nitiative "~rger - MBWSV NRW
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Wir bedanken uns bei den vielen Menschen, die sich<br />
für „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ und die Projekte engagieren.
I<strong>nitiative</strong> ergreifen –<br />
Kerstin Bohnsack, Joachim Boll, Anja Ganster<br />
Achim Dahlheimer, Rainer Klenner (Hrsg.)<br />
Bürger machen Stadt
Inhaltsverzeichnis<br />
Programmatik<br />
11<br />
15<br />
19<br />
23<br />
6<br />
Vorwort<br />
Das Landesprogramm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
Bürgerschaftliches Engagement in der Stadterneuerung<br />
Oliver Wittke, Minister für Bauen und Verkehr<br />
des Landes Nordrhein-Westfalen<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ und Soziale Stadt<br />
Karl Jasper, Ministerium für Bauen und Verkehr<br />
des Landes Nordrhein-Westfalen<br />
Regionale 2010 und „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
„Brückenschläge“ in der Region Köln/ Bonn<br />
Reimar Molitor, Regionale 2010 Köln<br />
Bürgerstiftungen – Nährboden für Projekte in<br />
einer Bürgergesellschaft<br />
Stefan Nährlich und Bernadette Hellmann,<br />
Aktive Bürgerschaft Berlin<br />
29<br />
35<br />
38<br />
42<br />
Projekte<br />
Projekte und Projekterfahrungen<br />
2004 bis 2008<br />
Kerstin Bohnsack und<br />
Joachim Boll<br />
Projekt 01<br />
Kulturspeicher Dörenthe<br />
Ibbenbüren<br />
Projekt 02<br />
Jacob Pins Forum<br />
Höxter<br />
Projekt 03<br />
Kulturschmiede<br />
Fröndenberg<br />
46<br />
50<br />
54<br />
58<br />
Projekt 04<br />
Alte Drahtzieherei<br />
Wipperfürth<br />
Projekt 05<br />
domicil<br />
Dortmund<br />
Projekt 06<br />
Stadtteilzentrum HELL-GA<br />
Düsseldorf Garath<br />
Projekt 07<br />
Fabrik Becker & Funck<br />
Düren Süd-Ost
62<br />
66<br />
70<br />
74<br />
Projekt 08<br />
StadtteilWerkstatt Canyon<br />
Köln Chorweiler<br />
Projekt 09<br />
Alte Feuerwache<br />
Duisburg-Hochfeld<br />
Projekt 10<br />
Initiativ-Haus Bavierpark<br />
Erkrath<br />
Projekt 11<br />
Kulturzentrum<br />
Bahnhof Werl<br />
76<br />
78<br />
Projekt 12<br />
Frauenkommunikationszentrum<br />
Bahnhof<br />
Herzogenrath<br />
Projekt 13<br />
SchulenBauenPartnerschaften<br />
Euregio Maas-Rhein<br />
Werkstattberichte<br />
83<br />
86<br />
90<br />
95<br />
102<br />
105<br />
110<br />
115<br />
121<br />
122<br />
Partnerschaft aus Bürgerstiftung, Volksbank<br />
und Kommune<br />
ein Gespräch mit Guido Forsting, Lothar Palubitzki,<br />
Harald Klinke und Jörg Richter über die<br />
Alte Drahtzieherei in Wipperfürth<br />
Planung, Engagement und Selbsthilfe<br />
ein Gespräch mit Jörg Karpowitz und Andreas<br />
Hanke<br />
Vom notwendigen langen Atem…<br />
Gespräche mit Willi Engels, Hanne Mick, Heinz<br />
Eschbach<br />
Vom Aufbau eines verlässlichen<br />
Wirtschaftsplans<br />
Joachim Boll in Zusammenarbeit mit Lutz<br />
Hempel, Markus Selders, Axel Sostmann<br />
16 Punkte zu Gemeinnützigkeit und Steuer<br />
bei „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-Projekten<br />
in Zusammenarbeit mit Klaus Grommes und<br />
Mark Patrick Probst<br />
Regeln und Besonderheiten beim Förderverfahren<br />
bei „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
Gaby Funck und Raimund Mirgeler<br />
Integration von Arbeitsmarktinstrumenten<br />
bei „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
Christoph Schilde<br />
Stiftungen und Bürgerstiftungen in <strong>NRW</strong> –<br />
Kooperationspartner für „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
Kerstin Bohnsack<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Impressum<br />
7
Vorwort der Herausgeber<br />
<strong>nitiative</strong> ergreifen“ gibt es als Programm-<br />
„Iangebot der Städtebauförderung des<br />
Landes Nordrhein-Westfalen seit nunmehr 12<br />
Jahren. Es verbindet Anliegen der Städtebauförderung<br />
mit dauerhaftem bürgerschaftlichem<br />
Engagement in unserem städtischen Gemeinwesen.<br />
Mit dem 2004 veröffentlichten<br />
Buch „Bürger machen Stadt – zivilgesellschaftliches<br />
Engagement in der Stadterneuerung“<br />
wurde eine erste programmatische Zwischenbilanz<br />
gezogen, die sich in der großen Bandbreite<br />
von Projekten und Akteuren widerspiegelt.<br />
Das wollen wir mit diesem Buch fortsetzen.<br />
Dazu haben wir Projekte, die seit 2004 in Betrieb<br />
gegangen sind, ausgewählt und im Mittelteil<br />
des Buches beschrieben. Konkrete Projekte<br />
machen letztendlich am besten klar, was hinter<br />
dem Programmansatz steht. In dem drit ten Teil<br />
des vorliegenden Buches haben wir ausführliche<br />
Werkstattberichte aus der Beratungs- und<br />
Qualifizierungspraxis, aber auch der Realisierung<br />
und dem Betrieb aufgenommen. Sie decken<br />
viele der Fragen ab, die immer wieder von<br />
Projekti<strong>nitiative</strong>n, Städten und Gemeinden, Architekten,<br />
Unternehmensberatern u.a. gestellt<br />
werden. Sie geben auch einen guten Einblick in<br />
das „Innenleben“ von Projekten in der Qualifizierungs-<br />
und Realisierungsphase.<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ setzt von Anfang an auf<br />
die „Humanressource bürgerschaftliches Engagement“<br />
zur Belebung unserer Städte und<br />
Regionen. Es ergänzt kommunales Handeln,<br />
bedeutet aber auch, dass sich Kommunen und<br />
Bürgergruppen auf gleicher Augenhöhe treffen<br />
und neue Formen von „öffentlich-privater Partnerschaft“<br />
erproben und praktizieren. Kooperationsfähigkeiten<br />
sind hierfür von zentraler Bedeutung.<br />
Gerade in den letzten Jahren sind<br />
auch die Synergien zwischen verschiedenen<br />
Förderzugängen und die Einbindung von „Dritt-<br />
mitteln“ in den Mittelpunkt gerückt. Die Verknüpfung<br />
von „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ mit der „Sozialen<br />
Stadt“ oder den „Regionalen“, aber auch<br />
mit den großen Stiftungen oder dem rasch<br />
wachsenden Feld der Bürgerstiftungen hat einen<br />
erheblichen Bedeutungszuwachs erfahren.<br />
Diesen Themen widmen sich die einleitenden<br />
Beiträge des ersten, aber auch einige Beiträge<br />
des dritten Teils.<br />
Wir möchten mit diesem Buch den erheblichen<br />
Einsatz und die Leistungen von Bürgern im<br />
Rah men von „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ für ihr städtisches<br />
Gemeinwesen würdigen. Insofern stehen<br />
die für das Buch ausgewählten Projektbeispiele<br />
für die seit 1996 in die Realisierung gegangenen<br />
insgesamt über 60 Projekte in ganz Nordrhein-Westfalen.<br />
Wir hoffen aber auch, dass das<br />
Buch viele Hinweise und Anregungen für die<br />
zukünftige Praxis von „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ gibt.<br />
Kerstin Bohnsack, Joachim Boll, Anja Ganster<br />
Achim Dahlheimer, Rainer Klenner<br />
Dortmund/Düsseldorf im September 2008<br />
linke Seite: aktiv für den Kulturspeicher<br />
Dörenthe in Ibbenbüren<br />
9
Das Landesprogramm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
Bürgerschaftliches Engagement in der Stadterneuerung<br />
von Oliver Wittke<br />
<strong>nitiative</strong> ergreifen“ ist ein ganz prakti-<br />
„Isches Programm:<br />
Der Verein „Haus am Müllestumpe – miteinander<br />
leben und gestalten“ baut die ehemalige<br />
Königin-Juliane-Schule für behinderte Kinder<br />
in Bonn zu einem Begegnungsort für Menschen<br />
mit und ohne Behinderung um und<br />
stellt so eine Infrastruktur sicher, die Familien<br />
mit behinderten Kindern unterstützt. Das<br />
Haus steht für Kunst- und Kulturveranstaltungen<br />
zur Verfügung, durch sein kleines Gastronomie-<br />
und Beherbergungsangebot soll es sich<br />
als Treffpunkt und Ausflugsort etablieren.<br />
Die Kirche des Dortmunder Ortsteils Deusen<br />
wird vom Verein „Wir lassen die Kirche im<br />
Dorf“ zu einem Begegnungs- und Stadtteilzentrum<br />
umgenutzt; sie wird Veranstaltungsort<br />
für Theater, Kultur und Vereine und ein Ort für<br />
die Jugendarbeit.<br />
Die Bürgerstiftung „Wir Wipperfürther“ setzt<br />
das direkt an der Wupper gelegene Fabrikgebäude<br />
der Alten Drahtzieherei instand, so dass<br />
es als Kultur- und Veranstaltungszentrum genutzt<br />
werden kann. Das ehemalige Industrieareal<br />
wird für die Allgemeinheit geöffnet und<br />
führt die Innenstadt an die Wupper heran.<br />
Der Verein „Bergbaudenkmal Grube Adolf“<br />
setzt die ehemalige Maschinenhalle und Teile<br />
der Waschkaue der Grube Adolf im Herzogenrather<br />
Stadtteil Merkstein instand, trägt zur<br />
Bewahrung und Präsentation der Fördermaschinenhalle<br />
und der historischen Fördermaschine<br />
bei und gibt Vereinen und den Merksteiner<br />
Bürgern einen außergewöhnlichen<br />
Veranstaltungsort, der zudem als außerschulischer<br />
Lernort für Bergbaugeschichte und für<br />
das Thema „Energie gestern – heute – morgen“<br />
genutzt wird. Ergänzend wird ein Besucherzentrum<br />
für den Haldenpark eingerichtet.<br />
Die Beispiele zeigen, was möglich ist, wenn sich<br />
Bürgerinnen und Bürger im sozialen, kulturellen,<br />
nachbarschaftlichen und städtebaulichen<br />
Bereich engagieren. Sie sind dem Projektaufruf<br />
des Landesprogramms „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ gefolgt<br />
und haben so ihre Ideen mit Unterstützung<br />
des Landes verwirklichen können. Das<br />
Programm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ will helfen, ungewöhnliche<br />
und anspruchsvolle Projekte in<br />
überschaubarer Zeit zu realisieren. Es dient der<br />
Verbesserung der Infrastruktur in Städten,<br />
Stadtteilen und Siedlungen. Das Land hilft mit<br />
seiner Förderung gesellschaftlichen I<strong>nitiative</strong>n,<br />
die für ihre Projekte eine wirtschaftlich tragfähige<br />
Perspektive entwickeln können.<br />
Die vorgestellten Beispiele (vier von bisher über<br />
sechzig realisierten Projekten) zeigen, dass die<br />
Chancen, lokal und regional zu handeln und<br />
zu gestalten, größer sind, als vielen Menschen<br />
bewusst ist. Trotz der häufig beklagten Orientierung<br />
an Investoreninteressen gibt es vielfältige<br />
orts- und regionsbezogene Handlungsspielräume.<br />
Sie aktiv aufgreifend zu nutzen,<br />
wird von immer mehr Bürgerinnen und Bürgern<br />
als lohnenswerte Aufgabe verstanden.<br />
In Zeiten, in denen die Leistungsfähigkeit des<br />
Staates an ihre Grenzen stößt, bedarf es der<br />
Ergänzung durch Eigenverantwortung und<br />
gemeinwohl orientierten I<strong>nitiative</strong>n. Deshalb<br />
wendet sich „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ an bürgerschaftliche<br />
Grup pen und lokale Partnerschaften,<br />
die Verantwortung übernehmen wollen<br />
für das städtische Gemeinwohl. „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
unterstützt die Verknüpfung von bürgerschaftlichem<br />
Engagement mit Anliegen der<br />
Stadterneuerung, der Stadt- und Stadtteilentwicklung<br />
und der Strukturpolitik. Und „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“ wendet sich an Kommunen, die<br />
neue Wege suchen in der Kooperation und Aufgabenteilung<br />
mit ihren Bürgern. „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
fördert somit eine neue partnerschaftliche<br />
Rollenverteilung zwischen Staat, Bürgern<br />
und Unternehmen.<br />
Das nordrhein-westfälische Landesprogramm<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ wurde 1996 zunächst im<br />
nördlichen Ruhrgebiet mit 20 Projekten der In-<br />
ternationalen Bauausstellung (IBA) Emscher<br />
Park gestartet. Ein Schwerpunkt lag dabei im<br />
Bereich soziokultureller Existenzgründungen,<br />
verbunden mit der Umnutzung industrie kulturell,<br />
städtebaulich und denkmalpfle ge risch<br />
bedeutender Gebäude. Ein zweiter Schwer -<br />
punkt waren Bewohner getragene Gemeinschaftsprojekte<br />
in Wohnsiedlungen: Gemeinschafts-<br />
und Nachbarschaftshäuser, Selbsthil-<br />
fewerkstätten und bauliche Selbstorganisation<br />
als Ausgangspunkt von Siedlungserneuerung<br />
bis hin zu Formen der Bewohner-Selbstverwaltung.<br />
Immer wurde gleichzeitig das Ziel verfolgt,<br />
ungewöhnliche Bürgerwerte zu fördern,<br />
Oliver Wittke ist Minister für Bauen und<br />
Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen.<br />
linke Seite: voll besetzter Veranstaltungssaal<br />
bei der Eröffnung der Kulturschmiede<br />
Fröndenberg am 19. Oktober 2007<br />
11
Das Landesprogramm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
12<br />
neue Arbeit zu schaffen und die Lebensqualität in<br />
Stadtteilen, Siedlungen und Wohnquartieren zu verbessern.<br />
Im Jahr 2001 ist „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ auf ganz Nordrhein-Westfalen<br />
ausgedehnt worden, wobei die vorgenannten<br />
Schwerpunkte mit neuen Ideen weiterentwickelt<br />
wurden. Das alle Projekte Verbindende ist,<br />
dass sie nicht von großen Institutionen entwickelt<br />
und vorangetrieben werden, sondern von Menschen,<br />
Gruppen und Vereinigungen aus der Gesellschaft, die<br />
ihr Engagement auf ein praktisches Projekt konzentrieren<br />
und ihre Anliegen selbst in die Hand nehmen<br />
wollen. Voraussetzung hierfür ist u.a., dass eigenständige<br />
Träger- und Organisationsformen entwickelt<br />
werden. Insofern war und ist „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ ein<br />
Experimentierfeld. Das ist auch nicht anders möglich,<br />
denn wer Antworten sucht auf die Herausforderungen<br />
städtischer Gesellschaft, muss auf der Suche<br />
nach einer Neupositionierung experimentieren und<br />
hierbei fachdisziplinäre Grenzen überschreiten:<br />
Nachhaltige Stadterneuerungspolitik ist ohne Gewerbebestands-,<br />
ohne Kultur- und ohne stadtteilbezogene<br />
Sozialpolitik nicht denkbar.<br />
Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, ja fast schon<br />
zwangsläufig, dass zahlreiche „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-<br />
Projekte in Gebieten des Programms „Soziale Stadt“<br />
liegen. Denn beide Programme zielen darauf ab, städtische<br />
Quartiere zu stärken. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor<br />
hierbei ist die aktive Einbringung vorhandener<br />
Organisationen, Vereine und I<strong>nitiative</strong>n in den stadtteilbezogenen<br />
Entwicklungsprozess. Diese Ideen und<br />
Interessen auf und ernst zu nehmen, ist ein allgemein<br />
geltendes Gebot für die Städte und das nicht<br />
nur in Bereichen der „Sozialen Stadt“.<br />
Wenn I<strong>nitiative</strong>n und Bürgergruppen Ansprüche an<br />
ihre Stadt formulieren, verdienen diese mindestens<br />
genauso positive Beachtung wie Wünsche von Projektentwicklern<br />
und Investoren. Investitionen von<br />
oben organisieren und durchsetzen zu wollen, wäre<br />
zum Scheitern verurteilt, wenn dies bei den Bürgern<br />
ohne Resonanz bliebe. Aber auch umgekehrt gilt: Bürgerschaftliches<br />
Engagement und I<strong>nitiative</strong>n von unten<br />
erschöpfen sich, wenn die Rahmenbedingungen<br />
nicht stimmen und die Impulse oben nicht ankommen.<br />
Deshalb bedeutet der nordrhein-westfälische<br />
Einsatz zur Förderung von bürgerschaftlichem Engagement<br />
in der Stadterneuerung nicht nur eine Stärkung<br />
der kommunalen Demokratie, sondern auch des<br />
Miteinanders in Stadt und Stadtquartier und damit<br />
in unserer Gesellschaft.<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ unterstützt deshalb insbesondere<br />
Projekte, die es jenseits des Üblichen und Gewöhnlichen<br />
schwer haben. Es ist ein Aufruf an die Phantasie<br />
und das Engagement der Bürgerschaft und will<br />
zivilgesellschaftliche I<strong>nitiative</strong>n fördern, die mit ihren<br />
Projekten einen öffentlichen Nutzen erbringen und<br />
so die lebensweltlichen, baulichen oder landschaftlichen<br />
Verhältnisse vor Ort verbessern. So fördert „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“ Projekte der Umnutzung denkmalgeschützter,<br />
industriekulturell und städtebaulich<br />
bedeutsamer Gebäude, aber auch neue Infrastruktur<br />
für nachbarschaftliches Zusammenleben, Bürgerhäuser<br />
und Kulturzentren. Oder allgemeiner ausgedrückt:<br />
„Die Investition in Steine verbunden mit der<br />
Investition in die Köpfe“.<br />
Auffallend häufig setzen sich I<strong>nitiative</strong>n für die Erhaltung<br />
des industriekulturellen Erbes ein. Das ist<br />
nicht verwunderlich, denn Nordrhein-Westfalen<br />
ist wie kaum eine andere Region in Europa von der<br />
Geschichte der Industrialisierung geprägt. Das gilt<br />
nicht nur für das Ruhrgebiet, sondern auch für das<br />
Bergische Land, das Siegerland sowie die früheren<br />
Hochburgen der Textilindustrie in Ostwestfalen, das<br />
westliche Münsterland, den Niederrhein und den<br />
Aachener Raum. Die Industriegeschichte hat hier<br />
zahlreiche Zeugnisse hinterlassen: Landesweit sind<br />
rund 3.500 industrie- oder technikgeschichtliche Gebäude<br />
oder Anlagen denkmalgeschützt. Die erhaltenen<br />
Zeugnisse der Industriegeschichte haben für die<br />
Bürgerinnen und Bürger in den jeweiligen Regionen<br />
einen zunehmend hohen ideellen Wert, den man<br />
durchaus mit der Bedeutung der Schlösser in anderen<br />
Regionen gleichsetzen kann. Bürgerschaftlich<br />
getragene I<strong>nitiative</strong>n setzen sich verstärkt für die Erhaltung<br />
des industriekulturellen Erbes, und nicht nur<br />
für die „kleinen“ Denkmäler aus der Zeit der Frühindus<br />
tria lisierung, ein. Auch ein Förderturm leistet seinen<br />
Beitrag zur örtlichen Identifikation. Nicht selten<br />
setzen sich ehemalige Beschäftigte für die Erhaltung<br />
„ihrer“ früheren Arbeitsstätten, beispielsweise alter<br />
Fabrik- und Zechenhallen ein. Das Programm „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“ unterstützt das bürgerschaftliche Engagement<br />
in diesen wie in anderen Bereichen.<br />
Bürgerinnen und Bürger sehen sich aufgerufen, an<br />
der Erhaltung des kulturellen Erbes mitzuwirken und<br />
dieses nicht nur der öffentlichen Hand zu überlassen.<br />
Mit den Projekten des Programms wurden auch neue<br />
Finanzierungswege gefunden, die den Kommunen,<br />
gerade in Zeiten knapper öffentlicher Kassen, wieder<br />
Gestaltungsspielräume geben. Sie werden mit bis zu
80 % der Investitionssumme durch das Land Nordrhein-Westfalen<br />
gefördert. Den verbleibenden Rest<br />
bringen Bürgerschaft und Kommune gemeinsam auf,<br />
auch in Form von Spenden und durch den Einsatz eigener,<br />
vor allem handwerklicher, vielfach auch planerischer<br />
Leistungen. Zur Finanzierung tragen in diesem<br />
Zusammenhang vielfach örtliche, regionale oder<br />
landesweite Stiftungen bei. Besonders zu erwähnen<br />
ist in diesem Zusammenhang die Nordrhein-Westfalen-Stiftung<br />
„Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege“,<br />
die bürgerschaftliches Engagement in gemeinnützigen<br />
Vereinen, Verbänden und ehrenamtlich<br />
arbeitenden Gruppen unterstützt. Seit Jahren gibt es<br />
eine intensive Zusammenarbeit mit und gemeinsame<br />
Finanzierung von „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-Projekten<br />
durch die <strong>NRW</strong>-Stiftung sowie das Land.<br />
Um unabhängig arbeiten zu können, setzen viele Bürgergruppen<br />
auf Trägermodelle außerhalb der öffentlichen<br />
Verwaltungen. Das schafft oft größere Spielräume,<br />
was wiederum zur Motivation beiträgt. Über<br />
neue Betriebs- und Managementkonzepte, die von<br />
Anfang an inhaltliches und wirtschaftliches Denken<br />
verknüpfen, können Mittel langfristig selbst erwirtschaftet<br />
werden.<br />
Potenzial für die Weiterentwicklung des Landesprogramms<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ liegt noch in einer engeren<br />
Partnerschaft zwischen Wirtschaft, Staat und<br />
Bürgerschaft. Im ländlichen und kleinstädtischen Bereich<br />
gelingt es zunehmend, Unternehmen zu ermutigen,<br />
sich für Projekte in Stadt und Region zu engagieren.<br />
Vorausschauende Unternehmen erkennen,<br />
dass sie ihren Beitrag zum sozialen Zusammenhalt<br />
und zur Verbesserung der Lebensbedingungen in<br />
Stadt und Region leisten können, indem sie den gesellschaftlichen<br />
Wandel zu mehr Eigeni<strong>nitiative</strong> und<br />
Mitverantwortung gestalten helfen. Sie erkennen<br />
auch, dass bürgerschaftliches Engagement von Unternehmen<br />
keinesfalls „soziale Schwärmerei“, sondern<br />
eine Investition in die Gesellschaft ist, die sich<br />
wiederum positiv auf den wirtschaftlichen Erfolg<br />
auswirkt. Unternehmen beteiligen sich daher konzeptionell<br />
an dauerhaft angelegten und strategisch<br />
ausgerichteten Lösungen für städtische Probleme. In<br />
einigen – von der Zahl her durchaus ausbaufähigen –<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-Projekten bringen sie nicht nur<br />
finanzielle Mittel ein, sondern wirken auch durch ihre<br />
unternehmerische Kreativität und durch ihre Kernkompetenz<br />
mit, indem sie ihre Infrastruktur oder<br />
Logistik zur Verfügung stellen. Die Unternehmen erkennen,<br />
dass sie ihr Ansehen bei Kunden und Geschäfts<br />
partnern verbessern, da sie durch gesellschaft-<br />
liches Engagement an Vertrauen und Glaubwürdigkeit<br />
hinzugewinnen. Das gilt vor allem für regional verwurzelte<br />
Unternehmen unterschiedlicher Größe, weil<br />
sie ihre Tradition und Erfahrungen mit gesellschaftlichem<br />
Engagement vor Ort verbinden können.<br />
Als ein besonders tragfähiges Modell für das erfolgreiche<br />
Zusammenwirken von Privatpersonen, mittelständischen<br />
Unternehmen, Handwerkern, Freiberuflern<br />
und vielen anderen haben sich Bürgerstiftungen<br />
erwiesen. Bürgerstiftungen stehen für Werte wie<br />
Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung.<br />
Mit dem Landesprogramm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ hat<br />
Nordrhein-Westfalen eine bundesweite Vorreiterrolle<br />
bei der Aktivierung und Förderung bürgerschaftlichen<br />
Engagements für Projekte in der Stadtentwicklung,<br />
die das städtische Leben bereichern und von öffentlichem<br />
Nutzen sind: Von den Bürgern für die<br />
Bürger. Das <strong>NRW</strong>-Förderprogramm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
ist Vorbild eines Themenschwerpunktes im Rahmen<br />
der „I<strong>nitiative</strong> zur Nationalen Stadtentwicklungspolitik“<br />
der Bundesregierung. Dort heißt es:<br />
„Eine entscheidende Voraussetzung für eine gerechte,<br />
sozial integrierende Stadtgesellschaft ist, dass sich<br />
Bürgerinnen und Bürger mit ihren Städten identifizieren<br />
können. Ohne bürgerschaftliches Engagement<br />
und private I<strong>nitiative</strong>n laufen öffentliche Projekte<br />
und Maßnahmen der Stadtentwicklung oft genug<br />
leer: nationale Stadtentwicklungspolitik muss zuhören,<br />
wo Engagement für Städte stattfindet und wendet<br />
sich deswegen direkt an zivilgesellschaftliche<br />
Gruppen. Sie stärkt gezielt ziviles Engagement für die<br />
Stadt und das Städtische. Sie unterstützt Programme<br />
und Projekte, die zeigen, dass Engagement für und in<br />
der Stadt modern und zukunftsweisend ist.“<br />
Ein erstes Projekt dieses Themenschwerpunktes ist<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen – Impulse für zivilgesellschaftliches<br />
Engagement in Nachbarschaft, Stadt und Region“.<br />
Anhand von konkreten Projekten in Sachsen-<br />
Anhalt und Brandenburg sollen Instrumente und<br />
Erfahrungen eines professionellen Coachings zur Initiierung<br />
und Unterstützung bürgerschaftlich-zivilgesellschaftlicher<br />
I<strong>nitiative</strong>n erprobt werden. Dabei<br />
werden in allen Phasen Erfahrungen genutzt, die mit<br />
dem <strong>NRW</strong>-Förderprogramm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ gemacht<br />
wurden. Die Verantwortung, die sich aus dieser<br />
Vorreiterrolle Nordrhein-Westfalens ergibt, übernehmen<br />
wir gerne.<br />
Das Landesprogramm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
13
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ und Soziale Stadt<br />
von Karl Jasper<br />
Wer die Entwicklungen von „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
und des Programms „Soziale<br />
Stadt“ betrachtet, stellt fest, dass beide I<strong>nitiative</strong>n<br />
darauf zielen, städtische Quartiere zu stärken.<br />
Dazu soll vorhandenes Engagement in den<br />
Quartieren von Seiten des Landes unterstützt<br />
werden, damit die Kommunen durch sich<br />
selbst tragende Strukturen im Stadtteil entlastet<br />
werden.<br />
Seit 1993 besteht in Nordrhein-Westfalen das<br />
ressortübergreifende Handlungsprogramm für<br />
„Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“<br />
– „Soziale Stadt <strong>NRW</strong>“. Dieses Programm<br />
wurde für Stadtteile entwickelt, in denen die<br />
wirtschaftliche und die soziale, städtebauliche,<br />
infrastrukturelle oder die ökologische Situation<br />
besonders angespannt ist. Dabei handelt es<br />
sich oft um Quartiere, die durch den Abbau der<br />
Montanindustrien gekennzeichnet sind und in<br />
denen sich private Investoren gar nicht oder<br />
nur selten engagieren. Ursachen für die Stagnation<br />
sind sehr schlechte, hoch verdichtete<br />
Bausubstanz, fehlende Grün- und Freiflächen,<br />
Immissionsbelastungen, Gewerbebrachen mit<br />
Altlasten, Beeinträchtigungen durch Verkehrstrassen<br />
und Lärm, Mangel an Gemeinschaftseinrichtungen,<br />
Planungsunsicherheit und insgesamt<br />
fehlende Zukunftsperspektiven.<br />
Weitere Merkmale der Problemlage in diesen<br />
Stadtteilen sind die überdurchschnittlich<br />
hohen Anteile an sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen<br />
(Arbeitslose, Obdachlose, Sozialhilfeempfänger),<br />
hohe Anteile an ausländischen<br />
Bewohnerinnen und Bewohnern, an<br />
Kindern und Jugendlichen, geringe Haushaltseinkommen,<br />
niedrige Frauenerwerbstätigkeit<br />
und ein niedriges Bildungs- und Qualifikationsniveau.<br />
Ziel des Programms „Soziale Stadt“ der Landesregierung<br />
ist die Stabilisierung und Aufwertung<br />
dieser schwierigen Stadtteile, um soziale<br />
Brüche in unseren Städten zu verhindern oder<br />
zumindest abzumildern. Dazu werden sowohl<br />
auf der Ebene der Landesregierung als auch<br />
der Kommunen Ressourcen und verschiedene<br />
Förderprogramme in einem integrierten Ansatz<br />
im Sinne eines modernen Verwaltungsmanagements<br />
gebündelt. Auf diese Weise soll vor<br />
Ort die Lebenssituation der in den Stadtteilen<br />
wohnenden Menschen verbessert werden. Zu<br />
diesem Zweck werden Maßnahmen der Stadterneuerung<br />
mit Maßnahmen der Qualifizierung<br />
und Beschäftigung kombiniert sowie<br />
Maßnahmen des Wohnungsbaus, der Wirtschaftsförderung,<br />
der Weiterbildung, der Gesundheitsförderung<br />
und der Kinder- und Jugendpolitik<br />
gezielt in den Erneuerungsprozess<br />
vor Ort integriert.<br />
Die Kernmerkmale des Handlungsprogramms<br />
„Soziale Stadt <strong>NRW</strong>“ sind:<br />
• ein ressortübergreifendes Handeln auf allen<br />
Ebenen,<br />
• die Prioritätensetzung für alle betroffenen<br />
Aufgaben- und Förderbereiche,<br />
• der konzentrierte und zielgenaue Einsatz von<br />
Fördermitteln, um integrierte Handlungsansätze<br />
zu realisieren,<br />
• die umfassende Beteiligung der Bewohnerinnen<br />
und Bewohner sowie aller Akteure in den<br />
Stadtteilen und<br />
• die Unterstützung bürgerschaftlicher Aktivitäten<br />
mit Hilfe von Verfügungsfonds, die wir<br />
in Nordrhein-Westfalen mit den Pauschalmitteln<br />
der Stadterneuerung ermöglichen.<br />
Das Programm hat zunächst die Rahmenbedingungen<br />
geschaffen. Dazu zählen vor allem<br />
drei Dinge. Die Moderation, d. h. die Vermittlung<br />
durch die Stadtteilbüros, spielt eine wesentliche<br />
Rolle. Es ist zentral, dass das, was sich<br />
vor Ort entwickelt, auch weiter transportiert<br />
werden kann und auf entsprechende Hilfsmöglichkeiten<br />
hingewiesen wird. Dazu zählt als<br />
zweite Rahmenbedingung die Bereitstellung<br />
eines Verfügungsfonds. Das sind Pauschalmittel,<br />
um bewohnergetragene Projekte zu entwickeln.<br />
Die dritte Bedingung ist die Schaffung<br />
von Experimentierräumen, die im Rahmen der<br />
staatlichen Förderung ermöglicht werden. Innovation<br />
findet nur dort statt, wo diese Experimentierräume<br />
bestehen. Die Richtlinien geben<br />
meistens den Stand des bisher Bekannten wieder,<br />
aber wenn man etwas Neues erreichen<br />
will, dann muss man auch für neue Wege offen<br />
sein.<br />
1996 startete die Internationale Bauausstellung<br />
Emscher Park einen Projektaufruf unter<br />
dem Namen „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“. Darin hieß<br />
es:<br />
„I<strong>nitiative</strong>n und private Trägerschaften im sozialen<br />
Bereich, in der Beschäftigung und Qualifi<br />
Karl Jasper ist im Ministerium für Bauen<br />
und Verkehr (MBV) des Landes Nordrhein-<br />
Westfalen als stellvertretender Leiter<br />
der Abteilung Stadtentwicklung unter<br />
anderem zuständig für das Programm<br />
„Soziale Stadt“. Mitte der 90er Jahre war<br />
er maßgeblich beteiligt am Aufbau des<br />
Impulsprogramms „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ bei<br />
der Internationalen Bauausstellung (IBA)<br />
Emscher-Park.<br />
linke Seite: kulturelles Gründerzentrum<br />
Fabrik Huppertsberg in Wuppertal Ostersbaum<br />
während der Bauphase<br />
15
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ und Soziale Stadt<br />
16<br />
zierung von Arbeitslosen, in der Integration von<br />
Ausländern, in Kunst und Kultur, für Bewegung,<br />
Sport und Freizeit, in der eigenverantworteten<br />
Gesundheitsvorsorge und der Ökologie gibt es<br />
im Lande in großer Zahl. Sie sind als Ausdruck<br />
bürgerschaftlichen Engagements von hohem<br />
gesellschaftlichen Nutzen.<br />
Im Rahmen der IBA Emscher Park soll es heißen<br />
„Mehr davon“. Denn diese Projekte sind auch<br />
Impulsgeber für strukturellen Wandel im Ruhrgebiet,<br />
Keimzellen für Innovation und Ausdruck<br />
praktischen Handelns. Daher sollen Projekti<strong>nitiative</strong>n<br />
in den benannten Feldern gezielt angeregt<br />
und unterstützt werden.<br />
Die zentralen Entscheidungskriterien sind:<br />
• Klarheit und Konzeption<br />
• überzeugende Organisation und Trägerstruktur<br />
• wirtschaftliche Tragfähigkeit und Perspektive<br />
• lokale Orientierung und Einbindung der Projekte<br />
• Einbeziehung von ehrenamtlicher und professioneller<br />
Kompetenz in einer ausgewogenen<br />
Mischung<br />
• integrierter Projektansatz mit positiven Auswirkungen<br />
auf die sozialen, kulturellen und<br />
ökologischen Aspekte der Stadt(teil)entwicklung.“<br />
Das beispielhafte Vorlaufprojekt der IBA Emscher<br />
Park war und ist das Depot in der Dortmunder<br />
Nordstadt. Die denkmalgeschützten<br />
ehemaligen Straßenbahnhauptwerkstätten<br />
wurden in ein Zentrum für Handwerk, Kunst,<br />
Medien und Nachbarschaft umgenutzt; Projektentwicklung,<br />
Umbau und Betrieb erfolgte<br />
durch den Depot e. V. als Zusammenschluss<br />
der Nutzer. Handwerksbetriebe, freischaffende<br />
Künstler vom freien Theater bis zur Glaskünstlerin,<br />
Architekturbüro, Nachbarschaftswerkstatt<br />
und Büros im Dienstleistungsbereich sowie<br />
ein Gastronomiebetrieb sorgen für eine<br />
vitale Vielfalt. In Kooperation mit den Dortmunder<br />
Stadtwerken hat der Verein Depot e.V.<br />
in Selbsthilfe und mit seinem finanziellen Eigenanteil<br />
ca. 50 Arbeitsplätze im Stadtteil geschaffen.<br />
Zeitlich parallel zum Programm „Soziale Stadt“<br />
<strong>NRW</strong>“ ist von der europäischen Kommission<br />
die Gemeinschaftsi<strong>nitiative</strong> URBAN aufgelegt<br />
worden, von der in Nordrhein-Westfalen der<br />
Stadtteil Duisburg-Marxloh profitiert hat. Aus<br />
den Erfahrungen eines integrativen und partizipativen<br />
Ansatzes, den das Programm URBAN<br />
verfolgt hat, hat die Europäische Kommission<br />
für die Förderphase 2000 - 2006 erstmalig in<br />
den Mainstream der EFRE-Förderung die Unterstützung<br />
städtischer Problemgebiete aufgenommen.<br />
Auf Grund der ersten Erfahrungen<br />
im Rahmen der IBA Emscher Park war es folgerichtig,<br />
das sogenannte „Empowerment“ von<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ in die Förderung städtischer<br />
Problemgebiete zu überführen. So ist der<br />
Projektaufruf Ruhr entstanden, der im Kern beinhaltet:<br />
„Im Rahmen des Projektaufrufs sollen Projekti<strong>nitiative</strong>n<br />
und Projekte unterstützt werden, die<br />
• lokale I<strong>nitiative</strong> und Selbsthilfe fördern<br />
• Arbeitsplätze und Beschäftigung auf lokaler<br />
Ebene schaffen oder sichern<br />
• Qualifizierungsdefizite abbauen<br />
• soziale und Bildungsinfrastruktur, die Umweltsituation<br />
und das städtische Umfeld verbessern<br />
• einen unmittelbaren Nutzen bringen für<br />
Nach barschaft, Stadtteil, Siedlung oder Quartier<br />
• Armut bekämpfen<br />
• Integration von Migrantinnen und Migranten<br />
fördern<br />
• Unternehmen in die Entwicklung und Erneuerung<br />
der Stadtteile einbeziehen<br />
• partnerschaftliche Beziehungen zwischen<br />
Kommunen, Unternehmen, Bildungseinrichtungen<br />
und Stadtteili<strong>nitiative</strong>n auf lokaler<br />
Ebene aufbauen.<br />
Dabei kommt es vor allem darauf an, Beiträge<br />
für die Herausbildung oder Stärkung besonderer<br />
Stadtteilprofile zu leisten und Experimentierräume<br />
zu nutzen.<br />
Projekti<strong>nitiative</strong>n setzen zunächst durchaus an<br />
Eigeninteressen an. Im Projektaufruf sollen sie<br />
darüber hinaus einen „Überschussnutzen“ produzieren<br />
für die umgebende Nachbarschaft,<br />
den Stadtteil, die Siedlung, das Quartier. Dieser<br />
Nutzen kann im Bereich von Infrastruktur,<br />
Stadterneuerung, Stadtteil und Freiraumentwicklung,<br />
Stadtkultur u. v. m. liegen oder in der<br />
Nutzung, Aneignung und Pflege von öffentlich<br />
bedeutsamen Orten und Räumen. Projekte kön
nen von Bürgeri<strong>nitiative</strong>n angestiftet werden,<br />
die sich nicht nur gegen etwas einsetzen, sondern<br />
Verantwortung übernehmen und mit gestalten<br />
wollen.<br />
Die Förderung bezieht sich im Kern auf die<br />
räum liche Kulisse des Ziel 2Gebiets und die<br />
Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf<br />
im Ruhrgebiet. Förderanträge stellen die Projektträger<br />
möglichst in Abstimmung mit den<br />
Stadtteilbüros in den „Stadtteilen mit besonderem<br />
Erneuerungsbedarf“ bzw. den Kommunen.“<br />
Nach mehr als zehnjähriger Erfahrung mit beiden<br />
Programmi<strong>nitiative</strong>n wurde im Rahmen<br />
einer Tagung der Stadt Gelsenkirchen, dem<br />
Städ tenetz „Soziale Stadt <strong>NRW</strong>“ und dem Ministerium<br />
für Bauen und Verkehr im Jahr 2006<br />
unter dem Motto „Kontinuität in der Sozialen<br />
Stadt“ eines deutlich: Erfolgreich kann das Programm<br />
in den Stadtteilen dann sein, wenn es<br />
gelingt, die vorhandenen Organisationen, Vereine,<br />
I<strong>nitiative</strong>n in den Entwicklungsprozess<br />
aktiv einzubinden. Vielleicht liegt die „hohe<br />
Kunst“ eines Stadtteilmanagements zunächst<br />
darin, den Bestand an vorhandenen Interessen<br />
im Stadtteil auf und ernst zu nehmen und Angebote<br />
zu formulieren, damit sich diese Interessen<br />
positiv auf das Stadtteilleben auswirken<br />
können. Dazu gehört auch, das Programm „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“ in die Stadtteilarbeit zu integrieren.<br />
Der „Stadtteilbezug“ war und ist<br />
Ausgangspunkt für das staatliche finanzielle<br />
Engagement bei dem „Pilotprojekt Depot“ in<br />
der Dortmunder Nordstadt und bei den Projekten<br />
„Fabrik Heeder“ in Krefeld, „Ledigenheim“<br />
in Dinslaken, „Starterprojekt“ in Ahlen, „Huppertsberg-Fabrik“<br />
in Wuppertal, „Fabrik Becker<br />
& Funck“ in Düren oder der „Kaiser-Wilhelm-<br />
Straße“ in Duisburg. Als bemerkens- und nachahmenswert<br />
kann die Regelung in Wuppertal<br />
gelten, zu der die Mieter der Huppertsberg-Fabrik<br />
(junge Existenzgründer) sich für „ihren“<br />
Stadtteil Ostersbaum verpflichten:<br />
„Gemäß der Satzung des Vermieters startpunkt<br />
e. V. und der Verpflichtungen des Vermieters gegenüber<br />
dem Land <strong>NRW</strong> besteht ein Schwerpunkt<br />
in der Arbeit des startpunkt e. V. in der<br />
stadtteilnahen Durchführung von Projekten zur<br />
Entwicklung „neuen Lernens und neuer Arbeit“.<br />
Diese Projektverpflichtung kann nur durch eine<br />
gemeinsame Begleitung aller Fachkräfte in der<br />
Huppertsbergfabrik realisiert werden. Jeder<br />
Mieter verpflichtet sich daher mit 100 Stunden<br />
pro Jahr, dem Verein für dessen Aufgaben qualifiziertes<br />
Fachpersonal und Technik (aus seinem<br />
regulären Arbeitsbereich oder aus den in den<br />
jeweiligen Satzungen festgelegten Zielen eingesetztes<br />
Equipment) kostenlos zur Verfügung zu<br />
stellen. Der Verein verfügt somit über ein Stundenkontingent<br />
von ca. 1.500 Stunden Experten<br />
Knowhow pro Jahr. Dieses Stundenkontingent<br />
steht dem Verein für Qualifizierungsangebote<br />
(Seminare, Workshops etc.) vorwiegend aber für<br />
Projektbegleitungen Dritter zur Verfügung. Die<br />
Geschäftsleitung koordiniert je nach Projektanfragen<br />
die dafür von Vereinsseite bereitgestellten<br />
Expertenteams und deren Equipment.<br />
Vorstellbar sind Wochenendprojekte, Abendprojekte<br />
etc.“<br />
In gleicher Weise zu würdigen sind die Verantwortungsbereitschaft<br />
der Ahlener Mittelstands<br />
i<strong>nitiative</strong> MiA und der Händler und Gewerbetreibenden<br />
in Duisburg-Marxloh. Auch<br />
wenn die staatliche Unterstützung einen Teil<br />
des finanziellen Risikos auffängt, ist es doch die<br />
persönliche Leistung der Menschen in diesen<br />
I<strong>nitiative</strong>n, durch die die Projekte erst realisiert<br />
werden können.<br />
Aber nicht jedes Projekt ist von Erfolg gekrönt.<br />
Darüber müssen sich alle Verantwortlichen zu<br />
jeder Zeit klar sein. Verantwortung zu tragen<br />
heißt auch, rechtzeitig von einem staatlichen<br />
finanziellen Engagement Abstand zu nehmen.<br />
Deshalb sind eingeführte Kontrollmechanismen<br />
auch als Schutz der privaten I<strong>nitiative</strong>n zu<br />
verstehen. Denn nichts ist schädlicher für die<br />
Entwicklung in den sowieso schon problematischen<br />
Stadtteilen, als die Hinterlassenschaft<br />
von Investitionsruinen.<br />
Zusammengefasst sind für ein breit getragenes<br />
gesellschaftliches Engagement im Stadtteil<br />
erforderlich<br />
eine gute Moderation durch das Stadtteilma-<br />
•<br />
nagement<br />
eine souveräne kommunalpolitische Vorge-<br />
•<br />
hensweise<br />
ein Wettbewerb der guten Ideen<br />
•<br />
Experimentierräume<br />
•<br />
Anerkennung für bürgerschaftliches und<br />
•<br />
wirtschaftliches Engagement<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ und Soziale Stadt<br />
17
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ und Soziale Stadt<br />
18<br />
Für ein Resümee der bisherigen Erfahrungen<br />
und als Ausblick auf die weitere Entwicklung<br />
des Programms „Soziale Stadt <strong>NRW</strong>“ haben Dr.<br />
Matthias Sautter und Marcel Ruiz formuliert:<br />
„In Bezug auf die angestrebte Nachhaltigkeit<br />
der Erneuerungsprozesse in den einzelnen Programmgebieten<br />
(„Verstetigung im engeren Sinne“)<br />
wurden ... zahlreiche Vorgehensweisen und<br />
Handlungsansätze erörtert. Aus der Gesamtheit<br />
dieser Vorschläge lassen sich sechs Kernelemente<br />
einer generellen Verstetigungsstrategie für<br />
diese Gebiete ableiten. Dabei handelt es sich<br />
um folgende Aspekte:<br />
• die frühzeitige und öffentliche Diskussion der<br />
Verstetigungsthematik;<br />
• das Einbeziehen der sozialen Ressorts in die<br />
Programmsteuerung;<br />
• die Sicherung der neu geschaffenen Projekte,<br />
Maßnahmen und Angebote;<br />
• die Entwicklung tragfähiger Kooperationsund<br />
Netzwerkstrukturen;<br />
• die Unterstützung der bewohnerschaftlichen<br />
Selbstorganisation;<br />
• die Beibehaltung einer dezentralen Koordinierungs<br />
und Managementfunktion.<br />
Für die Verwirklichung des neuen Politikmodells<br />
(„Soziale Stadt“ als gesamtstädtische Daueraufgabe“)<br />
werden die Kommunen in starkem Maße<br />
auf die Zusammenarbeit mit Wohnungsgesellschaften,<br />
Wirtschaftsunternehmen, Wohlfahrtsverbänden,<br />
Kirchengemeinden, bürgerschaftlichen<br />
I<strong>nitiative</strong>n, Stiftungen und anderen nicht<br />
staatlichen Akteursgruppen angewiesen sein.<br />
In den letzten Jahren haben sich hier bereits<br />
vielerorts formelle und informelle (lokale) Partnerschaften<br />
herausgebildet. Die Kommunen<br />
sollten solche Partnerschaften als ein wichtiges<br />
Zukunftspotenzial begreifen und im Sinne einer<br />
„UrbanGovernance“Strategie aktiv pflegen<br />
und weiter entwickeln, – nicht zuletzt auch deshalb,<br />
weil auf diese Weise zusätzliche Ressourcen<br />
für die gebietsbezogenen Erneuerungsprozesse<br />
erschlossen werden können.“<br />
Der letzte Hinweis auf die gesamtstädtische<br />
Entwicklung macht auch deutlich, wie beide<br />
Programmi<strong>nitiative</strong>n voneinander profitieren<br />
und damit nicht isoliert betrachtet werden<br />
sollten. So steht die Städtebauförderung spätestens<br />
seit der Verknüpfung mit der EU-Förde-<br />
rung für städtische Problemgebiete für die Förderphase<br />
2007 - 2013 noch stärker als bisher<br />
vor der Aufgabe, integrative und partizipative<br />
Ansätze der Stadtentwicklung für ausgewählte<br />
Stadtquartiere zu unterstützen, die sich auf<br />
Grund einer gesamtstädtischen Entwicklungsperspektive<br />
als Handlungsräume herausgestellt<br />
haben. Städtebauförderung steht vor der<br />
Aufgabe, auch bundesrechtlichen Anforderungen<br />
zu genügen, die seit der Föderalismusreform<br />
in Artikel 104 b Grundgesetz ihren Ausdruck<br />
gefunden haben. In den zwischen der<br />
Bundesregierung und den Ländern abgeschlossenen<br />
Verwaltungsvereinbarungen für den<br />
Einsatz von Städtebauförderungsmitteln ergibt<br />
sich ein Grundelement jeglicher Städtebauförderung,<br />
nämlich die gebietsbezogene<br />
Förderung eines integrativen und partizipativen<br />
Entwicklungsansatzes als Gesamtmaßnahme.<br />
Dieser Fördergesichtspunkt greift sowohl<br />
in innerstädtischen Gebieten wie Stadtteilzentren<br />
genau so wie in den Gebieten, in denen<br />
städtebauliche Missstände beseitigt werden<br />
(Sanierungsgebiete), in denen Funktionsschwächen<br />
beseitigt werden sollen (Stadtumbau)<br />
oder in denen die soziale, ökonomische<br />
und ökologische Verbesserung durchgeführt<br />
werden soll (Gebiete der „Sozialen Stadt“).<br />
Mit dem neuen Programm Aktive Stadt- und<br />
Ortsteilzentren wird erstmalig das Instrument<br />
des im Programm „Soziale Stadt“ entwickelten<br />
„Verfügungsfonds“ für innerstädtische Aktivitäten<br />
eingerichtet, um private I<strong>nitiative</strong>n zur<br />
Aufwertung der Innenstädte mit zu unterstützen.<br />
Auch wenn Immobilien- und Standortgemeinschaften,<br />
erst Recht nach Inkrafttreten<br />
des Gesetzes über Immobilien- und Standortgemeinschaften,<br />
und „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-Projekte<br />
auf den ersten Blick nicht viel mit einander<br />
zu tun zu haben scheinen, gehen von Ihnen<br />
für die integrierte Stadtteilentwicklung jedoch<br />
wirksame Impulse aus, die von der Städtebauförderung<br />
aufgegriffen werden. Aus diesem<br />
Grunde ist es nur empfehlenswert, den<br />
Gedanken von „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ nicht auf<br />
das Kernprogramm „Soziale Stadt“ zu reduzieren,<br />
sondern aus den positiven Erfahrungen zu<br />
lernen und diese in andere Stadtgebiete zu exportieren.
