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Peter Haas Aus der Jugendzeit der Rheindampfschiffahrt Gerhard ...

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<strong>Peter</strong> <strong>Haas</strong><br />

<strong>Aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendzeit</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Rheindampfschiffahrt</strong><br />

<strong>Gerhard</strong> Moritz Roentgen<br />

von H e i n z W e b e r<br />

Als die holländische Marineleitung im Jahre 1814 den jungen <strong>Gerhard</strong> Moritz<br />

Roentgen nach England schickte, glaubte sie, die <strong>Aus</strong>bildung eines hoffnungsvollen<br />

Leutnants zur See 2. Klasse weiter zu för<strong>der</strong>n, in Wirklichkeit aber gab sie, ohne es<br />

zu wissen und zu wollen, den Anstoß zu <strong>der</strong> vielleicht grundlegendsten Umwälzung,<br />

die sich jemals in <strong>der</strong> Rheinschiffahrt vollzogen hat.<br />

<strong>Gerhard</strong> Moritz Roentgen war <strong>der</strong> Enkel Abraham Roentgens, dessen Möbelwerkstätte<br />

in Neuwied in ganz Europa berühmt war, und <strong>der</strong> Sohn Ludwig Roentgens, <strong>der</strong><br />

als Superintendent eine zeitlang in Esens in Ostfriesland wirkte, wo sein Sohn <strong>Gerhard</strong><br />

Moritz am 7. Mai 1795 zur Welt kam. Schon in jungen Jahren fühlte er sich zur<br />

Schiffahrt hingezogen, und so fasste er den Entschluss, zur See zu fahren. Ostfriesland<br />

gehörte damals zum Königreich Holland, so dass <strong>der</strong> junge Roentgen sich in<br />

Enkhuizen in den Nie<strong>der</strong>landen zum Marineoffizier ausbilden lassen musste. Doch<br />

da saß er nicht lange auf <strong>der</strong> Schulbank. Die Franzosen, die die tatsächliche Macht<br />

in dem nur formal selbständigen Königreich Holland ausübten, zwangen Roentgen<br />

und seine Kameraden, ihre <strong>Aus</strong>bildung in dem französischen MittelmeerhafenToulon<br />

fortzusetzen. Dieser rüde Eingriff in ihr Leben erbitterte die jungen Leute so sehr,<br />

dass sie unter solchen Umständen auf die Fortsetzung ihrer Karriere lieber verzichten<br />

wollten und die französischen Dienststellen um die Entlassung aus dem aufgezwungenen<br />

Dienst baten. Das wie<strong>der</strong>um brachte die empfindlichen Franzosen so in<br />

Rage, dass sie Roentgen in einem Fort bei Toulon festsetzten. Hier lieferte er sein<br />

erstes Meisterstück. Trotz scharfer Bewachung gelang ihm <strong>der</strong> <strong>Aus</strong>bruch, trotz unendlicher<br />

Schwierigkeiten schlug er sich quer durch ganz Frankreich bis in die Nie<strong>der</strong>lande<br />

durch. Seine Flucht beweist Mut und Geschick, seine getarnte Heimkehr<br />

<strong>Aus</strong>dauer und Wi<strong>der</strong>standskraft - Tugenden, die auch sein weiteres Leben bestimmen<br />

sollten. Und er hatte, wie auch später noch so oft, ganz einfach Glück! Denn inzwischen<br />

war Napoleons Stern erloschen. Roentgens Husarenstück brachte ihm,<br />

anstatt Verfolgung und Strafe, Bewun<strong>der</strong>ung und Anerkennung ein, und er konnte in<br />

Ehren seine Marineausbildung abschließen, und zwar so erfolgreich, dass seine<br />

Vorgesetzten ihn, wie bereits erwähnt, zur Vervollständigung seiner Studien nach<br />

England schickten.<br />

Hier erlebte er auf den Binnengewässern <strong>der</strong> Insel die ersten Dampfschiffe. Er war<br />

so fasziniert von ihnen, dass er sich alle nur möglichen Informationen über die neuen<br />

