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Flohmarkt - GEA

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Heimat/Heumahd(einige Schnitte)LA B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y ZOBodo Hell. Die rein denkende Rede gibt es eben nicht, die rein logische, das hat sogar Wittgenstein einsehen müssen, schon gar nicht.— und was würde dieser weiland Philosoph aus Rhein -land-Pfalz (nämlich dieser andere Ernst), und zwar ausdem industriellen Ludwigshafen (einem vormals bayerischenBinnenhafen mit Atlantikanschluß) geantwortethaben, wenn er von Tübinger Studierendennach seiner Herkunft gefragt worden wäre, vielleichtdies: Heimat sei so etwas wie der Bildwerfer, der allenMenschen in ihre Kindheit hereinscheine, worinnenaber noch nie jemand wirklich gewesen sei (so Bloch),von den äußerlich identifikablen sprachlichen Prä -gungen einmal ganz abgesehen— und was sagt diese reiche Amerikanerin in Parisdazu (ach in ihrer kurzen Wiener Kinderzeit im HauseStein hatte sie sogar eine Ziege zur Gespielin, und amObersalzberg sieht man sie auf einem Foto von 1945mit amerikanischen Soldaten im geborstenen Berg -hof Fenster sitzen), in deren französischem Salon diespäter so berühmte Kunstwelt (ohne sich viel um dieProsaschleifen so einer avantgardistischen Überseeautorinzu kümmern) aus- und eingegangen ist, und wiehat diese andere Gertrude von ihrem Identitätsver -ständnis gesprochen, nämlich ganz ernsthaft undknapp auf solche Weise: ich bin ich, weil mein Hundmich kennt— ach ja zuhause bin ich und heimatlich fühle ichmich (und wir uns) auch dort (und diese Liste ist vonjedermann/frau zu modifizieren und erweiterbar), womich so und so viele Leute kennen (mögen und auchablehnen), wo sich halbwegs befriedigende Arbeits -möglichkeiten bieten, wo man in den Quartieren derStadt überraschend oft auf Bekannte trifft und sichZeit zum Reden nimmt, wo es den vorzüglichen thailändischenHOM MALI-Reis im Weltladen gibt, wo dieEingeparkthabenden nicht ohne Rücksicht auf dieRad fahrer ihre fahrerseitigen Autotüren aufstoßen, wodie Hofbäume in der Vegetationsperiode die Aus puff -Luft verbessern, wo sich Ansässige um den Erhalt derletzten autobahnlosen Tallandschaft kümmern (auchwenn wir alle anderswo bereits selbst über die Beton -pisten rasen), wo ein evangelischer Kurator daraufbesteht, daß die Haustüren (die Pfarrei nicht ausgenommen)für jeden Unangemeldeten jederzeit offenstehen,wo ein Dorfbürgermeister vor schwerwiegendenEntscheidungen einen ganzen Tag lang auf denHochweiden nach den SommerSchafen schauen gehtund sich auf solchen SuchWegen also stellvertretendabarbeitet, das heißt zu einem Entschluß (und sei esdie Ablehnung eines MehrzweckZentrums im Ort)durch ringt, wo die wertschätzende Begrüßung unterMännern so klingt: naki deng suppei (das könnte heißen:du siehst heute so gut aus wie eine junge Kuh),wo die scheinbar unvermeidlichen Kartoffelkäfer jedenTag wieder als kleine rote Bestien aus den gelbenGelegen schlüpfen und schnell zerdrückt werden müssen,während die Vogelschwärme längst über die reifenRibisel hergefallen sind, wo die Menschen ihreIdentität von anderswoher beziehen als 1. aus derDosenwerbung, 2. aus dem alle 3-Minuten-Lachsal -ven programm oder 3. von den mir-san-mir-Sonntags -reden und -Stammtischgesprächen ...— schau dort geht ein Rauchfangkehrer: ruft das Kind,ungeniert auf die enganliegende Kopfbedeckung einesPassanten deutend, ist wohl ein Bergknappe: wird esvom begleitenden Elternteil halb erstaunt/halb mißbilligendkorrigiert— sind Sie wirklich unverheiratet: wagt eine Volks -kundeTouristin beim Sarntaler Hutträger (mit rotemHutband) nachzufragen, und bekommt vom BoarischGehenden ein vielsagendes Lächeln zur Antwort— meine Goldhaube will ich nicht mehr aufsetzen: gestehteine aus Niederösterreich nach Salzburg ausgewanderteTraditionsträgerin freimütig, ich komme mirdamit wie verkleidet vor— wußten Sie das: unser schwarzes Plissee ist von derspanischen Hoftracht abgeschaut, erklärt die stolze Bre -genzerwälderin aus Hittisau und plättet nochmals überdie Falte hinweg— bei diesen Dörflern im hintersten Tiroler Bergtal mitihren Hutscheiben sind die Blut-und-Boden-Filme ge -dreht worden: moniert ein Cineast, selbst mit dem›Stoff der Heimat‹ befaßt— für jede Asylwerberin in Österreich ein zünftiges Dirndlzum Einstand: schlägt die engagierte Autorin den Po -li tikerinnen halb ernsthaft/halb ironischerweise vor— schau, die sind ja total nackt, total nackt: ruft eineRadfahrtochter ihrem Radfahrpapa mehrmals zu unddreht sich nach dem Paar am anderen Ufer um, diewollen eben nahtlos braun werden: wird sie knapp aufgeklärt— Bundhose, Modelstutzen und Spielhahnhut, das istnicht mein Stil: konstatiert der Jungbauer (GenerationMotorsense), eher schon Schirmkappe und Funktions -kleidung aus moderner Mikrofaser— Kärnten könne er sich nicht mehr leisten, soll derangesehene Politiker damals gesagt haben, er sei aber(nach unbestätigten Meldungen) dort selbst im Kärnt -ner Anzug gesichtet wordenBODO HELL1943 Salzburg, Wien/Dachstein,Prosa, Radio, Theater, Schrift imöffentlichen Raum, Essais zurbildenden Kunst, Fotos, Film,Musik, Almwirtschaft, Bücherzuletzt: Nothelfer, Droschl 2010;Immergrün. Sudarium/Calen -darium (mit Linda Wolfsgruber)Folio Verlag 2011; Untersberg (mitSeitter, Wallnöfer, Kubelka),Pustet 2012 | www.bodohell.atWer nicht flexibelreagiert, stirbt aus. Soder Steinadler. Im Alpenraumist er beheimatet,aber ausgestorben. WoHeimat aufgehört hat,Heimat zu sein, entstehtdas Heimat museumoder das Reservat.Gerhard PoltKleine Heimatkunde6 Nº 29/12 Nº 29/127

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