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Marxismus_und_Tierbefreiung_Antidot

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Sein das Bewusstsein <strong>und</strong> nicht umgekehrt,d.h. die politisch-ökonomische Basis bestimmtden politisch-kulturellen Überbau. Das «in letzterInstanz bestimmende Moment» der gesellschaftlichenEntwicklung ist also die politischeÖkonomie einer jeden Gesellschaftsformation.Sie weist allen anderen Produktionsweisen <strong>und</strong>den Elementen des Überbaus ihren Platz innerhalbeiner Gesellschaft zu. Allerdings handeltes sich dabei nicht um ein deterministischesVerhältnis, wie Engels hervorhebt: «Die ökonomischeLage ist die Basis, aber die verschiedenenMomente des Überbaus – politische Formen desKlassenkampfs <strong>und</strong> seine Resultate – Verfassungen,nach gewonnener Schlacht durch die siegendeKlasse festgestellt usw. – Rechtsformen,<strong>und</strong> nun gar die Reflexe aller dieser wirklichenKämpfe im Gehirn der Beteiligten, politische,juristische, philosophische Theorien, religiöseAnschauungen <strong>und</strong> deren Weiterentwicklungzu Dogmensystemen, üben auch ihre Einwirkungauf den Verlauf der geschichtlichenKämpfe aus <strong>und</strong> bestimmen in vielen Fällenvorwiegend deren Form. Es ist eine Wechselwirkungaller dieser Momente, worin schliesslichdurch alle die unendliche Menge von Zufälligkeiten[...] als Notwendiges die ökonomischeBewegung sich durchsetzt.»... <strong>und</strong> die TiereDer historische Materialismus von Marx <strong>und</strong>Engels kann dabei helfen, wesentliche Elementeder Ausbeutung von Tieren in der Geschichtezu verstehen <strong>und</strong> zu erklären.Wenn man ihre Kritik an metaphysischen Interpretationender Geschichte ernst nimmt, istes z.B. falsch zu glauben, dass Menschen Tiereausbeuten, weil sie Vorurteile gegen sie entwickelthaben, weil die Menschen schlecht überTiere denken, sie mit negativ konnotiertenKategorien bezeichnen oder weil die bestehendenGesetze die falschen sind. Vielmehr habendie Menschen diese Ideen usw., weil Tiere inder politisch-ökonomischen Praxis der Gesellschaftenausgebeutet werden. Der italienischePhilosoph Marco Maurizi schreibt: «Wir beutenTiere nicht aus, weil wir sie für niedriger halten,sondern wir halten Tiere für niedriger, weil wir«Für einen Ochsen ist es immer dasselbe Opfer,wenn er geschlachtet wird.» Karl Marxsie ausbeuten.» Der Speziesismus, d.h. das Setvon Ideologien, mit denen andere Spezies als derMensch abgewertet werden, ist nicht die Ursacheder Tierausbeutung, sondern ihre Folge.Maurizi stellt die Kritik an der Tierausbeutungunter Bezug auf den historischen Materialismusalso vom Kopf auf die Füsse. Er leugnet jedochnicht, dass der Speziesismus die Ausbeutungder Tiere rechtfertigt <strong>und</strong> verschleiert.Folgt man Marx <strong>und</strong> Engels, beuten zudemnicht «die Menschen» «die Tiere» aus. Vielmehrsind in den unterschiedlichen KlassengesellschaftenTiere <strong>und</strong> die unterdrückte Klasseim mer im Interesse <strong>und</strong> unter der Leitung derherrschenden Klasse exploitiert worden. Dasbedeutet weder, dass die Tiere Teil der unterdrücktenKlassen gewesen, noch dass die beherrschtenKlassen zimperlich mit den Tierenumgesprungen sind. Aber die durch die jeweiligeGesellschaftsformation gesetzten Zwecke dergesellschaftlichen Produktion <strong>und</strong> Konsumtionführen nicht nur zum Klassengegensatz, sondernauch zu einem Antagonismus zwischender herrschenden Klasse <strong>und</strong> den Tieren.Schliesslich bietet der historische Materialismuseine überzeugende Lösung für eine Frage,die sowohl von Tierrechtler- <strong>und</strong> TierbefreierInnenals auch von BefürworterInnen der Ausbeutungvon Tieren zwar immer wieder diskutiert,aber nicht wirklich beantwortet wurde:Worin besteht der Unterschied zwischen Menschen<strong>und</strong> Tieren? Marx <strong>und</strong> Engels schreibenin Die deutsche Ideologie, die Menschen fingen an,sich von den Tieren zu unterscheiden, indem sieihre Lebensmittel <strong>und</strong> damit auch ihre Gesellschaftreproduzierten. Sie konstatieren also,dass die Menschen ihre Differenz zu den Tierendurch ihre gesellschaftliche politisch-ökonomischePraxis in der historischen Entwicklunghergestellt haben. Aber: Die Menschen tun dies,ohne ihre Gemeinsamkeiten