Migranten in der Schuldnerberatung - BAG-SB
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Johannes Gutenberg-Universität Ma<strong>in</strong>z<br />
Fachbereich Sozialwissenschaften, Medien und Sport<br />
Institut für Erziehungswissenschaft<br />
Diplomarbeit <strong>in</strong> Erziehungswissenschaft<br />
Studienschwerpunkt Sozialpädagogik<br />
N<strong>in</strong>a Hauth<br />
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Erstgutachter<strong>in</strong>: Dr. Andrea Braun<br />
Abgabeterm<strong>in</strong>: 27.05.2010
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Inhaltsverzeichnis<br />
0. E<strong>in</strong>leitung Seite 5<br />
A Theoretischer Teil<br />
1. Literaturgestützte E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das<br />
Forschungsthema<br />
1<br />
Seite 8<br />
1.1 <strong>Schuldnerberatung</strong> Seite 8<br />
1.1.1 Geschichte <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong> Seite 8<br />
1.1.2 Aufgaben <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong> Seite 9<br />
1.1.3 Konzeption von <strong>Schuldnerberatung</strong> Seite 10<br />
1.1.4 Exemplarischer Beratungsablauf Seite 12<br />
1.2 Türkische <strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> Deutschland Seite 15<br />
1.2.1 Geschichte <strong>der</strong> türkischen Migration nach<br />
Deutschland und aktuelle Zahlen<br />
1.2.2 Aktuelle Lebenssituation türkischer <strong>Migranten</strong> <strong>in</strong><br />
Deutschland<br />
B Empirischer Teil<br />
2. Untersuchung <strong>der</strong> Anfor<strong>der</strong>ungen, Wünsche und<br />
Bedürfnisse türkischer <strong>Migranten</strong> an die<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong><br />
2.1 Der Leitfaden – theoretischer H<strong>in</strong>tergrund und<br />
praktische Umsetzung<br />
2.2 Die Suche nach Interviewpartnern und<br />
Durchführung <strong>der</strong> Interviews<br />
Seite 16<br />
Seite 17<br />
Seite 23<br />
Seite 24<br />
Seite 25<br />
2.3 Auswertung <strong>der</strong> Interviews nach Meuser und Nagel Seite 27
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
3. Darstellung <strong>der</strong> Interviews Seite 29<br />
3.1 Interview 1 Seite 29<br />
3.2 Interview 2 Seite 31<br />
3.3 Interview 3 Seite 32<br />
3.4 Interview 4 Seite 36<br />
3.5 Interview 5 Seite 38<br />
3.6 Interview 6 Seite 39<br />
3.7 Interview 7 Seite 41<br />
4. Ergebnisse <strong>der</strong> Befragung türkischer<br />
Ratsuchen<strong>der</strong><br />
2<br />
Seite 43<br />
4.1 Kenntnis <strong>der</strong> Beratungsstelle… Seite 43<br />
4.1.1 …durch an<strong>der</strong>e Institutionen Seite 43<br />
4.1.2 …durch Freunde o<strong>der</strong> Bekannte Seite 44<br />
4.2 Term<strong>in</strong>vere<strong>in</strong>barung Seite 45<br />
4.3 Situation vor Beratungsbeg<strong>in</strong>n Seite 46<br />
4.4 Erwartungen an die Beratung Seite 50<br />
4.5 Auswirkungen <strong>der</strong> Beratung auf die<br />
Verschuldungssituation<br />
Seite 51<br />
4.6 Auswirkungen <strong>der</strong> Beratung auf Ratsuchende Seite 53<br />
4.7 Berater Seite 55<br />
4.8 Eigene Mitarbeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung Seite 58<br />
4.9 Kritik/Wünsche Seite 59<br />
4.10 Unterstützung im privaten Umfeld Seite 61<br />
4.11 E<strong>in</strong>kommenssituation Seite 63<br />
4.12 Kostenlose Beratung – kostenpflichtige Beratung Seite 64<br />
4.13 Türkei Seite 65
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
5. Befragung von Schuldnerberatern zum Thema<br />
„Türkische <strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong>“<br />
3<br />
Seite 68<br />
5.1 Forschungsaufbau <strong>der</strong> Schuldnerberater-befragung Seite 68<br />
5.2 Zusammenfassende Darstellung <strong>der</strong> Fragebögen Seite 69<br />
5.3 Ergebnisse <strong>der</strong> Befragung <strong>der</strong> Schuldnerberater Seite 70<br />
5.3.1 Beratung türkischer <strong>Migranten</strong> Seite 70<br />
5.3.2 Probleme <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung Seite 71<br />
5.3.3 Unterstützung bei Gläubigerkorrespondenz Seite 72<br />
5.3.4 Methoden <strong>der</strong> Beratung Seite 73<br />
5.3.5 Sprachliche Barrieren Seite 74<br />
5.3.6 Gute Sprachkenntnisse Seite 76<br />
5.3.7 Eigene E<strong>in</strong>schätzung <strong>der</strong> Rolle als Berater Seite 77<br />
5.3.8 Private Schulden Seite 79<br />
5.3.9 SCHUFA Seite 80<br />
5.3.10 Rolle <strong>der</strong> Kultur Seite 80<br />
5.3.11 Beson<strong>der</strong>e Angebote für türkische Ratsuchende Seite 82<br />
5.3.12 Sympathie für türkische <strong>Migranten</strong> Seite 83<br />
5.3.13 Gescheiterte Selbstständigkeit Seite 84<br />
5.3.14 Überschätzung <strong>der</strong> f<strong>in</strong>anziellen Leistungsfähigkeit Seite 85<br />
6. Zusammenführung <strong>der</strong> Ergebnisse und<br />
Beantwortung <strong>der</strong> Forschungsfrage<br />
Seite 86<br />
6.1 Sprachliche Barrieren – Dolmetscher Seite 87<br />
6.2 Offenheit – Intimität Seite 89<br />
6.3 Rechtlicher und gesellschaftlicher Umgang mit<br />
Schulden: Türkei – Deutschland<br />
Seite 91
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
7. Schlussbetrachtung Seite 94<br />
Literaturverzeichnis Seite 96<br />
Internetquellenverzeichnis Seite 99<br />
4
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
0. E<strong>in</strong>leitung<br />
Das Tätigkeitsfeld <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong> unterliegt dem Wandel <strong>der</strong><br />
Gesellschaft. Da das Problem <strong>der</strong> Überschuldung <strong>in</strong> Deutschland immer<br />
mehr gesellschaftliche Gruppen durchdr<strong>in</strong>gt, wird auch das Klientel <strong>der</strong><br />
<strong>Schuldnerberatung</strong>sstellen, im Vergleich zu <strong>der</strong>en Anfängen <strong>in</strong> den<br />
1970er/1980er Jahren, immer heterogener (vgl. Schruth 2003, S. 19).<br />
Deswegen ist davon auszugehen, dass sich auch die Anfor<strong>der</strong>ungen an die<br />
Schuldnerberater 1 im Laufe <strong>der</strong> Zeit geän<strong>der</strong>t haben. Dies zu klären ist e<strong>in</strong><br />
Anliegen dieser Arbeit.<br />
Dazu sollen türkische <strong>Migranten</strong>, als e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Gruppe von<br />
Ratsuchenden <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong>, untersucht werden. Die Wahl ist auf<br />
türkeistämmige <strong>Migranten</strong> gefallen, da diese zum e<strong>in</strong>en die größte Gruppe<br />
<strong>in</strong> Deutschland leben<strong>der</strong> <strong>Migranten</strong> bilden (vgl. Bundesamt für Migration und<br />
Flüchtl<strong>in</strong>ge 2009, S.7) und somit e<strong>in</strong> guter Zugang zum Forschungsfeld<br />
angenommen wird.<br />
Zum an<strong>der</strong>en stammt das bearbeitete Thema direkt aus <strong>der</strong><br />
schuldnerberaterischen Praxis. Der Autor hat, unter an<strong>der</strong>em durch se<strong>in</strong>e<br />
eigene Tätigkeit als Schuldnerberater, beobachten können, dass <strong>in</strong><br />
Supervisionen und kollegialen Fallbesprechungen die teilweise immer wie<strong>der</strong><br />
als problematisch empfundene Beratung von türkischen <strong>Migranten</strong><br />
besprochen und nach Lösungswegen gesucht wird. Aktuell wird dieses<br />
Thema zudem vermehrt <strong>in</strong> Praktikerforen und Expertenzusammenkünften<br />
kontrovers diskutiert. Es herrscht Une<strong>in</strong>igkeit darüber, ob spezielle<br />
Angebote für türkische <strong>Migranten</strong> notwendig und s<strong>in</strong>nvoll s<strong>in</strong>d. Den<br />
Wünschen und Bedürfnisse <strong>der</strong> Ratsuchenden selber, sche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> dieser<br />
Diskussion bisher noch ke<strong>in</strong> Raum gegeben worden zu se<strong>in</strong>. Diese zu<br />
ermitteln ist e<strong>in</strong> weiteres Bestreben des Forschungsvorhabens.<br />
1 Auf die Verwendung des „B<strong>in</strong>nen-I“ wird <strong>in</strong> dieser Arbeit verzichtet und <strong>der</strong> männliche Term<strong>in</strong>us<br />
verwendet, dieser schließt weibliche Personen mit e<strong>in</strong>.<br />
5
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Zur Erhebung von Daten für die <strong>der</strong> Forschung zu Grunde liegenden Fragen<br />
„Stellen türkische <strong>Migranten</strong> beson<strong>der</strong>e Ansprüche an die<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong>?“ und „Welche Bedürfnisse und Wünsche haben sie?“,<br />
wurden leitfadengestützte Interviews mit türkischen Ratsuchenden<br />
durchgeführt. Um die so gewonnenen Informationen zu ergänzen und alle<br />
an <strong>der</strong> Beratung Beteiligten (Ratsuchen<strong>der</strong> und Berater) <strong>in</strong> die<br />
Untersuchung e<strong>in</strong>zubeziehen, wurde von den Schuldnerberatern e<strong>in</strong> offener<br />
Fragebogen beantwortet.<br />
Der Schwerpunkt wird bei <strong>der</strong> vorliegenden Arbeit auf die Forschung gelegt,<br />
da das erhobene Datenmaterial 2 umfangreich und aussagekräftig ist. E<strong>in</strong>e<br />
E<strong>in</strong>ordnung <strong>der</strong> gewonnenen Ergebnisse kann nicht vorgenommen werden,<br />
da aktuell ke<strong>in</strong>e Literatur vorliegt, die diese bewahrheiten o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Frage<br />
stellen könnte.<br />
Die Diplomarbeit glie<strong>der</strong>t sich <strong>in</strong> zwei Abschnitte, den theoretischen (A) und<br />
den empirischen (B) Teil.<br />
Im theoretischen Teil wird zunächst e<strong>in</strong>e literaturgestützte E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong><br />
das Forschungsthema gegeben (Kapitel 1). Dazu werden die Themen<br />
„<strong>Schuldnerberatung</strong>“ (Kapitel 1.1) und „Türkische <strong>Migranten</strong> <strong>in</strong><br />
Deutschland“ (Kapitel 1.2) näher betrachtet.<br />
Der empirische Teil stellt zunächst die Herangehensweise und die<br />
Ausführung <strong>der</strong> Forschung dar (2. Kapitel). Hierzu wird die Erstellung e<strong>in</strong>es<br />
Leitfadens erläutert (Kapitel 2.1), die Suche nach Interviewpartnern und die<br />
Durchführung <strong>der</strong> Interviews beschrieben (Kapitel 2.2) sowie das<br />
Auswertungsverfahren nach Meuser und Nagel (2002) vorgestellt (Kapitel<br />
2.3).<br />
Das dritte Kapitel dient <strong>der</strong> kurzen Zusammenfassung <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen<br />
Interviews.<br />
In Kapitel vier werden die Ergebnisse <strong>der</strong> Befragung türkischer<br />
Ratsuchen<strong>der</strong> an Hand unterschiedlicher Themengebiete dargestellt.<br />
2 Das erhobene und bearbeitete Datenmaterial f<strong>in</strong>det sich im beiliegenden Anhang.<br />
6
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Der Aufbau, die zusammenfassende Wie<strong>der</strong>gabe und die Resultate <strong>der</strong><br />
Beraterbefragung werden <strong>in</strong> Kapitel fünf veranschaulicht.<br />
Darauf folgen die Zusammenführung <strong>der</strong> durch die Auswertung <strong>der</strong><br />
Forschung gewonnenen Erkenntnisse (Kapitel 6) und die Beantwortung <strong>der</strong><br />
Forschungsfrage (Kapitel 6.1). Zudem erfolgt e<strong>in</strong>e Darstellung von<br />
Möglichkeiten zur Umsetzung <strong>der</strong> Ergebnisse <strong>in</strong> <strong>der</strong> schuldnerberaterischen<br />
Praxis (Kapitel 6.1.1, 6.1.2 und 6.1.3).<br />
In <strong>der</strong> Schlussbetrachtung (Kapitel 7) werden H<strong>in</strong>weise für e<strong>in</strong>e<br />
weiterführende Untersuchung des Forschungsfeldes gegeben.<br />
7
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
A Theoretischer Teil<br />
1. Literaturgestützte E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das Forschungsthema<br />
E<strong>in</strong> E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die theoretischen H<strong>in</strong>tergründe <strong>der</strong> vorliegenden<br />
Forschungsarbeit wird <strong>in</strong> diesem Kapitel gegeben. Dazu werden zunächst<br />
die Aufgabengebiete und die konzeptionelle Ausrichtung von<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> beschrieben. In e<strong>in</strong>em weiteren Teil wird auf die<br />
Geschichte <strong>der</strong> türkischen Migration nach Deutschland und die aktuelle<br />
Lebenssituation türkischer <strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong>gegangen.<br />
Insgesamt ist die E<strong>in</strong>führung kurz gehalten, da <strong>in</strong> <strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong><br />
Forschungsergebnisse, stets auf Literatur verwiesen wird, um die Gültigkeit<br />
<strong>der</strong> gewonnenen Erkenntnisse besser e<strong>in</strong>ordbar zu machen.<br />
1.1 <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Zum E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> das Thema zunächst e<strong>in</strong>e Def<strong>in</strong>ition von<br />
„<strong>Schuldnerberatung</strong>“:<br />
„<strong>Schuldnerberatung</strong> versteht sich als Hilfsangebot für hochverschuldete<br />
Familien und E<strong>in</strong>zelpersonen mit dem Ziel, die verschiedenartigen – gerade<br />
sozialen – Folgeprobleme von Überschuldung 3 zu beseitigen o<strong>der</strong> zu<br />
m<strong>in</strong>imieren.“ (Schruth 2003, S. 21).<br />
1.1.1 Geschichte <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> ist e<strong>in</strong> recht junger Tätigkeitsbereich <strong>der</strong> Sozialen Arbeit,<br />
<strong>der</strong> im Laufe <strong>der</strong> letzten Jahre immer mehr an Bedeutung gewonnen hat.<br />
Vermehrt existieren <strong>Schuldnerberatung</strong>sstellen <strong>in</strong> Deutschland seit den<br />
1980er Jahren (vgl. Schruth 2003, S. 19).<br />
3 „E<strong>in</strong> Privathaushalt ist dann überschuldet, wenn E<strong>in</strong>kommen und Vermögen aller Haushaltsmitglie<strong>der</strong><br />
über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum trotz Reduzierung des Lebensstandards nicht ausreichen, um fällige<br />
For<strong>der</strong>ungen zu begleichen.“ (3. Armuts- und Reichtumsbericht <strong>der</strong> Bundesregierung 2008, S. 49).<br />
8
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Durch die Ende <strong>der</strong> 70er und Anfang <strong>der</strong> 80er Jahre verstärkt aufkommende<br />
Arbeitslosigkeit, stieg die Zahl <strong>der</strong> von Überschuldung betroffenen<br />
Menschen immer weiter an. Die E<strong>in</strong>kommense<strong>in</strong>bußen konnten kurzfristig<br />
meist nicht überwunden werden. Vielen Haushalten war es nicht mehr<br />
möglich den e<strong>in</strong>gegangenen Verpflichtungen nachzukommen, so dass sich<br />
<strong>der</strong>en materielle und f<strong>in</strong>anzielle Situation langfristig verschlechterte (ebd.,<br />
S. 20).<br />
Derzeit ist <strong>Schuldnerberatung</strong> hauptsächlich bei öffentlichen Trägern und<br />
Trägern <strong>der</strong> freien Wohlfahrtspflege angesiedelt (vgl. Thomsen 2008, S.<br />
14).<br />
1.1.2 Aufgaben <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Im Wesentlichen erfüllt <strong>Schuldnerberatung</strong> folgende Aufgaben:<br />
F<strong>in</strong>anz- und Budgetberatung<br />
Neben dem Versuch die betreffende Person bei <strong>der</strong> Entschuldung und <strong>der</strong><br />
Erstellung e<strong>in</strong>er Gläubigerübersicht zu unterstützen ist auch das Erlernen<br />
e<strong>in</strong>es Ausgabeverhaltens, im Rahmen <strong>der</strong> jeweiligen f<strong>in</strong>anziellen<br />
Möglichkeiten, e<strong>in</strong> wichtiges Ziel von <strong>Schuldnerberatung</strong>, um e<strong>in</strong>e erneute<br />
Verschuldung zu vermeiden (vgl. Schruth 2003, S. 23).<br />
Krisen<strong>in</strong>tervention<br />
Überschuldung geht oft e<strong>in</strong>her mit krisenhaften Lebensereignissen, wie<br />
Arbeitslosigkeit, Trennung o<strong>der</strong> unvorhergesehenen f<strong>in</strong>anziellen<br />
Mehrbelastungen (vgl. Kunz/Scheuermann/Schürmann 2004, S. 48f).<br />
Dadurch werden die Anfor<strong>der</strong>ungen an die <strong>Schuldnerberatung</strong> gestellt, den<br />
Ratsuchenden kurzfristig zu helfen, darüber aufzuklären ob und <strong>in</strong>wieweit<br />
e<strong>in</strong> Anspruch auf Sozialleistungen besteht, den Wohnraum des Betroffenen<br />
zu sichern und gegebenenfalls Kontakt zu den Gläubigern aufzunehmen, um<br />
Vere<strong>in</strong>barungen zu treffen, die <strong>der</strong> aktuellen Situation des Schuldners<br />
angepasst s<strong>in</strong>d (ebd., S. 24).<br />
9
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Soziale Arbeit<br />
Es kann davon ausgegangen werden, dass Personen, die sich an e<strong>in</strong>e<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> wenden, nicht ausschließlich f<strong>in</strong>anzielle Probleme haben,<br />
son<strong>der</strong>n auch persönliche, familiale und soziale Bereiche <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Notlage<br />
s<strong>in</strong>d. Deswegen fließen neben den wirtschaftlichen auch soziale Aspekte <strong>in</strong><br />
die Beratung e<strong>in</strong> und es ist erfor<strong>der</strong>lich, dass diese besprochen und<br />
bearbeitet werden (ebd., S. 24).<br />
Das Hilfsangebot umfasst e<strong>in</strong> weites Spektrum. Neben dem notwendigen<br />
fachlichen Wissen ist die (subjektive) Wirkung des Beraters auf den<br />
Ratsuchenden wichtig. Zur Entwicklung e<strong>in</strong>er Beratungsbeziehung spielen<br />
die empathischen Fähigkeiten des Beraters e<strong>in</strong>e zentrale Rolle, da sich so<br />
e<strong>in</strong> vertrauensvolles Verhältnis, <strong>in</strong> dem <strong>der</strong> Ratsuchende bereit ist, se<strong>in</strong>e oft<br />
weitgefächerten Problemlagen gegenüber dem Berater offen zu legen,<br />
entwickeln kann (vgl. Kuntz 2003a, S. 44).<br />
E<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche Berufsqualifikation existiert für Schuldnerberater nicht. Die<br />
tätigen Berater können e<strong>in</strong>e kaufmännische, rechtliche o<strong>der</strong><br />
sozialarbeiterische Ausbildung haben (ebd., S. 42).<br />
Die Zahl <strong>der</strong> doppelt qualifizierten Berater (zum Beispiel kaufmännische<br />
Ausbildung mit anschließendem Studium <strong>der</strong> Sozialen Arbeit) gew<strong>in</strong>nt an<br />
Bedeutung (vgl. Thomsen 2008, S. 72).<br />
E<strong>in</strong> verb<strong>in</strong>dliches Berufsbild für Schuldnerberater wurde, trotz verschiedener<br />
existieren<strong>der</strong> Entwürfe, bislang nicht entwickelt (vgl. Kuntz 2003a, S. 42).<br />
1.1.3 Konzeption von <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Konzeptionell ist <strong>Schuldnerberatung</strong>, als Teil <strong>der</strong> Sozialen Arbeit nach den<br />
Pr<strong>in</strong>zipien <strong>der</strong> Ganzheitlichkeit, Freiwilligkeit und <strong>der</strong> Hilfe zur Selbsthilfe<br />
ausgerichtet.<br />
10
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Ganzheitlichkeit<br />
Auf die unterschiedlichen Aspekte, die <strong>in</strong> die Beratung e<strong>in</strong>fließen können,<br />
wurde bereits e<strong>in</strong>gegangen. Die Berücksichtigung dieser for<strong>der</strong>t vom<br />
Berater die ganzheitliche Betrachtung se<strong>in</strong>es Klienten.<br />
„Ohne Analyse <strong>der</strong> wirtschaftlichen und sozialen Problematik ist sachgerechte und<br />
adäquate Hilfe nicht möglich und bleibt <strong>in</strong> planlosen symptomorientierten<br />
Hilfeleistungen – mit mehr o<strong>der</strong> weniger zufälligen Erfolgen – stecken.“ (Kuntz<br />
2003a, S. 45).<br />
Es wird deutlich, dass für e<strong>in</strong>e nachhaltige Problembewältigung e<strong>in</strong>e<br />
punktuelle Bearbeitung <strong>der</strong> jeweiligen Schwierigkeiten des Ratsuchenden<br />
nicht s<strong>in</strong>nvoll ist, da unter diesen Umständen ke<strong>in</strong>e passende Unterstützung<br />
gefunden werden kann. Zum Beispiel ist e<strong>in</strong>e Entschuldungsstrategie<br />
langfristig erst dann von Nutzen, wenn <strong>der</strong> Ratsuchende gelernt hat, mit<br />
den vorhandenen f<strong>in</strong>anziellen Mitteln zu haushalten und sich nicht neu zu<br />
verschulden.<br />
Freiwilligkeit<br />
„Niemand darf zur <strong>Schuldnerberatung</strong> gezwungen werden.“ (Kuntz 2003a,<br />
S. 50).<br />
Auch wenn Ratsuchende teilweise von an<strong>der</strong>en Institutionen an die<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> weitervermittelt werden (können), muss dennoch <strong>der</strong><br />
Freiwilligkeitsgrundsatz für diesen gelten (ebd., S. 50).<br />
E<strong>in</strong>e Hilfe, die vom Betroffenen nicht gewünscht wird, hätte vermutlich<br />
ohneh<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>e große Wirkung und würde dessen Persönlichkeitsrecht 4<br />
verletzen.<br />
Hilfe zur Selbsthilfe<br />
„Vom Grundsatz her gilt, dass <strong>der</strong> Ratsuchende, je nach Fähigkeit, Vorbildung und<br />
Informationsstand, soweit als möglich selbst aktiv werden soll. Ziel <strong>der</strong> Beratung ist<br />
es immer, dass <strong>der</strong> Betroffene, zum<strong>in</strong>dest langfristig <strong>in</strong> die Lage versetzt wird,<br />
se<strong>in</strong>e soziale und materielle Situation selbständig zu regeln.“ (Kuntz 2003a, S. 51).<br />
4 Vergleiche Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz<br />
11
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
In <strong>der</strong> Regel soll <strong>der</strong> Berater demnach nicht <strong>in</strong> Vollmacht für se<strong>in</strong>e Klienten 5<br />
tätig werden. Die Verhandlungen mit den Gläubigern gestalten sich <strong>in</strong><br />
manchen Fällen allerd<strong>in</strong>gs schwierig, wenn <strong>der</strong> Schuldner die Korrespondenz<br />
übernimmt, da <strong>der</strong>en Verhältnis <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel gestört ist. E<strong>in</strong> Schreiben von<br />
<strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong> kann dann aussichtsreicher se<strong>in</strong> (ebd., S. 51).<br />
Letztendlich muss <strong>der</strong> Berater im E<strong>in</strong>zelfall entscheiden, wie weit se<strong>in</strong>e Hilfe<br />
geht und <strong>in</strong> welchen Situationen es s<strong>in</strong>nvoll ist, Aufgaben <strong>in</strong> Vollmacht zu<br />
übernehmen (ebd., S.51).<br />
1.1.4 Exemplarischer Beratungsablauf<br />
Um e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck vom Beratungsablauf <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong> zu<br />
bekommen, wird dieser im Folgenden beispielhaft dargestellt. Dies kann nur<br />
stark vere<strong>in</strong>facht erfolgen, da die Beratung, wie bereits erläutert, auf die<br />
jeweiligen Bedürfnisse und Problemlagen des Ratsuchenden abgestimmt<br />
wird.<br />
Kontaktaufnahme<br />
Den Kontakt zur <strong>Schuldnerberatung</strong> stellt im Normalfall <strong>der</strong> Betroffene<br />
selbst her. Je früher er dies, nach E<strong>in</strong>treten <strong>der</strong> Überschuldungssituation,<br />
macht, desto größer ist die Wirkung <strong>der</strong> Arbeit des Schuldnerberaters (vgl.<br />
Kuntz 2003b, S. 92f).<br />
Oft liegen aber mehrere Jahre zwischen dem E<strong>in</strong>treten <strong>der</strong> Überschuldung<br />
und dem Aufsuchen e<strong>in</strong>er Beratungsstelle. E<strong>in</strong>e Untersuchung des <strong>in</strong>stituts<br />
für f<strong>in</strong>anzdienstleistungen e.V. hat ergeben, dass durchschnittlich vier Jahre<br />
vergehen, bis Kontakt zur <strong>Schuldnerberatung</strong> aufgenommen wird (vgl.<br />
Knobloch/Reifner/Laatz 2009, S. 21).<br />
„Gründe hierfür liegen u.a. <strong>in</strong> <strong>der</strong> Unkenntnis über das Beratungsangebot, <strong>in</strong><br />
Verdrängungsmechanismen und Schamgefühlen. Häufig geht das Aufsuchen <strong>der</strong><br />
Beratungsstelle mit akutem Leidensdruck e<strong>in</strong>her, z. B. weil aktuell e<strong>in</strong> Besuch des<br />
Gerichtsvollziehers stattgefunden hat.“ (Walbrühl 2006, S. 37).<br />
5 Die Begriffe „Ratsuchen<strong>der</strong>“ und „Klient“ werden im Zusammenhang mit <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
gleichwertig <strong>in</strong> <strong>der</strong> Literatur verwendet. Es gibt ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche Bezeichnung.<br />
12
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Erstes Beratungsgespräch und Krisen<strong>in</strong>tervention<br />
Das Erstgespräch dient dem gegenseitigen Kennenlernen von Berater und<br />
Klient. Ferner erfolgt die Absprache <strong>der</strong> Erwartungen an die Beratung und<br />
<strong>der</strong>en Bed<strong>in</strong>gungen. Vertrauensaufbau und die ganzheitliche Betrachtung<br />
des Ratsuchenden spielen schon <strong>in</strong> dieser Phase e<strong>in</strong>e zentrale Rolle (vgl.<br />
Walbrühl 2006, S. 38).<br />
„Sofern dr<strong>in</strong>gende Aufgaben, bzw. Informationen nötig s<strong>in</strong>d, z. B. Wahrung von<br />
Wi<strong>der</strong>spruchs- und E<strong>in</strong>spruchsfristen, Beantragung sozialer Leistungen etc., wird<br />
die notwendige Informationen und Unterstützung durch die Beratungsstelle<br />
geleistet.“ (Kuntz 2003b, S. 93).<br />
Mit dem ersten Gespräch wird also die Basis für die weitere Beratung<br />
geschaffen. Der Ratsuchende bekommt erste Informationen über die<br />
Beratung an sich und Anregungen für das weitere Verhalten gegenüber den<br />
Gläubigern. Dem Gel<strong>in</strong>gen des ersten Kontakts wird offenbar vor allem<br />
seitens <strong>der</strong> Beratungsstelle e<strong>in</strong>e große Bedeutung zugeschrieben, da dem<br />
Ratsuchenden vermittelt werden soll, dass er sich auf se<strong>in</strong>en Berater<br />
verlassen kann und von diesem ernst genommen wird.<br />
Laufende Beratung<br />
Zwischen dem ersten Beratungsgespräch und <strong>der</strong> Aufnahme <strong>der</strong> laufenden<br />
Beratung liegen, auf Grund <strong>der</strong> meist bestehenden Wartezeiten,<br />
durchschnittlich etwa drei Monate (vgl. Knobloch/Reifner/Laatz 2009, S.<br />
21).<br />
Die laufende Beratung beg<strong>in</strong>nt mit <strong>der</strong> Informationsphase. Durch Gespräche<br />
und die Sichtung <strong>der</strong> Unterlagen, gew<strong>in</strong>nt <strong>der</strong> Berater e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck von<br />
<strong>der</strong> gesamten wirtschaftlichen und persönlichen Situation des<br />
Ratsuchenden. Dabei ist es wichtig, dass <strong>der</strong> Berater empathisch ist und die<br />
Umstände des Klienten nicht bewertet, damit das gegenseitige Vertrauen<br />
weiter ausgebaut werden kann (vgl. Walbrühl 2006, S. 38).<br />
Nach Aufnahme aller wesentlichen Informationen, werden die möglichen<br />
Perspektiven des Ratsuchenden geme<strong>in</strong>sam besprochen. Bezogen auf die<br />
Schulden können diese se<strong>in</strong>: Ratenzahlungsvere<strong>in</strong>barungen und -vergleiche,<br />
das Verbraucher<strong>in</strong>solvenzverfahren o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Leben mit den Schulden.<br />
13
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Die Art <strong>der</strong> Schuldenregulierung hängt von den vorhandenen f<strong>in</strong>anziellen<br />
Mitteln des Schuldners ab. Unterschieden wird zwischen Mittellosigkeit und<br />
verfügbaren (meist begrenzten) Eigenmitteln (vgl. Kuntz 2003b, S. 99).<br />
Ratenzahlungsvere<strong>in</strong>barungen und -vergleiche s<strong>in</strong>d nur möglich, wenn<br />
f<strong>in</strong>anzielle Mittel verlässlich, für den vere<strong>in</strong>barten Abzahlungszeitraum, zur<br />
Verfügung stehen.<br />
Bei e<strong>in</strong>er Ratenzahlungsvere<strong>in</strong>barung wird allen Gläubigern e<strong>in</strong><br />
Ratenzahlungsplan vorgeschlagen, mit dem die gesamten Verb<strong>in</strong>dlichkeiten<br />
durch den Schuldner nach und nach getilgt werden (vgl. Frietsch u.a. 2007,<br />
Teil 3 S. 46).<br />
E<strong>in</strong> Ratenzahlungsvergleich setzt e<strong>in</strong>en teilweisen For<strong>der</strong>ungsverzicht <strong>der</strong><br />
Gläubiger voraus. Sie erhalten e<strong>in</strong>en bestimmten, angemessenen Teil ihrer<br />
For<strong>der</strong>ung und verzichten auf den Rest (ebd., Teil 3 S. 46).<br />
Mittellosen Ratsuchenden und Menschen mit begrenzt verfügbarem<br />
E<strong>in</strong>kommen, bei denen die vorangegangenen Möglichkeiten gescheitert<br />
s<strong>in</strong>d, bleibt das Verbraucher<strong>in</strong>solvenzverfahren als Option zur<br />
Schuldenregulierung o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Leben mit den Schulden.<br />
Die Verbraucher<strong>in</strong>solvenz ist e<strong>in</strong> Regulierungsverfahren,<br />
„das den „redlichen Schuldnern“ die Möglichkeit eröffnet, nach <strong>der</strong> Verwertung und<br />
Verteilung des Vermögens und <strong>der</strong> Verteilung des pfändbaren Anteils aus <strong>der</strong><br />
Erwerbstätigkeit für die Dauer von <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel sechs Jahren e<strong>in</strong>e<br />
Restschuldbefreiung zu erhalten. Damit würde <strong>der</strong> bis dah<strong>in</strong> nicht getilgte Teil <strong>der</strong><br />
Schulden wegfallen.“ (Müller 2003, S. 286).<br />
„Redlich“ ist e<strong>in</strong> Schuldner im S<strong>in</strong>ne des Verbraucher<strong>in</strong>solvenzverfahrens,<br />
wenn er folgenden Obliegenheiten nachkommt: pfändbare<br />
E<strong>in</strong>kommensanteile abtreten; Verpflichtung zur Erwerbstätigkeit, Bemühung<br />
um Arbeit, ke<strong>in</strong>e Ablehnung zumutbarer Arbeit; Wohnungs- und<br />
Arbeitsplatzwechsel anzeigen; Erbe zur Hälfte abführen; Auskunft- und<br />
Mitwirkungspflichten (ebd., S. 302).<br />
Dieser kurze Überblick über das Insolvenzverfahren soll hier ausreichend<br />
se<strong>in</strong>.<br />
Klienten, die sich gegen e<strong>in</strong> Insolvenzverfahren entscheiden o<strong>der</strong> Gründe<br />
vorliegen, dass sie dieses nicht beantragen können und Personen, die ke<strong>in</strong>e<br />
f<strong>in</strong>anziellen Mittel zur Verfügung haben, bleibt e<strong>in</strong> Leben mit den Schulden.<br />
14
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Bei e<strong>in</strong>er solchen Entscheidung ist es wichtig, dass <strong>der</strong> Berater den<br />
Ratsuchenden über se<strong>in</strong>e Rechte als Schuldner aufklärt, zum Beispiel bei<br />
Pfändungen und Klagen sowie bei <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung, die eidesstattliche<br />
