommen<br />

und vertrieben wurde, nie nur ein Körper, sondern<br />

Künstlerin war, in Deutschland aber vorzugsweise<br />

als „die nackte Gräfin“ bezeichnet<br />

wurde. Gerne hätte man mehr über Jet, ihren<br />

afghanischen Windhund erfahren. Oder ob sie<br />

noch andere Affären hatte als mit den vielen<br />

Kameras. Aber als Lehrstunde in Stil & Queerness<br />

reicht das. jk<br />

s Immer, wenn man Bernhard Reuther als<br />

Print-Journalist gegenübersitzt, ist man auf<br />

eine Art froh, nicht beim Hörfunk oder Fernsehen<br />

zu arbeiten. Denn er ist ein Zurückhaltender<br />

seiner Zunft, ja fast schon ein Stiller.<br />

Einer, der es partout nicht mag, sich zu produzieren.<br />

Der das gar nicht kann. Und das,<br />

wer wüsste es nicht, ist wunderbar! Wäre er<br />

anders, hätte er alles, nur nicht seit über zwölf<br />

Jahren ein kleines Kino im Osten von Dresden.<br />

Das k.i.d steht für „kino im dach“ – es ist<br />

Bernhard Reuthers kid.<br />

Reuther ist Dresdner, geboren in der Elbestadt,<br />

die eine einzigartige Infrastruktur in<br />

Sachen Kino aufzuweisen hat. 18 Spielstätten<br />

für 510.000 Einwohner gibt es hier, 55<br />

Säle mit über 10.000 Sitzen. Auch Bernhard<br />

Reuther freilich sieht „seine“ 98 am liebsten<br />

besetzt oder zumindest gut gefüllt. „Für<br />

den Zuschauer“, so der 33-Jährige, „kann<br />

es eigentlich nichts Besseres geben, als in<br />

einer solchen Stadt zu leben.“ Das bedeutet<br />

zudem ein nachgerade üppiges Angebot im<br />

Arthaus-Sektor, das über Jahre hinweg stabil<br />

und selbstredend umkämpft ist. Trotz einer<br />

erstaunlich grundsolidarischen Haltung der<br />

Betreiber untereinander.<br />

Reuther als Ein-Saal-Chef am Stadtrand<br />

bekommt seit jeher den rauen Wind der Branche<br />

zu spüren. Jammern aber hört ihn keiner.<br />

Denn seine Meinung, dass „es immer wieder<br />

kleine Filme geben wird, für die es sich zu<br />

kämpfen lohnt“, ist keine Attitüde, sondern<br />

Überzeugung.<br />

Oft spricht er dabei von der Balance, die<br />

es im Programm zu finden gilt. Bernhard<br />

Reuther balanciert seit 1999 im obersten<br />

Stockwerk eines Gebäudes, das von der Stadt<br />

als „Medienkulturhaus“ aufgebaut wurde<br />

und Initiativen, Vereine, Firmen dieser Richtung<br />

beherbergt. Er balanciert vor allem auch<br />

für „50 oder 80 glückliche Besucher in der<br />

Woche bei schwierigen oder eigenwilligen<br />

Filmen“. Dokumentarfilme gehören immer<br />

wieder dazu, sind gar zu einem inhaltlichen<br />

Schwerpunkt geworden. Ebenso Nachwuchsproduktionen<br />

und kleine, eher vernachlässigte<br />

deutsche Erstaufführungen, darunter –<br />

aus reinem Selbstverständnis – jene aus dem<br />

schwul-lesbischen Bereich. Reuther hat sie<br />

Bernhard The Kid<br />

von anDreaS körner<br />

Dresdens erste Kinoadresse für nicht-heterosexuelle und auch sonst besondere<br />

‚kleine‘ Filme ist das „Kino im Dach“ (k.i.d), das Bernhard reuther seit 1999 mit<br />

großer Leidenschaft führt. Für diese Leidenschaft bekam er im rahmen der Berlinale<br />