Wun<strong>der</strong>schiffe beschaffte und nach seiner Rückkehr nach Holland in einer Denkschrift<br />

<strong>der</strong> Marineleitung empfahl, die Kriegsschiffe mit Dampfmaschinen auszurüsten.<br />

Doch man hörte nicht auf ihn. Roentgen reagierte auf seine Art. Er quittierte den<br />

Dienst und gründete 1822 mit 27 Jahren in Fijenoord bei Rotterdam die "Gesellschaft<br />

für Schiffs- und Werkzeugbau". <strong>Aus</strong> heutiger Sicht erscheint dieses Unternehmen geradezu<br />

tollkühn, denn es gab am ganzen Rhein nur einen einzigen potentiellen Auftraggeber,<br />

und zwar eine Gesellschaft, die zwischen Rotterdam und Antwerpen mit<br />

dem Dampfer „de Ne<strong>der</strong>lan<strong>der</strong>" einen Liniendienst betrieb - das aber auch erst seit<br />

ein paar Monaten. Doch wie Roentgen von dieser Ree<strong>der</strong>ei, <strong>der</strong> späteren "Ne<strong>der</strong>landsche<br />

Stoomboot Maatschappij" (NSM), ganz abhängig war, war- diese es auch<br />

1


von ihm, und so kam man bald ins Geschäft mit dem Ergebnis, dass Roentgen den<br />

Auftrag für einen Neubau bekam. An <strong>der</strong> Finanzierung waren Kölner Kaufleute beteiligt,<br />

die sich vom Einsatz <strong>der</strong> Dampfkraft einen zuverlässigen und schnellen Transport<br />

ihrer Güter zwischen Köln und den nie<strong>der</strong>ländischen Seehäfen versprachen. Die<br />

NSM aber hatte noch Größeres im Sinn: das neue Schiff sollte den Rhein bis Koblenz<br />

o<strong>der</strong> gar Mainz erkunden und so Europas auch damals schon wichtigste Schiffahrtsstraße<br />

<strong>der</strong> neuen Technik erschließen. Offensichtlich hatten die holländischen<br />

Kaufleute erkannt, welch ungeheure kommerziellen Möglichkeiten sich denen boten,<br />

die als erste dem rheinischen Handel und Gewerbe eine schnelle, regelmäßige, sichere<br />

und preiswerte Transportgelegenheit offerieren konnten. Es stand also viel auf<br />

dem Spiel, und Roentgen wusste, dass er gefor<strong>der</strong>t war.<br />

Er bot all sein Wissen, all sein Können, alle seine Erfahrung auf, und vielleicht hat<br />

auch <strong>der</strong> gute Genius seiner als Kunsthandwerker so tüchtigen Vorfahren das Seine<br />

zum Gelingen des Werkes beigetragen, denn es glückte ihm ein Meisterwerk, das<br />

die höchste Anerkennung <strong>der</strong> Zeitgenossen fand. "De Zeeuw" (<strong>der</strong> Seelän<strong>der</strong>) - so<br />

hieß <strong>der</strong> dampfende Neuling - war etwa 35 m lang, 5 m breit und hatte einen Tiefgang<br />

von ca. 1,30 m. Bis auf die Dampfmaschine war er ganz aus Holz gebaut. Die<br />

Ladekapazität betrug 1.423 Zentner und verteilte sich auf Transportmöglichkeiten für<br />

Menschen und Güter. So gab es im Vorschiff 2 Räume für zusammen etwa 50 Personen,<br />

die gleiche Anzahl Reisen<strong>der</strong> konnte <strong>der</strong> Hauptraum, die "große Kajüte", aufnehmen;<br />

am komfortabelsten aber war das Achterschiff mit seinem "Pavillon" genannten<br />

Luxussalon, <strong>der</strong> 20 Menschen bequem Platz bot. Wie man sieht, hat die<br />

Passagierschiffahrt gleich zu Beginn <strong>der</strong> technischen Revolution eine hervorragende<br />