Versicherung abzugeben (vgl. Walbrühl 2006, S. 41).<br />
Ende <strong>der</strong> Beratung<br />
In <strong>der</strong> Literatur wird ke<strong>in</strong> konkreter Moment für die Beendigung von<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> vorgegeben. Die Abschlussphase wird wahrsche<strong>in</strong>lich mit<br />
dem Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> jeweils gewählten Regulierungsform e<strong>in</strong>treten.<br />
Walbrühl (2006) erläutert hierzu, dass zum Abschluss <strong>der</strong> Beratung dem<br />
Klienten se<strong>in</strong>e zukünftigen Aufgaben dargelegt und noch offene Fragen<br />
geklärt werden sollen. Außerdem soll <strong>der</strong> Klient dar<strong>in</strong> bestärkt werden, se<strong>in</strong><br />
neu gewonnenes Wissen und Erfahrungen aus <strong>der</strong> Beratung umzusetzen.<br />
Dieser zusammenfassende Überblick über die Geschichte, die Aufgaben, die<br />
Konzeption und den Beratungsverlauf von <strong>Schuldnerberatung</strong> soll an dieser<br />
Stelle genügen. Im Folgenden wird die Geschichte <strong>der</strong> türkischen Migration<br />
nach Deutschland und die aktuelle Lebenssituation türkischer <strong>Migranten</strong> <strong>in</strong><br />
Deutschland dargelegt.<br />
1.2 Türkische <strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> Deutschland<br />
Der Verlauf <strong>der</strong> türkischen Migration nach Deutschland und <strong>der</strong>en<br />
ursprünglichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen werden <strong>in</strong> diesem Kapitel näher<br />
betrachtet. Zudem erfolgt die Darstellung des aktuellen Integrationsstandes<br />
an Hand von <strong>der</strong> E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung türkischer <strong>Migranten</strong> 6 <strong>in</strong> die Schul- und<br />
Berufsausbildung, den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft.<br />
6 In dieser Arbeit wird hauptsächlich die Bezeichnung „türkische <strong>Migranten</strong>“ verwendet, um die<br />
untersuchte Bevölkerungsgruppe zu umschreiben. Es wird nicht zwischen <strong>der</strong>en jeweiligem Status<br />
(Auslän<strong>der</strong>, e<strong>in</strong>gebürgerte <strong>Migranten</strong>, Angehörige <strong>der</strong> zweiten und dritten Generation) unterschieden.<br />
15
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
1.2.1 Geschichte <strong>der</strong> türkischen Migration nach Deutschland und<br />
aktuelle Zahlen<br />
Die Verb<strong>in</strong>dung zwischen <strong>der</strong> Türkei und Deutschland geht zurück bis <strong>in</strong> die<br />
Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Damals arbeiteten die beiden Län<strong>der</strong><br />
wirtschaftlich und militärisch zusammen. In Berl<strong>in</strong> lebten 1912 etwa 1350<br />
Türken und 1916 wurde dort e<strong>in</strong>e Deutsch-Türkische Vere<strong>in</strong>igung gegründet<br />
(vgl. Königse<strong>der</strong>/Schulze 2005, o.S.).<br />
Wegen des auftretenden Arbeitskräftemangels <strong>in</strong> Folge des wirtschaftlichen<br />
Aufschwungs <strong>in</strong> den 1960er Jahren, schloss die deutsche Bundesregierung,<br />
unter an<strong>der</strong>em mit <strong>der</strong> Türkei 1961, Anwerbeabkommen. In diesem wurde<br />
e<strong>in</strong>e Aufenthaltsdauer für die türkischen Arbeiter von maximal zwei Jahren<br />
festgesetzt. E<strong>in</strong>e dauerhafte Ansiedlung o<strong>der</strong> Integration <strong>der</strong><br />
Zugewan<strong>der</strong>ten war zu dieser Zeit nicht geplant (ebd., o.S.).<br />
E<strong>in</strong> Großteil <strong>der</strong> zu dieser Zeit e<strong>in</strong>gewan<strong>der</strong>ten Türken stammte aus<br />
ländlichen Gebieten. Sie hatten ke<strong>in</strong>erlei Ausbildung, lebten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei<br />
meist als arme Bauernsöhne, waren zwischen zwanzig und vierzig Jahren alt<br />
und alle<strong>in</strong>stehend (vgl. Woellert u.a. 2009, S. 12f).<br />
In <strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>der</strong> 1960er Jahre wurde die maximale<br />
Aufenthaltsdauer von zwei Jahren gelockert, da sich <strong>der</strong> ständige Wechsel<br />
<strong>der</strong> Arbeiter für die Arbeitgeber als unwirtschaftlich erwiesen hat. Mit dem<br />
Anwerbestopp 1973 entschieden sich viele ausländische Arbeitnehmer<br />
(<strong>in</strong>sgesamt 2,6 Millionen) <strong>in</strong> Deutschland zu bleiben, weil sie befürchteten<br />
ke<strong>in</strong>e Rückkehrerlaubnis zu bekommen, wenn sie das Land verlassen (vgl.<br />
Königse<strong>der</strong>/Schulze 2005, o.S.)<br />
„Im Rahmen <strong>der</strong> Familienzusammenführung ab 1974 begannen die Arbeitskräfte<br />
verstärkt ihre Angehörigen nachzuholen. Damit stieg auch die Aufenthaltsdauer.<br />
[…] Oftmals wollten die K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Enkelk<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht zurück <strong>in</strong> die Türkei, und so<br />
blieben auch die Älteren bei den Familien <strong>in</strong> Deutschland.“ (Königse<strong>der</strong>/Schulze<br />
2005, o.S.).<br />
Aktuell (2009) leben <strong>in</strong> Deutschland etwa 6,69 Millionen ausländische<br />
Personen, davon stellt die Türkei mit 1.658.083 (24,8%) die größte<br />
ausländische Personengruppe dar. 86,8% <strong>der</strong> Türken leben seit zehn o<strong>der</strong><br />
16
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
mehr Jahren <strong>in</strong> Deutschland. Hierbei handelt es sich um die Menschen, die<br />
als ausländische Arbeitnehmer nach Deutschland gekommen s<strong>in</strong>d und <strong>der</strong>en<br />
Familienangehörige beziehungsweise um Personen, die <strong>in</strong> Deutschland<br />
geboren s<strong>in</strong>d. Vor allem türkische <strong>Migranten</strong> weisen e<strong>in</strong>en hohen Anteil an<br />
<strong>in</strong> Deutschland Geborenen auf (33,3%) (vgl. Bundesamt für Migration und<br />
Flüchtl<strong>in</strong>ge 2009, S. 7ff).<br />
Die Zuzüge aus <strong>der</strong> Türkei s<strong>in</strong>d seit 2002 leicht zurückgegangen. 2008<br />
wurden 28.742 türkische E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>er registriert, 34.843 Türken haben<br />
Deutschland verlassen. Etwa die Hälfte <strong>der</strong> türkischen Zuwan<strong>der</strong>er zieht aus<br />
familiären Gründen nach Deutschland und nur knapp 8% aus<br />
Beschäftigungsgründen (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtl<strong>in</strong>ge 2010,<br />
S. 22ff).<br />
Diese Zahlen belegen, dass sich die Situation türkischer <strong>Migranten</strong> <strong>in</strong><br />
Deutschland maßgeblich verän<strong>der</strong>t hat. Aus den ursprünglich hauptsächlich<br />
männlichen türkischen Arbeitnehmern, <strong>der</strong>en Aufenthalt begrenzt war, s<strong>in</strong>d<br />
Familien geworden, <strong>der</strong>en dauerhafter Lebensmittelpunkt <strong>in</strong> Deutschland<br />
liegt. Im sich anschließenden Teil wird <strong>der</strong>en aktuelle Lebenssituation kurz<br />
dargestellt.<br />
1.2.2 Aktuelle Lebenssituation türkischer <strong>Migranten</strong> <strong>in</strong><br />
Deutschland<br />
„Türkischstämmige <strong>Migranten</strong> haben nicht nur e<strong>in</strong>e fast schon e<strong>in</strong> halbes<br />
Jahrhun<strong>der</strong>t währende Geschichte im E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungsland Deutschland, sie stellen<br />
auch die zweitgrößte 7 Gruppe von <strong>Migranten</strong> dar. Umso bedenklicher ist es, dass sie<br />
im Integrationsvergleich mit Abstand am schlechtesten abschneiden.“ (Woellert u.a.<br />
2009, S. 36).<br />
Trotz <strong>der</strong> oft langen Aufenthaltsdauer <strong>in</strong> Deutschland, hat bisher nur e<strong>in</strong><br />
Drittel die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Der Entschluss für<br />
die endgültige E<strong>in</strong>bürgerung <strong>in</strong> Deutschland, sche<strong>in</strong>t vielen<br />
7 In dieser Studie stellen Spätaussiedler die größte <strong>Migranten</strong>gruppe dar, diese wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
vorangehend zugrundeliegenden Literatur nicht als <strong>Migranten</strong> gezählt.<br />
17
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Türkischstämmigen <strong>in</strong> Deutschland nicht leicht zu fallen. Diejenigen, die sich<br />
für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden haben, gelten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel<br />
auch als besser <strong>in</strong>tegriert, was zu dem Schluss führt, dass e<strong>in</strong>e erfolgreiche<br />
Integration und <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bürgerungswille stark zusammenhängen (ebd., S.<br />
36).<br />
Der aktuelle Integrationsstand türkischer <strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> Deutschland wird im<br />
Folgenden an Hand <strong>der</strong> Teilhabe an <strong>der</strong> Schul- und Berufsausbildung, dem<br />
Arbeitsleben und <strong>der</strong> Gesellschaft näher betrachtet.<br />
Schul- und Berufsausbildung<br />
Die Schul- und Berufsausbildung bilden neben deutschen Sprachkenntnissen<br />
e<strong>in</strong>e wichtige Basis für die Integration <strong>in</strong> den Arbeitsmarkt. Zudem werden<br />
über die Schulbildung grundlegende Fertigkeiten für den Umgang mit <strong>der</strong><br />
Mehrheitsgesellschaft erworben. Diese bieten unter an<strong>der</strong>em e<strong>in</strong>e<br />
Unterstützung <strong>der</strong> Identitätsbildung (vgl. Sauer 2009, S. 65f).<br />
„Bildung gilt daneben als e<strong>in</strong> zentraler Faktor für die mentale Disposition<br />
und für die mentale Offenheit und als wichtige E<strong>in</strong>flussgröße für die<br />
Herausbildung von Orientierungen, E<strong>in</strong>stellungen und Me<strong>in</strong>ungen.“ (ebd., S.<br />
66).<br />
E<strong>in</strong>e gute Schulbildung wirkt sich demnach auf viele Lebensbereiche e<strong>in</strong>es<br />
Menschen aus. Umso bedenklicher ist, dass türkische <strong>Migranten</strong>,<br />
<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Frauen, im Vergleich zu an<strong>der</strong>en <strong>Migranten</strong> durchschnittlich<br />
schlechter <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule abschneiden und <strong>in</strong>sgesamt knapp e<strong>in</strong> Drittel<br />
ke<strong>in</strong>en Bildungsabschluss hat. Mittlerweile verbessert sich zwar das<br />
Bildungsniveau, vergleicht man die erste und zweite Generation, trotzdem<br />
schneidet die zweite türkische Generation wesentlich schlechter ab als die <strong>in</strong><br />
Deutschland geborenen <strong>Migranten</strong> aller an<strong>der</strong>en Herkunftslän<strong>der</strong> (vgl.<br />
Woellert u. a. 2009, S. 36).<br />
Knapp die Hälfte <strong>der</strong> türkeistämmigen <strong>Migranten</strong> haben ihre<br />
Schulausbildung <strong>in</strong> Deutschland durchlaufen, 52% <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei. Die Zahl<br />
<strong>der</strong> Bildungsauslän<strong>der</strong> ist vor allem wegen des großen Anteils von<br />
18
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Heiratsmigranten recht hoch, die zu 97,3% e<strong>in</strong>e Schule <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei<br />
besucht haben (vgl. Sauer 2009, S. 66f).<br />
In <strong>der</strong> Türkei und <strong>in</strong> Deutschland weisen die Schulsysteme Unterschiede<br />
auf. Um die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei erworbenen Abschlüsse e<strong>in</strong>ordnen zu können,<br />
erfolgt e<strong>in</strong>e kurze Darstellung <strong>der</strong> verschiedenen Schulen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei, da<br />
e<strong>in</strong> großer Teil <strong>der</strong> <strong>in</strong> Deutschland lebenden <strong>Migranten</strong> diese absolviert<br />
haben.<br />
Der Besuch e<strong>in</strong>er Ilkokul (Volksschule) ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei Pflicht und umfasst<br />
fünf Schuljahre. Schließt sich an die Beendigung dieser Schule ke<strong>in</strong> weiterer<br />
Schulbesuch an, wird dies <strong>in</strong> Deutschland nicht mit dem Erwerb e<strong>in</strong>es<br />
Schulabschlusses gleichgesetzt, da sie ke<strong>in</strong>e ausreichenden Qualifikationen<br />
für e<strong>in</strong>e anschließende Berufsausbildung mit sich br<strong>in</strong>gt.<br />
E<strong>in</strong> erfolgreiches Absolvieren <strong>der</strong> Ortaokul (Mittelschule), kann <strong>in</strong> etwa mit<br />
e<strong>in</strong>em Haupt- o<strong>der</strong> Realschulabschluss verglichen werden.<br />
Die Lise ist das türkische Gymnasium. Schließt man diese mit Erfolg ab,<br />
berechtigt dies <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei noch nicht zum Besuch e<strong>in</strong>er Universität.<br />
Hierzu müssen Aufnahmeprüfungen bestanden werden (ebd., S. 68f).<br />
Aktuell haben 25% <strong>der</strong> <strong>in</strong> Deutschland lebenden türkischen <strong>Migranten</strong><br />
ke<strong>in</strong>en Schulabschluss. Bei den Übrigen verteilen sich die Abschlüsse<br />
folgen<strong>der</strong>maßen: 13,3% Ortaokul, 18,5% Hauptschule, 11,7% Realschule,<br />
15,3% Lise, 4,7% Fachabitur, 7% Abitur (ebd., S. 69).<br />
Zwar weisen e<strong>in</strong>ige türkische <strong>Migranten</strong> e<strong>in</strong>e gute Schulbildung auf, <strong>der</strong><br />
hohe Anteil <strong>der</strong>er, die ke<strong>in</strong>en Schulabschluss haben ist dennoch<br />
besorgniserregend. Die Suche nach e<strong>in</strong>em Ausbildungsplatz dürfte mit dem<br />
defizitären Bildungsstand nahezu aussichtslos se<strong>in</strong>.<br />
Wie erwartet setzt sich die mangelnde Schulbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Berufsausbildung<br />
fort, beziehungsweise verschlechtert sich noch. Über die Hälfte (56%) <strong>der</strong><br />
türkischen <strong>Migranten</strong> hat ke<strong>in</strong>en beruflichen Ausbildungsabschluss. Knapp<br />
e<strong>in</strong> Viertel absolvierte e<strong>in</strong>e schulische o<strong>der</strong> betriebliche Ausbildung. E<strong>in</strong>e<br />
Techniker- o<strong>der</strong> Meisterschule haben 4% erfolgreich abgeschlossen, e<strong>in</strong><br />
Studium etwa 7% <strong>der</strong> türkischen <strong>Migranten</strong> (ebd., S. 72).<br />
19
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Die erfolglose Suche nach e<strong>in</strong>er Lehrstelle, <strong>in</strong> Folge des oft<br />
unterdurchschnittlichen Schulabschlusses, ist nicht <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zige Grund dafür,<br />
dass türkische <strong>Migranten</strong> ke<strong>in</strong>e Berufsausbildung aufnehmen. In <strong>der</strong> Türkei<br />
sei e<strong>in</strong>e berufliche Ausbildung nicht üblich und deswegen sehen viele auch<br />
<strong>in</strong> Deutschland ke<strong>in</strong>e Notwendigkeit dar<strong>in</strong>. Zudem will knapp die Hälfte <strong>der</strong><br />
türkischen Männer sofort Geld verdienen und spart daher an e<strong>in</strong>er<br />
Ausbildung (vgl. Babka von Gostomski 2010, S. 100ff).<br />
Teilhabe am Erwerbsleben<br />
„Auf dem Arbeitsmarkt schaffen es die türkischen <strong>Migranten</strong> kaum,<br />
<strong>der</strong>artige Bildungsdefizite auszugleichen. Auch hier ist bedenklich, wie wenig<br />
sich die <strong>in</strong> Deutschland Geborenen im Vergleich zu ihren Eltern verbessern.“<br />
(Woellert u. a. 2009, S. 37).<br />
Ungefähr die Hälfte <strong>der</strong> türkischen <strong>Migranten</strong> geht e<strong>in</strong>er Arbeit nach. Es<br />
können jedoch starke Unterschiede zwischen den Geschlechtern festgestellt<br />
werden. Männer haben zu knapp 58% e<strong>in</strong>e Vollzeitstelle, Frauen üben<br />
häufiger Tätigkeiten <strong>in</strong> Teilzeit (12,7%) und als ger<strong>in</strong>gfügig Beschäftigte aus<br />
(6,5%). Von ihnen s<strong>in</strong>d lediglich 23,5% vollzeiterwerbstätig (vgl. Sauer<br />
2009, S. 80f).<br />
Insgesamt überwiegen bei türkischen <strong>Migranten</strong> Berufe mit niedrigem<br />
Qualifikationsanspruch. Die berufliche Stellung als ungelernter o<strong>der</strong><br />
angelernter Arbeiter ist dom<strong>in</strong>ierend. Türkische Männer arbeiten<br />
überwiegend <strong>in</strong> Industrie- und Handwerksbranchen, Frauen im<br />
Dienstleistungssektor (vgl. Babka von Gostomski 2010, S. 124ff).<br />
Hier zeigen sich die Konsequenzen <strong>der</strong> defizitären Schul- und<br />
Berufsausbildung deutlich. Türkische <strong>Migranten</strong> haben hauptsächlich<br />
Arbeitsstellen, für die ke<strong>in</strong>e Ausbildung notwendig ist. Daraus resultiert<br />
oftmals e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ges Arbeitse<strong>in</strong>kommen.<br />
Das durchschnittliche Nettoarbeitse<strong>in</strong>kommen türkischer <strong>Migranten</strong> lag 2006<br />
bei 1384,- Euro. Verglichen mit dem e<strong>in</strong>es deutschen Arbeitnehmers, stehen<br />
Türken rund 140,- Euro monatlich weniger zur Verfügung. Es ist wichtig<br />
darauf h<strong>in</strong>zuweisen, dass e<strong>in</strong> deutlicher Anstieg von türkischen <strong>Migranten</strong><br />
20
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
im Hoche<strong>in</strong>kommensbereich zu verzeichnen ist, gleichzeitig <strong>der</strong> Anteil von<br />
Niedrige<strong>in</strong>kommensbeziehern bei 24% liegt. Der angenommene Mittelwert<br />
wird demnach <strong>in</strong> vielen Haushalten unterschritten (vgl. Tucci 2008, S. 205).<br />
Die Zahl <strong>der</strong> arbeitslosen türkischen Männer <strong>in</strong> Deutschland ist mit 43,2%<br />
recht hoch. Knapp 57% <strong>der</strong> türkischen Frauen gehen ke<strong>in</strong>er<br />
Erwerbstätigkeit nach, weil sie Hausfrauen s<strong>in</strong>d, 17% von ihnen s<strong>in</strong>d<br />
arbeitslos (vgl. Sauer 2009, S. 82).<br />
15,2% <strong>der</strong> türkischen Haushalte bezieht Arbeitslosengeld II, 5,6%<br />
Arbeitslosengeld I. Knapp 50% <strong>der</strong> Haushalte erhalten, wegen <strong>der</strong><br />
durchschnittlich höheren Anzahl <strong>der</strong> dort lebenden K<strong>in</strong><strong>der</strong>, mehr K<strong>in</strong><strong>der</strong>geld<br />
und sehen dieses als wichtige E<strong>in</strong>nahmequelle an. Ausschließlich von<br />
staatlichen Transferleistungen, wie Arbeitslosengeld I o<strong>der</strong> Arbeitslosengeld<br />
II, K<strong>in</strong><strong>der</strong>geld, Wohngeld und Sozialhilfe, leben 15,1% <strong>der</strong> türkischen<br />
Haushalte. Das führt dazu, dass e<strong>in</strong> großer Anteil <strong>der</strong> türkischen <strong>Migranten</strong><br />
f<strong>in</strong>anziell prekären Situationen ausgesetzt ist (vgl. Babka von Gostomski<br />
2010, S. 147ff).<br />
Durch die anhaltend schlechte wirtschaftliche Situation stellen türkische<br />
<strong>Migranten</strong> vermutlich e<strong>in</strong>e wichtige Gruppe potentieller Klienten <strong>der</strong><br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> dar, wor<strong>in</strong> sich unter an<strong>der</strong>em das Forschungsvorhaben<br />
begründet.<br />
Integration <strong>in</strong> die Gesellschaft<br />
Um als gut <strong>in</strong> die Mehrheitsgesellschaft <strong>in</strong>tegriert zu gelten, s<strong>in</strong>d gute<br />
Deutschkenntnisse e<strong>in</strong>e Grundvoraussetzung. Diese s<strong>in</strong>d vor allem <strong>in</strong> den<br />
Bereichen Bildung, Chancen auf dem Arbeitsmarkt und gesellschaftliches<br />
Zusammenleben unumgänglich (vgl. Sauer 2009, S. 74f).<br />
„Bis <strong>in</strong> die 1980er Jahre und darüber h<strong>in</strong>aus wurde wegen <strong>der</strong> verme<strong>in</strong>tlich kurzen<br />
Aufenthaltsdauer und dem niedrigen Beschäftigungsniveau als ungelernte Arbeiter<br />
we<strong>der</strong> von Seiten <strong>der</strong> <strong>Migranten</strong> noch von Seiten <strong>der</strong> Mehrheitsbevölkerung auf den<br />
Spracherwerb Wert gelegt.“ (ebd., S. 75).<br />
Diese Fehle<strong>in</strong>schätzung wirkt sich bis heute negativ auf die<br />
Sprachkompetenz türkischer <strong>Migranten</strong> aus.<br />
21
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Da es schwierig ist, die Sprachkompetenz zu überprüfen, kann nur auf<br />
Studien zurückgegriffen werden, <strong>in</strong> denen die subjektive E<strong>in</strong>schätzung <strong>der</strong><br />
Befragten, bezogen auf die deutsche Sprache, untersucht wurde.<br />
Betrachtet man die Fähigkeit sich <strong>in</strong> Alltagssituationen (e<strong>in</strong>kaufen,<br />
Arztbesuch, Unterhaltung mit Deutschen) auf Deutsch zu verständigen,<br />
geben 80% <strong>der</strong> türkischen Männer an, ke<strong>in</strong>e Probleme zu haben. Bei den<br />
Frauen s<strong>in</strong>d es nur 60% (vgl. Babka von Gostomski 2010, S. 111f).<br />
Auf die Auswirkungen <strong>der</strong> teilweise fehlenden Sprachkompetenz <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> wird <strong>in</strong> Kapitel 6.1.1 noch e<strong>in</strong>mal näher e<strong>in</strong>gegangen.<br />
Der Erwerb <strong>der</strong> deutschen Sprache erfolgt bei den türkischen Männern<br />
vorrangig auf dem Arbeitsplatz o<strong>der</strong> durch den Besuch e<strong>in</strong>er deutschen<br />
Schule. Türkische Frauen lernen hauptsächlich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie deutsch o<strong>der</strong><br />
ebenfalls durch den Schulbesuch <strong>in</strong> Deutschland (ebd., S. 114).<br />
Im täglichen Umgang mit Deutschen lassen sich gleichwohl Unterschiede<br />
zwischen türkischen Männern und Frauen feststellen.<br />
Männer pflegen ihre Kontakte zum größten Teil auf <strong>der</strong> Arbeit und <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Nachbarschaft. Unter ihnen gibt es aber auch e<strong>in</strong>ige (21,5%), die nie o<strong>der</strong><br />
nur selten mit Deutschen zusammenkommen. Da viele Türk<strong>in</strong>nen ke<strong>in</strong>er<br />
Arbeit nachgehen, haben sie auch seltener Kontakt zu deutschen Kollegen<br />
als ihre Männer. Ihr Umgang mit Deutschen beschränkt sich hauptsächlich<br />
auf nachbarschaftliche und freundschaftliche Beziehungen (ebd., S. 156ff).<br />
„H<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Kontakthäufigkeit […] weisen türkische Personen die wenigsten<br />
Kontakte zu Deutschen auf. Die größte vergleichsweise isolierte Teilgruppe s<strong>in</strong>d<br />
Türk<strong>in</strong>nen. Fast jede dritte Türk<strong>in</strong> hat spärliche Kontakte zu Deutschen.“ (ebd., S.<br />
160).<br />
Diese Betrachtung <strong>der</strong> Integration türkischer <strong>Migranten</strong> an Hand<br />
beispielhafter Bereiche soll an dieser Stelle genügen. Es wird deutlich, dass<br />
die E<strong>in</strong>beziehung türkischer <strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> die deutsche Gesellschaft durchaus<br />
als verbesserungswürdig bezeichnet werden kann. E<strong>in</strong>e Diskussion dieses<br />
Umstandes ist allerd<strong>in</strong>gs nicht Thema dieser Arbeit und wird deswegen nicht<br />
vorgenommen.<br />
22
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
B Empirischer Teil<br />
2. Untersuchung <strong>der</strong> Anfor<strong>der</strong>ungen, Wünsche und Bedürfnisse<br />
türkischer <strong>Migranten</strong> an die <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Die Wahl <strong>der</strong> Forschungsmethode des qualitativen leitfadengestützten<br />
Interviews wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> vorliegenden Diplomarbeit getroffen, da neben den<br />
für den Forschungsgegenstand relevanten Fakten, die durch e<strong>in</strong>en<br />
quantitativen Fragebögen hätten erhoben werden können, auch die<br />
persönlichen Erfahrungen, Lebensumstände zur Zeit <strong>der</strong> Beratung und die<br />
Erwartungen an die Beratung ausführlicher mit <strong>in</strong> die Auswertung e<strong>in</strong>fließen<br />
können. So sollen die Anfor<strong>der</strong>ungen türkischer <strong>Migranten</strong> an die<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> und <strong>der</strong>en Wünsche und Bedürfnisse herausgearbeitet<br />
und durch den Vergleich <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Interviews verallgeme<strong>in</strong>ert werden.<br />
Das Leitfaden<strong>in</strong>terview birgt <strong>in</strong> diesem Fall mehrere Vorteile. Zum e<strong>in</strong>en<br />
werden die Interviewpersonen animiert über das forschungsrelevante<br />
Thema zu <strong>in</strong>formieren, wobei sie frei sprechen können, aber das<br />
Abschweifen vom vorgegebenen Gegenstand möglichst ger<strong>in</strong>g gehalten<br />
wird. Zum an<strong>der</strong>en werden die Interviews untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> vergleichbar, da<br />
alle zu behandelnden Themengebiete mit allen Interviewpartnern<br />
besprochen werden. Außerdem soll die Strukturierung durch Fragen das<br />
Führen des Interviews erleichtern, da zu bedenken ist, dass e<strong>in</strong>ige<br />
Erzählpersonen das Gespräch nicht <strong>in</strong> ihrer Muttersprache halten können<br />
(vgl. Stigler/Felb<strong>in</strong>ger 2005, S. 129f).<br />
Die Auswertung <strong>der</strong> Interviews erfolgt nach den Richtl<strong>in</strong>ien von Meuser und<br />
Nagel (2002), wobei <strong>der</strong> Schritt <strong>der</strong> theoretischen Generalisierung nicht<br />
durchgeführt wird, da er den Rahmen dieser Arbeit überschreiten würde.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Auswertung teilweise Beson<strong>der</strong>heiten des<br />
Gesprochenen (Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Stimmlage, Pausen etc.) e<strong>in</strong>fließen, wenn<br />
diese Aufschluss über den Forschungsgegenstand geben können, was nach<br />
Meuser und Nagel ke<strong>in</strong>e Beachtung f<strong>in</strong>det.<br />
23
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
2.1 Der Leitfaden – theoretischer H<strong>in</strong>tergrund und<br />
praktische Umsetzung<br />
In diesem Kapitel wird kurz auf die Beweggründe zur Verwendung e<strong>in</strong>es<br />
Leitfadens und auf die Vorgaben zu dessen Erstellung nach Helfferich<br />
(2005) e<strong>in</strong>gegangen, die <strong>der</strong> Entstehung des verwendeten Leitfadens zu<br />
Grunde liegen. Dies wird dann anhand <strong>der</strong> praktischen Umsetzung<br />
konkretisiert.<br />
Zum E<strong>in</strong>satz e<strong>in</strong>es Leitfadens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Literatur<br />
unterschiedliche Me<strong>in</strong>ungen. E<strong>in</strong>ige Autoren sehen dar<strong>in</strong> „e<strong>in</strong>en Bruch mit<br />
dem Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> Offenheit“ (Stigler/Felb<strong>in</strong>ger 2005, S. 129), an<strong>der</strong>e sehen<br />
„im Leitfaden e<strong>in</strong>e Grun<strong>der</strong>for<strong>der</strong>nis <strong>der</strong> Interviewführung“ (ebd, S. 129).<br />
Die Vorteile für den E<strong>in</strong>satz dieser Technik für die vorliegende Arbeit werden<br />
bereits <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>leitung dieses Kapitels gegeben und dienen hier auch <strong>der</strong><br />
Begründung. Ziel <strong>der</strong> Datenerhebung war die Gew<strong>in</strong>nung von Informationen<br />
zu dem begrenzten Thema „eigene Erfahrungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong>“,<br />
weswegen gänzlich offene Interviewformen, wie das narrative Interview,<br />
eventuell nicht den gewünschten Aufschluss geliefert hätten.<br />
Der Leitfaden für diese Forschung wurde nach dem von Helfferich (2005)<br />
vorgeschlagenen SPSS-Pr<strong>in</strong>zip erstellt.<br />
Dazu werden zunächst Fragen gesammelt, die für den<br />
Forschungsgegenstand <strong>in</strong>teressant se<strong>in</strong> könnten, ohne darauf zu achten, ob<br />
die jeweiligen Formulierungen leitfadentauglich s<strong>in</strong>d (vgl. Helfferich 2005, S.<br />
162).<br />
Diese Auflistung umfasste ungefähr dreißig Fragen.<br />
Im nächsten Schritt werden die Fragen anhand unterschiedlicher Kriterien<br />
auf die Nutzbarkeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Leitfaden geprüft. Re<strong>in</strong>e Informationsfragen<br />
und geschlossene Fragen, wie „Fühlen Sie sich wohl <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung?“<br />
werden gestrichen o<strong>der</strong> zu offenen Fragen umformuliert. Fragen, die<br />
Vorwissen des Forschers be<strong>in</strong>halten, wie zum Beispiel „Gibt es sprachliche<br />
Barrieren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung?“ werden aus <strong>der</strong> Liste entfernt und durch<br />
24
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
allgeme<strong>in</strong>ere Formulierungen, wie „Wodurch könnte die Beratung verbessert<br />
werden?“ ersetzt (ebd., S. 162f).<br />
Außerdem werden die Fragen auf Beantwortbarkeit durch die<br />
Erzählpersonen geprüft, da nicht erwartet werden kann, dass diese die<br />
Forschungsfrage direkt beantworten können.<br />
„[…] die Antwort auf die Forschungsfrage zu f<strong>in</strong>den, ist Aufgabe <strong>der</strong> Forschenden,<br />
die das <strong>in</strong> den qualitativen Interviews erzeugte Textmaterials <strong>der</strong> Mühe e<strong>in</strong>er<br />
sorgfältigen Interpretation unterziehen müssen.“ (ebd., S. 164)<br />
Die verbliebenen Fragen werden im dritten Schritt so sortiert, dass die<br />
Erzählperson möglichst chronologisch von ihren persönlichen Erfahrungen <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong> berichten konnte, beg<strong>in</strong>nend mit dem Zugang zur<br />
Beratungsstelle, über den Beratungsverlauf, zu den möglichen offenen<br />
Wünschen an die Beratung.<br />
Der letzte Arbeitsschritt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erstellung des Leitfadens ist die<br />
Subsumierung, <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>der</strong> Leitfaden <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e formale Glie<strong>der</strong>ung gebracht<br />
wurde. In vier Spalten wird erstens <strong>der</strong> Verlauf, von <strong>der</strong> Begrüßung zu den<br />
übergeordneten Themenblöcken, zweitens die Formulierungshilfen <strong>der</strong><br />
Forschungsfragen, drittens <strong>der</strong> H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Fragen und<br />