Regionale 2010 und „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ –<br />
„Brückenschläge“ in der Region Köln/Bonn<br />
von Reimar Molitor<br />
Die „Regionalen“ sind ein Strukturprogramm<br />
des Landes Nordrhein-Westfalen.<br />
Seit dem Jahr 2000 sollen Regionalen die Qualitäten<br />
und Eigenheiten einer Region herausarbeiten,<br />
um Impulse für deren zukünftige Entwicklung<br />
zu geben. „Brückenschläge“ heißt das<br />
Motto der Regionale 2010, die seit 2002 in der<br />
Region Köln/Bonn vorbereitet wird, im Raum<br />
zwischen dem Drachenfels in Königswinter im<br />
Süden und dem Bayer-Kreuz im Norden, den<br />
Braunkohle-Tagebau-Regionen im Westen und<br />
der Oberbergischen Talsperrenlandschaft im<br />
Osten. Die drei kreisfreien Städte Köln, Bonn<br />
und Leverkusen, der Oberbergische Kreis, der<br />
Rhein-Sieg-Kreis, der Rheinisch-Bergische Kreis<br />
und der Rhein-Erft-Kreis sowie deren Städte<br />
und Gemeinden sind aktiv in das Strukturprogramm<br />
eingebunden. Sie haben sich gemeinsam<br />
auf Projekte in fünf raumwirksamen<br />
Handlungsfeldern verständigt, die übergreifend<br />
als sinnstiftend und zukunftschaffend für<br />
die Region betrachtet werden:<br />
• Herausarbeitung städtebaulicher Zukunftsthemen<br />
in sieben modellhaften Schwerpunktprojekten<br />
(je eins in den kreisfreien<br />
Städten und den Kreisen)<br />
• Aufbau eines Kulturlandschaftsnetzwerks<br />
und Verständigung auf einen regionalen<br />
„masterplan :grün“<br />
• Stärkung des Rheins als Rückgrat der Region<br />
in Städtebau, Natur und Tourismus<br />
• Herausarbeiten wichtiger Orte des regionalen<br />
kulturellen Erbes<br />
• „Gärten der Technik“: beispielhafte Projekte<br />
an der Schnittstelle von Natur und Technik,<br />
von Tradition und Zukunft.<br />
Ziel der Regionale 2010 ist es, im Zeitraum 2002<br />
bis 2011 Projekte rechts und links des Rheins,<br />
entlang des Städtebands von Bonn, Köln und<br />
Leverkusen, zu formieren, in die Umsetzung zu<br />
bringen und vor allen Dingen langfristig zu<br />
stabilisieren, damit sie den Standort im Wettbewerb<br />
stärken, aber auch nach innen „neue<br />
Bindungen“ generieren. Kurzum: Regionale<br />
heißt „gemeinsam Zukunft gestalten“.<br />
So ist das Motto „Brückenschläge“ in allen Projekten<br />
der Regionale 2010 programmatische<br />
Grundphilosophie. Es geht darum, horizontal<br />
wie vertikal neue Akteurskonstellationen aufzubauen<br />
und darüber bedachte Vorsorge und<br />
Fürsorge für Zukunft zu treffen. Es geht aber<br />
auch darum, Mut für Neues zu generieren für<br />
den Bezugsraum der Menschen, die sich diesem<br />
nähern, in ihm wohnen, ihn nutzen und<br />
ihn nicht nur als „Standort“ sondern als mehr,<br />
auch als „Heimat“ begreifen.<br />
Mobilisierung von Potenzialen für regionale<br />
Entwicklung<br />
Alle Impulsprojekte der Regionale 2010 transportieren<br />
direkt und indirekt ein weiteres<br />
strukturpolitisches Anliegen: dass nicht der<br />
Staat alleine für Gemeinwohlorientierung, Vor-<br />
und Fürsorgeprinzipien und Zukunftsgestaltung<br />
„in Beschlag“ genommen wird, sondern<br />
dass ein Ort, eine Stadt – und im Fall der Regionale<br />
2010 eine ganze Region – lebendiger Teil<br />
eines größeren Ganzen ist, das aktiv vor Ort gestaltet<br />
werden will. Insofern ist es zentral, dass<br />
die Menschen mitgenommen und ihre Talente<br />
in den Zukunftsprozess mit eingebaut werden.<br />
Dazu gehört auch, dass sie angeregt oder bestärkt<br />
werden, Verantwortung zu übernehmen<br />
und sich einzubringen. Insofern geht es nicht<br />
nur darum, die Gebietskörperschaften und die<br />
vielen öffentlichen Institutionen in der Region<br />
einzubinden, sondern auch die Wirtschaft und<br />
die Banken, z.B. mit ihren Stiftungen, aber eben<br />
auch beispielhafte bürgerschaftliche I<strong>nitiative</strong>n<br />
zu mobilisieren.<br />
In diesem Sinne gibt es viele konzeptionelle Parallelen<br />
zum Programm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“,<br />
welches der Regionale 2010 seit Jahren wertvolle<br />
Impulse gibt und sie inhaltlich stärkt.<br />
Geht es doch vor allem darum, durch die Zusammenführung<br />
von Menschen und die konzeptionelle<br />
sowie organisatorische Ertüchtigung<br />
und Qualifizierung von Vorhaben ein<br />
Stück lokale und regionale Zukunft zu gestalten<br />
und mittel- und längerfristig zu sichern.<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ bringt dabei beispielhafte<br />
Projekte ein, in denen sich Menschen mit einem<br />
inneren Anliegen für lokale und regionale<br />
Identität einsetzen und in praktischen Projekten<br />
verantworten.<br />
Beispielhaft genannt sei hier die 1.000-jährige<br />
Fischerei-Bruderschaft in Troisdorf/Bergheim<br />
an der Sieg, die ein Fischereimuseum aufbaut<br />
und so der Flussfischerei der Region „ein Denkmal<br />
setzt“, die aber auch ein Garant ist für den<br />
Wasser- und Naturschutz im einzigartigen Na-<br />
Reimar Molitor ist Geschäftsführer der<br />
Regionale 2010 Agentur in Köln.<br />
oben: das Kabel-Metall-Gelände in Windeck<br />
an der Sieg auf dem Weg zu einem Bürger-<br />
und Kulturzentrum<br />
19
Regionale 2010 und „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
20<br />
turraum an der Siegmündung in den Rhein. In diesem<br />
Projekt sind viele Menschen ehrenamtlich aktiv,<br />
sie halten eine Tradition über viele Generationen hinweg<br />
wach, die diese Region lange mit geprägt hat. Sie<br />
bringen sich aber auch engagiert in das Zukunftsthema<br />
Naturschutz in einem verstädterten Raum ein.<br />
Über die Regionale 2010 gelingt darüber hinaus die<br />
Einbindung des Projekts in den Kontext des Kulturlandschaftsnetzwerks<br />
und eine touristische Strategie<br />
über den Siegraum und die Mondorfer Rheinfähre bis<br />
in den Bonner Norden hinein.<br />
Es gibt im Rheinland (wie natürlich auch in anderen<br />
Regionen) eine große Zahl von Menschen, die sich an<br />
der Schnittstelle von privatem und öffentlichem Anliegen<br />
engagieren. Es kommt darauf an, sie zu ermutigen<br />
und ihr (meist ehrenamtliches) Engagement<br />
möglichst in ein großes Ganzes einzubauen, ihren<br />
Vorhaben dadurch mehr Stabilität zu geben. Hierzu<br />
braucht es Begleitung und persönliche Ansprache.<br />
Hierbei hilft „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ mit seinen Angeboten<br />
der Ermutigung, der Beispiele, der Beratung, der<br />
Qualifizierung. In diesem Sinne ist „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
wichtiger Teil eines Zukunftsprinzips für Stadt-<br />
und Regionalentwicklung.<br />
Identität und „Heimat“: Hand in Hand auf der<br />
Suche nach dem „genetischen Code“<br />
Die Menschen, die sich in solchen Projekten engagieren,<br />
haben bewusst oder unbewusst ein gemeinsames<br />
Anliegen: Sie wollen am Anfang des 21. Jahrhunderts<br />
auch Antworten auf die Tendenzen der „Ver all-<br />
gemeinerung“ von Lebensstilen und Alternativen zur<br />
Austauschbarkeit von Räumen geben. Es geht in vielen<br />
Fällen um die Sicherung und die Weiterentwicklung<br />
des kulturellen Erbes bzw. der Herkunft einer<br />
Region. Immer mehr Menschen suchen eine Vergewisserung<br />
darüber, wo ihre Wurzeln sind – gerade in<br />
einer immer globaler werdenden Welt. Es kommt darauf<br />
an, Heimaten und Identitäten nach innen zu bewahren,<br />
um erfolgreich nach außen sein zu können.<br />
Es geht darum, Vorhaben zu qualifizieren, die eine Region<br />
unterscheidbar macht von anderen Regionen,<br />
die im Sinne eines einzigartigen Profils „Identitäts-<br />
Stellvertreterprojekte“ sind und die Menschen hinter<br />
diesen Projekten so zu ermutigen und organisatorisch<br />
zu stabilisieren, dass ihre Anliegen ein inhaltliches<br />
und konzeptionell maßgeschneidertes „Kleid“<br />
erhalten. Es geht letztlich darum, die Menschen darin<br />
zu bestärken, dass sie sich mit den Orten und Städten,<br />
an und in denen sie leben, und mit der Region<br />
identifizieren.<br />
Dabei geht es nicht immer um die „lauten Töne“, um<br />
große Projekte, sondern häufig um das feinmaschige<br />
Netz von I<strong>nitiative</strong>n, die sich oft erst im Zusammenspiel<br />
der Kräfte zu einer Art „Identitätsnetz“ verknüpfen,<br />
als eine „Landkarte der Herkunft“ lesbar werden<br />
und damit auch gleichzeitig eine Landkarte der Identität<br />
der Region werden. Auch diese eher kleineren<br />
Projekte lösen Zukunft aus, indem bei einer Rückschau<br />
auf und der Sicherung von Vorhandenem latent<br />
die Frage mitschwingt: „Wo wollen wir eigentlich<br />
hin?“, indem aber auch der Blick nicht nur auf Vergangenes<br />
gerichtet wird, sondern immer wieder die<br />
damit verbundene Frage nach dem Spannungsfeld<br />
zur Zukunft gestellt wird.<br />
Stabilisierung, Profilierung, Positionierung und<br />
Förderung<br />
Durch das Programm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ wird es<br />
den Menschen hinter diesen speziellen Projekten ermöglicht,<br />
ihre individuellen Interessen in einen größeren<br />
Kontext zu stellen und dabei zum einen organisatorische<br />
Stabilität zu erlangen, aber zum anderen<br />
auch die kontextuelle Verflechtung innerhalb eines<br />
Raums zu erreichen. „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ wirkt an<br />
dieser Stelle als „Katalysator“ und als „Qualifizierer“.<br />
Durch eine fachkundige Beratung in der Projektprofilierung,<br />
aber auch in den harten Fakten der wirtschaftlichen<br />
Tragfähigkeit eines Vereins bzw. beim<br />
Projektbetrieb oder bei der Verzahnung von privater<br />
und öffentlicher Nutzung, werden die Projekte stabilisiert<br />
und bekommen dadurch automatisch eine<br />
neue Reichweite.<br />
Ein weiterer wichtiger Faktor ist, dass durch die Anerkennung<br />
als „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-Projekt und die<br />
„Aufdopplung“ durch die Anerkennung als Regionale<br />
2010-Projekt im Umfeld leichter „Mittäter und Freunde“<br />
zu gewinnen sind, bis hin zur Akquisition von<br />
Sponsoren, die das Ausüben des eigentlichen gemeinwohlorientierten<br />
Anliegens erst abschließend<br />
ermöglichen. Aus Fördersicht ergibt sich hier eine<br />
höchst sinnvolle Bündelung von Anliegen des Landes.<br />
Aus Sicht der Projektträger ergibt sich eine in aller Regel<br />
gute Anerkennungsplattform, die ein freundliches<br />
Umfeld ermöglicht und als Motivationsverstärker<br />
für Engagement wirken kann. Besonders positiv<br />
und bemerkenswert ist bei „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“, dass<br />
erst über Förderung geholfen wird, wenn sowohl Eigeni<strong>nitiative</strong><br />
als auch Eigenkapital eingebracht worden<br />
sind, also die gemeinschaftliche Anstrengung einer<br />
„Zukunfts- und Verantwortungsgemeinschaft“<br />
sich lokal manifestiert hat.
Bei der konkreten Betreuung und beim Einflechten<br />
dieser Einzelstandorte in den Gesamtkontext einer<br />
Region bzw. einer Stadt ergeben sich so vielfältige<br />
Stabilisierungseffekte für die Projekte – und vor allen<br />
Dingen eine Wertschätzung für die Arbeit der Menschen<br />
hinter den Projekten.<br />
Zusätzlich geht es, um im „Organisationsdeutsch“<br />
zu sprechen, um „Schnittstellenmanagement“. Hier<br />
wirkt „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ vielfach als „Leumund“,<br />
denn durch den betreuenden „Beistand“ des Landes<br />
Nordrhein-Westfalen wird aus dem individuellen<br />
Anliegen eines Bürgervereins oder engagierter<br />
Einzelmenschen bzw. engagierter Unternehmer gewissermaßen<br />
ein öffentliches Anliegen, was ausschlaggebend<br />
für die Zuwendung bzw. „Zuneigung“<br />
öffentlicher Stellen, weiterer Fördermittelgeber oder<br />
Sponsoren ist.<br />
Ort und Raum, Herkunft und Zukunft<br />
Ideell verbunden sind all die Projekte durch ein weiteres<br />
gemeinsames Anliegen: bei einer zunehmenden<br />
„Verlangweiligung“ von Innenstädten und bei einem<br />
zunehmenden Verlust von räumlicher Identität durch<br />
die Inanspruchnahme von Landschaft außerhalb der<br />
Städte und in urbanen Freiräumen kommt es in vielen<br />
Fällen zu Identitätsverlusten – und zwar von Stadt<br />
und Land gleichermaßen.<br />
Gerade in so dichten Siedlungsräumen, wie im Raum<br />
der Regionale 2010 entlang der Rheinschiene in Köln,<br />
Bonn und Leverkusen, manifestiert sich durchaus ein<br />
engmaschiges „Identitätsnetz“, das sich nicht durch<br />
ein Bauwerk oder eine räumliche Situation ergibt,<br />
sondern sich erst im Zusammenhang von vielen kleinen<br />
Einzelteilen wie ein „Identitäts-Mosaik“ zusammensetzt.<br />
Ein solches Mosaik zu ergänzen, mit weiteren<br />
Bausteinen zu bereichern und damit Gesamt -<br />
bilder entstehen zu lassen, das soll im Rahmen der<br />
Regionale 2010 begonnen werden. Dieser Prozess<br />
muss aber darüber hinaus weiter verfolgt werden.<br />
Hierbei helfen die Beispiele von „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
auch dadurch, dass in der Qualifizierung hartnäckig<br />
nicht nur nach den Visionen gefragt, sondern auch<br />
eine dauerhafte Tragfähigkeit vorangetrieben wird.<br />
In diesem Zusammenhang ist das Projekt Schiffsbrücke<br />
an der alten Wuppermündung in Leverkusen<br />
zu erwähnen. Engagierten Leverkusener Bürgern ist<br />
es dort gelungen, eine alte Schiffssteganlage, die lange<br />
Zeit als Wegeverbindung zwischen Rheindorf und<br />
Wiesdorf diente, zu retten und die Schiffe instand zu<br />
setzen. Lange wurde darum gerungen, wie man die<br />
Anlage mit den heutigen technischen Anforderungen<br />
absichern kann, wie ein zukünftiger Betrieb durch<br />
bürgerschaftliches Engagement gestaltet werden<br />
kann, wie eine stabile Finanzierung aus Förderung,<br />
Stiftungsmitteln, Spenden und Eigenleistung aufgebaut<br />
werden kann. Seit 2007 hat das Projekt sowohl<br />
die Anerkennung durch „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ als auch<br />
durch die Regionale 2010. Diese historische Anlage<br />
kann nun mit kooperativer Unterstützung beider Programme<br />
durch bürgerschaftliches Enga gement erhalten<br />
und wieder genutzt werden. Ein historisches<br />
Erbe der sehr ungewöhnlichen Art kommt somit zurück<br />
an seinen Herkunftsort.<br />
Dank des Programms „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ gelingt es<br />
immer wieder, dieses feinmaschige Identitäts-Netz zu<br />
ergänzen und zusammen zu stricken. Die konkrete<br />
Ansprache von bürgerschaftlichem und von unternehmerischem<br />
Engagement für lokale und regionale<br />
Projekte im Sinne der Wiedererkennbarkeit von Stadt<br />
und Land ist dabei das eigentlich aktivierende Moment.<br />
Hinzu kommen weitere Partner wie die <strong>NRW</strong>-<br />
Stiftung oder auch bei anderen Projekten der Landschaftsverband<br />
Rheinland.<br />
Partner der Region<br />
Insgesamt ist das Programm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ in<br />
der Region Köln/Bonn ein nicht mehr wegzudenkender<br />
Partner geworden. Das Programm hilft beim Aufbau<br />
des Identitätsnetzes, im Fall des Programms vor<br />
allem mit der klaren Ausrichtung auf engagierte<br />
Menschen, die sich ihrem Raum verpflichtet fühlen.<br />
Das Zwischenfazit ist relativ simpel: Ohne das Programm<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ würden viele der I<strong>nitiative</strong>n<br />
der Region Köln/Bonn entweder weiterhin isoliert<br />
vor sich hin arbeiten, bzw. hätten nicht die Chance<br />
sich so prominent aufzustellen, dass sie für die Zukunft<br />
stabil sind. Wenn man das konsequent weiter<br />
denkt, hieße dies, dass mittelfristig das engmaschige<br />
Netz kultureller Identität, welches im Wesentlichen<br />
durch bürgerschaftliches und unternehmerisches Engagement<br />
geprägt sein muss, verloren ginge. „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“ wirkt insofern als stabilisierendes Moment<br />
für die Vielfalt und Einzigartigkeit unserer<br />
nordrhein-westfälischen Landschaften bzw. Kulturräume<br />
und ist damit im besten Sinne eine beispielhafte<br />
Landesi<strong>nitiative</strong>, der die Region Köln/Bonn<br />
freundschaftlich und dankbar verbunden ist.<br />
Regionale 2010 und „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
21
Bürgerstiftungen – Nährboden für Projekte in<br />
einer Bürgergesellschaft<br />
von Stefan Nährlich und Bernadette Hellmann<br />
Die Spannweite bürgerschaftlichen Engagements<br />
reicht von der einfachen Mitgliedschaft<br />
und der ehrenamtlichen Tätigkeit bis<br />
zur freiwilligen unbezahlten Mitarbeit in gemeinnützigen<br />
Einrichtungen. Auch lassen sich<br />
die verschiedenen Formen direkt-demokratischer<br />
Bürgerbeteiligung (Volksbegehren,<br />
Volksentscheid) sowie die Beteiligung an Protestaktionen<br />
im Rahmen der Bürgerinitiativbewegung<br />
oder der neuen sozialen Bewegungen<br />
zum bürgerschaftlichen Engagement rechnen,<br />
ebenso, wie das traditionsreiche Stiftungswesen<br />
und das gemeinnützige Engagement von<br />
Firmen und Betrieben. (1)<br />
Bürgerschaftliches Engagement: „Billiger<br />
Jakob“ oder „aktiver Bürger“<br />
Verallgemeinert steht bürgerschaftliches Engagement<br />
auch als Synonym für eine tendenzielle<br />
Verschiebung der Verantwortlichkeit für die<br />
Erstellung öffentlicher Leistungen vom Staat<br />
auf die Gesellschaft. So betreiben z.B. Sportvereine<br />
zunehmend Freibäder, gründen sich mehr<br />
und mehr private Schulen (und Hochschulen),<br />
führen Kultur- oder Bürgervereine ehemals<br />
kommunale Büchereien und Museen und übernehmen<br />
Bürgerstiftungen die Trägerschaft von<br />
in Kulturzentren umgewandelte ehemalige Industrieanlagen.<br />
Zahlreiche weitere Beispiele<br />
ließen sich aufzählen. Während Befürworter<br />
darin in erster Linie eine Stärkung individueller<br />
Freiheit und gesellschaftlicher Partizipation sehen,<br />
befürchten die Kritiker, bürgerschaftliches<br />
Engagement sei lediglich eine kluge Taktik, um<br />
in Zeiten knapper öffentlicher Kassen brachliegende<br />
Ressourcen zu aktivieren. Statt „aktiver<br />
Bürger“ lediglich „billiger Jakob“.<br />
Dieses latente Spannungsverhältnis, das bürgerschaftlichem<br />
Engagement in Deutschland<br />
innewohnt, kommt in nahezu jeder einschlägigen<br />
Veranstaltung in der Forderung von engagierten<br />
Bürgern zum Ausdruck, man wolle aber<br />
„den Staat nicht aus seiner Verantwortung entlassen“.<br />
Alternativ oder auch ergänzend dazu<br />
versichern Vertreter aus Politik und Verwaltung<br />
ebenso häufig, dass man bürgerschaftliches<br />
Engagement „keinesfalls als Lückenbüßer“ bei<br />
leeren öffentlichen Kassen sehe.<br />
Inwieweit die eine oder andere Perspektive<br />
stärker zum Tragen kommt, hängt von mehre-<br />
ren Faktoren ab. Je vollständiger jedoch die<br />
Entscheidungskompetenzen und die Ergebnisverantwortung<br />
(dass zur Freiheit auch die<br />
Verant wortung gehört, wird auch beim bürgerschaftlichen<br />
Engagement bisweilen vergessen)<br />
auf Seiten des bürgerschaftlichen Engagements<br />
liegen, je solider die Finanzierung und<br />
das Management von Projekten und Maßnahmen<br />
sind und je unabhängiger der Zugang zu<br />
und die Verwendung von Ressourcen ist, desto<br />
eher werden individuelle Freiheit und gesellschaftliche<br />
Partizipation gestärkt.<br />
Dass dies in der Praxis häufig nicht der Fall ist,<br />
liegt im Wesentlichen daran, dass bürgerschaftliches<br />
Engagement (immer noch) in hohem<br />
Maß durch öffentliche Mittel und die damit<br />
verbundenen politischen Vorgaben und<br />
Interessen, zuwendungsrechtlichen Auflagen<br />
aber auch haushaltsrechtlichen Unsicherheiten<br />
u.a. Restriktionen reguliert wird und von<br />
ihnen abhängig ist. Gemeinnützigkeitsrecht<br />
und steuerrechtliche Regelungen wie z.B. das<br />
Gebot der zeitnahen Mittelverwendung tun<br />
ein Übriges dazu, zu erschweren, dass im bürgerschaftlichen<br />
Engagement das „Selbermachen“<br />
und nicht nur das „Mitmachen“ der Bürgerinnen<br />
und Bürger zum Ausdruck kommt.<br />
Soll das dem bürgerschaftlichen Engagement<br />
innewohnende Potenzial zur Selbstorganisation,<br />
Interessenartikulation, gesellschaftlichen<br />
Partizipation und Integration besser zur Entfaltung<br />
gebracht werden, muss u.a. auch das<br />
„bürgergesellschaftliche Eigenkapital“, z.B. in<br />
Form von Stiftungsvermögen, erhöht werden,<br />
was gleichzeitig auch die Stabilität und Verlässlichkeit<br />
bürgerschaftlichen Engagements<br />
fördert.<br />
Innovationspotenzial Bürgerstiftung<br />
Anders als bei Vereinen ist das Wesensmerkmal<br />
von Stiftungen, eigenes Vermögen zu bilden<br />
und zu bewahren. Nach Jahrzehnten des Wohlstandes<br />
erlebt das Stiftungswesen in Deutschland<br />
eine neue Blütezeit. Die letzten Jahre waren<br />
nach den Statistiken des Bundesverbandes<br />
Deutscher Stiftungen von einem stabilen<br />
Gründungsboom neuer Stiftungen gekennzeichnet.<br />
Mehr als die Hälfte der heute bestehenden<br />
ca. 15.500 rechtsfähigen Stiftungen<br />
wurden nach der deutschen Wiedervereinigung<br />
gegründet.<br />
Stefan Nährlich ist Geschäftsführer, Bernadette<br />
Hellmann ist Projektleiterin bei der<br />
Aktiven Bürgerschaft e.V., dem Kompetenzzentrum<br />
für Bürgerengagement der Volksbanken<br />
und Raiffeisenbanken in Berlin.<br />
(1) Der Abschlussbericht und die Sonderbände<br />
der Enquete Kommission „Zukunft<br />
des Bürgerschaftlichen Engagements“<br />
des Deutschen Bundestages aus der vierzehnten<br />
Legislaturperiode bieten einen<br />
um fang- und detailreichen Einblick in den<br />
Stand und in die Entwicklung des bürgerschaftlichen<br />
Engagements in Deutschland.<br />
23
Bürgerstiftungen – Nährboden für Projekte<br />
oben: Vorstand der Bürgerstiftung „Wir<br />
Wipperfürther“ bei der Eröffnung der Alten<br />
Drahtzieherei<br />
unten: Aktive der Bürgerstiftung Herten bei<br />
der Eröffnung des Jugendhofs Wessels<br />
24<br />
Als ein Kind der „Berliner Republik“ sind es die<br />
Bürgerstiftungen, die seit einiger Zeit aus guten<br />
Gründen in Fachkreisen von Wissenschaft,<br />
Wirtschaft und Politik große Beachtung finden.<br />
Der Grundgedanke einer Bürgerstiftung liegt<br />
darin, dass sich Privatpersonen, mittelständische<br />
Unternehmen und örtliche Vereine gemeinsam<br />
für das Gemeinwohl engagieren, und<br />
zwar dort wo man lebt, arbeitet oder Geschäfte<br />
macht: in einer Stadt, Gemeinde, einem Kreis<br />
oder einer Region. Die Anreize lokalen Engagements<br />
liegen auf der Hand. Die meisten Menschen<br />
sind eher bereit, sich finanziell oder<br />
ehrenamtlich einzubringen, wenn damit Probleme<br />
vor der eigenen Haustür gelöst werden.<br />
Auch Unternehmen engagieren sich bevorzugt,<br />
wenn damit Investitionen in die Attraktivität<br />
ihres Standortes verbunden sind.<br />
Die Vorteile gemeinsamen Engagements sind<br />
ebenfalls schlüssig nachzuvollziehen. Vorhandene<br />
Kräfte werden gebündelt, Synergieeffekte<br />
realisiert und bislang noch nicht erreichte Potenziale<br />
können durch die neuen Möglichkeiten<br />
der Bürgerstiftung angesprochen werden.<br />
Durch die Erträge aus dem langfristig aufzubauenden<br />
Vermögen wird die Bürgerstiftung<br />
unabhängiger von wechselnder Spendenbereitschaft<br />
der Bürgerinnen und Bürger, aber<br />
auch von öffentlichen Zuwendungen der Stadt -<br />
verwaltungen, Landkreise oder weitere Institutionen.<br />
Bürgerstiftungen sind jedoch vor allem deshalb<br />
interessant, weil sie eine institutionelle<br />
Innovation in der Organisationslandschaft der<br />
Bürgergesellschaft in Deutschland darstellen.<br />
Zwar gilt aufgrund des Fehlens einer gesetzlichen<br />
Definition jede Stiftung als Trägerin einer<br />
verselbständigten Vermögensmasse und unterscheidet<br />
sich von einem Verein dadurch,<br />
dass sie in ihren Grundzügen nicht einem<br />
ständigen demokratischen Willensbildungsprozess<br />
ihrer Mitglieder unterworfen ist, sondern<br />
den bei Gründung wiedergegebenen Stifterwillen<br />
nachhaltig zu erfüllen hat. Doch hat<br />
erstmals die Bürgerstiftung systematisch und<br />
konzeptionell die Stiftungsidee um assoziative<br />
Elemente ergänzt. Seine Umsetzung findet<br />
dies institutionell in Form der Stifterversammlung<br />
bzw. des Stifterrates, des Freundeskreises<br />
oder auch des Kuratoriums. Die Bezeichnung<br />
einer Bürgerstiftung als Stiftung „von Bürgern<br />
für Bürger“ bringt dies gut zum Ausdruck. Neben<br />
der finanziellen Unterstützung engagieren<br />
sich Privatpersonen und Unternehmen ebenso<br />
durch Sach- und Zeitspenden, durch Fachwissen<br />
und Ideen, Kontakte und Beziehungen.<br />
Aus Cleveland Ohio zum globalen<br />
Exportschlager<br />
In ihrem Mutterland, den USA, sind die Bürgerstiftungen<br />
bzw. die Community Foundations,<br />
wie sie dort heißen, eine Erfolgsgeschichte. Als<br />
der Bankier und Anwalt Frederick Harris Goff<br />
vor fast 100 Jahren die erste Community Foundation<br />
gründete, wollte er hauptsächlich ein<br />
Problem seiner Bank, der Cleveland Trust Company,<br />
lösen. Seine Bank verwaltete zahlreiche<br />
Stiftungen aus Vermächtnissen, deren Zweckbindungen<br />
sich nicht mehr verwirklichen ließen.<br />
Manchmal gab es die zu unterstützenden<br />
Institutionen nicht mehr, manchmal waren die<br />
ursprünglichen Ziele nicht mehr zeitgemäß.<br />
Bei anderen Stiftungen waren die Förderzwecke<br />
wiederum so weit gefasst, dass es der Bank<br />
nicht möglich war, die Zwecke in gesellschaftlich<br />
notwendige Maßnahmen umzusetzen.<br />
Vereinfacht gesagt, verwaltete die Bank zwar<br />
kompetent Stiftungsvermögen, hatte aber niemanden,<br />
der die Erträge aus diesen Vermögen<br />
sachgerecht einer vernünftigen und zeitgemäßen<br />
Verwendung zuführen konnte. Goffs Lösung<br />
bestand nun darin, eine unabhängige gemeinnützige<br />
Organisation zu schaffen, die von<br />
einem Vorstand aus ortsansässigen Bürgern<br />
geleitet werden sollte. Diese sollten dafür sorgen,<br />
dass mit den Stiftungserträgen die vordringlichsten<br />
Probleme der Stadt angegangen<br />
werden konnten.<br />
Seit damals sind in den USA bis heute nicht<br />
nur über 700 Community Foundations mit einem<br />
gesamten Stiftungsvermögen von ca. 50<br />
Mrd. Dollar entstanden, das Konzept der Bürgerstiftung<br />
ist darüber hinaus ein weltweiter<br />
Exportschlager geworden. So entstand bereits<br />
1921 in Kanada die erste Bürgerstiftung außerhalb<br />
der USA, 1976 in England die erste in Europa.<br />
Seit Mitte der 1990er Jahre hat die Bürgerstiftung<br />
eine globale Verbreitung gefunden.<br />
Heute gibt es weltweit mehr als 1175 Bürgerstiftungen<br />
in 46 Ländern, seit 1996 auch in<br />
Deutschland.