2012 den Manfred-Salzgeber-Preis.<br />

seit jeher ins Programm integriert, er braucht<br />

dafür keine ausgestellte Themenreihe oder<br />

ein „Extra“ wie die Konkurrenz. Er macht<br />

daraus gleich gar kein „Event“, was ihm, einer<br />

zwielichtigen Zeitströmung folgend, vielleicht<br />

sogar mehr Gäste bringen würde. Doch,<br />

will er das wirklich? Auf diese Weise?<br />

Jeder, der Bernhard Reuther kennt, weiß<br />

um die Antwort und seine Sehnsucht nach<br />

echten Überraschungen, wie es in den letzten<br />

Jahren Filme wie Kinshasa Symphony,<br />

Rubljovka – Straße zur Glückseligkeit, Die<br />

Frau mit den 5 Elefanten oder Kaboom gewesen<br />

sind. Dafür lohnt sich jedes Detail seiner<br />

Arbeit, die bei einem Kino dieser Größe und<br />

Stellung streng personenbezogen ist, immer<br />

den selbstausbeuterischen Aspekt der freien<br />

Szene in sich trägt, aber eben auch – und so<br />

unendlich hoch im Wert – die Silbe „frei“.<br />

Reuther will die Reaktionen der Besucher<br />

sehen und spüren, an 80 Prozent der Abende<br />

im Jahr ist er selbst im k.i.d. Wo sonst? Film<br />

war immer für ihn wichtig. In den bewegten<br />

90ern war er eine Art Springer beim „Filmfest<br />

Dresden“, aus dem längst das Internationale<br />

Festival für Animations- und Trickfilm<br />

gewachsen ist. Die Chance einer Spielstätte<br />

profil<br />

im Eigenbetrieb war zugleich eine Herausforderung,<br />

denn die altdeutsche Idee eines kommunalen<br />

Kinos wurde aus guten Gründen<br />

für Dresden sehr zeitig begraben. Und: „Zauberland“<br />

heißt Reuthers eigener Filmverleih,<br />

den er in besseren Zeiten gegründet und dort<br />

kleine Feine wie SommerHundeSöhne, Wir,<br />

Jena Paradies oder Jagdhunde herausgebracht<br />

hat. Doch er weiß auch genau, wann er Nein<br />

sagen muss. Das traut man ihm gar nicht zu …<br />

Eigene Rechnung – eigenes Risiko –<br />

eigene Freude. Seit 1999 ging es im k.i.d um<br />

über 1.000 Filme, über 9.000 Vorstellungen<br />

für über 170.000 Besucher. Es ging nicht<br />

um Programmpreise von Institutionen, die<br />

Bernhard Reuther natürlich bekommen hat.<br />

Es geht sicher auch nicht um den „Manfred-<br />

Salzgeber-Preis“, der ihm gerade verliehen<br />

wurde. Nie vordergründig. Und doch sieht<br />

man Reuther an, wenn er sich darüber freut.<br />

„Zähne zusammenbeißen und durch!“.<br />

So treibt er sich selbst an, wenn es Durststrecken<br />

gibt. Man glaubt, er würde es nur<br />

flüstern … s<br />

Kino im Dach, Schandauer Str. 64, Dresden<br />

www.kino-im-dach.de<br />

45<br />

BLEND3/FrANK GräTZ


abspann<br />

DvD-bezugSquellen<br />

Nicht-heterosexuelle DVDs erhalten Sie unter anderem in den folgenden Läden. Die Auswahl<br />