viertens Stichworte, <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er Checkliste, für mögliche Nachfragen<br />
festgehalten 8 (ebd., S. 165ff).<br />
2.2 Die Suche nach Interviewpartnern und Durchführung<br />
<strong>der</strong> Interviews<br />
Um Interviewpartner zu f<strong>in</strong>den, wurden mehrere <strong>Schuldnerberatung</strong>sstellen<br />
<strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz per E-Mail angeschrieben. In diesem Anschreiben wurde<br />
das Forschungsvorhaben vorgestellt und die Kriterien für mögliche<br />
Erzählpersonen dargestellt. Zu den Voraussetzungen gehörten, dass die<br />
Ratsuchenden schon mehrere Beratungskontakte gehabt haben sollten o<strong>der</strong><br />
die Beratung kürzlich abgeschlossen wurde. Sie sollten entwe<strong>der</strong> aus <strong>der</strong><br />
Türkei emigriert se<strong>in</strong> o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en türkischen Migrationsh<strong>in</strong>tergrund haben.<br />
Außerdem sollten sie über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen, um<br />
8 Der Leitfaden f<strong>in</strong>det sich im Anhang S. 6ff<br />
25
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
e<strong>in</strong> Interview durchführen zu können. Dem Schreiben an die<br />
Beratungsstellen wurde e<strong>in</strong> Informationsschreiben für die potentiellen<br />
Interviewpartner, e<strong>in</strong>e „Erklärung zur Befreiung von <strong>der</strong> Schweigepflicht“<br />
und § 30 „Verarbeitung personenbezogener Daten durch<br />
Forschungse<strong>in</strong>richtungen“ aus dem Landesdatenschutzgesetz Rhe<strong>in</strong>land-<br />
Pfalz beigefügt (Anhang, S. 1ff).<br />
Der Kontakt zu den Personen, die bereit waren an e<strong>in</strong>em Interview<br />
teilzunehmen, wurde über die Beratungsstellen organisiert. Sie haben die<br />
möglichen Interviewpartner angesprochen und, nachdem sie von <strong>der</strong><br />
Schweigepflicht entbunden wurden, weitervermittelt.<br />
Die Interviewterm<strong>in</strong>e wurden telefonisch vere<strong>in</strong>bart, so dass noch offene<br />
Fragen geklärt und die def<strong>in</strong>itive Zusage von Seiten <strong>der</strong> Interviewpartner<br />
erteilt werden konnte. Die Term<strong>in</strong>wahrnehmungen selbst gestalteten sich<br />
teilweise schwierig, da e<strong>in</strong>ige Interviewpartner nicht erschienen, meist ohne<br />
sich vorher abzumelden. Nach Rückfrage waren alle weiterh<strong>in</strong> bereit e<strong>in</strong><br />
Interview zu geben, hatten den vere<strong>in</strong>barten Term<strong>in</strong> allerd<strong>in</strong>gs vergessen,<br />
obwohl die Term<strong>in</strong>vere<strong>in</strong>barung maximal e<strong>in</strong>e Woche zurücklag o<strong>der</strong> es kam<br />
spontan etwas dazwischen. Insgesamt hatten sich zehn Personen zu e<strong>in</strong>em<br />
Interview bereiterklärt, nur mit sieben kam es auch zustande.<br />
Von den sieben Befragten waren vier männlich und drei weiblich und<br />
zwischen fünfundzwanzig und achtundvierzig Jahren alt.<br />
Die Interviews wurden <strong>in</strong> Büros <strong>der</strong> jeweiligen Beratungsstellen <strong>der</strong><br />
Ratsuchenden durchgeführt, da ihnen dieser Ort vertraut, gleichzeitig aber<br />
auch für sie neutral war. So konnten alle Gespräche ohne Störungen von<br />
außen, beziehungsweise durch Dritte stattf<strong>in</strong>den.<br />
Vor Interviewbeg<strong>in</strong>n wurde noch e<strong>in</strong>mal kurz <strong>der</strong> Zweck des Interviews und<br />
dessen Verwendung besprochen. Alle Interviewpartner haben die<br />
E<strong>in</strong>verständniserklärung zur Nutzung des Interviews für diese<br />
Forschungsarbeit unterschrieben und e<strong>in</strong>e Erklärung zur zweckgebundenen<br />
und anonymisierten Verwendung erhalten.<br />
Die Interviews wurden mit e<strong>in</strong>em digitalen Aufnahmegerät aufgenommen,<br />
um später transkribiert werden zu können. Die Länge <strong>der</strong> Interviews fiel<br />
unterschiedlich aus (zwischen zehn und vierzig M<strong>in</strong>uten), da e<strong>in</strong>ige<br />
26
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Interviewpartner ausführlich ihre Erfahrungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
schil<strong>der</strong>ten o<strong>der</strong> biographische Elemente <strong>in</strong> die Erzählung e<strong>in</strong>brachten.<br />
Hauptsächlich die weiblichen Interviewpartner haben sich auf die gefragten<br />
Themen beschränkt.<br />
2.3 Auswertung <strong>der</strong> Interviews nach Meuser und Nagel<br />
Das Auswertungsverfahren nach Meuser und Nagel (2002) glie<strong>der</strong>t sich <strong>in</strong><br />
sechs Schritte: die Transkription, die Paraphrase, das Kodieren, den<br />
thematischen Vergleich, die soziologische Konzeptualisierung und die<br />
theoretische Generalisierung (wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>leitung bereits erwähnt, wird<br />
dieser Auswertungsschritt nicht durchgeführt und ist nur <strong>der</strong> Vollständigkeit<br />
halber hier aufgeführt).<br />
Die Transkription wird nach diesem Konzept nicht vollständig<br />
vorgenommen, es werden nur die für das Forschungsthema relevanten<br />
Passagen verschriftlicht (vgl. Meuser/Nagel 2002, S. 83).<br />
Da <strong>in</strong> diese Arbeit aber teilweise auch Beson<strong>der</strong>heiten des Gesprochenen<br />
e<strong>in</strong>fließen sollen, wurden die Tonbandaufnahmen vollständig transkribiert.<br />
Der Schritt <strong>der</strong> Paraphrase wurde somit auf den gesamten Text angewendet<br />
und nicht schon während <strong>der</strong> Transkription durchgeführt.<br />
Beim Paraphrasieren wird <strong>der</strong> Text <strong>in</strong> thematische Sequenzen unterteilt,<br />
wobei während <strong>der</strong> Bearbeitung die Gesprächsstruktur <strong>der</strong> Erzählperson<br />
weitestgehend erhalten bleibt und <strong>in</strong>sgesamt wie<strong>der</strong>gibt, was <strong>der</strong><br />
Interviewte äußert. Die Paraphrase dient <strong>der</strong> ersten Verdichtung <strong>der</strong><br />
Interview<strong>in</strong>halte und protokolliert das Gesagte. Die Länge <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen<br />
Paraphrasen richtet sich nach <strong>der</strong> Wichtigkeit <strong>der</strong> Inhalte für das<br />
Forschungsthema und nicht danach, wie viel Raum sie im gesamten<br />
Interview e<strong>in</strong>nimmt. Die Prioritäten <strong>der</strong> Erzählpersonen treten <strong>in</strong> den<br />
H<strong>in</strong>tergrund (ebd., S. 83f).<br />
In <strong>der</strong> Phase des Kodierens werden die paraphrasierten Sequenzen mit<br />
Überschriften versehen, wobei weiterh<strong>in</strong> nah am Text gearbeitet wird.<br />
Thematisch gleiche Passagen werden unter e<strong>in</strong>er Hauptüberschrift<br />
27
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
zusammengestellt, die den Inhalt aller gesammelten Teilstücke wie<strong>der</strong>gibt<br />
(ebd., S. 85f).<br />
Beim thematischen Vergleich werden alle Interviews zur Bearbeitung<br />
herangezogen. Es wird nach thematisch ähnlichen Textstücken gesucht, die<br />
dann gebündelt und mit e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>heitlichen Überschrift versehen werden.<br />
Diese sollen möglichst Begriffe o<strong>der</strong> Redewendungen des Interviewten<br />
enthalten. In diesem Schritt <strong>der</strong> Auswertung werden Geme<strong>in</strong>samkeiten<br />
herausgefiltert, es können aber auch Unterschiede und Gegensätze ermittelt<br />
werden (ebd., S. 86f).<br />
In <strong>der</strong> soziologischen Konzeptualisierung wird sich vom Wortlaut <strong>der</strong><br />
Interviews gelöst und die getroffenen Aussagen werden verallgeme<strong>in</strong>ert, um<br />
diese <strong>in</strong>terpretieren zu können. Die Auswertung bleibt im erhobenen<br />
Material verhaftet (ebd., S. 88f).<br />
Die Kodierung wird <strong>in</strong> dieser Arbeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zusammenfassung <strong>der</strong><br />
e<strong>in</strong>zelnen Interviews dargestellt. Außerdem werden die Ergebnisse des<br />
thematischen Vergleichs festgehalten. Vorbereitende Arbeitsschritte, wie die<br />
Transkription und die Paraphrasierung f<strong>in</strong>den sich im Anhang. Die<br />
soziologische Konzeptualisierung fließt <strong>in</strong> die Beschreibung <strong>der</strong> Interviews<br />
und <strong>in</strong> die Interpretation mit e<strong>in</strong>.<br />
28
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
3. Darstellung <strong>der</strong> Interviews<br />
Dieser Abschnitt dient <strong>der</strong> kurzen Darstellung <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Interviews und<br />
<strong>der</strong> Vorstellung <strong>der</strong> Erzählpersonen. Er be<strong>in</strong>haltet die Zusammenfassung <strong>der</strong><br />
Kodierung.<br />
3.1 Interview 1<br />
Das Interview wurde mit e<strong>in</strong>er männlichen Erzählperson geführt. Er ist 39<br />
Jahre alt, verheiratet und hat zwei K<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />
Von <strong>der</strong> Möglichkeit e<strong>in</strong>e <strong>Schuldnerberatung</strong>sstelle aufzusuchen wusste er<br />
von e<strong>in</strong>em Freund, <strong>der</strong> ihm die Beratung empfohlen hat, um e<strong>in</strong>e Lösung für<br />
se<strong>in</strong>e f<strong>in</strong>anziellen Probleme zu f<strong>in</strong>den. Bis dah<strong>in</strong> habe er „geackert“ wie<br />
verrückt, um die Schulden selbst irgendwie <strong>in</strong> den Griff zu bekommen (vgl.<br />
Anhang, S. 119 Z. 184).<br />
Mit Freunden könne die Erzählperson oberflächlich über Schwierigkeiten<br />
sprechen, private D<strong>in</strong>ge würden <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Familie geklärt: „wenns <strong>in</strong>tim<br />
se<strong>in</strong> also wenns detailliert dann machen wir zu Hause so zum Beispiel mit<br />
me<strong>in</strong>er Frau o<strong>der</strong> (.) mit me<strong>in</strong>er Mutter“ (Anhang, S. 119 Z. 189ff).<br />
Die Familie spiele für den Befragten e<strong>in</strong>e wichtige Rolle, wenn es darum<br />
g<strong>in</strong>ge e<strong>in</strong>e Lösung für Probleme zu f<strong>in</strong>den, von denen Außenstehende nichts<br />
erfahren sollen.<br />
Beim ersten persönlichen Kontakt mit <strong>der</strong> Beratungsstelle wollte sich <strong>der</strong><br />
Befragte zunächst nur <strong>in</strong>formieren, wie die Beratung abläuft (vgl. Anhang,<br />
S. 115 Z. 28).<br />
Als Folge <strong>der</strong> Überschuldung beschreibt die Erzählperson ausführlich, dass<br />
sie sehr vergesslich geworden sei und sowohl alltägliche D<strong>in</strong>ge, als auch<br />
Informationen, die sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung bekomme, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Notizbuch<br />
festhält. Er sagt, dass ihm ständig etwas durch den Kopf geht, was er noch<br />
erledigen müsse (vgl. Anhang, S. 117 Z. 91ff).<br />
29
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Die Beratung empf<strong>in</strong>de <strong>der</strong> Befragte als sehr hilfreich. Er wie<strong>der</strong>holt<br />
mehrmals, dass es ihm „leichter“ geworden sei, seit er die Unterstützung<br />
angenommen habe (vgl. Anhang, S. 117 Z. 87 und 100).<br />
Das Insolvenzverfahren ist das Ziel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung des Befragten.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs sei dieses für ihn nur die e<strong>in</strong>zige realistische Lösung.<br />
„blieb mir nix an<strong>der</strong>es übrig wie ich dann arbeitslos war (.) dann doch zu machen<br />
also (.) falls ich dann halt weiter gearbeitet hätte wollt ich das nich machen und<br />
jetzt durch arbeitslos blieb mir ja nix an<strong>der</strong>es übrig und da hab ich gesagt (1)<br />
hun<strong>der</strong>t Prozent dann (1) muss ich da durch“ (Anhang, S. 115 Z. 13ff).<br />
Würde die Erzählperson wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Anstellung f<strong>in</strong>den, die ihm genügend<br />
E<strong>in</strong>kommen e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gt, um die Schulden abzuzahlen, würde sie diese<br />
Möglichkeit wahrnehmen. Da dies aber nicht <strong>in</strong> Aussicht zu se<strong>in</strong> schien,<br />
stehe sie mittlerweile h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Entscheidung e<strong>in</strong> Insolvenzverfahren<br />
e<strong>in</strong>zuleiten, um so die Schulden zu regulieren. Der Weg zu diesem<br />
Entschluss sei nicht leicht gewesen. Die Arbeitslosigkeit sei <strong>der</strong><br />
Hauptauslöser für die Entscheidung e<strong>in</strong> Insolvenzverfahren zu beantragen.<br />
Gegenseitiges Vertrauen sei für den Interviewten e<strong>in</strong>e Grundvoraussetzung,<br />
um das Beratungsangebot wahrzunehmen. Es spiele für ihn ke<strong>in</strong>e Rolle, ob<br />
er von e<strong>in</strong>em Mann o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Frau beraten werde. Se<strong>in</strong>e Berater<strong>in</strong><br />
empf<strong>in</strong>de er als „nett“, „höflich“ und „hilfsbereit“. Alle se<strong>in</strong>e Fragen seien<br />
bisher zu se<strong>in</strong>er Zufriedenheit beantwortet worden (vgl. Anhang, S. 115f Z.<br />
36ff).<br />
An <strong>der</strong> Beratung f<strong>in</strong>de <strong>der</strong> Befragte gut, dass man sich Zeit für ihn nimmt.<br />
Alle Themen, die ihn gerade beschäftigen, könne er ansprechen und die<br />
Berater<strong>in</strong> gehe darauf e<strong>in</strong>.<br />
„ja also da wird (.) alles was auf dem Herzen kommt wird da beraten (.) gut<br />
beraten“ (Anhang, S. 118 Z. 147f).<br />
Neben den vielen positiven Aspekten <strong>der</strong> Beratung äußert die Erzählperson<br />
auch Kritik. Für Menschen, die Probleme mit <strong>der</strong> deutschen Sprache haben,<br />
solle e<strong>in</strong>e ausländische Beratungskraft o<strong>der</strong> Dolmetscher zur Verfügung<br />
stehen. Er selbst habe schon für e<strong>in</strong>en Bekannten gedolmetscht.<br />
30
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Außerdem solle die Wartesituation im Flur <strong>der</strong> Beratungsstelle verän<strong>der</strong>t<br />
werden, da es dort eng und oft überfüllt sei durch die vielen Ratsuchenden<br />
(vgl. Anhang, S. 117f Z. 111ff).<br />
In <strong>der</strong> Türkei gibt es laut dem Befragten ke<strong>in</strong>e Hilfsangebote für Menschen,<br />
die Schulden haben.<br />
„natürlich isses auch das Gleiche des die s<strong>in</strong>d halt verschuldet und das Harte is<br />
dabei es is nicht wie hier dass die Gerichtsvollzieher kommen und sagen okay das<br />
ist dann die nötigste wo du dann halt mehr kann ich von dir nix nehmen aber da is<br />
da <strong>der</strong> Fall nicht da wird alles gepfändet“ (Anhang, S. 118 Z. 130ff).<br />
Zwar existiere das Problem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei genau wie <strong>in</strong> Deutschland, es gebe<br />
aber ke<strong>in</strong>e rechtlichen Bestimmungen zum Existenzm<strong>in</strong>imum. Der Befragte<br />
beschreibt die Situation als hart und gnadenlos. Allerd<strong>in</strong>gs würde von Seiten<br />
<strong>der</strong> Politik wohl darüber nachgedacht das System zu mo<strong>der</strong>nisieren.<br />
3.2 Interview 2<br />
Die Erzählperson dieses Interviews ist männlich, 40 Jahre alt, verheiratet<br />
und hat zwei K<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />
Kennengelernt habe er das Beratungsangebot durch das Arbeitsamt, bei<br />
dem er selbst gearbeitet hatte. Die Kontaktaufnahme zur<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> sei telefonisch erfolgt (vgl. Anhang, S. 120 Z. 3ff).<br />
Er selbst habe die <strong>Schuldnerberatung</strong> und <strong>der</strong>en Angebot Bekannten<br />
empfohlen und ihnen die Angst genommen dorth<strong>in</strong> zu gehen (vgl. Anhang,<br />
S. 121 Z. 71ff).<br />
Seit <strong>der</strong> Interviewte beraten wird, fühle er sich „locker ganz locker (.) ganz<br />
locker“ (Anhang, S. 122 Z. 82). Durch die Unterstützung wäre e<strong>in</strong>e große<br />
Last von ihm genommen worden, sagt er. Die Gläubiger würden sich<br />
seitdem seltener bei ihm melden.<br />
Das Geschlecht des Beraters spiele für die Erzählperson ke<strong>in</strong>e Rolle, sie<br />
stellt das Fachwissen des Beraters <strong>in</strong> den Mittelpunkt (vgl. Anhang, S. 123<br />
Z. 148f).<br />
31
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Die Aufklärung des Beraters wird als sehr gut empfunden, alles was künftig<br />
auf ihn zukäme, sei dem Interviewten erklärt worden (vgl. Anhang, S. 121<br />
Z. 48ff).<br />
Der Befragte sei <strong>der</strong>zeit im Insolvenzverfahren und fühle sich erleichtert<br />
dadurch. Er sagt, dass se<strong>in</strong>e Schulden so hoch waren und ihn so belastet<br />
haben, dass für ihn von Anfang an klar war, dass er die Insolvenz<br />
beantragen wird (vgl. Anhang, S. 123 Z. 131ff).<br />
Kritisch sieht die Erzählperson, dass ke<strong>in</strong> Dolmetscher für ausländische<br />
Ratsuchende angeboten wird. Außerdem solle generell mehr<br />
Beratungspersonal zur Verfügung gestellt werden, da nach ihrer Me<strong>in</strong>ung<br />
künftig immer mehr Menschen f<strong>in</strong>anzielle Probleme haben werden (vgl.<br />
Anhang, S. 122 Z. 89ff).<br />
„<strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei (.) wie ich soweit weiß solche geme<strong>in</strong>nützige<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong>sstellen existiert nich“ (Anhang, S. 122 Z. 108f).<br />
Der Befragte erzählt, dass es „ke<strong>in</strong>e Gnade“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei gibt, wenn <strong>der</strong><br />
Gerichtsvollzieher kommt. Man könne vielleicht durch „Gnadengesuche“, die<br />
an die Stadt gerichtet s<strong>in</strong>d, se<strong>in</strong>e f<strong>in</strong>anziellen Probleme lösen (vgl. Anhang,<br />
S. 122 Z. 109ff).<br />
3.3 Interview 3<br />
Dieses Interview wurde mit e<strong>in</strong>er männlichen, 29-jährigen Erzählperson<br />
geführt, die verheiratet, aber getrennt lebend, ist und drei K<strong>in</strong><strong>der</strong> hat.<br />
Der Befragte sagt, dass er über Umwege zur kostenlosen Beratungsstelle<br />
gekommen ist. Er habe bereits e<strong>in</strong>en kostenpflichtigen Schuldnerberater<br />
aufgesucht, hätte sich dessen Honorar wegen se<strong>in</strong>er Arbeitslosigkeit aber<br />
nicht mehr leisten können (vgl. Anhang, S. 125 Z. 4ff).<br />
Empfohlen wurde ihm das kostenfreie Beratungsangebot durch e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e<br />
Institution. Der Interviewte habe persönlich <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong>sstelle<br />
32
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
vorgesprochen, um sich zu <strong>in</strong>formieren, wie die Beratung ablaufe (vgl.<br />
Anhang, S. 125 Z. 17ff).<br />
Zu dieser Zeit sei es <strong>der</strong> Erzählperson f<strong>in</strong>anziell sehr schlecht gegangen, da<br />
ihr Arbeitslosengeld II sanktioniert wurde (vgl. Anhang, S. 125 Z. 29ff).<br />
„ich hatte fast ke<strong>in</strong>e Kraft mehr (.) also ich hab gedacht gehabt ich komm<br />
da (.) überhaupt nicht mehr raus das is vorbei du bist gesunken (.)<br />
Sackgasse du kommst nicht mehr raus (.) du bist verlorn (.)“ (Anhang, S.<br />
127 Z. 101ff).<br />
Er sagt auch, dass er anfangs dachte, dass ihm die Beratungsstelle nicht<br />
weiterhelfen könne, er Probleme hatte, sich se<strong>in</strong>er Berater<strong>in</strong> zu öffnen und<br />
kurz davor war wie<strong>der</strong> zu gehen. Hilfe anzunehmen sei für ihn e<strong>in</strong>e große<br />
Überw<strong>in</strong>dung gewesen, da er sich für die Situation, <strong>in</strong> die er geraten war,<br />
geschämt habe. Nachdem er über se<strong>in</strong>en eigenen Schatten gesprungen war,<br />
habe er die Beratung als positiv empfunden (vgl. Anhang, S. 126 Z. 43ff).<br />
Mit Bekannten o<strong>der</strong> se<strong>in</strong>er Familie könne die Erzählperson nicht über ihre<br />
Schwierigkeiten sprechen, da sie diesen e<strong>in</strong>erseits nicht traue und<br />
an<strong>der</strong>erseits das Gefühl habe, dass es niemanden <strong>in</strong>teressiert (vgl. Anhang,<br />
S. 128 Z. 139ff).<br />
Zu se<strong>in</strong>er Berater<strong>in</strong> habe <strong>der</strong> Interviewte mittlerweile e<strong>in</strong> vertrauensvolles<br />
Verhältnis. Er sagt über sie: „mittlerweile ist mit me<strong>in</strong>er Berater<strong>in</strong> (.) s<strong>in</strong>d<br />
wir so nah dass ich eigentlich denke manchmal ich kenn me<strong>in</strong>e Berater<strong>in</strong><br />
schon seit über zwanzig Jahren ich könnt ihr (.) wirklich alles erzählen“<br />
(Anhang, S. 127 Z. 82ff).<br />
Bei se<strong>in</strong>em ersten Term<strong>in</strong> sei <strong>der</strong> Befragte bei e<strong>in</strong>em Berater gewesen. Er<br />
habe für die folgenden Gespräche um e<strong>in</strong>e Berater<strong>in</strong> gebeten, da er sich<br />
Männern generell nicht gut öffnen könne (vgl. Anhang, S. 125 Z. 20ff).<br />
Die Erzählperson sagt, dass sie durch die Inanspruchnahme <strong>der</strong> Beratung<br />
viele Fortschritte gemacht habe, sowohl was ihre Schulden angehe, als auch<br />
ihre Persönlichkeit betreffend. Die Gläubiger würden sich seltener bei ihr<br />
melden und sie habe neuen Lebensmut gefasst (vgl. Anhang, S. 127 Z.<br />
108ff).<br />
33
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Trotz <strong>der</strong> Unterstützung fühle sich <strong>der</strong> Befragte weiterh<strong>in</strong> selbst zuständig<br />
für se<strong>in</strong>e Schulden und nimmt <strong>der</strong>en Regulierung als neue Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
für sich selbst an (vgl. Anhang, S. 131 Z. 265ff).<br />
Den Abstand zwischen den e<strong>in</strong>zelnen Beratungsterm<strong>in</strong>en von vier bis sechs<br />
Wochen empf<strong>in</strong>det die Erzählperson als zu lang und würde sich mehr<br />
Term<strong>in</strong>e <strong>in</strong> kürzerer Zeit wünschen (vgl. Anhang, S. 129 Z. 164ff).<br />
Hilfsangebote <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei gibt es laut dem Interviewten nicht.<br />
„wenn du da Hilfe brauchst (1) es gibt ke<strong>in</strong>e Hilfe du bist verlorn (.) da is knallhart<br />
da gibt’s nit irgendwie (1) wo man auf Gesetze zurückgreifen kann auf Paragraphen<br />
o<strong>der</strong> so da gibt es sowas nicht (.) entwe<strong>der</strong> du hast Geld und du bezahlst es (1)<br />
o<strong>der</strong> du hast ke<strong>in</strong> Geld und die kommen nach Hause und nehmen dir alles was du<br />
hast“ (Anhang, S. 129 Z. 179ff).<br />
Er hebt hervor, dass ke<strong>in</strong>erlei gesetzliche Richtl<strong>in</strong>ien <strong>in</strong> Bezug auf<br />
Verschuldung vorhanden seien. Das System unterstütze nur den Gläubiger,<br />
<strong>der</strong> ansche<strong>in</strong>end mit jedem Mittel se<strong>in</strong>e Rechte durchsetzen kann.<br />
Außerdem beschreibt <strong>der</strong> Befragte die Situation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei so, dass wenn<br />
es Hilfsangebote geben würde, diese überrannt werden würden, da viele<br />
Menschen Probleme haben durch ihr ger<strong>in</strong>ges E<strong>in</strong>kommen (vgl. Anhang, S.<br />
129 Z. 190ff).<br />
Obwohl er selbst Türke sei, distanziere sich <strong>der</strong> Interviewte von <strong>der</strong> Türkei,<br />
auch wenn er dies selbst schade f<strong>in</strong>det. Solange es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Augen dort so<br />
unmenschlich zugehe und <strong>der</strong> Mensch an sich ke<strong>in</strong>en Wert habe, möchte er<br />
nichts mit se<strong>in</strong>em Heimatland zu tun haben (vgl. Anhang, S. 129 Z. 186ff).<br />
Durch die Beratung <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong>sstelle und <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Institution, die ihn unterstützt, ist die Erzählperson zu dem Schluss<br />
gekommen, dass das Leben weitergehen müsse und hat neue Perspektiven<br />
gefunden, die sie jetzt Schritt für Schritt <strong>in</strong> Angriff nehmen möchte.<br />
Außerdem habe sie <strong>in</strong> beiden Beratungsstellen Menschen gefunden, die e<strong>in</strong><br />
offenes Ohr für sie haben und die sich ihrer annehmen (vgl. Anhang, S.<br />
130f Z. 214ff).<br />
Trotz <strong>der</strong> negativen Erfahrungen die <strong>der</strong> Interviewte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Leben<br />
gemacht hat, sagt er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schlussstatement, dass er nichts von dem<br />
34
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
bereut, da er erst jetzt das Leben zu schätzen weiß (vgl. Anhang, S. 131f Z.<br />
275ff).<br />
Abschließend zur Beschreibung dieses Interviews soll nun kurz auf das<br />
Gesprochene <strong>der</strong> Erzählperson e<strong>in</strong>gegangen werden. Der letzte<br />
beschriebene Abschnitt nimmt e<strong>in</strong>en großen Teil <strong>der</strong> Erzählung e<strong>in</strong>. Der<br />
Interviewte hat die Hilfe verschiedener sozialpädagogischer E<strong>in</strong>richtungen<br />
und e<strong>in</strong>es Psychologen angenommen. Die Institution, die ihm die<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> empfohlen hat, war allem Ansche<strong>in</strong> nach für e<strong>in</strong>e<br />
gewisse Zeit die e<strong>in</strong>zige Stelle, an die er sich mit se<strong>in</strong>en Problemen wenden<br />
konnte, nachdem er von se<strong>in</strong>er Familie und se<strong>in</strong>em Freundeskreis ke<strong>in</strong>e<br />
Unterstützung erwarten konnte.<br />
„diese Sozialpädagogen die s<strong>in</strong>d für jemanden da die haben e<strong>in</strong> offenes Ohr<br />
(.) die helfen dir hoch ja und zeigen dir den Weg und (1) man geht halt<br />
diesen Weg langsam langsam langsam (.) auch wenn man dann ke<strong>in</strong>e Kraft<br />
mehr hat man geht geht geht“ (Anhang, S. 130 Z. 225ff).<br />
Von den Sozialpädagogen wurde er ermutigt wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> die Zukunft zu<br />
schauen und haben ihm e<strong>in</strong>en Weg aufgezeigt. Dieser be<strong>in</strong>haltet den<br />
Besuch weiterer Institutionen, wie die <strong>Schuldnerberatung</strong> und e<strong>in</strong>en<br />
Psychologen. Der Befragte ist bereit, trotz anhalten<strong>der</strong> Kraftlosigkeit, die<br />
vorgegebenen Schritte zu gehen, was Vertrauen <strong>in</strong> die sozialpädagogische<br />
E<strong>in</strong>richtung voraussetzt. Die schon vorgenommenen Än<strong>der</strong>ungen sche<strong>in</strong>en<br />
demzufolge e<strong>in</strong>en positiven Effekt auf ihn gehabt zu haben.<br />
Mittlerweile hat er den Mut gefasst, dass alles besser wird, solange er sich<br />
an die Ratschläge <strong>der</strong> Institutionen hält. Er ist sehr <strong>in</strong> das soziale<br />
Hilfssystem e<strong>in</strong>gebunden und macht se<strong>in</strong>en Lebenss<strong>in</strong>n von <strong>der</strong> E<strong>in</strong>haltung<br />
des von <strong>der</strong> Beratungsstelle gezeichneten weiteren Lebensweges abhängig.<br />
Der Befragte hat das Vertrauen <strong>in</strong> sich selbst gefunden, dass er nie wie<strong>der</strong><br />
„fallen“ (Anhang, S. 131 Z. 248 und Z. 249) wird und irgendwann<br />
freigelassen werden wird, um wie<strong>der</strong> auf eigenen Be<strong>in</strong>en zu stehen (vgl.<br />
Anhang, S. 131 Z. 245).<br />
Diese letzte Aussage zeigt, dass er <strong>in</strong> <strong>der</strong> Unterstützung <strong>der</strong><br />
Beratungsstellen so sehr verankert ist, dass ihm se<strong>in</strong> Leben als<br />
35
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
unselbstständig und unfrei ersche<strong>in</strong>t, er dies aber gerne <strong>in</strong> Kauf nimmt, um<br />
irgendwann wie<strong>der</strong> eigene Entscheidungen treffen zu können. In dem Hilfe-<br />
Netzwerk sche<strong>in</strong>t sich <strong>der</strong> Interviewte wohl zu fühlen, möchte sich aber<br />
weiterentwickeln, damit er se<strong>in</strong> Leben selbst <strong>in</strong> die Hand nehmen kann.<br />
3.4 Interview 4<br />
Die Erzählperson dieses Interviews ist weiblich, 25 Jahre alt, ledig und hat<br />
ke<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />
Die Interviewte hat durch e<strong>in</strong> Job Center von dem Angebot <strong>der</strong><br />
<strong>Schuldnerberatung</strong>sstelle erfahren und telefonisch e<strong>in</strong>en Term<strong>in</strong> vere<strong>in</strong>bart.<br />
Der erste persönliche Kontakt hat zwei Wochen nach dem Telefonat<br />
stattgefunden (vgl. Anhang, S. 133 Z. 4ff).<br />
Durch ihre Arbeitslosigkeit habe die Befragte ke<strong>in</strong> Geld, um die Schulden<br />
zurückzuzahlen. Nach e<strong>in</strong>er Kontenpfändung habe sie beschlossen, dass sie<br />
etwas wegen ihrer Schulden unternehmen muss (vgl. Anhang, S. 135 Z.<br />
92ff).<br />
Bis dah<strong>in</strong> habe sie ihre Verschuldungssituation immer verdrängt und die<br />
Briefe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Schublade gesammelt, da diese ihr Angst gemacht hätten<br />
(vgl. Anhang, S. 134 Z.41).<br />
Ihre Erwartungen an die <strong>Schuldnerberatung</strong> vor Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Beratung seien<br />
gewesen, dass die For<strong>der</strong>ungen gestundet und die Gläubiger ihr etwas mehr<br />
Zeit geben würden. Das Insolvenzverfahren, das das geme<strong>in</strong>sam mit <strong>der</strong><br />
Berater<strong>in</strong> erarbeitete Ziel <strong>der</strong> Beratung sei, gehörte nicht zu den<br />
Erwartungen <strong>der</strong> Erzählperson. Sie habe nicht gewusst, dass Privatpersonen<br />
<strong>in</strong> die Insolvenz gehen können (vgl. Anhang, S. 134 Z. 31ff).<br />
Neben <strong>der</strong> Schuldenregulierung habe die Beratung bewirkt, dass die<br />
Befragte ke<strong>in</strong>e Angst mehr und e<strong>in</strong>en freieren Kopf hat (vgl. Anhang, S. 135<br />
Z. 68ff).<br />
36
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Über ihre Berater<strong>in</strong> berichtet die Interviewte: „freundlich sie is sehr<br />
hilfsbereit auch“ (Anhang, S. 134 Z. 50).<br />
Neben den schuldnerberaterischen Themen würden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung auch<br />