Bürgerstiftungen in Deutschland und<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
In Deutschland sind die Bürgerstiftungen auf<br />
dem besten Weg, zu einer dauerhaften Erfolgsgeschichte<br />
zu werden. Gut zehn Jahre nach der<br />
Gründung der ersten beiden Bürgerstiftungen<br />
im nordrhein-westfälischen Gütersloh und in<br />
Hannover sind in mehr als 196 Städten, Gemein -<br />
den oder Regionen Bürgerstiftungen aktiv (2).<br />
Nach den USA gibt es inzwischen in Deutschland<br />
die meisten Bürgerstiftungen weltweit. In<br />
keinem anderen Land entwickeln sie sich so dynamisch<br />
wie hierzulande, wenngleich (noch)<br />
auf einem niedrigen finanziellen Niveau.<br />
Im Unterschied zu herkömmlichen Stiftungen<br />
sind Bürgerstiftungen unabhängige, nicht von<br />
einer Einzelperson, Organisation oder einem<br />
Unternehmen dominierte Stiftungen, die lokal<br />
oder regional aktiv sind und ihr Stiftungskapital<br />
langfristig aufbauen und vergrößern. Dabei<br />
kann es sich jeder leisten, Stifterin oder Stifter<br />
zu werden, denn das Stiftungsvermögen wird<br />
gemeinsam aufgebracht. Die Erträge können<br />
in eine Vielzahl von Förderzwecken fließen. Der<br />
Begriff Bürgerstiftung ist nicht lediglich ein<br />
zeitgemäßes Marketing-Label im Kontext von<br />
Bürgerengagement oder Bürgergesellschaft,<br />
sondern bezeichnet eine spezielle Stiftungsform,<br />
zu deren Charakteristika der Bundesverband<br />
Deutscher Stiftungen einen zehn Merkmale<br />
umfassenden Katalog aufgestellt hat (3).<br />
Durch ihre vielfältigen Funktionen ermöglichen<br />
die Bürgerstiftungen ein langfristiges institutionalisiertes<br />
Engagement ebenso wie verschiedene<br />
Formen des kurzfristigen oder<br />
spontanen Engagements. Als Fundraiser haben<br />
Bürgerstiftungen die Aufgabe, kontinuierlich<br />
für den Aufbau eines breitgefächerten Stiftungsvermögens<br />
zu sorgen. Daneben werben<br />
sie aber auch Spenden ein, die direkt und vollständig<br />
einzelnen Projekten zugute kommen.<br />
Als Dienstleistungsagenturen unterstützen<br />
Bürgerstiftungen Spender und Stifter bei der<br />
Vergabe von Fördermitteln, dem Finanzmanagement,<br />
der Erschließung weiterer Ressourcen,<br />
der Öffentlichkeitsarbeit und vielem mehr.<br />
Als Fördergeber sollen sie auf die sich neu entwickelnden<br />
und sich ändernden Bedürfnisse<br />
reagieren und innovative Entwicklungen im<br />
Bildungswesen, im Umweltbereich, in der Kul-<br />
tur oder im sozialen Bereich unterstützen. Bürgerstiftungen<br />
arbeiten aber auch operativ und<br />
führen zusammen mit anderen Institutionen<br />
eigene Projekte durch. Als Lobby für das Gemeinwohl<br />
können Bürgerstiftungen Katalysator<br />
des Gemeinwesens sein und neue Partnerschaften<br />
zwischen Staat, Wirtschaft und<br />
Gesellschaft ermöglichen.<br />
In mehr als 196 Städten, Gemeinden und Regionen<br />
waren zum Stichtag 31.08.2007 Bürgerstiftungen<br />
mit einem Gesamtvermögen von<br />
84,1 Millionen Euro aktiv. Im Jahr 2006 erreichte<br />
die Entwicklung der Bürgerstiftungen ihren<br />
bisherigen Höhepunkt: Es gab 46 Neugründungen,<br />
d.h. im Schnitt wurde in jeder Arbeitswoche<br />
eine neue Bürgerstiftung gegründet. Das<br />
sind fast doppelt so viele wie vor drei Jahren,<br />
fast viermal so viele wie noch vor fünf Jahren.<br />
Bürgerstiftungen fördern jährlich soziale, kulturelle<br />
oder andere gemeinnützige Anliegen<br />
mit insgesamt mehr als 5,5 Millionen Euro und<br />
sammeln Spenden in Höhe von ca. 5 Millionen<br />
Euro ein.<br />
Nordrhein-Westfalen nimmt im bundesweiten<br />
Vergleich in mancherlei Hinsicht eine Vorreiterrolle<br />
hinsichtlich der Bürgerstiftungsentwicklung<br />
ein. In allen Bundesländern existieren<br />
zum 31.08.2007 Bürgerstiftungen, die<br />
meisten in Nordrhein-Westfalen (57), gefolgt<br />
von Baden-Württemberg (45) und Niedersachsen<br />
(33). Hier wurde 1996 auf I<strong>nitiative</strong> des Bertelsmann-Eigners<br />
Reinhard Mohn die erste<br />
deutsche Bürgerstiftung gegründet. Seither<br />
verbreitete sich das Stiftungsmodell rapide:<br />
2004 wurden in Nordrhein-Westfalen 14 Bürgerstiftungen<br />
gegründet, 2005 waren es ebenfalls<br />
14 – jeweils mehr als ein Drittel der in<br />
Deutschland in diesen Jahren insgesamt gegründeten<br />
Bürgerstiftungen. Spitzenreiter ist<br />
Nordrhein-Westfalen auch in Bezug auf das<br />
durchschnittliche Gründungsvermögen von<br />
Bürgerstiftungen, das mit 270.331 Euro weit<br />
über dem Bundesdurchschnitt von 176.386 Euro<br />
liegt. Überdurchschnittlich hoch ist auch der<br />
Zugang zu Bürgerstiftungen: 41% der Menschen<br />
in Nordrhein-Westfalen leben bereits im<br />
Einzugsgebiet einer Bürgerstiftung, bundesweit<br />
sind es nur 38%.<br />
Bürgerstiftungen – Nährboden für Projekte<br />
oben: Projekt der Bürgerstiftung „Wir Wipperfürther“:<br />
Veranstaltungssaal<br />
unten: Selbsthilfe während der Bauzeit<br />
(2) Alle Angaben zu Bürgerstiftungen nach:<br />
Hellmann, Bernadette / Nährlich, Stefan:<br />
Länderspiegel Bürgerstiftungen. Fakten<br />
und Trends 2007 und Beilage „Bürgerstiftungen<br />
und Volksbanken Raiffeisenbanken:<br />
Gemeinsam mehr erreichen“. Hrsg: Aktive<br />
Bürgerschaft e.V. Berlin 2007. Der „Länderspiegel<br />
Bürgerstiftungen. Fakten und<br />
Trends 2008“ erscheint am 1.10.2008 und<br />
kann als PDF-Version von der Homepage<br />
der Aktiven Bürgerschaft heruntergeladen<br />
werden.<br />
(3) Die 10 Merkmale einer Bürgerstiftung<br />
sind als ein „Gütesiegel“ entwickelt worden<br />
um die Definition von Bürgerstiftungen<br />
abzusichern (www.die-deutschen-buergerstiftungen.de).<br />
25
Bürgerstiftungen – Nährboden für Projekte<br />
oben: Rohrmeisterei in Schwerte in Trägerschaft<br />
einer Bürgerstiftung<br />
26<br />
Bürgerstiftungen und „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
Es ist kein Zufall, dass direkt und indirekt in<br />
den letzten Jahren immer mehr Kooperationen<br />
zwischen dem <strong>NRW</strong>-Programm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“,<br />
den daraus geförderten Projekten und<br />
Bürgerstiftungen entstanden sind. Es gibt zahlreiche<br />
programmatische und pragmatische<br />
Schnittfelder. Es ist davon auszugehen, dass<br />
derartige Kooperationen weiter zunehmen:<br />
Bürgerstiftungen als Projektträger, Bürgerstiftungen<br />
als örtliche Plattform zur Unterstützung<br />
und Begleitung von Projekten.<br />
Das Beispiel Hertener Bürgerstiftung<br />
Eine der ersten Bürgerstiftungen in Nordrhein-<br />
Westfalen war die Hertener Bürgerstiftung. In<br />
der ehemaligen Bergbaustadt zeichnet sich infolge<br />
der Zechenstillegungen langfristig eine<br />
hohe Arbeitslosenquote ab. Im Sommer 1999<br />
gründeten 39 Stifterinnen und Stifter die Hertener<br />
Bürgerstiftungen, die sich kreativ mit<br />
dem Strukturwandel auseinandersetzen, bürgerschaftliches<br />
Engagement mobilisieren und<br />
die Lebens-, Ausbildungs- und Berufsperspektiven<br />
von Kindern und Jugendlichen verbessern<br />
will. Zur Umsetzung ihrer Ziele hat die Stiftung<br />
verschiedene Projekte ins Leben gerufen.<br />
Das Vorzeigeprojekt ist der Jugendhof Wessels,<br />
das gleichzeitig ein „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-Projekt<br />
ist: Die Bürgerstiftung sanierte einen lange<br />
unbewirtschafteten Bauernhof und wandelte<br />
ihn in einen ökologisch ausgerichteten Landwirtschaftsbetrieb<br />
um, der Jugendliche bei der<br />
beruflichen Orientierung und Qualifizierung<br />
unterstützt. Schüler aus Schulmüdenprojekten,<br />
lokale Unternehmen und ehrenamtliche Helfer<br />
brachten sich bei den Renovierungsarbeiten<br />
ein. Seit 2003 bietet der Hof als ge mein nützige<br />
GmbH Arbeits- und Ausbildungsstellen in Gastronomie,<br />
Küche, Hofladen, Bäcke rei, Landwirtschaft<br />
und Gärtnerei. Unter psychologischer<br />
und pädagogischer Betreuung lernen die Jugendlichen,<br />
eigenständig zu arbeiten und erwerben<br />
berufliche Qualifikationen. Die Bürgerstiftung<br />
arbeitet eng mit Schulen, Jugendamt<br />
und der Jugendberufshilfe zusammen. Zum<br />
Betrieb des Jugendhofs hat die Bürgerstiftung<br />
eine gemeinnützige GmbH gegründet.<br />
Für ihr beispielhaftes Engagement wurde die<br />
Hertener Bürgerstiftung mit dem Förderpreis<br />
Aktive Bürgerschaft 2004 ausgezeichnet. Die<br />
unabhängige Jury begründete ihre Entscheidung<br />
folgendermaßen: „In wirtschaftlich sehr<br />
schwierigen Zeiten haben Hertener Bürgerinnen<br />
und Bürger I<strong>nitiative</strong> gezeigt und die Hertener<br />
Bürgerstiftung gegründet. Mit dem Projekt<br />
„Jugendwerk- und Bauernhof Wessels“<br />
gelang es der Bürgerstiftung mit Unterstützung<br />
des Landes, örtlicher Unternehmen und<br />
viel ehrenamtlichem Engagement, neue Akzente<br />
für Arbeit und Ausbildung zu setzen.“<br />
Der Hof Wessels wird durch zahlreiche Ehrenamtliche<br />
und Unternehmen, durch die Kommune<br />
und das Programm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
des Landes Nordrhein-Westfalen unterstützt.<br />
Wie in Herten übernehmen auch andernorts<br />
Bürgerstiftungen die Trägerschaft von Betrieben<br />
oder in Kulturzentren umgewandelte ehemalige<br />
Industrieanlagen, so z.B. in Schwerte<br />
eine Rohrmeisterei oder in Wipperfürth eine<br />
Drahtzieherei, zwei weitere „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-Projekte.<br />
Aktive Bürgerschaft: bundesweiter<br />
„Support“ für Bürgerstiftungen<br />
Die Aktive Bürgerschaft ist das Kompetenzzentrum<br />
für Bürgerengagement der Volks- und<br />
Raiffeisenbanken im genossenschaftlichen Finanzverbund.<br />
Unterstützt von namhaften Persönlichkeiten<br />
aus Gesellschaft, Wirtschaft und<br />
Politik, Wissenschaft und Medien setzt sich die<br />
Aktive Bürgerschaft für eine Gesellschaft aktiver<br />
Bürger und engagierter Unternehmen ein.<br />
Gegründet wurde der gemeinnützige Verein<br />
1997 in Münster von mehreren genossenschaftlichen<br />
Organisationen unter Federführung der<br />
Düsseldorfer WGZ Bank AG und verschiedenen<br />
Privatpersonen auf I<strong>nitiative</strong> von Münsters<br />
ehemaligem Stadtdirektor Hermann Janssen.<br />
Im Jahr 2002 schuf die Aktive Bürgerschaft den<br />
Arbeitsbereich Bürgerstiftungen, um dieses innovative<br />
Konzept bürgerschaftlicher Selbstorganisation<br />
zu fördern. Mit ihrem Angebot will<br />
sie zur Verbreitung und Professionalisierung<br />
der deutschen Bürgerstiftungen beitragen. Die<br />
Aktive Bürgerschaft liefert Know-how, informiert,<br />
berät und vernetzt das Engagement vor<br />
Ort, beispielsweise durch Ratgeber, regionale<br />
Weiterbildungsveranstaltungen oder die „Umkreissuche<br />
Bürgerstiftungen“ im Internet, über
die Bürger, die sich für eine Bürgerstiftung engagieren<br />
wollen, die nächste Stiftung in ihrer<br />
Umgebung finden. Außerdem setzt die Aktive<br />
Bürgerschaft Bürgerstiftungen auf die Agenda<br />
gesellschaftspolitischer Diskurse und gibt engagierten<br />
Bürgern, Stiftungsbehörden, Politikern<br />
und Journalisten mit ihrem „Länderspiegel<br />
Bürgerstiftungen“ regelmäßig Auskunft<br />
über die Entwicklung der Bürgerstiftungen in<br />
Deutschland sowie in den einzelnen Bundesländern.<br />
Um die Idee der Bürgerstiftung in der<br />
Öffentlichkeit und den Medien bekannt zu machen<br />
und durch gute Beispiele zum Nachahmen<br />
anzuregen, verleiht sie jährlich ihren Förderpreis<br />
Aktive Bürgerschaft.<br />
Genossenschaftsbanken fördern<br />
Bürgerstiftungen vor Ort<br />
Darüber hinaus begleitet die Aktive Bürgerschaft<br />
Volksbanken und Raiffeisenbanken in ihrem<br />
gesellschaftlichen Engagement für Bürgerstiftungen<br />
als Ausdruck ihres Corporate<br />
Citizenship. Mit ihrer fachlichen Unterstützung<br />
engagieren sich Genossenschaftsbanken als<br />
Gründungsstifter oder Förderer bei mehr als<br />
Dreiviertel der Bürgerstiftungen in Deutschland.<br />
Denn Bürgerstiftungen und Genossenschaftsbanken<br />
haben viele Gemeinsamkeiten: Beide<br />
Organisationen basieren auf Regionalität und<br />
Dezentralität, beide Organisationen gehören<br />
ihren Mitgliedern, beide Organisationen funktionieren<br />
nach dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe,<br />
Selbstverantwortung und Selbstverwaltung.<br />
Auch die Kooperation ist ein weiteres<br />
konstitutives Strukturmerkmal, das Bürgerstiftungen<br />
und Genossenschaften verbindet und<br />
sich in dem Motto „Gemeinsam mehr erreichen“<br />
ausdrückt. Als regional verwurzelte Unternehmen<br />
mit langer Geschichte erreichen die<br />
Volksbanken über ihre Mitglieder, Privat- und<br />
Firmenkunden aus der klein- und mittelständischen<br />
Wirtschaft potentielle Mit- und Zustifter.<br />
Durch ihre Kontakte zum örtlichen Vereinswesen<br />
können weitere wichtige Akteure und Multiplikatoren<br />
für die Arbeit der Bürgerstiftung<br />
gewonnen werden.<br />
Für ihr Engagement in der Bürgerstiftung Hellweg-Region<br />
wurde die nordrhein-westfälische<br />
Volksbank Hellweg eG aus Soest im Jahr 2004<br />
stellvertretend für viele in diesem Bereich engagierte<br />
Volksbanken und Raiffeisenbanken<br />
mit dem Corporate Citizenship-Preis „Freiheit<br />
& Verantwortung“ der deutschen Wirtschaft<br />
ausgezeichnet.<br />
Synergien von Bürgerstiftungen, Aktiver<br />
Bürgerschaft und „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
Im Ergebnis macht es viel Sinn, in Zukunft über<br />
Kooperationen stärkere Synergien aus der Arbeit<br />
der Aktiven Bürgerschaft, der Bürgerstiftungen<br />
und dem Programm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
in <strong>NRW</strong> zu entwickeln. Projektbezogen<br />
können Bürgerstiftungen an den Erfahrungen<br />
und Netzwerken der Aktiven Bürgerschaft partizipieren.<br />
Kontakte zu den örtlichen Volksbanken<br />
und deren Kontakte zur lokalen Wirtschaft<br />
können akquiriert werden. Das Programm „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“ kann dann zur ganzheitlichen<br />
Projektrealisierung von Bürgerstiftungen genutzt<br />
werden.<br />
Weiterführende Hinweise<br />
Internet<br />
• www.aktive-buergerschaft.de<br />
• Hertener Bürgerstiftung: www.hertenerbuergerstiftung.de<br />
•Umkreissuche Bürgerstiftungen: Das Online-Verzeichnis<br />
der Aktiven Bürgerschaft listet alle Bürgerstiftungen in<br />
Deutschland und enthält Kontakt- und Finanzdaten.<br />
www.aktive-buergerschaft.de/bsi/service/bsideutschland<br />
Literatur<br />
•Backhaus-Maul, Holger / Biedermann, Christiane / Nährlich,<br />
Stefan / Polterauer, Judith (Hrsg.): Corporate Citizenship<br />
in Deutschland. Bilanz und Perspektiven. Wiesbaden,<br />
VS-Verlag für Sozialwissenschaften, 2008.<br />
•Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen<br />
Engagements“ Deutscher Bundestag (Hrsg.): Bericht.<br />
Bürgerschaftliches Engagement: auf dem Weg in eine<br />
zukunftsfähige Bürgergesellschaft. Opladen, Verlag Leske<br />
und Budrich, 2002.<br />
•Hellmann, Bernadette / Nährlich, Stefan: Länderspiegel<br />
Bürgerstiftungen. Fakten und Trends 2007 und Beilage<br />
„Bürgerstiftungen und Volksbanken Raiffeisenbanken:<br />
Gemeinsam mehr erreichen“. Hrsg: Aktive Bürgerschaft e.V.<br />
Berlin 2007.<br />
•Nährlich, Stefan / Strachwitz, Rupert Graf / Hinterhuber,<br />
Eva Maria / Müller, Karin (Hrsg.): Bürgerstiftungen in<br />
Deutschland - Bilanz und Perspektiven. Wiesbaden, VS-<br />
Verlag für Sozialwissenschaften, 2006.<br />
•Zimmer, Annette / Nährlich, Stefan (Hrsg.): Engagierte Bürgerschaft.<br />
Traditionen und Perspektiven. Opladen, Verlag<br />
Leske und Budrich, 2000.<br />
Bürgerstiftungen – Nährboden für Projekte<br />
oben: Hof Wesels in Trägerschaft der Bürgerstiftung<br />
Herten sowie Sponsoren und<br />
Unterstützer<br />
27
Projekte und Projekterfahrungen 2004 bis 2008<br />
von Kerstin Bohnsack und Joachim Boll<br />
Das Programm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ wird<br />
vom Ministerium für Bauen und Verkehr<br />
(MBV) des Landes Nord rhein-Westfalen getragen.<br />
1996 wurde es als Impulsprogramm bei<br />
der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher-Park<br />
im nördlichen Ruhrgebiet „erfunden“.<br />
Hier wurden in wenigen Jahren 20 Projekte<br />
in einem schwierigen städtebaulichen<br />
und sozialen Umfeld und in einem vom Strukturwandel<br />
der Montanindustrie schwer betroffenen<br />
Raum in die Realisierung gebracht. Zwischen<br />
2001 und 2004 wurde der Förderansatz<br />
im Rahmen des Ziel-2-Programms der Europäischen<br />
Union weiter konkretisiert. Im Ruhrgebiet<br />
konnten so weitere 15 Projekte realisiert<br />
werden. Darüber hinaus dehn te das Städtebauministerium<br />
<strong>NRW</strong> das Programmangebot<br />
auf das ganze Land Nord rhein-Westfalen aus,<br />
so dass 25 weitere „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-Projekte<br />
beschlossen werden konnten. Die dritte<br />
Förderphase begann 2004/ 2005 und brachte<br />
bisher weitere 15 Projekte hervor, von denen<br />
ein großer Teil baulich fertig gestellt wurde<br />
und sich im erfolgreichen bürgerschaftlich getragenen<br />
Betrieb befindet.<br />
12 Jahre Programm- und Projekterfahrung von<br />
1996 bis 2008 lassen Veränderungen erkennen.<br />
Entstanden in den 90er Jahren die Projekte<br />
eher aus den Bürgerinitiativ-, Sozial- und Alternativbewegungen,<br />
so kommen heute in viel<br />
stärkerem Maße Motivationen hinzu, die sich<br />
aus Engagement für Gemeinsinn und stadtgesellschaftlicher<br />
Verantwortung angesichts<br />
eines schwächer werdenden Staates speisen.<br />
Wenn man so will, ist dahinter auch eine stärkere<br />
„Verbürgerlichung“ zu sehen. Viele erkennen<br />
darin positive Ansätze einer sich entwickelnden<br />
„Bürgergesellschaft“, der immer wei -<br />
ter gehenden Veränderung der Rolle des Staates<br />
und seiner Aufgaben. Andere sehen hierin<br />
einfach die zunehmende Ohnmacht des Staates<br />
angesichts leerer Kassen.<br />
Im Folgenden soll weniger auf die Veränderungen<br />
dieser gesellschaftlichen und politischen<br />
Rahmenbedingungen eingegangen werden,<br />
sondern vielmehr der Versuch unternommen<br />
werden, aus der Erfahrung der Projektberatung<br />
die erkennbaren Verschiebungen und Erkenntnisse<br />
aus dem Verhältnis von Projekten („Bürgergesellschaft“)<br />
und Förderung („Staat“) für<br />
die Projektqualifizierung zu beschreiben. Im<br />
Focus stehen Entwicklungslinien, die bei der<br />
Akquisition von neuen und bei der Qualifizierung<br />
von anlaufenden Projekten helfen können.<br />
Dabei wird der Schwerpunkt der Betrachtung<br />
auf drei Entwicklungslinien gelegt,<br />
welche den Beratungs- und Qualifizierungsprozess<br />
zunehmend prägen:<br />
• die Drittmittelakquisition<br />
• die Fördersynergien<br />
• die Parallelität von Bauen und Betreiben<br />
„Drittmittel aus der zivilen<br />
Bürgergesellschaft“<br />
Die bürgerschaftlichen Projektträger von „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“ bringen erhebliche Ressourcen<br />
des ehrenamtlichen Engagements, geldwerter<br />
professioneller Leistungen sowie neue Ideen<br />
und Impulse in die lokalen Stadtgesellschaften<br />
ein. Dies ist eine der Voraussetzungen für die<br />
Förderung aus dem Programm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“.<br />
Weil die geldwerten Ersatzleistungen<br />
wie bauliche Selbsthilfe oder gespendete Architektenleistungen<br />
und die originären Barmittel<br />
aus Mitgliedsbeiträgen und kleinen Spenden,<br />
aber auch die finanziellen Unterstützungen<br />
durch die Städte und durch das Land im Ergebnis<br />
in immer mehr Fällen für eine Projektrealisierung<br />
nicht ausreichen, ist der Druck, weitere<br />
Geldquellen zu erschließen, in den letzten Jahren<br />
deutlich gewachsen. In vielen Projekten, die<br />
zwischen 2005 und 2008 in die Realisierung<br />
gebracht wurden oder die sich in der Qualifizierung<br />
vor einer Förderempfehlung befinden,<br />
wurden neue Wege erschlossen, die, wenn man<br />
sie systematisieren will, auf drei Zugänge zugespitzt<br />
werden können:<br />
• kommunalnahe Geldquellen (über kommunale<br />
Partnerschaften)<br />
• „lokaler Wohlstand“ und lokale Wirtschaft<br />
(Spenden und Sponsoring)<br />
• Mittelakquisition über Stiftungen<br />
Um trotz schwieriger kommunaler Haushaltssituationen<br />
und bei so genannten „freiwilligen<br />
Leistungen“ handlungsfähig zu bleiben, werden<br />
auch bei „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ über die<br />
Städte und Gemeinden zunehmend kommunalnahe<br />
Unternehmen im Hinblick auf finanzielle<br />
Hilfen bei der Aufbringung von Eigenanteilen<br />
oder bei der Unterstützung im Betrieb<br />
Joachim Boll ist Inhaber von und Kerstin<br />
Bohnsack ist Mitarbeiterin bei startklar.<br />
projekt.kommunikation. Sie organisieren<br />
das Landesprogramm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
im Auftrag des Ministeriums für Bauen<br />
und Verkehr (MBV) des Landes Nordrhein-<br />
Westfalen. Joachim Boll hat bei der Internationalen<br />
Bauausstellung (IBA) Emscher<br />
Park u.a. schon das Vorläuferprogramm<br />
gesteuert.<br />
linke Seite: Abendstimmung im Projekt<br />
Becker&Funck in Düren<br />
29
Projekte und Projekterfahrungen 2004 bis 2008<br />
30<br />
angesprochen wie Energieversorger, Stadtwerke,<br />
Stadt- und Kreissparkassen oder Wohnungsunternehmen.<br />
Zugenommen hat auch das Werben um „wohlhabende<br />
Mitbürger“ und um die lokale Wirtschaft,<br />
wobei dies für zahlreiche bürgerschaftliche<br />
Projektträger und Kommunen ein noch<br />
nicht ausreichend entwickeltes Feld darstellt.<br />
Während im Bereich der Kulturpolitik und in<br />
bestimmten Bereichen der Kinder- und Jugendpolitik<br />
bereits seit 10 bis 20 Jahren Ansätze einer<br />
solchen Tradition entwickelt wurden, ist<br />
dies für Querschnittsprojekte, wie in aller Regel<br />
bei „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“, noch mit sehr viel<br />
Überzeugungsarbeit verbunden.<br />
Die Stiftungslandschaft hat sich in den letzten<br />
Jahren deutlich weiter entwickelt (siehe hierzu<br />
die Beiträge von Nährlich/Hellmann in Teil I sowie<br />
von Bohnsack in Teil III dieses Buches). Im<br />
Hinblick auf eine gezielte Mittelakquisition<br />
über Stiftungen ist für „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-Projektträger<br />
eines der Kernprobleme der Zugang<br />
zum „Stiftungsdschungel“ generell und im<br />
Einzel fall zu einmal identifizierten Stiftungen.<br />
Insgesamt wird das Erschließen von zusätzlichen<br />
Finanzierungsquellen auch für „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“ deutlich an Bedeutung gewinnen.<br />
Hierauf gilt es in Zukunft mehr Aufmerksamkeit<br />
zu richten. Dies ist natürlich zunächst ein<br />
Hinweis für die I<strong>nitiative</strong>n und daraus entstehende<br />
bürgerschaftliche Projektträger. Es ist<br />
aber auch eine Herausforderung für die Spitzen<br />
der Kommunen. Bürgermeister können hier unter<br />
Umständen sehr glaubwürdig Türen öffnen<br />
und Netzwerke knüpfen. Aber auch von der<br />
Landesseite können Orientierungshilfen etwa<br />
beim Zugang zum „Stiftungsdschungel“ hilfreich<br />
sein und Hinweise auf sich zunehmend<br />
regional organisierende Stiftungsverbünde<br />
gegeben werden. Darauf zu drängen und Hilfestellungen<br />
zu geben, wird sicher ei ne der Zukunftsaufgaben<br />
des Managements „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“ sein. Das systematische „Fund raising“<br />
wird dabei ebenfalls eine der Zukunftssicherungen<br />
und Tätigkeitsfelder von Projektträgern<br />
sein, im Idealfall in öffentlich-privater<br />
Partnerschaft.<br />
All dies verändert immer deutlicher das Verhält<br />
nis von Förderung, Kommunen und Pro jekt-<br />
i<strong>nitiative</strong>n und damit auch die Projektqualifizierung<br />
vor einer Förderentscheidung. Die För-<br />
derung aus dem Programm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
wird zum Impuls für immer vielfältigere Partnerschaften.<br />
Eine ausschließliche Projektfinanzierung<br />
aus Landesförderung plus Engagement<br />
der Projekti<strong>nitiative</strong> reicht immer seltener für<br />
eine Realisierung aus. In der Praxis finden sich<br />
neben der Förderung aus „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
zunehmend Mischfinanzierungen aus den originären<br />
Beiträgen der bürgerschaftlichen Projektträger<br />
und den zuvor genannten Quellen.<br />
Es wird in Zukunft immer stärker darum gehen,<br />
neue lokale Partnerschaften zur Unterstützung<br />
von I<strong>nitiative</strong>n aus der Stadtgesellschaft zu<br />
befördern. Zentral ist hierbei, dass auf kommunaler<br />
Ebene Berührungsängste zu „agilen Teilen“<br />
einer sich immer weiter ausdifferenzierenden,<br />
pluralistischen Stadtgesellschaft in den<br />
Hintergrund treten und die Bereitschaft weiter<br />
wächst, diese auch personell und mit Knowhow<br />
(außerhalb finanzieller Haushaltsressourcen)<br />
zu unterstützen.<br />
Synergien und Bündelungen von<br />
Förderstrategien<br />
Innerhalb des Fördergeschehens hat sich in<br />
den Jahren 2005 bis 2008 ein Trend verstärkt,<br />
welcher die Bündelung von strategischen Förderansätzen<br />
präferiert, den Wettbewerb um<br />
zielgenauen und effektiven Mitteleinsatz propagiert,<br />
um so vielfältige Synergien zu erzeugen.<br />
Konkret bedeutet dies, dass nur in sehr begründeten<br />
Sonderfällen herausragende<br />
Einzelprojekte gefördert werden sollen, dass<br />
Projekte auch bei „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ in gebietsbezogene<br />
Handlungsprogramme eingebunden<br />
sein sollen, dass sie Beiträge zu Handlungsschwerpunkten<br />
der jeweiligen Stadt (teil) -<br />
entwicklungspolitik leisten sollen und dass sie<br />
sich einordnen in die großen Schwerpunkte der<br />
Städtebauförderpolitik des Landes Nordrhein-<br />
Westfalen.<br />
Wenn die realen „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-Projekte<br />
sowie die Beratungs- und Qualifizierungsprozesse<br />
betrachtet werden, so tragen diese Projekte<br />
zur Stärkung von Förderstrategien vor allem<br />
in folgenden drei Schwerpunkten bei:
Regionalen<br />
Das Impulsprogramm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
hat te von 1996 bis 2000 mit der Internationalen<br />
Bauausstellung (IBA) Emscher-Park die erste<br />
große „regionale Plattform“ in Nordrhein-<br />
Westfalen und das entsprechende Struktur-<br />
programm als Hintergrund. Die überwiegende<br />
Zahl der Projekte aus dieser Zeit waren eingebettet<br />
in einen Strukturwandel- und Modernisierungsprozess<br />
des nördlichen Ruhrgebiets<br />
und sie hatten oftmals den zusätzlichen strategischen<br />
Hintergrund der „Sozialen Stadt“ (damals<br />
noch „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“).<br />
Bis heute kommen im Rahmen<br />
von „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ immer wieder Projekte<br />
im Ruhrgebiet zum Zuge, die gut zu den<br />
während der IBA-Zeit entwickelten strategischen<br />
Zielen einer langfristigen Regionalentwicklung<br />
passen (Emscher Landschaftspark, Industriekultur).<br />
Schon mit der Regionale 2006 im Raum Remscheid-Solingen-Wuppertal<br />
und der EuRegionale<br />
2008 im Aachener Grenzraum wurden<br />
Projektkooperationen mit „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
geschlossen. Mit der Regionale 2010 Agentur<br />
im Rheinland wurde erstmals eine strukturellere<br />
Kooperation aufgebaut (siehe hierzu auch<br />
den Beitrag von Molitor in Teil I). Hier konnte<br />
eine Vielzahl von Projekten auf den Weg gebracht<br />
werden, die in den Jahren bis 2010 und<br />
danach erst richtig sichtbar werden. Derartige<br />
Kooperationen machen aus Sicht des Programms<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ viel Sinn, weil sie<br />
in aller Regel „Anerkennungsplattformen“ für<br />
bürgerschaftliches Engagement darstellen und<br />
von daher Motivationen verstärken können. Da<br />
die Regionalen aber auch einen „Innovationsauftrag“<br />
haben, sind sie eher „Kopföffner“ und<br />
Motivatoren für Experimente und Neues. Die<br />
Gefahren für Projektinitiatoren, an kommunalpolitischen<br />
Hürden zu scheitern, sind somit geringer.<br />
Regionalen können gut dazu beitragen,<br />
auf kommunalen Ebenen Mut für Neues zu<br />
entfalten. Gleichzeitig werden die bürgerschaftlichen<br />
Projekte an Stadt- und Regionalentwicklungsprozesse<br />
herangeführt, sie erhalten<br />
mehr Aufmerksamkeit und können so<br />
größere Kraft freisetzen. Sie gewinnen dann in<br />
aller Regel weitere dauerhafte Partner und ein<br />
„freundlicheres Umfeld“, allesamt gute Faktoren<br />
für einen dauerhaft stabilen Betrieb. Diese<br />
Erfahrungen gilt es, auch im Hinblick auf die<br />
neuen Regionalen 2013 in Südwestfalen und<br />
2016 im westlichen Münsterland, zu nutzen.<br />
Kulturelles Erbe<br />
Denkmalschutz, Industriekultur und die Bewahrung<br />
eines historischen kulturellen Erbes<br />
gehören zu den großen „Energiequellen“ für<br />
bürgerschaftliches Engagement, und stellen<br />
gleichzeitig wichtige Bausteine für die ökonomische<br />
Zukunft unserer Städte und Regionen<br />
dar. Nur Städte und Regionen, die unter anderem<br />
unverwechselbare Traditionen erschaffen,<br />
können Menschen dauerhaft an sich binden<br />
und sind langfristig attraktiv. Gerade in mittleren<br />
und kleineren Städten und Gemeinden bieten<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-Projekte durchaus<br />
große Chancen, durch überschaubare Projekte<br />
und mit dem Potenzial eines engagierten<br />
Stadtbürgertums perspektivische Stadtentwicklungspolitik<br />
und Innenstadtentwicklung<br />
anzugehen (siehe die Beispiele Wipperfürth,<br />
Fröndenberg oder Höxter). Der formelle Denkmalschutz<br />
ist dabei oftmals ein hilfreiches Instrument.<br />
Im Sinne von „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ ist<br />
aber noch entscheidender, dass sich unverwechselbare<br />
historische, stadt- oder regionalgeschichtliche<br />
Identität mit den Projekten verbinden<br />
lässt. Welche Kraft des Engagements<br />
sich hieraus entwickeln lässt, zeigen viele der<br />
Projektbeispiele seit 1996. Alles deutet darauf<br />
hin, dass gerade dies einer der wesentlichen<br />
Schwerpunkte bei „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ bleiben<br />
wird – auch im Sinne des städtebaulichen<br />
Denkmalschutzes.<br />
Soziale Stadt<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ kann auch in den Förderkulissen<br />
der „Sozialen Stadt“ (oder von Stadtumbau<br />
West) über konkrete Projekte Impulse<br />
setzen (siehe hierzu auch den Beitrag von<br />
Jasper im Teil I). Im Sinne eines verantwortlichen<br />
bürgerschaftlichen Engagements sind die<br />
Rahmenbedingungen allerdings deutlich<br />
schwie riger, weil die Stadtbereiche gerade wegen<br />
besonderer struktureller Probleme in diese<br />
Programme aufgenommen wurden, also das<br />
bürgerschaftliche Engagement dort grundsätzlich<br />
nicht stark ausgeprägt ist. Seit 1996<br />
hat sich immer wieder gezeigt, dass insbesondere<br />
über Kulturi<strong>nitiative</strong>n an der Schnittstelle<br />
zur Kulturwirtschaft in Stadtteilen der Sozialen<br />
Stadt „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-Projekte entstanden<br />
sind (seit 1996/97 das Depot in der Dortmun-<br />
Projekte und Projekterfahrungen 2004 bis 2008<br />
31
Projekte und Projekterfahrungen 2004 bis 2008<br />
32<br />
der Nordstadt, seit 2002/05 die Huppertsbergfabrik<br />
in Wuppertal-Ostersbaum, dann aber<br />
auch das Ledigenheim in Dinslaken-Lohberg<br />
oder die Fabrik Becker&Funck in Düren Süd-<br />
Ost). Für derartige I<strong>nitiative</strong>n ist gerade die<br />
Kombination aus baulicher Investitions- und<br />
betrieblicher Anschubförderung interessant.<br />
Im Bereich sozialer Projekti<strong>nitiative</strong>n gibt es<br />
über die letzten 10 Jahre gesehen eine größere<br />
Bereitschaft, sich außerhalb klassischer Sozialeinrichtungen<br />
zu engagieren. Zumindest deuten<br />
Projekte wie das HELL-GA-Stadtteilzentrum<br />
in Düsseldorf-Garath oder die Stadtteilwerkstatt<br />
Canyon in Köln-Chorweiler auf die darin<br />
liegenden Chancen hin.<br />
Projekte von „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ können Initial-Projekte<br />
im Rahmen der „Sozialen Stadt“<br />
sein, sie können zu Verstetigungsprozessen<br />
und zum Aufbau nachhaltiger Strukturen beitragen.<br />
In jedem Fall benötigen derartige Projekte<br />
aber einen deutlich „längeren Atem“ als<br />
Projekte außerhalb der Förderkulissen dieser<br />
Stadtteile; sie benötigen eine längere Begleitung<br />
und den Aufbau eines freundlichen und<br />
unterstützenden Umfeldes.<br />
Überragende Bedeutung der parallelen<br />
Qualifizierung von Bauen und Betreiben<br />
Eigentlich ist es eine banale und von allen<br />
schnell akzeptierte Erkenntnis: Bauen und Betreiben<br />
gehören für ein erfolgreiches Projekt<br />
zusammen. Diese Erkenntnis dringt zwar mehr<br />
und mehr ins Bewusstsein, drückt sich aber<br />
noch immer nicht durchgängig in entsprechendem<br />
Handeln in der Praxis aus. Die Förderpraxis<br />
ist weiterhin in hohem Maße auf das Bauen fixiert.<br />
Vor allem steht das Bauen in der Umsetzungsabfolge<br />
gleich am Anfang. Dies führt oft<br />
dazu, dass das Bauen von vielen Beteiligten mit<br />
Nachdruck und zügig vorangetrieben wird bis<br />
hin zu dem Wunsch bzw. der Forderung, mit<br />
dem Bauen schnell beginnen zu wollen. Das Betreiben,<br />
also die Gründung von Trägergesellschaften,<br />
klare Organisationsstrukturen für den<br />
Betrieb, vor allem die verbindliche Einbindung<br />
von Betriebspartnern und der Aufbau von belastbaren<br />
Wirtschaftskonzepten für Teilbereiche<br />
und das Gesamtprojekt werden zeitlich gerne<br />
nach hinten geschoben, weil sie von der Umsetzung<br />
her in aller Regel erst im unmittelbaren<br />
Vorfeld der baulichen Fertigstellung anstehen.<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ hat – auch im Vergleich<br />
mit Förderprojekten aus anderen Handlungsfeldern<br />
– den großen Vorteil, dass wegen der<br />
bürgerschaftlichen Projektträgerschaften von<br />
vorneherein belastbare Träger-, Betriebs- und<br />
Wirtschaftlichkeitskonzepte als Fördervoraussetzung<br />
herausgearbeitet werden müssen. Dadurch<br />
dass seit 1999/2000 immer mehr Projekte<br />
von „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ in den Betrieb<br />
gehen, sich also dem „Ernstfall“ nach der Bauphase<br />
stellen müssen, kann inzwischen auf<br />
sehr viel Betriebspraxis zurückgegriffen werden.<br />
Diese Erfahrungen bestätigen die überragende<br />
Bedeutung der parallelen (und nicht<br />
hintereinander geschalteten) Qualifizierung<br />
von Bauen und Betreiben. Betriebskonzepte,<br />
Wirtschaftspläne und Partnerschaftskonstellationen<br />
müssen belastbar stehen, wenn erste Finanzierungsmittel<br />
für das Bauen fließen sollen.<br />
Das Bauen hat klare Verfahrensregeln. Zur Förderempfehlung<br />
durch den Beirat „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“ bzw. zum Förderantrag müssen mindestens<br />
eine Vorplanung und eine Kosten schät -<br />
zung nach DIN 276 vorliegen, vor der Bewilligung<br />
sind diese zu einer Planung (am besten<br />
zur Genehmigungsplanung) und einer Kostenberechnung<br />
nach DIN 276 weiter durchzuarbeiten.<br />
Ein vergleichbares Regelwerk für die Vorbereitung<br />
des Betriebs gibt es nicht. Aus der<br />
Bera tungserfahrung gehören mindestens dazu:<br />
• die verbindliche Klärung der Trägerschaftskonstruktion<br />
(organisatorisch, juristisch,<br />
steuer- und gemeinnützigkeitsrechtlich, personelle<br />
Verantwortungen für Vorstand, Geschäftsführung,<br />
„Finanzminister“, „Bauminister“,<br />
Beiratskonstruktionen),<br />
• die verbindliche Klärung der Eigentumssituation,<br />
der sich daraus ergebenden Aufgaben<br />
und der finanziellen Folgen für den Betrieb,<br />
• ein plausibler betrieblicher Wirtschaftsplan<br />
über mindestens 5 Jahre mit durchgearbeiteten<br />
Teilwirtschaftsplänen für die Gebäudewirtschaft,<br />
das Projektmanagement, für<br />
jeden einzelnen Geschäfts- oder Aktivitätsbereich,<br />
für Rücklagen und Abschreibungen,<br />
• Absicherung der Eigenanteile neben der öffentlichen<br />
Förderung.<br />
Bis zur Förderempfehlung durch den Beirat „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“ bzw. bis zum Förderantrag<br />
muss der Rahmen stehen, der dann in der Zeit<br />
bis zur Förderbewilligung mit nachvollziehba-
en Schrit ten verbindlich gemacht werden<br />
muss, wie etwa die Gründung von Betriebsgesell<br />
schaf ten, der Nachweise von Eigenanteilen<br />
oder von rechtsverbindlichen Erklärungen. Bevor<br />
dies nicht geschehen ist, sollten keine Förderentscheidungen<br />
bzw. Bewilligungen (auch<br />
keine vorgezogenen für das Bauen!) ausgesprochen<br />
werden.<br />
Dies sind viele, auch sehr formale Herausforderungen.<br />
An diesen Punkten wird aber vor allem<br />
erkennbar, ob es tatsächlich gelingen kann,<br />
neue Verantwortungskoalitionen in den jeweiligen<br />
Stadtgesellschaften sowie neue „öffentlich-private<br />
Partnerschaften“ zu schmieden.<br />
Projekte, insbesondere solche, die von einem<br />
bürgerschaftlich organisierten Träger geschultert<br />
werden, sollten erst in die Realisierung gehen,<br />
wenn sie mit den vorgenannten Klärungen<br />
abgesichert sind. In der Praxis heißt dies,<br />
dass die Qualifizierungsphase vor einer abschließenden<br />
Förderentscheidung nicht selten<br />
bis zu 1 ½ oder 2 Jahre dauert. Dies sind lange<br />
Zeiträume für einen bürgerschaftlichen Projektträger,<br />
in denen sich allseits die Zeit genommen<br />
werden sollte, die angedeuteten Partnerschaften<br />
aufzubauen und diese als belast -<br />
bare Strukturen entwickeln zu lassen.<br />
Gerade weil die Parallelität der Qualifizierung<br />
von Bauen und Betreiben so wichtig und das<br />
formale Regelwerk noch nicht so ausgefeilt ist,<br />
kommt der Bewertung der in der Qualifizierung<br />
erreichten Schritte eine gewisse Bedeutung<br />
zu, damit formale Schritte nicht zu „Killerargumenten“<br />
werden für ein im Grunde gutes<br />
und sich belastbar entwickelndes Projekt. Insofern<br />
haben sich Zwischenschritte und Zwischenabsprachen<br />
unter den Hauptbeteiligten<br />
in der Qualifizierung als gutes Instrument herausgestellt.<br />
Im Hinblick auf die Beratung und<br />
die Förderempfehlung durch den Beirat „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“ wurden inzwischen bei vielen<br />
Projekten Erst- und Zwischenberatungen eingeführt,<br />
die die Projektträger motivieren und<br />
die Projekte nach und nach absichern helfen.<br />
Beteiligung und Teilhabe, Kommunen und<br />
Bürgergesellschaft<br />
Mitte der 90er Jahre war „Bürgerbeteiligung“<br />
eine zentrale Forderung im politisch-gesellschaftlichen<br />
Diskurs. Inzwischen gehört eine<br />
große Formenvielfalt zu einer breit verankerten<br />
Praxis von Beteiligung auf der kommunalen<br />
und lokalen Ebene. Kennzeichnend ist, dass die<br />
Aktivitäten eher von den Kommunen oder anderen<br />
Akteuren wie zum Beispiel aus der Wohnungswirtschaft<br />
ausgehen. Größere öffentlich<br />
wirksame Projekte können heute kaum noch<br />
ohne Informationsveranstaltungen und -broschüren<br />
auskommen. Beteiligungsangebote<br />
sind auch Akzeptanztests – und im besten Falle<br />
bringen sich BürgerInnen aktiv in Planungs-<br />
und Projektvorbereitungsprozesse ein.<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ ging schon Mitte der 90er<br />
Jahre deutlich weiter. Bei „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
wechselt der verantwortliche Akteur von einer<br />
Kommune oder einem Wohnungsunternehmen<br />
zu einem bürgerschaftlichen Projektträger,<br />
um Infrastrukturen mit aufzubauen. Diese<br />
Verantwortung muss dauerhaft und verlässlich<br />
geschultert werden. Derartige Projektträger<br />
können im Idealfall auf Augenhöhe mit den<br />
Kommunen und anderen Institutionen kooperieren.<br />
Diese Formen der „Teilhabe“ waren in den 90er<br />
Jahren noch seltener und sind inzwischen<br />
deutlich mehr verbreitet. So wie Kommunen<br />
mit privaten Investoren verhandeln und zu<br />
Public Privat Partnership (PPP)-Projekten kommen,<br />
beginnt sich auch eine Praxis herauszuarbeiten,<br />
in der Kommunen mit zivilgesellschaft-<br />
lichen I<strong>nitiative</strong>n und eben auch immer<br />
selbstbewusster werdenden bürgerschaftlichen<br />
Projektträgern partnerschaftliche Beziehungen<br />
eingehen. Damit gerät eine viel größere<br />
Breite von Engagement aus einer sich immer<br />
weiter ausdifferenzierenden Stadtgesellschaft<br />
in den Focus: Kulturi<strong>nitiative</strong>n, Bürgervereine,<br />
Stadtteili<strong>nitiative</strong>n, industriekulturelle Vereinigungen,<br />
Bürgerstiftungen, Heimatvereine, lokale<br />
Wirtschaft und viele andere mehr. Für<br />
Kommunen waren derartige stadtgesellschaftliche<br />
Akteure lange eher „Störfaktoren“ und<br />
„Sand im Getriebe“. Heute gehört es zur „good<br />
governance“, diese als „produktiven Humus“<br />
der Stadtgesellschaft zu begreifen und aktiv in<br />
Stadtentwicklungsprozesse einzuflechten.<br />
Projekte und Projekterfahrungen 2004 bis 2008<br />
33
Projekte und Projekterfahrungen 2004 bis 2008<br />
34<br />
Im Folgenden ist eine Auswahl von Projekten<br />
dargestellt, die zwischen 2006 und 2008 baulich<br />
fertig gestellt wurden und ihren Betrieb<br />
aufgenommen haben. Die Auflistung soll die<br />
Breite und Vielfalt im Programm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
verdeutlichen (siehe hierzu auch die<br />
Projektbeschreibungen aus dem Buch „Bürger<br />
machen Stadt – Zivilgesellschaftliches Engagement<br />
in der Stadterneuerung“ aus dem Jahr<br />
2004).<br />
Darüber hinaus befinden sich 2008 viele Projekte<br />
in der Realisierung, die insbesondere im<br />
Zusammenhang größerer regionaler Strategien<br />
stehen, aber erst in den Jahren bis 2010 baulich<br />
fertig gestellt werden. Beispielhaft zu nennen<br />
sind:<br />
• im EuRegionale-2008-Raum: Tuchwerk Aachen,<br />
Kulturzentrum KuKuK im Deutschen<br />
Zollhaus<br />
• im Regionale-2010-Raum: Fischereimuseum<br />
Troisdorf, Schiffsbrücke Wuppermündung,<br />
Kulturausbesserungswerk Leverkusen-Opladen<br />
• im ehemaligen IBA-Raum im Ruhrgebiet:<br />
Bergwerk Hugo Schacht 2, Gelsenkirchen (Industriekultur),<br />
Begegnungszentrum Deusen,<br />
Dortmund (Emscher Landschaftspark)<br />
Projekt 01<br />
Kulturspeicher Dörenthe<br />
Ibbenbüren<br />
Projekt 02<br />
Jacob Pins Forum<br />
Höxter<br />
Projekt 03<br />
Kulturschmiede Fröndenberg<br />
Projekt 04<br />
Alte Drahtzieherei Wipperfürth<br />
Projekt 05<br />
domicil Dortmund<br />
Projekt 06<br />
Stadtteilzentrum HELL-GA<br />
Düsseldorf Garath<br />
Projekt 07<br />
Fabrik Becker & Funck<br />
Düren Süd-Ost<br />
Projekt 08<br />
StadtteilWerkstatt Canyon<br />
Köln-Chorweiler<br />
Projekt 09<br />
Alte Feuerwache<br />
Duisburg-Hochfeld<br />
Projekt 10<br />
Initiativ-Haus Bavierpark<br />
Erkrath<br />
Projekte 11 und 12<br />
Kulturzentrum Bahnhof Werl<br />
Frauenkommunikationszentrum<br />
Bahnhof Herzogenrath<br />
Projekt 13<br />
SchulenBauenPartnerschaften<br />
EuRegio Maas-Rhein
Der Ortsteil Dörenthe liegt im südlichen<br />
Stadt gebiet von Ibbenbüren an der<br />
Schnitt stelle der B 219 mit dem Dortmund-<br />
Ems-Kanal. Direkt am Kanal steht ein Getreidespeicher<br />
an einer kleinen Hafenanlage errichtet.<br />
Da das Speichergebäude seit den 90er<br />
Jahren leer stand, nutzte ihn eine Kulturi<strong>nitiative</strong><br />
seit 1996, die sich später als Förderverein<br />
Kulturspeicher Dörenthe e.V. etablierte. 2001<br />
erarbeitete die Regionale 2004 Agentur in diesem<br />
Raum ein kulturlandschaftliches Freiraumkonzept<br />
unter dem Titel „Dörenther Parklandschaft“.<br />
Hier brachte sich der Förderverein<br />
mit der Idee ein, im Speicher und am Kanal<br />
einen dauerhaften Kulturort entstehen zu lassen.<br />
Regionale und „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ arbeiteten<br />
daraufhin mit dem Förderverein im Jahr<br />
2002 ein Konzept aus und schlugen es zu einer<br />
Förderung vor.<br />
Kultur am Kanal<br />
Das Speichergebäude wurde in der baulichen<br />
Hülle instand gesetzt, im Inneren einfach ausgebaut<br />
und sehr gezielt infrastrukturell aufgerüstet.<br />
Im Hauptgeschoss entstand ein voll<br />
Kulturspeicher Dörenthe<br />
Ibbenbüren<br />
ausgestatteter kultureller Veranstaltungsraum<br />
mit direktem Zugang zum Kanal für Theater<br />
und Musik, für Kleinkunst und Comedy, für<br />
Vorträge und Versammlungen. Das erste Obergeschoss<br />
des Speichers bleibt ein großer und<br />
eher spartanisch ausgestatteter Raum für<br />
(Kunst-)Ausstellungen und Präsentationen. Die<br />
über dem Obergeschoss liegenden Speichergeschosse<br />
bleiben vorerst unausgebaut und ungenutzt.<br />
Das unmittelbar benachbarte zweigeschossige<br />
ehemalige Lagergebäude wurde<br />
mit den beiden Speichergeschossen verbunden.<br />
Hier wurden weitere Ausstellungsflächen<br />
und Atelierräume untergebracht, die ebenfalls<br />
für Kunst- und Kulturaktionen, für Kultur- und<br />
Kunstpädagogik genutzt werden. Der Außenraum<br />
zum Kanal bietet viele Möglichkeiten<br />
vom Hafenfest über Floh- und Weihnachtsmärkte<br />
bis hin zu Kunstaktionen.<br />
Das Nutzungsprofil ist in der Praxis am Standort<br />
seit 1996 langsam gereift. Sogar während<br />
des Umbaus wurde weiter experimentiert, so<br />
dass mit der feierlichen Eröffnung im August<br />
2006 schon vielfältige Erfahrungen vorlagen<br />
und Netzwerke zu weiteren Kulturvereinen in<br />
Eigentümer<br />
Bundesrepublik (Grundstück) und Hafenbetriebe<br />
(Gebäude)<br />
Betreiber<br />
Förderverein Kulturspeicher Dörenthe e.V.<br />
Baukosten<br />
250.000 Euro<br />
Städtebauförderung<br />
200.000 Euro<br />
Eigenanteil<br />
50.000 Euro (Selbsthilfe und Spenden)<br />
Projektentwicklung<br />
2001 bis 2003<br />
Bauliche Realisierung<br />
2004 bis 2006<br />
Betrieb<br />
seit 2007 (Vorlauf im Provisorium)<br />
www.kulturspeicher.de<br />
Projekt 01<br />
35
Kulturspeicher Dörenthe<br />
36<br />
der Region und zur regionalen Kulturpolitik<br />
insbesondere des Kreises geknüpft waren. Seitdem<br />
kann der Förderverein mit verbesserter Infrastruktur<br />
sein Engagement voll in die inhaltliche<br />
Weiterentwicklung investieren: temporäre<br />
Werkstätten, Ausstellungen und Workshops,<br />
kulturelle Kleinveranstaltungen (wie Jazz-Frühschoppen),<br />
Feste und Gemeinschaftsaktionen<br />
mit den Dörenther Vereinen, Vermietungen an<br />
Vereine und I<strong>nitiative</strong>n aus der Region.<br />
Engagement für Kultur<br />
Planung und Umbau wurden durch einen Architekten<br />
als aktives Vereinsmitglied „mit viel<br />
Herzblut“ vorangetrieben. Die Aktiven in Vorstand<br />
und Verein brachten viele Stunden der<br />
baulichen Selbsthilfe ein und akquirierten<br />
Spenden für den Eigenanteil zur Förderung;<br />
insgesamt kam so ein Eigenanteil von 50.000<br />
Euro zustande. Organisation und Betrieb des<br />
Kulturspeichers laufen im „ehrenamtlichen<br />
System“ des Vereinsvorstands: Veranstaltungsmanagement,<br />
Kooperation mit Vereinen und<br />
Veranstaltern, Hausmeister- und Öffnungsdienste,<br />
und vieles andere mehr.<br />
Markenzeichen der Region<br />
Der Kulturspeicher Dörenthe hat sich zu einem<br />
Markenzeichen entwickelt, zu einer visuellen<br />
und touristischen Landmarke am Kanal, aber<br />
auch zu einem ungewöhnlichen kulturellen<br />
Veranstaltungsort.
