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Das Internat in der NS-Zeit - Internat Solling

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Dieser Rudolf Doerr also flog jetzt oft übers LSH. Und immer standen Schüler, die ihm w<strong>in</strong>kten.Und e<strong>in</strong>es Tages - wie<strong>der</strong>um unfassbar! - landete er tatsächlich im Land-schulheim. In <strong>der</strong> Nähedes heutigen Sportplatzes. Er wurde von den Schülern auf den Schultern <strong>in</strong>s Heim getragen. Diesewun<strong>der</strong>bare Geschichte endete wenige Tage später mit e<strong>in</strong>er Katastrophe. Rudolf Doerr stürzte mitse<strong>in</strong>er Masch<strong>in</strong>e bei Kassel tödlich ab.Warum erzähle ich diese Geschichte? Weil sie die LSH-Geme<strong>in</strong>schaft zeigt. Dieser Rudolf Doerr,sagte Lehmann <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Morgensprache nach Doerrs Absturz, habe den Mut <strong>der</strong> Jugend zum Fliegengezeigt und sei dem LSH <strong>in</strong> außergewöhnlicher Freund-schaft verbunden gewesen. E<strong>in</strong>er wieer habe LSH-Geist, gehöre zur LSH-Geme<strong>in</strong>schaft.Um diese Geme<strong>in</strong>schaft geht es hier <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em ersten Teil. Für Lehmann war sie Kern <strong>der</strong>LSH-Pädagogik von 1919 an. Zur Geme<strong>in</strong>schaft gehörten alle im LSH lebenden Menschen: Lehrer,Schüler, wirtschaftliche Mitarbeiter. Sie waren gewissermaßen durch e<strong>in</strong> <strong>in</strong>neres Band verbunden.Die Grundzüge ihres Lebensgefühls und ihrer Weltsicht stimmten übere<strong>in</strong>. <strong>Das</strong> hieß auch „LSH-Geist“.Damit setzte Lehmann den reformpädagogischen Weg fort, den Hermann Lietz schon vor 1900begonnen hatte – Ablehnung <strong>der</strong> <strong>in</strong>dustriell-großstädtischen Welt, Kampf gegen die Pauk- undDrillschule. Statt dessen Natur und Natürlichkeit. Wenn also jetzt zwischen Lehrern und Schülerne<strong>in</strong> Vertrauensband bestand, dann lernte man viel leichter. Mehr noch: Auf diese Weise wurdenicht nur <strong>der</strong> Kopf, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> ganze Mensch erzogen. Diese ganzheitliche Erziehung war nurmöglich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Heimge-me<strong>in</strong>schaft. Lehmann sprach gleich 1919 vom Landschulheim als vone<strong>in</strong>em „beseelten Organismus“; von e<strong>in</strong>em „dynamischen Ganzen“. Und <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelne, vor allemalso <strong>der</strong> Schüler, war e<strong>in</strong> organischer Teil dieses Ganzen. Durch se<strong>in</strong>e vielfältige Mitarbeit bewies erVerantwortung für die Geme<strong>in</strong>schaft. Die aber setzte die Maßstäbe.Denn Lehmann und das Landschulheim dachten vom Ganzen her, nicht vom E<strong>in</strong>zelnen. Wenn alsodie Rede ist von „Selbstverantwortlichkeit“ des Schülers, dann war damit immer se<strong>in</strong> aufrichtigesDenken und Handeln für die Geme<strong>in</strong>schaft geme<strong>in</strong>t. „Verantwortliche Mitarbeit <strong>der</strong> Jugend“ hießdas damals, und das war „LSH-Geist“. <strong>Das</strong> war nicht nur aktive Mitarbeit im Unterricht, war auchMithilfe z.B. bei Bauarbeiten, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Landwirtschaft, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pflege des Heimgeländes. O<strong>der</strong> Übernahmevon Magisterämtern: z.B. Fahrradamt, Telefondienst, Läuten, Reiseamt, Sternwarte, UhrenundRadiodienst, Schmiede-, Tischlerei-, Gärtnereigilde.Lehmann war erfüllt von <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaftserziehung. Er hat zusammen mit <strong>der</strong> Heimgeme<strong>in</strong>deviele Formen geschaffen, die den LSH-Geist zeigen und festigen sollten. <strong>Das</strong> waren dieJahres-Feste: <strong>Das</strong> Frühl<strong>in</strong>gsfest, Sommerlager, die Herbststafet-te. Dann die vielen Theater- undMusikaufführungen. Und neue Unterrichtsmethoden! Die späten 1920er Jahre waren e<strong>in</strong>e Blütezeitdes Landschulheims.E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Beispiel