an<strong>der</strong>e D<strong>in</strong>ge besprochen und zum Beispiel Unterstützung bei <strong>der</strong><br />
Wohnungssuche geleistet (vgl. Anhang, S. 136 Z. 102ff).<br />
Die <strong>Schuldnerberatung</strong> sei <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zige Ort, an dem die Befragte über ihre<br />
Schulden sprechen kann. Mit ihrer Familie o<strong>der</strong> Freunden gehe das nicht,<br />
weil Schulden für sie e<strong>in</strong> Tabuthema s<strong>in</strong>d und sie sich dafür schämt <strong>in</strong> dieser<br />
Situation zu se<strong>in</strong> (vgl. Anhang, S. 136 Z. 117ff).<br />
Bei <strong>der</strong> Erhebung dieses Interviews ist auffällig gewesen, dass die<br />
Interviewte die Fragen sehr knapp beantwortet hat und <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>en<br />
Sprechfluss gefunden hat. In den Passagen, <strong>in</strong> denen sie auf das Thema<br />
Schulden und ihre Angst vor dem Gerichtsvollzieher zu sprechen kommt,<br />
lacht sie kurz auf.<br />
„als die (1) Briefe vom Amtsgericht kamen da hab ich schon Angst<br />
bekommen (lacht)“ (Anhang, S. 135 Z. 95f).<br />
„ja man schämt sich da und es ist nichts schönes (lacht)“ (Anhang, S. 136<br />
Z. 120f).<br />
Dies kann darauf h<strong>in</strong>deuten, dass es ihr unangenehm ist, über ihre Situation<br />
zu sprechen und sie dies mit e<strong>in</strong>em Lachen überspielt. Dafür sprechen auch<br />
die kurzen (aber dennoch präzisen) Antworten.<br />
Hervorstechend ist außerdem, dass die Befragte immer wie<strong>der</strong> sagt, dass<br />
sie die Schulden und ihre damit e<strong>in</strong>hergehende persönliche Situation<br />
verdrängt hat. Formulierungen wie „dauernd verdrängt“ o<strong>der</strong> „immer<br />
verdrängt“ wie<strong>der</strong>holen sich. Dazu passt ihre Aussage „die ganzen Briefe<br />
hab sie <strong>in</strong> die Schublade re<strong>in</strong> (lacht) und wollt nichts damit zu tun haben“<br />
(Anhang, S. 134 Z. 43f).<br />
37
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
3.5 Interview 5<br />
Das Interview wurde mit e<strong>in</strong>er männlichen Erzählperson geführt, die 48<br />
Jahre alt und verheiratet ist und drei K<strong>in</strong><strong>der</strong> hat.<br />
Empfohlen wurde die <strong>Schuldnerberatung</strong> dem Interviewten durch mehrere,<br />
hauptsächlich türkische, Freunde (vgl. Anhang, S. 137 Z. 4ff) und von<br />
se<strong>in</strong>em Familientherapeuten (vgl. Anhang, S. 137 Z. 17ff).<br />
Allerd<strong>in</strong>gs habe es e<strong>in</strong>ige Zeit gedauert, bis er das Beratungsangebot<br />
angenommen hat. Nach eigener Aussage war <strong>der</strong> Befragte „zu faul“ dazu<br />
und habe das Problem nicht ernst genommen (vgl. Anhang, S. 139 Z.<br />
101ff).<br />
Die Entstehung und die Auswirkungen <strong>der</strong> Verschuldungssituation werden<br />
von <strong>der</strong> Erzählperson sehr ausführlich beschrieben. Als Hauptursachen<br />
werden hier Krankheit, Probleme mit den Arbeitskollegen, was<br />
Arbeitslosigkeit zur Folge hatte, <strong>der</strong> Verlust <strong>der</strong> Wohnung wegen<br />
Ruhestörung und die Unterbr<strong>in</strong>gung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Notunterkunft für e<strong>in</strong> Jahr<br />
angeführt. Wegen dieser Umstände hätten die aufgenommenen<br />
Konsumkredite nicht mehr bedient werden können (vgl. Anhang, S. 137ff Z.<br />
17ff).<br />
Als seelische Folgen erwähnt <strong>der</strong> Interviewte gelegentliche Schlafstörungen<br />
und Depressionen. Er hebt beson<strong>der</strong>s hervor, dass er nicht geisteskrank sei,<br />
son<strong>der</strong>n nur deprimiert: „also ich b<strong>in</strong> nit geistig krank o<strong>der</strong> so was ich b<strong>in</strong> ja<br />
psychisch angeschlagen also es is psychomatisch sagen mir mal (.)<br />
deprimiert“ (Anhang, S. 139 Z. 94ff).<br />
Se<strong>in</strong>e Beziehung zu se<strong>in</strong>er Berater<strong>in</strong> beschreibt <strong>der</strong> Befragte als gut und<br />
familiär. Sie habe ihn gut aufgeklärt und ihm Ängste genommen (vgl.<br />
Anhang, S. 137 Z. 9ff), so dass es ihm jetzt seelisch besser gehe als vor <strong>der</strong><br />
Beratung. Auch die Gläubiger würden sich seltener melden als vorher (vgl.<br />
Anhang, S. 141 Z. 161).<br />
38
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Generell möchte die Erzählperson lieber von weiblichen Personen beraten<br />
werden, weil er diese als e<strong>in</strong>fühlsamer empf<strong>in</strong>det und deswegen besser<br />
Vertrauen fassen könne (vgl. Anhang, S. 142 Z. 211ff).<br />
Mit dem Angebot <strong>der</strong> Beratungsstelle sei <strong>der</strong> Interviewte zufrieden,<br />
beziehungsweise traue er sich nicht zu, Kritik zu äußern (vgl. Anhang, S.<br />
141 Z.183f).<br />
Die Erzählperson habe mit <strong>der</strong> Türkei abgeschlossen und macht dies mit<br />
folgen<strong>der</strong> Aussage deutlich: „die Türkei die ganze Land des s<strong>in</strong>d Gangster<br />
(.) das sag ich Ihnen ganz ehrlich (1) ich b<strong>in</strong> froh dass ich hier <strong>in</strong><br />
Deutschland lebe“ (Anhang, S. 142 Z. 198ff).<br />
Trotzdem geht sie kurz auf das soziale Hilfssystem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei e<strong>in</strong>. Sie<br />
sagt, dass es kaum soziale E<strong>in</strong>richtungen gebe und von staatlicher Seite<br />
nicht auf die privaten Belange <strong>der</strong> Menschen e<strong>in</strong>gegangen werde (vgl.<br />
Anhang, S. 142 Z. 200ff).<br />
3.6 Interview 6<br />
Die 31-jährige Erzählperson dieses Interviews ist weiblich, verheiratet und<br />
hat drei K<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />
Kennengelernt habe sie die <strong>Schuldnerberatung</strong> über das Arbeitsamt, bei<br />
dem sie auf Grund ihrer Arbeitslosigkeit gemeldet sei (vgl. Anhang, S. 143<br />
Z. 4ff).<br />
Im Vorfeld habe sie sich schon e<strong>in</strong>mal überlegt e<strong>in</strong>en Schuldnerberater<br />
aufzusuchen, aber „nen normalen Schuldnerberater kann ich net bezahlen“<br />
(Anhang, S. 143 Z. 26f).<br />
Ihr seien bis zum Rat des Arbeitsamtes nur kostenpflichtige<br />
Beratungsangebote bekannt gewesen.<br />
Die Interviewte gibt an, dass sie vor <strong>der</strong> Beratung psychische Probleme<br />
gehabt habe. Sie habe sich ständig gefragt, warum ihr und ihrer Familie das<br />
alles passieren musste (vgl. Anhang, S. 145 Z. 103ff).<br />
39
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Der Besuch des Gerichtsvollziehers und die Schuldenhöhe von über 20.000<br />
Euro hätten letztlich den Anstoß gegeben, dass sie sich Hilfe gesucht habe<br />
(vgl. Anhang, S. 143 Z. 21ff).<br />
Ergebnisse <strong>der</strong> Beratung <strong>der</strong> Erzählperson seien, dass sie mit dem<br />
Insolvenzverfahren e<strong>in</strong>e neue Lebensperspektive gefunden hat (vgl.<br />
Anhang, S. 143 Z. 32f) und dass sie gelernt hat mit dem ihr zur Verfügung<br />
stehenden Geld umzugehen, um nicht erneut <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Verschuldung zu<br />
geraten (vgl. Anhang, S. 144 Z. 65ff).<br />
Den Berater beschreibt die Interviewte als hilfsbereit, nicht nur <strong>in</strong> Themen<br />
die zur <strong>Schuldnerberatung</strong> gehören, son<strong>der</strong>n auch im privaten Bereich.<br />
„also über private Sachen hab ich auch erzählt […] und da hat er mir auch<br />
sehr viel (.) geholfen“ (Anhang, S. 146 Z. 125ff).<br />
Bevor sie zu dem Berater gekommen sei, <strong>der</strong> sie sehr unterstützt hat, war<br />
sie bei e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Beratungskraft. Mit dieser sei sie unzufrieden<br />
gewesen, da sie, nach dem E<strong>in</strong>druck <strong>der</strong> Erzählperson, nicht ausreichend<br />
<strong>in</strong>formiert habe. Das Geschlecht des Beraters spiele für sie ke<strong>in</strong>e Rolle, die<br />
Kompetenz Informationen zu vermitteln und die Hilfsbereitschaft stünden<br />
für sie im Vor<strong>der</strong>grund (vgl. Anhang, S. 144 Z. 52ff).<br />
Im privaten Bereich habe sich die Arbeitslosigkeit <strong>der</strong> Interviewten negativ<br />
ausgewirkt. Von <strong>der</strong> Verschuldung hätten die Freunde allerd<strong>in</strong>gs wenig<br />
mitbekommen. Die Eltern und die Geschwister <strong>der</strong> Befragten würden<br />
h<strong>in</strong>gegen weiterh<strong>in</strong> zu ihr halten und sie unterstützen (vgl. Anhang, S. 145<br />
Z. 89ff).<br />
Zur Situation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei berichtet die Erzählperson, dass viele Menschen<br />
den Freitod wählen würden, als letzte Möglichkeit <strong>der</strong><br />
Verschuldungssituation zu entkommen. Von staatlicher Seite werde die<br />
Schuldenregulierung nicht unterstützt. Es würden ohne Bonitätsprüfung<br />
Kreditkarten vergeben, was dazu führe, dass Schuldner immer tiefer <strong>in</strong> die<br />
Überschuldung geraten. Ihr Wissen darüber habe die Befragte aus dem<br />
Internet und dem Fernsehen (vgl. Anhang, S. 146f Z. 136ff).<br />
40
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
3.7 Interview 7<br />
Dieses Interview wurde mit e<strong>in</strong>er weiblichen, 28 Jahre alten und<br />
verheirateten Erzählperson geführt, die zwei K<strong>in</strong><strong>der</strong> hat.<br />
Der Interviewten wurde die <strong>Schuldnerberatung</strong> durch Freunde und den<br />
Arbeitgeber des Ehemannes empfohlen (vgl. Anhang, S. 148 Z. 4ff).<br />
Sie selbst habe nicht gewusst, dass es solche Institutionen <strong>in</strong> Deutschland<br />
gibt. Zum ersten Mal wahrgenommen habe sie dies durch e<strong>in</strong>e<br />
Fernsehsendung (vgl. Anhang, S. 151 Z. 125ff).<br />
Die Motivation, die Beratungsstelle aufzusuchen, seien für die Befragte das<br />
ständig überzogene Girokonto (vgl. Anhang, S. 148, Z. 26) und das<br />
Scheitern <strong>der</strong> Aufnahme e<strong>in</strong>es Arbeitgeberdarlehens gewesen (vgl. Anhang,<br />
S. 151 Z. 132).<br />
Nach dem ersten Beratungsgespräch habe sie weiter versucht die Raten zu<br />
zahlen, „aber irgendwann g<strong>in</strong>gs nicht mehr“ (Anhang, S. 150 Z. 67).<br />
Psychisch sei die Erzählperson vor Beratungsbeg<strong>in</strong>n sehr belastet gewesen,<br />
habe sich geschämt und viel gewe<strong>in</strong>t.<br />
Als Perspektive sei das Insolvenzverfahren im Laufe <strong>der</strong> Beratung erarbeitet<br />
worden. Sie sagt, sie fühle sich dabei „komisch“ und „schuldig“, weil die<br />
Gläubiger nur e<strong>in</strong>en Teil des Geldes erhalten würden, sie aber nach Ablauf<br />
des Verfahrens trotzdem schuldenfrei se<strong>in</strong> werde (vgl. Anhang, S. 151f Z.<br />
134ff).<br />
Die Berater<strong>in</strong> nimmt die Interviewte als hilfsbereit wahr, die Angst habe sie<br />
ihr ebenfalls nehmen können (vgl. Anhang, S. 152 Z. 140f).<br />
Seit sie <strong>in</strong> Beratung ist, fühle sich die Befragte leichter. Den Begriff<br />
„leichter“ benutzt sie mehrmals im Laufe den Interviews im Zusammenhang<br />
mit den Depressionen, die sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit hatte. Ihre<br />
Lebensqualität habe sich erhöht (vgl. Anhang, S. 149 Z. 53ff).<br />
In ihrem sozialen Umfeld würden nur wenige von ihren Problemen wissen,<br />
weil sie nicht über solch private D<strong>in</strong>ge mit Freunden o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Familie<br />
41
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
sprechen möchte. Die Interviewte geht davon aus, dass sie von dieser Seite<br />
ke<strong>in</strong>e Unterstützung erwarten könne (vgl. Anhang, S. 151 Z. 101ff).<br />
Die Erzählperson berichtet, dass es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei ihres Wissens ke<strong>in</strong>e<br />
Hilfsangebote für Schuldner gebe. Als K<strong>in</strong>d habe sie miterlebt, dass e<strong>in</strong>em<br />
Nachbarn alle Möbel genommen wurden, nachdem er den Kredit, für den er<br />
gebürgt hatte, nicht zahlen konnte (vgl. Anhang, S. 151 Z.114ff).<br />
42
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
4. Ergebnisse <strong>der</strong> Befragung türkischer Ratsuchen<strong>der</strong><br />
In diesem Kapitel werden die an Hand des thematischen Vergleichs<br />
gewonnenen Ergebnisse <strong>der</strong> Befragung türkischer Ratsuchen<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> dargestellt. Der thematische Vergleich f<strong>in</strong>det sich im<br />
Anhang (S. 186ff). Auf den Verweis von s<strong>in</strong>ngemäßen Zitaten wird zur<br />
besseren Lesbarkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> Ergebnisse verzichtet, lediglich<br />
auf wörtliche Zitate o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e genutzte Quellen wird verwiesen.<br />
4.1 Kenntnis <strong>der</strong> Beratungsstelle…<br />
Das Kennenlernen des Beratungsangebotes lässt sich <strong>in</strong> zwei Kategorien<br />
e<strong>in</strong>teilen. E<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> Befragten wurden durch an<strong>der</strong>e Institutionen auf die<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> h<strong>in</strong>gewiesen o<strong>der</strong> weitervermittelt, an<strong>der</strong>en wurde sie<br />
von Menschen aus dem privaten Umfeld empfohlen.<br />
4.1.1 …durch an<strong>der</strong>e Institutionen<br />
Drei <strong>der</strong> <strong>in</strong>terviewten Personen nennen das Arbeitsamt, beziehungsweise<br />
das Job Center als vermittelnde Institution. Von ihnen haben zwei ihre<br />
Schuldenproblematik <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch mit ihrem Fallmanager dort<br />
angesprochen und s<strong>in</strong>d daraufh<strong>in</strong> an die <strong>Schuldnerberatung</strong> verwiesen<br />
worden.<br />
„ich hab denen erzählt gehabt dass ich (1) Schulden habe und die haben<br />
mich dann dorth<strong>in</strong>“ (Anhang, S. 186 Z. 4f).<br />
Die Weitervermittlung durch die Job Center begründet sich auf § 16a<br />
Sozialgesetzbuch, Zweites Buch, „Kommunale E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ungsleistungen“.<br />
Dort heißt es, dass zur Umsetzung e<strong>in</strong>er ganzheitlichen und umfassenden<br />
Betreuung und Unterstützung bei <strong>der</strong> E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> Arbeit unter an<strong>der</strong>em<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> angeboten werden kann.<br />
E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Befragten hat selbst beim Arbeitsamt gearbeitet und habe die<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> während se<strong>in</strong>er Tätigkeit dort kennenlernt.<br />
43
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Von e<strong>in</strong>er sozialpädagogischen E<strong>in</strong>richtung, die wohl selbst ke<strong>in</strong>e<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> anbietet, wurde e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> Interviewten e<strong>in</strong>e<br />
Beratungsstelle empfohlen. In diesem Fall sei die Regulierung <strong>der</strong> Schulden<br />
e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> vere<strong>in</strong>barten Schritte im Rahmen e<strong>in</strong>er Lebensberatung gewesen.<br />
E<strong>in</strong> weiterer Befragter habe den H<strong>in</strong>weis auf <strong>Schuldnerberatung</strong> durch se<strong>in</strong>e<br />
Familientherapeut<strong>in</strong> bekommen. Die Tatsache, dass <strong>der</strong> Interviewte se<strong>in</strong>e<br />
Schulden im Rahmen e<strong>in</strong>er Therapie anspricht, kann e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis darauf<br />
se<strong>in</strong>, dass die Schulden zum e<strong>in</strong>en die ganze Familie belasten und zum<br />
an<strong>der</strong>en, dass sie zu e<strong>in</strong>em gesundheitlichen o<strong>der</strong> psychischen Problem<br />
geworden s<strong>in</strong>d. Darauf wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> folgenden Unterkapitel noch<br />
e<strong>in</strong>mal näher e<strong>in</strong>gegangen.<br />
4.1.2 …durch Freunde o<strong>der</strong> Bekannte<br />
Durch Freunde wurden drei <strong>der</strong> <strong>in</strong>terviewten Personen auf die<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> aufmerksam. Ob diese selbst <strong>in</strong> Beratung s<strong>in</strong>d o<strong>der</strong><br />
waren ist aus dem Gesagten nicht ersichtlich. Durch die zweimalige<br />
Verwendung des Ausdruckes „empfohlen“ könnte dies aber angenommen<br />
werden.<br />
E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Interviewten geht näher darauf e<strong>in</strong> und sagt: „durch die Freunde<br />
(.) und ich hab mich dann auch beraten lassen (.) bei me<strong>in</strong>e Freunde (.) […]<br />
hauptsächlich so Auslän<strong>der</strong> und die haben mich dann empfohlen dass ich<br />
dann <strong>Schuldnerberatung</strong> gehe“ (Anhang, S. 186 Z. 30ff).<br />
Dadurch, dass man sich gegenseitig beraten hat, wird die Annahme, dass<br />
auch Freunde <strong>der</strong> Interviewten bereits <strong>Schuldnerberatung</strong> <strong>in</strong> Anspruch<br />
genommen haben, verstärkt. Die dort gesammelten Erfahrungen sche<strong>in</strong>en<br />
positiv gewesen zu se<strong>in</strong>, da die Beratung sonst eher nicht weiterempfohlen<br />
worden wäre.<br />
Alle Befragten geben an, dass sie durch Dritte von <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong><br />
Inanspruchnahme von <strong>Schuldnerberatung</strong> erfahren haben. Dies deutet<br />
darauf h<strong>in</strong>, dass <strong>Schuldnerberatung</strong> als sozialpädagogische E<strong>in</strong>richtung<br />
44
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
zum<strong>in</strong>dest im Umkreis <strong>der</strong> Befragten nicht ausreichend bekannt ist und es<br />
an dieser Stelle die Notwendigkeit für die Institutionen gibt, mehr <strong>in</strong> die<br />
Öffentlichkeit zu gehen, um Menschen mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund besser zu<br />
erreichen.<br />
4.2 Term<strong>in</strong>vere<strong>in</strong>barung<br />
Die meisten Erzählpersonen geben an, die jeweilige Beratungsstelle<br />
persönlich aufgesucht zu haben, um e<strong>in</strong>en Term<strong>in</strong> zu vere<strong>in</strong>baren. Bei zwei<br />
<strong>der</strong> Interviewten sei die erste Kontaktaufnahme über das Telefon erfolgt.<br />
Informationen über Beratungsverlauf und –angebot wollten nur zwei <strong>der</strong><br />
<strong>in</strong>terviewten Personen vorab e<strong>in</strong>holen. Die an<strong>der</strong>en sprechen dies nicht an,<br />
obwohl ihr Wissen über <strong>Schuldnerberatung</strong> nicht beson<strong>der</strong>s weitreichend<br />
gewesen se<strong>in</strong> kann, da ihnen <strong>der</strong>en Existenz, bis kurz vor Wahrnehmung<br />
<strong>der</strong> Beratung, nicht bekannt gewesen ist.<br />
Das kann entwe<strong>der</strong> daran liegen, dass die „Vermittler“ viele Informationen<br />
weitergegeben o<strong>der</strong> sie auf <strong>der</strong>en (wahrsche<strong>in</strong>lich positive) Me<strong>in</strong>ung über<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> vertraut haben. Vielleicht war die Hoffnung auf e<strong>in</strong>e<br />
Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Lebenssituation aber auch so groß, dass die Frage „Wie<br />
wird beraten?“ <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund und die Tatsache, dass überhaupt<br />
beraten und weitergeholfen wird, <strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>grund getreten ist.<br />
Ke<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Befragten berichtet von Wartezeiten bis zum Beratungsbeg<strong>in</strong>n,<br />
obwohl dies häufig so ist. Im Durchschnitt liegen zwischen <strong>der</strong> ersten<br />
Kontaktaufnahme mit <strong>der</strong> Beratungsstelle und dem Beratungsbeg<strong>in</strong>n etwas<br />
mehr als drei Monate (vgl. Knobloch/Reifner/Laatz 2009, S. 21). Nur e<strong>in</strong>e<br />
<strong>der</strong> Erzählpersonen erwähnt, wie lange sie auf e<strong>in</strong>en Term<strong>in</strong> gewartet hat.<br />
„<strong>in</strong>nerhalb zwei Wochen (.) hatt ich nen Term<strong>in</strong>“ (Anhang, S. 187 Z. 73f).<br />
Damit liegt sie deutlich unter dem Durchschnittswert.<br />
45
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
4.3 Situation vor Beratungsbeg<strong>in</strong>n<br />
Die psychischen Auswirkungen <strong>der</strong> Schulden und die Situation <strong>der</strong><br />
Interviewten vor Beratungsbeg<strong>in</strong>n stellen sich bei den meisten als sehr<br />
belastend dar. Es wird von Angst, Panik, Depressionen und dem Gefühl<br />
alle<strong>in</strong>e zu se<strong>in</strong> berichtet. Zwar drückt sich die Anspannung bei den<br />
Befragten zum Teil unterschiedlich aus, im Ergebnis deutet aber alles auf<br />
e<strong>in</strong>e angespannte psychische Verfassung h<strong>in</strong>.<br />
E<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Erzählpersonen sagt, dass sie durch die Schulden sehr vergesslich<br />
geworden sei und Gesprächen nur noch schwer folgen kann. Der Kopf sei<br />
ständig voll von Gedanken zu D<strong>in</strong>gen, die noch erledigt werden müssen.<br />
Das Leben wird ansche<strong>in</strong>end ständig von <strong>der</strong> Verschuldung überschattet,<br />
was die Gestaltung des Alltags erschwert.<br />
Von Kraftlosigkeit und e<strong>in</strong>em ungeordneten Leben berichtet e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er<br />
Befragter.<br />
„da wusst ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Leben noch nicht mal mehr was oben und unten is“<br />
(Anhang, S. 187 Z. 92f).<br />
Auch hier wirkt sich die Belastung durch die Schulden offenbar auf alle<br />
Lebensbereiche aus. Desweiteren sagt die Erzählperson, dass sie ke<strong>in</strong>e<br />
Perspektive mehr <strong>in</strong> ihrem Leben gesehen habe und das Gefühl hatte <strong>in</strong> den<br />
schlechten Umständen gefangen zu se<strong>in</strong>. Die Aussage „du bist gesunken“<br />
(Anhang, S. 187 Z. 95) macht deutlich, dass <strong>der</strong> Interviewte se<strong>in</strong>en<br />
ursprünglichen sozialen Status verloren und nun e<strong>in</strong> negatives Bild von sich<br />
selbst hat.<br />
Die Schulden werden als e<strong>in</strong>e „bergehohe“ psychische Last beschrieben. Mit<br />
dieser Metapher zeigt sich noch e<strong>in</strong>mal die ansche<strong>in</strong>ende Unüberw<strong>in</strong>dbarkeit<br />
des Problems für den Befragten.<br />
Unterstützung habe <strong>der</strong> Interviewte aus se<strong>in</strong>em privaten Umfeld nicht<br />
erwarten können. Er habe mit se<strong>in</strong>er f<strong>in</strong>anziellen Situation alle<strong>in</strong>e<br />
zurechtkommen müssen. Die Tatsache, dass er niemanden hatte mit dem<br />
46
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
er sich austauschen o<strong>der</strong> um Rat fragen konnte, hat die psychische<br />
Belastung vermutlich noch erhöht.<br />
E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Interviewten sagt, er habe Depressionen. Dazu kämen noch<br />
<strong>in</strong>nere Unruhe und gelegentliche Schlafstörungen. Man kann davon<br />
ausgehen, dass diese schlechte Auswirkungen auf das alltägliche Leben<br />
haben und die Depressionen verschlimmern. Der Befragte sche<strong>in</strong>t schlecht<br />
abschalten zu können, weswegen die Schulden zu e<strong>in</strong>em ständigen<br />
Begleiter werden.<br />
Von <strong>der</strong> Verdrängung <strong>der</strong> Schulden berichtet e<strong>in</strong>e weitere Erzählperson<br />
mehrmals <strong>in</strong> ihrem Interview. Die Gläubigerbriefe habe sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />
Schublade verbannt, um sich nicht näher damit beschäftigen zu müssen. Mit<br />
dieser Strategie hatte sie zunächst e<strong>in</strong>e akzeptable Lösung für sich selbst<br />
gefunden, da sie die For<strong>der</strong>ungen wegen Zahlungsunfähigkeit nicht habe<br />
begleichen können. Dies sei so lange gut gegangen, bis sie irgendwann<br />
Schreiben vom Amtsgericht erhalten und sie Angst vor weiteren<br />
Konsequenzen bekommen hat.<br />
Das Beispiel zeigt, dass es zwar für e<strong>in</strong>e gewisse Zeit möglich ist die<br />
Verschuldungssituation auszublenden, man von dieser aber <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel<br />
e<strong>in</strong>geholt wird. In zwei Fällen dieser Forschung gaben Briefe vom<br />
Amtsgericht wegen e<strong>in</strong>er Kontopfändung, beziehungsweise <strong>der</strong> Besuch des<br />
Gerichtsvollziehers, den endgültigen Anstoß dazu Hilfe zu suchen und <strong>in</strong><br />
Anspruch zu nehmen. Die Betroffenen haben dem Druck offenbar relativ<br />
lange Stand gehalten, da sowohl bis zur Durchführung e<strong>in</strong>er<br />
Kontopfändung, als auch bis zum Besuch des Gerichtsvollziehers, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Regel e<strong>in</strong>ige Zeit verstreicht.<br />
Dass von Überschuldung betroffene Menschen das Aufsuchen e<strong>in</strong>er<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong>sstelle lange h<strong>in</strong>auszögern, ist auch e<strong>in</strong> Ergebnis des iff-<br />
Überschuldungsreports 2009. Dort wurde ermittelt, dass zwischen dem<br />
ersten, eigenen Feststellen, dass man überschuldet ist und <strong>der</strong><br />
Kontaktaufnahme zu e<strong>in</strong>er <strong>Schuldnerberatung</strong>sstelle, durchschnittlich knapp<br />
vier Jahre liegen. Die Angaben hierzu haben sehr geschwankt und <strong>der</strong><br />
47
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Maximalwert weist e<strong>in</strong>e Wartezeit von über zwölf Jahren auf (vgl.<br />
Knobloch/Reifner/Laatz 2009, S. 21).<br />
Drei <strong>der</strong> sieben Interviewten sagen, <strong>der</strong> Schritt zum ersten<br />
Beratungsgespräch sei von Scham und Angst begleitet gewesen sei. Auch<br />
daraus lässt sich schließen, dass bis zur ersten Kontaktaufnahme e<strong>in</strong>ige Zeit<br />
verstrichen ist, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die Befragten vielleicht schon realisiert haben, dass<br />
sie <strong>der</strong> Hilfe bedürfen. Beim Aufsuchen <strong>der</strong> Beratungsstelle empf<strong>in</strong>den diese<br />
Personen Scham Schulden zu haben und haben wahrsche<strong>in</strong>lich Angst vor<br />
den Konsequenzen des langen Aufschiebens. Denn <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zwischenzeit<br />
wären die Gläubiger eventuell noch verhandlungsbereit und e<strong>in</strong>e<br />
außergerichtliche E<strong>in</strong>igung vielleicht noch durchführbar war. Zum<strong>in</strong>dest aber<br />
hätten Kosten, die durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen entstehen, und<br />
auflaufende Z<strong>in</strong>sen e<strong>in</strong>gespart werden können. Es wird deutlich, dass e<strong>in</strong>e<br />
besserer Bekanntheitsgrad und die Transparenz <strong>der</strong><br />
Unterstützungsmöglichkeiten <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong>en <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />
nötig s<strong>in</strong>d, um diesen Menschen die Angst vor <strong>der</strong> ersten Kontaktaufnahme<br />
zu nehmen.<br />
Bis zum Äußersten habe e<strong>in</strong>e Erzählperson versucht, die Raten an die<br />
Gläubiger weiter zu zahlen, mit <strong>der</strong> Folge, dass das Girokonto immer weiter<br />
<strong>in</strong>s Soll gerutscht ist. Eigene Regulierungsversuche, wie das Verhandeln mit<br />
<strong>der</strong> Bank o<strong>der</strong> die Aufnahme e<strong>in</strong>es Arbeitgeberdarlehens, seien gescheitert.<br />
Das Aufsuchen <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong>sstelle war auch <strong>in</strong> diesem Fall<br />
offenbar <strong>der</strong> letzte Ausweg.<br />
Nur e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Interviewten räumt e<strong>in</strong>, dass er selbst daran schuld ist, dass<br />
er die Beratungsstelle erst spät <strong>in</strong> Anspruch genommen hat: „ich hätt ja das<br />
schon längst h<strong>in</strong>ter mir haben mir waren ehrlich gesagt zu faul (1) wir<br />
haben das ja nit so ernst genommen (1) das h<strong>in</strong> und her diese Belastung<br />
und so weiter“ (Anhang, S. 188 Z. 113ff).<br />
Von familiären Problemen berichtet e<strong>in</strong>e Erzählperson. Diese seien durch<br />
ständigen Streit und gegenseitigen Vorwürfen zwischen ihr und ihrem Mann<br />
gekennzeichnet gewesen. Hier wird deutlich, dass nicht nur <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelne<br />
Betroffene mit <strong>der</strong> Überschuldung zurechtkommen muss, son<strong>der</strong>n auch das<br />
48
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
nähere Umfeld, wie die Familie, zum<strong>in</strong>dest auf emotionaler Ebene <strong>in</strong>volviert<br />
ist. Meist kommt aber auch dazu, dass sich <strong>der</strong> gesamte Haushalt f<strong>in</strong>anziell<br />
e<strong>in</strong>schränken muss.<br />
„Auf Grund <strong>der</strong> Pfändungs- und <strong>der</strong> sonstigen Zwangsvollstreckungsversuche <strong>der</strong><br />
Gläubiger kommt es zu e<strong>in</strong>er erheblichen Belastung <strong>der</strong> Haushalte mit<br />
Auswirkungen nicht nur auf die wirtschaftliche Situation, son<strong>der</strong>n auch auf die<br />
Gesundheit, die Belastbarkeit und die Teilhabemöglichkeiten <strong>der</strong> zum Haushalt<br />
gehörenden Personen – und hier <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> – am sozialen Leben. Hier<br />
setzen eher sozialwissenschaftliche Def<strong>in</strong>itionen <strong>der</strong> Überschuldung an, wonach<br />
Überschuldung zu e<strong>in</strong>er ökonomischen und psychosozialen Destabilisierung von<br />
Schuldnern führt“ (Knobloch/Reifner/Laatz 2009, S. 14f).<br />
Die Auswirkungen <strong>der</strong> Schulden s<strong>in</strong>d demnach sehr vielfältig. Die<br />
Ehe/Partnerschaft und die Erziehung o<strong>der</strong> das Verhältnis zu den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
können <strong>in</strong> Mitleidenschaft gezogen werden. Außerdem können negative<br />
Effekte auf die Gesundheit und die Psyche festgestellt werden, was sich<br />
wie<strong>der</strong>um auf die Kontakte zu den Mitmenschen auswirkt.<br />
Das Verhältnis von Armut, Schulden und Gesundheit wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Studie<br />
belegt. Acht von zehn überschuldeten Personen geben dort an, dass sie<br />
krank seien, wobei psychische Erkrankungen mit ungefähr 40% am<br />