Rolle gespielt. Roentgen aber war in all seiner Begeisterung für das Neue und trotz<br />

seines enormen Mutes bei <strong>der</strong> Eroberung technischen Neulands Realist genug<br />

geblieben, "de Zeeuw" auch mit Segeln zu versehen - Mut ist eben kein Leichtsinn!<br />

Außerdem hatte das Schiff eine Vorrichtung zum Schleppen an<strong>der</strong>er Schiffe; auch<br />

das war eine kleine nautische Revolution, denn diese Art des Transportes war bis<br />

dahin mit Segelschiffen unmöglich gewesen.<br />

Das Herz des Schiffes und sein Mittelpunkt war die Dampfmaschine. Sie lag zentral<br />

zwischen den Passagierräumen, entwickelte 200 PS und hatte 45000 Gulden gekostet,<br />

mehr als die Hälfte <strong>der</strong> Gesamtbaukosten von 80000 Gulden. Ihr Verbrauch war<br />

horrend, nämlich pro Stunde 450 Pfund Lütticher Kohle. An Ruhrkohle verschlang<br />

sie, wegen des geringeren Heizwertes, 525 Pfund, an Saarkohle sogar 700 Pfund -<br />

und das alles, um den nur 10 Kubikfuß Wasser fassenden Dampfkessel gehörig unter<br />

Druck zu setzen! Den eigentlichen Antrieb bildeten die beiden Seitenrä<strong>der</strong> mit einem<br />

Durchmesser von je 3,70 mund 15 eichenen Planken. Konstruiert hatte das fauchende<br />

"Teufelswerk" die Maschinenfabrik Cockerill in Seraing bei Lüttich, die übrigens<br />

heute noch besteht.<br />

Doch so wie die technische <strong>Aus</strong>stattung Bewun<strong>der</strong>ung verdient, erregt <strong>der</strong> Umfang<br />

<strong>der</strong> Besatzung Verwun<strong>der</strong>ung. "De Zeeuw" hatte 2 Kapitäne, 2 Maschinisten, 2<br />

Steuerleute, 3 Matrosen, 3 Heizer, 1 Schiffbauer, 1 Hausmeister, 2 Kondukteure, 1<br />

Schiffsjungen, 3 Kellner, 2 Köche und eine Magd an Bord! Einige dieser Leute waren<br />

sicherlich zur bequemen und perfekten Bedienung <strong>der</strong> Fahrgäste angeheuert worden<br />

und vielleicht nicht unbedingt erfor<strong>der</strong>lich. Beim nautischen Personal aber war das<br />

an<strong>der</strong>s, denn hier wurde tatsächlich jede Hand gebraucht, wie Eberhard Gothein in<br />

seiner Abhandlung Geschichtliche Entwicklung <strong>der</strong> Rheinschiffahrt im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t"<br />

aus Anlass <strong>der</strong> Pionierfahrt Roentgens berichtet:<br />

"Der offizielle Bericht bemerkt, dass zwei Maschinenmeister durch Schraubenanziehen,<br />

durch Ventilschließen und -öffnen, durch Reinigen und<br />

Schmieren <strong>der</strong> einzelnen Teile <strong>der</strong> Maschine ununterbrochen, selbst wenn<br />

2


das Boot stillag, beschäftigt waren, und ihre Arbeiten waren sehr oft überaus<br />

mühsam und beschwerlich."<br />

Am Beginn <strong>der</strong> Dampfschiffahrt brauchte man also 23 Leute, um knapp 1500 Zentner<br />

zu beför<strong>der</strong>n; heute genügt ein Mann zum Transport von 20.000 Zentnern - das ist<br />

eine Steigerung <strong>der</strong> Arbeitsproduktivität um mehr als das 300-fache.<br />

Am 26. Oktober 1824 verließ Roentgen mit dem geschmückten "Seelän<strong>der</strong>" Rotterdam<br />

zu einer <strong>der</strong> aufregendsten und folgenreichsten Entdeckungsfahrten, die <strong>der</strong><br />

Rhein je erlebt hat. Es gab tatsächlich viel zu entdecken, wenn auch nicht den Rhein<br />

und seine Lande, so aber doch die Möglichkeiten <strong>der</strong> Dampfkraft und ihre technischkaufmännische<br />