wird laufend ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!<br />

BeRlIn B_BOOKS Lübbenerstr. 14, 030/6117844 · BRunO’S Bülowstr. 106,<br />

030/61500385 · BRunO’S Schönhauser Allee 131, 030/61500387 · DuSS-<br />

MAnn Friedrichstr. 90 · gAleRIe JAnSSen Pariser Str. 45, 030/8811590<br />

· KADeWe Tauentzienstr. 21–24 · MeDIA MARKT AlexA Grunerstr. 20 · Me-<br />

DIA MARKT neuKölln Karl-Marx-Str. 66 · negATIvelAnD Dunckerstr.<br />

9 · PRInz eISenHeRz BuCHlADen Lietzenburger Str. 9a, 030/3139936 ·<br />

SATuRn AlexAnDeRPlATz Alexanderplatz 7 · SATuRn euROPACenTeR<br />

Tauentzienstr. 9 · vIDeO WORlD Kottbusser Damm 73 · vIDeODROM Fürbringer<br />

Str. 17 BOCHuM SATuRn Kortumstr. 72 DARMSTADT SATuRn<br />

Ludwigplatz 6 DORTMunD lITFASS DeR BuCHlADen Münsterstr. 107,<br />

0231/834724 DüSSelDORF BOOKxxx Bismarckstr. 86, 0211/356750 ·<br />

SATuRn Königsallee 56 · SATuRn Am Wehrhahn 1 eSSen MülleR Limbecker<br />

Str. 59–65 FRAnKFuRT/MAIn OSCAR WIlDe BuCHHAnDlung<br />

Alte Gasse 51, 069/281260 · SATuRn Zeil 121 HAMBuRg BuCHlADen<br />

MÄnneRSCHWARM Lange Reihe 102, 040/436093 · BRunO’S Lange Reihe/Danziger<br />

Str. 70, 040/98238081 · eMPIRe MegASTORe Bahrenfelder<br />

Str. 242–244 · MeDIA MARKT Paul-Nevermann-Platz 15 Köln BRunO’S<br />

Kettengasse 20, 0221/2725637 · MeDIA MARKT Hohe Str. 121 · SATuRn<br />

Hansaring 97 · SATuRn Hohe Str. 41–53 · vIDeOTAxI Hohenzollernring 75–<br />

77 leIPzIg leHMAnnS BuCHHAnDlung Grimmaische Str. 10 MAnn-<br />

HeIM DeR AnDeRe BuCHlADen M2 1, 0621/21755 MünCHen BRunO’S<br />

Thalkirchner Str. 4, 089/97603858 · lIlleMOR’S FRAuenBuCHlADen<br />

Barerstr. 70, 089/2721205 · SATuRn Schwanthalerstr. 115 · SATuRn Neuhauser<br />

Str. 39 nüRnBeRg MülleR Königstr. 26 STuTTgART BuCHlADen<br />

eRlKönIg Nesenbachstr. 52, 0711/639139 TRIeR MeDIA MARKT<br />

Ostallee 3–5 TüBIngen FRAuenBuCHlADen THAleSTRIS Bursagasse<br />

2, 07071/26590 WIen BuCHHAnDlung löWenHeRz Berggasse 8,<br />

+ 43/1/13172982 WüRzBuRg MülleR Dominikanerplatz 4<br />

KinOS<br />

Nicht-heterosexuelle Filme können Sie unter anderem in den folgenden Kinos sehen. Die Auswahl<br />

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AACHen APOllO Pontstr. 141, 0241/9008484 AAlen KInO AM KO-<br />