häufigsten genannt werden (vgl. 3. Armuts- und Reichtumsbericht <strong>der</strong><br />
Bundesregierung 2008, S. 53).<br />
Die psychische Belastung vor Beratungsbeg<strong>in</strong>n wird immer wie<strong>der</strong> von den<br />
Befragten <strong>in</strong> die Erzählung aufgenommen. Trotz <strong>der</strong> mittlerweile <strong>in</strong><br />
Anspruch genommenen Hilfe, lässt sie dieses Thema nicht los. Der<br />
Leidensweg <strong>der</strong> Menschen könnte gegebenenfalls durch e<strong>in</strong>e umfassen<strong>der</strong>e<br />
Öffentlichkeitsarbeit und spezielle Präventionsveranstaltungen verkürzt<br />
werden, damit sie den Weg <strong>in</strong> die <strong>Schuldnerberatung</strong> schneller f<strong>in</strong>den.<br />
49
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
4.4 Erwartungen an die Beratung<br />
Insgesamt lässt sich sagen, dass die Befragten sich kaum zu ihren<br />
Erwartungen an die Beratung äußern, trotz expliziter Nachfrage. Das kann<br />
daran liegen, dass die meisten im Vorfeld nichts von <strong>der</strong> Existenz von<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> wussten und, wie vorangehend schon dargestellt, sich<br />
bei Kontaktaufnahme nur wenige über das Angebot und die Vorgehensweise<br />
von <strong>Schuldnerberatung</strong> <strong>in</strong>formiert haben.<br />
Zwei Erzählpersonen sagen, sie hätten nicht viele Erwartungen an die<br />
Beratung gehabt. E<strong>in</strong>e von ihnen rechnete aber mit e<strong>in</strong>em großen<br />
Arbeitsaufwand, da sie viele Schulden hatte. In diesem Fall wird <strong>der</strong> Umfang<br />
<strong>der</strong> Beratung an Hand <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ungshöhe und <strong>der</strong> Gläubigeranzahl<br />
festgemacht, an<strong>der</strong>e Aspekte, wie zum Beispiel ihre eigene Mitarbeit, fließen<br />
<strong>in</strong> die Vorstellung <strong>der</strong> befragten Person nicht mit e<strong>in</strong>.<br />
Durch die Beratung Zeit zu gew<strong>in</strong>nen, um die Schulden später abzahlen zu<br />
können, erhofften sich zwei <strong>der</strong> Interviewten:<br />
„sie mir den gewisse Zeit geben (.) wo ich mich dann erhole“ (Anhang, S.<br />
189 Z. 196).<br />
„ich (2) wollt dass es stillgelegt wird also dass nicht weitere Rechnungen<br />
und Mahngebühren und alles“ (Anhang, S. 189 Z. 199f).<br />
In diesen beiden Fällen erwarten die Befragten ke<strong>in</strong>e abschließende Lösung<br />
ihrer f<strong>in</strong>anziellen Probleme durch die Beratungsstelle, son<strong>der</strong>n wollten mit<br />
Hilfe <strong>der</strong> Berater das Verständnis <strong>der</strong> Gläubiger gew<strong>in</strong>nen die For<strong>der</strong>ung zu<br />
stunden, bis sich ihre psychische und f<strong>in</strong>anzielle Lage wie<strong>der</strong> verbessert hat<br />
und die Ratenzahlungen wie<strong>der</strong> aufgenommen werden können. Außerdem<br />
sollte e<strong>in</strong> weiteres Auflaufen von Kosten durch wie<strong>der</strong>kehrende<br />
Gläubigeranschreiben und Mahngebühren verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t werden, damit die<br />
Schulden nicht anwachsen.<br />
50
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Kaum Hilfe von <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong> erwartet hat e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Interviewten.<br />
Er sagt, dass er ganz an<strong>der</strong>e, negative Erwartungen gehabt habe, die sich<br />
nicht bewahrheitet haben.<br />
„ich hatte bei <strong>der</strong> Institution_1 (1) ke<strong>in</strong>e Zukunft gesehn ja also ich hab mir<br />
das wirklich praktisch n schwarzes Bild selber gemalt schon vorab bevor ich<br />
hier überhaupt angefangen habe“ (Anhang, S. 190 Z. 205ff).<br />
Es ist bemerkenswert, dass er trotz se<strong>in</strong>er schlechten Me<strong>in</strong>ung über die<br />
Beratung, dieser überhaupt e<strong>in</strong>e Chance gegeben hat. Da dieser Interviewte<br />
von Arbeitslosengeld II lebt, liegt die Vermutung nahe, dass die Teilnahme<br />
an e<strong>in</strong>er <strong>Schuldnerberatung</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ungsvere<strong>in</strong>barung mit dem<br />
Job Center aufgenommen wurde und er deswegen verpflichtend das<br />
Beratungsangebot angenommen hat. Die Missachtung <strong>der</strong> Inhalte <strong>der</strong><br />
E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ungsvere<strong>in</strong>barung hat <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel e<strong>in</strong> Sanktionierung des<br />
Arbeitslosengelds II zur Folge (vgl. § 15 und § 16a Sozialgesetzbuch,<br />
Zweites Buch).<br />
Der Besuch <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong> wird im Fall dieses Befragten, trotz des<br />
Gefühls, dass diese nicht helfen kann, wahrsche<strong>in</strong>lich als das kle<strong>in</strong>ere <strong>der</strong><br />
ihm drohenden Übel angesehen.<br />
4.5 Auswirkungen <strong>der</strong> Beratung auf die<br />
Verschuldungssituation<br />
Alle sieben Interviewten geben an, das Verbraucher<strong>in</strong>solvenzverfahren sei<br />
das Ziel ihrer Beratung, zwei von ihnen s<strong>in</strong>d schon im Verfahren. Froh über<br />
e<strong>in</strong>e <strong>der</strong>artige Chance zur Regulierung <strong>der</strong> Schulden s<strong>in</strong>d zwei <strong>der</strong><br />
Befragten.<br />
Die Beratung wird von den meisten als hilfreich angesehen, bezüglich <strong>der</strong><br />
Korrespondenz und den Verhandlungen mit den Gläubigern. Eigene<br />
Versuche mit diesen Kontakt aufzunehmen werden als weniger erfolgreich<br />
e<strong>in</strong>geschätzt, wie dieser Auszug aus e<strong>in</strong>em Interview zeigt: „wenn ich das<br />
selbst gemacht hätte (1) dann glaub ich nicht dass mir das die Zeit gelassen<br />
hätten“ (Anhang, S. 190 Z. 236f).<br />
51
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Mit Unterstützung <strong>der</strong> Berater wurden Schreiben aufgesetzt, <strong>in</strong> denen die<br />
Gläubiger auf die aktuelle Situation des Schuldners h<strong>in</strong>gewiesen worden<br />
seien, was zur Folge hatte, dass sie sich seltener meldeten. Bedenkt man<br />
die psychische Verfassung <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Interviewten, s<strong>in</strong>d weniger<br />
Gläubigerschreiben sicherlich die erste spürbare Entlastung <strong>der</strong> Beratung.<br />
Neben <strong>der</strong> Entschuldung durch das Verbraucher<strong>in</strong>solvenzverfahren als<br />
Ergebnis <strong>der</strong> Beratung, geben drei <strong>der</strong> Befragten an, mit dem Geld, das<br />
ihnen zur Verfügung steht, besser zurecht zu kommen. E<strong>in</strong>e von ihnen<br />
beschreibt, ihr Berater habe Möglichkeiten für sie aufgezeigt, im Alltag Geld<br />
e<strong>in</strong>zusparen. Dazu hätten die Befreiung vom Entrichten <strong>der</strong> Rundfunkgebühr<br />
für Arbeitslosengeld II-Empfänger und die Beantragung e<strong>in</strong>es<br />
Sozialausweises, um vergünstigten E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> Museen, Schwimmbä<strong>der</strong> o<strong>der</strong><br />
ähnliches zu bekommen, gehört.<br />
Die <strong>Schuldnerberatung</strong> spielt demnach nicht nur e<strong>in</strong>e Rolle für die<br />
Entschuldung, son<strong>der</strong>n kann sich auch nachhaltig positiv auf e<strong>in</strong>e stabile<br />
f<strong>in</strong>anzielle Lage <strong>der</strong> Betroffenen auswirken. Durch die Weitergabe, von unter<br />
an<strong>der</strong>em den oben genannten Informationen, kann e<strong>in</strong>e erneute<br />
Verschuldung verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t und e<strong>in</strong>e Teilhabe am kulturellen Leben kann auch<br />
mit wenigen f<strong>in</strong>anziellen Mitteln aufrecht erhalten werden, was wie<strong>der</strong>um<br />
e<strong>in</strong>en bedeutenden Effekt auf die Psyche <strong>der</strong> beratenen Personen hat.<br />
E<strong>in</strong>e Erzählperson sagt, sie habe erst durch die Beratung e<strong>in</strong>en Überblick<br />
über ihre Schulden bekommen. Vorher hätte sie we<strong>der</strong> gewusst wie hoch<br />
ihre Verschuldung ist, noch wo sie überall Schulden hat. Diese Gewissheit<br />
führt vermutlich zu e<strong>in</strong>er gewissen Beruhigung, da sie nicht ständig das<br />
Gefühl haben muss, dass noch irgende<strong>in</strong> weiterer Gläubiger auf sie<br />
zukommen kann.<br />
52
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
4.6 Auswirkungen <strong>der</strong> Beratung auf Ratsuchende<br />
Die Wirkung auf sich selbst bewerten alle Befragten sehr positiv, psychische<br />
Belastungen haben sich durchweg reduziert. Sowohl die jeweilige Wortwahl<br />
als auch die geschil<strong>der</strong>ten Emotionen ähneln sich <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen<br />
Interviews: die Befragten fühlen sich „lockerer“, „leichter“, „besser“ und die<br />
Depressionen s<strong>in</strong>d weniger geworden.<br />
E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Befragten empf<strong>in</strong>det, wie im vorherigen Kapitel angesprochen,<br />
Erleichterung dadurch, dass weniger Gläubigerschreiben e<strong>in</strong>treffen. Er<br />
wie<strong>der</strong>holt mehrmals, dass er sich „locker“ fühlt und er glücklich darüber<br />
ist, dass im Grunde genommen erst e<strong>in</strong>mal „Waffenstillstand“ zwischen ihm<br />
und se<strong>in</strong>en Gläubigern herrscht.<br />
„locker ganz locker (.) ganz locker und so viel Papierkrieg wie vorher is nich<br />
mehr und ich b<strong>in</strong> auch froh dafür (.) (leiser) /also ganz locker/“ (Anhang, S.<br />
191 Z. 291ff).<br />
In welchen Bereichen Verbesserungen e<strong>in</strong>getreten s<strong>in</strong>d, beschreibt e<strong>in</strong>e <strong>der</strong><br />
<strong>in</strong>terviewten Personen sehr umfassend: sie habe ihren Lebenss<strong>in</strong>n<br />
wie<strong>der</strong>gefunden, die Kraft zum Atmen sei wie<strong>der</strong> da, die Schlafstörungen<br />
seien weniger geworden, die psychische Verfassung habe sich verbessert,<br />
ihre Beziehung zu Menschen und die generelle Lebense<strong>in</strong>stellung hätten sich<br />
positiv verän<strong>der</strong>t. Der Befragte bestärkt sich selbst <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Wandlung,<br />
habe Respekt vor sich selbst und schätze se<strong>in</strong>e eigene Entwicklung als<br />
„Meisterleistung“ e<strong>in</strong>. An dieser Stelle wird deutlich, dass die<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> e<strong>in</strong>en bedeutenden E<strong>in</strong>fluss auf das Selbstbewusstse<strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Ratsuchenden haben kann und verloren geglaubte Ressourcen<br />
reaktiviert werden können.<br />
Außerdem hat <strong>der</strong> Interviewte se<strong>in</strong>e sozialen Kontakte wie<strong>der</strong><br />
aufgenommen, was e<strong>in</strong> wichtiger Schritt für e<strong>in</strong>e andauernde, verbesserte<br />
psychische Verfassung se<strong>in</strong> kann, denn <strong>der</strong> Umgang mit an<strong>der</strong>en Menschen<br />
unterstützt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel gutes Lebensgefühl.<br />
53
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
An<strong>der</strong>e Befragte schil<strong>der</strong>n, dass die Beratung e<strong>in</strong>en positiven Effekt auf die<br />
ganze Familie hat: „dass es dann halt dann für uns ganze Familie gut tun<br />
würde“ (Anhang, S. 192 Z. 316f) und dass sich die Anspannungen zwischen<br />
den Eheleuten reduzieren: „also me<strong>in</strong> Mann und ich auch selber (2) viel viel<br />
besser geworden“ (Anhang, S. 192, Z. 339f).<br />
Bedenkt man, dass <strong>in</strong> überschuldeten Haushalten überdurchschnittlich oft<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> leben und diese <strong>in</strong> Zeiten des f<strong>in</strong>anziellen Missstandes belasteten<br />
Eltern ausgesetzt s<strong>in</strong>d, gew<strong>in</strong>nt diese erleichternde Auswirkung <strong>der</strong><br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> e<strong>in</strong>e noch wichtigere Bedeutung (vgl.<br />
Knobloch/Reifner/Laatz 2009, S. 22).<br />
Das Wissen um e<strong>in</strong>en festen Ansprechpartner <strong>in</strong> Sachen Schulden hat e<strong>in</strong>e<br />
beruhigende Wirkung auf e<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> sieben Interviewten.<br />
E<strong>in</strong>er von ihnen berichtet, er wende sich nur noch an die<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong>, wenn er zu diesem Thema Fragen hat und klammere<br />
dieses gänzlich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em privaten Umfeld aus.<br />
Sie fühle sich leichter und weniger depressiv, berichtet e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e<br />
Erzählperson und f<strong>in</strong>det es schön, dass sie e<strong>in</strong>e Unterstützung im Umgang<br />
mit den Gläubigern gefunden habe.<br />
E<strong>in</strong> weiterer Interviewter sagt, dass se<strong>in</strong> Kopf wie<strong>der</strong> freier geworden sei.<br />
Der E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong> Schulden überschatte nicht mehr alle se<strong>in</strong>er<br />
Lebensbereiche, wodurch er lockerer mit ihnen umgehen könne.<br />
Abschließend lässt sich sagen, dass durch die Beratung die Ängste <strong>der</strong><br />
Befragten abgebaut werden konnten, die teilweise durch mangelndes<br />
Wissen entstanden s<strong>in</strong>d.<br />
54
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
4.7 Berater<br />
Die Me<strong>in</strong>ung <strong>der</strong> Befragten zu ihren Beratern ist durchweg positiv. Nur e<strong>in</strong>e<br />
Interviewte berichtet, dass sie mit e<strong>in</strong>em Berater unzufrieden war, weil<br />
dieser sie nach ihrem E<strong>in</strong>druck nicht ausreichend <strong>in</strong>formiert habe. Dies sei<br />
bei ihrem jetzigen Berater aber ganz an<strong>der</strong>s.<br />
Sechs <strong>der</strong> Befragten stellen die Hilfe und Unterstützung <strong>der</strong> Berater <strong>in</strong> den<br />
Vor<strong>der</strong>grund und gehen auch wie<strong>der</strong>holt im Laufe <strong>der</strong> Interviews darauf e<strong>in</strong>.<br />
Aussagen wie „er hat sehr sehr viel geholfen“ (Anhang, S. 193 Z. 364), „sie<br />
hat mir den Weg gezeigt“ (Anhang, S. 193 Z. 398), „sehr hilfsbereit“<br />
(Anhang, S. 194 Z. 428) und „die hat uns gezeigt (1) wie wir dann<br />
weitermachen sollen“ (Anhang, S. 195 Z. 477f) zeigen, dass die<br />
Unterstützung für die Beratenen sehr wichtig ist und dass sie diese <strong>in</strong> Form<br />
von Ratschlägen für die Zukunft auch gerne annehmen.<br />
Vertrauen spielt für die Befragten ebenfalls e<strong>in</strong>e wichtige Rolle. E<strong>in</strong>ige gehen<br />
explizit auf dieses Thema e<strong>in</strong>, bei an<strong>der</strong>en lässt sich aus dem Kontext<br />
erschließen, dass zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>destmaß an Vertrauen vorhanden ist, da<br />
sie sich dem Berater öffnen und mit ihm über ihre f<strong>in</strong>anziellen Probleme<br />
sprechen konnten.<br />
E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Interviewten sagt, er habe das Gefühl se<strong>in</strong>e Berater<strong>in</strong> schon lange<br />
Zeit zu kennen und ihr deswegen bl<strong>in</strong>d vertraue. Bedenkt man, dass sich<br />
dieses Vertrauen <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>iger Beratungskontakte aufgebaut hat, kann<br />
man zu dem Schluss kommen, dass ihm die Unterstützung se<strong>in</strong>er Berater<strong>in</strong><br />
sehr geholfen und e<strong>in</strong>en positiven Effekt auf se<strong>in</strong> Leben hat. Er stellt heraus,<br />
dass er e<strong>in</strong> „sehr sehr gutes Verhältnis“ (Anhang, S. 193 Z. 391) zu se<strong>in</strong>er<br />
Berater<strong>in</strong> hat und dass dieses mit e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Person nur schwer möglich<br />
wäre. Die Beziehung zu dieser speziellen Berater<strong>in</strong> wird von ihm offenbar<br />
als so beson<strong>der</strong>s angesehen, dass sie für ihn nur schwer ersetzbar o<strong>der</strong><br />
austauschbar zu se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>t.<br />
Gegenseitiges Vertrauen ist für e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Erzählperson e<strong>in</strong>e<br />
Grundvoraussetzung <strong>der</strong> Beratung. Wenn dies nicht gegeben wäre, würde<br />
55
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
sie die Beratungsstelle nicht weiter aufsuchen, sagt sie. Außerdem sieht sie<br />
für sich selbst Nachteile, wenn sie ihren Berater belügen würde. Hier spielt<br />
auch das Vertrauen des Beraters <strong>in</strong> den Ratsuchenden e<strong>in</strong>e Rolle. Hätte <strong>der</strong><br />
Befragte das Gefühl, dass ihm dieses nicht entgegengebracht würde, würde<br />
er sich <strong>in</strong> den Beratungsgesprächen vermutlich nicht wohl und<br />
wertgeschätzt fühlen und diesen fern bleiben.<br />
E<strong>in</strong> weiterer Interviewter berichtet: „ja es war für mich wie Familie (.) […]<br />
wie Schwester wie e<strong>in</strong>e Strohhalm (.) […] so fühl ich mich hier an e<strong>in</strong>e<br />
Sicherheit (.) wenn ich nicht mehr weiß“ (Anhang, S. 194 Z. 445ff).<br />
Das Vertrauen geht <strong>in</strong> diesem Fall so weit, dass die Berater<strong>in</strong> aus ihrem<br />
professionellen Rahmen herausgehoben wird und gefühlsmäßig eher wie e<strong>in</strong><br />
Familienmitglied angesehen wird. Sie ist e<strong>in</strong>e Retter<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Not, an die sich<br />
<strong>der</strong> Befragte wenden kann, wenn er Probleme hat. Es hat den Ansche<strong>in</strong>,<br />
dass es dem Befragten schwer fällt zwischen professioneller Unterstützung<br />
und gegenseitiger Hilfe <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Familie zu unterscheiden. Die<br />
Beratungsstelle sche<strong>in</strong>t für ihn e<strong>in</strong>e Art Schutzraum zu se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem er<br />
Lösungsangebote für se<strong>in</strong>e Probleme bekommt.<br />
Das Geschlecht des Beraters spielt für die meisten <strong>der</strong> Befragten ke<strong>in</strong>e<br />
Rolle. Nur zwei männliche Erzählpersonen geben an, dass sie lieber von<br />
Frauen beraten werden, da diese <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel e<strong>in</strong>fühlsamer seien.<br />
Deswegen könnten sie sich e<strong>in</strong>er Berater<strong>in</strong> gegenüber leichter öffnen und<br />
Vertrauen fassen. Mit dieser Aussage wird das recht gängige Vorurteil<br />
wi<strong>der</strong>legt, dass türkische Männer wenig Respekt vor Frauen hätten und<br />
Probleme damit haben <strong>der</strong>en Ratschläge anzunehmen (vgl.<br />
Königse<strong>der</strong>/Schulze 2005, o.S.).<br />
Im Gegenteil, hier wird die Berater<strong>in</strong> dem Berater ganz klar vorgezogen.<br />
E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er Befragter sagt, dass für ihn nur das Fachwissen e<strong>in</strong>es Beraters<br />
ausschlaggebend sei.<br />
In vielen Beratungsbeziehungen wird nicht nur die f<strong>in</strong>anzielle Situation <strong>der</strong><br />
Ratsuchenden besprochen. Auch an<strong>der</strong>e Lebensbereiche werden zum<br />
Gegenstand <strong>der</strong> Beratung.<br />
56
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Zwei Erzählpersonen berichten, dass sie private Probleme angesprochen<br />
haben und die Berater darauf unterstützend e<strong>in</strong>gegangen seien.<br />
Ihre generellen Ängste und Probleme könne e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Interviewten mit ihrer<br />
Berater<strong>in</strong> besprechen und sie nehme diese Möglichkeit gerne wahr.<br />
E<strong>in</strong> konkretes Beispiel für die weitreichen<strong>der</strong>e Hilfe ihrer Berater<strong>in</strong> gibt e<strong>in</strong>e<br />
weitere Befragte. Sie ist zum Zeitpunkt des Interviews auf Wohnungssuche<br />
und habe Informationsmaterial zu diesem Thema von ihrer Berater<strong>in</strong><br />
bekommen.<br />
E<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Erzählperson beschreibt recht ausführlich, wie ihre<br />
Beratungsgespräche ablaufen und was <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Rahmen thematisiert wird:<br />
„ja also da wird (.) alles was auf dem Herzen kommt wird da beraten (.) gut<br />
beraten wenn wir dann halt kommen da vergessen wir die Zeit da wird also richtig<br />
<strong>in</strong>s Thema und was ich auch schön f<strong>in</strong>de is so (.) zuerst (.) was ich persönlich erst<br />
mal auf dem Herzen hab weil die Berater<strong>in</strong> schon notiert hat was sie (.) für Fragen<br />
stellt und ich nicht das heißt was ich jetzt momentan was ich auf dem Herzen habe<br />
das br<strong>in</strong>g ich rüber ja (.) so und dann (.) kommt sie dann halt mit ihren Fragen an<br />
und dabei wo wir dann das Gespräch haben wenn mir dann wie<strong>der</strong> was e<strong>in</strong>fällt (.)<br />
dann bitt ich um Entschuldigung und dann sag ich ich hab da noch ne Frage die is<br />
mir e<strong>in</strong>gefallen und sofort ke<strong>in</strong> Problem (2) und dadurch (1) is sie dann halt sehr<br />
hilfsbereit ich b<strong>in</strong> sehr zufrieden muss ich sagen“ (Anhang, S. 194 Z. 416ff).<br />
Der Befragte hat den E<strong>in</strong>druck, dass ihm ausreichend Gelegenheit und vor<br />
allem Zeit gegeben werde, se<strong>in</strong>e Probleme zu thematisieren und dass se<strong>in</strong>e<br />
Berater<strong>in</strong> gut auf ihn e<strong>in</strong>geht. Es würden nicht nur die Fragen, die sich die<br />
Berater<strong>in</strong> schon im Vorfeld notiert hat und die vermutlich hauptsächlich für<br />
die Schuldenregulierung relevant s<strong>in</strong>d, abgearbeitet. Diese dürften von dem<br />
Interviewten unterbrochen werden, wenn ihm noch etwas e<strong>in</strong>fiele das er<br />
klären möchte. Für ihn sche<strong>in</strong>en diese Kriterien die gute Qualität <strong>der</strong><br />
Beratung auszumachen.<br />
Es wird deutlich, dass die Berater, trotz <strong>der</strong> <strong>in</strong> den meisten<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong>sstellen existierenden Wartelisten, auf den Menschen,<br />
den sie gerade vor sich haben, umfassend e<strong>in</strong>gehen. Die Beratung<br />
beschränkt sich nicht auf die Überschuldungsproblematik <strong>der</strong> Ratsuchenden.<br />
57
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Die Gelegenheit über Belastungen, zum Beispiel im privaten Bereich, zu<br />
sprechen, ist gegeben.<br />
Informationen zu an<strong>der</strong>en Themengebieten werden an passen<strong>der</strong> Stelle an<br />
die Ratsuchenden weitergegeben, was voraussetzt, dass <strong>der</strong> Berater<br />
aufmerksam zuhört und se<strong>in</strong> Gegenüber ernst nimmt. Außerdem benötigen<br />
die Berater umfassende Kenntnis von weiteren Hilfsangeboten und<br />
Informationsmöglichkeiten, um <strong>in</strong> angemessener Weise auf ihre Klienten<br />
e<strong>in</strong>gehen zu können.<br />
Weitere Unterstützung wird von den Befragten gerne angenommen.<br />
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Interviewten ihre Berater<br />
hauptsächlich loben und „sehr sehr zufrieden“ (Anhang, S. 193 Z. 360),<br />
„voll und ganz zufrieden“ (Anhang, S. 195 Z. 501) o<strong>der</strong> zum<strong>in</strong>dest<br />
„zufrieden größte Teil“ (Anhang, S. 194 Z. 439) s<strong>in</strong>d. Demnach gibt es<br />
kaum e<strong>in</strong>en Än<strong>der</strong>ungsbedarf <strong>der</strong> Berater im Umgang mit ihren Klienten<br />
o<strong>der</strong> dem Umfang ihrer Beratung. Die Interviewten fühlen sich gut<br />
aufgehoben und unterstützt.<br />
4.8 Eigene Mitarbeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung<br />
Zur eigenen Mitarbeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung äußert sich nur e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Befragten<br />
deutlich. Alle an<strong>der</strong>en gehen auf dieses Thema nicht e<strong>in</strong>. Aus e<strong>in</strong>igen<br />
Interviews lässt sich lediglich erschließen, dass sie die Beratungs<strong>in</strong>halte<br />
<strong>in</strong>teressant f<strong>in</strong>den.<br />
„also ich hab nicht e<strong>in</strong>fach gesagt gehabt (.) ich leg jetzt me<strong>in</strong>e Füße hoch<br />
und (1) Sie machen des jetzt alles hier denn (1) für die Sachen (1) b<strong>in</strong> ich<br />
ja zuständig für me<strong>in</strong>e Schulden“ (Anhang, S. 195f Z. 507ff).<br />
Trotz <strong>der</strong> Unterstützung durch die Beratungsstelle fühlt sich <strong>der</strong> Interviewte<br />
weiterh<strong>in</strong> verantwortlich für se<strong>in</strong>e Schulden und möchte bei <strong>der</strong>en<br />
Regulierung mitwirken. Die Arbeit se<strong>in</strong>es Beraters nimmt er ke<strong>in</strong>eswegs<br />
zum Anlass sich von se<strong>in</strong>er Verantwortung zu distanzieren.<br />
58
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Die Tatsache, dass nur e<strong>in</strong>er auf die eigene Rolle im Entschuldungsprozess<br />
e<strong>in</strong>geht lässt zwei Schlüsse zu: zum e<strong>in</strong>en kann es se<strong>in</strong>, dass die Befragten<br />
das Gefühl haben, dass sie die Verantwortung für die Schulden mit<br />
Beratungsbeg<strong>in</strong>n an den jeweiligen Berater abgegeben haben, zum an<strong>der</strong>en<br />
ist es möglich, dass <strong>der</strong> eigene Beitrag als so selbstverständlich angesehen<br />
wird, dass im Interview nicht darauf e<strong>in</strong>gegangen wird. Trifft letzteres zu,<br />
ist dies als positiv zu bewerten. Sollte sich die erste Annahme als richtig<br />
erweisen, wäre das kritisch zu betrachten. Ziel <strong>der</strong> Beratung ist <strong>in</strong> aller<br />
Regel nämlich nicht, dem Ratsuchenden die Verantwortung für se<strong>in</strong>e<br />
persönlichen Angelegenheiten abzunehmen, son<strong>der</strong>n ihn<br />
ressourcenorientiert dar<strong>in</strong> zu unterstützen, se<strong>in</strong>en Verpflichtungen wie<strong>der</strong><br />
selbst nachkommen zu können. Wird nun aber <strong>der</strong> Berater von den<br />
Ratsuchenden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pflicht gesehen sich alle<strong>in</strong>e um die Regulierung <strong>der</strong><br />
Überschuldung zu kümmern, hätte die <strong>Schuldnerberatung</strong> ihr Ziel verfehlt<br />
und es kann ke<strong>in</strong> nachhaltiger Lerneffekt für die Klienten e<strong>in</strong>treten 9 .<br />
Auf Grund des mangelnden Datenmaterials kann hierzu ke<strong>in</strong>e abschließende<br />
E<strong>in</strong>schätzung erfolgen.<br />
4.9 Kritik/Wünsche<br />
Wie im vorangegangenen Kapitel „Berater“ bereits beschrieben, s<strong>in</strong>d die<br />
Befragten mit ihren Beratern weitestgehend zufrieden. Aber auch sonst<br />
bleiben kaum offene Wünsche. Zur Beratung an sich gibt es ke<strong>in</strong>e<br />
Verbesserungsvorschläge seitens <strong>der</strong> Interviewten.<br />
E<strong>in</strong>er von ihnen äußert sich wie folgt: „diese Recht habe zu sagen ich will<br />
das e<strong>in</strong>e Verän<strong>der</strong>ung (.) das würd ich mir nicht zutrauen“ (Anhang, S. 196<br />
Z. 519).<br />
Er sche<strong>in</strong>t so glücklich o<strong>der</strong> dankbar um das vorhandene Beratungsangebot<br />
zu se<strong>in</strong>, dass er es anmaßend fände Än<strong>der</strong>ungsvorschläge zu machen.<br />
9 Siehe hierzu auch Kapitel 1.1.3 unter „Hilfe zur Selbsthilfe“<br />
59
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Zwei <strong>der</strong> Befragten geben an, sie fänden den E<strong>in</strong>satz von Dolmetschern<br />
s<strong>in</strong>nvoll. An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass <strong>der</strong> Interviewer das<br />
Thema „Dolmetscher“ <strong>in</strong> beiden Fällen angeschnitten hat und dieser<br />
Vorschlag somit nicht von den Erzählpersonen selbst kommt.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs haben beide die Idee e<strong>in</strong>en Dolmetscher <strong>in</strong> die Beratung<br />
e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den positiv aufgenommen. E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> beiden berichtet <strong>in</strong> dem<br />
Zusammenhang, er sei selbst schon als Übersetzer für e<strong>in</strong>en Bekannten mit<br />
zur Beratung gekommen.<br />
Wenn auch nicht für sich selbst, so sehen beide generell e<strong>in</strong>en Bedarf für<br />
Dolmetscher <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong>.<br />
„es s<strong>in</strong>d viele ausländische Bürger (.) die dann halt sagen ich hab<br />
Sprachprobleme kannst du mir mal helfen?“ (Anhang, S. 196 Z. 542f).<br />
Daran sieht man, dass e<strong>in</strong>ige den Weg <strong>in</strong> die Beratungsstelle gar nicht erst<br />
auf sich nehmen, da sie davon ausgehen, dass ihre Deutschkenntnisse nicht<br />
ausreichen, um e<strong>in</strong>em Beratungsgespräch folgen zu können. Um diese<br />
Menschen zu erreichen, wäre es wichtig Informationsbroschüren auf<br />
Türkisch zur Verfügung zu stellen, kurzfristig e<strong>in</strong>en Dolmetscher<br />
h<strong>in</strong>zuziehen zu können und diese Möglichkeit auch bekannt zu machen, zum<br />
Beispiel auf <strong>der</strong> Homepage <strong>der</strong> jeweiligen Institution o<strong>der</strong> durch Flyer.<br />
Die Räumlichkeiten <strong>der</strong> Institution, <strong>der</strong>en enger Flur als „Wartezimmer“<br />
genutzt wird, kritisiert e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Befragten. Er wünsche sich e<strong>in</strong>e<br />
angenehmere Warteatmosphäre und weniger Menschen, die geme<strong>in</strong>sam auf<br />
engem Raum warten müssen. Hier lässt sich herauslesen, dass mehr<br />
Diskretion <strong>in</strong> den Räumen <strong>der</strong> Beratungsstelle notwendig ist, da <strong>der</strong>en<br />
Aufsuchen bei e<strong>in</strong>igen <strong>der</strong> Interviewten ohneh<strong>in</strong> schon schambelastet ist.<br />
E<strong>in</strong>e Erzählperson sieht den Bedarf nach mehr Personal <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Schuldnerberatung</strong>, weil nach ihrer E<strong>in</strong>schätzung immer mehr Personen<br />