Anwendung. Die erste Erfahrung Roentgens war zwar simpler Natur,<br />

aber nicht einfach zu meistern: mit fortschreiten<strong>der</strong> Reise wurde die Strömung des<br />

Flusses stärker und dadurch die Geschwindigkeit des Bootes geringer. Oberhalb von<br />

Rotterdam drehten sich die Schaufelrä<strong>der</strong> nur noch 27 bis 28 mal in <strong>der</strong> Minute - zu<br />

wenig für eine zügige Reise. Roentgen wusste sich zu helfen: bei Nymwegen verän<strong>der</strong>te<br />

er die Einstellung <strong>der</strong> einzelnen Planken <strong>der</strong> Seitenrä<strong>der</strong> so geschickt, dass sie<br />

sich nun 33 mal pro Minute drehten, und schon ging es flott weiter. Trotzdem dauerte<br />

es aber noch bis zum 29. Oktober 1824, ehe man morgens um 10 Uhr Köln erreichte.<br />

Die reine Fahrtzeit hatte 37 Stunden und 27 Minuten ab Rotterdam betragen, eine<br />

beachtliche Leistung für die allererste Befahrung des Nie<strong>der</strong>rheins mit seiner immerhin<br />

mittelstarken Strömung.<br />

Die Kölner Kaufleute, die das Pionierschiff ja teilweise finanziert hatten, wollten nun<br />

dessen praktischen Nutzen kennenlernen, und so schleppte Roentgen vor aller Augen<br />

ein mit 2000 Zentnern beladenes Segelschiff am Kölner Ufer entlang. Man war<br />

beeindruckt, doch Roentgen hielt sich nicht lange mit <strong>der</strong> Bewun<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Menge<br />

und <strong>der</strong> Zustimmung <strong>der</strong> Handelsherren auf. Noch am gleichen Tag fuhr er weiter zu<br />

Berg, in dem festen Willen, den Rhein in seiner ganzen länge <strong>der</strong> neuen Technik zu<br />

erschließen.<br />

Zunächst kam er auch gut voran, aber das dauerte nicht lange. Es war, als ob die<br />

Natur sich gegen ihre Unterwerfung wehren wollte, denn nach kurzer Zeit schon begann<br />

<strong>der</strong> Rhein heftig zu steigen, und je höher <strong>der</strong> Wasserstand kletterte, desto<br />

langsamer kam "de Zeeuw" voran. Bald war <strong>der</strong> Rhein, seit <strong>der</strong> Abfahrt von Köln gerechnet,<br />

um 5,40 m angewachsen, das Wun<strong>der</strong>schiff dampfte auf <strong>der</strong> Stelle, und es<br />

schien, als ob Roentgens Entdeckungsfahrt schon in An<strong>der</strong>nach zu Ende wäre. Der<br />

aber gab sich nicht geschlagen. Er ließ die Feuerroste von den Rückständen <strong>der</strong><br />

Ruhrkohle und den Dampfkessel vom abgesetzten Schmutz des Rheinwassers reinigen,<br />

wodurch sich die Zahl <strong>der</strong> Umdrehungen <strong>der</strong> Seitenrä<strong>der</strong> von 25 auf 27 erhöhte<br />

- nicht viel, aber genug, um wie<strong>der</strong> Fahrt aufzunehmen. Ganz langsam ging es bergwärts,<br />

Meter um Meter gegen die schmutzige gelbe Hochwasserflut, unendlich mühsam<br />

und unendlich qualvoll, aber nach 5 Stunden und 16 Minuten war die Strecke<br />

An<strong>der</strong>nach - Koblenz bewältigt, und Roentgen hatte seinen Triumph. Er hatte bewiesen,<br />

dass man den Rhein mit einem Dampfschiff befahren konnte, auch unter widrigen<br />

Umständen, allen technischen Schwierigkeiten zum Trotz. Eigentlich hätte er es<br />

damit genug sein lassen und stolz und zufrieden die Talfahrt antreten können. Aber<br />

