Magazin 65 - Grüner Kreis
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| grünerkreisAlkohol<br />
Alkohol und Medizin<br />
Die Alkoholkrankheit<br />
aus medizinischer Sicht<br />
Es ist ein Brauch von Alters her,<br />
Wer Sorgen hat, hat auch Likör.<br />
(Wilhelm Busch)<br />
Im folgenden Beitrag wird die Alkoholkrankheit<br />
aus medizinischer Sicht dargestellt. Je<br />
nach Dauer des Bestehens, Menge der Alkoholzufuhr<br />
und auch individueller Veranlagung<br />
kommt es im Laufe der Zeit zu schweren<br />
Schädigungen des Körpers, der geistigen und<br />
seelischen Fähigkeiten, der Beziehungszusammenhänge<br />
und der sozialen und berufl ichen<br />
Integration des/der Alkoholkranken. Nicht<br />
immer wird das gesamte Krankheitsbild<br />
manifest, doch sehen wir in der Praxis – im<br />
Rahmen unserer Arbeit in der Einrichtung<br />
Johnsdorf – immer wieder auch PatientInnen<br />
mit den unten beschriebenen schwersten Folgen<br />
chronischen Alkoholkonsums (Demenz,<br />
Leberzirrhose bis zur Lebertransplantation,<br />
Alkoholpolyneuropathie etc.).<br />
Der Beginn. Der Beginn des Konsums alkoholischer<br />
Getränke ist immer sozial motiviert.<br />
Im Gegensatz zu durchschnittlichen TrinkerInnen<br />
empfi ndet der/die spätere Alkoholiker/in<br />
befriedigende Erleichterung, entweder<br />
weil seine/ihre inneren Spannungen größer<br />
sind oder er/sie im Gegensatz zu anderen<br />
nicht gelernt hat, mit diesen umzugehen. Anfangs<br />
schreibt der/die Trinker/in seine/ihre<br />
Erleichterung eher der Situation zu („lustige<br />
Gesellschaft “) als dem Trinken. Er/Sie sucht<br />
Gelegenheiten, bei denen beiläufi g getrunken<br />
wird.<br />
Die Ursachen. Die Hauptursache für die Erkrankung<br />
scheint in der psychosozialen Entwicklung<br />
zu liegen. Alkohol wird häufi g zum<br />
Abbau innerer Spannungen eingesetzt. Diese<br />
Spannungen können unter anderem durch<br />
äußeren oder inneren Druck, einem bestimmten<br />
Bild oder Leistungsanforderungen zu entsprechen,<br />
durch soziale und andere Ängste<br />
sowie durch Beziehungsprobleme ausgelöst<br />
werden. Häufi g führen Beziehungsabbrüche<br />
und Verlust des Arbeitsplatzes – die nicht<br />
selten durch den bereits bestehenden Alkoholmissbrauch<br />
mit verursacht sind – zu einer<br />
weiteren gravierenden Verschlechterung der<br />
Alkoholkrankheit mit möglichen katastropha-<br />
4 frühjahr 2008<br />
heitlichen und sozialen Schäden.<br />
Allerdings werden auch genetisch<br />
verursachte Unterschiede diskutiert,<br />
etwa im Alkoholabbau (Effi -<br />
zienz der Alkoholdehydrogenase)<br />
oder im Neurotransmitterstoff -<br />
wechsel des Gehirns. Grundsätzlich<br />
muss wohl wie bei vielen<br />
psychischen Erkrankungen von<br />
einer multifaktoriellen Entstehung ausgegangen<br />
werden, die auch von der sogenannten<br />
Vulnerabilität (psychische Verletzlichkeit)<br />
des/der Einzelnen abhängt. Genetische und<br />
psychische Ursachen scheinen sich in etwa<br />
die Waage zu halten.<br />
Die Folgen des chronischen Alkoholismus.<br />
