Thema AusländerMancher Journalist lässt sich zum Thema Ausländer von einigenDeutschen einen Bären aufbinden. „Im Bus muss man nur maloben sitzen und durch die Soldiner fahren, da kann man wassehen. Da kann man von oben in die verhängten Fenster vonSpielhöllen sehen und wie da dicke Geldrollen auf den Tischenliegen.“, erzählt da etwa ein Aufschneider einem Schreiberling vonder Berliner Zeitung. Das kann schon deshalb nicht stimmen, weilin der Soldiner Straße nur ein Gelenkbus verkehrt, aber keine Doppelstöcker.Auch die Legenden vom ausländischen Bandenkriegverraten meist mehr über die ausländerfeindliche Gesinnungdes Sprechers als über die Ausländer im Soldiner Kiez. Wenn imSoldiner Kiez die Wellen hoch schlagen und die Nachbarschaftaufhorcht, dann meist wegen einem Familienstreit. Allerdingswünschen auch die meisten Ausländer nicht, dass noch mehrNicht-Deutsche in das Viertel ziehen. Die meisten träumen wie dieDeutschen von einer gesunden Mischung der Nationen, Berufeund Altersgruppen. Doch damit tut sich eine Großstadt wie Berlinschwer, denn der Wohnungsmarkt überträgt die Ungleichheit derwirtschaftlichen Verhältnisse in den Raum. Also gibt es ärmereund reichere Viertel. Und da Ausländer meist arm sind, konzentrierensie sich in den armen Vierteln. Und der normale Mittelschichtsdeutscheund seine Medien assoziieren Armut immer noch mitSchmutz, Gewalt und Verbrechen, bis es die Einheimischen selberglauben. Vor allem der Hundekot ist beliebter Aufreger. Den gibtes nur in Prenzlauer Berg oder Kreuzberg genauso.Die „Kolonie-Boys“Am schlimmen Ruf des Soldiner Kiezes sind auch die „Kolonie-Boys“ mit Schuld. Das ist eine Jugendgang, die im letzten Jahrzehntvon sich Rede machte. Was man von ihnen hört, müssen sieunangenehme Burschen gewesen sein. Von Drogen und Gewaltist die Rede. Auch heute gibt es wieder eine Jugendgruppe, diesich nach den schlimmen Schlägern benennt. Als Spiegel-tv sieaber vorzuführen trachtete, konnten sie nicht verhindern, dasseinzelne ihrem Wunsch nach einer bürgerlichen Karriere Ausdruckgaben, weil sie aus dem Armenviertel raus wollten. Was sie nichtsagten, war, dass sie von einem Häuschen im Grünen träumen wieMillionen Deutsche auch. Drogen und Gewalt sind bei der Mehrzahlder Jugendlichen im Soldiner Kiez out. Die ehemals rebellischeJugend träumt von materiellem Konsum und bescheidenemWohlstand. Manchem sind sie eher zu brav. Selbst Drogenhandelfindet im Soldiner Kiez nur in kleinem Umfang statt. Der Polizei istdas bekannt und sie sagt, sie hätte die Szene unter Kontrolle.„Die Politiker haben doch eh keine Ahnungvon der Lage vor Ort.“Neben der Armut der Bewohner, die selbst auf die billigen Lädenund Dönerbuden abfärbt, die sich ständig im Preis unterbietenoder gebrauchten Ramsch verkaufen, ist das größte Problem dasschlechte Image des Kiezes. Das fängt damit an, dass viele Freundenicht in das verrufene Viertel kommen wollen. Ständig müssendie Soldiner in andere Viertel fahren, wenn sie ihre Freunde vonaußerhalb treffen wollen. Das ist aber nur eine Unbequemlichkeit.Ernster ist, dass der unberechtigt schlechte Ruf bereits dasUmzugsverhalten beeinflusst. Menschen aus der Mittelschichtbeginnen deswegen und wegen der schwierigen Lage der Schulewegzuziehen, und es kommen auch neu kaum Bessergestelltehinzu. Das