für diesen LSH-Geist gibt es heute noch: Ja, die Mittagsversammlung! Lehmannhat sie gleich 1919 erfunden. Der Kreis als Zeichen <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft, <strong>der</strong> Geschlossenheit,des Wir-Gefühls. Sichtbare Geme<strong>in</strong>schaft. Lehrer und Schüler standen bunt gemischt, Rangunterschiedegab es nicht. Heute ist das selbstverständlich, 1919 war es revolutionär für das Leben <strong>in</strong>e<strong>in</strong>er Schule.Es gibt heute neben <strong>der</strong> Mittagsversammlung noch e<strong>in</strong> weiteres Zeugnis für diese LSH-Geme<strong>in</strong>schaft:diese Hohe Halle! Zur E<strong>in</strong>weihung 1928 sagte Lehmann: „Diese Halle ist das Symbol unsererArbeit. Hier <strong>in</strong> dieser Halle s<strong>in</strong>d wir von Geme<strong>in</strong>schaft durchströmt.“ <strong>Das</strong> kann man nachvollziehen:Seht doch nur mal diese steil ansteigenden Sitzreihen. Sie br<strong>in</strong>gen die Heimgeme<strong>in</strong>de näherzusammen und näher an die Bühne heran. Je<strong>der</strong> kann jeden sehen. Diese Architektur spiegelt die<strong>in</strong>nere Verbundenheit. Und sorgt mit ihrer Höhe zugleich für Feierlichkeit.In den Morgen- und Abendsprachen feierte die versammelte Heimgeme<strong>in</strong>de sich selbst. Geme<strong>in</strong>schaftwar Kult! Dazu Musik von Bach, Beethoven und Bruckner. <strong>Das</strong> hatte damals den Charaktere<strong>in</strong>er Andacht. Sprechen war strikt verboten. Und das H<strong>in</strong>ausgehen streng geregelt. Ich habe das1964 noch voll erlebt. Dieser religiöse Grundzug gehörte mit zum Geme<strong>in</strong>schaftsgefühl. <strong>Das</strong> nannteLehmann auch „gläubigen Realismus“: Im Äußeren wird das Innere, wird die göttliche Ordnungerkennbar.Diese Hohe Halle war 1928 nun nicht nur <strong>der</strong> ersehnte Kult-Raum für den LSH-Geist. Sie war mehr:Sie sei auch, sagte Lehmann <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>weihungsrede, e<strong>in</strong> Zeichen für das erhoffte „Deutschland<strong>der</strong> Verantwortlichen“. Und weiter: „Wir glauben an dieses geheime, noch ungeborene Deutschland“,das die „Verheißung zum Reich <strong>in</strong> sich [trägt]“. Hier verb<strong>in</strong>det sich <strong>der</strong> religiöse Grundzugdes Landschulheims mit dem nationalen. Lehmann sprach, schon seit 1919, mit großer Hoffnungvon e<strong>in</strong>em neuen „Reich“, das die Entgöttlichung des gegenwärtigen Deutschlands aufheben solle.Klar war, dass dieses neue Deutschland ke<strong>in</strong>e Demokratie se<strong>in</strong> konnte. Denn zu e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaftpassten ke<strong>in</strong>e Parteien, die sich bekämpften, passten ke<strong>in</strong>e Gewerkschaften, die egoistischum Löhne feilschten, passten ke<strong>in</strong>e reichen Aktionäre, die sich nicht um die Armen kümmerten.<strong>Das</strong> LSH wollte e<strong>in</strong> Deutschland <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft. Und stand damit nicht alle<strong>in</strong>. Dieses antidemokratischeDenken war damals <strong>in</strong> Deutschland weit verbreitet. Als 1929 die große Wirtschaftskriseausbrach, besaßen die demokratischen Parteien <strong>der</strong> Weimarer Republik ke<strong>in</strong>e Kraft mehr. Dieradikalen Parteien wurden sprunghaft stärker. Bei den Reichstagswahlen 1932 verfünffachte die<strong>NS</strong>DAP ihre Sitze. Und wenig später, 1933, erhielt sie die Regierungsmacht.Teil 2: 1933 – 1943/45Als nun am 30. Januar 1933 Hitler an die Macht kam, da war für das LSH klar: <strong>Das</strong> ist <strong>der</strong> Staat,auf den wir gewartet haben. Denn dieser Staat wollte ja e<strong>in</strong>e „Volksgeme<strong>in</strong>schaft“ se<strong>in</strong>. Und dashieß: Die Demokratie wurde abgeschafft. Es gab nur noch e<strong>in</strong>e Partei, die <strong>NS</strong>DAP, und an <strong>der</strong> Spitzestand <strong>der</strong> Führer und Reichskanzler Adolf Hitler. Er versprach die nationale Versöhnung. <strong>Das</strong> geheimeDeutschland schien Wirklichkeit geworden.

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