Stenographischer Bericht 227. Sitzung - Deutscher Bundestag
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Cem Özdemir<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 14. Wahlperiode – <strong>227.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002<br />
Auch wir in der Bundesrepublik Deutschland haben in<br />
vielen Kommunen schon positive Erfahrungen mit direkter<br />
Demokratie auf kommunaler Ebene gemacht. Ich will die<br />
Gelegenheit nutzen, um deutlich zu machen – das ist ein<br />
Anliegen nicht nur meiner Fraktion, sondern auch der Kollegen<br />
aus der SPD und, wie ich glaube, der PDS und der<br />
FDP –, dass wir die direkte Demokratie in der Bundesrepublik<br />
Deutschland auf allen staatlichen Ebenen, auf kommunaler<br />
wie auf Landes- und Bundesebene, stärken sollten.<br />
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)<br />
Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir starke Kommunen<br />
wollen, in denen die Bürgerinnen und Bürger das<br />
Gefühl haben, dass sie in ihrer Kommune gefragt werden,<br />
und zwar nicht nur dann, wenn es um Kommunalwahlen,<br />
um Stadtrats- oder Kreistagswahlen, geht.<br />
Ich bleibe beim Beispiel der Schweiz; ich habe mir das<br />
mit dem Innenausschuss angeschaut. Manches kommunale<br />
Denkmal eines Bürgermeisters wäre uns möglicherweise<br />
erspart geblieben, wenn über ihm – wie in der<br />
Schweiz; mich hat das wirklich beeindruckt – das Damoklesschwert<br />
einer direkten Abstimmung geschwebt hätte.<br />
Schauen Sie sich die Schweiz an und vergleichen Sie das<br />
mit uns! Dann wissen Sie, dass das Verfahren nicht dazu<br />
führt, dass unvernünftige Entscheidungen gefällt werden.<br />
Im Gegenteil, es führt dazu, dass die Kommunen sehr<br />
kritisch und sehr achtsam mit den Finanzen umgehen, weil<br />
sie wissen, dass sie ihr Verhalten im Zweifelsfall auch zwischen<br />
den Wahlen rechtfertigen müssen. Das schwächt die<br />
Kommunen nicht, im Gegenteil, es stärkt sie.<br />
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-<br />
SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)<br />
Ein Aspekt ist sicher auch die Frage, wie wir künftig<br />
die Eigenständigkeit unserer Kommunen innerhalb Europas<br />
stärken können. Die Eigenständigkeit der Kommunen<br />
ist eben, wie bereits in der Debatte betont, nicht nur<br />
von den Ländern und dem Bund bedroht, sondern wird<br />
zunehmend auch von Europa infrage gestellt.<br />
(Roland Claus [PDS]: Dass Sie zugeben, dass<br />
sie vom Bund bedroht wird, ist schon interessant!)<br />
Hier muss es eine Neuordnung der Kompetenzen geben,<br />
eine Neuordnung des Mehrebenensystems innerhalb<br />
Europas. Nur so kann – ich glaube, hier für alle sprechen<br />
zu können – die kommunale Selbstverwaltung innerhalb<br />
Europas gesichert werden. Dabei geht es – zu den Finanzen<br />
will ich, wie bereits betont, nichts sagen –<br />
(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Es ist<br />
auch besser, wenn Sie dazu nichts sagen!)<br />
um eine Mischfinanzierung genauso wie um eine Durchsetzung<br />
des Subsidiaritätsprinzips, das heißt: so zentral wie<br />
nötig und so dezentral wie möglich. Das muss unser Grundsatz<br />
sein im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses.<br />
Herr Staatssekretär Körper hat bereits ein Lob für die<br />
Stadträte ausgesprochen.<br />
(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Der hört<br />
eh nicht zu! – Albert Deß [CDU/CSU]: Der ist<br />
vollkommen desinteressiert!)<br />
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Ich will dieses Lob ergänzen um ein Lob für all diejenigen,<br />
die auf kommunaler Ebene Verantwortung übernehmen,<br />
beispielsweise im Prozess der Lokalen Agenda 21.<br />
Was dort an vorbildlicher Arbeit fraktionsübergreifend in<br />
vielen Kommunen geleistet wird – dies gilt im Übrigen<br />
auch für die Nichtregierungsorganisationen –, verdient<br />
ausdrücklich Anerkennung. Denn hier wird Verantwortung<br />
für die Kommune übernommen, aber darüber hinaus<br />
auch für eine sich vereinigende Welt. Das sollte durchaus<br />
einmal gewürdigt und anerkannt werden.<br />
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN<br />
und bei der SPD – Harald Friese [SPD]: Global<br />
denken, lokal handeln!)<br />
– Richtig, Herr Kollege. – Das bedeutet, dass auch in der<br />
Kommune Wirtschaft, Soziales und Umwelt zusammengehen<br />
müssen, so wie es 1992 auf dem Kongress in Rio<br />
von allen gefordert wurde.<br />
Ich will das Lob aber noch konkretisieren: Ich denke<br />
beispielsweise an unsere württembergische Gemeinde<br />
Konstanz, die Vorbildliches geleistet hat, übrigens mit<br />
einem grünen Oberbürgermeister.<br />
(Harald Friese [SPD]: Deshalb denken Sie ja<br />
daran!)<br />
– So ist es. – Der Prozess, der dort stattgefunden hat, führte<br />
dazu, dass sich die Bürgerinnen und Bürger engagieren<br />
und einbringen, sei es für Spielplätze, für eine fußgängerfreundliche<br />
Gestaltung von Umgehungsstraßen, sei es für<br />
den Ausbau von Radwegen. Dies hat der Kommune gut<br />
getan. Die Bürgerinnen und Bürger haben dementsprechend<br />
ein sehr viel stärkeres Gefühl, dass dies ihre Dinge<br />
sind, als wenn alles nur von oben par ordre du mufti verordnet<br />
wird.<br />
In einer sich globalisierenden Welt geht es natürlich<br />
auch um die Frage der Daseinsvorsorge. Auch hier sind<br />
die Kommunen zunehmend mit der Liberalisierung von<br />
Aufgaben der Daseinsvorsorge beschäftigt. Dies bedeutet<br />
beispielsweise im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs<br />
für mich auch – ich weiß, dass dies unterschiedlich<br />
gesehen wird –, dass der Verkauf von Anteilen der<br />
Versorgungs- und Verkehrsbetriebe nicht in jedem Fall<br />
der richtige Weg ist, im Gegenteil: Ich glaube, dass die<br />
Kommunen gut beraten sind, wenn sie hier ihre Zuständigkeiten<br />
behalten.<br />
Auch hierzu ein Beispiel aus dem Ländle, weil es dort<br />
oftmals ganz gut klappt: Die Stadt Freiburg hat einen<br />
vorbildlichen öffentlichen Personennahverkehr, der flächendeckend<br />
ausgebaut wurde, der getaktet ist und der<br />
– jetzt kommt es – wirtschaftlich arbeitet. Daran sieht<br />
man, dass sich ein gut ausgebauter öffentlicher Personennahverkehr,<br />
der von den Bürgerinnen und Bürgern angenommen<br />
wird, durchaus rechnen kann und eben nicht zu<br />
den in diesem Zusammenhang oft befürchteten roten Zahlen<br />
führt.<br />
(Bernd Scheelen [SPD]: Die können sogar<br />
Schulden abbauen! – Harald Friese [SPD]:<br />
Kommunen können eben wirtschaften!)<br />
– Richtig. Kommunen können wirtschaften.<br />
(C)<br />
(D)