<strong>Gerhard</strong> Moritz Roentgen wäre nicht <strong>Gerhard</strong> Moritz Roentgen gewesen, wenn er<br />

sich mit einem halben Erfolg begnügt hätte -er gab den Befehl zur Weiterfahrt! Doch<br />

zunächst ging die Reisegesellschaft am Abend des 31. Oktober 1824 in Koblenz von<br />

Bord, um im Hotel "Zu den drei Schweizern" zu übernachten. Man fand aber wenig<br />

Schlaf, denn inzwischen war das Hochwasser so sehr gestiegen, dass während <strong>der</strong><br />

ganzen Nacht das Erdgeschoß des Hotels geräumt werden musste. So ging man<br />

wenig ausgeschlafen in <strong>der</strong> Dunkelheit des frühen Morgens des 1. November 1824<br />

3


wie<strong>der</strong> an Bord, und <strong>der</strong> eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Expeditionsteilnehmer wird wohl ein<br />

ungutes Gefühl dabei gehabt haben.<br />

In Remagen waren übrigens Cotta, <strong>der</strong> Verleger Goethes und Schillers, und Sulpiz<br />

Boisseree, <strong>der</strong> Initiator des Fortbaues des Kölner Domes, an Bord gekommen. Cotta<br />

war ein begeisterter Anhänger <strong>der</strong> neuen Dampftechnik, hatte sich schon an <strong>der</strong><br />

Dampfschiffahrt auf dem Bodensee beteiligt und war so sehr mit seiner neuen Leidenschaft<br />

beschäftigt, dass er darüber seinen Verlag vernachlässigte und sich deswegen<br />

bereits Goethes Tadel zugezogen hatte. Boisseree war ein bedeuten<strong>der</strong><br />

Sammler mittelalterlicher Kunst, Freund Goethes, Romantiker - aber auch nüchterner<br />

Kaufmann und Mitglied <strong>der</strong> Kölner Handelskammer. Sie alle, einfache Heizer und iIIustre<br />

Zeitgenossen, warteten nun auf den Start zum letzten, entscheidenden Teil <strong>der</strong><br />

Reise, warteten auf den Beginn des eigentlichen Abenteuers, nämlich die Überwindung<br />

jener gefährlichen Rheinstrecke, die <strong>der</strong> Schiffer "das Wilde Gefähr" nennt.<br />

Roentgen hatte noch Buchenscheite zur Verstärkung <strong>der</strong> Kohlenfeuerung besorgt,<br />

und alles war bereit, die Herausfor<strong>der</strong>ung des Stromes da anzunehmen, wo sie am<br />

schwierigsten zu meistern war. Wer noch nicht den Ernst <strong>der</strong> Lage begriffen hatte,<br />

sah spätestens dann die Gefahr, als <strong>der</strong> Koblenzer Brückenmeister sich wegen <strong>der</strong><br />

reißenden Strömung weigerte, ein Joch <strong>der</strong> Schiffbrücke auszufahren und dem "Seelän<strong>der</strong>"<br />

den Weg zu Berg freizugeben. Schließlich überredete Roentgen ihn, den Elementen<br />

zu trotzen. Es war 10 Uhr am 1. November 1824. Das Drama begann.<br />

Langsam ging es voran, und man kam ohne Zwischenfall über St. Goar hinaus. Hier<br />

war aber die Strömung so heftig, dass die 25 Umdrehungen <strong>der</strong> Seitenrä<strong>der</strong> nicht<br />

mehr ausreichten, "de Zeeuw" vorwärts zu bringen. Roentgen ließ beidrehen, den<br />

Kessel erneut säubern und trockenes Buchenholz nachlegen. Darüber war <strong>der</strong> 3.<br />

November angebrochen, und man setzte die Fahrt mit 29 Umdrehungen pro Minute<br />

fort. Aber es dauerte nicht lange, bis <strong>der</strong> Kesseldruck wie<strong>der</strong> abfiel und das Schiff<br />

keinen Meter mehr weiter kam. War das das Ende <strong>der</strong> großen Reise? Roentgen<br />

kämpfte weiter, und er gewann noch einmal: nachdem er wie<strong>der</strong>, wie schon auf dem<br />