CHeR Schleifbrückenstr. 15, 07361/5559994 ASCHAFFenBuRg CASInO<br />

FIlMTHeATeR Ohmbachsgasse 1, 06021/4510772 AugSBuRg CIneMAxx<br />

Willy-Brandt-Platz 2, 01805/24636299 BAD FüSSIng FIlMgAleRIe<br />

Sonnenstr. 4, 08531/980555 BAMBeRg lICHTSPIel Untere Königstr.<br />

34, 0951/26785 BeRlIn ARSenAl Potsdamer Str. 2, 030/26955100 ·<br />

KInO InTeRnATIOnAl Karl-Marx-Allee 33, 030/24756011 · xenOn KInO<br />

Kolonnenstr. 5–6, 030/78001530 · CIneMAxx POTSDAMeR PlATz Potsdamer<br />

Str. 5, 01805/24636299 · eISzeIT Zeughofstr. 20, 030/6116016 ·<br />

FSK AM ORAnIenPlATz Segitzdamm 2, 030/6142464 · TIlSITeR lICHT-<br />

SPIele Richard-Sorge-Str. 25a, 030/4268129 · zuKunFT Laskerstr.<br />

5, 0176/57861079 BIeleFelD CIneMAxx Ostwestfalenplatz 1,<br />

0521/5833583 BOCHuM enDSTATIOn KInO IM BHF. lAngenDReeR<br />

Wallbaumweg 108, 0234/6871620 BRAunSCHWeIg C1 CIneMA Lange<br />

Str. 60 BReMen CITY 46 Birkenstr. 1, 0421/44963582 · CIneMAxx Breitenweg<br />

27, 01805/24636299 DORTMunD SCHAuBuRg Brückstr. 66,<br />

0231/9565606 · SWeeTSIxTeen Immermannstr. 29, 0231/9106623 DReS-<br />

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Hüblerstr. 8, 01805/24636299 eRlAngen MAnHATTAn<br />

Güterhallenstr. 4, 09131/22223 eSSen CIneMAxx Berliner Platz<br />

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0711/31059510 FRAnKFuRT/MAIn leSBISCH-SCHWuleS KulTuRHAuS<br />

Klingerstr. 6, 069/293045 · MAl SeH’n Adlerflychtstr. 6, 069/5970845<br />

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46<br />

IMPReSSuM<br />

herausgeber Björn Koll<br />

verlag Salzgeber & Co. Medien GmbH<br />

Mehringdamm 33 · 10961 Berlin<br />

Telefon 030 / 285 290 90 · Telefax 030 / 285 290 99<br />

Redaktion Jan Künemund, presse@salzgeber.de<br />

Art Director Johann Peter Werth, werth@salzgeber.de<br />

Autoren Thomas Abeltshauser, Biru David Binder, Richard Garay, Fritz Göttler, Jan<br />

Gympel, Peter Kern, Andreas Körner, Jan Künemund, Christoph Meyring,<br />

Wolfgang Müller, Manuel Schubert, Paul Schulz, Maike Schultz, Michael<br />

Sollorz, André Wendler, Sascha Westphal<br />

Dank an Frieder Schlaich<br />

Anzeigen Jan Nurja, nurja@salzgeber.de<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste 01/2012 (www.sissymag.de/media).<br />

SISSY erscheint alle drei Monate, jeweils für den Zeitraum Dezember/<br />

Januar/Februar – März/April/Mai – Juni/Juli/August – September/<br />

Oktober/November. Auflage: 40.000 Exemplare (Druckauflage).<br />

Druck Möller Druck, Berlin<br />

Rechte Vervielfältigung, Speicherung, Weiterverarbeitung oder Nutzung sowohl<br />

der Texte als auch der Bilder zu kommerziellen Zwecken bedürfen einer<br />

schriftlichen Genehmigung des Herausgebers.<br />

bezugsquellen Hier liegt die SISSY kostenlos aus: deutschlandweit in den schwullesbischen<br />

Buchläden und in den CinemaxX-Kinos in Augsburg, Berlin,<br />

Bielefeld, Bremen, Dresden, Essen, Hamburg, Hannover, Magdeburg,<br />

Mannheim, München, Münster, Oldenburg, Stuttgart. potsdam<br />

Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“. berlin BarbieBar,<br />

Deutsche Film- und Fernsehakademie, La Dolce Vita Naturkost. bochum<br />

Orlando. kiel Birdcage. hamburg Café Gnosa, Café unter den Linden,<br />

Jimmy Elsass. köln Café Era, Bastard Bar, Kunsthochschule für<br />

Medien. münchen Moro, Kraftakt, Sub e.V. stuttgart Rubens Home,<br />

Jakobstube. frankfurt/main Bar Central. leipzig Rosa Archiv, Rosa<br />

Linde e.V.. düsseldorf Café Seitensprung. hannover Café Caldo, Café<br />

Konrad. mainz Bar jeder Sicht. nürnberg Fliederlich e.V., Café Fatal.<br />

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