f<strong>in</strong>anzielle Probleme haben und somit die Nachfrage an Beratung weiter<br />
anwachsen werde. Das Existieren von Wartezeiten bis zum Beratungsbeg<strong>in</strong>n<br />
untermauert die For<strong>der</strong>ung des Interviewten.<br />
60
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Den Wunsch nach mehr Beratungsterm<strong>in</strong>en, beziehungsweise nach<br />
Term<strong>in</strong>en <strong>in</strong> kürzeren Zeitabständen, äußern zwei <strong>der</strong> sieben Befragten.<br />
E<strong>in</strong>er von ihnen berichtet, dass es drei bis vier Wochen dauert bis zum<br />
Stattf<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>es Folgeterm<strong>in</strong>s, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e gibt e<strong>in</strong>e Wartezeit von vier bis<br />
sechs Wochen an. Warum sie zeitnähere Term<strong>in</strong>e benötigen, sagen sie<br />
nicht. Es sche<strong>in</strong>t dem Anliegen ke<strong>in</strong>e fachliche Notwendigkeit, dass sie sich<br />
beispielsweise mit ihrer Schuldensituation zu lange alle<strong>in</strong>e gelassen fühlen<br />
o<strong>der</strong> überfor<strong>der</strong>t s<strong>in</strong>d, zu Grunde zu liegen. E<strong>in</strong> mögliches Motiv für den<br />
Wunsch könnte das Bedürfnis se<strong>in</strong>, regelmäßiger jemanden zum Reden zu<br />
haben.<br />
4.10 Unterstützung im privaten Umfeld<br />
Zum Thema Unterstützung im privaten Umfeld s<strong>in</strong>d die Erfahrungen und<br />
<strong>der</strong>en Inanspruchnahme geteilt. E<strong>in</strong>ige können mit <strong>der</strong> Familie und auch mit<br />
Freunden über ihre f<strong>in</strong>anzielle Situation und an<strong>der</strong>e Probleme sprechen,<br />
an<strong>der</strong>e haben diese Möglichkeiten überhaupt nicht.<br />
E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Befragten sagt, er spreche mit se<strong>in</strong>en Freunden zwar über se<strong>in</strong>e<br />
Schwierigkeiten und man gebe sich untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> Ratschläge, „aber nicht<br />
natürlich (.) <strong>in</strong>tensiv sagt gewisse Sachen wenns <strong>in</strong>tim se<strong>in</strong> also wenns<br />
detailliert dann machen wir zu Hause so zum Beispiel mit me<strong>in</strong>er Frau o<strong>der</strong><br />
(.) mit me<strong>in</strong>er Mutter“ (Anhang, S. 197 Z. 587ff).<br />
Bei ihm spielen se<strong>in</strong>e Frau und se<strong>in</strong>e Mutter e<strong>in</strong>e wichtige unterstützende<br />
Rolle. Ihnen sche<strong>in</strong>t er vieles anvertrauen zu können und nimmt <strong>der</strong>en Rat<br />
an.<br />
Dass ihre Familie <strong>in</strong> dieser für sie belastenden Situation zu ihr stehe und ihr<br />
helfe, gibt e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Erzählperson an.<br />
Für e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Interviewten sei die Mutter e<strong>in</strong>e bedeutsame<br />
Vertrauensperson.<br />
In diesen Beispielen existiert e<strong>in</strong> starkes familiäres Netzwerk, <strong>in</strong> dem man<br />
sich gegenseitig vertraut und man auf dessen Unterstützung baut.<br />
61
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Den Freundeskreis stellt e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Interviewten <strong>in</strong> den Mittelpunkt. Hier<br />
gebe es Menschen, denen er sich anvertrauen und von denen er<br />
Informationen e<strong>in</strong>holen kann, „weil je<strong>der</strong> verbesserte Vorschlag br<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>en<br />
immer n Schritt weiter“ (Anhang, S. 197 Z. 601f).<br />
Es zeigt sich, dass auch Freunde e<strong>in</strong> wichtiges Netzwerk für die<br />
Problembewältigung se<strong>in</strong> können.<br />
Vier <strong>der</strong> Befragten sagen, mit Freunden könnten und wollten sie eher nicht<br />
über ihre Probleme sprechen, bei drei von ihnen sei auch <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />
Familie ke<strong>in</strong> Gespräch möglich.<br />
„Bekannte konnt ich nicht darüber reden (.) und Familie (.) g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e Ohr re<strong>in</strong><br />
an<strong>der</strong>e Ohr wie<strong>der</strong> raus ich habe (1) wirklich niemanden gehabt wo man (1) sich<br />
mal mit dem man reden kann […] das is nit so wo ich sagen kann mit Familie und<br />
so das Verhältnis ist nicht so wo ich da jeden h<strong>in</strong>renne und sage (1) das und das<br />
hab ich“ (Anhang, S. 197f Z. 606ff).<br />
Dieser Interviewte stand vor Beratungsbeg<strong>in</strong>n mit se<strong>in</strong>en Problemen ganz<br />
alle<strong>in</strong> da. Wenn er versucht habe mit jemandem aus se<strong>in</strong>em näheren<br />
Umfeld zu sprechen, habe er nicht die gewünschte Unterstützung erhalten.<br />
Die Beziehung zu se<strong>in</strong>er Familie sei nicht gut genug, um sich ihr<br />
anvertrauen zu können.<br />
E<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Erzählperson habe die Erfahrungen machen müssen, dass sich<br />
e<strong>in</strong>ige Freunde <strong>in</strong> schlechten Zeiten von ihr abgewendet haben, obwohl sie<br />
ihnen gegenüber ihre Probleme nur ansatzweise thematisiert hat.<br />
„viele Bekannte o<strong>der</strong> viele (1) wissen gar net dass wir <strong>in</strong> Beratung s<strong>in</strong>d o<strong>der</strong><br />
dass wir so <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Schwierigkeit Situation s<strong>in</strong>d (.) aber viele Freunde<br />
haben sich irgendwie abgew<strong>in</strong>kelt von uns“ (Anhang, S. 198 Z. 618ff).<br />
Die daraus resultierende soziale Isolation hat bei beiden die<br />
Verschlechterung <strong>der</strong> eigenen psychischen Verfassung bewirkt, wie man im<br />
Verlauf <strong>der</strong> Interviews sehen kann.<br />
Eher für sich selbst entschieden, ihre Probleme nicht mit Freunden o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Familie zu teilen, haben zwei <strong>der</strong> Befragten. E<strong>in</strong>e von ihnen sagt: „wir<br />
wollen nicht so viel privat erzählen“ (Anhang, S. 198 Z. 632).<br />
62
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Nur e<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong> habe sie sich anvertraut. Ihr Mann sei von <strong>der</strong><br />
Überschuldung auch betroffen. Vermutlich kann sie sich zum<strong>in</strong>dest mit ihm<br />
austauschen.<br />
Die an<strong>der</strong>e Erzählperson gibt an, sie schäme sich dafür <strong>in</strong> die f<strong>in</strong>anzielle<br />
Notlage geraten zu se<strong>in</strong> und möchte deswegen we<strong>der</strong> mit ihren Freunden,<br />
noch mit ihrer Familie darüber sprechen. Sie geht noch weiter und erklärt:<br />
„dass is denk ich n Tabuthema was man halt (.) nicht jedem“ (Anhang, S.<br />
198 Z. 644f).<br />
Das Verhältnis zu den Freunden und <strong>der</strong> Familie wird vermutlich belastet<br />
se<strong>in</strong>, wenn die f<strong>in</strong>anziellen Probleme verheimlicht werden. Mit<br />
e<strong>in</strong>geschränkten f<strong>in</strong>anziellen Möglichkeiten kann nur schwer am<br />
gesellschaftlichen Leben teilgenommen werden. Dies lässt die Vermutung<br />
zu, dass diese Erzählpersonen sich nach und nach isolieren werden o<strong>der</strong> es<br />
schon getan haben. Deswegen ist es s<strong>in</strong>nvoll die Ratsuchenden dar<strong>in</strong> zu<br />
unterstützen offen mit ihrer Situation umzugehen und damit die<br />
Enttabuisierung <strong>der</strong> Themen „Geld“ und „Schulden“ zu begünstigen.<br />
4.11 E<strong>in</strong>kommenssituation<br />
Von den Interviewten geben fünf an, dass sie arbeitslos s<strong>in</strong>d und<br />
Arbeitslosengeld II beziehen. Dadurch s<strong>in</strong>d bei ihnen <strong>der</strong>zeit ke<strong>in</strong>e<br />
Ratenzahlungen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Regulierungsmaßnahmen möglich.<br />
„weil ich auch zur Zeit arbeitslos b<strong>in</strong> und ke<strong>in</strong> Geld hab (1) die Schulden<br />
abzuzahlen“ (Anhang, S. 198 Z. 654f).<br />
E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Befragten gibt an, das Arbeitslosengeld II würde ihm wegen e<strong>in</strong>er<br />
Sanktion um fünfzig Prozent gekürzt. Somit dürfte ihm kaum ausreichend<br />
Geld verbleiben, um se<strong>in</strong>e Existenz zu sichern.<br />
„das Hartz IV bekomm ich nur fünfzig Prozent f<strong>in</strong>anziell wirklich sehr sehr<br />
schlecht geht“ (Anhang, S. 199 Z. 666f).<br />
Sanktionen des Arbeitslosengelds II kommen laut <strong>der</strong> vom<br />
Bundesm<strong>in</strong>isterium für Arbeit und Soziales <strong>in</strong> Auftrag gegebenen Studie<br />
„Wirkungen des SGB II auf Personen mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund“ bei<br />
63
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
türkischen <strong>Migranten</strong> deutlich häufiger vor als bei Menschen ohne o<strong>der</strong> mit<br />
e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Migrationsh<strong>in</strong>tergrund (vgl. Knuth u.a. 2009, S. 23).<br />
Gründe dafür werden nicht benannt. Von Arbeitslosigkeit betroffen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />
Deutschland 27,3% <strong>der</strong> Menschen mit türkischem Migrationsh<strong>in</strong>tergrund<br />
(vgl. Sauer 2009, S. 82).<br />
Ihr Mann arbeite und habe versucht durch Überstunden, das E<strong>in</strong>kommen zu<br />
erhöhen, berichtet e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Interviewten. Sie selbst habe auch noch etwas<br />
Geld dazu verdient. Obwohl beide bemüht waren, die Schulden aus eigener<br />
Kraft zu regulieren, hat das E<strong>in</strong>kommen offensichtlich nicht ausgereicht, um<br />
alle Gläubiger mit Raten zufriedenzustellen.<br />
4.12 Kostenlose Beratung – kostenpflichtige Beratung<br />
E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Interviewten berichtet, dass er, bevor er das kostenlose<br />
Beratungsangebot <strong>in</strong> Anspruch genommen hat, bei e<strong>in</strong>em kostenpflichtigen<br />
Schuldnerberater Hilfe gesucht habe. Diesen konnte er, auf Grund se<strong>in</strong>er<br />
schlechten f<strong>in</strong>anziellen Lage, nach kurzer Zeit nicht mehr bezahlen. Auf das<br />
kostenlose Beratungsangebot sei er „gestoßen“ (Anhang, S. 199 Z. 679).<br />
Er hat sich also nicht aktiv um e<strong>in</strong>e Alternative bemüht, beziehungsweise<br />
wusste er vielleicht gar nicht, dass es auch kostenlose<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong>sangebote gibt.<br />
„wenn es da sowas (1) wirklich ohne Kosten gibt (.) b<strong>in</strong> ich bereit des auch<br />
<strong>in</strong> Anspruch zu nehmen“ (Anhang, S. 199 Z. 682f).<br />
Die Tatsache, dass er ke<strong>in</strong> Geld für die Beratung zahlen muss, sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong><br />
wichtiger Beweggrund für die erneute Beratungsaufnahme gewesen zu se<strong>in</strong>.<br />
Über die Leistungen des kostenpflichtigen Schuldnerberaters o<strong>der</strong> ob es<br />
Unterschiede zur jetzigen Beratung gibt, sagt er nichts. Die Vermutung liegt<br />
somit nahe, dass das kostenlose Beratungsangebot qualitativ zum<strong>in</strong>dest<br />
nicht schlechter ist als das kostenpflichtige.<br />
E<strong>in</strong>en „normalen Schuldnerberater“ (Anhang, S. 199 Z. 693) könne sie sich<br />
nicht leisten, sagt e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Erzählperson. Wenn sie ihre jetzige<br />
64
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Beratungsstelle besucht, übernimmt das Job Center ihrer Me<strong>in</strong>ung nach, die<br />
entstehenden Kosten.<br />
Dazu muss angemerkt werden, dass <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz, nach dessen<br />
Landesgesetz zur Ausführung <strong>der</strong> Insolvenzordnung § 3 Abs.1, nur solche<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong>sstellen vom Landesamt für Soziales, Jugend und<br />
Versorgung als geeignete Stellen anerkannt werden, die ihre Leistungen <strong>in</strong><br />
allen Fällen unentgeltlich anbieten und erbr<strong>in</strong>gen. Da <strong>in</strong> dieser Forschung<br />
ausschließlich Ratsuchende aus Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz befragt wurden, trifft dies<br />
auf alle von ihnen <strong>in</strong> Anspruch genommenen Beratungsstellen zu. Es<br />
entstehen <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz bei ke<strong>in</strong>er seriösen, das heißt anerkannten,<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong>sstelle Kosten für den Ratsuchenden.<br />
Die Aussage „nen normalen Schuldnerberater kann ich net bezahlen“<br />
(Anhang, S. 199 Z. 693f) impliziert, dass nach Auffassung dieser Befragten,<br />
das Angebot e<strong>in</strong>es Schuldnerberaters kostenpflichtig se<strong>in</strong> muss. Mitarbeiter<br />
e<strong>in</strong>er kostenlosen <strong>Schuldnerberatung</strong>sstelle sche<strong>in</strong>en ke<strong>in</strong>e<br />
„Schuldnerberater“ zu se<strong>in</strong>.<br />
Das wirft die Frage auf, wie das öffentliche Bild e<strong>in</strong>es Schuldnerberaters ist<br />
und ob Bedarf besteht, <strong>der</strong>en Leistungen und Qualifikation besser zu<br />
präsentieren.<br />
So wie es hier von den beiden Interviewten dargestellt wird, ist es zwar <strong>in</strong><br />
Ordnung, die kostenlose Beratung <strong>in</strong> Anspruch zu nehmen, aber nur solange<br />
man sich nichts an<strong>der</strong>es leisten kann.<br />
4.13 Türkei<br />
Drei Erzählpersonen distanzieren sich von <strong>der</strong> Türkei. E<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Interviewten<br />
gibt an, sie sei <strong>in</strong> Deutschland geboren und aufgewachsen und könne<br />
deswegen ke<strong>in</strong>e Angaben zur Situation Überschuldeter <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei<br />
machen. Die Türkei sche<strong>in</strong>t für sie generell ke<strong>in</strong>e Rolle zu spielen.<br />
Die beiden an<strong>der</strong>en Befragten äußern sich negativ, als sie auf die Türkei<br />
angesprochen werden.<br />
E<strong>in</strong>er von ihnen kritisiert den Wert des Menschen:<br />
65
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
„wissen Sie Türkei is für mich (1) n gutes Land (.) erst dann wenn <strong>der</strong> Mensch was<br />
bedeutet und wenn du als Mensch da (.) ke<strong>in</strong>e Bedeutung hast (.) dann hat das<br />
Land für mich auch ke<strong>in</strong>e Bedeutung und das sag ich als (.) Türke ja also es is es is<br />
traurig“ (Anhang, S. 199 Z. 704ff).<br />
Die Türkei werde für diese Erzählperson erst wie<strong>der</strong> <strong>in</strong>teressant, wenn dort<br />
e<strong>in</strong> menschliches Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> herrscht. Se<strong>in</strong>e Distanz zum Heimatland<br />
bedauere er, sieht sich selbst aber trotzdem als Türke.<br />
Der an<strong>der</strong>e Interviewte drückt se<strong>in</strong>e Ablehnung <strong>der</strong> Türkei gegenüber noch<br />
wesentlich härter aus: „och ich will mal was sagen (.) die Türkei die ganze<br />
Land des s<strong>in</strong>d Gangster (.) das sag ich Ihnen ganz ehrlich (1) ich b<strong>in</strong> froh<br />
dass ich hier <strong>in</strong> Deutschland lebe“ (Anhang, S. 199 Z. 710ff).<br />
Von den <strong>in</strong>terviewten Personen können sechs etwas über die Situation<br />
überschuldeter Menschen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei berichten. Ihr Wissen beziehen sie<br />
teilweise aus dem Internet und aus Erzählungen von an<strong>der</strong>en o<strong>der</strong> haben<br />
selbst Erfahrungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei gemacht. Die getroffenen Aussagen ähneln<br />
sich. Zusammenfassend lässt sich, bezogen auf die Angaben <strong>der</strong> Befragten<br />
festhalten, dass es ke<strong>in</strong>e Hilfe von staatlicher Seite gibt, wie zum Beispiel<br />
e<strong>in</strong> Insolvenzverfahren o<strong>der</strong> das Bereitstellen von Beratungsangeboten.<br />
Gläubiger und Gerichtsvollzieher dürfen, ohne Berücksichtigung von<br />
Pfändungsgrenzen, alles mitnehmen, was <strong>der</strong> Schuldner besitzt. Bei<br />
Nichtzahlung <strong>der</strong> Miete wird die Wohnung geräumt und <strong>der</strong> Mieter auf die<br />
Straße gesetzt.<br />
In <strong>der</strong> Türkei gibt es offenbar ke<strong>in</strong> festgelegtes Existenzm<strong>in</strong>imum. Die<br />
Befragten berichten zu diesem Thema:<br />
„da is knallhart […] nehmen dir alles was du hast“ (Anhang, S. 200 Z.<br />
715ff)<br />
„da gibt’s ke<strong>in</strong>e Gnade“ (Anhang, S. 200 Z. 745)<br />
„dann bekommen sie ne Haftstrafe durch die Schulden“ (Anhang, S. 200 Z.<br />
761)<br />
„bis letzte Hemd so also nehmen wirklich […] (.) und die haben ganze Möbel<br />
dann mitgenommen (1) alles“ (Anhang, S. 200f Z. 764ff)<br />
„ganze Wohnung blitz und blank da gibt’s ke<strong>in</strong>e Gnade“ (Anhang, S. 201 Z.<br />
778f).<br />
66
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Den Umgang mit Schuldnern <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei sche<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>ige Interviewte auf<br />
Deutschland übertragen zu haben. So lassen sich die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>der</strong><br />
vorangegangenen Kapitel beschriebenen psychischen Belastungen und<br />
Ängste besser nachvollziehen. Dort wurde von <strong>der</strong> Ungewissheit <strong>der</strong><br />
Konsequenzen, die durch das Nichtbezahlen von Schulden getragen werden<br />
müssen und von <strong>der</strong> Angst vor e<strong>in</strong>er Haftstrafe berichtet.<br />
In Folge <strong>der</strong> Aussichtslosigkeit auf e<strong>in</strong>e Verbesserung <strong>der</strong><br />
Überschuldungssituation, berichtet e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Erzählpersonen, würden sich<br />
viele Menschen aus Verzweiflung umbr<strong>in</strong>gen.<br />
E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Interviewten sagt, <strong>der</strong> Bedarf an sozialen E<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Türkei sei so hoch, dass, würden e<strong>in</strong>ige eröffnet werden, diese vom<br />
Ansturm <strong>der</strong> Hilfesuchenden überrannt würden.<br />
Abschließend kann festgehalten werden, dass nach den Angaben <strong>der</strong><br />
Interviewten, türkische <strong>Migranten</strong> aus ihrem Heimatland ke<strong>in</strong>e öffentliche<br />
Unterstützung bei Überschuldung kennen. Deswegen kommen sie vielleicht<br />
von sich aus nicht auf die Idee, dass so etwas <strong>in</strong> Deutschland existieren<br />
könnte. Das ist e<strong>in</strong> weiteres Argument dafür, dass <strong>Schuldnerberatung</strong> für<br />
diesen Personenkreis besser zugänglich gemacht werden muss.<br />
67
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
5. Befragung von Schuldnerberatern zum Thema „Türkische<br />
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong>“<br />
Um die Ergebnisse <strong>der</strong> Ratsuchendenbefragung besser e<strong>in</strong>ordnen zu können<br />
und e<strong>in</strong> vollständigeres Bild von <strong>der</strong> Beratungssituation türkischer <strong>Migranten</strong><br />
zu bekommen, wurde zusätzlich e<strong>in</strong>e Beraterbefragung durchgeführt.<br />
5.1 Forschungsaufbau <strong>der</strong> Schuldnerberaterbefragung<br />
Die Schuldnerberaterbefragung wurde leitfadengestützt geführt. Der<br />
Leitfaden wurde nach demselben Pr<strong>in</strong>zip erstellt wie <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Ratsuchendenbefragung und umfasst drei Themengebiete.<br />
Die Berater wurden gebeten ihre Beratung türkischer <strong>Migranten</strong> zu<br />
beschreiben. So soll festgestellt werden, ob es Unterschiede zur Beratung<br />
an<strong>der</strong>er Ratsuchen<strong>der</strong> gibt und wie diese <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel abläuft.<br />
Die zweite Frage lautete: „Was empf<strong>in</strong>den Sie bei <strong>der</strong> Beratung türkischer<br />
<strong>Migranten</strong>?“. Hier wird die subjektive Ebene <strong>der</strong> Berater angesprochen. Sie<br />
können ihre persönlichen positiven und negativen Erfahrungen schil<strong>der</strong>n<br />
und ihre eigene Arbeit e<strong>in</strong>schätzen.<br />
Abschließend wurden die Berater aufgefor<strong>der</strong>t zu schil<strong>der</strong>n, welche<br />
beson<strong>der</strong>en Beratungsangebote sie für türkische <strong>Migranten</strong> bereitstellen,<br />
beziehungsweise ob überhaupt welche vorhanden s<strong>in</strong>d.<br />
Der Leitfaden wurde <strong>in</strong>klusive Begleitschreiben (Anhang S. 202f) per E-Mail<br />
an mehrere rhe<strong>in</strong>land-pfälzische Beratungsstellen gesandt, mit <strong>der</strong> Bitte den<br />
Fragebogen auszufüllen und diesen wie<strong>der</strong> zurückzuschicken. Die<br />
Beteiligung an <strong>der</strong> Befragung war relativ ger<strong>in</strong>g, von circa fünfundzwanzig<br />
angeschriebenen Beratern haben acht geantwortet.<br />
Die Auswertung <strong>der</strong> Antworten wurde, so wie <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Ratsuchendenbefragung, nach den Vorgaben von Meuser und Nagel (2002)<br />
vorgenommen. Lediglich auf den Schritt <strong>der</strong> Kodierung <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen<br />
Interviews wurde wegen <strong>der</strong> überschaubaren Datenmenge verzichtet, so<br />
68
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
dass sich an das Paraphrasieren direkt <strong>der</strong> thematische Vergleich<br />
anschließt. Die e<strong>in</strong>zelnen Bearbeitungsschritte s<strong>in</strong>d im Anhang (S. 204ff) zu<br />
f<strong>in</strong>den.<br />
5.2 Zusammenfassende Darstellung <strong>der</strong> Fragebögen<br />
Da die Antworten auf die e<strong>in</strong>zelnen Fragen relativ ähnlich ausfallen, wird an<br />
dieser Stelle auf e<strong>in</strong>e kurze Darstellung <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Fragebögen<br />
verzichtet.<br />
An <strong>der</strong> Befragung haben sich sechs weibliche und zwei männliche<br />
Schuldnerberater beteiligt. Es wurden ke<strong>in</strong>e weiteren Informationen, wie<br />
zum Beispiel Alter o<strong>der</strong> Berufserfahrung, über die Berater e<strong>in</strong>geholt, da<br />
diese <strong>in</strong> <strong>der</strong> Auswertung ke<strong>in</strong>e Rolle spielen.<br />
Generell unterscheidet sich die Beratung türkischer <strong>Migranten</strong>, nach den<br />
Angaben <strong>der</strong> Befragten, nicht von <strong>der</strong> Beratung an<strong>der</strong>er Menschen. Die<br />
Herkunft o<strong>der</strong> <strong>der</strong> kulturelle H<strong>in</strong>tergrund des Ratsuchenden habe ke<strong>in</strong>en<br />
vorrangigen E<strong>in</strong>fluss auf diese.<br />
Sprachliche Barrieren werden von allen befragten Beratern als Schwierigkeit<br />
angesehen. Das Problem werde <strong>in</strong> den meisten Fällen durch e<strong>in</strong>en vom<br />
Ratsuchenden organisierten Übersetzer gelöst. Allerd<strong>in</strong>gs werden die<br />
Beratungsgespräche, an denen e<strong>in</strong> Dolmetscher teilnimmt, von vielen<br />
Beratern als anstrengen<strong>der</strong> empfunden und es bleibe die Ungewissheit, ob<br />
die Übersetzung fachlich richtig und ohne subjektive Färbung des<br />
Dolmetschers sei.<br />
Die Befragten haben <strong>in</strong> vielen Fällen das Gefühl, e<strong>in</strong>e wichtigere Rolle für<br />
den Klienten zu spielen als <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Beratungsbeziehungen. Es wird zum<br />
Beispiel mit <strong>der</strong> Erwartungshaltung an den Berater herangetreten, dieser<br />
treffe nun alle Entscheidungen, die die Überschuldung betreffen, für den<br />
Ratsuchenden.<br />
In fast allen <strong>der</strong> teilnehmenden Beratungsstellen seien<br />
Informationsmaterialien <strong>in</strong> türkischer Sprache vorhanden. In e<strong>in</strong>igen Fällen<br />
sei die Möglichkeit gegeben e<strong>in</strong>en Dolmetscher zur Verfügung zu stellen.<br />
69
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Auffallend ist, dass nur <strong>in</strong> zwei Fragebögen hauptsächlich positive Aspekte<br />
<strong>der</strong> Beratung türkischer <strong>Migranten</strong> dargestellt werden und wertschätzend<br />
von den Ratsuchenden berichtet wird. Die an<strong>der</strong>en Befragten legen den<br />
Fokus eher auf die Probleme, die sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung ergeben.<br />
5.3 Ergebnisse <strong>der</strong> Befragung <strong>der</strong> Schuldnerberater<br />
Hier werden die durch den thematischen Vergleich gewonnenen Ergebnisse<br />
<strong>der</strong> Befragung <strong>der</strong> Schuldnerberater dargestellt.<br />
Auf den Verweis s<strong>in</strong>ngemäßer Zitate wird an dieser Stelle wie<strong>der</strong> wegen <strong>der</strong><br />
besseren Lesbarkeit verzichtet, da sich <strong>der</strong> thematische Vergleich im<br />
Anhang f<strong>in</strong>det. Wörtliche Zitate und Zitate aus an<strong>der</strong>en Quellen werden<br />
angegeben.<br />
5.3.1 Beratung türkischer <strong>Migranten</strong><br />
Die Beratung türkischer <strong>Migranten</strong> unterscheide sich nicht von <strong>der</strong> Beratung<br />
an<strong>der</strong>er Ratsuchen<strong>der</strong>, geben fünf <strong>der</strong> acht befragten Personen an.<br />
We<strong>der</strong> zwischen den Menschen, die die Beratungsstelle aufsuchen werde e<strong>in</strong><br />
Unterschied gemacht, noch weiche die Art <strong>der</strong> Beratung, sowohl <strong>in</strong>haltlich<br />
als auch methodisch, von den an<strong>der</strong>en ab.<br />
E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Befragten 10 geht auf den generellen Ablauf des Beratungsbeg<strong>in</strong>ns<br />
e<strong>in</strong>. Er gibt an, e<strong>in</strong> erstes Beratungsgespräch f<strong>in</strong>de <strong>in</strong>nerhalb von zwei bis<br />
vier Wochen statt und die laufende Beratung könne <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nach<br />
sieben Monaten aufgenommen werden. Es existiert e<strong>in</strong>e Wartezeit, die<br />
allerd<strong>in</strong>gs ungefähr doppelt so lang ist, wie die im iff-Überschuldungsreport<br />
angegebene durchschnittliche Wartezeit von 3,4 Monaten (vgl.<br />
Knobloch/Reifner/Laatz 2009, S. 21). Die Möglichkeit kurzfristige (<strong>in</strong>nerhalb<br />
von zwei bis vier Wochen) Beratungsgespräche <strong>in</strong> Anspruch zu nehmen, ist<br />
10 Wenn aus dem beschriebenen o<strong>der</strong> zitierten Text nicht klar hervorgeht, ob die Aussage von e<strong>in</strong>em<br />
weiblichen o<strong>der</strong> männlichen Berater getroffen wurde, wird, wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> restlichen Arbeit auch, die<br />
männliche Form verwendet.<br />
70
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
gegeben. Dies ersche<strong>in</strong>t s<strong>in</strong>nvoll und wichtig, bedenkt man den psychischen<br />
Druck und die Ängste, die <strong>in</strong> den Ergebnissen <strong>der</strong> Ratsuchendenbefragung<br />
dargestellt wurden. Wahrsche<strong>in</strong>lich kann den Ratsuchenden die erste Last<br />
mit <strong>der</strong> zeitnahen Beratung genommen werden.<br />
Der Ratsuchende bestimme das Tempo <strong>der</strong> Beratung, sagt e<strong>in</strong> Berater.<br />
Offenbar wird die Beratung <strong>in</strong>dividuell auf den Klienten abgestimmt, um<br />
se<strong>in</strong>en Bedürfnissen gerecht zu werden.<br />
„Die Beratung gestaltet sich <strong>in</strong> Abhängigkeit von den Sprachkenntnissen.“<br />
(Anhang, S. 229 Z. 31f).<br />
In diesem Fall sche<strong>in</strong>t <strong>der</strong> Schuldnerberater die Beratung, je nach<br />
Sprachkompetenz des Ratsuchenden, <strong>in</strong>dividuell gestalten zu können.<br />
Inwiefern und welche unterschiedlichen Beratungsmethoden er e<strong>in</strong>setzt,<br />
sagt er an dieser Stelle nicht.<br />
5.3.2 Probleme <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung<br />
Schwierigkeiten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung türkischer <strong>Migranten</strong> haben fünf <strong>der</strong> acht<br />
Befragten. Teilweise spielen sich die Probleme auf unterschiedlichen Ebenen<br />
ab:<br />
� die Beratung sei schwierig und anstrengend,<br />
� man habe das Gefühl aufmerksamer se<strong>in</strong> zu müssen,<br />
� h<strong>in</strong> und wie<strong>der</strong> sei es unmöglich dem Anspruch <strong>der</strong> Ratsuchenden<br />
gerecht zu werden,<br />
� wesentliche E<strong>in</strong>zelheiten würden vom Klienten verschwiegen<br />
� es könne nicht angemessen geholfen werden, weil die Unsicherheit<br />
besteht, ob die Verständigung gelungen sei.<br />
Diese ganz <strong>in</strong>dividuellen Aussagen zeigen, dass zum Teil nur <strong>der</strong> Berater<br />
von den Schwierigkeiten betroffen ist o<strong>der</strong>, wenn zum Beispiel etwas<br />
verheimlicht wird, dies Konsequenzen sowohl für den Berater als auch für<br />
den Ratsuchenden haben kann, da die Beratung dann <strong>der</strong> wirklichen<br />
Situation des Klienten nicht gerecht wird.<br />
71
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Es sche<strong>in</strong>t wichtig zu se<strong>in</strong>, die bestehenden Unsicherheiten zu klären, damit<br />
sich <strong>der</strong> Berater <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Rolle kompetent fühlen kann, um die<br />
Ratsuchenden weiterh<strong>in</strong> gut unterstützen zu können.<br />
An dieser Stelle muss festgehalten werden, dass die meisten Befragten nur<br />
ungern Aussagen über e<strong>in</strong>e spezifische Ratsuchendengruppe getroffen<br />
haben und immer wie<strong>der</strong> darauf h<strong>in</strong>gewiesen wird, dass viele Angaben<br />
genauso auf deutsche Klienten o<strong>der</strong> Klienten an<strong>der</strong>er Nationalität zutreffen.<br />
E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Berater gibt an, viele Türken hätten e<strong>in</strong> Problem mit dem<br />
E<strong>in</strong>halten von Fristen. Sie würden <strong>in</strong> ihnen ke<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dlichkeit sehen. Dies<br />
dürfte auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong> problematisch se<strong>in</strong>, da hier <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Regel Term<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>gehalten werden müssen.<br />