mit den Tieren aufzugeben.Sie bleiben gleichzeitig Naturwesen,die auch ihre natürlichen Bedürfnisse (nachEssen, Trinken usw.) befriedigen müssen. DerUnterschied zwischen Menschen <strong>und</strong> Tierenist entsprechend nicht absolut-ontologischer,sondern gradueller Natur <strong>und</strong> Resultat derhistorisch gesellschaftlichen politisch-ökonomischenPraxis. Aus diesem Unterschied kanndementsprechend keine Legitimation für dieAusbeutung von Tieren abgeleitet werden.Die Tiere in der kapitalistischen Produktionsweise:gratis Produktionsmittel <strong>und</strong> WarenWenn man nun vor dem Hintergr<strong>und</strong> des historischenMaterialismus nach einer Erklärungdafür sucht, wieso Tiere in der gegenwärtigenkapitalistischen Gesellschaftsformation ausgebeutetwerden, dann muss man untersuchen,welche Stellung <strong>und</strong> welche Funktion denTieren in dieser historisch besonderen Formder Organisation gesellschaftlicher Arbeit zugewiesenwird.Die kapitalistische Produktionsweise basiert imKern auf zwei sozialen Verhältnissen: auf derOrganisation der Arbeit über den Markt <strong>und</strong>auf dem Klassenverhältnis zwischen KapitalistInnen<strong>und</strong> ArbeiterInnen. Der Zweck kapitalistischerGesellschaften besteht darin, dass dasKapital sich über die Ausbeutung der ArbeiterInnenmöglichst grosse ökonomische Profitesichert.Die Tiere sind ebenso wie die restlichen Elementeder Natur den gesellschaftlichen Beziehungenim Kapitalismus extern. Weder kaufensie ihre Lebensmittel auf dem Markt nochschuften sie in der Fabrik für einen Lohn. Dasie zur Produktion von bestimmten Waren benötigtwerden <strong>und</strong> sie sich auch nicht zur Wehrsetzen können, werden die Tiere <strong>und</strong> andereNaturstoffe als verfügbare Produktionsmittel(z. B. als Milch- <strong>und</strong> Fleischproduzent) <strong>und</strong> Arbeitsgegenstände(etwa in der Herstellung vonLeder) angeeignet. Die ArbeiterInnen vollziehendiese Monopolisierung gratis <strong>und</strong> z. T. unterEinsatz offener Gewalt im Produktionsprozessim Interesse <strong>und</strong> im Auftrag des Kapitals.Als Produktionsmittel <strong>und</strong> Arbeitsgegenständedienen die Tiere der Produktion von Profit.Damit dieser möglichst hoch ausfällt, sorgendie KapitalistInnen dafür, dass sie möglichsteffizient in den Produktionsprozess integriertwerden. Wie bei der Aneignung anderer Naturstoffegeschieht dies in beständig wachsendenQuanta <strong>und</strong> unter Abstraktion von einigen ihrerQualitäten (z.B. ihrer Leidensfähigkeit), vonden Folgen der Produktion <strong>und</strong> Konsumtionfür die Tiere <strong>und</strong> die Natur sowie schliesslichunter Abstraktion von ihren eigenen Reproduk ­tionskreisläufen. Im Produktionsprozess werdendie von den Tieren produzierten oder die durchsie dargestellten Gebrauchswerte durch die Ver ­ausgabung menschlicher Arbeitskraft zu einemProdukt gemacht, das Träger von Profiten ist.Diese werden für die KapitalistInnen am Marktrealisiert, wenn die Ware, wie z.B. ein StückFleisch, verkauft wird.Genau genommen basiert die Produktion vonProfiten im Kapitalismus also nicht nur auf derAusbeutung der ArbeiterInnen, sondern auchauf der der Natur <strong>und</strong> der Tiere. Die kapitalistischeProduktionsweise funktioniert nur, «indemsie zugleich die Springquellen alles Reichtumsuntergräbt: die Erde <strong>und</strong> den Arbeiter» – wobeidie Tiere einen Teil der Natur bilden, für dieMarx hier stellvertretend auf die Erde verweist.Die Anschauung, welche unter der Herrschaftdes Privateigentums <strong>und</strong> des Geldes entsprechendvon der Natur <strong>und</strong> den Tieren gewonnenwird, ist die wirkliche Verachtung, die praktischeHerabwürdigung der Natur im Allgemeinen<strong>und</strong> der Tiere im Besonderen.Ein Ende der Tierausbeutung ist demzufolgenur unter der Bedingung machbar, dass imKlassenkampf mit der kapitalistischen Produk ­tionsweise gebrochen wird. Nur dann bestehtdie Möglichkeit, dass Thomas Münzers Diktum,auf das Marx sich beruft – «auch die Kreaturmüsse frei werden» –, Wirklichkeit wird.Christian Stache promoviert an der UniversitätHamburg im Fach Sozial- <strong>und</strong> Wirtschaftsgeschichte<strong>und</strong> ist Beirat der InformationsstelleMilitarisierung e.V. (IMI).

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