Kulturspeicher Dörenthe<br />
37
Projekt 02<br />
Eigentümer Jacob Pins Gesellschaft e.V.<br />
Betreiber Jacob Pins Gesellschaft e.V.<br />
Baukosten Gebäude 2.641.000 Euro<br />
Denkmalbedingte Mehrkosten Gebäude<br />
970.000 Euro (680.ooo Euro Städtebauför-<br />
derung, 290.000 Euro Eigenanteil Stadt)<br />
Projektkosten Jacob Pins Forum<br />
1.120.000 Euro (997.000 Bauen,<br />
122.500 Euro Anschub Betrieb)<br />
Städtebauförderung Jacob Pins Forum<br />
796.000 Euro<br />
Eigenanteil Jacob Pins 324.000 Euro<br />
Projektentwicklung Jacob Pins Forum<br />
2004 und 2005<br />
Bauliche Realisierung bis 2008<br />
Eröffnung Jacob Pins Forum April 2008<br />
www.jacob-pins.de<br />
38<br />
Jacob Pins Forum<br />
Höxter<br />
Höxter ist eine Stadt der „Weserrenaissance“,<br />
in ihrer Altstadt konzentrieren sich<br />
viele Adelshöfe aus dem 16. Jahrhundert. Die<br />
Stadt kümmert sich seit langem um die Erneuerung<br />
und Sanierung des historischen Stadtkerns.<br />
Ein herausragendes Beispiel unter den<br />
Hofanlagen ist der Heisterman von Ziehlbergsche<br />
Hof in der Westerbachstraße. Im Jahr<br />
2000 ging diese Anlage in Privateigentum<br />
über und wurde seitdem für eine denkmalgerechte<br />
Instandsetzung sowie eine Umnutzung<br />
vorbereitet.<br />
Jacob Pins ist ein jüdischer Künstler aus Höxter.<br />
1936 gelang es ihm, nach Palästina zu emigrieren,<br />
seine Eltern wurden 1941 von den Nazis ermordet.<br />
Jacob Pins lebte seit Ende des Zweiten<br />
Weltkriegs in Israel und arbeitete dort als<br />
Künstler. Er nahm in den 60er Jahren wieder<br />
Kontakt auf mit seiner früheren Heimat; 1967<br />
und 1979, dann wieder 1989 und 1995 fanden<br />
Ausstellungen seiner Bilder und Drucke in Höxter<br />
statt. 2002/2003 vermachte er einen Großteil<br />
seines Werks seiner Geburtsstadt. Darauf<br />
gründete sich 2003 die Jacob-Pins-Gesellschaft<br />
e.V. aus der Mitte der Bürgerschaft Höxters mit<br />
dem Ziel, das Lebenswerk von Pins zu bewahren<br />
und zu präsentieren sowie gleichzeitig an<br />
das verloschene jüdische Leben in der Stadt zu<br />
erinnern.<br />
Kunst, jüdisches Leben, Bürgertreff,<br />
Stadtgeschichte<br />
2003/2004 kamen beide angedeuteten Entwicklungslinien<br />
zusammen. Die Jacob-Pins-Gesellschaft<br />
nahm die Chance wahr, in dem sorgfältig<br />
restaurierten Adelshof mitten in der<br />
Altstadt das Jacob-Pins-Forum aufzubauen.<br />
Hier werden inzwischen in einem schönen historischen<br />
Ambiente die Bilder des Künstlers<br />
ausgestellt und es wurde ein Archiv zu seinem<br />
Schaffen aufgebaut. In einem zweiten Ausstellungsteil<br />
wird am Beispiel der Familie Pins das<br />
Leben jüdischer Familien nachgezeichnet; die<br />
Lage des Adelshofs und des Forums mitten in<br />
der Altstadt ermöglicht auch Erkundungen zu<br />
Orten des früheren jüdischen Lebens in der<br />
Stadt. Über Veranstaltungen zu den Ausstellungen<br />
und über einen „Weinkeller“ wird zukünftig<br />
ein Bürgertreff organisiert. Damit ist<br />
ein öffentlicher Ort entstanden, der in original
hergestellten Räumen das Leben in Adelshöfen<br />
des 16. bis 18. Jahrhunderts darstellt.<br />
Der Adelshof in der Westerbachstraße wurde bis<br />
2008 in vorbildlicher Weise denkmalpflegerisch<br />
dokumentiert, instand gesetzt und umgebaut. Der<br />
größte Teil der Anlage konnte in Eigentumswohnungen<br />
umgenutzt werden. Kellergeschoss, Erdgeschoss<br />
und Teile des 1. Obergeschosses wurden<br />
für die öffentliche Nutzung durch das Jacob-Pins-<br />
Forum umgestaltet. Die Eröffnung des Forums<br />
konnte im April 2008 mit großer, auch überregionaler<br />
Aufmerksamkeit gefeiert werden.<br />
Lebendiger Ort, breites bürgerschaftliches<br />
Engagement<br />
Mit dem Jacob Pins Forum gelingt es, auf ungewöhnliche<br />
Weise sowohl eine schönen Ausstellungsort<br />
für einen international bekannten Künstler<br />
und einen Bildungs- und Erinnerungsort zu<br />
schaffen als auch einen positiven und einen sehr<br />
nachdenklichen Teil der Stadtgeschichte gleichzeitig<br />
zu dokumentieren und so durch das Engagement<br />
von Bürgern einen offenen Treffpunkt entstehen<br />
zu lassen.<br />
Jacob Pins Forum<br />
39
Jacob Pins Forum<br />
40<br />
Besonders bemerkenswert ist die breite Verankerung<br />
des Projekts in der Bürgerschaft und<br />
bei der Stadt und darauf aufbauend das ungewöhnliche<br />
ehrenamtliche bürgerschaftliche<br />
Engagement. Dies ist sicher ein Grund dafür,<br />
dass Jacob Pins kurz vor seinem Tod auch die<br />
restlichen Teile seines Gesamtwerks der Jacob-<br />
Pins-Gesellschaft und der Stadt vermacht hat.<br />
Ein weiteres Zeichen für das Engagement ist,<br />
dass es der Jacob-Pins-Gesellschaft bis Ende<br />
2007 gelang, den notwendigen Eigenanteil<br />
von 320.000 Euro über 100 Einzelspenden, Mitgliedsbeiträge<br />
und Aktionen als Barmittel zu<br />
mobilisieren.<br />
Die Jacob-Pins-Gesellschaft ist Eigentümer des<br />
Forums (Teileigentum an der Gesamtanlage im<br />
Rahmen einer Eigentümergemeinschaft). Sie<br />
betreibt im ehrenamtlichen System das Forum,<br />
sichert die regelmäßigen Öffnungszeiten der<br />
Ausstellung, organisiert Führungen, kooperiert<br />
mit diversen Schulen, der Volkshochschule und<br />
bindet sich in touristische Stadtrundgänge ein.
Jacob Pins Forum<br />
41
Projekt 03<br />
Eigentümer<br />
Stadt Fröndenberg<br />
Betreiber<br />
Förderverein Kulturzentrum Fröndenberg e.V.<br />
Baukosten 752.000 Euro<br />
Städtebauförderung 230.000 Euro<br />
Eigenanteil Stadt 153.000 Euro<br />
Eigenanteil über Verein<br />
379.000 Euro (Selbsthilfe, Spenden, <strong>NRW</strong>-<br />
Stiftung, Sparkasse und Stadtwerke)<br />
Projektentwicklung<br />
2003 bis 2005<br />
Bauliche Realisierung<br />
2006 und 2007<br />
Betrieb seit Oktober 2007<br />
www.kulturzentrum-ruhraue.de<br />
42<br />
Kulturschmiede<br />
Fröndenberg<br />
Fröndenberg ist eine Stadt in schöner landschaftlicher<br />
Umgebung an der Ruhr. Lange<br />
war die Stadt geprägt von Industrie, insbesondere<br />
der Papier- und der Kettenproduktion. Die<br />
Papierfabrik Himmelmann stellte Ende der<br />
80er Jahre ihre Produktion ein und hinterließ<br />
ein großes Gelände zwischen der Fröndenberger<br />
Innenstadt und der Ruhr. Große Teile der<br />
Werksanlagen wurden damals abgerissen. Die<br />
Stadt übernahm das Gelände in ihr Eigentum.<br />
Ein engagierter Verein Fröndenberger Bürger<br />
setzte sich schon früh für den Erhalt einiger<br />
Gebäude zur Wahrung der Industriegeschichte<br />
ihrer Stadt ein. So wurde in den 90er Jahren<br />
im ehemaligen Magazingebäude ein Kettenschmiedemuseum<br />
eingerichtet und die Umfassungsmauern<br />
gesichert. Mit dem Kettenschmiedemuseum<br />
und mit dem Erhalt von<br />
Teilen der ehemaligen Papierfabrik kann seitdem<br />
die industriegeschichtliche Vergangenheit<br />
der Stadt wach gehalten werden. Der Außenraum<br />
wurde zur Ruhr hin geöffnet; dem<br />
Verein gelang es, unter anderem mit Unterstützung<br />
des Düsseldorfer Künstlers Markus<br />
Lüpertz, einen mächtigen Trichter aus der Papierproduktion<br />
im Freiraum zu platzieren.<br />
Stadt an die Ruhr – Ort von Kultur und<br />
Freizeit<br />
Die Akzeptanz in der Bevölkerung, das Engagement<br />
der Bürger und das Interesse vieler Fröndenberger<br />
Vereine an dem Standort ließen die<br />
Idee reifen, einen mutigen nächsten Schritt zu<br />
tun: die Erweiterung des Kettenschmiedemuseums<br />
um einen Veranstaltungssaal und damit<br />
den Aufbau eines zentralen Kultur- und<br />
Bürgerzentrums für Fröndenberg. In den Jahren<br />
2003 bis 2005 wurde ein Konzept entwickelt,<br />
das im Ergebnis mittelfristig ein wichtiges<br />
Kapitel der Stadtentwicklung für Frön-<br />
denberg zu einem perspektivischen Abschluss<br />
bringen kann. Mit dem Anbau des Veranstaltungssaals<br />
entstand ein kultureller Mittelpunkt<br />
in der Stadt. Fröndenberg wendet sich<br />
jetzt mit dem Kettenschmiedemuseum, dem<br />
Kulturzentrum und dem kleinen Landschaftspark<br />
dauerhaft der Ruhr zu. Das Kulturzentrum<br />
bietet nicht nur dem vielfältigen traditionellen<br />
Vereinsleben der Stadt eine Heimat, sondern<br />
macht erstmals auch Kulturinteressierten aus<br />
Fröndenberg und seiner Umgebung ein Angebot.<br />
Der Standort entwickelt sich von der Ruhr-
seite her zu einer Visitenkarte für die Stadt<br />
Fröndenberg, was sich durch die Eröffnung des<br />
regionalen Ruhrtalradwegs noch verstärkt hat.<br />
Breit verankerter Trägerverein<br />
Im Jahr 2007 wurde der Bau des Veranstaltungssaals<br />
abgeschlossen. Er hatte seine bauliche<br />
Gestalt in einem Planungsworkshop im<br />
Frühjahr 2005 gefunden, an dem alle örtlich<br />
Verantwortlichen, der Projektarchitekt und externe<br />
Planer beteiligt waren. Der Bauprozess<br />
war in der Verantwortung des Trägervereins.<br />
Aktive aus dem Verein und seinem Umfeld<br />
brachten bauliche Selbsthilfe ein. Die letztendliche<br />
Finanzierung des Baus und der Ausstattung<br />
ist in einer im Projektfortschritt immer<br />
breiter werdenden Koalition gelungen: die<br />
Stadt hat sich ebenso beteiligt wie die <strong>NRW</strong>-<br />
Stiftung, die örtliche Sparkasse und die Stadtwerke.<br />
Hervorzuheben ist, dass es gelang, einen<br />
erheblichen Betrag über Spenden und Bürgschaften<br />
aus der Bevölkerung zu akquirieren.<br />
Im Ergebnis ist das Projekt in der Bevölkerung<br />
breit und gut verankert. Der Verein organisiert<br />
die Projektverantwortung in dieser mittelgro-<br />
Kulturschmiede Fröndenberg<br />
43
Kulturschmiede Fröndenberg<br />
44<br />
ßen Stadt weitgehend in einem ehrenamtlichen<br />
System. Dabei kann er auf die Erfahrungen<br />
aus dem Aufbau des Kettenschmiedemuseum<br />
zurückgreifen, ein Engagement, das sich im<br />
Bauprozess des Kulturzentrums und im anlaufenden<br />
Betrieb erneut bestätigt.<br />
Die Beharrlichkeit des Fördervereins, eine enge<br />
Partnerschaft von Stadt und Verein und die<br />
breite Verankerung in der Stadtgesellschaft<br />
haben ein Projekt zustande gebracht, das sich<br />
mittelfristig als Meilenstein der Fröndenberger<br />
Stadtentwicklung erweisen wird.
Kulturschmiede Fröndenberg<br />
45
Projekt 04<br />
Eigentümer<br />
Stadt Wipperfürth<br />
Träger<br />
Bürgerstiftung „Wir Wipperfürther“<br />
Betreiber<br />
Alte Drahtzieherei GmbH<br />
Investitionskosten<br />
3.160.000 Mio. Euro<br />
Anschubkosten 340.000 Euro<br />
Städtebauförderung<br />
2.800.000 Mio. Euro<br />
Eigenanteile 700.000 Euro<br />
Projektentwicklung 2002 bis 2005<br />
bauliche Realisierung 2005 bis 2007<br />
Betrieb seit 2007<br />
www.altedrahtzieherei.de<br />
46<br />
Kultur- und Veranstaltungszentrum<br />
Alte Drahtzieherei<br />
Wipperfürth<br />
Im Jahr 2002 gründeten engagierte Bürger<br />
die Bürgerstiftung „Wir Wipperfürther“. Ihr<br />
konkretes Ziel: ein Kultur- und Bürgerzentrum<br />
für alle Wipperfürther in der Alten Drahtzieherei<br />
an der Wupper. Wipperfürth hat in der<br />
Kernstadt und seinen weit verstreuten Ortsteilen<br />
ein reiches Vereinsleben mit 100 Vereinen<br />
und zusammen 10.000 Mitgliedern. Es fehlte<br />
aber ein zentraler identitätsstiftender Ort für<br />
die Vereine und das kulturelle Leben.<br />
Mitte der 90er Jahre verkleinerte die Firma Radium<br />
ihren innerstädtischen Produktionsstandort.<br />
Die Stadt sah die Chance, das Gelände<br />
in die Stadtentwicklung einzubinden. In den<br />
Folgejahren wurde auf einer Teilfläche Wohnungsneubau<br />
errichtet, ein kleiner Platz gestaltet<br />
und mit einem neuen Pfarrzentrum an<br />
der Katholischen Kirche gelang eine Verbindung<br />
zur Altstadt, zum Marktplatz und zum<br />
Rathaus auf der einen Seite, und mit der Umnutzung<br />
ehemaliger Industriegebäude von<br />
Radium eine Verbindung zur Wupper auf der<br />
anderen Seite. Hier steht auch die Alte Drahtzieherei,<br />
die durch eine schmale Brücke mit<br />
dem übrigen Gelände verbunden ist.<br />
Der Gedanke, in der Alten Drahtzieherei das<br />
lang ersehnte Kultur- und Bürgerzentrum unterzubringen,<br />
lag nahe. Aber Wipperfürth war<br />
zu dieser Zeit Haushaltssicherungskommune,<br />
so dass eine kommunale Trägerschaft und eine<br />
kommunale Finanzierung des Umbaus so gut<br />
wie ausgeschlossen schienen. Das war letztlich<br />
der Anstoß zur Gründung der Bürgerstiftung<br />
aus der Mitte der Bürgerschaft. Beispiele aus<br />
anderen Städten machten Mut. Anfänglich in<br />
erster Linie als Trägeralternative zur Kommune<br />
gedacht, entwickelte sich eine kleine „Bürgerbewegung“<br />
aus aktiven Vereinen, vielen Einzelpersonen,<br />
der lokalen Wirtschaft und der Volksbank<br />
sowie aus der lokalen Politik.<br />
Aus der anfänglichen Idee entstand zwischen<br />
2002 und 2005 ein komplexes Projekt. Anfang<br />
2003 wurde in einer „Zukunftswerkstatt“ die<br />
Grundlage des Nutzungskonzepts erarbeitet.<br />
In den Räumen der Alten Drahtzieherei mit<br />
einer Grundfläche von 1.200 qm sollte ein zentraler<br />
Ort für die Wipperfürther Vereine entstehen,<br />
aber auch ein Kultur- und Veranstaltungszentrum<br />
für das Oberbergische, ein schöner<br />
Aufenthaltsort an der Wupper und ein Ort für
die Wipperfürther Jugend. Ein großer Veranstaltungssaal<br />
für über 1.000 Personen wurde<br />
geplant, ein kleiner für 100 bis 200 Personen<br />
kam hinzu. Eine Gastronomie wurde als Teil der<br />
wirtschaftlichen Basis angedacht. Die Außenflächen<br />
zur Wupper wurden einbezogen, um<br />
einen attraktiven Aufenthaltsort entstehen zu<br />
lassen.<br />
Bürgerstiftung als Plattform und<br />
Projektträger<br />
Um das Projekt zu verwirklichen, gab die Stadt<br />
Wipperfürth die Alte Drahtzieherei als Eigentümerin<br />
im Wege des Erbbaurechts an die Bürgerstiftung<br />
weiter. Die Bürgerstiftung gründete<br />
eine eigenständige Betreibergesellschaft als<br />
GmbH, die für die Stiftung den Veranstaltungs-<br />
und Kulturzentrumsbetrieb einschließlich der<br />
Gastronomie verantwortet. Die GmbH wird<br />
heute von einem Geschäftsführer geleitet, der<br />
aus der Bürgerstiftung kommt; er führt ein<br />
professionelles Veranstaltungs- und Gastronomieteam.<br />
Der Vorstand und viele Aktive der<br />
Bürgerstiftung binden die örtlichen Vereine<br />
ein. Gemeinsam mit der GmbH pflegen sie die<br />
Alte Drahtzieherei Wipperfürth<br />
47
Alte Drahtzieherei Wipperfürth<br />
48<br />
Kontakte zu Bürgerschaft und Wirtschaft. Die<br />
Stadt Wipperfürth beteiligt sich mit ihren Aktivitäten<br />
der kommunalen Kulturpolitik und unterstützt<br />
die Jugendarbeit. Über 5 Jahre wächst<br />
so seit 2002 eine ungewöhnliche Partnerschaft<br />
heran, die die Grundlage wird für eine dauerhafte<br />
und belastbare Trägerschaft.<br />
Es galt aber auch von Anfang an, eine positive<br />
Wirtschaftlichkeitsperspektive zu erreichen,<br />
die die Ansprüche einer auf Gemeinnützigkeit<br />
ausgerichteten Bürgerstiftung, eines professionellen<br />
Kultur- und Veranstaltungsbetriebs, einer<br />
Gastronomie im Eigenbetrieb, der Gebäudewirtschaft<br />
und einer Geschäftsführung<br />
unter einem Dach zusammen bringt. Wirtschaftlich<br />
entscheidend sind der Veranstaltungs-<br />
und der Gastronomiebetrieb. Sie müssen<br />
die gemeinnützigen, kulturellen und<br />
so zialen Projekte absichern, aber auch die Kosten<br />
für Gebäude und das Projektmanagement<br />
erwirtschaften. Im Ergebnis ist seit 2007 ein<br />
Betrieb mit einem Jahresumsatz von 500.000
is 600.000 Euro im Aufbau. Architekten, Stadt<br />
und Bürgerstiftung verantworteten gemeinsam<br />
den Planungs- und Bauprozess. Dabei die<br />
Kosten, die Bauzeiten und die Gesamtfinanzierung<br />
im Blick zu haben, erforderte besondere<br />
Anstrengungen. Die Kosten mussten alleine<br />
schon wegen der notwendigen Eigenanteile<br />
der Bürgerstiftung in der Planungsphase eingegrenzt<br />
und in der Bauphase laufend angepasst<br />
werden u.a. aufgrund von Bauverzögerungen<br />
aber auch durch den Abgleich von<br />
Planung und beabsichtigtem Betrieb.<br />
Der Eigenanteil von 700.000 Euro über die Bürgerstiftung<br />
war eine weitere Herausforderung.<br />
200.000 Euro konnten über die Stadt beigesteuert<br />
werden, 60.000 Euro über Schenkungen<br />
und Großspenden aus der örtlichen Wirtschaft,<br />
20.000 Euro über bauliche Selbsthilfe<br />
und Barmittel aus kleineren Spenden. Rund<br />
50% wurden zunächst über einen Sonderkredit<br />
der Volksbank abgesichert.<br />
Perspektive für Stadt und Bürgerschaft<br />
Im Herbst 2007 ging die Alte Drahtzieherei in<br />
Betrieb. Baulich wurde hier der „Schlussstein“<br />
gesetzt für eine Stadtentwicklung, die das<br />
Stadtleben wieder an die Wupper führt. Für die<br />
Bürgerschaft ist eine Attraktion entstanden,<br />
die auch über die Stadtgrenzen hinaus wirkt.<br />
Aufgabe der Bürgerstiftung wird es bleiben, die<br />
Plattform stetig zu verbreitern, auf der das Projekt<br />
aufbaut.<br />
Alte Drahtzieherei Wipperfürth<br />
49
Projekt 05<br />
Eigentümer privat<br />
Betreiber<br />
domicil e.V. und domicil gGmbH<br />
Baukosten 1.883.000 Euro<br />
Städtebauförderung<br />
1.004.000 Euro<br />
Eigenanteil Eigentümer<br />
178.000 Euro<br />
Eigenanteil über Verein<br />
575.000 Euro (Selbsthilfe, Spenden, Sponsoring,<br />
Nutzungsrechte, Darlehen)<br />
Eigenanteil Stadt 126.000 Euro<br />
Projektentwicklung 2002 und 2004<br />
Bauliche Realisierung 2004 bis 2006<br />
Betrieb seit Herbst 2006<br />
www.domicil-dortmund.de<br />
50<br />
domicil<br />
Dortmund<br />
Das „domicil“ ist seit den späten 60er Jahren<br />
eine „Marke“ für einen profilierten<br />
Jazz-Club in Dortmund. Dem domicil-Verein<br />
sind drei bemerkenswerte Dinge gelungen. Seit<br />
seiner Gründung 1968 hat sich der Verein mit<br />
einer ehrenamtlichen Basis von 80 bis 100 Mitgliedern<br />
über die Jahre hinweg immer wieder<br />
„neu erfunden“ und für den Jazz engagiert; es<br />
gibt nur wenige Kulturvereine, deren Mitgliederbasis<br />
über 40 Jahre so stabil ist. Der Verein<br />
hat es weiterhin geschafft, in der Stadt, in der<br />
Region und im Land Nordrhein-Westfalen ein<br />
dichtes Netzwerk zum Thema Jazz zu knüpfen.<br />
Schließlich ist das Veranstaltungsprogramm in<br />
einem seit 1968 bis 2006 betrieben en Jazz-Keller<br />
in der Dortmunder Nordstadt über die Jahre<br />
zu einem der bekanntesten und profiliertesten<br />
Jazz-Clubs in Deutschland geworden.<br />
Neuer Standort im Brückstraßenviertel<br />
Dem Verein und dem Dortmunder Kulturbüro<br />
war seit Ende der 90er Jahre klar, dass „Jazz-<br />
Clubs“ in ihrer eher klassischen Form der Vergangenheit<br />
angehören. Die domicil-Verantwortlichen<br />
haben sich daher neben dem Jazz<br />
immer mehr der Weltmusik zugewandt, auch<br />
um breitere Zielgruppen zu erreichen. Die<br />
Stadt unterstützt das domicil seit 1998 mit einem<br />
Betriebskostenzuschuss im Rahmen seiner<br />
Förderung von Kulturzentren, um seine betriebliche<br />
Basis zu stärken. 2001/2002 rang sich<br />
der Verein dann dazu durch, eine strukturelle<br />
Neupositionierung anzugehen.<br />
Zu dieser Zeit wurde in der nördlichen Randlage<br />
der Dortmunder City ein großes Kino aus<br />
den 50er Jahren frei. Das domicil sah die Chance,<br />
in der Region erstmals ein großes selbstorganisiertes<br />
Musikzentrum aufzubauen und<br />
dem Jazz, der Weltmusik sowie seinen Liebhabern<br />
und Musikern eine große Bühne zu geben.<br />
Die Stadt sah die einmalige Chance der<br />
kulturpolitischen Profilierung und der Verstärkung<br />
der Kulturwirtschaft im „Brückstraßenviertel“,<br />
in dem sich seit langem ein Quartiersmanagement<br />
um eine stadtentwicklerische<br />
Stabilisierung bemüht.<br />
In dieser „Gemengelage“ kam dann Ende 2002<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ ins Spiel. Über zwei Jahre<br />
hinweg wurde zwischen Verein, Stadt und „Ini-
tiative ergreifen“ an einem Projektkonzept gearbeitet,<br />
das schließlich in die Förderung geht.<br />
Mit dem privaten Immobilieneigentümer wurde<br />
als Basis ein langfristig bindender Vertrag<br />
geschlossen. Auf dieser Grundlage konnte das<br />
ehemalige Hansa-Kino vollständig umgebaut<br />
werden. Der große Kinosaal im ersten Obergeschoss<br />
wurde als Raum für größere Musikveranstaltungen<br />
mit bis zu 500 Personen umgebaut.<br />
Ein kleiner Teil des Saals wurde als Club<br />
für ca. 50 Personen abgetrennt, die ehemalige<br />
Galerie für Jazzvereine und Gruppen ausgebaut<br />
und um einen VIP-Raum ergänzt. Das Kinofoyer<br />
wurde zu einem Bistro und zu einem<br />
Treffpunkt in der City umfunktioniert. Bei all<br />
dem blieb das prägende Interieur aus den 5oer<br />
Jahre weitgehend erhalten.<br />
Die Vereinsmitglieder leisteten, beginnend im<br />
Herbst 2004 über den gesamten Bauprozesses<br />
bis zum „Baufinish“ im Herbst 2006, enorm<br />
viele Selbsthilfestunden. Trotz des engen Budgets<br />
wurden immer wieder Lösungen für Kosten-<br />
und Finanzierungsprobleme gefunden.<br />
Neben den Verein trat eine gleichnamige ge-<br />
domicil<br />
51
domicil<br />
52<br />
meinnützige GmbH als Betreibergesellschaft<br />
ergänzend hinzu, um einerseits die Tradition<br />
des Mitgliederengagements zu erhalten, andererseits<br />
aber auch professionellere Strukturen<br />
in Veranstaltungsmanagement und Gastronomie,<br />
in Organisation und Betrieb aufzubauen.<br />
Eine Geschäftsstelle mit einem hauptamtlichen<br />
Geschäftsführer organisiert seit 2006<br />
den Kernbetrieb und nach wie vor engagieren<br />
sich die Mitglieder ergänzend bei vielen Veranstaltungen.<br />
Vorhandene Kooperationen mit<br />
Musikschulen, „ProJazz e.V.“, dem „LandesJugendJazzOrchester“,<br />
WDR5 u.a. konnten ausgebaut<br />
werden oder ganz neu entstehen.<br />
Prominente Adresse<br />
Der Jazz und die Weltmusik haben mit dem domicil<br />
seit 2006 in Dortmund eine prominente<br />
Adresse. Das Programm zieht seit der Eröffnung<br />
2006 viele Musikliebhaber nach Dortmund.<br />
Eine weltoffene urbane Szene von Musikern<br />
und Musikliebhabern hat erstmals einen<br />
Treffpunkt mitten in der Stadt. Mit den vielen<br />
Kooperationspartnern entsteht nach und nach<br />
ein „Kompetenz- und Förderzentrum für Jazz<br />
und Weltmusik“ und das „Brückstraßenviertel“<br />
hat einen weiteren Baustein erhalten in sei nem<br />
kulturellen und musikwirtschaftlichen Profil.
domicil<br />
53
Projekt 06<br />
Eigentümer<br />
Evangelische Kirche<br />
Betreiber<br />
HELL-GA e.V.<br />
Kosten 910.000 Euro<br />
(Umbau, Ausstattung, Anschub)<br />
Städtebauförderung<br />
720.000 Euro<br />
Eigenanteil<br />
190.000 Euro (bauliche Selbsthilfe,<br />
Spenden, Stadt)<br />
Projektentwicklung<br />
2004 bis 2006<br />
Bauliche Realisierung<br />
2007<br />
Betrieb ab 2008<br />
www.hell-ga.de<br />
54<br />
Stadtteilzentrum HELL-GA<br />
Düsseldorf-Garath<br />
Garath-Hellerhof ist ein Stadtteil mit 25.000<br />
Einwohnern im Düsseldorfer Süden. Der<br />
überwiegende Teil besteht aus einer Großsiedlung<br />
des sozialen Wohnungsbaus aus den<br />
60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts.<br />
Auch in Garath zeigen sich die „übli chen“<br />
städtebaulichen und sozialen Probleme der<br />
Großsiedlungen dieser Zeit, wenn auch nicht<br />
so gravierend wie an anderen Standorten in<br />
Nord rhein-Westfalen. Stadt und Wohnungswirtschaft<br />
bemühen sich seit mehreren Jahren<br />
um die Aufwertung der Quartierszentren in<br />
Garath, um eine abgestimmte Politik der Wohnungsbelegung<br />
und um soziale und arbeitsmarktpolitische<br />
Maßnahmen.<br />
2001 begann in der Evangelischen Kirche in<br />
Garath – wie an vielen anderen Orten auch –<br />
eine Diskussion um die Perspektive der Gemeinde<br />
angesichts geringer werdender Kirchenmitglieder<br />
und sinkender Steuer ein nah-<br />
men. Die Schlie ßung der Hoffnungskirche<br />
stand im Raum und insbesondere das daran<br />
angrenzende Gemeindezentrum mit Kindergarten<br />
musste aufgegeben werden. Aus dem<br />
Protest aus der Bevölkerung gegen die Schlie-<br />
ßung entstand eine I<strong>nitiative</strong> von Frauen, die<br />
sich nicht damit abfinden wollte, dass ein<br />
wichtiger sozialer Mittelpunkt im Stadtteil verloren<br />
geht. Sie verharrten aber nicht im Protest,<br />
sondern grün deten 2002 einen Verein,<br />
dessen Name HELL-GA (aus den Stadtteilnamen<br />
Hellerhof und Garath) statt des Kirchenbezugs<br />
schon den ausdrücklichen Stadtteilbezug<br />
herausstellte.<br />
Der Verein mietete die Räumlichkeiten des Gemeindezentrums<br />
zeitlich befristet an, zunächst<br />
mit der Idee, ein „Mütterzentrum“ auf der Basis<br />
von Freiwilligenarbeit aufzubauen. Es entstanden<br />
relativ schnell ein Café als Treff und ein<br />
Secondhand-Laden. Die Resonanz aus der Bewohnerschaft,<br />
aber vor allem auch das Engagement<br />
von weiteren Frauen an einem gemeinsam<br />
gestalteten Projekt war enorm, so dass<br />
bereits 2003 die Räumlichkeiten des ehemaligen<br />
Gemeindezentrums dicht belegt waren. So<br />
kamen Kinderbetreuungsansätze genau so<br />
hinzu wie Beratungs- und Kursangebote, immer<br />
auf der Basis von Freiwilligenarbeit.