Nur e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Befragten sagt, die türkischen Ratsuchenden seien „meistens<br />
ganz offen und ehrlich“ (Anhang, S. 230 Z. 74). Diese positive Äußerung<br />
zeigt, dass es auch Schuldnerberater gibt, die durchweg eher gute<br />
Erfahrungen mit <strong>der</strong> Beratung türkischer <strong>Migranten</strong> gemacht haben.<br />
5.3.3 Unterstützung bei Gläubigerkorrespondenz<br />
Von <strong>der</strong> Übernahme e<strong>in</strong>es großen Teils des Schriftverkehrs bei nichts<br />
ausreichen<strong>der</strong> sprachlicher Kompetenz, berichten drei Berater.<br />
„[…] verstärkte Übernahme/Vorbereitung von Schriftverkehr durch mich.<br />
Dies dürfte aber nichts ausschließlich Spezifisches für die Zielgruppe se<strong>in</strong>“<br />
(Anhang, S. 231 Z. 83ff).<br />
Diese weitreichen<strong>der</strong>e Unterstützung kommt demnach auch an<strong>der</strong>en<br />
Ratsuchenden, die beispielsweise Probleme mit dem Lesen und Schreiben<br />
haben, zuteil. Es kann wahrsche<strong>in</strong>lich davon ausgegangen werden, dass die<br />
Schreiben, die e<strong>in</strong> Berater, <strong>der</strong> durch se<strong>in</strong>e Berufserfahrung wohl e<strong>in</strong>e<br />
gewisse Rout<strong>in</strong>e <strong>in</strong> <strong>der</strong> Korrespondenz mit Gläubigern entwickelt, formuliert<br />
hat, e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Wirkung auf die Gläubiger hat, als Briefe, die e<strong>in</strong> Schuldner<br />
erstellt, <strong>der</strong> mangelnde Deutschkenntnisse aufweist. Außerdem ist denkbar,<br />
72
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
dass <strong>der</strong> Gläubiger erst durch die <strong>Schuldnerberatung</strong>sstelle Kenntnis von<br />
<strong>der</strong> aktuellen f<strong>in</strong>anziellen Situation des Schuldners erlangt, wenn dieser im<br />
Vorfeld alle<strong>in</strong>e nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage war sich dem Gläubiger mitzuteilen.<br />
Durch die Unterstützung <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong> wird möglicherweise die<br />
Kommunikation zwischen den beiden Parteien verbessert, wodurch die<br />
Chance e<strong>in</strong>e Lösung zu f<strong>in</strong>den, die für alle tragbar ist, erhöht wird.<br />
Trotz <strong>der</strong> Übernahme des Schriftverkehrs werde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nicht <strong>in</strong><br />
Vollmacht für den Ratsuchenden gearbeitet, gibt <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />
e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Berater an. Das impliziert, dass die Entscheidungen im Prozess <strong>der</strong><br />
Schuldenregulierung weiterh<strong>in</strong> dem Betroffenen selbst obliegen und er <strong>in</strong><br />
den Ablauf <strong>der</strong> Korrespondenz mit den Gläubigern e<strong>in</strong>gebunden bleibt.<br />
So kann <strong>der</strong> Klient auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Seite umfassend unterstützt werden, auf<br />
<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite wird dem Konzept <strong>der</strong> „Hilfe zur Selbsthilfe“, nach dem<br />
viele <strong>Schuldnerberatung</strong>sstellen arbeiten, treu geblieben.<br />
5.3.4 Methoden <strong>der</strong> Beratung<br />
Von beson<strong>der</strong>en Methoden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung berichten zwei <strong>der</strong> acht<br />
befragten Personen. Ihnen ist es sehr wichtig, dass, trotz sprachlicher<br />
Schwierigkeiten, die Informationen richtig beim Ratsuchenden ankommen.<br />
Dazu setzen sie auf e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache und bildhafte Darstellung <strong>der</strong> Fakten.<br />
„Sofern e<strong>in</strong>e Beratung ohne Übersetzungshilfe stattf<strong>in</strong>det, ist es nötig alle<br />
rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ganz e<strong>in</strong>fachen<br />
Sprache zu übermitteln, ohne den S<strong>in</strong>n zu verfälschen.“ (Anhang, S. 231 Z.<br />
99ff).<br />
„[…] eher bildhafte/plakative Darstellung von Zusammenhängen“ (Anhang,<br />
S. 231 Z. 95f).<br />
Dies setzt e<strong>in</strong>e gewisse sprachliche Kreativität und fachliche Kompetenz des<br />
Beraters voraus, die vermutlich nur durch e<strong>in</strong>ige Beratungserfahrung<br />
gewonnen werden kann. Wahrsche<strong>in</strong>lich ist es schwierig, rechtliche<br />
Bestimmungen e<strong>in</strong>fach und verständlich darzustellen, ohne dass dabei<br />
Missverständnisse entstehen und Unklarheiten zurückbleiben. E<strong>in</strong>e<br />
73
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Überprüfung <strong>der</strong> transportierten Inhalte kann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel wohl nicht durch<br />
den Berater vorgenommen werden.<br />
5.3.5 Sprachliche Barrieren<br />
Bis auf e<strong>in</strong>en Berater berichten alle von sprachlichen Barrieren <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Beratung, die diese meist erschweren.<br />
Zwei von ihnen geben an, Sachverhalte müssten wie<strong>der</strong>holt erklärt werden,<br />
was den Beratungsverlauf vermutlich <strong>in</strong> die Länge zieht. Das mehrmalige<br />
Behandeln e<strong>in</strong>es Themas empf<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Befragten als anstrengend.<br />
Der an<strong>der</strong>e schreibt, türkische Ratsuchende würden es selten zugeben,<br />
wenn sie etwas nicht verstanden haben. Deswegen sei es notwendig immer<br />
wie<strong>der</strong> nachzuhaken. Wenn die Klienten nicht offen sagen, dass ihnen noch<br />
Sachverhalte unklar s<strong>in</strong>d, kann sich <strong>der</strong> Berater nie sicher se<strong>in</strong>, dass das<br />
Gesagte richtig und vollständig beim Ratsuchenden angekommen ist. Dies<br />
kann die weitere Beratung unter Umständen negativ bee<strong>in</strong>flussen, da so<br />
leicht Missverständnisse entstehen können.<br />
E<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Berater<strong>in</strong> führt aus: „Entscheidend ist, dass e<strong>in</strong>e Verständigung<br />
<strong>in</strong> deutscher Sprache möglich ist und die Berater<strong>in</strong>nen den E<strong>in</strong>druck haben,<br />
dass sie verstanden werden“ (Anhang, S. 232 Z. 164ff).<br />
Hier wird deutlich, dass das subjektive Empf<strong>in</strong>den, ob sie verstanden wurde<br />
o<strong>der</strong> nicht, maßgeblich bei <strong>der</strong> Verständigung ist. Die Berater<strong>in</strong> hat ke<strong>in</strong>e<br />
Möglichkeit ihren E<strong>in</strong>druck verlässlich zu bewahrheiten und muss mit dem<br />
Risiko, nicht verstanden worden zu se<strong>in</strong>, leben, wenn <strong>der</strong> Ratsuchende<br />
beispielsweise Kompetenzen entwickelt hat, se<strong>in</strong>e sprachlichen Defizite gut<br />
zu verbergen.<br />
Kommunikation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung unterscheide sich von <strong>der</strong> Alltäglichen, da<br />
die Zusammenhänge oft sehr umfassend und die Fachausdrücke nicht<br />
immer <strong>in</strong> die türkische Sprache zu übersetzen seien, schil<strong>der</strong>t e<strong>in</strong>er <strong>der</strong><br />
Befragten. Dies lässt die Annahme zu, dass e<strong>in</strong> Ratsuchen<strong>der</strong>, <strong>der</strong> sich dem<br />
ersten E<strong>in</strong>druck nach recht gut verständigen kann, nicht unbed<strong>in</strong>gt die<br />
74
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
schuldnerberaterischen Sachverhalte auf Anhieb versteht, zumal, wie <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Ratsuchendenbefragung festgestellt, kaum Vorwissen vorhanden ist.<br />
E<strong>in</strong>e Möglichkeit die sprachlichen H<strong>in</strong><strong>der</strong>nisse zu überw<strong>in</strong>den, ist <strong>der</strong> E<strong>in</strong>satz<br />
von Übersetzern aus dem privaten Umfeld des Ratsuchenden. Dies wird von<br />
e<strong>in</strong>igen Beratern aus unterschiedlichen Gründen kritisch gesehen.<br />
Zunächst ist festzuhalten, dass zwei Befragte angeben, sie würden auf<br />
e<strong>in</strong>en Übersetzer bestehen, wenn sie das Gefühl haben (es also nicht sicher<br />
wissen), es gebe Verständigungsprobleme. Die Initiative geht nicht von den<br />
türkischen Ratsuchenden aus. Entwe<strong>der</strong> kann dies daran liegen, dass <strong>der</strong><br />
Ratsuchende ke<strong>in</strong>en Bedarf sieht e<strong>in</strong>en Dolmetscher am Gespräch zu<br />
beteiligen, weil er davon ausgeht, dass er ausreichend viel versteht o<strong>der</strong> er<br />
ke<strong>in</strong>e Möglichkeit hat jemanden mitzubr<strong>in</strong>gen.<br />
Wenn e<strong>in</strong> Übersetzer am Beratungsgespräch teilnimmt, werden die<br />
ständigen Unterbrechungen und die dadurch erfor<strong>der</strong>liche hohe<br />
Konzentration als anstrengend von e<strong>in</strong>em Berater empfunden.<br />
Zweimal wird die Wahl (vorausgesetzt er hatte diese) des Übersetzers durch<br />
den Ratsuchenden kritisiert: „Hoffentlich muss nicht wie<strong>der</strong> das kle<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>d<br />
übersetzen!“ (Anhang, S. 231 Z. 123).<br />
E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Befragten sagt dazu, ihm sei dies beson<strong>der</strong>s unangenehm, da er<br />
<strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ung ist, dass die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>der</strong> Ratsuchenden nicht auf diese Art mit<br />
den Problemen <strong>der</strong> Eltern konfrontiert werden sollten. Außerdem ist<br />
wahrsche<strong>in</strong>lich fraglich, ob e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d die für die <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
relevanten Themen schon richtig verstehen und vor allem fehlerfrei<br />
übermitteln kann.<br />
Bei Dolmetschern aus dem familiären Umkreis ergebe sich zudem das<br />
Problem, wie zwei <strong>der</strong> Berater schil<strong>der</strong>n, dass auf Grund <strong>der</strong> persönlichen<br />
B<strong>in</strong>dung die Übersetzung von <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ung des Dolmetschers verfälscht<br />
würde. Dies könnte zum Beispiel dann <strong>der</strong> Fall se<strong>in</strong>, wenn sowohl<br />
Ratsuchen<strong>der</strong> als auch Übersetzer <strong>in</strong> die Überschuldung <strong>in</strong>volviert s<strong>in</strong>d und<br />
sich <strong>der</strong> Dolmetscher e<strong>in</strong>en Vorteil gegenüber dem verschaffen will, <strong>der</strong><br />
nicht alles versteht.<br />
75
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
E<strong>in</strong> weiterer Kritikpunkt an Gesprächen mit Übersetzern, den drei <strong>der</strong> acht<br />
Befragten ansprechen, ist, <strong>der</strong> Berater könne sich nie ganz sicher se<strong>in</strong>, ob<br />
die Inhalte dem Ratsuchenden richtig vermittelt werden o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Dolmetscher eigenes Wissen <strong>in</strong> die Übersetzung e<strong>in</strong>fließen lässt. Beides<br />
könnte die Beratung bee<strong>in</strong>flussen, da dem Ratsuchenden eventuell fachlich<br />
falsche Informationen zugetragen werden, auf Grund <strong>der</strong>er er e<strong>in</strong>e<br />
Entscheidung treffen muss.<br />
Für e<strong>in</strong>en <strong>der</strong> Berater ist es angenehm, wenn e<strong>in</strong>e neutrale Person das<br />
Übersetzen übernimmt. Hierzu muss allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratungsstelle die<br />
Möglichkeit gegeben se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>en Dolmetscher zur Verfügung stellen zu<br />
können.<br />
„Dann erlebe ich die Klienten/Klient<strong>in</strong> auch an<strong>der</strong>s, sehr viel aktiver und es<br />
entsteht auch <strong>der</strong> E<strong>in</strong>druck als sei e<strong>in</strong> „Des<strong>in</strong>teresse“ (?) von vorher<br />
verschwunden.“ (Anhang, S. 233 Z. 188ff).<br />
Diese Beobachtung des Beraters erweckt den E<strong>in</strong>druck, dass die<br />
Ratsuchenden froh s<strong>in</strong>d, wenn sie sich dem Berater leichter mitteilen<br />
können. Sie s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>teressierter an <strong>der</strong> Beratung. Die Motivation zur Mitarbeit<br />
sche<strong>in</strong>t sich durch e<strong>in</strong>e gute Kommunikation wesentlich zu verbessern, was<br />
zu dem Schluss führt, dass <strong>der</strong> E<strong>in</strong>satz von neutralen Dolmetschern sowohl<br />
für den Berater als auch für den Ratsuchenden e<strong>in</strong>e Bereicherung und für<br />
den Beratungsablauf e<strong>in</strong>e Entlastung se<strong>in</strong> kann.<br />
5.3.6 Gute Sprachkenntnisse<br />
Die Beratung türkischer <strong>Migranten</strong> ist nicht immer erschwert durch<br />
mangelnde Sprachkompetenz.<br />
„Glücklicherweise gibt es viele <strong>Migranten</strong>, die deutsch verstehen und auch<br />
selbst sprechen“ (Anhang, S. 233 Z. 196f).<br />
Offensichtlich ist <strong>in</strong> vielen Fällen e<strong>in</strong> Übersetzer nicht notwendig. Wenn die<br />
Kommunikation reibungslos funktioniert, ist dies, wie im Fall dieses<br />
Beraters, e<strong>in</strong>e gute Basis für die Beratung.<br />
76
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
E<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e befragte Person beschreibt, bei guten Sprachkenntnissen seien<br />
die türkischen Ratsuchenden <strong>in</strong>teressiert daran, warum <strong>der</strong> Gläubiger<br />
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen e<strong>in</strong>leitet o<strong>der</strong> weitere Mahnschreiben<br />
versendet, obwohl er von <strong>der</strong> Zahlungsunfähigkeit des betroffenen<br />
Schuldners weiß. Außerdem hätten diese Ratsuchende zwar kreative, aber<br />
nicht <strong>in</strong>s deutsche Rechtssystem passende, Lösungsvorschläge. Dieses<br />
Beispiel veranschaulicht, dass sich die Ratsuchenden eigene Gedanken zur<br />
Regulierung ihrer Schulden machen und Eigen<strong>in</strong>itiative zeigen.<br />
„Bei Klienten mit guten Sprachkenntnissen b<strong>in</strong> ich oft überrascht von <strong>der</strong>en großem<br />
Interesse. Die Klienten haben häufig großen „Wissensdurst“, viele kreative Ideen<br />
und ich erlebe sie als sehr motiviert, zielstrebig und zuverlässig.“ (Anhang, S. 233<br />
Z. 209ff).<br />
An dieser Aussage lässt sich ablesen, dass das Interesse an <strong>der</strong> Beratung<br />
positiv von diesem Berater wahrgenommen wird, ebenso die eigene<br />
Mitarbeit <strong>der</strong> türkischen Ratsuchenden und ihre Verlässlichkeit. Verglichen<br />
mit den vorangegangenen, eher negativ gefärbten Aussagen zur Beratung<br />
türkischer <strong>Migranten</strong> gibt es offensichtlich auch äußerst gute<br />
Beratungsverläufe, <strong>in</strong> denen Berater und Ratsuchen<strong>der</strong> konstruktiv<br />
zusammenarbeiten.<br />
Die Sprachkompetenz sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>en wesentlichen E<strong>in</strong>fluss auf die<br />
(empfundene) Qualität <strong>der</strong> Beratung zu haben.<br />
5.3.7 Eigene E<strong>in</strong>schätzung <strong>der</strong> Rolle als Berater<br />
Vier <strong>der</strong> acht Befragten äußern sich dazu, wie sie ihre Rolle als Berater <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Beratung türkischer <strong>Migranten</strong> sehen. Sie haben das Gefühl, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Beratungsbeziehung den Verantwortung übernehmenden Part<br />
zugeschrieben bekommen zu haben. Ihre Empfehlungen würden von den<br />
Ratsuchenden als maßgeblich angesehen werden, auch wenn es weitere<br />
Optionen gebe. Es komme auch vor, dass sich die Ratsuchenden wünschen,<br />
die Entscheidungen, bezüglich ihrer Schulden, würden ihnen abgenommen<br />
werden.<br />
Dieser Umstand erschwere die Beratung, gibt e<strong>in</strong> Berater an.<br />
77
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Zwei Befragte schil<strong>der</strong>n, die Notwendigkeit beziehungsweise das Bedürfnis<br />
sich klar abzugrenzen und auf die Zuständigkeitsbereiche h<strong>in</strong>weisen zu<br />
müssen, „da ich sonst das Gefühl habe, dass mich die Erwartungshaltung<br />
des Ratsuchenden erdrückt.“ (Anhang, S. 234 Z. 244f).<br />
Diese Aussage lässt den Schluss zu, dass türkische Ratsuchende sich nicht<br />
immer über das begrenzte Aufgabengebiet von Schuldnerberatern bewusst<br />
s<strong>in</strong>d und unter Umständen mit Anliegen <strong>in</strong> die Beratung kommen, die nicht<br />
erfüllt werden können. Dies wie<strong>der</strong>um kann von den Beratern als belastend<br />
empfunden werden, da sie zwar Kenntnis von weiteren Problemlagen<br />
haben, aber nicht umfassend helfen können.<br />
Den E<strong>in</strong>druck, bl<strong>in</strong>des Vertrauen entgegengebracht zu bekommen, haben<br />
zwei <strong>der</strong> Befragten. In e<strong>in</strong>em Fall äußert sich dies wie<strong>der</strong>um dar<strong>in</strong>, dass die<br />
Klienten darum bitten, Entscheidungen abgenommen zu bekommen. Der<br />
an<strong>der</strong>e Berater schreibt: „Das Vertrauen ist oftmals so groß, dass sie sich<br />
nicht Bemühen alles zu verstehen“ (Anhang, S. 234 Z. 252f).<br />
Sollte dieser E<strong>in</strong>druck sich bewahrheiten, wäre dies für die Beratung negativ<br />
zu bewerten, da so <strong>der</strong> Berater ganz klar die Beratung führen und die<br />
Entscheidungen für den Klienten treffen müsste. Allerd<strong>in</strong>gs wird diese<br />
Vermutung durch die <strong>in</strong> Kapitel 4.3.5 gewonnene Erkenntnis gestützt: trotz<br />
sprachlicher Schwierigkeiten halten es die Ratsuchenden selbst nicht für<br />
notwendig e<strong>in</strong>en Dolmetscher mit zur Beratung zu br<strong>in</strong>gen.<br />
Es sche<strong>in</strong>t sehr wichtig zu se<strong>in</strong> den türkischen Ratsuchenden zu vermitteln,<br />
dass sie ihre eigenen Entscheidungen treffen sollen, da sie später mit den<br />
Konsequenzen leben müssen.<br />
E<strong>in</strong> Schuldnerberater gibt an, e<strong>in</strong>ige Kontakte hätten langjährigen Bestand,<br />
da die türkischen Klienten, bei aufkommenden Fragen, gerne wie<strong>der</strong> den<br />
bereits bekannten Berater <strong>in</strong> Anspruch nehmen würden. Die Erfahrungen<br />
<strong>der</strong> Ratsuchenden sche<strong>in</strong>en <strong>in</strong> diesen Fällen positiv gewesen zu se<strong>in</strong>, denn<br />
sie möchten sich weiterh<strong>in</strong> ihrem Berater anvertrauen und s<strong>in</strong>d dort auch im<br />
Anschluss an die eigentliche Beratung willkommen. Die Unterstützung geht<br />
78
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
über die eigentliche Schuldenregulierung h<strong>in</strong>aus, was für e<strong>in</strong>ige ehemalige<br />
Klienten offenbar wichtig ist.<br />
Dass türkische Klienten oft beson<strong>der</strong>s dankbar seien für die Beratung und<br />
diese nicht als selbstverständlich ansehen, schreibt e<strong>in</strong> Befragter.<br />
5.3.8 Private Schulden<br />
Das Thema „private Schulden“ greifen fünf <strong>der</strong> acht Befragten auf. Offenbar<br />
spielt dies <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung immer wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e zentrale Rolle.<br />
E<strong>in</strong> Berater beschreibt die mehrere Ebenen umfassende Problematik<br />
privater Schulden wie folgt:<br />
„Private Schulden spielen meist e<strong>in</strong>e wichtige Rolle. Zum e<strong>in</strong>en, weil es immer<br />
wie<strong>der</strong> vorkommt, dass diese zum Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Beratung verheimlicht werden und<br />
zum an<strong>der</strong>en, weil es schwierig ist, diese <strong>in</strong> den Entschuldungsprozess des<br />
Insolvenzverfahrens e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den, da dies soziale Konsequenzen für den Betroffenen<br />
haben kann.“ (Anhang, S. 235 Z. 274ff).<br />
E<strong>in</strong>e Schwierigkeit ergibt sich demnach im gegenseitigen Vertrauen<br />
zwischen Berater und Ratsuchendem, wenn <strong>der</strong> Klient die privaten<br />
Verpflichtungen zunächst verschweigt und <strong>der</strong> Berater erst im späteren<br />
Beratungsverlauf Kenntnis von diesen erlangt. Außerdem sche<strong>in</strong>t es<br />
problematisch zu se<strong>in</strong>, die privaten Schulden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e verb<strong>in</strong>dliche<br />
Regulierungsstrategie, wie zum Beispiel e<strong>in</strong> Insolvenzverfahren,<br />
e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den.<br />
„Kulturelle Unterschiede wie beispielsweise Umgang mit Schulden bei<br />
Verwandten werden bei Türken berücksichtigt, auch wenn die Möglichkeiten<br />
<strong>der</strong> Schuldenbewältigung e<strong>in</strong>geschränkt s<strong>in</strong>d“ (Anhang, S. 235 Z. 281ff).<br />
Dieser Berater gibt an, dass zum<strong>in</strong>dest versucht wird, auf die Beson<strong>der</strong>heit<br />
<strong>der</strong> häufig vorkommenden privaten Schulden e<strong>in</strong>zugehen, dies aber nicht<br />
immer e<strong>in</strong>fach ist.<br />
Um sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung <strong>der</strong> Problematik <strong>der</strong> privaten Verpflichtungen <strong>in</strong><br />
angemessener Weise zu nähern, wäre es sicherlich s<strong>in</strong>nvoll zu erfragen,<br />
welche realistischen Konsequenzen sich aus dem nicht zurückzahlen für den<br />
jeweiligen Ratsuchenden ergeben würden. So könnten eventuelle Ängste<br />
79
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
vielleicht abgebaut und die Familie <strong>in</strong> das Entschuldungsverfahren<br />
e<strong>in</strong>gebunden werden. Dadurch könnte auch <strong>der</strong> Berater besser e<strong>in</strong>schätzen,<br />
ob die geme<strong>in</strong>sam erarbeitete Strategie Erfolg versprechend ist o<strong>der</strong> nicht.<br />
5.3.9 SCHUFA<br />
Vor e<strong>in</strong>em negativen SCHUFA 11 -E<strong>in</strong>trag haben türkische Ratsuchende<br />
überdurchschnittlich Angst, schreiben zwei Befragte, „auch wenn die<br />
aktuelle f<strong>in</strong>anzielle Situation sich so darstellt, dass e<strong>in</strong>e Kreditaufnahme<br />
o<strong>der</strong> ähnliches <strong>in</strong> <strong>der</strong> nächsten Zeit unmöglich ist.“ (Anhang, S. 235 Z.<br />
297ff).<br />
Warum diese Furcht vorhanden ist, wird nicht näher erläutert. Die Tatsache,<br />
dass ke<strong>in</strong>e Kredite o<strong>der</strong> ähnliches mehr von den Ratsuchenden<br />
aufgenommen werden sollten, für die e<strong>in</strong>e SCHUFA-Auskunft notwendig<br />
wäre, lässt die Vermutung zu, dass e<strong>in</strong>igen Klienten <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
nicht ganz klar ist, was es bedeutet e<strong>in</strong>en negativen E<strong>in</strong>trag zu haben und<br />
welche realen Konsequenzen sich daraus ergeben. Vielleicht werden<br />
Negativmerkmale <strong>in</strong> <strong>der</strong> SCHUFA mit e<strong>in</strong>em sozialen Abstieg gleichgesetzt,<br />
da es e<strong>in</strong>em kaum mehr möglich ist, Verpflichtungen e<strong>in</strong>zugehen und so das<br />
gesellschaftliche Leben e<strong>in</strong>geschränkt wird.<br />
5.3.10 Rolle <strong>der</strong> Kultur<br />
Kulturelle Unterschiede würden, wenn vorhanden, beachtet, schreibt e<strong>in</strong><br />
Berater. E<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e befragte Person fühle sich manchmal unsicher, weil sie<br />
kulturelle H<strong>in</strong>tergründe, die das Handeln e<strong>in</strong>iger Ratsuchen<strong>der</strong><br />
mitbestimmen, zum Teil nicht kenne.<br />
Beispiele für kulturelle Beson<strong>der</strong>heiten werden nicht gegeben, weswegen<br />
ke<strong>in</strong>e weitere Interpretation an dieser Stelle möglich ist. Als positiver<br />
11 SCHUFA (= Schutzgeme<strong>in</strong>schaft für allgeme<strong>in</strong>e Kreditsicherung): Die SCHUFA stellt Banken,<br />
Sparkassen, dem Handel und weiteren Branchen kreditrelevante Informationen über mögliche Kunden<br />
zur Verfügung, auf <strong>der</strong>en Grundlage e<strong>in</strong>e sichere Kreditvergabe gewährleistet werden soll (vgl.<br />
www.schufa.de (Stand 03.05.2010)).<br />
80
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Aspekt bleibt festzuhalten, dass auf die <strong>in</strong>dividuellen Bedürfnisse und<br />
E<strong>in</strong>stellungen <strong>der</strong> Ratsuchenden e<strong>in</strong>gegangen wird und diesen Raum <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Beratung gegeben wird.<br />
E<strong>in</strong> Befragter schil<strong>der</strong>t, türkische Ratsuchende würden gerne über ihr Land<br />
und ihre Kultur sprechen. In vielen Fällen sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e Verbundenheit mit<br />
dem Heimatland, <strong>der</strong> Türkei, zu existieren. Die Mehrthemenbefragung zur<br />
Lebenssituation und zum Integrationsstand türkeistämmiger <strong>Migranten</strong> hat<br />
ergeben, dass 39,1% <strong>der</strong> <strong>in</strong> Deutschland lebenden Türken die Türkei<br />
weiterh<strong>in</strong> als ihr Heimatland ansehen, 31,1% fühlen sich sowohl <strong>in</strong><br />
Deutschland als auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei heimisch (vgl. Sauer 2009, S. 109).<br />
„Die Option zur Rückkehr und die Verbundenheit mit <strong>der</strong> Türkei waren und s<strong>in</strong>d<br />
wichtige Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> gesamten Lebense<strong>in</strong>stellung <strong>der</strong><br />
türkeistämmigen <strong>Migranten</strong> und resultieren aus <strong>der</strong> spezifischen<br />
Migrationsgeschichte <strong>der</strong> ehemaligen Gastarbeiternationalitäten, die sich auf die<br />
Nachfolgegenerationen übertragen haben.“ (ebd., S. 108).<br />
Nicht nur für die Menschen, die direkt aus <strong>der</strong> Türkei emigriert s<strong>in</strong>d, spielt<br />
demnach das Heimatland e<strong>in</strong>e wichtige Rolle, son<strong>der</strong>n auch für <strong>der</strong>en<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />
Die Rückkehrabsichten hängen mit den subjektiv wahrgenommenen<br />
Lebensumständen <strong>in</strong> Deutschland zusammen: je zufriedener die Menschen<br />
mit den aktuellen Gegebenheiten s<strong>in</strong>d, desto weniger denken sie darüber<br />
nach zurück <strong>in</strong> die Türkei zu gehen (ebd., S. 112f).<br />
Da die befragten Schuldnerberater hauptsächlich von türkischen <strong>Migranten</strong><br />
aufgesucht werden, <strong>der</strong>en wirtschaftliche Situation schlecht ist und die oft<br />
auch ke<strong>in</strong>e Arbeitsstelle haben, berichten diese vermutlich<br />
überdurchschnittlich oft positiv über ihr Heimatland und drücken so ihre<br />
nationale und kulturelle Verbundenheit aus.<br />
81
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
5.3.11 Beson<strong>der</strong>e Angebote für türkische Ratsuchende<br />
Im Wesentlichen werden zwei unterschiedliche spezielle Angebote für<br />
türkische Ratsuchende von den Beratern benannt: zum e<strong>in</strong>en gebe es <strong>in</strong><br />
den Beratungsstellen Flyer und Informationsmaterialien <strong>in</strong> türkischer<br />
Sprache (wurde fünf Mal genannt) und zum an<strong>der</strong>en bestehe <strong>in</strong> drei Fällen<br />
die Möglichkeit e<strong>in</strong>en von <strong>der</strong> Institution zur Verfügung gestellten<br />
(ehrenamtlichen) Dolmetscher zu Beratungsgesprächen h<strong>in</strong>zuzuziehen. Fünf<br />
<strong>der</strong> acht Befragten geben an, sonst würden ke<strong>in</strong>e speziellen<br />
Unterstützungsmöglichkeiten existieren, e<strong>in</strong>er von ihnen halte dies zudem<br />
für nicht erfor<strong>der</strong>lich.<br />
Die benannten beratungsunterstützenden Angebote zielen auf die<br />
vorhandenen sprachlichen Barrieren <strong>in</strong> den Beratungsgesprächen ab, die <strong>in</strong><br />
Kapitel 5.3.5 bereits ausführlich beschrieben wurden. Hilfsmittel, wie<br />
Informationsmaterialien auf Türkisch, können möglicherweise e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolle<br />
Ergänzung <strong>der</strong> Beratung se<strong>in</strong>, wenn dort zum Beispiel rechtliche<br />
Gegebenheiten <strong>in</strong> Deutschland erklärt werden. Die<br />
Landesarbeitsgeme<strong>in</strong>schaft <strong>Schuldnerberatung</strong> Hessen hat sich, <strong>in</strong><br />
Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> Initiative <strong>Schuldnerberatung</strong> Hessen, diesem<br />
Thema angenommen und auf ihrer Homepage 12 Informationsblätter <strong>in</strong> acht<br />
verschiedenen Sprachen (deutsch, türkisch, russisch, arabisch, englisch,<br />
spanisch, italienisch und französisch) zur Verfügung gestellt. Über folgende<br />
Themen wird <strong>in</strong>formiert: Wohnungs- und Energiesicherung, Konto-, Sach-<br />
und E<strong>in</strong>kommenspfändung, Recht auf e<strong>in</strong> Girokonto und das<br />
Verbraucher<strong>in</strong>solvenzverfahren. Damit s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige, für die<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> fachlich relevanten, Themengebiete abgedeckt, so dass<br />
die von den Beratern beschriebenen Unsicherheiten, durch Nutzung dieser<br />
Materialien, zum<strong>in</strong>dest teilweise beseitigt werden könnten.<br />
Auch Flyer <strong>in</strong> türkischer Sprache, die das Beratungsangebot <strong>der</strong> jeweiligen<br />
Institutionen vorstellen, könnten e<strong>in</strong> Weg se<strong>in</strong>, den Zugang für türkische<br />
12 http://www.schuldnerberatung-hessen.de/<strong>in</strong>dex.php/<strong>in</strong>formationsblaetter (Stand 03.05.2010)<br />
82
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Klienten niedrigschwellig zu gestalten. Für e<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> befragten<br />
Ratsuchenden war die Kontaktaufnahme zunächst von Scham und Angst<br />
begleitet, was durch e<strong>in</strong>e solche Niedrigschwelligkeit gegebenenfalls<br />
verr<strong>in</strong>gert werden und zu e<strong>in</strong>er schnelleren Inanspruchnahme <strong>der</strong><br />
<strong>Schuldnerberatung</strong>sstelle führen könnte.<br />
E<strong>in</strong> Befragter berichtet von e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>stitutionellen Netzwerk zwischen<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong>, Sozial- und Lebensberatung und e<strong>in</strong>em Fachdienst für<br />
