Jugend, Bildung und Gesellschaft - Institut für Jugendkulturforschung
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Presseunterlagen3.10.2012wird immer dann aufgerufen, aktiv zu sein, wenn es um persönliche Leistungsfähigkeit <strong>und</strong>individuelle Verantwortung geht. Hingegen wird ihm bedeutet, ruhig, zurückhaltend <strong>und</strong>bestenfalls konventionell aktiv zu sein, wenn es um politische oder wirtschaftlicheEntscheidungen <strong>und</strong> Auseinandersetzungen, um die großen gesellschaftlichen Zusammenhängegeht.<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> soziale UngleichheitWir leben in Österreich noch immer in einer soziokulturell gespaltenen <strong>Gesellschaft</strong>. Vor allemin den <strong>Bildung</strong>sinstitutionen werden die alten sozialen Ungleichheiten konserviert <strong>und</strong>reproduziert. Dies bedeutet, dass die Kinder der in der Sozialhierarchie unteren Schichtenunten bleiben, die der Oberen bleiben oben. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel.Dass die Universitäten nach wie vor in erster Linie den Kindern aus höheren<strong>Bildung</strong>sschichten vorbehalten sind, weil deren Habitus besser in den universitärenKulturraum passt, darüber ist sich die Mehrheit der 16- bis 19-jährigen WienerInnen völlig imKlaren. So stimmen knapp 60 Prozent der Aussage „<strong>Jugend</strong>liche aus Akademikerfamilien tunsich an den Universitäten leichter“ zu.Die Matura ist in den Augen der Wiener <strong>Jugend</strong> nach wie vor der <strong>Bildung</strong>sabschluss, durchden entschieden wird, ob man unterhalb oder oberhalb der Respektabilitätsgrenzeangesiedelt ist. Für das gesellschaftliche Ansehen ist die Matura ein entscheidender Faktor.Im Gegensatz dazu wird die Lehre in Wien nach wie vor als Ausbildung der unterenSozialschichten wahrgenommen. Tritt ein Angehöriger der Mittelschicht in den Lehrberuf ein,symbolisiert das einen sozialen Abstieg. Diese distanzierte bis negative Gr<strong>und</strong>haltung inBezug auf die Lehre spiegelt sich im Antwortverhalten der jungen WienerInnen deutlich wider:Über 60 Prozent sind der Auffassung, dass Leute mit Lehre in Österreich weniger Ansehenhaben als MaturantInnen; nur knapp 10 Prozent stimmen dieser Aussage „gar nicht“ zu.Interessant ist, dass die große Mehrheit der Befragten, entgegen den Realitäten am WienerArbeitsmarkt, meint, Leute mit Lehre hätten kein größeres Risiko arbeitslos zu werden alsAkademikerInnen: Fast 60 Prozent stimmen der Aussage „Leute mit Lehre haben inÖsterreich ein größeres Risiko arbeitslos zu werden als Leute mit Matura oder mitStudienabschluss“ nicht zu. Offenbar macht hier noch immer der Mythos vom Handwerk mitdem „goldenen Boden“ die R<strong>und</strong>e.<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Jugend</strong>kulturforschungAlserbachstraße 18, 1090 WienTel.: 0043 / (0)1 / 532 67 95Mail: jugendforschung@jugendkultur.at
Presseunterlagen3.10.2012Fast drei Viertel der Wiener <strong>Jugend</strong>lichen empfinden es als empörend, dass der Staat dengroßen Teil seiner <strong>Bildung</strong>sinvestitionen in höhere Ausbildungsgänge steckt. Sie sind derAuffassung, dass der Staat genauso viel Geld in die Lehrlingsausbildung wie in höhereSchulen <strong>und</strong> Universitäten investieren müsste.Aber auch innerhalb der Lehrausbildung brodelt es. So empfinden es rd. 50 Prozent derBefragten als ungerecht, dass in der Bauindustrie viel höhere Lehrlingsentschädigungengezahlt werden als zum Beispiel im Handel. Ein großer Teil der Wiener <strong>Jugend</strong>lichen ist derAuffassung, dass in allen Branchen gleich hohe Lehrlingsentschädigungen bezahlt werdensollen. Besonders die jungen Frauen be<strong>für</strong>worten dies, was nicht weiter verw<strong>und</strong>ert, da siezum überwiegenden Teil in den „Leichtlohnbranchen“ mit vergleichsweise recht geringenLehrlingsentschädigungen arbeiten. Die weiblichen Lehrlinge haben jedenfalls keinVerständnis <strong>für</strong> die systematische Diskriminierung der jungen Frauen in der Arbeitswelt, die inder Differenz zwischen der Höhe der Lehrlingsentschädigungen in typischen Männerberufen<strong>und</strong> der in typischen Frauenberufen ihren symbolischen Ausdruck findet.Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die jungen WienerInnen äußerst sensibel<strong>für</strong> die ungerechte Verteilung von symbolischem <strong>und</strong> ökonomischem Kapital sind. Dies istinsofern nicht verw<strong>und</strong>erlich, als sich in unserer <strong>Gesellschaft</strong> ein betriebswirtschaftlichesGerechtigkeitsdenken verallgemeinert hat, das die Verteilung von Ressourcen strikt an dasLeistungsprinzip koppelt: Nur wer es sich durch Leistung verdient hat, soll etwas bekommen.Erwerbseinkünfte <strong>und</strong> der allein über Beziehungen (soziales Kapital) vermittelte sozialeAufstieg geraten in diesem Szenario besonders ins Visier.Migrationsoptimismus versus MigrationspessimismusDie FPÖ hat seit 2010 in der Gruppe der ErstwählerInnen (16 bis 19 Jahre) massiv an Bodenverloren hat. Als ein nicht unwesentlicher Gr<strong>und</strong> sind hier die Skandale in der „FPÖ Kärnten“zu nennen, die das Image der Partei auch bei Wiener ErstwählerInnen angepatzt hat. Es gibtaber noch einen weiteren Gr<strong>und</strong> <strong>für</strong> den offensichtlichen Absturz der FPÖ bei den Wiener<strong>Jugend</strong>lichen: Die große Mehrheit der Wiener <strong>Jugend</strong>lichen steht Zuwanderung „sehr positiv“bis „neutral“ gegenübersteht. Nur eine Minderheit von rd. 14 Prozent, sind gegenüberMigrantInnen „sehr negativ“ oder „negativ“ eingestellt.Die urbane <strong>Jugend</strong> könnte in Zukunft demnach nur mehr sehr eingeschränkt einHoffnungssegment <strong>für</strong> die FPÖ darstellen. Viel eher werden die FPÖ-Potentiale der Zukunft in<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Jugend</strong>kulturforschungAlserbachstraße 18, 1090 WienTel.: 0043 / (0)1 / 532 67 95Mail: jugendforschung@jugendkultur.at
Presseunterlagen3.10.2012den höheren Altersgruppen <strong>und</strong> in der ländlichen Bevölkerung zu suchen sein. Offensichtlichhat die tägliche Konfrontation mit Angehörigen anderer Ethnien <strong>und</strong> Kulturen bei den urbanen<strong>Jugend</strong>lichen zu einer größeren „Ambiguitätstoleranz“ geführt; d.h. die jungen Menschenhaben gelernt, mit kulturellen Widersprüchen, Mehrdeutigkeiten <strong>und</strong> mit ästhetischen sowieethischen Differenzen umzugehen. Was <strong>für</strong> die <strong>Jugend</strong> des ausgehenden 20. Jahrh<strong>und</strong>ertsnoch eine Bedrohung darstellte, ist <strong>für</strong> die Mehrheit der heute lebenden Wiener <strong>Jugend</strong>lichenzur Normalität geworden: die Multikulturalität.Die Multikulturalität ist damit, nicht wie so oft behauptet, gescheitert, vielmehr beginnt geradeeine junge Generation sie wie selbstverständlich zu praktizieren. Wie beim ThemaHomosexualität haben vor allem die bildungsnahen <strong>Jugend</strong>lichen bei Multikulturalität keinenDiskussionsbedarf mehr, weil ihnen beides völlig normal erscheint. „Eine Tatsache dessozialen Lebens ist genau so wenig diskutabel wie die Schwerkraft“, so eine 17-jährigeGymnasiastin aus Wien in einer im Dezember 2011 zum Thema „Migration“ durchgeführtenGruppendiskussion.<strong>Jugend</strong>bild: was die <strong>Jugend</strong>lichen am meisten störtWir leben in einer Zeit, in der das konfliktreiche Miteinander der Generationen einem ehergleichgültigen, oft kaum vermittelten Nebeneinander gewichen ist. So jedenfalls wird es invielen Kommentaren der letzten Jahre zum Generationenverhältnis beschrieben. Dennochgibt es noch immer Etikettierungen, mit denen Erwachsene <strong>Jugend</strong>liche auf die Palme treibenkönnen. Was am meisten aufregt, ist die Meinung vieler Erwachsener, dass die <strong>Jugend</strong> vonheute faul <strong>und</strong> motivationslos sei. Auch als „Problemjugend“ <strong>und</strong> als „hedonistischeSpaßgeneration“ lässt man sich nicht gerne punzieren. Nach Ansicht der <strong>Jugend</strong>lichenentstehen solche Vorurteile aufgr<strong>und</strong> eines lebensweltfernen „Tunnelblicks“ <strong>und</strong> einergr<strong>und</strong>sätzlichen Intoleranz gegenüber den Lebensstilen <strong>und</strong> Moden der heutigen <strong>Jugend</strong>.Gr<strong>und</strong>sätzlich zeigt sich, dass die jungen WienerInnen nicht an abstrakten <strong>und</strong> abgehobenenWerten gemessen werden wollen, die allgemeine Gültigkeit beanspruchen. Vielmehr geht esihnen darum, als Individuen in ihrer Eigenständigkeit <strong>und</strong> Besonderheit wahrgenommen <strong>und</strong>beurteilt zu werden. Wenn auch sehr in den Hintergr<strong>und</strong> des Bewusstseins gedrängtschimmert noch immer ihr Wille durch, ihr individuell Besonderes gegen die vereinnahmendeMacht des Allgemeinen zu verteidigen.<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Jugend</strong>kulturforschungAlserbachstraße 18, 1090 WienTel.: 0043 / (0)1 / 532 67 95Mail: jugendforschung@jugendkultur.at