Stadtteilzentrum HELL-GA<br />
55
Stadtteilzentrum HELL-GA<br />
56<br />
„Vom Provisorium zur Stadtteilinfrastruktur“<br />
Der Erfolg machte die I<strong>nitiative</strong> mutig, weiter<br />
zu denken. Sie nahm Ende 2003 Kontakt auf<br />
zum Management „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“, um<br />
auszuloten, ob es gelingen könnte, mit Hilfe<br />
des Programms eine dauerhafte Infrastruktur<br />
zu etablieren. In einem intensiven Qualifizierungsprozess<br />
konnte 2004 dann ein Konzept<br />
entwickelt werden, das schließlich die Unterstützung<br />
der Stadt Düsseldorf, der Evangelischen<br />
Kirche und des Landes fand.<br />
Aus einem „Provisorium“ sollte eine dauerhafte<br />
Einrichtung für Garath auf der Basis bürgerschaftlichen<br />
Engagements entstehen. Der Projektansatz<br />
wurde weiter entwickelt zu einem<br />
Familien- und Stadtteilzentrum. Im Mittelpunkt<br />
bleibt ein offenes Cafe/Bistro als Treffpunkt<br />
mit Frühstücks- und Mittagstischangeboten.<br />
Um diesen Kern werden ganz<br />
unterschiedliche und flexible Angebote der<br />
Kinderbetreuung unter 6 Jahre, aber auch<br />
Nachmittagsangebote für Grund- und Hauptschüler<br />
aufgebaut. Hinzu kommen Beratungs-<br />
und Weiterbildungsangebote für Frauen und
Mütter, aber auch für Familien sowie musische,<br />
künstlerische und Sprachförderung. Und mit<br />
dem Secondhand-Shop oder einer Hebammenpraxis<br />
wird darüber hinaus auch Selbständigkeit<br />
eingebunden. Neben langfristig angelegten<br />
„Kernangeboten“ wird bewusst auf<br />
Freiwilligen engagement und Eigenverantwortung<br />
gebaut. So verstehen sich Vereinsvorstand<br />
und professionelle Geschäftsführung als „Projektmotor“,<br />
der die Ansätze anschiebt und auf<br />
den Weg bringt, punktuell unterstützt und Impulse<br />
setzt.<br />
Im Jahr 2007 wurde das Gemeindezentrum in<br />
ein Stadtteilzentrum umgebaut. Der Verein hat<br />
dabei auch die Bauherrenrolle übernommen<br />
und unter Einsatz von viel baulicher Selbsthilfe<br />
aus seinem Umfeld einen wichtigen Beitrag<br />
zur Aufbringung des notwendigen Eigenanteils<br />
erbracht. Die inhaltliche Arbeit wurde teilweise<br />
im Provisorium fortgeführt, teilweise in<br />
einem angemieteten Ladenlokal in der unmittelbaren<br />
Nachbarschaft. Sukzessive zog das<br />
Projekt ab Dezember 2007 in die neuen Räume<br />
ein und nutzt diese komplett seit Mitte 2008.<br />
Das „offene Geheimnis“ des bisherigen HELL-<br />
GA-Erfolgs ist ein auf der Basis von freiwilligem<br />
Engagement und hoher unternehmerisch<br />
denkender Professionalität arbeitendes Kernteam<br />
(Vorstand und Projektverantwortliche).<br />
Diesem ist es gelungen, der Evangelischen Kirche<br />
einen langfristigen Mietvertrag abzuringen,<br />
kommunale Politik und örtliche Akteure<br />
aus den Vereinen, sozialen Einrichtungen und<br />
der lokalen Wirtschaft einzubinden.<br />
HELL-GA ist ein neuer Typus von sozialem<br />
Stadtteilzentrum. Deswegen erfährt das Projekt<br />
besondere Aufmerksamkeit und positive<br />
Begleitung durch die Stadt Düsseldorf und<br />
überregional z.B. durch die Anerkennung als<br />
„Mehrgenerationenhaus“ beim Bundesfamilienministerium.<br />
Seit 2006 ist HELL-GA Modellvorhaben<br />
des Bundesbauministeriums im Ex-<br />
WoSt-Forschungsfeld „Innovationen für<br />
familien- und altengerechte Stadtquartiere“<br />
und übernimmt zusätzlich Aufgaben des sozialen<br />
Quartiersmanagements. HELL-GA ist auf<br />
dem Weg, eine feste Größe im Stadtteil Garath-<br />
Hellerhof zu werden.<br />
Stadtteilzentrum HELL-GA<br />
57
Projekt 07<br />
Eigentümer<br />
Stiftung Fabrik für Kultur & Stadtteil<br />
Betreiber<br />
Stiftung Fabrik für Kultur & Stadtteil<br />
Kosten<br />
3.525.000 Euro (Bauen und Anschub)<br />
Städtebauförderung<br />
2.820.000 Euro<br />
Eigenanteil<br />
705.000 Euro<br />
Projektentwicklung<br />
2002 bis 2004<br />
Bauliche Realisierung<br />
2005 bis 2007<br />
Betrieb<br />
seit November 2007<br />
www.becker-und-funck.de<br />
58<br />
Fabrik für Kultur und Stadtteil Becker & Funck<br />
Düren<br />
Der Stadtteil Düren Süd-Ost ist seit 1999 im<br />
Programm „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“<br />
(heute „Soziale Stadt <strong>NRW</strong>“).<br />
Er hat mit diversen städtebaulichen und sozialen<br />
Problemen zu kämpfen. Mitten im Stadtteil<br />
liegt die ehemalige Papierfabrik Becker&<br />
Funck. Nach ihrer Stilllegung ging das Gelände<br />
Anfang der 90er Jahre in das Eigentum der<br />
Stadt Düren über. In einen Teil der Straßenrandbebauung<br />
an der Friedenstraße zog eine<br />
Kindertageseinrichtung ein, der andere Teil<br />
wurde zur Aufnahme von Flüchtlingen umgenutzt.<br />
Die großen Hallen im Blockinneren blieben<br />
zunächst leer. In den 90er Jahren konnten<br />
einige Hallensegmente für ein Bürgerhaus in<br />
Trägerschaft der Evangelischen Kirche abgetrennt<br />
werden.<br />
Im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“ und<br />
angeregt durch das Programm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
begann 2001/2002 ein Diskussionsprozess,<br />
die übrigen leerstehenden Hallen mit<br />
über 2.000 qm Fläche einer Nutzung zuzuführen<br />
und damit dem Standort Becker&Funck eine<br />
langfristige und dauerhafte Perspektive zu<br />
geben.<br />
Projektentwicklungsprozess in einem<br />
Stadtteil der „Sozialen Stadt“<br />
Unter dem Motto „eine Fabrik für Kultur und<br />
Stadtteil“ machten sich Vereine, Einzelpersonen<br />
aus der lokalen Wirtschaft, die in Düren<br />
auf Stadtteilebene sehr aktive Evangelische<br />
Kirche, das Stadtteilbüro der „Sozialen Stadt“<br />
und die Stadt daran, ein Konzept für die Fabrik<br />
zu erarbeiten. Dies mündete 2002 zunächst in<br />
eine „Zukunftswerkstatt“, dann in einen Kreis<br />
aktiver Personen und in einen breit angelegten<br />
Beteiligungsprozess im Stadtteil. 2003 wurden<br />
dann Unternehmensberater und Architekten<br />
hinzugezogen und es entstanden die Umrisse<br />
des später umgesetzten Konzepts.<br />
Die große Fabrikhalle und das Dampfkesselhaus<br />
stehen unter Denkmalschutz. Diese Gebäude<br />
und der Innenhof mit einer Fußgängeranbindung<br />
an die Binsfelder Straße und an<br />
eine benachbarte Schule werden zu einem<br />
städtebaulichen Mittelpunkt des Stadtteils<br />
und zeigen seine industrielle Vergangenheit.<br />
In die Halle sind Büroeinheiten eingebaut worden,<br />
die an kreativwirtschaftliche kleine Unter-
nehmungen und kulturell-gemeinnützige<br />
Vereine vermietet werden. Die Büroeinheiten<br />
wurden so geplant, dass sie in Form eines Kubus<br />
„in die Halle gestellt“ sind, die Hallenkonstruktion<br />
freigeben und das Hallenerlebnis weiterhin<br />
ermöglichen.<br />
Das großzügige Eingangsfoyer, ein „Clubkeller“,<br />
ein Seminarraum und ein Veranstaltungsraum<br />
können angemietet oder für Stadtteilveranstaltungen,<br />
kleinere Musik- und Kulturevents<br />
und für Sport- und Bewegungsangebote gerade<br />
für die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen<br />
aus dem Stadtteil genutzt werden. Das<br />
Dampfkesselhaus wurde sorgfältig wiederhergestellt<br />
und wird unter anderem von einem<br />
örtlichen Geschichtsverein übernommen. Der<br />
Außenraum eignet sich hervorragend für kleinere<br />
und größere Stadtteilfeste.<br />
Stiftung als dauerhafte Basis<br />
Eigens für das Projekt wurde die „Stiftung Fabrik<br />
für Kultur & Stadtteil“ gegründet. Die Stadt<br />
Düren hat das gesamte Grundstück und die<br />
Gebäude der ehemaligen Papierfabrik in die<br />
Fabrik für Kultur und Stadtteil Becker & Funck<br />
59
Fabrik für Kultur und Stadtteil Becker & Funck<br />
60<br />
Stiftung eingebracht und damit ein Zeichen<br />
gesetzt für die dauerhafte Belebung im Stadtteil.<br />
Die Stiftung ist damit vollzuständig für die<br />
Gebäude(wirtschaft) des Gesamtgeländes, also<br />
nicht nur für die Halle, das Dampfkesselhaus<br />
und den Innenhof, sondern auch für die Vermietung<br />
und Instandhaltung der Straßenrandbebauung<br />
(mit Flüchtlingsheim und Kindertageseinrichtung)<br />
und das Bürgerhaus der<br />
Evan gelischen Kirche verantwortlich. Sie übernimmt<br />
darüber hinaus die Betreiberfunktion<br />
für das zuvor beschriebene Nutzungskonzept<br />
in der Halle und im Dampfkesselhaus. Sie hat<br />
also die entscheidende Gestaltungsfunktion<br />
für den Gesamtstandort. Dies ist eine besondere<br />
Herausforderung und eine Chance.<br />
Die Stiftung hat einen hauptamtlichen geschäftsführenden<br />
Vorstand. Das 7-köpfige<br />
Kuratorium ist aus Vertretern der Stadt, des<br />
Stadtteils, des Fördervereins und der Nutzer<br />
zusammengesetzt. Daneben gibt es weiterhin<br />
den Förderverein, der bis zur Stiftungsgründung<br />
das Projekt mit der Stadt vorangetrieben<br />
hat und einen Beirat, in dem u.a. Vereine aus<br />
dem Stadtteil mitarbeiten.<br />
Becker & Funck ist ein Beispiel für den „langen<br />
Atem“, den man in einem Stadtteil der „Sozialen<br />
Stadt“ für den Aufbau dauerhafter Strukturen<br />
benötigt. Becker & Funck zeigt aber auch<br />
den Willen einer Stadt sowie der Akteure aus<br />
dem Stadtteil und der Stadtgesellschaft insgesamt,<br />
wie eine solche Herausforderung partnerschaftlich<br />
angegangen werden kann.
Fabrik für Kultur und Stadtteil Becker & Funck<br />
61
Projekt 08<br />
Eigentümer<br />
Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der<br />
Waldorfpädagogik in Köln e.V.<br />
Betreiber<br />
StadtteilWerkstatt Chorweiler gGmbH<br />
Kosten<br />
3.160.000 Euro (Bauen und Anschub)<br />
Städtebauförderung<br />
2.520.000 Euro<br />
Eigenanteil<br />
640.000 Euro<br />
Projektentwicklung<br />
2001 bis 2003<br />
Bauliche Realisierung<br />
2004 bis 2006<br />
Betrieb<br />
seit März 2006<br />
www.canyon-chorweiler.de<br />
62<br />
StadtteilWerkstatt Canyon<br />
Köln-Chorweiler<br />
Der Stadtteil Chorweiler im Kölner Norden<br />
ist die größte „Trabantenstadt“ in <strong>NRW</strong><br />
und gilt als eines der Symbole einer verfehlten<br />
Städtebaupolitik der 60er und 70er Jahre des<br />
letzten Jahrhunderts. Schon Mitte der 80er<br />
Jahre setzten Wohnungsunternehmen, Stadt<br />
und Land mit baulichen Korrekturmaßnahmen<br />
an. Mitte der 90er Jahre kam Chorweiler in das<br />
Programm der „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“<br />
(heute „Soziale Stadt <strong>NRW</strong>“),<br />
um unter anderem auch soziale Maßnahmen<br />
für Kinder, Jugendliche und Migranten, aber<br />
auch im Bereich der Arbeitsmarktpolitik angehen<br />
zu können.<br />
Chance für Chorweiler<br />
Am Rand von Chorweiler-Nord siedelte sich Ende<br />
der 90er Jahre eine Waldorfschule an. In der<br />
Tradition der Waldorfpädagogik wurden hier<br />
Angebote der Theater- und Zirkusarbeit sowie<br />
von Tanz und Holzverarbeitung etabliert. Um<br />
diese Angebote in den Stadtteil hineintragen<br />
zu können, entstand die Idee einer eigenständigen<br />
„Stadtteil- oder Freizeitwerkstatt“. Die<br />
Stadt Köln sah die große Chance, einen belast-<br />
baren und verlässlichen Akteur dauerhaft für<br />
Chorweiler zu gewinnen und darüber einen<br />
Beitrag zur sozialen Stabilisierung zu leisten.<br />
Neben der Waldorfschule gab es noch ein städtisches<br />
Grundstück. Erste Baupläne reiften<br />
2001 für ein ambitioniertes Projekt. 2002 wurden<br />
dann die Überlegungen zur Konzeptidee,<br />
zum Bauen und zum Betrieb zu einem tragfähigen<br />
Gesamtprojekt zusammengeführt. Das<br />
Projekt konnte bis 2006 baulich fertig gestellt<br />
werden und ist seitdem in Betrieb.<br />
Neben der Waldorfschule wurde ein imposanter<br />
Neubau errichtet für eine Theater-, Zirkus-<br />
und Bewegungswerkstatt, für ein Therapiezentrum<br />
sowie für einen Kletterbetrieb mit<br />
angeschlossenem Bistro. Das Gebäude lehnt<br />
sich in der Gestaltung an die Schule an, hat<br />
aber mit dem über 10 m hohen Turm („Kletterfelsen“)<br />
eine eigenständige Form. Im Inneren<br />
bietet es eine transparente, einladende und<br />
warme Atmosphäre.<br />
Drei Kernanliegen stehen hinter dem Projekt:<br />
• Mit Theater-, Zirkus-, Tanz- und Bewegungswerkstatt<br />
können Kursangebote in einem
idealen Rahmen realisiert werden, die weit<br />
über die klassischen Zielgruppen von Waldorfschulen<br />
hinausgehen.<br />
• Die Kletterhalle ist zwar der wirtschaftliche<br />
Kern der Tragfähigkeit des Projekts, das Klettern<br />
ist aber auch der „Transmissionsriemen“,<br />
mit dem der Zugang zum Stadtteil, zu<br />
den Jugendlichen und Kindern sowie zu den<br />
Schulen geschaffen werden kann. Hier ordnet<br />
sich das Therapiezentrum ein, das für<br />
Chorweiler und seine Bewohner erstmals eine<br />
therapeutische Versorgung anbietet.<br />
• Canyon ist mit seinen Angeboten gleichzeitig<br />
Basisstation und Partner für Stadtteilarbeit.<br />
Es wird ein Netzwerk mit Schulen, Kinderund<br />
Jugendeinrichtungen aufgebaut, gemeinsame<br />
Abenteuercamps werden in den<br />
Schulferien organisiert. Canyon ist auch Partner<br />
bei Stadtteilfesten und Nachbarschaftsaktionen.<br />
Das Zusammenwirken dieser drei Ansätze ist<br />
das Besondere. Im Werkstattbereich sind Lehrer,<br />
Honorarkräfte und Ehrenamtliche aktiv. Im<br />
Kletterbetrieb muss am Wochenende „Geld gemacht<br />
werden“, in der Woche haben aber Ko-<br />
StadtteilWerkstatt Canyon<br />
63
StadtteilWerkstatt Canyon<br />
64<br />
operationen mit Schulen und Einrichtungen<br />
aus Chorweiler Vorrang. Aufgabe der Geschäfts-<br />
führung ist es, Partnerschaften aufzubauen<br />
und ein Netzwerk mit Stadtteileinrichtungen,<br />
Schulen und Kindergärten zu knüpfen. Diese<br />
Stadtteilarbeit ist seit 2006/2007 auf einem<br />
guten Weg. Akzeptanz und Interesse im Stadtteil<br />
steigen, immer mehr Angebote werden aus<br />
Chorweiler heraus angenommen, Partner und<br />
Paten für die Stadtteilarbeit gewonnen.<br />
Öffentlich-private Partnerschaft und<br />
„langer Atem“<br />
Die Stadt Köln hat das Grundstück zur Verfügung<br />
gestellt. Die Arbeitsgemeinschaft zur För-<br />
derung der Waldorfpädagogik (Arge) ist Träger<br />
der Schule und Eigentümer des Canyon-Gebäudes;<br />
sie hat zum Beispiel den Eigenanteil<br />
von 640.000 Euro geschultert. Die Arge hat eine<br />
eigenständige gemeinnützige Betreibergesellschaft<br />
für den Betrieb von Canyon gegründet.<br />
In einem Stadtteil wie Chorweiler ein solch<br />
ambitioniertes Projekt tragfähig und belastbar<br />
aufzubauen, erfordert einen „langen Atem“<br />
und eine besondere Verlässlichkeit, die sich gerade<br />
auch seitens des Projektträgers in der<br />
schwierigen Anlaufzeit als sehr hilfreich erwiesen<br />
hat. Dies ist die Basis dafür, dass ein dauerhafter<br />
Partner für die schwierige Stadtteilentwicklung<br />
in Chorweiler heranwachsen kann.
StadtteilWerkstatt Canyon<br />
65
Projekt 09<br />
Eigentümer<br />
Stadt Duisburg<br />
Betreiber<br />
Kultur- und Stadtteilzentrum<br />
Alte Feuerwache e.V.<br />
Kosten 3.210.000 Euro<br />
(Umbau, Freiraum, Ausstattung, Anschub)<br />
Städtebauförderung (Ziel-2-Programm)<br />
2.889.000 Euro<br />
Eigenanteil<br />
321.000 Euro<br />
Projektentwicklung<br />
2001 bis 2004<br />
Bauliche Realisierung<br />
2005 und 2006<br />
Betrieb<br />
sukzessiver Einstieg ab 2006<br />
www.altefeuerwache-duisburg.de<br />
66<br />
Alte Feuerwache<br />
Duisburg-Hochfeld<br />
Das Gebäude der Alten Feuerwache im<br />
Duis burger Stadtteil Hochfeld steht seit<br />
den 90er Jahren leer. Schon in dieser Zeit kamen<br />
immer wieder Diskussionen auf, hieraus<br />
ein soziokulturelles Zentrum zu machen. Ende<br />
der 90er Jahre standen der Abriss und ein<br />
Wohnungsneubau zur Debatte. Alle bis dahin<br />
angedachten Anläufe scheiterten jedoch.<br />
Hochfeld ist ein Arbeiter-, Migranten- und Studentenquartier<br />
unmittelbar südlich der Duisburger<br />
Innenstadt und der City und hat mit<br />
vielen städtebaulichen und sozialen Problemen<br />
zu kämpfen. 2000/2001 wurde der Stadtteil<br />
daher in das Programm „Soziale Stadt<br />
<strong>NRW</strong>“ aufgenommen. Dies war gleichzeitig<br />
noch einmal der Anlass, über die Zukunft der<br />
Alten Feuerwache nachzudenken, weil Mittel<br />
aus dem Ziel-2-Programm in Aussicht standen.<br />
Der „Runde Tisch Hochfeld“, die Bezirksvertretung<br />
und die Stadt Duisburg haben sich damals<br />
entschieden, das Gebäude nicht abzureißen.<br />
Stattdessen wurde eine Art Wettbewerb<br />
zur Umnutzung durchgeführt. Zwei Konzepte<br />
standen sich alternativ gegenüber: ein Misch-<br />
konzept mit einem Ökomarkt und Räumen für<br />
Stadtteili<strong>nitiative</strong>n und das Konzept einer „Interkulturellen<br />
Bühne“ ebenfalls mit Stadtteili<strong>nitiative</strong>n.<br />
Die Entscheidung fiel 2002 zugunsten<br />
des Basiskonzepts der „Interkulturellen<br />
Bühne“.<br />
Langer Projektentwicklungsprozess<br />
Zwischen 2002 und 2005 wurde das Konzept<br />
vom Verein „Kultur- und Stadtteilzentrum Alte<br />
Feuerwache e.V.“ in Kooperation mit der EG<br />
DU Entwicklungsgesellschaft Duisburg mbH<br />
mehrfach verändert und weiter entwickelt:<br />
von einem Interkulturellen Theater, über ein<br />
Kinder- und Jugendtheater, ein Weltmusik-Zentrum,<br />
eine Internationale Gastronomie, ein<br />
Raumangebot für Vereine und Gruppen aus<br />
der Dialog- sowie Kultur- und Stadtteilarbeit<br />
bis hin zu einem kulturwirtschaftlichen Gründerzentrum.<br />
Im Trägerverein organisierten sich kulturelle<br />
I<strong>nitiative</strong>n, ein Verein zur Förderung des Dialogs<br />
zwischen den Kulturen, ein internationaler<br />
Unternehmerverein, ein türkischstämmiger
Betreiber einer Kleinkunstbühne. Das Projektprofil<br />
sollte sich ausdrücklich an der Internationalität<br />
des Stadtteils ausrichten – und das<br />
nicht nur als soziales Stadtteilzentrum, sondern<br />
auch als Kulturzentrum in einer von Migranten<br />
geprägten Metropolregion.<br />
2005 musste unter der Federführung von EG<br />
DU und IMD mit dem Umbau begonnen, Ende<br />
2006 konnte er bereits abgeschlossen werden.<br />
Im Erdgeschoss ist ein großer Veranstaltungsraum<br />
mit guter Ausstattung entstanden, in einem<br />
Glasvorbau eine Gastronomie. In die beiden<br />
Obergeschosse sind soziale und kulturelle<br />
Vereine eingezogen, das kulturwirtschaftliche<br />
Gründerzentrum ließ sich nicht verwirklichen.<br />
Chancen und Risiken<br />
Im November 2007 wurde anlässlich der Eröffnung<br />
der Gastronomie das Projekt offiziell<br />
übergeben. Bei diesem Anlass wurde beeindruckend<br />
das Potenzial des Projektes für eine<br />
Stadtteil- und Stadtgesellschaft erkennbar, die<br />
in Zukunft zu einem immer höheren Anteil aus<br />
Migranten sowie deren Familien und Nach-<br />
Alte Feuerwache<br />
67
Alte Feuerwache<br />
68<br />
kommen bestehen wird. Allerdings bestätigte<br />
sich in den ersten Betriebsmonaten danach<br />
auch die Schwierigkeit, mit der ein Projekt mit<br />
den formulierten Ansprüchen auf der einen<br />
Seite und den Problemen in einem Stadtteil<br />
der „Sozialen Stadt“ wie Hochfeld auf der anderen<br />
Seite zu kämpfen hat. Es wird zentral auf<br />
einen „langen Atem“ und darauf ankommen,<br />
das Projekt im Zusammenhang der Kulturhauptstadt<br />
Ruhr.2010 weiterzuentwickeln und<br />
abschließend positionieren zu können.
Alte Feuerwache<br />
69
Projekt 10<br />
Eigentümer<br />
Stadt Erkrath<br />
Betreiber<br />
Initiativ-Haus Bavierpark Erkrath e.V.<br />
Baukosten<br />
100.000 Euro<br />
Städtebauförderung<br />
52.000 Euro<br />
Eigenanteil<br />
24.000 Euro<br />
(Verein in bar, über Sachspenden und<br />
Selbsthilfe),<br />
12.000 Euro (Stadt),<br />
13.000 Euro (Dritte)<br />
Projektentwicklung<br />
2001 bis 2004<br />
Bauliche Realisierung<br />
2005 bis 2007<br />
Betrieb<br />
ab 2007<br />
70<br />
Initiativ-Haus Bavierpark<br />
Erkrath<br />
Ähnlich wie in anderen Städten gab es auch<br />
in Erkrath eine kleine öffentliche Parkanlage,<br />
die zunehmend verwahrloste. Der Stadt<br />
und vielen ihrer Bürger war durchaus bewusst,<br />
dass der Bavierpark etwas Besonderes ist, südlich<br />
der Düssel und in unmittelbarer Nähe zur<br />
Innenstadt gelegen, mit Resten älterer Freiraum-<br />
und Parkanlagen und einem denkmalgeschützten<br />
„Kurhaus“, welche allesamt an<br />
große vergangene Zeiten erinnern.<br />
Die von der Stadt gepflegten Hauptwege wurden<br />
gut genutzt, doch abseits davon gab es<br />
Wildwuchs, illegale „Freitoiletten“, Vandalismus<br />
und „dunkle Trinkerecken“. An dieser<br />
Situation sollte sich etwas ändern. Die Stadt<br />
beauftragte Freiraumplaner, die ein Konzept<br />
erstellen sollten für eine einfache Inwertsetzung<br />
und vor allem für eine langfristige<br />
Nutzungsperspektive der Parkanlage. Bürger<br />
brachten sich in den Planungsprozess ein. Der<br />
Verein „Erkrath blüht“ kümmert sich seitdem<br />
um die Bepflanzung und Pflege von Pflanzbeeten,<br />
die „I<strong>nitiative</strong> Friedensforum“ und die „Interessengemeinschaft<br />
Mahnmal“ um den Erhalt<br />
und die Pflege der im Park befindlichen<br />
Gedenkstätten. Der Verein „Altes Kurhaus“ bemühte<br />
sich um die Erhaltung und Nutzung des<br />
unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes.<br />
Mitte der 90er Jahre hatte sich im Bavierpark<br />
ein Boule-Club etabliert mit Pétanque-Spielflächen<br />
und einem einfachen Unterstand. Der<br />
Verein „Cercle des Pétanqueurs Erkrath e.V.“ gewann<br />
an diesem Standort viele begeisterte<br />
Mitglieder und Spieler. Das Boule-Spiel war<br />
bald nicht mehr aus dem Park wegzudenken.<br />
Hieraus entstand ein Projektansatz, der neben<br />
der Parkinstandsetzung und einem neuen<br />
Parkpflegekonzept dauerhaft bürgerschaftliches<br />
Leben und damit auch „soziale Kontrolle“<br />
in den Park bringen sollte. Kernpunkt wurde<br />
die Idee eines „Initiativ-Hauses Bavierpark“.<br />
„Ein gemeinsames Dach“<br />
An der Stelle des bisherigen Unterstands des<br />
Boule-Clubs wurde 2002 ein kleines Gebäude<br />
geplant und in den Jahren 2005 und 2006 realisiert.<br />
Dieses Haus dient heute den aktiven<br />
Gruppen als Basisstation für ihre Aktivitäten.<br />
Es hat sich aber gleichzeitig auch zu einem so-
zialen Treffpunkt im Freiraum und als Kommunikationsort<br />
für Vereinsaktive entwickelt.<br />
Damit konnte das Ziel der Bündelung der bürgerschaftlichen<br />
Aktivitäten, das sich im geselligen<br />
Zusammensein direkt „unter einem Dach“<br />
im Bavierpark widerspiegelt, erreicht werden.<br />
Das Initiativ-Haus steht allen Bürgern Erkraths<br />
und den im Bavierpark tätigen Vereinen nach<br />
Absprache mit dem Trägerverein als Treffpunkt<br />
und Aufenthaltsort sowie für die Durchführung<br />
von Veranstaltungen offen.<br />
Die Landschaftsarchitekten haben ein pavillonähnliches<br />
Gebäude mit einem einfach ausgestatteten<br />
Gemeinschaftsraum für Treffs, Feiern<br />
und Versammlungen geplant. Das Gebäude ist<br />
im Sommer nach zwei Seiten zu öffnen und im<br />
Winter einfach zu beheizen. Daneben gibt es<br />
einen Sanitärcontainer mit WC, Wasser- und<br />
anderen technischen Anschlüssen. Daraus ergeben<br />
sich drei einfache Kuben unter einem<br />
„flie genden Dach“. Das Dach überspannt gleich -<br />
zeitig eine vor dem Hauptraum liegende Terrasse,<br />
die sowohl bei Sonne als auch bei Regen<br />
das Sitzen im Freien erlaubt. Im Außenraum<br />
wurden Flächen für das Boulespiel angelegt.<br />
Initiativ-Haus Bavierpark<br />
71
Initiativ-Haus Bavierpark<br />
72<br />
Engagement und Zukunft für den<br />
Bavierpark<br />
Das Initiativ-Haus wurde als Projekt baulicher<br />
Selbsthilfe errichtet. Die Verantwortung für<br />
das Planen und Bauen des Initiativ-Hauses<br />
wurde in einer Kooperation von Verein, Landschaftsarchitekten<br />
und Stadt gemeinsam getragen.<br />
Der Verein kümmerte sich um das<br />
Bauen und ist verantwortlich für die Nutzung,<br />
den Betrieb und die Unterhaltung des Gebäudes.<br />
Die Stadt Erkrath stellt dem Trägerverein<br />
die benötigte Fläche kostenlos für eine Mindestdauer<br />
von 15 Jahren zur Verfügung; hie rüber<br />
wurde ein Vertrag geschlossen.<br />
Der Trägerverein „Initiativ-Haus Bavierpark Erkrath<br />
e.V.“ wird zentral gestützt vom Bouleverein<br />
„Cercle des Pétanqueurs Erkrath e.V.“ und<br />
vom Verein „Erkrath blüht e.V.“ Darüber hinaus<br />
gibt es vielfache Kooperationen mit weiteren<br />
Vereinen und I<strong>nitiative</strong>n, der Begegnungsstätte<br />
Erkrath und der VHS, die immer für konkrete<br />
Veranstaltungen und Projekte aktiviert werden<br />
können. Im Sommer 2007 fand im Bavierpark<br />
die „Boule-Bundesliga“ statt, ein zentrales Ereignis<br />
aller Boulevereine in Deutschland, das in<br />
Erkrath und Umgebung eine große Aufmerksamkeit<br />
hervorrief.<br />
Die Erkrather Vereine haben mit hohem bürgerschaftlichem<br />
Engagement die Verantwortung<br />
für einen öffentlichen Freiraum, dessen<br />
Pflege und Weiterentwicklung übernommen<br />
und gleichzeitig durch die Aktivitäten wieder<br />
städtisches Leben in den Park gebracht. In Partnerschaft<br />
von Bürgerschaft und Stadt ist dies<br />
ein wesentlicher Beitrag zur Belebung der Innenstadt<br />
von Erkrath.
Initiativ-Haus Bavierpark<br />
73
Projekt 11<br />
Eigentümer<br />
Stadt Werl bzw. die städtische Gesellschaft<br />
für Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung<br />
(GWS)<br />
Betreiber Kulturzentrum<br />
Kultur für Werl e.V.<br />
Kosten Gebäudehülle<br />
320.000 Euro (davon 182.000 Euro Denkmalförderung)<br />
Innenausbau<br />
Dachgeschoss Eisenbahnfreunde in Eigenverantwortung<br />
und Selbsthilfe,<br />
Obergeschoss Kolpingwerk mit Arbeitsmarktförderung<br />
(EU-Xenos),<br />
Erdgeschoss für Reisebüro/Fahrkartenverkauf<br />
und Busservice<br />
Kosten Kulturzentrum<br />
50.000 Euro (Innenausbau, Ausstattung<br />
und Anschub) davon 40.000 Euro Städtebauförderung,<br />
10.000 Euro Verein und Stadt<br />
Projektentwicklung 2001 bis 2003<br />
Bauliche Realisierung 2004 und 2005<br />
Betrieb ab 2005/2006<br />
www.werl.de<br />
74<br />
Kulturzentrum<br />
Bahnhof Werl<br />
Seit 1999/2000 arbeitet die Stadt Werl an<br />
einer langfristigen Perspektive für den<br />
Bahnhof. Parallel hatte sich eine Kulturi<strong>nitiative</strong><br />
gegründet, die den Bahnhof und seine<br />
Umgebung ebenfalls ins Blickfeld rückte. Das<br />
denk malgeschützte Gebäude sollte wieder zur<br />
Visitenkarte, zu einem der Eingangstore in die<br />
Stadt werden, nachdem es jahrelang baulich<br />
vernachlässigt wurde und von der Deutschen<br />
Bahn nur noch in geringen Teilen benötigt wird.<br />
Lange war eine „große Lösung“ im Gespräch sowohl<br />
mit einem Kultur- und Veranstaltungszentrum<br />
als auch mit der gesamten Neuordnung<br />
des Bahnhofsumfelds. Dies ließ sich aber<br />
nicht umsetzen. In der Folge machten sich alle<br />
Beteiligten auf den Weg einer „kleinen Lösung“<br />
mit vielen sehr unterschiedlichen Partnern und<br />
einer Realisierung in Schritten.<br />
Die Stadt kaufte zunächst den Bahnhof über<br />
die städtische Wirtschaftsförderungs- und<br />
Stadtentwicklungsgesellschaft (GWS). Das<br />
Land beteiligte sich an der denkmalgerechten<br />
Instandsetzung der Gebäudehülle. Ein Beschäftigungsträger<br />
des Kolpingwerks half beim Um-<br />
bau mit einem durch ein EU-Programm (Xenos)<br />
gefördertes Arbeitsmarktprojekt. Das Kolpingwerk<br />
zog auch in die Räume des Obergeschosses<br />
ein. Das Dachgeschoss wurde durch einen<br />
örtlichen Modelleisenbahnverein angemietet<br />
und in Eigenverantwortung mit über 3.000<br />
Selbsthilfestunden ausgebaut. In einen Teil des<br />
Erdgeschosses zieht ein kleines Reisebüro ein,<br />
das auch den Fahrkartenverkauf für die Bahn<br />
organisiert.<br />
Kultur für Werl<br />
Der Verein Kultur für Werl e.V. übernahm 2004<br />
den größten Teil des Erdgeschosses und organisiert<br />
dort ein kleines Kulturzentrum. Der Verein<br />
ist aus einer jüngeren örtlichen Musik- und<br />
Veranstaltungsszene hervorgegangen, die für<br />
ihre Aktivitäten bislang in Werl keinen Ort hatte.<br />
Im Laufe des Projektentwicklungsprozesses<br />
kam es zu einer fruchtbaren Kooperation mit<br />
der städtischen Kulturpolitik, so dass seit der<br />
Eröffnung im Jahr 2005 ein Programm im „Kulturbahnhof<br />
Werl“ partnerschaftlich verantwortet<br />
wird mit Musikveranstaltungen für jüngere<br />
Leute, mit Kinder- und Jugendtheater, mit
Kleinkunst, Kabarett und Comedy. Für diese<br />
Konzeption wurde dem Verein über „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“ eine Förderung für den Innenaus -<br />
bau, die Ausstattung und den anlaufenden Betrieb<br />
bewilligt.<br />
Im Ergebnis ist der Bahnhof heute ein städtebauliches<br />
„Aushängeschild“ der Stadt. Mit dem<br />
„Kulturbahnhof“ ist zudem erstmals in Werl<br />
ein interessanter Ort für eine jüngere Musik-<br />
und Kulturszene und generell für Kulturinteressierte<br />
entstanden. Dieses war in einer Stadt mit<br />
der Größenordnung von Werl nur möglich im<br />
dargestellten Mischnutzungskonzept und durch<br />
das Zusammenlegen der Kräfte einer aktiven<br />
Kulturi<strong>nitiative</strong> und der Möglichkeiten kommunaler<br />
Kulturpolitik u.a. im Rahmen der Kulturregion<br />
Hellweg. Einer alleine hätte das nicht<br />
schaffen können. Auch „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ war<br />
letztlich nur ein Baustein unter vielen, die zur<br />
Realisierung des Projektes beigetragen haben.<br />
Kulturzentrum im Bahnhof Werl<br />
75
Projekt 12<br />
Eigentümer<br />
Stadt Herzogenrath<br />
Kauf und Umbau Bahnhof<br />
Städtebauförderung <strong>NRW</strong><br />
Betreiber Frauenkommunikationszentrum<br />
Frauenkommunikationszentrum e.V.<br />
Anschub Frauenkommunikationszentrum<br />
250.000 Euro (190.000 Euro Förderung,<br />
60.000 Euro Eigenanteil)<br />
Projektentwicklung<br />
2002 bis 2004<br />
Bauliche Realisierung<br />
2004 und 2005<br />
Einstieg in den Betrieb<br />
2007<br />
www.frauenkommgleis1.de<br />
76<br />
Frauenkommunikationszentrum<br />
Bahnhof Herzogenrath<br />
Der schöne alte Bahnhof in Herzogenrath<br />
drohte Ende der 90er Jahre „aufs Abstellgleis“<br />
zu geraten: baulich ungepflegt, Leerstand,<br />
Reduzierung der DB-genutzten Flächen.<br />
Er war aber städtebaulich wichtig als einer der<br />
Zugänge zur sich anschließenden Innenstadt<br />
von Herzogenrath. Mit dem 100-Bahnhöfe-Programm<br />
des Landes boten sich ab 2001 Chancen<br />
zur Neuorientierung. Die Stadt führte mit Unterstützung<br />
des Landes <strong>NRW</strong> Verhandlungen<br />
mit der Bahn und konnte den Bahnhof 2004<br />
kaufen. Unter anderem mit Mitteln der Städtebauförderung<br />
wurde das Gebäude in den Jahren<br />
2005 und 2006 denkmalgerecht instand<br />
gesetzt und umgebaut. Parallel konnte auch<br />
eine Modernisierung der Bahnsteige angegangen<br />
werden.<br />
Die Stadt baute zur perspektivischen Nutzung<br />
des Bahnhofs Kooperationen mit bürgerschaftlichen<br />
Vereinigungen auf. So ist in große Teile<br />
des Erdgeschosses ein Kunstverein eingezogen,<br />
der Ausstellungen und Kulturveranstaltungen<br />
organisiert. Ein weiterer Teil des Erdgeschosses<br />
und das Obergeschoss werden vom Verein<br />
Frauenkommunikationszentrum e.V. unter<br />
dem Projektnamen „FrauenKomm.Gleis1“ übernommen,<br />
einem aus der Lokalen Agenda 21<br />
her vorgegangenen Zusammenschluss von Herzogenrather<br />
Frauen. In ein kleines Pavillongebäude<br />
zogen ein Kiosk, ein Stadtmarketingverein<br />
und der Fahrkartenverkauf der Deutschen<br />
Bahn ein. Im März 2007 konnte die Wiedereröffnung<br />
des Bahnhofs gefeiert werden.<br />
Um die öffentliche Nutzung des Frauenkommunikationszentrums<br />
abzusichern, suchte die<br />
Frauenbeauftragte der Stadt und die Frauenini<br />
tiative den Kontakt zum Programm „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“. Der Qualifizierungsprozess führte<br />
zu einer betrieblichen Aufbauförderung,<br />
deren konzeptioneller Vorlauf schon 2002 abgeschlossen<br />
werden konnte, deren Umsetzung<br />
aber wegen der Kaufverhandlungen und des<br />
anschließenden Umbaus erst ab 2007 umgesetzt<br />
werden konnte.<br />
Das Frauenkommunikationszentrum besteht<br />
in seinem Kern aus drei Teilen: einer kleinen<br />
Gastronomie/Bistro im Erdgeschoss, einem<br />
Veranstaltungsraum sowie einer Beratung,<br />
einer „Familienfeuerwehr“ und einer „Service-
örse“. Der Trägerverein hat das Bistro weiter<br />
verpachtet. Er bietet Kurse an, organisiert<br />
Filmabende und Kulturveranstaltungen. Mit<br />
der „Familienfeuerwehr“ und der „Servicebörse“<br />
baut der Verein familien- und frauenentlastende<br />
Angebote auf, die auf den Einstieg oder<br />
die Wiederaufnahme von selbständiger Berufstätigkeit<br />
von Frauen abzielen. Dabei setzt insbesondere<br />
die „Servicebörse“ auf eine Vermittlung<br />
von Dienstleistungen für Privathaushalte,<br />
an denen der Verein auch wirtschaftlich partizipiert,<br />
um seine Arbeit langfristig finanzieren<br />
zu können.<br />
Im Ergebnis hat „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ dazu beigetragen,<br />
dass der Bahnhof in Herzogenrath<br />
langfristig durchgängig öffentlich genutzt<br />
werden kann und heute ein lebendiges Stadtentree<br />
darstellt.<br />
Frauenkommunikationszentrum im Bahnhof<br />
77
Projekt 13<br />
Träger<br />
Stadtoasen e.V., acht Schulen aus der EuRegio,<br />
Deutsch-Niederländisches Jugendwerk<br />
e.V. (bei der IHK Aachen)<br />
Gesamtinvestition (Umbau Schulhöfe,<br />
Managementkosten, Sonderprojekte)<br />
612.000 Euro<br />
Städtebauförderung<br />
418.000 Euro<br />
Eigenanteile<br />
194.000 Euro<br />
Projektentwicklung<br />
2003 bis 2005<br />
Bauliche Realisierung, Aufbau grenzüberschreitender<br />
Schulpartnerschaften und<br />
Schulnetzwerke<br />
2005 bis 2009<br />
www.schulenbauenpartnerschaften.eu<br />
78<br />
SchulenBauenPartnerschaften<br />
Euregio Maas-Rhein<br />
Das Projekt „SchulenBauenPartnerschaften“,<br />
das der Verein Stadtoasen e.V. im<br />
Rahmen der EuRegionale 2008 durchführt,<br />
wurde im Jahr 2004 entwickelt und soll dazu<br />
beitragen, den grenzüberschreitenden Austausch<br />
zwischen den Projektbeteiligten und<br />
damit auch den Bürgern in der Dreiländer-<br />
Region Deutschland-Belgien-Niederlande zu<br />
fördern und eine Kultur des Voneinanderlernens<br />
erlebbar zu machen. Ausgehend von<br />
der Schule als Impulsgeber soll bürgerschaftliches<br />
Engagement aktiviert werden. Die primäre<br />
Zielgruppe sind Kinder und Jugendliche<br />
der Euregio Maas-Rhein.<br />
Grundidee war es dabei zunächst, dass Zielorte<br />
und Schauplätze des Projekts monotone Schulhöfe<br />
sind, die in Eigeni<strong>nitiative</strong> und Zusammenarbeit<br />
von Partnerschulen zweier Länder<br />
aufgewertet werden und die Grundlage für eine<br />
weitere Zusammenarbeit bilden sollen. Mit<br />
mehreren Schulen konnten konkrete Absprachen<br />
getroffen und die Bereitschaft zur Mitarbeit<br />
erreicht werden. Demnach sollten Schüler,<br />
Eltern, Lehrer sowie weitere lokale Partner aus<br />
der Wirtschaft in den Umbau-, Beteiligungs-<br />
und Selbsthilfeprozess aus den verschiedenen<br />
Ländern der Euregio eingebunden werden und<br />
sich durch die gemeinsame praktische Arbeit<br />
auf dem Schulhof näher kommen.<br />
Kooperationen auf mehreren Ebenen<br />
Allerdings wurde den Projektbeteiligten schnell<br />
klar, dass es bei dem Projekt nicht in erster Linie<br />
nur um die Umgestaltung der Schulhöfe<br />
gehen kann, sondern dass hierdurch ein aktiver<br />
und sichtbarer Austausch und eine Kooperation<br />
auf verschiedenen Ebenen zwischen den<br />
Schulen und Unternehmen über die Grenzen<br />
hinweg initiiert und verstetigt werden sollte.<br />
Diese Idee war der Anstoß dafür, nicht nur<br />
Schulhöfe umzugestalten, sondern dauerhafte<br />
grenzüberschreitende Kooperationen und Partnerschaften<br />
auf der Projekt- und Schulebene<br />
aufzubauen und langfristig zu festigen.<br />
Vor diesem Hintergrund wurden zunächst acht<br />
Schulen ausgewählt, die sich in den Prozess der<br />
Schulhofumgestaltung und in das Gesamtprojekt<br />
einbringen und sich zudem für eine grenzüberschreitende<br />
Kooperation zwischen je einer
deutschen und einer belgischen bzw. niederländischen<br />
Schule bereit erklärten:<br />
• Gymnasium St. Leonhardt Aachen<br />
• Gemeinschaftsgrundschule Nettersheim-<br />
Marmagen<br />
• Erich-Kästner-Hauptschule Herzogenrath-<br />
Kohlscheid<br />
• Gemeinschaftshauptschule Goetheschule<br />
Baesweiler<br />
• Sophianum Gulpen<br />
• College Rolduc Kerkrade<br />
• Berufsschule Diest<br />
• Gemeindeschule Kelmis<br />
Darüber hinaus konnte der Förderkreis Deutsch-<br />
Niederländisches Jugendwerk e.V. – angesiedelt<br />
bei der IHK Aachen – als strategischer Projektpartner<br />
gewonnen werden, wodurch die große<br />
Chance entstand, lokale Partner mit in die Projektrealisierung<br />
einzubinden und für die Schulkooperationen<br />
zu gewinnen.<br />
Zudem hat sich die EuRegionale 2008 Agentur<br />
des Gesamtansatzes angenommen, um das Projekt<br />
aktiv bis zum Jahr 2008 als wichtiges regio-<br />
SchulenBauenPartnerschaften<br />
79
SchulenBauenPartnerschaften<br />
80<br />
nales und grenzüberschreitendes Projekt des<br />
Bürgerengagements zu kommunizieren.<br />
Ausbau grenzüberschreitender<br />
Schulpartnerschaften<br />
Bis 2008 konnten die acht Schulhöfe zusammen<br />
mit den jeweiligen Partnerschulen umgestaltet<br />