Image, so die Feststellung der Forschergruppe, wird zueinem eigenständigen Faktor beim Auseinanderdividieren derSchichten im Raum. Durch die schlechte Propaganda, die Kiezewie der Soldiner haben, wird sowohl der Verelendung der rundums Stadtzentrum liegenden „Slums“ wie auch dem Ausweichender Wohlhabenderen in den Speckgürtel das Wort geredet.Deshalb waren manche auch enttäuscht, als sich im Herbst letztenJahres ausgerechnet der Bürgermeister von Mitte, Joachim Zeller(CDU), für diese Propaganda benutzen ließ. Aber die meistenwinkten schon damals ab. „Die Politiker haben doch eh keineAhnung von der Lage vor Ort.“Hinweis: Sämtliche Namen sind geändert.Thomas Kilian, AG Kiezforschung im Soldiner Kiez e.V.6
EinleitungSoldiner Kiez - Projektbeschreibung13 Studierende der Stadt- und Regionalplanung an der Technischen Universität Berlin führten Ende 2003/Anfang <strong>2004</strong>eine Studie mit Kindern aus dem „Soldiner Kiez“ durch, um herauszufinden, wie diese ihr Lebensumfeld wahrnehmenund welche Möglichkeiten der Beteiligung an Veränderungsprozessen im Kiez sinnvoll sein könnten. Über dasQuartiermanagement wurde Kontakt zum arabischen Elternverein, Künstlern der „Kolonie Wedding“ und demNachbarschaftshaus Prinzenallee aufgenommen, wo schließlich mit 25 Kindern ein Doppel-Workshop stattfand, überden die Studenten hier berichten.Partizipationsprojekt im Soldiner KiezKonzept und Umsetzung1.1 Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an unseremProjekt -Entwicklung einer Konzeption1.1.1 EinleitungEin wichtiges Ziel unseres Projektes ist die Zusammenarbeit mitden im Soldiner Kiez lebenden Menschen. Allerdings ist die Durchführungvon herkömmlichen Beteiligungsverfahren in einemGebiet wie dem Soldiner Kiez nicht unproblematisch, da der dasGebiet charakterisierende Mix von Kulturen und Sprachen zumEntstehen von Kommunikationsbarrieren zwischen Planerinnenund Bewohnerinnen führen kann. Auch wenn keiner der Beteiligteneinen Ausschluss bestimmter Bewohnergruppen intendiert,so ist dieser doch häufig das Ergebnis einer Form von Beteiligung,welche lediglich Mitbestimmungsrechte einräumt, ohne die Menschenausreichend auf die Inanspruchnahme solcher Möglichkeitenvorzubereiten.Unabhängig von der besonderen Problematik der Integration vonMigrantinnen in Planungsprozesse sind Kinder und Jugendlicheeine Gruppe, deren Beteiligung schwierig ist und auch heute nochhäufig vernachlässigt wird. Die Entscheidung unserer Gruppe, sichin Form einer Partizipationswerkstatt auf Kinder und Jugendlichemit Migrationshintergrund zu konzentrieren, hat aber nichtallein mit der Tatsache zu tun, dass die Interessen dieser Gruppeaufgrund des Zusammenfallens beider Benachteilungsmerkmaleganz besonders häufig unter den Tisch fallen. In unserer Bestandsaufnahmewurden Jugendliche als eine Gruppe identifiziert, fürdie attraktive Angebote ganz besonders fehlen. Daneben spieltenaber auch pragmatische Gründe bei der Festlegung der Zielgruppeeine Rolle: Aufgrund geringerer Sprachbarrieren und derEinbindung ausländischer Jugendlicher in Schulen und Einrichtungender Jugendpflege erschien es uns einfacher, Kinder undJugendliche mit Migrationshintergrund zu erreichen als derenEltern.1.1.2 „Reale Beteiligung“ vs. „fiktive Beteiligung“Die Idee, Kinder und Jugendliche in