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Die September 2012 - Erste Westernreiter Union Deutschland e.V.

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WESTERNREITER – <strong>September</strong> <strong>2012</strong><br />

leserbriefe 27<br />

alles nichts geholfen, die Frage nach dem „Warum“<br />

hat mir nie jemand zufriedenstellend beantwortet<br />

– auch mein Glaube nicht.<br />

Dann kam der Morgen, an dem irgendetwas vorgefallen<br />

sein musste – er wollte sich nicht mehr vor<br />

oder zurück bewegen, und ich wusste sofort, dass<br />

dies nun der Tag X war. Er hatte tatsächlich noch<br />

einmal zwei Sommertage erlebt, die diesen Namen<br />

auch verdient hatten – und nun konnte ich ihm nur<br />

noch seinen geliebten Eimer mit Äpfeln geben, den<br />

er wie immer genüsslich fraß – in dieser Hinsicht<br />

war er ja auch noch kerngesund – und dann verstarb er innerhalb von wenigen Minuten. Meine Tierärztin versicherte mir, dass es ihr<br />

auch nicht leicht fallen würde, ihn einzuschläfern – und ich begriff erst einmal gar nicht, was da soeben geschehen war: Ein Leben mal<br />

eben so ausgeknipst. Ich deckte ihn mit einer Plane zu und verschwand zu den anderen Tieren auf der Weide, um die Wiese abzuäppeln<br />

– begleitet von dem Lärm der Silo fahrenden Trecker und zunehmendem Sturm.<br />

Ablenkung – ich ließ es nicht an mich heran, das Gefühl der Trauer und Ohnmacht – und sachlich bleiben:<br />

Ruf mal eben bei der Lebensversicherung an – die hatte ich vor 14 Jahren abgeschlossen, weil meine damalige Pferdeversicherung<br />

den Tod durch Vergiftung nicht beinhaltete und ich neben den Tieren auch einen hohen fi nanziellen Verlust hatte. „Das ist jetzt sicher<br />

nicht ganz passend, aber so, wie Sie das beschreiben, ist die Tötung des Tieres nicht abgedeckt“. So, jetzt kam der Anfall. Mir versagte<br />

fast die Stimme, als ich gleichzeitig schluchzend dieser unsensiblen Frau klar machen wollte, dass es sich um eine Nottötung handeln<br />

würde. „<strong>Die</strong> Leute nehmen ja immer die Billigvariante und wundern sich dann, wenn die Versicherung nicht zahlt!“ Ich wäre ihr am<br />

liebsten ins Gesicht gesprungen – das, was ich in der Vergangenheit an Beiträgen für die Lebensversicherung der Pferde gezahlt hatte,<br />

hatte mit billig nichts zu tun! Aber zum Diskutieren war ich nicht mehr in der Lage, und sie wollte es auch nicht – ich solle mal erst die<br />

Schadensmeldung ausfüllen; jawohl, ein Schaden.<br />

Wut – aus Wut kann man auch gut heulen, hinten auf der Wiese sieht es keiner und der<br />

Mistboy war gerade richtig, um was rauszulassen – über 3 Stunden verbrachte ich damit,<br />

den Mist einzusammeln – in dem Bewusstsein, dass es sich hier nur um eine Verlagerung<br />

handelt, denn es ging eigentlich um den Verlust „meines Babys“, so empfand ich<br />

es manchmal, weil ich bei seiner Geburt dabei war, und die Geldgeschichte ist auch eine<br />

prinzipielle Sache, weil ich mich da zum wiederholten Male von einer Versicherung über<br />

den Tisch gezogen fühle.<br />

Es kam unweigerlich der Abend, somit die Fütterungszeit der anderen Pferde und das erste<br />

Mal, wo ich gewohnte Rituale verändern musste. Er lag noch unter seiner Plane, der Abdecker<br />

hatte gesagt „morgen Vormittag“. Ich sprach mit meinen anderen Pferden, mit seiner<br />

Mutter, hoffte, dass sich alle irgendwie „von ihm verabschiedet“ hatten. Und dann?<br />

Ich verkroch mich auf dem Sofa und lenkte mich mit Fernsehfi lmen ab. Draußen bretterten<br />

die Silotrecker am Haus vorbei, der Sturm peitschte den Regen an die Fenster – das war wie im November, auf dem Kalender stand<br />

Juli, heißer Sommermonat. In dieser Nacht gab es keine Ruhe. <strong>Die</strong> Lohnunternehmer fahren, bis sie fertig sind – und dass da jemand<br />

aus Trauergründen mal zur Ruhe kommen will, wissen und interessiert sie auch nicht. Ich konnte nur mal gucken, ob der Sturm die<br />

Plane auch nicht weggeweht hatte – an Trauern neben dem Tierkörper war nicht zu denken. Nach einer kurzen Nacht stand ich wie<br />

gerädert auf, die anderen Pferde erwarteten ihr Futter, und es konnte ja sein, dass der Vormittag des Abdeckers um 8 Uhr begann und<br />

ich noch was quittieren musste, also musste ich in der Nähe sein, habe ja keine Erfahrung damit.<br />

Es war grausig: Jedes Fahrgeräusch scheuchte mich zur Straße – Trecker – aber kein Abdecker. Um 11.32 Uhr rief ich erneut dort an,<br />

diesmal antwortete eine schnippische Frauenstimme „die Anmeldung kam gestern um 12.18 Uhr“ ich sagte „das ist Psychoterror“ und<br />

sie „es kann auch 48 Stunden dauern, die Fahrer fahren heute bis 17 Uhr.“ Was erzählen die eigentlich, mir hatte es schon gereicht,<br />

dass vorbeifahrende Leute hierher glotzten – vom Moment der Nottötung an, diese Sensationsgeilheit ist doch das Letzte.<br />

Der Abdecker kam um 14.14 Uhr. Ich musste einen abgerissenen Ast aus dem Weg räumen und verkroch mich hinter Bäumen an der<br />

Straße, weil ich das Aufl aden nicht sehen wollte und am Wagen nicht mehr vorbeikam. Nein, ich musste nichts unterschreiben. Ich bekam<br />

einen Abholschein, da standen 480 kg drauf. Und dann war es vorbei, Plane weg, die letzten Pferdeäpfel von ihm eingesammelt,<br />

ab ins Bett, ich wollte nichts mehr sehen und hören.<br />

Nein, ich fühlte mich nicht erleichtert, wie erhofft. Jetzt drängten sich wieder die Schuldgefühle in den Vordergrund, aber was immer<br />

man selbst sich erklärt: Niemand sollte denken, dass er die Nottötung eines Tieres mal eben so wegstecken kann, wenn er diesem Tier<br />

gefühlsmäßig sehr verbunden war.<br />

Von Waltraud Giere

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