werden. Neben der Schulhofumgestaltung<br />
wurden zusätzlich mit den Partnerschulen<br />
kooperativ und grenzübergreifend bilaterale<br />
Gemeinschaftsprojekte, sogenannte „Sonderprojekte“,<br />
ins Leben gerufen, welche langfristig<br />
gemeinsam fortgeführt werden und damit<br />
Verbindungen über die Grenzen hinweg schaffen<br />
sollen. Bei den Sonderprojekten handelt es<br />
sich nicht um bauliche Projekte, sondern es<br />
steht insbesondere der Vernetzungsansatz sowie<br />
die Qualifizierung von Kindern und Jugendlichen<br />
für den euregionalen Arbeitsmarkt<br />
im Vordergrund. Bei der Realisierung der Sonderprojekte<br />
setzt sich der Förderkreis Deutsch-<br />
Niederländisches Jugendwerk im Rahmen<br />
seiner Möglichkeiten dafür ein, die örtliche<br />
Wirtschaft zu mobilisieren und potenzielle Kooperationspartner<br />
aus der Euregio zu benen-
nen, die bereit sind, die grenzüberschreitende<br />
Kooperation der Schulen zu unterstützen. Somit<br />
spiegeln die Sonderprojekte nicht nur den<br />
bilateralen Partnergedanken wider, sondern<br />
sind sichtbarer Ausdruck der grenzüberschreitenden<br />
Kooperation, durch die weitere Partnerschaften<br />
(insbesondere mit der Wirtschaft) initiiert<br />
werden.<br />
Aufbau eines „Euregionalen Netzwerks<br />
Schule“ als Perspektive<br />
Darüber hinaus dient das Projekt dem Förderkreis<br />
Deutsch-Niederländisches Jugendwerk e.V.<br />
dazu, ein dauerhaftes Netzwerk der Schulen<br />
und der lokalen Kooperationspartner in der Euregio<br />
Maas-Rhein aufzubauen. Das Jugendwerk<br />
wird die entstandenen grenzüberschreitenden<br />
Partnerschaften auch über das Jahr 2009 hinaus<br />
pflegen mit dem Ziel, eine größere Durchlässigkeit<br />
für den Arbeitsmarkt und den beruflichen<br />
Einstieg diesseits und jenseits der<br />
Grenzen zu erreichen. Somit soll das Netzwerk<br />
durch die Verknüpfung von Schulen und Unternehmen<br />
mittel- bis langfristig in allen drei Ländern<br />
der Euregio grenzüberschreitende Mög-<br />
lichkeiten bei der Ausbildungsplatzsuche der<br />
Jugendlichen schaffen.<br />
Das Projekt wird als Best-Practice-Modell verstanden,<br />
welches andere Schulen in der Grenzregion<br />
zur Nachahmung anregen soll.<br />
SchulenBauenPartnerschaften<br />
81
Partnerschaft aus Bürgerstiftung, Volksbank und Kommune<br />
ein Gespräch mit Guido Forsting, Lothar Palubitzki, Harald Klinke und<br />
Jörg Richter über die Alte Drahtzieherei in Wipperfürth<br />
In der ehemaligen Drahtzieherei der Lampenfirma Radium wurde am Rande der Innenstadt von Wipperfürth ein<br />
Kultur- und Veranstaltungszentrum durch eine Bürgerstiftung errichtet und 2007 in Betrieb genommen (das Projekt<br />
ist in Teil II dieses Buches genauer beschrieben). Eine der Besonderheiten dieses Projekts ist die Kooperation zwischen<br />
Bürgerschaft, Kommune und Volksbank in dieser mittelgroßen Stadt. Hierauf wird in dem folgenden Bericht eingegangen.<br />
Grundlage ist ein Gespräch am 23. April 2008 in Wipperfürth. Das Gespräch führten Anja Ganster und Joachim Boll.<br />
„Notstopfen“ oder Zukunftschance – vom<br />
kommunalen Projekt zur Bürgerstiftung<br />
Als die Idee eines Kultur- und Bürgerzentrums<br />
in der Alten Drahtzieherei vor 2001 entstand,<br />
dachten zunächst alle an ein klassisches kommunales<br />
Projekt. Bürgermeister Forsting:<br />
„Vom Ursprungsgedanken her wollten wir Fördermittel<br />
akquirieren, um die Alte Drahtzieherei<br />
als Ort für kulturelle Veranstaltungen herzurichten<br />
und sie dann an einen privaten Pächter<br />
weiterzugeben. Dann hatten wir aber Probleme<br />
einen Pächter zu finden, der die damals von uns<br />
geforderte Pacht zahlen konnte und wollte. Hinzu<br />
kam, dass wir seit 1996 keinen ausgeglichenen<br />
Haushalt mehr hatten. Nach dem Haushaltssicherungskonzept<br />
war es dann für uns<br />
nicht möglich, u.a. die Eigenanteile für das ProjektInvestment<br />
aus dem städtischen Haushalt<br />
zu bestreiten. Das hat uns die Kommunalaufsicht<br />
sehr deutlich gemacht. Also mussten wir<br />
nach anderen Lösungen suchen.“<br />
Das war die Geburtsstunde der Idee einer Bürgerstiftung.<br />
Lothar Palubitzki: „Wir trauten der<br />
Bürgerschaft in Wipperfürth so etwas zu. Da ich<br />
auch im Rat der Stadt bin, sah ich natürlich die<br />
Probleme der Stadt. Wir haben uns dann kundig<br />
gemacht, haben uns umgehört, was für Alternativen<br />
es gibt und sind unter anderem auf das<br />
Beispiel der Bürgerstiftung Rohrmeisterei in<br />
Schwerte gestoßen. Das hat uns Mut gemacht.<br />
Und 2002 konnten wir dann die Bürgerstiftung<br />
gründen, denn wir hatten tatsächlich ziemlich<br />
schnell die 50.000 Euro als Mindeststiftungskapital<br />
aus der Bürgerschaft zusammen.“ Von Anfang<br />
an bestand eine sehr enge Kooperation<br />
zwischen den Aktiven der Bürgerstiftung und<br />
der Kommune. „Die Stadt hat die Bürgerstiftung,<br />
wo immer es ging, flankierend unterstützt.<br />
Das war gerade am Anfang – so glaube ich –<br />
auch sehr wichtig. Heute ist die Bürgerstiftung<br />
eine vollkommen eigenständige Einrichtung von<br />
Bürgern für Bürger dieser Stadt. Da stehen Men<br />
schen mit Herz und Engagement hinter“, erläu-<br />
tert Bürgermeister Forsting. Und Herr Palubitzki<br />
ergänzt: „Ohne die Bürgerstiftung würde es<br />
dieses Projekt nicht geben. Man sieht einfach<br />
eine Chance für die Stadt, in der man ja gerne<br />
lebt. Das spornt an und motiviert.“ Gerade in<br />
mittleren und kleineren Kommunen scheint<br />
dies stärker ausgeprägt: „Das Engagement der<br />
Bürger und die Nähe von Kommune und Bürger<br />
ist in überschaubaren Städten und Gemeinden<br />
einfach größer. Bei uns in Wipperfürth ist die<br />
Identifikation schon extrem hoch.“<br />
Kulturpolitik machen Kommune und<br />
Bürgerstiftung gemeinsam<br />
Um mit Kultur lokal aber auch überregional<br />
wahrgenommen zu werden, müssen sich kleinere<br />
Städte Partner ins Boot holen. „Wir haben<br />
doch nur einen kleinen Etat für Kultur und wenig<br />
Personal“, meint Bürgermeister Forsting.<br />
„Wenn wir das jetzt mit der Bürgerstiftung machen,<br />
kommt da doch wesentlich mehr rum. Das<br />
war auch ein wichtiges Argument für den Rat,<br />
sich für die gefundene Lösung einzusetzen.“<br />
Die Bürgerstiftung bietet auch die große Chance,<br />
näher an die Bürger heranzukommen. Herr<br />
Klinke: „Die Bürgerstiftung hat ja nicht umsonst<br />
den Namen „Wir Wipperfürther“. Es ist eine<br />
Plattform von Bürgern für Bürger. Das Leben ist<br />
kein Wunschkonzert. Die Wipperfürther können<br />
und müssen sich letztlich hier aktiv engagieren<br />
und Veranstaltungen und Ideen mit einbringen.<br />
Das ist sicher kein Prozess, der sich von heute auf<br />
morgen in den Köpfen festsetzen wird, das dauert<br />
seine Zeit, wahrscheinlich viele Jahre. Aber<br />
wir sind da auf einem guten Weg. Auf diesem<br />
Weg helfen auch die lang laufenden Verträge<br />
zwischen Stadt und Bürgerstiftung, die dafür eine<br />
Basis darstellen. Den Bürgern soll die Möglichkeit<br />
offen stehen, sich bei Veranstaltungen,<br />
die in ihren Interessenbereich fallen, einzubringen<br />
und bei der Umsetzung helfen zu können.“<br />
Guido Forsting ist Bürgermeister von Wipperfürth.<br />
Er begleitet das Projekt intensiv<br />
und sehr persönlich, weil er darin u.a. eine<br />
zentrale Chance für die Stadtentwicklung<br />
Wipperfürths sieht. Er hat sich besonders<br />
eingesetzt bei der Unterstützung des<br />
Projekts durch die kommunale Politik und<br />
der Vernetzung in der Region.<br />
Lothar Palubitzki ist von Anfang an hoch<br />
engagiert bei der Gründung der Bürgerstiftung<br />
und der gesamten Projektentwicklung<br />
dabei. Er ist im Vorstand der Bürgerstiftung<br />
und kümmerte sich auch um die<br />
bauliche Realisierung des Projekts.<br />
Harald Klinke ist Mitglied der Bürgerstiftung,<br />
hat im Tandem mit Lothar Palubitzki<br />
zentral die Projektentwicklung vorangetrieben<br />
und ist seit 2007 Geschäftsführer<br />
der Betreibergesellschaft. Er hat berufliche<br />
Erfahrungen mit Musikveranstaltern und<br />
der technischen Ausrüstung von Veranstaltungszentren.<br />
Jörg Richter ist Mitarbeiter der Volksbank<br />
Wipperfürth. Herr Richter in Person und<br />
die örtliche Volksbank engagieren sich von<br />
Beginn an in der Bürgerstiftung.<br />
linke Seite: industriekulturelles Gelände der<br />
Radiumwerke in Wipperfürth<br />
83
Partnerschaft aus Bürgerstiftung, Volksbank und Kommune<br />
84<br />
Nach der Betriebsaufnahme zeigte sich ein<br />
leichter Einbruch des Engagements bei örtlichen<br />
Vereinen, der darauf zurückzuführen ist,<br />
dass die Vereine nun Raummiete zu entrichten<br />
haben. Früher wurden die Veranstaltungen von<br />
der Stadt über die Raummieten faktisch stark<br />
subventioniert, das ist vor dem Hintergrund<br />
der notwendigen kostendeckenden Arbeit der<br />
Alten Drahtzieherei so nicht mehr möglich.<br />
Lothar Palubitzki: „Wir sind eine neue Institution<br />
am Ort. Da sieht sich der ein oder andere Verein<br />
etwas an den Rand gedrängt. Aber das ist<br />
für mich eine Frage der Zeit.“ So regte eine Wipperfürther<br />
Kulturi<strong>nitiative</strong> an, zukünftig deren<br />
Veranstaltungen wie Jazz, Kabarett und Kleinkunst<br />
in das Veranstaltungsprogramm der Bürgerstiftung<br />
zu integrieren. Beim Schützenverein,<br />
beim Karnevalsverein, überall zeigen sich<br />
weitere Annäherungen.<br />
Die Bürgerstiftung versteht sich als Freund sowie<br />
als Vermittler und Bindeglied zwischen<br />
den Vereinen. Harald Klinke: „Jede Freundschaft<br />
muss wachsen und braucht Zeit.“<br />
Die Rolle der Volks- und Raiffeisenbank<br />
Die Volks- und Raiffeisenbanken haben traditionell<br />
aus ihrer Entstehungsgeschichte heraus<br />
eine Nähe zu bürgerschaftlichem Engagement.<br />
Jörg Richter: „ Die ursprüngliche Raiffeisenidee<br />
verfolgte das Ziel, Personen auf dem Land, im<br />
speziellen den Landwirten, den Zugang zu Krediten<br />
zu ermöglichen. Dieser Grundgedanken der<br />
Genossenschaftsbanken ist auch heute noch<br />
vorhanden und manifestiert sich unter anderem<br />
in dem Anliegen, einen grundsätzlichen Förderauftrag<br />
auf regionaler und lokaler Ebene zu<br />
verfolgen. Förderauftrag nicht im Sinne der Mitglieder<br />
und Kunden der Volks und Raiffeisenbanken,<br />
die aber im Wesentlichen aus der Region<br />
stammen. Wir sehen uns als eine Bank, die<br />
die Leute, die in unserer Region wohnen, gerne<br />
unterstützt. An dem Projekt Alte Drahtzieherei<br />
hat uns überzeugt, dass es aus der Bürgerschaft<br />
an uns herangetragen wurde. Das ist kein städtisches<br />
Projekt mehr, sondern ein durch bürgerschaftliches<br />
Engagement initiiertes und getragenes<br />
Projekt. Das sind genau die Dinge, die wir,<br />
von der Genossenschaftsidee her kommend, gerne<br />
unterstützen wollen.“ Die Volks- und Raiffeisenbank<br />
Wipperfürth war von Anfang an als<br />
Förderer dabei mit Spendengeld, mit ihren or-<br />
ganisatorischen, betrieblichen und finanziellen<br />
Erfahrungen, aber auch mit ihren Netzwerken<br />
in die lokale und regionale Wirtschaft und Politik.<br />
Sie sorgte mit dafür, dass zur Gründung der<br />
Bürgerstiftung das notwendige Stiftungskapital<br />
schnell zusammen kam und zügig verbreitert<br />
werden konnte.<br />
Die Volksbank war aber auch als Bank bereit,<br />
dem Projekt eine notwendige Absicherung<br />
über einen Kredit zu geben. Insofern achtete<br />
sie auch darauf, dass sich die Alte Drahtzieherei<br />
wirtschaftlich richtig aufstellt. „Es ist ein sehr<br />
schönes Projekt, in gewissem Sinn auch ein<br />
Leucht turmprojekt für Wipperfürth, mit dem<br />
man sich schnell identifizieren kann. Insofern<br />
versprechen wir uns durchaus auch einen<br />
Imagegewinn davon, eine noch stärkere Verankerung<br />
hier am Ort.“ Wenn Jörg Richter sich die<br />
Brille des Bankers aufsetzt, dann erzählt er davon,<br />
dass sich die Volksbank im Vorfeld sehr kritisch<br />
mit dem Projekt auseinandergesetzt hat,<br />
insbesondere mit dem Wirtschaftskonzept.<br />
„Das führte dazu, dass wir sehr eng in dieses<br />
Projekt involviert waren, die Entwicklung gut im<br />
Blick hatten. Wir wussten, dass wir hier sicherlich<br />
keine alltägliche Finanzierung übernehmen.<br />
Überzeugt hat uns das starke bürgerschaftliche<br />
Engagement und die Tatsache, dass die Stadt<br />
hinter dem Projekt stand. Auch wir wollten unseren<br />
Teil beitragen, um das Vorhaben zu einem<br />
Erfolg zu bringen und die Grundlage für einen<br />
Erfolg ist hier der starke Verbund aus Bürgerschaft,<br />
Verwaltung und Bank“. Dieser Verbund<br />
ist im Grunde bares Geld wert.<br />
Bürgermeister als Mittler bei der<br />
Aufbringung von Spenden<br />
Die Aufbringung des Eigenanteils in Projekten<br />
ist eine Riesenaufgabe. Neben den vielen<br />
kleineren Beträgen und neben der baulichen<br />
Selbst hilfe kommt den größeren Spenden ein<br />
hoher Stellenwert zu. Bürgerstiftung und<br />
Volksbank haben da einen wichtigen Beitrag<br />
geleistet. In Wipperfürth hat der Bürgermeister<br />
die Bürgerstiftung dabei maßgeblich unterstützt.<br />
Guido Forsting: „Diese Rolle wird auch<br />
zukünftig für Kommunen immer bedeutender<br />
werden, wollen sie in kulturellen und sozialen<br />
Fragen außerhalb der Pflichtaufgaben handlungsfähig<br />
bleiben. Und es gibt immer wieder<br />
ortsverbundene Unternehmen, die sich für die
Bevölkerung einsetzen und ihr Image positiv beeinflussen<br />
wollen, indem sie sich finanziell engagieren.“<br />
Häufig fehlt ihnen aber die Information,<br />
welche Projekte unterstützenswert sind.<br />
Hier kommt dann oft der Bürgermeister als Ansprechpartner<br />
und Mittler ins Spiel. Bürgermeister<br />
Forsting weist aber auch auf die Zyklen<br />
der Spendenakquisition und Spendenbereitschaft<br />
hin: „Das war in der euphorischen Anfangsphase<br />
deutlich leichter, hatte dann eine<br />
Delle, als es die Bauverzögerungen gab. Von jetzt<br />
an im Betrieb wird das wieder etwas einfacher<br />
werden.“<br />
Es zeigt sich aber auf der anderen Seite auch,<br />
dass das Zusammenspiel von kommunaler<br />
Ebene, Projekten und Wirtschaft in Deutschland<br />
noch nicht richtig eingespielt ist – im Vergleich<br />
zu anderen Ländern, die hier auf eine<br />
längere Tradition zurückblicken können. Bürgermeister<br />
Forsting: „Das müsste der Gesetzgeber<br />
auch mal aufgreifen und klarere Regeln<br />
finden. Wenn der Staat und die Kommunen<br />
nicht mehr alles alleine schaffen können, dann<br />
muss es auch möglich sein, bei Investoren, die in<br />
einer Kommune anfragen, Hinweise auf förderwürdige<br />
Projekte zu geben. Es gibt aber leider<br />
auch erste Rechtssprechungen, die das als Einfordern<br />
eines Vorteils auslegen. Dabei geht es<br />
um einen Vorteil für ein Projekt, das dem Gemeinwohl<br />
dient. Als Bürgermeister betritt man<br />
hier manchmal einen schmalen Grat.“<br />
Partnerschaft aus Bürgerstiftung, Volksbank und Kommune<br />
beide Seiten: Bilder von der Eröffnung der<br />
Alten Drahtzieherei in Wipperfürth<br />
85
86<br />
Planung, Engagement und Selbsthilfe<br />
ein Gespräch mit Jörg Karpowitz und Andreas Hanke<br />
Im Dortmunder Stadtteil Deusen baut ein Verein eine kleine Kirche aus den 20er Jahren in ein Stadtteil- und Kulturzentrum<br />
um. Deusen liegt nördlich des Dortmunder Hafens am Übergang der Nordstadt zur Kanalzone, die als zukünftiger<br />
Emscher Landschaftspark bis zum Schiffshebewerk Henrichenburg führt. Der Stadtteil hat eine ausgeprägte<br />
Ortsidentität und ein dichtes Vereinsleben; beides hat seine Wurzeln in den 20er und 50er Jahren des letzten<br />
Jahrhunderts, als die meisten Wohnungen und Häuser Deusens von Arbeiterfamilien in Selbsthilfe gebaut wurden.<br />
In Deusen wurde seit den 90er Jahren immer wieder über ein Stadtteil- und Begegnungszentrum diskutiert. Als die<br />
evangelische Kirche aufgegeben werden sollte, wurden die Deusener aktiv, um die Kirche als sozialen Mittelpunkt<br />
umzuwidmen und zu erhalten. Sie gründeten eigens für das Projekt einen neuen Trägerverein mit dem beziehungsreichen<br />
Namen „Wir lassen die Kirche im Dorf“. Im Projekt soll gleichzeitig eine Basisstation im Emscher Landschaftspark<br />
entstehen. Zusätzlich zum Umbau der Kirche als Veranstaltungsort werden zwei neue Gebäude im Holzrahmenbau<br />
errichtet; das eine Gebäude nimmt eine Gastronomie auf, das andere wird zum Vereins- und Jugendhaus.<br />
Das Projekt befindet sich 2008 im Bau und wird 2009 fertig gestellt und den Betrieb aufnehmen.<br />
Das Architekturbüro Hanke aus Dortmund ist als Sieger aus einem wettbewerbsähnlichen Planungsverfahren im<br />
Jahr 2006 hervorgegangen. Der Entwurf reagiert auf die Kernfunktionen „Kultur- und Veranstaltungsort“, „Vereins-<br />
und Jugendhaus“ sowie „Gastronomie“ in drei unterschiedlich gestalteten Baukörpern. Der Trägerverein übernimmt<br />
eine aktive Rolle als Bauherr und in der Bauleitung. Als wichtigen Beitrag zur Aufbringung des Eigenanteils zur Förderung<br />
organisiert der Projektträger u.a. gemeinschaftliche bauliche Selbsthilfe. Auf diese drei Besonderheiten wird<br />
der Focus im folgenden Beitrag gerichtet.<br />
Der folgende Beitrag basiert auf einem Gespräch mit Jörg Karpowitz und Andreas Hanke am 2. Mai 2008 während einer<br />
Selbsthilfeaktion in der Kirche Deusen. Das Gespräch führten Anja Ganster und Joachim Boll.<br />
Jörg Karpowitz ist im Vorstand des Trägervereins<br />
und dort neben der allgemeinen<br />
Projektverantwortung im Vorstand speziell<br />
für das Planen und Bauen, später auch für<br />
die Instandhaltung und Pflege der Gebäude<br />
zuständig („Bauminister“). Er hat einen<br />
baufachlichen beruflichen Hintergrund.<br />
Andreas Hanke ist Inhaber des gleichnamigen<br />
Architekturbüros in Dortmund. Er<br />
ist u.a. besonders engagiert in Bau- und<br />
Beteiligungsprojekten. Er und sein Büro<br />
hatten auch die planerische Verantwortung<br />
in einem weiteren „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“-Projekt in Dortmund.<br />
Wettbewerbsverfahren aus Sicht einer<br />
Projekti<strong>nitiative</strong><br />
Die Durchführung eines wettbewerbsähnlichen<br />
Planungsverfahrens wurde anfangs von<br />
der Projekti<strong>nitiative</strong> sehr kritisch gesehen nach<br />
dem Motto: „Muss das dann jetzt auch noch<br />
sein?“ Dennoch einigten sich alle Beteiligten<br />
auf das Verfahren. Es wurden Architektur- und<br />
Planungsbüros zur Abgabe von Referenzen aufgefordert,<br />
aus denen die Eignung für diese spezifische<br />
Bauaufgabe aber auch für einen intensiven<br />
Planungs- und Realisierungsprozess mit<br />
einem bürgerschaftlichen Bauherrn hervorgehen<br />
sollten. Vier Büros wurden gemeinsam<br />
ausgewählt und zur Teilnahme am Verfahren<br />
aufgefordert. Sie erarbeiteten Vorschläge, die<br />
sie vor einer Jury vorstellen und begründen<br />
konnten. Die Jury setzte sich aus Vertretern der<br />
I<strong>nitiative</strong> und der Stadt sowie externen Fachleuten<br />
und dem Management „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
zusammen. Die Jury entschied sich<br />
einstimmig für den Entwurf des Büros Hanke<br />
mit der Verpflichtung, diesen auch umzusetzen.<br />
Auch die Projekti<strong>nitiative</strong> bewertet das<br />
Verfahren und das Ergebnis im Nachhinein<br />
sehr positiv, wie Jörg Karpowitz bestätigt: „Es<br />
ist tatsächlich gut, wenn man sich mehrere Alternativen<br />
aufzeigen lässt. Dann wird klar, was<br />
alles möglich ist. Am Anfang meint man ja, es<br />
könne nur eine Lösung geben. Der Entwurf von<br />
Andreas Hanke hat eine klare Botschaft und eine<br />
Strahlkraft für und über Deusen hinaus. Und<br />
er zeigte viele Möglichkeiten der baulichen<br />
Selbsthilfe auf. Ich muss wirklich sagen, dass ich<br />
das am Anfang nicht erwartet habe, aber das<br />
Ergebnis hat uns überzeugt. Inso fern kann ich<br />
auch anderen I<strong>nitiative</strong>n durchaus empfehlen,<br />
sich auf wettbewerbsähnliche Planungsverfahren<br />
einzulassen.“<br />
Planungsverfahren aus Sicht des<br />
Architekten<br />
Der Aufwand, der mit einem Wettbewerbsverfahren<br />
für einen Architekten verbunden ist, ist<br />
in der Regel groß, während die Auftragswahrscheinlichkeit<br />
eher gering ist. Vor diesem Hintergrund<br />
werden derartige Planungsverfahren<br />
von Architekten auch durchaus kritisch gesehen.<br />
Andreas Hanke: „Ich bin eigentlich kein<br />
großer Anhänger von Wettbewerbsverfahren.<br />
Aber natürlich haben sie den immensen Vorteil,<br />
dass vor allem der Bauherr, aber auch die anderen<br />
Beteiligten auswählen können – vergleichbar<br />
mit einer reichhaltigen Karte eines Restaurants,<br />
aus der man das Gericht auswählen kann,<br />
von dem man annimmt, dass es einem am besten<br />
schmeckt.“ Der symbolhafte Entwurf von<br />
Andreas Hanke konnte überzeugen, da dieser
die Aufgabe der würdevollen Umnutzung der<br />
Kirche als besondere Herausforderung begriffen<br />
hat. „Wir haben uns für einen Entwurf entschieden,<br />
der die Kirche als kulturellen und sozialen<br />
Veranstaltungsort nutzt und möglichst<br />
monochrom rein weiß gestaltet ist. Und wir<br />
haben getrennt neben die Kirche einen neuen<br />
Baukörper gestellt, der die Gastronomie als wesentlichen<br />
wirtschaftlichen, sehr weltlichen Faktor<br />
aufnimmt und der von uns in roter Farbe<br />
bewusst abgesetzt wird. ... Weil es ein Wettbewerbsverfahren<br />
ist, haben wir uns natürlich<br />
besonders angestrengt. Wir haben gerade die<br />
Kirchenumnutzung als große Herausforderung<br />
begriffen. Ich glaube schon, dass Wettbewerbe<br />
und derartige Planungsverfahren dabei helfen,<br />
bei neuen Planungsaufgaben klare und grundsätzliche<br />
Antworten zu finden.“<br />
Rollenzuweisung in der Planungs- und<br />
Bauphase<br />
Es ist immer eine besondere Herausforderung,<br />
einen guten, aus einem Wettbewerb hervorgegangenen<br />
Entwurf in seiner Qualität auch zu<br />
realisieren. Aufgabe der Architekten ist es, gestalterische<br />
Qualität und die Kosten in gleicher<br />
Weise im Auge zu behalten. Bürgerschaftliche<br />
Bauherren müssen sich aber auch mit den Argumenten<br />
der Architekten und der Verantwortung<br />
für die Gestaltung unserer städtischen<br />
Umwelt auseinandersetzen. Erst auf der Ebene<br />
der Genehmigungs- und Ausführungsplanung,<br />
der Ausschreibung und erst recht bei den vielen<br />
Alltagsentscheidungen auf der Baustelle<br />
muss sich das in der Realität erweisen.<br />
Die Rollenverteilung zwischen Bauherr und<br />
Architekt hat sich in Deusen als ein stetiger<br />
und auch streitiger Prozess erwiesen, der als<br />
Chance gesehen und genutzt wurde, das bestmögliche<br />
Ergebnis zu erreichen: Der Architekt<br />
als der kreative Part, der auf die Grundlinien<br />
achtet, die künstlerische Oberleitung inne hat,<br />
der Weitblick und Impulse einbringt und dem<br />
Projekt auch über den Ortsteil hinaus ein Pro -<br />
fil gibt und der bürgerschaftliche Bauherr mit<br />
dem praktischen Part, zuständig für die bauliche<br />
Umsetzung und die Finanzierung. Von<br />
immensem Vorteil war und ist, dass auf Projektseite<br />
Fachkompetenz zum Bauen vorhanden<br />
ist. „Ein starker Bauherr und ein starker Architekt<br />
gehören einfach zusammen,“ dies ist<br />
eine gemeinsame Erkenntnis von Jörg Karpowitz<br />
und Andreas Hanke. Und Andreas Hanke<br />
ergänzt: „Es ist ein glücklicher Umstand, dass<br />
wir hier einen wirklich kompetenten Bauherrn<br />
haben, der die bauliche Umsetzung so stark in<br />
die Hand nehmen kann und will.“ Im übrigen<br />
hilft das dem Projektträger, auch Planungsleistungen<br />
als Eigenanteil einbringen zu können.<br />
Andreas Hanke: „Dieser Dialog zwischen Bauherr<br />
und Architekt ist selten geworden – und<br />
gerade deswegen in diesem Projekt modellhaft.“<br />
Und Jörg Karpowitz: „Heute sage ich: Nur so<br />
wird das auch ein wirklich gutes Projekt.“<br />
Organisation der Selbsthilfe<br />
Bereits im Grundansatz des Wettbewerbsentwurfs<br />
stand die bauliche Selbsthilfe im Vordergrund<br />
der Überlegungen. Der Entwurf sah<br />
zunächst vor, dass beim Kirchenumbau im Bestand<br />
mit den vielen Schnittstellen zu Fachgewerken<br />
die bauliche Selbsthilfe des Trägervereins<br />
nicht so sehr zum Tragen kommen sollte.<br />
Die Selbsthilfe war anfangs vor allem dem<br />
Neubau zugeordnet. Das war auch einer der<br />
Gründe dafür, dass sich das Büro Hanke für eine<br />
Holzrahmenbauweise entschieden hat, weil<br />
hier viele Menschen auch ohne spezielle Fachkenntnisse<br />
mitarbeiten können. Der Trägerverein<br />
nahm das Selbsthilfeangebot des Holz-<br />
rahmenbaus sehr positiv auf, auch wenn sie<br />
anfangs mit dem Eigenkapitalersatz über<br />
Selbsthilfe sehr viel zurückhaltender umgingen.<br />
Jörg Karpowitz: „Es ist natürlich in der heutigen<br />
Zeit schwierig, Leute für so was zu begeistern,<br />
ihre Freizeit für eine Selbsthilfeaktion zu<br />
opfern.“ Umso überraschter ist man jetzt, dass<br />
es nach den Erfahrungen im ersten Bauabschnitt<br />
des Kirchenumbaus deutlich besser<br />
läuft als man zu Beginn kalkuliert hatte. Jörg<br />
Karpowitz: „Wir müssen zwar immer wieder<br />
Leute ansprechen, immer dahinter her sein,<br />
aber das klappt wirklich gut. Auf jeden Fall ist es<br />
auch gut, dass wir jetzt schon so viel auf unser<br />
„Eigenleistungskonto“ buchen können.“<br />
Der Vereinsvorstand hat den Umbau auf der<br />
Grundlage der Planung der Architekten sehr<br />
genau vorbereitet. Das gilt besonders für den<br />
Selbsthilfeprozess. Es mussten sehr präzise und<br />
zum Teil sehr kleinteilig die Gewerke bestimmt<br />
werden, die durch Selbsthilfe geleistet werden<br />
sollen und können. Der Verein musste ein-<br />
Planung, Engagement und Selbsthilfe<br />
oben: Bilder während einer Selbsthilfeaktion<br />
in der Kirche Deusen<br />
87
Planung, Engagement und Selbsthilfe<br />
oben: Computersimulation der Planung<br />
von Andres Hanke<br />
unten: Vorstand des Trägervereins und<br />
Selbsthelfer<br />
88<br />
schätzen, ob aus seinen Reihen und seinem<br />
Umfeld genügend Selbsthelfer zu mobilisieren<br />
sind und ob diese die benötigten Fähigkeiten<br />
und die notwendige Zeit einbringen können.<br />
Der Trägerverein kann im Frühjahr 2008 im<br />
ersten Bauabschnitt auf einen Kreis von 60<br />
Helfern zurückgreifen, die sporadisch kommen,<br />
und einen harten Kern von 5 bis 7 Personen, die<br />
nahezu immer auf der Baustelle sind. Hinzu<br />
kommen drei Verantwortliche vom Vorstand,<br />
die als Bauleiter, Polier und Anleiter fungieren.<br />
Die Kernarbeitszeit für die Selbsthilfe wurde<br />
auf die Wochenenden, freitags von 15 bis 18<br />
oder 19 Uhr und samstags von 10 bis 18 Uhr<br />
festgelegt, der Sonntag ist arbeits frei. Der Vorstand<br />
teilt die Selbsthelfer ein und ist Ansprech<br />
partner bei Fragen und Anregungen. Er<br />
spricht sich vorab mit den Architekten ab, weil<br />
die nicht ständig auf der Baustelle sein können.<br />
„Wichtig ist es auch, die Leute bei Laune zu<br />
halten“, sagt Jörg Karpowitz. „Wir haben einen<br />
Grill auf dem Gelände aufgestellt. Am Ende einer<br />
jeden Selbsthilfeaktion werden Würstchen<br />
gebraten und alle Helfer sitzen zusammen und<br />
lassen den Tag ausklingen.“ Aufgrund des großen<br />
Einsatzes der Selbsthelfer wurden in dem<br />
Zeitraum zwischen Januar und Anfang Mai<br />
2008 mehr als 1.200 Stunden geleistet.<br />
Trotz der guten Erfahrungen geht der Trägerverein<br />
davon aus, dass nach Fertigstellung des<br />
ersten Bauabschnitts des Kirchenumbaus erst<br />
einmal mit einem Einbruch zu rechnen ist.<br />
Daher wurde bewusst für die Sommermonate<br />
eine Pause für die Selbsthelfer eingeplant. Der<br />
Anfang des Neubaus wird von beauftragten<br />
Firmen übernommen, obwohl beispielsweise<br />
die Bodenplatte durchaus auch in Eigenleistung<br />
erbracht werden könnte. Jörg Karpowitz:<br />
„Aber wir dürfen uns die Leute nicht „verbrennen“.<br />
Wir gehen davon aus, dass wir dann im<br />
Herbst wieder mit der Selbsthilfe einsteigen.“<br />
Dokumentation der Selbsthilfe<br />
Der Dokumentation der Selbsthilfe kommt eine<br />
große Bedeutung zu, um sie gegenüber der<br />
öffentlichen Förderung als Eigenanteil mit 15<br />
Euro je Stunde nachweisen zu können. Der<br />
Verein hat eigens ein Formular entworfen, in<br />
das sich jeder Selbsthelfer namentlich einträgt<br />
und die Arbeitszeit sowie die Leistung, die er<br />
erbracht hat, aufführt. „Keiner verlässt die Baustelle,<br />
ohne das auszufüllen, zu unterschreiben<br />
und bei uns abzugeben“, mahnt Jörg Karpowitz.<br />
Der Vorstand prüft die Einträge und unterschreibt<br />
seinerseits, um die erbrachte Leistung<br />
zu bestätigen. Auch dies erfolgt in enger Absprache<br />
mit den Architekten. „Im Übrigen<br />
machen wir auch immer wieder Nachkalkulationen,<br />
um die Erfahrungen für die nach folgenden<br />
Arbeiten nutzen zu können.“
Flexibilität im Selbsthilfeprozess<br />
Vorkalkulationen der Selbsthilfe werden auf<br />
der Baustelle oft von der Realität eingeholt, da<br />
eben nicht alles vorhersehbar ist. Dann bleibt<br />
in der Regel nur ein geringer Vorlauf, so dass<br />
„just in time“ reagiert und besonders vor dem<br />
Hintergrund der Ausschreibungen und zu beauftragenden<br />
Unternehmen eine hohe Flexibilität<br />
und Entscheidungsfreude an den Tag<br />
gelegt werden muss. Nach den Erfahrungen<br />
in Deusen hilft es, mit dem beauftragten Unternehmen<br />
im Gespräch die Vor- und Nacharbeiten<br />
der Selbsthilfe durchzugehen. Ganz<br />
entscheidend sind daneben aber auch die verlässlichen<br />
und vertrauensvollen Absprachen<br />
mit den Architekten und der Stadt bezüglich<br />
des Vergaberechts. „Die Vergaben unter 10.000<br />
Euro bereiten wir vor“, erläutert Jörg Karpowitz.<br />
„Wir holen drei Angebote ein, machen den<br />
Vergleich im Preisspiegel und den Vergabevorschlag.“<br />
Die Angebote werden dann an die<br />
Stadt weitergegeben. Dort prüft der zuständige<br />
Ansprechpartner zügig die eingereichten<br />
Unterlagen und nimmt die Beauftragung vor.<br />
So kann der Förderverein sicher sein, dass das<br />
Verfahren förder- und vertragskonform abgelaufen<br />
ist. Die bisherigen Erfahrungen haben<br />
gezeigt, dass dieses Vorgehen effektiv ist: „Das<br />
klappt jetzt im ersten Bauabschnitt des Kirchenumbaus<br />
sehr gut, weil wir so viel in Eigenhilfe<br />
hingekriegt haben und die notwendigen Vergaben<br />
an Fachunternehmen unter 10.000 Euro<br />
liegen. Das wird möglicherweise im nächsten<br />
Bauabschnitt des Neubaus anders.“<br />
Selbsthilfe im Holzrahmenbau-Neubau<br />
Die Selbsthilfe im Neubau wurde bereits vorbereitet.<br />
„Ich glaube schon, dass die Selbsthelfer<br />
aus Deusen noch mal so richtig loslegen werden“,<br />
meint Andreas Hanke. Die großen Gewerke<br />
der Holzständer und der Holzrahmen werden<br />
ausgeschrieben und von Zimmerleuten<br />
aufgestellt und zusammengebaut. Alle Arbeiten,<br />
die dann folgen – wie die Dämmung, die<br />
Weichfaserplatten, die Verbretterung – können<br />
von den Selbsthelfern in Eigenleistung erledigt<br />
werden. „Weil man da auch sofort die baulichen<br />
Ergebnisse sehen kann, wird hier auch die<br />
Moti vation hoch sein. Da bin ich mir hier in<br />
Deusen ziemlich sicher. Das wird noch mal so eine<br />
richtig große Gemeinschaftsaufgabe.“<br />
Planung, Engagement und Selbsthilfe<br />
oben: weitere Bilder von einer Selbsthilfeaktion<br />
im Mai 2008<br />
89
90<br />
Vom notwendigen langen Atem...<br />
Gespräche mit Willi Engels, Hanne Mick, Heinz Eschbach<br />
Im Mündungsbereich der Sieg in den Rhein existiert seit 1987 ein kleines Museum einer örtlichen Fischereibruderschaft.<br />
Die „Fischerei-Bruderschaft zu Bergheim an der Sieg“ ist eine vor über 1.000 Jahren gegründete Vereinigung<br />
zur Bewirtschaftung der im Eigentum stehenden Altarme in Teilbereichen der unteren Sieg sowie zum Erhalt ihrer<br />
eigenen Fischereirechte. Um die Tradition und die historische Bedeutung der Fischerei deutlich zu machen, entstand<br />
die Idee, ein öffentlichkeitswirksames „Museums- und Besucherzentrum“ zu errichten. Im Zusammenhang der Regionale<br />
2010 – und hier eingebunden in Überlegungen zur landschaftlichen und touristischen Weiterentwicklung –<br />
nahm sich die Fischerei-Bruderschaft mit ihrem breiten bürgerschaftlichen Umfeld dieser Idee an. Die Stadt Troisdorf,<br />
der Rhein-Sieg-Kreis sowie die <strong>NRW</strong>-Stiftung und der Landschaftsverband Rheinland konnten darüber hinaus<br />
eingebunden werden. Heute besteht ein ambitioniertes und komplexes Projektkonzept mit den Bestandteilen: Fischereimuseum,<br />
Basis-Station zur Erkundung des Siegmündungsbereichs und touristischer Knotenpunkt.<br />
In dem nachfolgenden Werkstattbericht geht es um die Notwendigkeit eines „langen Atems“ sowie der Schaffung eines<br />
„freundlichen Umfeldes“ der Projektbeteiligten im Prozess der Projektrealisierung. In drei Gesprächen, die Kerstin<br />
Bohnsack mit Willi Engels, Hanne Mick und Heinz Eschbach im Juni 2008 führte, wurde aus den jeweils unterschiedlichen<br />
Blickwinkeln, nämlich aus Sicht der Fischerei-Bruderschaft, der Regionale 2010 sowie der Stadt Troisdorf, das<br />
Thema beleuchtet.<br />
Willi Engels ist „Erster Brudermeister“ der<br />
„Fischerei-Bruderschaft zu Bergheim an<br />
der Sieg“ und dort neben der allgemeinen<br />
Projektverantwortung im Vorstand auch<br />
für das Planen und Bauen zuständig<br />
(„Bauminister“).<br />
Hanne Mick ist Projektleiterin bei der<br />
Regionale 2010. Sie begleitet z.B. ein<br />
großräumiges Pilotprojekt zum Aufbau<br />
eines Kulturlandschaftsnetzwerkes in der<br />
Region Köln/Bonn (sog. „Grünes C“), bei<br />
welchem u.a. das Fischereimuseum, der<br />
Siegmündungsbereich und die touristische<br />
Erschließung zentrale Themen darstellen.<br />
Heinz Eschbach ist Erster Beigeordneter<br />
der Stadt Troisdorf. Die Stadt engagiert<br />
sich bei der Projektrealisierung durch das<br />
Einbringen eines erheblichen Stiftungsbeitrages<br />
in die für das Projekt gegründete<br />
Bürgerstiftung.<br />
... das bürgerschaftlich getragene Projekt ist<br />
der Kern<br />
Das Potenzial einer 1.000-jährigen Tradition<br />
In Troisdorf-Bergheim ist die „Fischerei-Bruderschaft<br />
zu Bergheim an der Sieg“ beheimatet.<br />
Über 1.000 Jahre lang bewirtschafteten die<br />
zunftähnlich organisierten Bergheimer Fischereibrüder<br />
die Gewässer im Gebiet der Siegmündung.<br />
Bis heute wurde die Tradition von<br />
Generation zu Generation aufrechterhalten,<br />
so dass die Bruderschaft als Körperschaft des<br />
privaten Rechts das Fischereirecht in den Gewässern<br />
der unteren Sieg hält. Willi Engels:<br />
„Wesentlicher Bestandteil für den Zusammenhalt<br />
der Bruderschaft war ja, dass die zur Bruderschaft<br />
gehörenden Familien durch das<br />
Handwerk des Flussfischers ihr Familiendasein<br />
bestreiten konnten. Nach der Zeit, als der Berufsfischer<br />
seinen Stand aufgeben musste, dies war<br />
Mitte des letzten Jahrhunderts, sind wir praktisch<br />
übergegangen in eine ausschließliche Verwaltung<br />
der Fischereirechte. Allerdings wollten<br />
wir das, was unsere Väter und Altväter uns hinterlassen<br />
haben, an die nachfolgenden Generationen<br />
weitergeben. Das war auch der Grund,<br />
dass wir uns vor unserer 1.000Jahrfeier im Jahr<br />
1987 angestrengt haben, die Kosten für ein Museum<br />
aufzubringen. Dieses Museum, an einem<br />
Altarm der Sieg am Übergang der Grenze zwischen<br />
den Städten Troisdorf und Niederkassel<br />
gelegen, widmet sich der Geschichte der Flussfischerei<br />
und legt seinen Schwerpunkt auf die<br />
Entwicklung der Bergheimer Fischerei-Bruderschaft<br />
unter Einbeziehung der fischereirechtlichen<br />
Aspekte. Die Bruderschaft nutzt und be-<br />
wahrt dieses als Treff- und Mittelpunkt, aber<br />
auch als Aufbewahrungs- und Präsentationsort<br />
von Alleinstellungsgegenständen und Fischereigerätschaften<br />
der Flussfischerei.<br />
Neuausrichtung des Museums zum Erhalt des<br />
kulturellen Erbes und des einmaligen Naturraums<br />
Um die Erinnerung an das nahezu ausgestorbene<br />
Handwerk des Binnenfischers zu erhalten<br />
und angespornt durch den Zuspruch aus der<br />
Bevölkerung und Politik sowie im Zusammenhang<br />
mit der Regionale 2010, der <strong>NRW</strong>-Stiftung,<br />
dem Landschaftsverband Rheinland und<br />
dem Programm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ will sich<br />
die Bruderschaft nun an die grundsätzliche<br />
Umgestaltung und Neuausrichtung des Museums<br />
wagen. Das bestehende Museumsgebäude<br />
soll deutlich vergrößert und um eine zukunftsweisende<br />
und attraktive Ausstellung<br />
erweitert werden. Es soll ein öffentlicher Ort<br />
entstehen, der nicht nur die Traditionen der<br />
Fischerei-Bruderschaft darstellt, sondern über<br />
die lokale Historie hinaus sowohl für den Landschaftsraum<br />
der Siegmündung als auch für<br />
Tourismus und Naherholung wichtige und<br />
nachhaltige Funktionen übernehmen will, wie<br />
Willi Engels erläutert: „Eine Neuausrichtung<br />
des Museums ist lebensnotwendig für unsere<br />
FischereiBruderschaft, ganz besonders aber für<br />
unsere Söhne und Enkelsöhne. Unsere Altväter<br />
haben immer nur so viel Fisch aus den Gewässern<br />
entnommen, wie zum Eigenverbrauch benötigt<br />
wurde, um so den Fischbestand nachhaltig<br />
zu sichern. Wir erzielen keine individuellen<br />