Nie<strong>der</strong>rhein, die Stellung <strong>der</strong> eichenen Planken <strong>der</strong> Seitenrä<strong>der</strong> verän<strong>der</strong>t hatte, ging<br />

es abermals weiter. Man kam bis Oberwesel und weiter bis unterhalb Kaub - hier aber<br />

ging es mit den wun<strong>der</strong>samen Kräften des "Seelän<strong>der</strong>s" ganz schnell zu Ende,<br />

und man musste schleunigst Anker fallen lassen.<br />

Je<strong>der</strong> an Bord spürte die Gefahr. Seit Tagen hatte man mit einer noch weitgehend<br />

unerprobten Technik den Rhein bei Hochwasser Abschnitt für Abschnitt erobern<br />

müssen, immer wie<strong>der</strong> hatte es unerwartete und beunruhigende Unterbrechungen<br />

gegeben- nun war die Reisegesellschaft am Ende ihrer Nervenkraft, und man bat<br />

Roentgen, die Reise abzubrechen und die Talfahrt anzutreten. Argumente gab es<br />

genug, ganz abgesehen davon, dass auch die junge Frau des technischen Direktors<br />

<strong>der</strong> Ree<strong>der</strong>ei mit ihrem Säugling an Bord war.<br />

Roentgen war plötzlich allein, nicht nur mit den technischen Problemen <strong>der</strong> Fahrt;<br />

zwischen ihm und den an<strong>der</strong>en war <strong>der</strong> Abstand sichtbar geworden, <strong>der</strong> den außergewöhnlichen<br />

Menschen von seinen bloß durchschnittlichen Zeitgenossen trennt. Alle<br />

hatten Angst, und sie hatten die Vernunft auf ihrer Seite; Roentgen war ohne<br />

Furcht, und er hatte die Vernunft dessen für sich, dem das Leben <strong>der</strong> Ängstlichen<br />

anvertraut ist. Er befahl die Weiterfahrt.<br />

Alle gängigen technischen Möglichkeiten waren erschöpft, Roentgen blieb nur noch<br />

ein allerletztes Mittel: er arretierte die Oberdruckventile des Dampfkessels, traf aber<br />

Vorsorge, den Dampfdruck nicht in gefährliche Bereiche steigen zu lassen. "De<br />

Zeeuw" setzte sich wie<strong>der</strong> in Bewegung, und mit 34 Umdrehungen ging es, an <strong>der</strong><br />

Pfalz vorbei, zu Berg; es gelang Roentgen tatsächlich, bis ins Wilde Gefähr unterhalb<br />

Bacharachs vorzudringen! Hier traf die Macht <strong>der</strong> Natur mit voller Wucht auf die<br />

4


Schwäche <strong>der</strong> noch jungen Technik, so dass selbst ein <strong>Gerhard</strong> Moritz Roentgen<br />

nicht mehr weiterwusste. Er brach die Fahrt ab - als Sieger über die Natur und Meister<br />

seines künstlerisch-technischen Handwerks.<br />

Inzwischen hatte die Flut 8,20 Koblenzer Pegel erreicht, und so mühsam die Bergfahrt<br />

gewesen war, so flott und reibungslos verlief nun die Talfahrt. Nach 2 Stunden<br />

und 20 Minuten war das Schiff wie<strong>der</strong> in Koblenz, wo es von einer begeisterten Menschenmenge<br />

am Ufer begrüßt wurde. Ihr zu Liebe fuhr Roentgen ein Stück Mosel<br />

aufwärts, um das neue Wun<strong>der</strong>gefährt recht vorzuführen. Über die weitere Talfahrt<br />

schreibt die Kölnische Zeitung v. 7. November 1824:<br />

"In Koblenz fing die Dämmerung an, mit Macht einzubrechen, und so<br />

ward denn für diesen Tag die Reise nur noch bis Neuwied fortgesetzt,<br />

wo man nach 49 Minuten, aber schon in gänzlicher Dunkelheit, anlangte.<br />

- Herr Roentgen, welcher <strong>der</strong> unter uns rühmlichst bekannten Familie<br />