Diese Folgen liegen auf der psychischen, der<br />
zwischenmenschlichen, der sozialen und der<br />
körperlichen Ebene.<br />
Die psychischen Folgen. Bei chronischem<br />
Alkoholkonsum kommt es neben ängstlichem,<br />
depressivem und aggressivem Empfi nden<br />
zur sogenannten alkoholtoxischen Wesensveränderung.<br />
Sie lässt einzelne vorgegebene<br />
Persönlichkeitseigenheiten stärker in Erscheinung<br />
treten. Eine reizbare Persönlichkeit wird<br />
noch reizbarer, eine ängstliche noch ängstlicher<br />
erscheinen, vorhandene Eifersucht kann<br />
sich bis zum Eifersuchtswahn steigern. Die<br />
Belastbarkeit für alltägliche Anforderungen,<br />
Verlässlichkeit und Durchhaltevermögen des<br />
eigenen Handelns nehmen ab, es kommt zu<br />
Stimmungsschwankungen, mangelnder Konzentration<br />
und Aufmerksamkeit. Das Wesen<br />
des/der Alkoholkranken wird undiff erenzierter<br />
und gröber. Die Wesensveränderung<br />
kann sich in Kritik- und Urteilsschwäche,<br />
Unehrlichkeit, Verwahrlosung, Dissozialität<br />
und Kriminalität manifestieren und ist immer<br />
Ausdruck der im Zentrum getroff enen<br />
und veränderten („entkernten“) Persönlichkeit,<br />
der das Vermögen verloren gegangen<br />
ist, den eigenen Seinsentwurf zu leben. Zur<br />
Wesensveränderung gehören auch die Bagatellisierungs-<br />
und Verleugnungstendenzen<br />
bezüglich der eigenen Trinkgewohnheiten.<br />
Je ausgeprägter die organischen<br />
Hirnveränderungen sind, desto einförmiger<br />
zeigt sich die alkoholtoxische Wesensänderung<br />
und umso mehr verwischen<br />
sich die individuellen Besonderheiten. Die<br />
schwerwiegendsten Auswirkungen liegen in<br />
der Veränderung der zwischenmenschlichen<br />
und sozialen Bezüge und Wechselwirkungen.<br />
Deshalb ist die alkoholtoxische Wesensveränderung<br />
die schwerwiegendste Alkoholismus-<br />
Folge überhaupt.<br />
Die zwischenmenschlichen Folgen der Alkoholkrankheit.<br />
Durch die oben beschriebenen<br />
Veränderungen, zu denen der chronische Alkoholkonsum<br />
beim/bei der Alkoholkranken<br />
selbst führt, wird seine/ihre Beziehungsfähigkeit<br />
stark in Mitleidenschaft gezogen. Die<br />
Menschen, mit denen er/sie in engem Kontakt<br />
ist, versuchen, die durch den Alkoholkonsum<br />
entstehenden Ausfälle zu kompensieren, den/<br />
die Alkoholkranke/n vom Trinken abzuhalten<br />
und seine/ihre Sucht zu kontrollieren. Dieses<br />
Verhalten wird auch als Co-Abhängigkeit<br />
bezeichnet. Immer wiederkehrende Enttäuschungen<br />
durch die mangelnde Zuverlässigkeit,<br />
durch Streitsucht und Gewalttätigkeit des/der<br />
Alkoholkranken führen früher oder später zu<br />
Beziehungsabbrüchen, um das eigene Überleben<br />
zu sichern. Obwohl dies beim/bei der<br />
Alkoholkranken häufi g zu einer Verschlechterung<br />
seiner/ihrer Sucht führt, bekommt er/<br />
sie möglicherweise dadurch auch die Chance,<br />
den Ernst seiner/ihrer Lage zu erkennen und<br />
aus eigenem Antrieb etwas gegen seine/ihre<br />
Sucht zu unternehmen.<br />
len Zusammenbrüchen und weiteren gesund- FORTSETZUNG AUF SEITE 5