wirtschaftlichen Erträge durch unsere Altarme,
sondern sie dienen nur zum Erhalt des Fischbestandes.<br />
Zudem wollen wir unseren Jungfischern<br />
die Chance geben, diese Tradition weiterzugeben<br />
und damit das kulturelle Erbe zu<br />
be wahren.“ Gerade auch aufgrund der Lage<br />
des Museums am Rande des einzigartigen<br />
Siegmündungsbereichs in den Rhein sieht sich<br />
die Fischerei-Bruderschaft in erheblicher Verantwortung<br />
für die sich über die Jahrhunderte<br />
geänderten Siegmündung, was auch durch<br />
Willi Engels hervorgehoben wird: „Wir waren<br />
immer bereit, etwas für das gesamte Gebiet zu<br />
tun. Wir sind verantwortlich für diesen Raum.<br />
Denn wir sind nicht nur für die Bruderschaft da,<br />
sondern auch für den Ortsteil und auch für die<br />
Stadt Troisdorf. Jeder bringt schon heute von der<br />
Bruderschaft seine Stunden mit ein, um den Naturraum<br />
der Siegmündung zu erhalten.“ Eine<br />
wesentliche Zukunftsaufgabe der Bruderschaft<br />
wird es sein, die Bedeutung der Wasserlandschaft,<br />
des Wasserschutzes sowie des Naturschutzes<br />
in der Siegmündung mit der Tradition<br />
der nachhaltigen Nutzung zu verknüpfen.<br />
Von Generation zu Generation<br />
„Allein in der Stadt Troisdorf kommen wir auf<br />
ca. 1.000 Personen, die aus Familien der Fischerbrüder<br />
kommen, die also mit den Fischerfamilien<br />
verwandt sind. Und das ist das Besondere,<br />
das ist die Basis. Darüber hinaus hat die FischereiBruderschaft<br />
in den letzten 30 Jahren in<br />
Troisdorf einen Bekanntheitsgrad ohnegleichen<br />
erlangt. Hinter dem Projekt stecken Menschen<br />
und Tradition,“ erklärte Engels. Der Prozess der<br />
Neuausrichtung des Museums ist somit nur<br />
durch die vorhandenen (örtlichen) Strukturen<br />
und Netzwerke der Fischerei-Bruderschaft<br />
möglich. Aus der Familientradition heraus wird<br />
bereits den Kindern die Verantwortung für den<br />
Erhalt der Fischereitradition und für den Naturschutz<br />
im Siegmündungsbereich weitergegeben.<br />
Willi Engels betont: „Das ist ja eine Art<br />
Sonderprojekt. Wer befasst sich schon mit dem<br />
Thema Fischerei? Für den Projektentwicklungsprozess<br />
muss man Geduld mitbringen und immer<br />
wieder hart und stur sein. Man braucht<br />
den Atem einer 1.000jährigen Tradition.“<br />
...von der Einordnung in eine Stra te gie<br />
regionaler Entwicklung<br />
Einbindung des Fischereimuseums in die Regionale<br />
2010<br />
Die Regionale 2010 verfolgt als Strukturprogramm<br />
des Landes Nordrhein-Westfalen einen<br />
breit angelegten, konzeptionellen Gesamtansatz,<br />
um die Qualitäten und Eigenheiten der<br />
Region Köln/Bonn herauszuarbeiten und Impulse<br />
für deren zukünftige Entwicklung zu geben.<br />
Die Projekte der Regionale 2010 sollen dabei<br />
Anstöße für Entwicklungen geben, zum<br />
Austausch anregen und die Vernetzung fördern.<br />
In diesem Zusammenhang ordnet sich<br />
das Projekt Fischereimuseum in die „Sicherung<br />
und Entwicklung des kulturellen Erbes“ in das<br />
Thema Kulturlandschaft der Region Köln/Bonn<br />
Vom notwendigen langen Atem...<br />
oben links: Fischereibrüder<br />
oben rechts: Atmosphäre am Discholls,<br />
einem der Altarme der Sieg im Mündungsbereich<br />
in den Rhein<br />
91
Vom notwendigen langen Atem...<br />
92<br />
ein. Hanne Mick: „Es sollen die charakteristischen<br />
Eigenschaften der Landschaft durch konkrete<br />
Projekte in den Bereichen Natur und<br />
Kulturerbe sichtbar gemacht und in einen regionalen<br />
Zusammenhang gebracht werden. In<br />
diesem Kontext ist der Landschaftsraum im<br />
„Grünen C“ vom Nordrand der Stadt Bonn über<br />
den Rhein hinweg zu nennen, in welchem das<br />
in TroisdorfBergheim angesiedelte Fischereimuseum<br />
einen wesentlichen Trittstein in der Entwicklung<br />
des Freiraumkorridors im Mündungsbereich<br />
der Sieg in den Rhein darstellt. Das<br />
Fischereimuseum nimmt aufgrund seines einzigartigen<br />
und besonderen kulturellen Erbes<br />
einen Kernpunkt in der Kombination Kulturlandschaft<br />
und kulturelles Erbe der Region Köln/<br />
Bonn ein.“ Demnach soll die existierende Vielfalt<br />
der Region Köln/Bonn über konkrete Projekte<br />
für die Bevölkerung langfristig deutlich<br />
gemacht werden. Aufgrund der lokalhistorischen<br />
Besonderheit und der Einmaligkeit spielt<br />
die Fischerei-Bruderschaft hierbei eine wesentliche<br />
Rolle, wie Hanne Mick bestätigt: „Das haben<br />
wir nur einmal in der Region. Einerseits ist<br />
der Standort des Fischereimuseums sehr stark<br />
geprägt von der Alleinstellungssituation des<br />
Naturraums entlang der Sieg. Zum anderen<br />
stellt die 1.000jährige Bruderschaft eine ganz<br />
wesentli che regionale und durch Tradition geprägte<br />
Besonderheit dar. Das heißt, dass sich<br />
der touristi sche Knotenpunkt Fischereimuseum<br />
stark mit der Thematik des Naturraums auseinandersetzt<br />
und mit einer kulturellen Tradition<br />
sowie der inneren Stärke der FischereiBruderschaft<br />
verquickt wird, die in Nord rheinWest <br />
fa len durchaus einzigartig ist. Diese Potenziale<br />
begründen, warum das Fischereimuseum als<br />
Projekt der Regionale 2010 mit aufgenommen<br />
wurde.“<br />
Chancen für die Vermittlung des regionalen<br />
Kontextes<br />
Die Idee, ein öffentlichkeitswirksames Fischereimuseum<br />
mit Alleinstellungsmerkmal zu errichten,<br />
wird durch die Regionale 2010 im Kontext<br />
der landschaftlichen Weiterentwicklung<br />
und Naherholungslenkung maßgeblich mit vorangebracht.<br />
Im Gebäude selber wird es eine<br />
Basis- Informationsstation zur fußläufigen Erkundung<br />
des ökologisch fragilen Siegmündungsbereichs<br />
geben. Mit dem Fischereimuseum<br />
im zentralen Bereich der Siegmündung<br />
und an einer Verbindung zwischen den fahr-<br />
radtouristisch stark frequentierten Stationen<br />
Siegfähre und Mondorfer-Rhein-Fähre kommt<br />
damit eine neue Station hinzu. Mick: „Das Fischereimuseum<br />
befindet sich in der Verbindungsachse,<br />
die den heterogenen Landschaftsraum<br />
erfahrbar macht für Radfahrer, Wanderer<br />
und Bewohner vor Ort. Es handelt sich nicht nur<br />
um eine (Rad)Wegeverbindung sondern um eine<br />
Informationslinie, entlang derer sich landschaftstypische<br />
Merkmale sowie andere Besonderheiten<br />
in der Natur und Kulturlandschaft<br />
vermitteln lassen. Auch die Sensibilisierung und<br />
Motivation für die komplexen Zusammenhänge<br />
zwischen Natur und Kultur können jungen Besuchern<br />
nahe gebracht werden. Somit ist das Fischereimuseum<br />
durch seine Lage innerhalb<br />
eines stark frequentierten Naherholungsraums<br />
und mit seinem Attraktionswert von echter<br />
strategischer Bedeutung für die Vermittlung der<br />
Natur und Kulturlandschaft in der Region.“<br />
Bürgerschaftliches Engagement<br />
Da sich die Regionale 2010 u.a. als Netzwerk für<br />
die Akteure der Region Köln/Bonn versteht,<br />
wird versucht, konkrete Anreize zur Zusammenarbeit<br />
über kommunale Grenzen sowie zur<br />
Zusammenarbeit zwischen privaten und (halb)<br />
öffentlichen Akteuren und Kommunen aufzubauen.<br />
„Gerade auch durch bürgerschaftliches<br />
Engagement sollen Prozesse für und der Aufbau<br />
von langfristigen Strukturen mit unterstützt<br />
werden“, so Mick. Die Einbettung des im Kern<br />
bürgerschaftlich getragenen Projektes Fischereimuseum<br />
in eine öffentlich-private Partnerschaft<br />
mit der Stadt Troisdorf und dem Rhein-<br />
Sieg-Kreis, mit öffentlichen Institutionen,<br />
privaten Unternehmen und Bürgern unterstützt<br />
die Strategie der (über)regionalen Vernetzung<br />
und Entwicklung der Regionale 2010.<br />
Hanne Mick: „Das ist ja das faszinierende an<br />
dem Projekt Fischereimuseum. Es gibt eine Vernetzung<br />
und ein miteinander verknüpfen, was<br />
ein ganz wesentliches Ziel der Regionale2010<br />
Strategie ist. Der Gedanke, eine verbleibende<br />
Struktur über einen ‚bottomupAnsatz’ zu<br />
schaffen, wird dazu beitragen, dass das Kulturlandschaftsnetzwerk<br />
über die Zeitdauer der Regionale<br />
2010 mit getragen wird.“ Dabei liegt die<br />
Herausforderung der Regionale 2010 darin, die<br />
angestoßenen Prozesse tatsächlich über die<br />
zahlreichen Projekte in der Region fest zu verankern.<br />
Hierbei spielen neben den Potenzialen<br />
der regionalen Kooperation auch die einzelnen
Projektträger eine wesentliche Rolle. „Im Projekt<br />
Fischereimuseum muss bedacht werden,<br />
dass sich eine 1.000jährige Fischereibruderschaft<br />
als etablierte Körperschaft auf neue<br />
Wege macht und sich neu aufstellt. Ohne den<br />
‚langen Atem’ der FischereiBruderschaft wäre<br />
dieser Projektentwicklungsprozess bis zum Präsentationsjahr<br />
2010 wahrscheinlich nicht möglich“,<br />
betonte Hanne Mick.<br />
... vom „freundlichen Umfeld“ in einer<br />
handlungsfähigen Kommune<br />
Stadtprofil und Kulturlandschaft<br />
Die Stadt Troisdorf engagiert sich maßgeblich<br />
bei der Realisierung des Projektes Fischereimuseum<br />
und stellte sich von Anfang an unterstützend<br />
hinter die Pläne zur Neuausrichtung des<br />
Museums. Dabei verspricht sich die Stadt im<br />
Hinblick auf eine (Stadt-)Profilierung und Freiraumentwicklung<br />
zahlreiche Anstöße durch<br />
das Projekt. Folgende Aspekte stellen dabei für<br />
Heinz Eschbach die maßgeblichen Kriterien für<br />
das Engagement der Stadt Troisdorf dar: „Die<br />
Sammlung, die im Fischereimuseum vorgehalten<br />
wird, ist in qualitativer Hinsicht und in dieser<br />
Art im näheren und weiteren Umfeld nicht<br />
wieder vorzufinden. Darüber hinaus kann der<br />
Träger des Museums auf eine über 1.000jährige<br />
Geschichte vor Ort blicken, was wiederum<br />
etwas mit Identitätsstiftung für den gesamten<br />
Ortsteil und die Stadt Troisdorf zu tun hat. Mit<br />
der Neuausrichtung des Museums besteht ferner<br />
die Chance, für Kinder und Jugendliche,<br />
aber ganz besonders auch für die Bildungsarbeit<br />
an unseren Schulen einen gravierenden<br />
Mehrwert zu schaffen. Schlussendlich ist ja das<br />
Museum eingebettet in einen einzigartigen<br />
Landschafsraum, der in Zukunft durchaus touristische<br />
Potenziale in der Kombination mit den<br />
Projekten Mondorfer Fähre und Siegfähre aufweisen<br />
wird.“<br />
Bürgerstiftung und Langfristigkeit<br />
Die Trägerschaft des zukünftigen Museums<br />
wird bei der Bürgerstiftung liegen, an der sich<br />
die Stadt Troisdorf und der Rhein-Sieg-Kreis finanziell<br />
mit erheblichen Summen bei der Aufbringung<br />
des Stiftungskapitals beteiligen. Gerade<br />
die langfristige Sicherung des Vermögens<br />
und der Grundgedanke, die Attraktivität des<br />
Stadtprofils durch das Projekt Fischereimuseum<br />
zu erhöhen und den dauerhaften Betrieb<br />
abzusichern, sind wesentliche Gründe für die<br />
Projektunterstützung durch die Stadt Troisdorf,<br />
wie Heinz Eschbach erklärt: „Über eine Stiftung<br />
kann ein wesentlicher Beitrag zur langfristigen<br />
Sicherung des Projektes geleistet werden, da das<br />
Stiftungskapital dauerhaft zur Verfügung steht<br />
und Erträge abwirft, die mit dazu beitragen<br />
werden, das Betreiben des Museums auf Dauer<br />
zu sichern. Und wenn es wirklich um identitätsstiftende<br />
Funktionen vor Ort gehen soll, dann ist<br />
es auch richtig, dass man das in Form einer Bürgerstiftung<br />
macht. Natürlich sind immer wieder<br />
Fragen aufgekommen, ob es überhaupt Möglichkeiten<br />
für das Projekt Fischereimuseum gibt,<br />
in eine öffentliche Förderung jenseits der Stadt<br />
Troisdorf zu kommen oder wie sich die Rahmenbedingungen<br />
bei den Zustiftungen gestalten. Es<br />
haben sich aber immer wieder Wege aufgezeigt.“<br />
Für die Stadtentwicklung von Troisdorf<br />
und deren Profilierung ist es zudem wichtig,<br />
dass bürgerschaftliches in Kooperation mit<br />
städtischem Engagement praktiziert wird.<br />
„Diese Kombination ist der richtige Weg, wie das<br />
Projekt Fischereimuseum deutlich macht!“, so<br />
Eschbach. Da das Projekt unter anderem in den<br />
Regionale-2010-Prozess und damit in Überlegungen<br />
zur landschaftlichen und touristischen<br />
Weiterentwicklung eingebunden ist, kann es<br />
aus seiner Sicht „nicht von heute auf morgen<br />
umgesetzt werden.“ Dennoch nimmt das Projekt<br />
insgesamt einen positiven Verlauf, so dass<br />
die Stadt Troisdorf mit der angestrebten Fertigstellung<br />
im Jahr 2010 rechnet, wie Eschbach erläutert:<br />
„Sicherlich werden noch zahlreiche<br />
Schwierig kei ten im Rahmen der baulichen Umsetzung<br />
sowie beim Aufbau von Kooperationen<br />
auftreten. Aber ich denke, insgesamt wird der<br />
Atem ausreichend sein, um das von uns allen<br />
gleichermaßen als erstrebenswert definierte<br />
Ziel, nämlich die Realisierung eines einmaligen,<br />
identitätsstiftenden Projektes, auch umzusetzen.<br />
Hierzu bedarf es natürlich des besagten<br />
‚langen Atems’.“<br />
Vom notwendigen langen Atem...<br />
93
Vom Aufbau eines verlässlichen Wirtschaftsplans<br />
von Joachim Boll in Zusammenarbeit mit Lutz Hempel, Markus Selders,<br />
Axel Sostmann<br />
Aus der Erfahrung einer 10-jährigen Begleitung<br />
von „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-Projekten<br />
und mit Unterstützung von drei Experten, die<br />
Projekti<strong>nitiative</strong>n bei „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ als<br />
Unternehmensberater unterstützen, wird<br />
nachfolgend der Versuch unternommen, Rahmenbedingungen<br />
eines beispielhaften Wirtschaftsplans<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ darzustellen.<br />
Die folgenden Ausführungen sind in zwei Teile<br />
gegliedert:<br />
• Wirtschaftlichkeit nach „Geschäftsbereichen“<br />
(Erfolgsplan)<br />
• steuerliche und Liquiditätsfragen<br />
Alle Projekte benötigen bei „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
langfristige, verlässliche und möglichst<br />
nachhaltige Wirtschaftspläne. Das eine ist die<br />
organisatorische und wirtschaftliche Kraft,<br />
die nur aus dem jeweiligen Projekt heraus entwickelt<br />
werden kann. Das andere ist eine hilfreiche<br />
Struktur von Wirtschaftsplänen, die für<br />
alle Beteiligten transparent und nachvollziehbar<br />
ist. Dabei zeigen sich immer wieder die<br />
sehr unterschiedlichen „Logiken“ von Wirtschaftlichkeit,<br />
Steuer und öffentlicher Förderung,<br />
wenn es zur Darstellung von Wirtschaftsplänen<br />
und Jahresabschlüssen kommt.<br />
Wirtschaftspläne für einen erfolgreichen Betrieb<br />
sollten nicht erst am Ende einer Projektentwicklung<br />
stehen, sondern sie sollten neben<br />
der Nutzungs-/Projektidee, dem Planen und<br />
Bauen und seiner Finanzierung sowie der Trägerschaft<br />
und Organisation als Instrument der<br />
Projektentwicklung begriffen werden. Denn an<br />
den wirtschaftlichen Eckdaten lassen sich<br />
schon früh Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit<br />
eines Projektkonzepts erkennen.<br />
Die Projektträger benötigen einen Wirtschaftsplan,<br />
der den jeweiligen Betrieb strukturiert<br />
und so realistisch wie möglich abzubilden versucht.<br />
Er muss nicht nur für Steuer- und Finanz-<br />
experten, sondern für möglichst alle an einem<br />
Projekt Beteiligten transparent und nachvollziehbar<br />
sein. Dies ist letztlich ein Gebot der<br />
„projektinternen Demokratie“, die gerade bei<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ von großer Bedeutung ist.<br />
Aus dem Wirtschaftsplan muss der Erfolgsplan<br />
(wirtschaftlicher Betrieb), der steuerliche Jahresabschluss<br />
und der Liquiditätsplan hervorgehen.<br />
Der Erfolgsplan bildet den wirtschaftlichen<br />
Betrieb ab, also die „Aktivitätsbereiche“;<br />
die Öko nomen sprechen auch von „Geschäftsbereichen“<br />
oder „Profitcentern“. Deren Strukturierung<br />
ist der notwendige erste Schritt.<br />
Dabei geht es im Kern darum, den geplanten<br />
„Geschäftsbereichen“ jeweils möglichst genau<br />
Kosten und Einnahmen zuordnen zu können.<br />
Dann ist zu erkennen, welche „Geschäftsbereiche“<br />
wie hohe Überschüsse oder positive Deckungsbeiträge<br />
erwirtschaften können, die andere<br />
„Geschäftsbereiche“ mit Unterdeckungen<br />
in der Lage sind auszugleichen. Denn positive<br />
Deckungsbeiträge sind Voraussetzung für die<br />
Tragfähigkeit des Gesamtprojekts (insbesondere<br />
für die Gebäudewirtschaft und das Management<br />
einer Geschäftsstelle, aber auch z.B.<br />
soziale, kulturelle und stadtteilbezogene Akti vitäten).<br />
Erläuterungen zum<br />
wirtschaftlichen Erfolgsplan (auf S.96)<br />
Umsatzerlöse, Aufwendungen und Rohergebnis<br />
nach Geschäftsbereichen<br />
Es sind die zentralen (gemeinnützigen, sozialen,<br />
kulturellen sowie erwerbswirtschaftlichen<br />
und auf Erträge ausgerichteten) Geschäftsbereiche<br />
des jeweiligen Projekts zu definieren<br />
und wirtschaftlich abzugrenzen. Diesen Geschäftsbereichen<br />
sind die ihnen eindeutig<br />
zuzuordnenden Einnahmen und Ausgaben zuzurechnen.<br />
Dies ist die Grundlage für eine ratio<br />
nale wirtschaftlich-organisatorische Betrachtung<br />
der Aufgaben und Ziele des Projekts.<br />
Es macht deutlich, in welchen Bereichen Deckungsbeiträge<br />
erzielt werden, die notwendig<br />
sind, um andere Bereiche aus eigenen Kräften<br />
zu stützen, die ohne positive Deckungsbeiträge,<br />
aber Kernanliegen des Projekts sind.<br />
Geschäftsbereiche<br />
In der Übersicht sind typische Beispiele aus<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-Projekten aufgeführt. Bei<br />
einem Veranstaltungsprogramm ist z.B. zwischen<br />
Eigen- und Fremdveranstaltungen zu<br />
unterscheiden. Fremdveranstaltungen sind<br />
weitgehend punktuellen Vermietungen gleichzusetzen,<br />
ideal sind Veranstaltungsreihen mit<br />
Partnern, Veranstaltungsagenturen oder Städten.<br />
Eigenveranstaltungen sind aufwändiger<br />
und gehen auf Risiko des Projektträgers; sie benötigen<br />
für jede Veranstaltung eine vollkommen<br />
eigenständige Kalkulation. Kulturelle Veranstaltungsprogramme<br />
benötigen ein profes -<br />
Lutz Hempel ist Unternehmensberater<br />
bei ICG Culturplan, Berlin. Er hat u.a. das<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-Projekt Canyon in<br />
Köln-Chorweiler in der anfänglichen Projektentwicklung<br />
unterstützt.<br />
Markus Selders ist selbständiger Unternehmensberater<br />
(B&U Beraten und Umsetzen,<br />
Aachen). Er hat die Initiatoren des „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“-Projekts Tuchwerk Aachen<br />
bei der Konstruktion der Trägerschaft und<br />
beim Aufbau von Wirtschaftsplänen maßgeblich<br />
begleitet.<br />
Axel Sostmann ist Unternehmensberater<br />
und Marktforscher bei a&o empirics,<br />
Düsseldorf. Er hat bei dsp-consulting Duisburg<br />
u.a. die „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-Projekte<br />
Ledi genheim Lohberg in Dinslaken und<br />
Becker&Funck in Düren beim Projektaufbau<br />
beraten.<br />
linke Seite: in der Alten Feuerwache in<br />
Duisburg-Hochfeld<br />
95
Vom Aufbau eines verlässlichen Wirtschaftsplans<br />
96<br />
Teil 1: Erfolgsplan, Deckungsbeitragrechnung nach Geschäftsbereichen<br />
(1) Geschäftsbereiche<br />
Umsatz(erlöse) Aufwendungen<br />
(erwirtschaftete Einnahmen nach (den Geschäftsbereichen/„Profit-Centern“ ein-<br />
Geschäftsbereichen/„Profit-Centern“) deutig zuzuordnende Kosten: Personal, Aufträge/<br />
Fremdleistungen, Material, Ausstattung, Technik)<br />
• z.B. Erlöse (+), Aufwendungen (-) Eigenveranstaltungen<br />
• z.B. Erlöse (+), Aufwendungen (-) Fremdveranstaltungen (Mieten, Service-Pakete)<br />
• z.B. Erlöse (+), Aufwendungen (-) Ausstellungs-, Museumsbetrieb etc.<br />
• z.B. Erlöse (+), Aufwendungen (-) Fix-Vermietungen/Verpachtungen<br />
• z.B. Erlöse (+), Aufwendungen (-) Raumvergaben an Partner, Vereine, Gruppen (Gebührenordnungen)<br />
• z.B. Erlöse (+), Aufwendungen (-) Eigenbetriebe (wie Bistro/Café, Gastronomie, Verkauf/Shops)<br />
Summe Umsatzerlöse Summe Aufwendungen<br />
Rohergebnis aus Geschäftsbereichen: Umsatzerlöse minus Aufwendungen<br />
(2) Kosten Gebäudewirtschaft<br />
• (+-) Gebäudenebenkosten I (den obigen Geschäftsbereichen zugeordnet)<br />
• (+-) Gebäudenebenkosten II (der Geschäftsstelle/den Gemeinkosten zugeordnet)<br />
• (-) Hausmeister (sofern nicht in o.a. Gebäudenebenkosten bzw. u.a. Personalkosten)<br />
• (-) Instandhaltung, Reparaturen (sofern nicht in o.a. Gebäudenebenkosten)<br />
• (-) Rücklagen (Gebäude und Gebäudetechnik)<br />
(3) Kosten Geschäftsstelle/Management<br />
Personalkosten<br />
• (+-) Kosten Personal in den Geschäftsbereichen (Teil des obigen Rohergebnisses unter (1))<br />
• (-) Gemeinkosten Personal außerhalb der Geschäftsbereiche<br />
Sachkosten Projektmanagement und Geschäftsstelle<br />
• (-) Miete Gemeinflächen<br />
• (-) Gebäudenebenkosten Gemeinflächen<br />
• (-) Verwaltungs-/Bürokosten<br />
• (-) Beratungskosten<br />
• (-) Werbung/Marketingkosten<br />
Summe Gemeinkosten Geschäftsstelle/Management<br />
(4) Allgemeine Einnahmen<br />
• (+) Spenden<br />
• (+) Sponsoring<br />
• (+) Mitgliedsbeiträge<br />
• (+) Zinserträge<br />
Betriebsergebnis Erfolgsplan (Saldo (1)-(4) vor Abschreibung/Zinsen/Steuern)
sionelles oder zumindest professionalisiertes<br />
Veranstaltungsmanagement. Von daher können<br />
diese u.U. in einen Geschäftsbereich zusammengeführt<br />
und diesem zumindest ein Teil der<br />
Personal- wie Marketingkosten unmittelbar zugeordnet<br />
werden.<br />
Die Vergabe von Räumen an örtliche Gruppen,<br />
Vereine und I<strong>nitiative</strong>n („Bürgerhaus“), in vielen<br />
Fällen auch für private Feiern und Feste („Nachbarschaftshaus“)<br />
ist gut über die ehrenamtlichen<br />
Systeme in den Projekten organisierbar.<br />
Wichtig ist eine klare Verständigung auf eine<br />
„Gebührenordnung“, eine „Telefonnummer zur<br />
Buchung“ und eine „Schlüsselverantwortung“.<br />
Darüber hinausgehende Vermietungen an<br />
Dritte dienen einer guten Auslastung und /<br />
oder der Erzielung von finanziellen Deckungsbeiträgen.<br />
Hier ist in aller Regel ein professionelles<br />
Herangehen angeraten (z.B. Anbindung<br />
an das zuvor erwähnte Veranstaltungsmanage<br />
ment oder an die generelle Geschäftsführung/Geschäftstelle).<br />
Mieten sollten sich am<br />
jeweiligen Markt orientieren.<br />
Bei allen Vermietungen sind besondere Serviceleistungen<br />
zu berücksichtigen, die vom Kunden<br />
extra gemietet werden können / müssen (Reinigung,<br />
Betriebskosten, Genehmigungskosten,<br />
technischer Service, Bestuhlung, Bühne, Licht,<br />
Ton u.a.m.). Dieser Service kann u.U. als besondere<br />
Leistung von außen angemietet oder je<br />
nach Häufigkeit im Projekt vorgehalten werden.<br />
Veranstaltungstechnik (Licht, Ton, Bühne, Seminarausstattung<br />
etc.) und deren über die Jahre<br />
zu verteilenden kalkulatorischen Wiederbeschaffungskosten<br />
sind möglichst auch den Geschäftsbereichen<br />
zuzuordnen. Wenn dies in der<br />
praktischen Zuordnung zu theoretisch wird,<br />
sollten sie eigenständig vor dem ausgewiesenen<br />
Betriebsergebnis zusammengefasst werden.<br />
Grundlage der Berechnung der Wiederbeschaffungskosten<br />
können entsprechende<br />
Abschreibungstabellen sein. Als Faustwert sollte<br />
zunächst von 10% p.a. der Ausgangsinvestition<br />
ausgegangen werden.<br />
Feste Dauervermietungen von Räumen haben<br />
den Vorteil planbarer Einnahmen. Sie setzen<br />
aber auch eine gebäudewirtschaftliche Nebenkostenverwaltung<br />
voraus.<br />
Ausstellungs- und Museumsbetriebe bedürfen<br />
einer vollkommen eigenständigen Grundkalkulation<br />
(Eintritt, Kasse, Aufsicht, Pflege und<br />
Wiederbeschaffung von Museums-/ Ausstellungsgegenständen,<br />
Marketing, Ticketing, Museumspädagogik).<br />
Wirtschaftliche Geschäftsbereiche in den Projekten<br />
sind ökonomisch mit ihren Deckungsbeiträgen<br />
letztlich wie „Fremdbetriebe“ zu<br />
werten. Als Eigenbetriebe sind sie als Betriebsgründungen<br />
eigenständig zu kalkulieren und<br />
am Markt zu platzieren. Bei „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
kommen häufig vor: gastronomische Betriebe,<br />
aber auch landwirtschaftliche Produktionen,<br />
Läden, Museumsshops, touristische<br />
Angebote.<br />
Kosten der Gebäudewirtschaft<br />
Zunächst ist die Grundentscheidung von Bedeutung,<br />
ob die Gebäudewirtschaft Teil des<br />
Projektbetriebs oder von einem Dritten übernommen<br />
wird, z.B. Geschäftsbesorgungsvertrag.<br />
Ist der bürgerschaftliche Projektträger<br />
auch Eigentümer und Bauherr, übernimmt er<br />
zumeist diese Funktion. In vielen Projekten<br />
sind die Kommunen (oder öffentliche Institutionen)<br />
Eigentümer, die den Projekten langfristig<br />
die Immobilie überlassen (Erbpacht, Nutzungsvertrag,<br />
Mietvertrag). Dann ist die Verantwortung<br />
für „Dach+Fach“ zu vereinbaren. In der Regel<br />
bleibt die Dach+Fach-Verantwortung beim<br />
Eigentümer, ist allerdings dann in einer entsprechend<br />
höheren Miete bzw. Pacht kalkuliert.<br />
Bei der Darstellung der Gebäudewirtschaft in<br />
einem Wirtschaftsplan ergeben sich immer<br />
wieder Zuordnungsprobleme, die aus der Logik<br />
von Handelsrecht oder Steuerrecht resultieren:<br />
Vom Aufbau eines verlässlichen Wirtschaftsplans<br />
• Fixvermietung: In der tabellarischen Darstellung<br />
sind nur die Kosten der Gebäudewirtschaft<br />
aufgeführt. Man kann die Gebäudewirtschaft<br />
natürlich auch als „Geschäftsbereich“<br />
auffassen und den Kosten, z.B. den<br />
Einnahmen aus festen Vermietungen, gegenüberstellen.<br />
Das bietet sich dann an, wenn<br />
der Flächenanteil für Dauervermietungen in<br />
einem Projekt relativ hoch ist und als strategisches<br />
Ziel die Dauervermietungen möglichst<br />
unabhängig von anderen Geschäftsbereichen<br />
die Kosten der Gebäudewirtschaft<br />
absichern sollen. (Dauervermietungen sind oben: Becker & Funck in Düren<br />
97
Vom Aufbau eines verlässlichen Wirtschaftsplans<br />
oben: Stadtteilwerkstatt Canyon Chorweiler<br />
in Köln<br />
98<br />
im Übrigen auch steuerlich und gemeinnützigkeitsrechtlich<br />
anders zu bewerten und von<br />
daher getrennt auszuweisen.)<br />
• Hausmeister: Wenn „Hausmeister“ weit überwiegend<br />
Aufgaben der Gebäudewirtschaft<br />
(Kleinreparaturen, Gebäudereinigung, Wartung<br />
Haustechnik, Schlüsseldienste u.a.m.)<br />
übernehmen, können sie den Gebäudekosten<br />
zugeordnet werden. In vielen Projekten übernehmen<br />
sie aber auch weitergehende Leistungen<br />
wie Service in der Veranstaltungstechnik<br />
und bei punktuellen Vermietungen<br />
oder auch „Springerdienste“ für die Geschäftsstelle.<br />
Dann sind Hausmeisterkosten<br />
mehr den allgemeinen Personalkosten einer<br />
Geschäftsstelle zuzuordnen.<br />
• Rücklagen: Entscheidend ist zunächst, dass<br />
Rücklagen gebildet werden. Wenn diese erst<br />
– wie in vielen Wirtschaftsplänen üblich –<br />
am Ende im Liquiditätsergebnis (als Teil des<br />
Liquiditätsplans) oder nur als steuerliche Abschreibung<br />
aufgeführt werden, besteht die<br />
Gefahr, dass deren Bedeutung für die langfristige<br />
finanzielle Stabilität in den Hintergrund<br />
rückt, sprich: dass keine Rücklagen gebildet<br />
werden. Die Rücklagen werden oft<br />
ver drängt, weil die anzusetzenden absoluten<br />
Beträge in der Regel ziemlich hoch sind und<br />
dadurch das Gesamtergebnis ins Minus bringen.<br />
Es ist anzuraten, die Rücklagen sehr wohl<br />
kalkulatorisch in der Gebäudewirtschaft aufzuführen<br />
und das Minus erkennbar zu machen,<br />
dann aber am Ende der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung<br />
bei der Liquidität und beim<br />
Gesamtergebnis zu bewerten.<br />
Bei der Kalkulation muss zwischen den kurzfristigen<br />
Pflege-, Reparatur- und Instandhaltungskosten<br />
und den Rücklagen für eine langfristige<br />
Instandsetzung (Vermeidung „Substanzverzehr“)<br />
unterschieden werden. Für die längerfristige<br />
Instandsetzung müssen Rücklagen<br />
gebildet werden, die kurzfristig bei Liquiditätsengpässen<br />
eingesetzt werden können, aber<br />
nicht dauerhaft aufgezehrt werden dürfen.<br />
Die Höhe variiert von Gebäude zu Gebäude<br />
und hängt u.a. vom Baualter ab. Erfahrungswerte<br />
können aus sehr differenzierten Abschreibungslisten<br />
herangezogen werden. Als<br />
absolute Untergrenze muss die Faustformel<br />
von 1% der baulichen Investitionskosten gelten.<br />
Insbesondere beim Umbau von Altbauten sind<br />
höhere Ansätze zwischen 1,5 und 2% sinnvoll.<br />
Vielen Projekten gelingt erst nach und nach<br />
der Aufbau von derartigen Rücklagen. Natürlich<br />
sind Zeitpunkt und Höhe einer Inanspruchnahme<br />
von Rücklagen auch abhängig von der<br />
laufenden Bauunterhaltung; hier kann der Einsatz<br />
von Hausmeistern oder die Kompetenz<br />
und Bereitschaft von ehrenamtlicher baulicher<br />
Selbsthilfe zumindest in den Anfangsjahren<br />
hilfreich sein.<br />
Getrennt von Substanzkosten der Instandhaltung<br />
und von den langfristigen Rücklagen sind<br />
die laufenden Betriebskosten zu kalkulieren:<br />
Wärme, Wasser/Abwasser, Strom, Reinigung,<br />
Gebäudeversicherungen, Grundbesitzabgaben<br />
etc. Diese Kosten sind jährlich abzurechnen. Sie<br />
sind transparent den Geschäftsbereichen zuzuordnen.<br />
Mit Ausnahme des selbstgenutzten<br />
Teils einer Geschäftsstelle des Projektträgers<br />
sind dies reine Durchlaufkosten (Pauschalen,<br />
Abrechnungen, Ausgleichszahlungen) allerdings<br />
mit Vorfinanzierungs-/Liquiditäts- und<br />
Ausfallrisiken (Leerstand). Bei Realisierung angemessener<br />
Vorauszahlungen und bei transparenter<br />
Zuordnung verbleiben dann lediglich die<br />
Gebäudenebenkosten für die Gemeinflächen<br />
im jeweiligen Projekt (z.B. Büro Geschäftsstelle).<br />
Definitions- und Klärungsspielräume bleiben<br />
z.B. bei den Kosten der laufenden Reparaturen<br />
und eines Hausmeisters, aber auch bei den Gebäudenebenkosten<br />
von Verkehrsflächen.<br />
Personal(kosten), Sachkosten Projektmanagement/Geschäftsstelle<br />
Es ist sinnvoll, das gesamte über den Träger<br />
laufende Personaltableau einschließlich aller<br />
Kosten abzubilden. Danach ist aber für die Betrachtung<br />
der Wirtschaftlichkeit zu unterscheiden,<br />
welches Personal und welche Personalkosten<br />
den einzelnen Geschäftsbereichen zuzu-<br />
ordnen sind und welche als Gemeinkosten<br />
(Overhead) zur Aufrechterhaltung und Organisation<br />
des Gesamtbetriebs notwendig und der<br />
Geschäftsstelle zuzuordnen sind.<br />
Gemeinkosten entstehen im Bereich der anteiligen<br />
Miet- und Gebäudenebenkosten sowie<br />
der Personalkosten. Hinzu kommen aber auch<br />
noch Verwaltungs-, (Steuer)Beratungs- und generelle<br />
Vermarktungskosten etc..
Allgemeine Einnahmen (Mitgliedsbeiträge,<br />
Spenden etc.)<br />
Den Gemeinkosten stehen generelle, die Idee<br />
des Gesamtprojekts unterstützende Einnahmen<br />
gegenüber: Mitgliedsbeiträge, Spenden,<br />
Einnahmen aus Sponsoring, akquirierte Unterstützungen<br />
von Stiftungen, Zinserträge aus<br />
Rücklagen. Das Fundraising, die Einbindung<br />
von Sponsoren aus der Wirtschaft, die Akquisition<br />
von Klein- und Großspendern (in der Regel<br />
mit der Voraussetzung der steuerlichen Gemeinnützigkeit),<br />
die Pflege von Netzwerkkontakten<br />
zu Stiftungen hat in den letzten Jahren<br />
an Bedeutung zugenommen. Insofern kann<br />
man dies auch als eigenständigen „Geschäftsbereich“<br />
ansehen, um deutlich zu machen, dass<br />
es Sinn macht, das Fundraising als wichtige<br />
Teil 2: Steuern, Rücklagen, Liquidität<br />
Kernaufgabe aktiv zu steuern und nicht als<br />
selbstverständliche beiläufige Einnahmequellen<br />
zu betrachten. Dann wären die Einnahmen<br />
aus diesem „Geschäftsbereich“ in aller Regel<br />
den Kosten einer Geschäftsstelle / eines Managements<br />
zuzuordnen. Natürlich ist die Aufschlüsselung<br />
der Einnahmen aus diesem Bereich<br />
wichtig, da sie je nach Einnahmenart<br />
steuerlich und gemeinnützigkeitsrechtlich unterschiedlich<br />
zu bewerten sind.<br />
Betriebsergebnis Erfolgsplan<br />
Die Gegenüberstellung der Einnahmen und<br />
Aus gaben ergibt das wirtschaftliche Ergebnis,<br />
das zentral von den originären Aktivitäten des<br />
Projektbetriebs des Trägers / Betreibers abhängt<br />
(vor Abschreibung, Zinsbelastungen, Steuern).<br />
Abschreibungen<br />
• (-) Abschreibung Gebäude (1 bis 2% der baulichen Investitionen)<br />
• (-) Abschreibung Ausstattung (10% z.B. Veranstaltungsausstattung, Ausstellungen)<br />
• (-) Abschreibung Ausstattung wirtschaftliche Eigenbetriebe (wie Gastronomie)<br />
Summe Abschreibungen = Rücklagen<br />
Zinsen<br />
• (-) Zinsen Kapitalmarktdarlehen<br />
Betriebsergebnis vor Steuern<br />
(Betriebsergebnis minus Abschreibungen und Zinsen)<br />
Steuern<br />
• (-) aus wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben<br />
Betriebsergebnis nach Steuern<br />
• (+) Summe Abschreibungen<br />
• (-) Tilgung Darlehen<br />
Liquiditätsergebnis (nach Steuern)<br />
Erläuterungen zum Teil 2<br />
(Rücklagen, Steuern, Liquidität)<br />
Abschreibungen und Rücklagen<br />
Abschreibungen haben ihren Ursprung als kalkulatorische<br />
Größen in der steuerlichen Logik.<br />
(Bei der Ermittlung der steuerlichen Grundlagen<br />
mindern die Abschreibungen das Betriebsergebnis.)<br />
Sie bilden einen Wertverlust ab und<br />
können somit gleichzeitig als Grundlage her-<br />
angezogen werden für die Ermittlung der längerfristig<br />
notwendigen größeren Instandsetzungsaufwendungen<br />
(durchschnittliche<br />
jährliche Rücklagen Gebäude und Außenanlagen)<br />
und die Wieder-/Ersatzbeschaffungen<br />
(durchschnittliche jährliche Rücklagen Ausstattung).<br />
Die steuerlichen Abschreibungen sind<br />
Orientierungsgröße für die jährlichen Rücklagen<br />
(näheres siehe Afa-Tabellen des Bundesfinanzministeriums).<br />
In der Wirtschaftspla-<br />
Vom Aufbau eines verlässlichen Wirtschaftsplans<br />
oben: Standort und Planung (Lewitzki &<br />
Kleinen) Tuchwerk Aachen<br />
99
Vom Aufbau eines verlässlichen Wirtschaftsplans<br />
rechte Seite: „kleine Selbsthelfer“ beim<br />
Projekt SchulenBauenPartnerschaften<br />
100<br />
nung vor Betriebsbeginn kann von einfacheren<br />
„Faustformeln“ ausgegangen werden. Durchschnittlich<br />
1,5% der baulichen Investitionssumme<br />
sollte jährlich in eine Rücklage gesteckt<br />
werden (dies kann bei komplizierten Bestandsgebäuden<br />
bis 2% angehoben werden). Bei Ausstattungen<br />
gilt die Faustformel einer 10%igen<br />
Rücklage je Jahr (dies schwankt als Durchschnittsgröße<br />
im Detail sehr stark von Büromöbeln<br />
oder Bestuhlungen bis zu Licht- und Tontechnik).<br />
Diese Rücklagen sollten real auch gebildet werden<br />
und nicht nur auf dem Papier erscheinen.<br />
Viele Projekte tun sich damit in den Anlaufjahren<br />
sehr schwer. Spätestens ab dem 3. bis 5. Betriebsjahr<br />
sollten aber nennenswerte Beträge<br />
in die Rücklage fließen, um das Projekt nicht<br />
mittelfristig zu gefährden (siehe auch oben<br />
„Abschreibungen“ und im Erfolgsplan „Gebäudewirtschaft“<br />
und „Geschäftsbereiche“ Veranstaltungen).<br />
Steuern<br />
Nach Abstimmung mit den Steuerberatern<br />
und dem zuständigen Finanzamt sind einzelne<br />
Geschäftsbereiche unter Umständen steuerpflichtig.<br />
Steuerbescheinigungen für erhaltene<br />
Spenden müssen sich auf die als gemeinnützig<br />
anerkannten Geschäftsbereiche beziehen. Eine<br />
Differenzierung der Mehrwertsteuer nach<br />
7% bzw. 19% sollte ebenfalls geschäftsbereichgenau<br />
zugeordnet werden können. Diese steuerlichen<br />
Aspekte sollten möglichst bei der Aufteilung<br />
der „Geschäftsbereiche“ im obigen<br />
Erfolgsplan berücksichtigt werden und führen<br />
dort möglicherweise zu weiteren Differenzierungen.<br />
Liquidität und Liquiditätsplanung<br />
Rücklagen müssen separat ausgewiesen und<br />
aus dem Finanzkreislauf herausgenommen<br />
werden, weil sie zweckgebunden sind. In der<br />
Praxis können sie für Zwischenfinanzierungen<br />
genutzt werden. Rücklagen stärken die Liquidität<br />
und über die Zinsen auch die Ertragssituation.<br />
Tilgungen bei Kapitalmarktfinanzierungen<br />
dienen dem Schuldenabbau (und um ge kehrt<br />
dem Vermögensaufbau) und stärken die Bonität<br />
als Spielraum bei zusätzlichen Investitionen.<br />
Es ist anzuraten, eine (möglichst monatliche)<br />
Liquiditätsplanung aufzubauen (Einnahmen,<br />
Ausgaben, evt. zusätzlicher Finanzierungs-<br />
bzw. Zwischenfinanzierungsbedarf). Gerade zu<br />
Betriebsbeginn von „I<strong>nitiative</strong>-ergreifen“-Projekten<br />
kommt es immer wieder zu Liquiditätsengpässen.<br />
Dies ist eher die Regel als die<br />
Ausnahme. Daher sollte aus Gründen der kaufmännischen<br />
Vorsicht der Liquiditätsspielraum<br />
(= Zwischenfinanzierungsspielraum) ausreichend<br />
hoch in der Liquiditätsplanung angesetzt<br />
werden, um Verhandlungen über Nachfinanzierungen<br />
zu vermeiden.<br />
Wirtschaftspläne über 5 bzw. 10 Jahre<br />
Wirtschaftspläne sollten möglichst frühzeitig<br />
aufgestellt und immer mehr verfeinert werden.<br />
Sie sollten einen Zeitraum von mindestens<br />
5 bis 10 Jahren umfassen, das heißt die Zeit des<br />
betrieblichen Aufbaus über z.B. 3 Jahre und die<br />
ersten normalen Betriebsjahre. Bei „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“ ist dies auch die Grundlage für eine<br />
eventuelle Anschubförderung einerseits und<br />
eines plausiblen Nachweises, dass mittelfristig<br />
ein ausgeglichenes Ergebnis zu erzielen ist.