dieses Namens in Neuwied angehört, hatte an diesem Abend zum<br />

ersten mal die Freude, den Stammort seines Vaters und seiner daselbst<br />

wohnenden Verwandten zu besuchen: ein doppelt glücklicher<br />

Zufall, auf einer Reise, die durch eine Menge ganz unerwarteter<br />

Schwierigkeiten sich eben so sehr auszeichnete, als durch die geniale<br />

Thätigkeit, womit denselben begegnet, und sie zu wissenschaftlichem<br />

Zwecke benutzt wurden. Am heutigen Tage endlich (4. Nov.) kam das<br />

Dampfschiff in drei Stunden und 55 Minuten von Neuwied hier (in Köln)<br />

an."<br />

Roentgen hatte es sich also nicht nehmen lassen, vom 3. auf den 4. November 1824<br />

in Neuwied zu übernachten - in Neuwied, wo seine berühmten Verwandten eine berühmte<br />

Möbeltischlerei unterhielten! Wer wird wohl stolzer gewesen sein, die angesehenen<br />

Kunstschreiner auf den Eroberer des Rheins o<strong>der</strong> <strong>der</strong> von Erfolg und Bewun<strong>der</strong>ung<br />

umrauschte <strong>Gerhard</strong> Moritz Roentgen auf die Freude und Anerkennung<br />

seiner Verwandten?<br />

Roentgens Fahrt war zweifellos höchst gefährlich gewesen. Dass alles glimpflich abgegangen<br />

ist, zeigt ihn als Pionier, nicht als Abenteurer. Er hat gewagt, aber auch<br />

gewägt, nämlich Gefahr gegen beherrschbare Technik, Mut und Entschlusskraft gegen<br />

Naturgewalten und Kleinmut <strong>der</strong> Reisegefährten. So hat er dem Neuen zum<br />

Durchbruch verholfen und gleichzeitig auf <strong>der</strong> Mitte von Wagemut und abschätzen<strong>der</strong><br />

Vernunft einen Maßstab gesetzt, den hemmungslosen Fortschrittsdrang an Verantwortung<br />

und Voraussicht zu binden.<br />

Im Jahre darauf, 1825, baute Roentgen ein stärkeres Schiff mit dem Namen "de Rijn"<br />

und fuhr damit zu Berg bis Köln, von wo er am 10. September 1825 nach Koblenz<br />

weiterfuhr. Er hatte die Erfahrungen aus seiner Pionierfahrt gründlich ausgewertet<br />

und alle in den Neubau eingebracht. So verlief die Fahrt rheinauf zügig und ohne<br />

Zwischenfälle.<br />

Roentgens Ruhm hatte sich inzwischen so sehr verbreitet, dass auch <strong>der</strong> preußische<br />

König Friedrich Wilhelm III. geruhte, ihn wahrzunehmen, und sich höchstpersönlich<br />

entschloss, Roentgens Schiff "de Rijn" am 14. September 1825 in Koblenz ,samt<br />

Familie, Gefolge und militärischer Blasmusik zu besteigen und eine Vergnügungsfahrt<br />

zu Tal nach Köln zu absolvieren. Das war <strong>der</strong> wirtschaftliche Durchbruch, denn<br />

nun besaß Roentgen das Wohlwollen des preußischen Königs und damit das allerwirksamste<br />

Entree zu den Kontoren <strong>der</strong> Handelsherren Westeuropas. Von Köln aus<br />

fuhr Roentgen wie<strong>der</strong> zu Berg, und zwar ohne son<strong>der</strong>liche Mühe und erzwungene<br />

Pausen bis Kehl gegenüber Straßburg! Die Wirkung war ungeheuer: die Nei<strong>der</strong>, die<br />

5


Engstirnigen und die Besserwisser aller Couleur wurden still, die Aufgeschlossenen<br />

und Fortschrittlichen aber waren für den Augenblick und die Zukunft gewonnen.<br />