Migration, die alle <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gebäude ansässig seien. Diese Zusammenarbeit<br />
und die kurzen Wege ermöglichen wahrsche<strong>in</strong>lich e<strong>in</strong>e umfassende<br />
Hilfestellung, wenn <strong>der</strong> jeweilige Ratsuchende dies wünscht.<br />
5.3.12 Sympathie für türkische <strong>Migranten</strong><br />
„Ich empf<strong>in</strong>de Sympathie für türkische <strong>Migranten</strong>, beson<strong>der</strong>s für die Frauen, die<br />
nach me<strong>in</strong>er Erfahrung oftmals die deutsche Gesellschaft und Kultur besser<br />
verstehen als ihre Ehemänner. […] Die große Bedeutung <strong>der</strong> Familie ist<br />
bemerkenswert.“ (Anhang, S. 237 Z. 360ff).<br />
Die nordrhe<strong>in</strong>westfälische Mehrthemenbefragung zeigt, dass Männer und<br />
Frauen türkischer Herkunft <strong>in</strong> den gesellschaftlichen Bereichen<br />
Nachbarschaft, Freundes- und Bekanntenkreis und Familie o<strong>der</strong><br />
Verwandtschaft <strong>in</strong> etwa gleiche Angaben zur eigenen Integration gemacht<br />
haben. Lediglich am Arbeitsplatz ist <strong>der</strong> Kontakt von Frauen ger<strong>in</strong>ger, was<br />
aber auch daran liegt, dass türkische Frauen e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Erwerbsquote<br />
haben (vgl. Sauer 2009, S. 136f).<br />
Der E<strong>in</strong>druck des Beraters könnte vielleicht dar<strong>in</strong> begründet se<strong>in</strong>, dass die<br />
türkischen Frauen e<strong>in</strong> größeres Vertrauen zu ihm gefasst haben und<br />
deswegen offener waren als ihre Ehemänner.<br />
Die wichtige Rolle <strong>der</strong> Familie im Leben türkischer <strong>Migranten</strong> wird hier noch<br />
e<strong>in</strong>mal herausgestellt. Dies untermauert die Annahme aus dem Kapitel<br />
„Private Schulden“, dass das familiäre Netzwerk für die türkischen<br />
Ratsuchenden beson<strong>der</strong>s wichtig ist und e<strong>in</strong> Bruch mit den Verwandten<br />
83
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
wegen f<strong>in</strong>anzieller Schwierigkeiten untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> wohl umso dramatischer<br />
wäre.<br />
5.3.13 Gescheiterte Selbstständigkeit<br />
Zu den Themen Selbstständigkeit türkischer <strong>Migranten</strong> und <strong>der</strong>en<br />
Erfahrungen mit dem Wirtschaftssystem äußert sich e<strong>in</strong> Berater. Nach<br />
se<strong>in</strong>er Auffassung ist die gescheiterte Selbstständigkeit e<strong>in</strong> vermehrt<br />
auftreten<strong>der</strong> Überschuldungsgrund bei türkischen Ratsuchenden.<br />
Insgesamt arbeiten <strong>der</strong>zeit 8% <strong>der</strong> erwerbstätigen türkischen <strong>Migranten</strong> <strong>in</strong><br />
Deutschland als Selbstständige (vgl. Sauer 2009, S. 83f).<br />
Generell lässt sich sagen, dass Türken oft dazu neigen e<strong>in</strong>e selbstständige<br />
Tätigkeit aufzunehmen und die Zahl <strong>der</strong> als Selbstständige arbeitenden<br />
weiter ansteigt (vgl. Hayen u.a. 2005, S. 188).<br />
Diese nehmen, im Vergleich zu den nicht selbstständig Tätigen,<br />
überproportional häufig Bankenkredite <strong>in</strong> Anspruch (ebd., S. 160).<br />
Somit dürfte <strong>der</strong> von dem Berater gewonnene E<strong>in</strong>druck richtig se<strong>in</strong>, da bei<br />
<strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzierung <strong>der</strong> Selbstständigkeit eher seltener das familiäre Netzwerk<br />
<strong>in</strong>volviert wird, son<strong>der</strong>n Banken e<strong>in</strong>e große Rolle spielen. Im Falle des<br />
Scheiterns wird also professionelle Unterstützung zur Regulierung <strong>der</strong><br />
Verb<strong>in</strong>dlichkeiten notwendig. Dies dürfte für e<strong>in</strong>ige türkische <strong>Migranten</strong><br />
dann e<strong>in</strong> Grund zur Kontaktaufnahme <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong> se<strong>in</strong>.<br />
Inwiefern die Verschuldung die erste Erfahrung mit dem Wirtschaftssystem<br />
ist, kann an Hand <strong>der</strong> Aussage des Beraters nicht näher überprüft werden.<br />
Aber es könnte e<strong>in</strong> Rückschluss dah<strong>in</strong>gehend gezogen werden, dass die<br />
meisten befragten Ratsuchenden nicht wussten, welche rechtlichen<br />
Konsequenzen auf Grund ihrer f<strong>in</strong>anziellen Notsituation auf sie zukommen<br />
werden. Die von <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong> durchgeführte Aufklärung darüber,<br />
könnte als Erfahrungen mit dem Wirtschaftssystem angesehen werden.<br />
84
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
5.3.14 Überschätzung <strong>der</strong> f<strong>in</strong>anziellen Leistungsfähigkeit<br />
E<strong>in</strong> Berater hat die Auffassung, türkische Klienten könnten ihre f<strong>in</strong>anzielle<br />
Belastbarkeit oft nicht realistisch e<strong>in</strong>schätzen.<br />
Außerdem würden, laut dem Befragten, häufig außergerichtliche<br />
Regulierungsmöglichkeiten <strong>in</strong> Betracht gezogen, die e<strong>in</strong><br />
Verbraucher<strong>in</strong>solvenzverfahren vermeiden sollen.<br />
Diese Aussage wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ratsuchendenbefragung bestätigt. In Kapitel 3.3<br />
beschreibt e<strong>in</strong>e Erzählperson, dass sie weitere Zahlungen geleistet hat,<br />
obwohl dadurch neue Schulden entstanden s<strong>in</strong>d, da das Girokonto immer<br />
weiter überzogen wurde.<br />
Das Insolvenzverfahren sche<strong>in</strong>t für e<strong>in</strong>ige türkische Ratsuchende nur <strong>in</strong><br />
Frage zu kommen, wenn alle an<strong>der</strong>en Möglichkeiten die For<strong>der</strong>ungen<br />
zurückzuzahlen, ausgeschöpft worden s<strong>in</strong>d.<br />
85
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
6. Zusammenführung <strong>der</strong> Ergebnisse und Beantwortung <strong>der</strong><br />
Forschungsfrage<br />
Die <strong>der</strong> Untersuchung zu Grunde liegende Forschungsfrage nach den<br />
beson<strong>der</strong>en Anfor<strong>der</strong>ungen, Wünschen und Bedürfnissen türkischer<br />
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong>, wird <strong>in</strong> diesem Kapitel beantwortet.<br />
Neben den Erkenntnissen <strong>der</strong> Forschung werden die daraus resultierenden<br />
Ideen und Vorschläge für die Praxis <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong> dargestellt.<br />
Ziel <strong>der</strong> vorliegenden Forschungsarbeit ist es die beson<strong>der</strong>en<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen, Wünsche und Bedürfnisse türkischer <strong>Migranten</strong> an die<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> herauszuarbeiten.<br />
Nach <strong>der</strong> Bearbeitung <strong>der</strong> Interviews mit türkischen Ratsuchenden <strong>der</strong><br />
<strong>Schuldnerberatung</strong>, wurde erkennbar, dass diese kaum Wünsche haben und<br />
mit <strong>der</strong> erlebten Beratung weitestgehend zufrieden s<strong>in</strong>d. Seitens <strong>der</strong><br />
Befragten gibt es ke<strong>in</strong> Anliegen die Beratung zu verän<strong>der</strong>n.<br />
Den E<strong>in</strong>satz von Dolmetschern f<strong>in</strong>den Interviewte s<strong>in</strong>nvoll, allerd<strong>in</strong>gs sehen<br />
sie für sich selbst ke<strong>in</strong>en Bedarf, da sie ihre eigenen Deutschkenntnisse für<br />
die Beratung als ausreichend ansehen.<br />
Term<strong>in</strong>e <strong>in</strong> kürzeren Zeitabständen wünschen sich manche Erzählpersonen,<br />
nennen hierfür aber ke<strong>in</strong>en Grund. Deswegen ist nicht ersichtlich, ob sich<br />
<strong>der</strong> Wunsch konkret auf das Handlungsfeld <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong> bezieht<br />
o<strong>der</strong> ob sie gerne e<strong>in</strong>en festen Ansprechpartner für alltägliche Belange<br />
hätten.<br />
Die Anfor<strong>der</strong>ungen und Bedürfnisse türkischer <strong>Migranten</strong> an die<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> erschließen sich <strong>in</strong>direkt aus <strong>der</strong><br />
Ratsuchendenbefragung, mehr Aufschluss darüber bietet aber die<br />
Beraterbefragung.<br />
Dazu stellen sich im Wesentlichen drei Themengebiete dar:<br />
� Sprachliche Barrieren – Dolmetscher<br />
� Offenheit – Intimität<br />
86
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
� Rechtlicher und gesellschaftlicher Umgang mit Schulden: Türkei –<br />
Deutschland<br />
Diese werden im Folgenden näher erläutert.<br />
6.1 Sprachliche Barrieren – Dolmetscher<br />
Bei <strong>der</strong> Betrachtung <strong>der</strong> beiden durchgeführten Befragungen, stellt man<br />
fest, dass die meisten Berater die Sprachkompetenz <strong>der</strong> türkischen<br />
<strong>Migranten</strong> oft als nicht ausreichend erachten. Die Ratsuchenden selbst<br />
gehen nicht weiter auf persönliche sprachliche Schwierigkeiten e<strong>in</strong>, geben<br />
aber teilweise an, dass sie e<strong>in</strong>en Dolmetscher für an<strong>der</strong>e hilfreich fänden<br />
o<strong>der</strong> selbst schon für Bekannte übersetzt haben.<br />
E<strong>in</strong> Grund für das Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>laufen <strong>der</strong> Ergebnisse dürfte se<strong>in</strong>, dass die<br />
Interviewpartner im Vorfeld von den Beratungsstellen selektiert worden<br />
s<strong>in</strong>d, da e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> zu erfüllenden Kriterien möglicher Interviewpartner gute<br />
Deutschkenntnisse war. Somit stellt die Kommunikation für die Befragten<br />
offenbar eher ke<strong>in</strong> H<strong>in</strong><strong>der</strong>nis <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung dar, dies gilt nach Aussage <strong>der</strong><br />
Berater aber nicht für alle türkische Ratsuchenden.<br />
Die Befragung nach <strong>der</strong> subjektiven Sprachkompetenz <strong>der</strong> neunten<br />
nordrhe<strong>in</strong>-westfälischen Mehrthemenbefragung hat ergeben, dass <strong>in</strong><br />
Deutschland ungefähr 50% <strong>der</strong> türkeistämmigen <strong>Migranten</strong> gut bis sehr gut<br />
deutsch verstehen und sprechen, knapp 35% schätzen diese Fähigkeiten<br />
selbst als mittelmäßig e<strong>in</strong>, etwa 14% als eher schlecht bis sehr schlecht<br />
(vgl. Sauer 2009, S. 76).<br />
Zum<strong>in</strong>dest für die Gruppe, die ihre Sprachkompetenz als eher schlecht bis<br />
sehr schlecht beurteilt, wäre e<strong>in</strong> Dolmetscher <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung notwendig,<br />
um die beratungsrelevanten Inhalte vermitteln zu können. Wegen <strong>der</strong> oft<br />
komplexen Sachverhalte, die die befragten Berater umschreiben, wäre dies<br />
vermutlich auch für die türkischen <strong>Migranten</strong> s<strong>in</strong>nvoll, die ihre Fähigkeiten<br />
deutsch zu verstehen und zu sprechen als mittelmäßig e<strong>in</strong>stufen. Somit<br />
ergibt sich bei ungefähr <strong>der</strong> Hälfte aller türkischer <strong>Migranten</strong> <strong>der</strong> Bedarf<br />
e<strong>in</strong>es Übersetzers <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong>.<br />
87
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Als Ergebnis <strong>der</strong> Beraterbefragung kann festgehalten werden, dass <strong>der</strong><br />
E<strong>in</strong>satz e<strong>in</strong>es neutralen Dolmetschers sich als s<strong>in</strong>nvoll und empfehlenswert<br />
herausgestellt hat, da e<strong>in</strong>ige Berater bereits positive Erfahrungen<br />
diesbezüglich gemacht haben. Hier bleibt allerd<strong>in</strong>gs die Frage offen, wer<br />
entscheidet (Ratsuchen<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Berater), ob e<strong>in</strong> Dolmetscher e<strong>in</strong>gesetzt<br />
wird o<strong>der</strong> nicht.<br />
Wenn die Me<strong>in</strong>ung des Ratsuchenden und des Beraters ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>laufen,<br />
weil die jeweils subjektive Wahrnehmung und Bewertung <strong>der</strong><br />
Beratungssituation unterschiedlich ist, muss e<strong>in</strong>e sensible<br />
E<strong>in</strong>zelfallentscheidung durch den Berater getroffen werden. Hierbei ist die<br />
Freiwilligkeit <strong>der</strong> Beratung zu beachten, wonach im Zweifel immer <strong>der</strong><br />
Ratsuchende über se<strong>in</strong>e Belange entscheidet. An<strong>der</strong>erseits muss <strong>der</strong> Berater<br />
für sich selbst festlegen, wann <strong>der</strong> Punkt gekommen ist, an dem er alles<br />
ihm Mögliche getan hat, um den Klienten fachlich richtig und umfassend zu<br />
beraten und er den weiteren Beratungsverlauf nach dessen Wunsch<br />
verantworten kann.<br />
Der E<strong>in</strong>satz e<strong>in</strong>es Dolmetschers <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung kann <strong>in</strong> diesem Fall<br />
kontrovers diskutiert werden: auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Seite ist es möglich, dass die<br />
Motivation selbst Deutsch zu lernen steigt, um künftig selbst <strong>in</strong> Gesprächen<br />
aktiv werden zu können. An<strong>der</strong>erseits ist denkbar, dass durch das Angebot<br />
e<strong>in</strong>es Übersetzers <strong>der</strong> Antrieb die deutsche Sprachkompetenz zu<br />
verbessern, gehemmt wird. Wenn es möglich ist die sprachlichen Defizite<br />
durch die Hilfe an<strong>der</strong>er zu kompensieren, existiert ke<strong>in</strong>e Notwendigkeit die<br />
deutschen Sprachkenntnisse auszubauen.<br />
Neben den Verständigungsschwierigkeiten im Beratungsgespräch geben<br />
e<strong>in</strong>ige Berater an, dass sie e<strong>in</strong>en großen Teil des Schriftverkehrs für ihre<br />
türkischen Klienten übernehmen.<br />
Ihre Kompetenz auf Deutsch zu schreiben, schätzen rund 47% <strong>der</strong><br />
türkischen <strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> Deutschland als gut bis sehr gut e<strong>in</strong>, 27% als<br />
88
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
mittelmäßig und etwa 26% als eher schlecht bis sehr schlecht (vgl. Sauer<br />
2009, S. 76).<br />
Für über die Hälfte <strong>der</strong> türkischen Ratsuchenden ist es demnach eher nicht<br />
möglich, schriftliche Verhandlungen mit dem Gläubiger selbstständig zu<br />
führen, da hierzu die, <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong> im Allgeme<strong>in</strong>en geläufige,<br />
formale Fachsprache und auch das Wissen um rechtliche Gegebenheiten<br />
notwendig s<strong>in</strong>d.<br />
Deswegen ist es nicht nur zweckmäßig, son<strong>der</strong>n fast unumgänglich, dass<br />
die Berater den Schriftverkehr mit den Gläubigern <strong>in</strong>tensiv unterstützen.<br />
Aus den dargestellten Erkenntnissen ergeben sich folgende Ideen für die<br />
schuldnerberaterische Praxis: Der Bedarf an Beratern o<strong>der</strong> ehrenamtlichen<br />
Mitarbeitern mit türkischen Sprachkenntnissen ist vorhanden, so dass im<br />
Bedarfsfall die Beratung auf Türkisch erfolgen kann.<br />
Informationsanschreiben, Anschreiben wegen Term<strong>in</strong>vere<strong>in</strong>barungen o<strong>der</strong><br />
ähnliches werden ebenfalls als s<strong>in</strong>nvoll erachtet, um e<strong>in</strong>en reibungslosen<br />
Beratungsablauf zu gewährleisten.<br />
6.2 Offenheit – Intimität<br />
Im Laufe <strong>der</strong> Beratungsbeziehung entwickelt sich <strong>in</strong> den meisten Fällen e<strong>in</strong>e<br />
Vertrauensbasis zwischen dem Berater und dem Ratsuchenden. Deren<br />
Ausprägung kann unterschiedlich se<strong>in</strong> und von den Beteiligten subjektiv<br />
an<strong>der</strong>s wahrgenommen werden.<br />
Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Beratung steht das gegenseitige Kennenlernen. Den meisten<br />
befragten Ratsuchenden ist es nicht schwer gefallen Vertrauen zu ihrem<br />
Berater zu fassen und dieses zu bewahren.<br />
Seitens <strong>der</strong> Berater fällt dies oft schwerer, da e<strong>in</strong>ige den Verdacht haben,<br />
dass ihnen etwas verschwiegen wird und sie daran zweifeln, dass <strong>der</strong> Klient<br />
alles Gesagte versteht.<br />
Vor allem die sprachliche Barriere sche<strong>in</strong>t den Beratungsablauf stark zu<br />
bee<strong>in</strong>flussen. Wegen <strong>der</strong> Befürchtung nicht richtig verstanden worden zu<br />
se<strong>in</strong>, haben manche Berater das Gefühl aufmerksamer se<strong>in</strong> zu müssen und<br />
89
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
empf<strong>in</strong>den die Beratung als anstrengend. E<strong>in</strong>ige Befragte haben angegeben,<br />
dass sie mehr erklären, sich klarer ausdrücken und den überwiegenden Teil<br />
des Schriftverkehrs übernehmen. Dies vermittelt dem Klienten den<br />
E<strong>in</strong>druck, dass <strong>der</strong> Berater sich sehr für ihn e<strong>in</strong>setzt und e<strong>in</strong>e große<br />
Unterstützung ist, was durch die Ratsuchendenbefragung im Kapitel 4.7<br />
(Berater) bestätigt wird.<br />
Die Dankbarkeit für die entgegengebrachte Hilfe durch den Berater und das<br />
bestätigte Vertrauen des Ratsuchenden <strong>in</strong> diesen drückt sich manchmal so<br />
aus, dass <strong>der</strong> Berater emotional e<strong>in</strong>em Familienmitglied gleichgestellt wird,<br />
was wie<strong>der</strong>um zu e<strong>in</strong>er größeren Offenheit des Ratsuchenden führt.<br />
Probleme, die im Grunde nichts mit <strong>Schuldnerberatung</strong> im eigentlichen<br />
S<strong>in</strong>ne zu tun haben, werden angesprochen und <strong>der</strong> Berater gibt diesen<br />
meist auch Raum.<br />
Das Zulassen weiterer Themen hat e<strong>in</strong>e unterschiedliche Wirkung auf die<br />
Berater: manche entscheiden sich für e<strong>in</strong>e weiterreichende Unterstützung,<br />
an<strong>der</strong>e fühlen sich erdrückt von den Wünschen <strong>der</strong> Ratsuchenden und legen<br />
Wert auf e<strong>in</strong>e klare Abgrenzung. Wichtig ist dabei e<strong>in</strong>en Weg zu f<strong>in</strong>den, <strong>der</strong><br />
für alle Beteiligten tragbar ist und die Beratungsbeziehung aufrecht erhalten<br />
wird, die die Basis für die künftige Zusammenarbeit bildet. Zudem sollte<br />
sich <strong>der</strong> Berater stets um professionelle 13 Distanz bemühen, damit er<br />
arbeitsfähig bleibt.<br />
Von den Beratern wird die Beratung türkischer <strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> den meisten<br />
Fällen als schwierig beschrieben. Konkret wird dies nur an den sprachlichen<br />
Barrieren. Weitere Gründe für Unsicherheiten o<strong>der</strong> Unwohlse<strong>in</strong> bleiben eher<br />
diffus. Diese Tatsache und die Aussagen, dass je<strong>der</strong> Klient gleich behandelt<br />
wird, die von allen Beratern geäußert wurde, führt zu dem Schluss, dass es<br />
vielleicht die kulturellen Unterschiede s<strong>in</strong>d, die zu den nicht e<strong>in</strong>deutig<br />
erklärbaren Problemen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung führen. An manchen Stellen gehen<br />
13 „Wird <strong>der</strong> Begriff „professionell“ im S<strong>in</strong>ne von „beruflich“ verwendet, können alle Aussagen, die e<strong>in</strong><br />
Berufstätiger zu se<strong>in</strong>er beruflichen Tätigkeit macht, als „professionell“ bezeichnet werden. Es geht also<br />
um die jeweilige Eigendef<strong>in</strong>itionen <strong>der</strong> Tätigen von Professionalität und damit um die jeweils eigenen<br />
Wertvorstellungen und Maßstäbe“ (Thomsen 2008, S. 48). „Professionelle Distanz“ wird demnach hier<br />
als berufliche Abgrenzung zum alltäglichen Umgang mit Menschen verstanden.<br />
90
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
die Berater <strong>in</strong> <strong>der</strong> Befragung darauf e<strong>in</strong>, dass kulturelle Unterschiede<br />
beachtet werden (welche das s<strong>in</strong>d, wird nicht erwähnt) o<strong>der</strong> sie sich nicht<br />
ganz sicher s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong>wiefern die türkische Kultur e<strong>in</strong>e Rolle <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung<br />
spielt.<br />
Deswegen sche<strong>in</strong>en schuldnerberaterspezifische Fortbildungen zum Thema<br />
<strong>in</strong>terkulturelle Kompetenz s<strong>in</strong>nvoll zu se<strong>in</strong>, um eventuelle Vorbehalte<br />
abzubauen und den Umgang türkischer <strong>Migranten</strong> mit den Themen Geld und<br />
Schulden besser kennenzulernen.<br />
Vielleicht ist es aber auch schon ausreichend, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung offen mit<br />
eventuell bestehenden Unterschieden umzugehen. Wenn sichtbar ist, dass<br />
e<strong>in</strong> türkischer Klient Schwierigkeiten hat, sich den rechtlichen<br />
Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> Deutschland, bezogen auf Geld und Schulden,<br />
anzupassen, sollte dies vom Berater angesprochen werden. So zeigt er zum<br />
e<strong>in</strong>en, dass er se<strong>in</strong> Gegenüber mit dessen Ängsten und Vorbehalten ernst<br />
nimmt und zum an<strong>der</strong>en kann er nur unter diesen Umständen zusammen<br />
mit dem Ratsuchenden e<strong>in</strong>e passende Lösung erarbeiten.<br />
6.3 Rechtlicher und gesellschaftlicher Umgang mit Schulden:<br />
Türkei – Deutschland<br />
Sowohl <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei als auch <strong>in</strong> Deutschland unterscheidet sich <strong>der</strong><br />
rechtliche und gesellschaftliche Umgang mit Schulden.<br />
Seit 1999 gibt es <strong>in</strong> Deutschland für überschuldete Privatpersonen die<br />
Möglichkeit e<strong>in</strong> Verbraucher<strong>in</strong>solvenzverfahren zu beantragen, nach dessen<br />
Laufzeit von sechs Jahren, unter E<strong>in</strong>haltung gewisser Pflichten durch den<br />
Schuldner, die Restschuldbefreiung erteilt wird (vgl. Müller 2003, S. 286).<br />
Dadurch wird überschuldeten Menschen die Perspektive gegeben, nach<br />
Beendigung des Verfahrens, wirtschaftlich e<strong>in</strong> neues Leben zu beg<strong>in</strong>nen<br />
(ebd., S. 286).<br />
Laut den befragten türkischen <strong>Migranten</strong> gibt es e<strong>in</strong>e solche Möglichkeit <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Türkei nicht. Entwe<strong>der</strong> man zahlt se<strong>in</strong>e Schulden o<strong>der</strong> muss mit ihnen<br />
leben. Wenn man se<strong>in</strong>en Verpflichtungen nicht nachkommen kann, hat <strong>der</strong><br />
91
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Gläubiger, beziehungsweise <strong>der</strong> Gerichtsvollzieher das Recht dem Schuldner<br />
alles zu nehmen was er besitzt, so die Interviewten 14 .<br />
Im Gegensatz dazu, gelten <strong>in</strong> Deutschland Pfändungsfreigrenzen 15 , die<br />
gewährleisten, dass dem Schuldner ausreichend Geld verbleibt, um se<strong>in</strong>e<br />
Existenz zu sichern. Auch Möbel o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er Hausrat dürfen nur nach den<br />
geltenden gesetzlichen Bestimmungen gepfändet werden. Gegenstände, die<br />
e<strong>in</strong>e bescheidene Lebens- und Haushaltsführung nicht übersteigen, müssen<br />
dem Schuldner verbleiben 16 .<br />
Diese Beispiele zeigen die grundlegenden Unterschiede zwischen<br />
Deutschland und <strong>der</strong> Türkei im rechtlichen Umgang mit Schulden. E<strong>in</strong>em<br />
türkischen Ratsuchenden, <strong>der</strong> sich mit den rechtlichen Gegebenheiten zum<br />
Thema Überschuldung <strong>in</strong> Deutschland nicht auskennt und aus Erzählungen<br />
o<strong>der</strong> eigenen Erfahrungen weiß, wie die Situation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei ist, werden<br />
die Möglichkeiten <strong>in</strong> Deutschland vermutlich befremdlich vorkommen.<br />
Deswegen ist es wichtig sensibel mit den möglichen Ängsten türkischer<br />
Ratsuchen<strong>der</strong> vor totaler Pfändung und Gefängnisstrafen umzugehen.<br />
Möglicherweise ersche<strong>in</strong>t die Perspektive durch e<strong>in</strong> Insolvenzverfahren<br />
entschuldet zu werden, als zu gut um wahr zu se<strong>in</strong>, was Zweifel an dem<br />
Verfahren hervorrufen könnte. Es ist also notwendig die Ratsuchenden<br />
umfassend über ihre Rechte und Pflichten als Schuldner aufzuklären.<br />
Für die Praxis <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong> ist an dieser Stelle noch e<strong>in</strong>mal<br />
beson<strong>der</strong>s hervorzuheben, dass türkische <strong>Migranten</strong> die Möglichkeiten<br />
<strong>Schuldnerberatung</strong> <strong>in</strong> Anspruch zu nehmen und trotz Überschuldung e<strong>in</strong>e<br />
Perspektive auf e<strong>in</strong> schuldenfreies Leben zu haben, aus ihrer Heimat (o<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Heimat ihrer Eltern) nicht kennen. Deswegen wäre e<strong>in</strong> offensives<br />
Bewerben <strong>der</strong> Angebote von <strong>Schuldnerberatung</strong>sstellen, die diese<br />
14 Die Recherche nach <strong>der</strong> Rechtsgrundlage zur Zwangsvollstreckung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei, hat zu ke<strong>in</strong>em<br />
Ergebnis geführt. Deswegen stützen sich die Angaben alle<strong>in</strong> auf die Aussagen <strong>der</strong> befragten türkischen<br />
Ratsuchenden.<br />
15 Vergleiche hierzu § 850c Zivilprozessordnung „Pfändungsgrenzen für Arbeitse<strong>in</strong>kommen“<br />
16 Vergleiche hierzu § 811 Zivilprozessordnung „Unpfändbare Sachen“<br />
92
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Klientengruppe erreicht, s<strong>in</strong>nvoll. So könnten beispielsweise Kooperationen<br />
mit türkischen Kulturvere<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>gegangen werden o<strong>der</strong> Anzeigen <strong>in</strong><br />
Zeitungen o<strong>der</strong> im Internet zweisprachig veröffentlicht werden. Außerdem<br />
wären Präventionsveranstaltungen, speziell für türkische <strong>Migranten</strong>, e<strong>in</strong>e<br />
gute Möglichkeit die Überschuldung betreffenden Unsicherheiten<br />
auszuräumen und über die wirklich existierenden Konsequenzen bei<br />
Überschuldung aufzuklären.<br />
93
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
7. Schlussbetrachtung<br />
Die Untersuchung <strong>der</strong> Wünsche, Bedürfnisse und Anfor<strong>der</strong>ungen türkischer<br />
<strong>Migranten</strong> an Hand von Ratsuchenden<strong>in</strong>terviews und <strong>der</strong> schriftlichen<br />
Befragung von Beratern hat ergeben, dass <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die Berater <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Konflikt zwischen dem Wunsch nach Gleichbehandlung und den<br />
auftretenden Schwierigkeiten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung stehen. Dementgegen s<strong>in</strong>d<br />
die Ratsuchenden zufrieden mit <strong>der</strong> Unterstützung und dankbar dafür.<br />
Das Ergebnis erweckt den E<strong>in</strong>druck es bestehe e<strong>in</strong>seitiger Handlungsbedarf.<br />
Durch mehr H<strong>in</strong>tergrundwissen, zum Beispiel durch <strong>in</strong>terkulturelle<br />
Fortbildungen, könnten die Berater <strong>in</strong> ihrer Arbeit gestärkt und die<br />
bestehenden Unsicherheiten reduziert werden.<br />
Die vorliegende Arbeit lässt aber unter an<strong>der</strong>em die Frage offen, welchen<br />
E<strong>in</strong>druck türkische Ratsuchende, <strong>der</strong>en sprachliche Kompetenzen nicht so<br />
hoch s<strong>in</strong>d wie die <strong>der</strong> Befragten, von <strong>der</strong> Beratung haben. In e<strong>in</strong>er<br />
weiterführenden Forschung könnten Ansätze zur Verän<strong>der</strong>ung gefunden<br />
werden. Hierzu wären Interviews auf Türkisch wahrsche<strong>in</strong>lich zweckmäßig.<br />
Somit kann diese Arbeit lediglich als e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> das bislang<br />
unbearbeitete Forschungsfeld gesehen werden. Die Begrenzung <strong>der</strong><br />
ausgewählten Orte, an denen Interviews durchgeführt wurden, war wegen<br />
<strong>der</strong> praktischen Umsetzung notwendig. In an<strong>der</strong>en Bundeslän<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />
Städten, <strong>in</strong> denen es Stadtteile gibt, die hauptsächlich von türkischen<br />
<strong>Migranten</strong> bewohnt werden, könnte das Resultat ganz an<strong>der</strong>s ausfallen.<br />
Zwar hat die Auswertung <strong>der</strong> erhobenen qualitativen Daten erste wertvolle<br />
Ergebnisse geliefert, diese könnten durch e<strong>in</strong>e quantitative Befragung, zum<br />
Beispiel mittels e<strong>in</strong>es deutsch-türkischen Fragebogens, überprüft und<br />
weitergeführt werden. E<strong>in</strong>e solche, gänzliche anonyme Umfrage, würde<br />
eventuell auch die Wünsche <strong>der</strong> türkischen Ratsuchenden ans Licht br<strong>in</strong>gen.<br />
Die eigenen Erfahrungen aus <strong>der</strong> Praxis hat <strong>der</strong> Autor, soweit es möglich<br />
war, nicht <strong>in</strong> die Arbeit e<strong>in</strong>fließen lassen, um e<strong>in</strong> größtmögliches Maß an<br />
Objektivität zu gewährleisten.<br />
94
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
Die Erwartung an den Ausgang <strong>der</strong> Forschung war zu Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e.<br />
Zu Beg<strong>in</strong>n ist davon ausgegangen worden, dass türkische <strong>Migranten</strong> ganz<br />
spezielle Wünsche an die Beratung haben, wie zum Beispiel e<strong>in</strong>e schnelle<br />
Entschuldung, die Löschung des SCHUFA-E<strong>in</strong>trags o<strong>der</strong> die Ausklammerung<br />
<strong>der</strong> privaten Schulden. Auf diese Themen gehen die Ratsuchenden selbst<br />
nicht e<strong>in</strong>, die Berater h<strong>in</strong>gegen schon. Demnach läuft die Wahrnehmung des<br />
Beratungsauftrages weit ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>.<br />
Es bleibt zu hoffen, dass die Ergebnisse für Schuldnerberater hilfreich s<strong>in</strong>d<br />
und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis Berücksichtigung f<strong>in</strong>den.<br />
95
<strong>Migranten</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schuldnerberatung</strong><br />
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