Heiliger Alltag - Jesuiten
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Schwerpunkt<br />
Aufmerksamkeit für<br />
die Gegenwart<br />
Unter den vielen Namen und Charakterisierungen<br />
Gottes im Alten und Neuen Testament<br />
finden sich an prominenten Stellen solche, die<br />
von der Gegenwart Gottes sprechen. Man<br />
denke nur an Gottes Offenbarung an Mose im<br />
Dornenbusch. Als Mose nach dem Namen<br />
dessen fragt, der ihn aus dem Dornenbusch<br />
anspricht, bekommt er zur Antwort „Ich bin<br />
der Ich-bin-da“ (Ex 3,14). Ein anderes Beispiel<br />
ist das Ende des Matthäusevangeliums – Jesus<br />
gibt seinen Jüngern die Verheißung „Siehe, ich<br />
bin bei Euch alle Tage bis an der Welt Ende“<br />
(Mt 18,20). Der Römerbrief bestimmt diese<br />
Gegenwart als Gegenwart Gottes in uns: Der<br />
Heilige Geist, Gott in uns, betet kontinuierlich<br />
zum Vater (vgl.Röm 8).Für manche Menschen<br />
ist diese Gegenwart Gottes eher ein Problem<br />
als eine froh machende Botschaft: Wir wollen<br />
zwar glauben, dass Gott da ist, aber wir spüren<br />
ihn in unserem <strong>Alltag</strong> nur sehr selten, wenn<br />
überhaupt.Wir glauben, dass Gott gegenwärtig<br />
ist,aber dieser Glaube ändert unser Leben nicht<br />
wirklich.Viele Menschen haben den Eindruck,<br />
dass ihr <strong>Alltag</strong> und ihr Glaube nur schwer miteinander<br />
zu vermitteln sind. Wie bekommt<br />
man den Glauben in den <strong>Alltag</strong> hinein? Wie<br />
kann man – bildlich gesprochen – den Himmel<br />
auf die Erde herunterziehen?<br />
In der buddhistischen Zen-Tradition gibt es<br />
eine Geschichte, in der ein junger Mönch<br />
einen Meister sucht, der ihm den Weg der<br />
Meditation lehren kann. Endlich hat er es<br />
geschafft und darf einen der bedeutendsten<br />
Zen-Lehrer besuchen. „Wer kann mich den<br />
Weg der Meditation lehren?“ fragt er den<br />
Meister. Dieser weist mit dem Finger auf die<br />
Tür, durch die der Schüler hineingekommen<br />
ist. Der junge Mönch versteht die Antwort<br />
nicht, stellt dieselbe Frage noch einmal und<br />
bekommt wieder dieselbe Antwort: Es ist die<br />
Tür, die ihm den Weg der Meditation lehren<br />
kann.<br />
Auf den ersten Blick scheint es tatsächlich<br />
etwas abwegig zu sein, ausgerechnet eine Tür<br />
als ein Mittel anzusehen,das einen den Weg der<br />
Meditation, oder, anders gesprochen, den Weg<br />
zur Gegenwart Gottes lehren kann.Aber könnte<br />
es nicht sein, dass wir die Gegenwart Gottes<br />
so schwer spüren und kaum kraftvoll aus ihr<br />
leben können, weil wir selbst nicht in der<br />
Gegenwart leben? Natürlich leben wir in einer<br />
Hinsicht immer in der Gegenwart, denn<br />
immer ist Gegenwart, während wir leben.<br />
Keiner kann sich mit einer Zeitmaschine in die<br />
Vergangenheit oder die Zukunft „beamen“ –<br />
so etwas gibt es nur im Film, möchte man<br />
meinen.Tatsächlich aber sieht unser Leben oft<br />
ganz anders aus. Während wir zwar in der<br />
Gegenwart leben, sind wir mit der Aufmerksamkeit<br />
nicht in der Gegenwart,sondern in der<br />
Vergangenheit oder der Zukunft. Was uns<br />
eigentlich beschäftigt, ist nicht das, was in der<br />
Gegenwart gegeben ist, sondern das, was wir in<br />
der Vergangenheit erlebt haben und was wir<br />
vielleicht in der Zukunft erleben werden.<br />
Ärger über Dinge, die uns misslungen sind,<br />
Zorn über Menschen, die uns verletzt haben,<br />
drückende Schuldgefühle oder aber auch freudige<br />
Erinnerungen an Vergangenes beschäftigen<br />
uns in der Gegenwart ebenso wie Sorgen<br />
über die Zukunft, Freude oder Ängste über<br />
Ereignisse, die kommen werden. Mit unseren<br />
Gedanken, und mehr noch: auch mit unseren<br />
Gefühlen leben wir häufig nicht im Hier und<br />
Jetzt, also in der Gegenwart, sondern sind mit<br />
Vergangenem und Zukünftigem beschäftigt.<br />
Wer mit seinen Gefühlen und Gedanken nicht<br />
in der Gegenwart ist,wer nicht bei dem ist,was<br />
Dezember 2010/4 <strong>Jesuiten</strong> 3