Und wie<strong>der</strong> baute <strong>der</strong> unverwüstliche Roentgen ein neues Schiff. Es hieß "Stadt<br />

Frankfurt", hatte über 300 PS und erreichte bei normalem Wasserstand zu Berg eine<br />

Durchschnittsgeschwindigkeit von 7,7 km/ho Mit diesem Fahrzeug erreichte Roentgen<br />

1832 Basel- <strong>der</strong> Rhein war vollständig erobert!<br />

Roentgens große technische Leistung war die Erfindung <strong>der</strong> "Verbund-<br />

Expansionsmaschine", die Wirtschaftlichkeit mit Zuverlässigkeit verband und dadurch<br />

Watts Nie<strong>der</strong>druckmaschine verdrängte. Roentgens Maschine war so gut, dass die<br />

Dampfschiffahrt auf dem ganzen Rhein schnell in Gang kam, und wenn man bedenkt,<br />

dass in den 40er Jahren des vorigen Jahrhun<strong>der</strong>ts Männer wie Stinnes und<br />

Haniel bereits über leistungsfähige Schlepper verfügten, so kann man Roentgens<br />

Leistung erst voll ermessen.<br />

Seine Gesellschaft, die NSM, geriet bald in heftige Konkurrenz zu <strong>der</strong> 1827 gegründeten<br />

Preußisch-Rheinischen-Dampfschiffahrtsgesellschaft.. Auf dem Höhepunkt <strong>der</strong><br />

<strong>Aus</strong>einan<strong>der</strong>setzung ließ Roentgen seine Schiffe einen Besen im Mast führen, was<br />

soviel bedeuten sollte wie: wartet nur, wir werden euch vom Rhein fegen! Das war,<br />

ganz <strong>Gerhard</strong> Moritz Roentgen, eine starke Geste, aber geholfen hat sie nicht viel.<br />

<strong>Aus</strong> <strong>der</strong> Preußisch-Rheinischen ist die Köln-Düsseldorfer geworden, die heute die<br />

Personenschiffahrt auf dem Rhein beherrscht, während die Schiffe <strong>der</strong> NSM, zuletzt<br />

"Emma", "Wilhelmina", "Willem III", "Hollandia" und "Juliana" seit etwa 30 Jahren vom<br />

Rhein verschwunden sind.<br />

Als <strong>Gerhard</strong> Moritz Roentgen am 28. Oktober 1852 in Meerenburg in Holland starb,<br />

war die Dampfschiffahrt auf dem Rhein längst fest etabliert, seine Erstfahrt mit "de<br />

Zeeuw" schon Geschichte. Sicherlich hätte sich das Dampfschiff auch ohne ihn den<br />

Rhein erobert. Aber was wäre geschehen, wenn er im Wilden Gefähr jämmerlich gescheitert<br />

wäre? Wenn es Tote gegeben hätte? Die neue Technik wäre auf lange Zeit<br />

diskreditiert gewesen, und die Sachwalter des Irrationalismus hätten eine Zeitlang<br />

Oberwasser bekommen. Die Menschen am Rhein verdanken ihm also sehr viel. Umso<br />

merkwürdiger ist es, dass <strong>Gerhard</strong> Moritz Roentgen im Rheinland heute fast unbekannt<br />

ist.<br />

Wenn sein Name fällt, denkt je<strong>der</strong> zuerst an Conrad Wilhelm Röntgen, den Entdecker<br />

<strong>der</strong> Röntgen-Strahlen, <strong>der</strong> übrigens mit <strong>Gerhard</strong> Moritz Roentgen und dessen<br />

Familie nicht verwandt ist.<br />

Welches Schiff ist nach ihm benannt? Welche Straße kündet seinen Ruhm? Und<br />

wenn man ihm ein Denkmal setzte - er hätte es wahrlich verdient!<br />

Quelle: Beiträge zur Rheinkunde 1984<br />

Rheinmuseum Koblenz<br />

**************<br />

<strong>Peter</strong> <strong>Haas</strong> 2011<br />

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