Planungsprozesse einzubinden,wurde zunächst in den Niederlanden praktiziert. Viele derdort entwickelten Instrumente und Methoden wurden späterauch in einigen deutschen Städten eingesetzt. Im Rahmen unserertheoretischen Vorbereitung auf den Workshop haben wir aucheinige Berichte über die hierbei gemachtenErfahrungen studiert. Allerdings stellte sich schnell die Frage,inwieweit sich die Erfahrungen dieser Workshops tatsächlich aufunser Projekt übertragen lassen. Dies hat vor allem mit einemzentralen Unterschied zwischen den von uns studierten Beteiligungsprojektenund unserem eigenen Projekt zu tun: Während essich bei diesen ausnahmslos um Vorbereitungen für tatsächlichgeplante gestalterische oder städtebauliche Maßnahmen handelt,ist unser Projekt zunächst einmal nicht mehr als eine fiktivestudentische Übung. Natürlich würden wir uns freuen, wenn vonden Verantwortlichen in der Stadtverwaltung einige der von unsentwickelten Ideen aufgegriffen würden - letzten Endes liegt diesjedoch jenseits unseres Einflussbereichs.Dieser Unterschied ist für die Durchführung eines Workshops vonzentraler Bedeutung: Im Gegensatz zu tatsächlichen Planungsprozessenkönnen wir für unser Projekt nicht in Anspruch nehmen,dass die Beteiligung der Bewohner zu einer Berücksichtigungihrer Interessen führen würde. Dies dennoch zu suggerieren, hießedie Beteiligten nicht ernst zu nehmen und würde bei den beteiligtenJugendlichen wohl nur die evtl. ohnehin vorhandene Skepsisgegenüber Bürgerbeteiligung und Politik („Am Ende kommt ehnichts bei raus“) stärken.Aus diesem Grunde war für uns schnell klar, dass wir gegenüberden zu beteiligenden Kindern und Jugendlichen auf keinen Fallder Eindruck erwecken wollen, dass das Einbringen ihrer Meinungzu realen Veränderungen im Kiez führen wird. Damit stellte sichdie Frage, wie wir die Jugendlichen zum Mitmachen bewegenkönnen würden ohne zu große Erwartungen zu erwecken.1.1.3 Konzeption unseres Partizipationsworkshops„Kids im Kiez“Unser Projekt hat aus dem in 1.2 skizzierten Dilemma vor allemden Schluss gezogen, dass der Workshop den zu beteiligenden JugendlichenSpaß bereiten muss. Wir haben gleichzeitig beschlossen,alles zu vermeiden, was bei den Jugendlichen den Eindruckerwecken könnte, dass die von ihnen geäußerten Meinungenbzw. die von uns entwickelten Konzeptionen irgendwelcheKonsequenzen für die Situation im Soldiner Kiez mit sich bringenkönnten. Hierdurch stellte sich jedoch zugleich die Frage, wieaus der Durchführung eines solchen lern- und spaßorientiertenWorkshops Erkenntnisse für unsere eigenen <strong>Arbeit</strong> gewonnenwerden können.Da wir selbst wenig Erfahrungen im Umgang mit Kindern und Jugendlichenhaben, haben wir uns von Anfang an bemüht, unsereIdeen mit Kooperationspartnern abzustimmen, die Erfahrungen inder <strong>Arbeit</strong> mit Kindern und Jugendlichen im Kiez haben. Die Nutzungvon vorhandenen Strukturen und Netzwerken war zugleichdie einzige realistische Möglichkeit, in kurzer Zeit eine größere Anzahlvon Kindern und Jugendlichen zum Mitmachen zu bewegen.Auch wenn die Ergebnisse unserer eigenen Bestandsaufnahmeeigentlich eine Konzentration auf ältere Jugendliche nahegelegthätten, hat uns unsere Abhängigkeit von existierenden Strukturenzu der pragmatischen Entscheidung geführt, uns auf Kinder im7