Staat und Zivilgesellschaft<br />
101
Klaus Grommes ist Partner der Sozietät<br />
Grommes Engels + Partner, die Büros in<br />
Köln und Mondorf unterhält.<br />
Mark Patrick Probst ist Steuerberater bei<br />
Grommes Engels + Partner.<br />
oben: heutiges altes Fischereimuseum<br />
unten: Neubauplanung des Fischereimuseums<br />
in Troisdorf von hks Architekten<br />
Aachen<br />
102<br />
16 Punkte zu Gemeinnützigkeit und Steuer bei<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-Projekten<br />
in Zusammenarbeit mit Klaus Grommes und Mark Patrick Probst<br />
Bei der Aufstellung von Wirtschaftsplänen<br />
und bei der Perspektive eines langfristig<br />
belastbaren Betriebs stehen Steuerfragen zwar<br />
nicht im Mittelpunkt, dennoch haben sie eine<br />
große Bedeutung. Im Folgenden wird der Versuch<br />
unternommen, wesentliche Fragen und<br />
Rahmenbedingungen um Gemeinnützigkeit<br />
und Steuer bei „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-Projekten<br />
darzustellen. Dabei wird kein Anspruch auf<br />
Vollständigkeit erhoben. Grundlage sind die<br />
Erfahrungen aus der Projektberatung bei „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“.<br />
Die Ausführungen entstanden in einem Gespräch<br />
im Mai 2008, das Kerstin Bohnsack und<br />
Joachim Boll mit den Steuerberatern Klaus<br />
Grommes und Mark Patrick Probst in Troisdorf<br />
führten. Klaus Grommes und Mark Patrick<br />
Probst engagieren sich ehrenamtlich im Projekt<br />
„Fischereimuseum“, das Ende 2006 in das<br />
Programm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ aufgenommen<br />
und zur Förderung empfohlen wurde. Es wird<br />
im Troisdorfer Stadtteil Bergheim an der Sieg<br />
bis 2010 baulich realisiert werden und danach<br />
seinen Betrieb aufnehmen. Projektträger sind<br />
eine über 1.000-jährige Fischereibruderschaft,<br />
eine Bürgerstiftung und ein Förderverein.<br />
1. Fast alle Projektträger von „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
haben die Anerkennung der steuerlichen<br />
Gemeinnützigkeit nach § 52 Absatz 2 der Abgabenordnung<br />
(AO). Hier sind die wesentlichen<br />
Gemeinnützigkeitskriterien kodifiziert.<br />
2. Unter der Voraussetzung der Gemeinnützigkeit<br />
sind für die Projektträger alle Mitgliedsbeiträge<br />
und Spenden steuerfrei (ideeller Bereich).<br />
3. Die Gemeinnützigkeit führt unter bestimmten<br />
Umständen zur Befreiung von den Ertragsteuern<br />
(Körperschaft- und Gewerbesteuer) im<br />
sogenannten Zweckbetrieb. In der Satzung, die<br />
zur Anerkennung der Gemeinnützigkeit beim<br />
zuständigen Finanzamt eingereicht wird, ist<br />
der Tätigkeitsbericht der Gesellschaft/des Vereins<br />
als Projektträger beschrieben.<br />
4. (Gemeinnützige) Projektträger müssen bei<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ Geschäftsbereiche mit positiven<br />
Deckungsbeiträgen betreiben, um sich<br />
dauerhaft soziale, kulturelle, stadtteilbezogene<br />
Projektbereiche „leisten“ zu können, die natürlich<br />
die zentralen Ziele der Städtebauförderung<br />
darstellen. Wirtschaftliche Geschäftsbetriebe<br />
können unter dem Dach eines gemeinnützigen<br />
Projektträgers organisiert werden. Ihre Gewinne<br />
sind aber körperschaftsteuer und gewerbesteuerpflichtig,<br />
wenn die Umsätze im wirtschaftlichen<br />
Geschäftsbetrieb 35.000 Euro im<br />
Jahr übersteigen. Die Körperschaftsteuer liegt<br />
bei 15% zuzüglich Solidaritätszuschlag, die Gewerbesteuer<br />
schwankt von Kommune zu Kommune<br />
und liegt durchschnittlich bei 15% (jeweils<br />
auf den ermittelten Gewinn in den<br />
wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben). Bei der<br />
Körperschaftsteuer gibt es einen Freibetrag<br />
von 3.885 Euro p.a. und bei der Gewerbesteuer<br />
von 3.900 Euro p.a..<br />
5. Zu den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben<br />
zählen z.B. eine Gastronomie oder ein Café/Bistro<br />
im Eigenbetrieb, Disco-Veranstaltungen,<br />
aber u.U. auch die Erträge aus Festen. Wirtschaftliche<br />
Geschäftsbetriebe dürfen bei einem<br />
gemeinnützigen Projektträger im Jahresergebnis<br />
nicht mit einem Minus abschließen; in solchen<br />
Fällen läuft der Projektträger Gefahr, die<br />
Gemeinnützigkeit zu verlieren, weil dann das<br />
Minus durch den Zweckbetrieb oder gar den<br />
ideellen Bereich ausgeglichen werden müsste.<br />
6. Steuerlich interessant sind bei gemeinnützigen<br />
Projektträgern die Zuordnungsspielräume<br />
von „Geschäftsbereichen“ zum Zweck bzw. zum<br />
wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb. Hier gibt es<br />
diverse Schnittstellen, die mit Steuerberatern<br />
besprochen werden sollten: Musikveranstaltungen,<br />
Feste u.a.m. Es gibt aber auch noch formale<br />
Kriterien, die die Zuordnung bestimmen<br />
können wie Umsatzgrenzen oder der Einsatz<br />
bezahlter Kräfte.<br />
7. Für „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-Projekte ist die projektinterne<br />
Gegenfinanzierung von erwerbswirtschaftlichen<br />
und unrentierlichen Bereichen<br />
von essenzieller Bedeutung. Gewinne aus<br />
den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben können<br />
nach Abzug der Ertragsteuern in den<br />
Zweckbetrieb (also die laut Satzungszweck festgelegten<br />
gemeinnützigen Aktivitäten) überführt<br />
werden und diese unterstützen. Dies gilt<br />
ebenso für die steuerfreien Vermögenserträge,<br />
Mitgliedsbeiträge und Spenden.<br />
8. Gemeinnützige Projektträger können Spendenbescheinigungen<br />
ausstellen. Das Recht, der
artige Bescheinigungen ausstellen zu können,<br />
ist aus Sicht der Projektträger attraktiv für das<br />
Einwerben von Spenden, weil die Spender den<br />
gespendeten Betrag privat steuermindernd<br />
geltend machen können. Zur Erreichung der<br />
Gemeinnützigkeit existieren diverse Mustersatzungen<br />
als Beispiele.<br />
9. Lohnsteuer bei Beschäftigten müssen immer<br />
abgeführt werden. Dies ist Grundlage eines jeden<br />
Beschäftigungsverhältnisses, vollkommen<br />
unabhängig davon, ob der Projektträger als gemeinnützig<br />
anerkannt ist oder nicht.<br />
10. Bei der Mehrwertsteuer/Umsatzsteuer gibt<br />
es die drei Fälle:<br />
• der Umsatzsteuerbefreiung z.B. bei Einnahmen<br />
aus festen langfristigen Vermietungen<br />
• den 7%ige Umsatzsteuersatz auf Aktivitäten<br />
aus einer festen Liste<br />
• in allen anderen Fällen: der aktuell 19%ige<br />
Umsatzsteuersatz.<br />
• Für den Sonderfall von so genannten „Kleinunternehmen“<br />
wird keine Umsatzsteuer ausgewiesen,<br />
wenn im Vorjahr der Umsatz unter<br />
17.500 Euro lag und im laufenden Jahr voraussichtlich<br />
50.000 Euro nicht überschreitet.<br />
11. (Gemeinnützige) Stiftungen haben i.d.R. Einnahmen<br />
aus der Vermögensverwaltung (dem<br />
Stiftungsvermögen). Diese Einnahmen sind ertragsteuerfrei<br />
(Körperschafts- und Gewerbesteuer),<br />
soweit sie für den Stiftungszweck ausgegeben<br />
werden. Nicht ausgegebene<br />
Einnahmen können (unter bestimmten Voraussetzungen)<br />
steuerfrei in der Stiftung verbleiben.<br />
12. Fungieren Stiftungen zusätzlich als Betreibergesellschaften,<br />
sind diese Aktivitäten entweder<br />
dem (ertrag)steuerfreien Zweckbetrieb oder<br />
einem nicht gemeinnützigen wirtschaftlichen<br />
Geschäftsbetrieb zuzuordnen (siehe Punkte 4<br />
und 5).<br />
13. Gründen Stiftungen eine eigenständige Betreibergesellschaft<br />
(z.B. eine GmbH), so wirtschaftet<br />
diese getrennt von der Stiftung für<br />
sich. Ausschüttungen aus dieser Betreibergesellschaft<br />
gehen als Erträge in die Vermögensverwaltung<br />
der Stiftung ein. Sie stellen damit<br />
eine weitere Form der „projektinternen Gegenfinanzierung“<br />
dar.<br />
14. Gemeinnützige GmbHs sind steuerlich gemeinnützigen<br />
Vereinen gleichgestellt in den Bereichen<br />
„Vermögensverwaltung“, „Zweckbetrieb“<br />
und „wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb“.<br />
Der Gewinn von nicht gemeinnützigen GmbHs<br />
ist vom ersten Euro an ertragsteuerpflichtig<br />
(Körperschaft- und Gewerbesteuer).<br />
15. Im Wirtschaftsplan, in den GewinnundVerlustRechnungen<br />
(G+V) und den Jahresabschlüssen<br />
sollten die Geschäftsbereiche nach<br />
wirtschaftlichen und steuerlichen Kriterien<br />
transparent geordnet werden. Eine Vorstrukturierung<br />
beim (Erst)Aufbau von Wirtschaftsplänen<br />
nach beiden Kriterien kommt in der Qualifizierungsphase<br />
bei „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-<br />
Projekten (vor der Förderentscheidung und vor<br />
dem Betriebseinstieg) große Bedeutung zu. In<br />
den Jahresabschlüssen werden sie dann mit<br />
dem jeweiligen Steuerberater konkretisiert<br />
(und bei Unsicherheiten eventuell auch mit<br />
dem zuständigen Finanzamt abgestimmt).<br />
16. Rücklagen für periodisch wiederkehrende<br />
Ausgaben der Gebäudeinstandhaltung und der<br />
Projektausstattung können – wenn sie „gebunden“<br />
sind – u.U. über mehrere Jahre steuerfrei<br />
im Vermögen verbleiben. Anzuraten ist aber,<br />
dies mit den zuständigen Finanzämtern abzusprechen.<br />
Hier kann der Hinweis, dass Rücklagen<br />
eine wichtige Fördervoraussetzung bei<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ sind, von Vorteil sein:<br />
Bau rücklage 1,5% der baulichen Ausgangsinvestition,<br />
Ausstattungsrücklage 10% der Erstinvestition<br />
insbesondere der Veranstaltungs ausstat<br />
tung.<br />
16 Punkte zu Gemeinnützigkeit und Steuer<br />
oben: Blick vom Fischereimuseum auf das<br />
Discholls mit Schokker<br />
103
104
Regeln und Besonderheiten beim Förderverfahren bei<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
von Gaby Funck und Raimund Mirgeler<br />
<strong>nitiative</strong> ergreifen“ ist ein Programm des<br />
„IMinisteriums für Bauen und Verkehr<br />
(MBV) des Landes Nordrhein-Westfalen und<br />
wird aus der Städtebauförderung finanziert.<br />
Damit gelten die Stadterneuerungsrichtlinien<br />
<strong>NRW</strong> in der jeweils aktuellen Fassung. Seit<br />
2001 wurden aus dem Programm resultierende<br />
Besonderheiten zunächst in gesonderten Erlassen<br />
geregelt, von denen einige inzwischen in<br />
die Stadterneuerungsrichtlinien übernommen<br />
wurden. Zu den Besonderheiten gehören:<br />
• Bürgerschaftliche Projekte, die über „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“ gefördert werden, müssen als<br />
Fördervoraussetzung ein Qualifizierungsverfahren<br />
mit einem Management „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“ durchlaufen, das die Projekte üblicherweise<br />
bis zum Abschluss der betrieblichen<br />
Aufbauphase begleitet. Das Management<br />
wird durch ein privates Büro organisiert,<br />
das vom Ministerium für Bauen und<br />
Verkehr (MBV) und einer Stellvertreter-Kommune<br />
(aktuell die Stadt Castrop-Rauxel) beauftragt<br />
ist.<br />
• Alle Projekte bei „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ müssen<br />
zudem in einem Beirat beraten und dem<br />
MBV zur Förderung empfohlen werden. Diese<br />
Empfehlung ist eine weitere Fördervoraussetzung.<br />
• Die „Letztempfänger“ der Förderung sind<br />
bürgerschaftliche Projektträger, die mit ihren<br />
Projekten anstelle der Kommunen soziale,<br />
kulturelle, nachbarschafts- oder stadtteilbezogene<br />
Stadterneuerungsmaßnahmen<br />
durchführen und betrieblich tragen. Empfänger<br />
von Fördermitteln für Stadterneuerungsmaßnahmen<br />
(Zuwendungsempfänger) und<br />
verantwortlich für deren Verwendung sind<br />
die Kommunen. Daher müssen Förderanträge<br />
von der jeweiligen Kommune bei der zuständigen<br />
Bezirksregierung gestellt werden. Nach<br />
Bewilligung der Maßnahme schließt die<br />
Kommune einen sogenannten „Weiterleitungsvertrag“<br />
mit dem Projektträger oder<br />
gibt die Mittel per Bescheid weiter.<br />
• Der vom kommunalen Zuwendungsempfänger<br />
zu erbringende Eigenanteil kann von<br />
Dritten, also auch von den bürgerschaftlichen<br />
Projektträgern übernommen werden.<br />
Allerdings muss die Kommune einen mindestens<br />
10%igen Eigenanteil beisteuern.<br />
• Neben der Förderung baulicher Investition -<br />
en kann eine auf zwei bis drei Jahre begrenzte<br />
betriebliche Anschubförderung hinzu<br />
kommen, deren Höhe sich aus dem Qualifizierungsverfahren<br />
ergibt. Investitions- und<br />
Anschubförderung sind gegenseitig deckungsfähig.<br />
• Die Projektträger müssen sich mit einer<br />
überschaubaren „Umlage“ an der Finanzierung<br />
des Managements „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
beteiligen.<br />
Im Folgenden gehen wir auf besondere Fragestellungen<br />
aus der Praxis ein, auf die im Verfahren<br />
der Förderanträge ein besonderes Augenmerk<br />
gerichtet werden sollte.<br />
Kostensicherheit Bauen<br />
Die Kostensicherheit ist gerade für bürgerschaftliche<br />
Projektträger bei „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
von ganz besonderer Bedeutung als<br />
Grundlage für Finanzierung und Förderung.<br />
Hier liegt eine große Verantwortung bei den<br />
beteiligten Architekten. Da bürgerschaftliche<br />
Projektträger Kostensteigerungen während des<br />
Bau- und Realisierungsprozesses in aller Regel<br />
nur schwer auffangen können, ist hier mit einer<br />
besonderen Sorgfalt heranzugehen.<br />
Im Rahmen der Projektqualifizierung sollte daher<br />
vor einer Bewilligung nicht nur eine Vorplanung<br />
mit einer Kostenschätzung erstellt,<br />
sondern möglichst schon die Qualität einer<br />
Kostenberechnung nach DIN 276 auf der Basis<br />
einer genehmigungsreifen Planung erreicht<br />
werden. Diese Planungskosten sind zwar generell<br />
im Förderfall refinanzierbar, müssen aber<br />
als Vorleistung erbracht und somit vorfinanziert<br />
werden. Das „Risiko“ von Vorleistung bzw.<br />
Vorfinanzierung liegt damit bei den Architekten<br />
oder beim Projektträger. Daher ist die<br />
Schritt folge von einer Erstabschätzung über<br />
eine Kostenschätzung bis zu einer Kostenberechnung<br />
sinnvoll und risikoabschätzend in<br />
den Qualifizierungsprozess einzubauen.<br />
Kostengruppe 400: Haustechnik<br />
Ein „Sorgenkind“ in diesem Zusammenhang<br />
sind immer wieder die haustechnischen Kosten<br />
der Kostengruppe 400 nach DIN 276 (Energie,<br />
Heizung, Fluchtwege, Brandschutz, Veranstaltungstechnik<br />
u.v.m.). In der „normalen<br />
Abfolge“ der Leistungsstufen der HOAI werden<br />
diese technischen Fragen von Fachplanern erst<br />
Gaby Funck und Raimund Mirgeler sind<br />
Mitarbeiter des für die Städtebauförderung<br />
zuständigen Dezernats bei der Bezirksregierung<br />
Köln. Sie haben Erfahrungen<br />
hinsichtlich der verwaltungsmäßigen und<br />
baufachlichen Abwicklung von Förderverfahren<br />
im Rahmen des Programms<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“. In den nachfolgenden<br />
Werkstattbericht sind auch Erfahrungen<br />
des Managements „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
außerhalb des räumlichen Zuständigkeitsbereichs<br />
der Bezirksregierung Köln<br />
eingeflossen.<br />
linke Seite: Abendstimmung am Kulturspeicher<br />
Dörenthe in Ibbenbüren<br />
105
Regeln und Besonderheiten beim Förderverfahren<br />
oben: das Kulturausbesserungswerk in Leverkusen<br />
auf dem Gelände der Bahnstadt<br />
Opladen (Bilder vor dem Umbau ab 2008)<br />
106<br />
im Zusammenhang mit der Genehmigungsplanung<br />
und zum Teil sogar erst danach erfasst.<br />
Diese Kostenpositionen stellen aber oft<br />
ein wesentliches Risiko bei der Kostensicherheit<br />
und damit für die Absicherung der Gesamtfinanzierung<br />
dar. Hier gilt es, zwischen<br />
den Risiken einer nicht so hohen Kostensicherheit<br />
einerseits und höheren Planungskosten<br />
vor einer abschließenden Förderbewilligung<br />
andererseits abzuwägen.<br />
Ausstattung der Projekte<br />
Zur Aufnahme des Projektbetriebs werden Ausstattungen<br />
benötigt, die Teil der Gesamtfinanzierung<br />
sein müssen. Hier sind in aller Regel<br />
drei Fälle zu unterscheiden:<br />
• Ausstattungen, die fest mit dem Gebäude<br />
verbunden sind, gehören klassisch zum Bauen<br />
und sind von daher auch dort zu planen<br />
und zu finanzieren (Kostengruppe 400, siehe<br />
oben).<br />
• Nicht mit dem Gebäude fest verbundene und<br />
mobile Ausstattungen, die rein erwerbswirtschaftlichen<br />
Projektbestandteilen zuzuordnen<br />
sind, können keine Fördergegenstände<br />
sein (hierunter fällt insbesondere die Ausstattung<br />
von Gastronomien).<br />
• Mobile Ausstattungen der gemeinnützigen,<br />
sozialen, kulturellen, nachbarschafts- und<br />
stadtteilbezogenen Kernaktivitäten (Förderziele)<br />
können gefördert werden, wenn es dafür<br />
keine anderen Fördermöglichkeiten gibt<br />
und sie zwingend erforderlich für den Betrieb<br />
und somit für das angestrebte Ziel der<br />
Maßnahme sind.<br />
• Die Gebäudeplanung muss durch die Architekten<br />
so weit vorangetrieben worden sein,<br />
dass eine belastbare Kostenberechnung als<br />
Grundlage der Finanzierung entsteht. Hierzu<br />
gehören auch für die unterschiedlichen Bereiche<br />
der Ausstattung vergleichbare Planungen<br />
und Kostenermittlungen, damit diese<br />
dem Förderantrag beigelegt werden können.<br />
Absicherung der Eigenanteile über<br />
den Projektträger<br />
Die notwendigen Eigenanteile zur Förderung<br />
müssen vor der Bewilligung abgesichert und in<br />
ihren überwiegenden Teilen nachgewiesen<br />
werden können. Hierzu gibt es in der Praxis folgende<br />
Hauptwege:<br />
• bauliche Selbsthilfe des Projektträgers<br />
• Eigenarbeitsleistung von Architekten, Ingenieuren<br />
und Unternehmen<br />
• Barmittel des Projektträgers<br />
• Geldspenden<br />
• Darlehen.<br />
Bauliche Selbsthilfe<br />
Zur Anerkennung von baulicher (Gemeinschafts-)Selbsthilfe<br />
als Eigenkapitalersatz in<br />
der Städtebauförderung gibt es in <strong>NRW</strong> inzwischen<br />
eine eingespielte und bewährte Praxis:<br />
• Spätestens zur Kostenberechnung bereitet<br />
der Architekt ein detailliertes Leistungsverzeichnis<br />
nach Gewerken und Kostenpositionen<br />
vor. Der bürgerschaftliche Projektträger<br />
stimmt mit den Architekten die Positionen<br />
ab, die vollständig für die Selbsthilfe vorgesehen<br />
werden sollen. Wichtig hierbei ist, dass<br />
diese Positionen nicht mit Fachhandwerkerpositionen<br />
vermischt werden. Mit Ausnahme<br />
dieser Selbsthilfegewerke müssen alle Positionen<br />
ausgeschrieben werden.<br />
• Bei diesen Selbsthilfepositionen trennen die<br />
Architekten die Arbeitskosten von den Materialkosten.<br />
Die Arbeitsanteile werden als Arbeitsleistung<br />
von freiwilligen Selbsthelfern<br />
des Projektträgers unentgeltlich erbracht.<br />
Bauherr und/oder Architekt/Bauleiter setzen<br />
die Selbsthelfer im Bauprozess ein. Die von<br />
ihnen geleisteten Stunden und die damit erbrachten<br />
Arbeiten müssen dokumentiert<br />
und als fachlich korrekt anerkannt werden.<br />
Jede so nachgewiesene Stunde kann mit einem<br />
Wert von 15 Euro (als fiktive Ausgabe) als<br />
Eigenkapitalersatz anerkannt werden. Die<br />
Gesamtsumme je Gewerk darf allerdings den<br />
von den Architekten in der Kostenberechnung<br />
für das Gewerk ermittelten Wert nicht<br />
überschreiten.<br />
Empfehlenswert ist, dass sich der Projektträger<br />
bei der Selbsthilfe auf einige Gewerke konzentriert,<br />
um die allseitige Abwicklung zu erleichtern.<br />
Der Projektträger sollte sich im Vorfeld<br />
vergewissern, dass es in seinem Umfeld auch<br />
tatsächlich die entsprechenden Personen gibt,<br />
die fähig und willens sind, sich mit baulicher<br />
Selbsthilfe zu engagieren. Sollten sich im realen<br />
Bauprozess weitere Selbsthilfepotenziale<br />
auftun, so kann dieses Zusatzpotenzial eher für<br />
kleinere oder manchmal auch größere Finanzierungslücken<br />
genutzt werden. Der nach die
sem Verfahren realistisch erreichbare Selbsthilfewert<br />
wird häufig überschätzt. Die Erfahrung<br />
zeigt, dass er überwiegend zwischen 10.000<br />
und 15.000 Euro liegt; bei größeren oder sich<br />
länger hinziehenden Projekten, aber auch in<br />
Projektumfeldern mit ausdrücklicher Selbsthilfetradition<br />
kann er im Einzelfall auf 20.000 bis<br />
30.000 Euro steigen.<br />
Barmittel des Projektträgers<br />
In aller Regel verfügen die Projektträger über<br />
nur relativ geringes Barkapital, das über Mitgliedsbeiträge,<br />
viele kleinere Spenden und über<br />
Erlöse aus Festen und Sonderaktionen entstanden<br />
ist. Mit einer konkreten Aussicht auf die<br />
Projektrealisierung über das Programm „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“ lässt sich das auf diesem Wege<br />
erreichbare Ausgangskapital erhöhen.<br />
Akquisition von Großspendern und Stiftungen<br />
In fast allen Projekten sind die Projektträger auf<br />
die Einwerbung größerer Spenden angewiesen.<br />
Erfahrungsgemäß eignen sich „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-Projekte<br />
wegen ihrer Konkretheit am Ort,<br />
der Bürgernähe, dem Bürgerengagement und<br />
wegen der Ausrichtung auf örtlichen Gemeinsinn<br />
relativ gut dafür, Gelder einzuwerben. In<br />
der Praxis gibt es drei zentrale Quellen:<br />
• lokal verwurzelte und den Anliegen von Kommunen<br />
nahe stehende Institutionen wie<br />
Sparkassen, Volksbanken, Versorgungsunternehmen,<br />
Stadtwerke,<br />
• Traditions- und Familienunternehmen am<br />
Ort oder in der Region,<br />
• eine nahezu unübersehbare Zahl von Stiftungen,<br />
die Kultur, Denkmalschutz, Heimatpflege,<br />
Naturschutz, das Wohlfahrtswesen, Jugendhilfe<br />
und Bildung unterstützen.<br />
Hierüber können mit „langem Atem“ und gut<br />
funktionierenden Netzwerken in Einzelfällen<br />
erhebliche Geldmittel als Eigenanteil aufgebracht<br />
werden. Hilfreich ist dabei ein Schulterschluss<br />
mit den (Ober-)Bürgermeistern.<br />
Eigenanteile über Architekten-, Ingenieur- und<br />
Unternehmensleistungen<br />
In vielen Projekten gelingt es den Projektträgern,<br />
Architekten als engagierte Spender von<br />
Leistungen zu gewinnen. In einigen Fällen sind<br />
Architekten sogar von Anfang an Teil des Engagement-Systems<br />
von Projekti<strong>nitiative</strong>n. Architekten-<br />
und Fachingenieurleistungen können<br />
als fiktive Ausgabe als Eigenanteil anerkannt<br />
werden, wenn sie sich auf die Honorarordnung<br />
für Architekten und Ingenieure (HOAI) beziehen.<br />
Die entsprechenden Leistungen müssen<br />
in der Kostenberechnung nach DIN 276, die<br />
wiederum dem Förderantrag zugrunde liegt, in<br />
der Kostengruppe 700 enthalten sein. Die Korrektheit<br />
der Honorarermittlung muss durch<br />
die antragstellende Kommune geprüft werden,<br />
um anerkannt werden zu können (anerkannt<br />
werden jeweils die niedrigsten Werte in der<br />
entsprechenden Honorarzone laut HOAI).<br />
Als Sonderfall können auch gespendete (Bau)<br />
Unternehmerleistungen als Eigenanteil anerkannt<br />
werden. Voraussetzung: Ein Unternehmen<br />
übernimmt komplett und unentgeltlich<br />
ein Gewerk aus dem Leistungsverzeichnis in<br />
der Kostenberechnung der Architekten. Dann<br />
kann 70% des im Leistungsverzeichnis ermittelten<br />
Wertes anerkannt werden. Hiermit ist<br />
nicht von vornherein verbunden, dass diese<br />
Leistung als gemeinnützig beim Finanzamt anerkannt<br />
werden kann; dies ist zusätzlich abzusprechen,<br />
aber keine Voraussetzung im Rahmen<br />
der Förderung.<br />
Darlehen<br />
Natürlich können die Eigenanteile grundsätzlich<br />
auch über Darlehen aufgebracht werden.<br />
Bei „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ darf dies aber nur eine<br />
untergeordnete Rolle spielen, weil Zinsen und<br />
Darlehen in vollem Umfang vom Projektträger<br />
zu tragen sind und damit den späteren Betrieb<br />
finanziell belasten. Daher sollten Darlehen nur<br />
zur Absicherung verbliebener Restlücken bei<br />
den Eigenanteilen (möglichst unter 10% des Eigenanteils)<br />
und zur Absicherung notwendiger<br />
Vor- und Zwischenfinanzierungen zur Liquidität<br />
im Bauprozess eingesetzt werden. In diesen<br />
Komplex fallen sowohl normale Kapitalmarktdarlehen<br />
als auch Privatdarlehen und private<br />
Bürgschaften.<br />
Nachweis/Plausibilität der Eigenanteile vor<br />
Förderbewilligung<br />
Um die antragstellenden Kommunen, die Landesförderung,<br />
aber auch die Projektträger<br />
selbst abzusichern, sollte im Rahmen des Qualifizierungsprozesses<br />
zum Förderantrag der<br />
überwiegende und zur Bewilligung nahezu der<br />
vollständige Eigenanteil plausibel nachgewiesen<br />
werden:<br />
Regeln und Besonderheiten beim Förderverfahren<br />
oben: der Bürger- und Jugendpavillion in<br />
Düren-Mariaweiler (während des Baus)<br />
107
Regeln und Besonderheiten beim Förderverfahren<br />
oben: das Projekt Tuchwerk in Aachen<br />
(Qualifizierungsprozess 2007/ 2008)<br />
108<br />
• Beim Eigenkapitalersatz über bauliche Selbsthilfe<br />
sollte ein Selbsthilfekonzept vorliegen<br />
und in die Kostenberechnung eingearbeitet<br />
sein.<br />
• Barmittel des Trägers und kleinere Spenden<br />
können anhand des Kontostandes dargestellt<br />
werden.<br />
• Bei Großspendern müssen belastbare und<br />
von Entscheidern unterschriebene „letters of<br />
intent“ vorgelegt werden.<br />
• Eigenanteile über Architekten-, Ingenieur- und<br />
Unternehmensleistungen müssen in ihren<br />
Leistungen und den Geldwerten mit „letters<br />
of intent“ der jeweiligen Firma mit verbindlicher<br />
Unterschrift erkennbar werden.<br />
• Bei Darlehensabsicherungen müssen Bereitschaftserklärungen<br />
der Banken vorliegen.<br />
Die Plausibilitätsdarstellung setzt ein gutes Finanzmanagement<br />
beim Projektträger und eine<br />
gute Koordination zwischen Projektträger, antragstellender<br />
Kommune und dem Mana gement<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ im Rahmen der Projektqualifizierung<br />
voraus, um die vorgenannten<br />
Ziele in Stufen von der Beiratsberatung über<br />
den Förderantrag bis zur Bewilligung auch tatsächlich<br />
zu erreichen.<br />
Förderanträge, Bewilligungen, Einstieg in<br />
die Förderung<br />
Für bürgerschaftliche Projektträger ist das Finanzmanagement<br />
beim Einstieg in die Realisierung<br />
von entscheidender Bedeutung. Förderanträge<br />
der Kommunen müssen zwischen<br />
Mai und September bei den Bezirksregierungen<br />
gestellt werden, damit sie bei der Aufstellung<br />
des nächstjährigen Stadterneuerungsprogramms<br />
berücksichtigt werden können. In aller<br />
Regel kann dann erst mit Verabschiedung des<br />
Landeshaushaltes im Früh sommer eine Bewilligung<br />
ausgesprochen und in der zweiten<br />
Jahreshälfte frühestens mit den ersten Fördermitteln<br />
gerechnet werden. Dieser ca. einjährige<br />
Vorlauf muss in der Projektentwicklung bedacht<br />
werden. Er kann genutzt werden für die<br />
weitere Absicherung der Eigenanteile, die<br />
Gründung der Betreibergesellschaften, für die<br />
Ausführungsplanung, für die Baugenehmigung<br />
und die Vorbereitung der Ausschreibungen<br />
u.v.a.m.<br />
Die Zeit zwischen Förderantrag und Bewilligung<br />
der Fördermittel und damit dem Beginn<br />
der Projektrealisierung kann in Einzelfällen<br />
durch einen „Antrag auf vorzeitigen förderunschädlichen<br />
Maßnahmenbeginn“ verkürzt<br />
werden, der die Projektträger in die Lage versetzt,<br />
beginnen zu können, ohne dass dies die<br />
spätere Förderbewilligung in Frage stellt (das<br />
Risiko bis zur Bewilligung ist aber vom Projektträger<br />
zu übernehmen).<br />
Zeit-/Maßnahmenplan, Fördermittelfluss,<br />
Vorfinanzierung, Liquidität<br />
Zur Vorbereitung des Einstiegs in die Projektrealisierung<br />
muss ein möglichst detaillierter<br />
Zeit-/Maßnahmenplan mit Angaben der jeweiligen<br />
Ausgaben aufgestellt werden. Dies ist aus
Sicht der Förderung in einem ersten Schritt<br />
notwendig, um die Mittel möglichst exakt jahresweise<br />
in die Landeshaushaltsplanung einstellen<br />
zu können. Ferner sollte auf dieser groben<br />
Basis in einem 2-Monats-Rhythmus der<br />
Mittelbedarf zwischen Bauherr-Architekt-Kommune<br />
exakt ermittelt und über die Kommune<br />
bei der Bezirksregierung die Auszahlung angemeldet<br />
werden. Je exakter das Bau- und Finanzmanagement<br />
funktioniert, umso geringer<br />
sind die Liquiditätsprobleme im Realisierungsprozess.<br />
Dies trifft nicht nur auf den Fördermittelfluss,<br />
sondern auch auf die Einspeisung der<br />
Eigenanteile in eine Gesamtfinanzierung zu.<br />
In der Praxis tauchen immer wieder Liquiditätsprobleme<br />
auf, so dass den Projektträgern<br />
zu raten ist, in jedem Fall Vor- und Zwischenfinanzierungsspielräume<br />
zu schaffen. Darüber<br />
hinaus dient der Zeit- /Maßnahmenplan der<br />
Kostenkontrolle zum jeweiligen Projektzeitpunkt.<br />
Sollte dabei erkannt werden, dass Abweichungen<br />
zwischen Soll- und Ist-Kosten bestehen,<br />
so ist in einem ersten Schritt zu prüfen,<br />
inwieweit durch Minderausgaben die Mehrkosten<br />
aufgefangen werden können. Sind aber<br />
die Mehrkosten nicht kompensierbar, so sollte<br />
umgehend mit der Bewilligungsbehörde und<br />
dem Management „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ das<br />
Gespräch zur Klärung der weiteren Vorgehensweise<br />
gesucht werden.<br />
Umlage zur Mitfinanzierung des Programm-<br />
Managements<br />
Projektträger, die in den Genuss der Förderung<br />
aus dem Programm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ kommen,<br />
müssen sich mit einer Umlage an den Kosten<br />
des Managements „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ beteiligen.<br />
Die Höhe der Umlage beträgt je nach<br />
Größenordnung des Projektes zwischen 5.000<br />
und 10.000 Euro, in Einzelfällen bis zu 20.000<br />
Euro. Sie muss vor der Auszahlung der ersten<br />
Fördermittel, also ganz am Anfang der Projektrealisierung<br />
in einem Betrag geleistet werden.<br />
Nutzungs-, Träger-, Betriebs- und<br />
Wirtschaftlichkeitskonzept, Ermittlung der<br />
Anschubförderung<br />
Eine der Fördervoraussetzungen beim Programm<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ ist das Vorliegen<br />
eines belastbaren Träger-, Betriebs- und Wirt-<br />
schaftlichkeitskonzepts. Dies wird im Qualifizierungsverfahren<br />
zwischen dem Projektträger<br />
und dem Management „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
erarbeitet und im Beirat „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“,<br />
als Teil der Förderempfehlung an das MBV, beraten.<br />
Aus diesem Konzept ergibt sich auch<br />
eine eventuelle Förderung des betrieblichen<br />
Anschubs. In der Konsequenz wird das Konzept<br />
dann ebenso wie die Planung und die Kostenschätzung<br />
der Investitionen zum Bestandteil<br />
des Förderantrags und der späteren Bewilligung.<br />
Kommunen und Förderanträge<br />
Städtebauförderanträge müssen von Kommunen<br />
gestellt werden; dies gilt auch bei „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“. Dennoch stehen die Projekti<strong>nitiative</strong>n,<br />
die bürgerschaftlichen Projekte sowie<br />
ihre Tragfähigkeit und Belastbarkeit im Vordergrund.<br />
Nur belastbare und tragfähige Projekte<br />
sollen in die Förderung gehen, um alle Beteiligten<br />
vor zu großen Risiken zu schützen. Denn<br />
mit dem Förderantrag übernehmen die Kommunen<br />
die formelle Verantwortung bei der Einhaltung<br />
der Zweckbindungsfrist. Die Verwendung<br />
der Mittel ist durch den Projektträger<br />
gegenüber der Kommune nachzuweisen, die<br />
wiederum den Nachweis gegenüber der Bezirksregierung<br />
zu führen hat.<br />
Die Projekte müssen sich grundsätzlich in die<br />
örtliche Stadtentwicklungspolitik einordnen<br />
und Teile „integrierter Stadt(teil)entwicklungsprogramme“<br />
sein. Dies ist eine wichtige Voraussetzung<br />
für die Förderung. Das Baugesetzbuch<br />
(BauGB) bietet hierfür eine ganze Reihe<br />
von formalen Möglichkeiten zur Herstellung eines<br />
sogenannten „Gebietsbezugs“.<br />
Regeln und Besonderheiten beim Förderverfahren<br />
109
Christoph Schilde ist Mitarbeiter der LEG<br />
– Arbeitsmarkt- und Strukturentwicklung<br />
aus Essen. Er begleitet mehrere „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“-Projekte insbesondere aus der<br />
Sicht der Einbindung von Arbeitsmarktinstrumenten.<br />
110<br />
Integration von Arbeitsmarktinstrumenten bei<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
von Christoph Schilde<br />
Ein erfolgreicher Strukturwandel in <strong>NRW</strong> soll<br />
durch eine ressortübergreifende und ganzheitliche<br />
Strategie und die Einbindung unterschiedlicher<br />
Politikfelder und Förderprogramme<br />
unterstützt werden. Die LEG Arbeits marktund<br />
Strukturentwicklung GmbH (LEG AS) berät<br />
im Rahmen des Programms „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
vier bürgerschaftlich getragene Projekte,<br />
in denen Langzeitarbeitslose qualifiziert und<br />
beschäftigt sowie teilweise auch Dauerarbeitsplätze<br />
geschaffen werden. Um dies zu ermöglichen,<br />
werden neben der Städtebauförderung<br />
des Ministeriums für Bauen und Verkehr (MBV)<br />
<strong>NRW</strong> auch Förderinstrumente des Ministeriums<br />
für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS)<br />
<strong>NRW</strong>, Mittel der Bundesagentur für Arbeit (BA)<br />
und z.T. der Europäischen Union (EU) eingesetzt.<br />
Grundlegende Änderungen bei<br />
Arbeitsmarktinstrumenten seit 2004<br />
Die arbeitsmarktpolitischen Strategien der<br />
Bun desagentur für Arbeit (BA) und des Landes<br />
<strong>NRW</strong> sowie ihre Finanzierungs- und Förderprogramme<br />
haben sich seit 2004 wesentlich verändert.<br />
War in der Vergangenheit z. B. das Instrument<br />
der „Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen“<br />
(ABM) trotz aller Kürzungen im Lauf der Jahre<br />
relativ stabil und projektbezogen planbar, so<br />
haben die Änderungen in der arbeitsmarktpolitischen<br />
Förderlandschaft sowie die Umorientierung<br />
der ehemaligen „Arbeitsämter“ auf<br />
„Arbeitsgemeinschaften / ARGEn“ seitdem erhebliche<br />
Auswirkungen auf die Projektarbeit.<br />
Praxis projektbezogen sehr unterschiedlich<br />
Mit den Veränderungen sollte mehr Autonomie<br />
und Entscheidungsfreiheit bei den ARGEn ermöglicht<br />
werden. In der Praxis heißt dies, dass<br />
jede ARGE situativ und fallbezogen sehr unterschiedlich<br />
mit den ihr zur Verfügung stehenden<br />
Instrumenten und Förderprogrammen verfährt.<br />
Darüber hinaus gibt es Unsicherheiten<br />
im Umgang mit den neuen Entscheidungsspielräumen,<br />
so dass für jedes Projekt immer<br />
wieder Überzeugungsarbeit zu leisten ist. Dies<br />
führt für „Integrierte Arbeitsmarktprojekte“ dazu,<br />
dass die Übertragbarkeit von Erfahrungen<br />
und Know-How hinsichtlich möglicher Strategien,<br />
fördertechnischer Strukturen und Verfahren<br />
stark eingeschränkt ist und die „kreative Lösung<br />
des Einzelfalls“ die Regel geworden ist.<br />
Drei zentrale Instrumente in der Praxis<br />
Im Großen und Ganzen beschränkt sich das<br />
Spektrum an Förderprogrammen der Bundesanstalt<br />
für Arbeit (BA) (Stand Frühsommer<br />
2008) auf drei Schwerpunkte, die für Integrierte<br />
Arbeitsmarktprojekte mehr oder weniger<br />
effektiv eingesetzt werden können:<br />
• „Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen“ (ABM) :<br />
Dies ist ein Instrument, das regional sehr unterschiedlich<br />
angeboten wird, von offensiver<br />
Nutzung bis hin zu absoluter Ablehnung<br />
sind alle Optionen bei den ARGEn vertreten.<br />
• „Arbeitsgelegenheiten“ (AGH, § 16 Abs. Sozialgesetzbuch<br />
II): Als neues Förderinstrument<br />
seit 2006 in unterschiedlichen Abwandlungen<br />
(hinsichtlich der Mehraufwandsentschädigung)<br />
von den ARGEn vorgestellt, scheint<br />
diese vermittlungs- und qualifizierungsorientierte<br />
Förderstrategie schon wieder an ihre<br />
Grenzen gekommen zu sein und – allerdings<br />
regional sehr unterschiedlich – zurück gefahren<br />
zu werden.<br />
• „JobPerspektive“ (§ 16 a Sozialgesetzbuch II) :<br />
Dieses Instrument wurde für die dauerhafte<br />
Förderung insbesondere für Zielgruppen mit<br />
mehreren Vermittlungshemmnissen eingeführt,<br />
das jedoch wegen seiner wirtschaftlichen<br />
Hürden sowohl bei den ARGEn als auch<br />
bei Trägern, Wohlfahrtsverbänden und Unternehmen<br />
oft nur im Einzelfall eingesetzt<br />
wird.<br />
Darüber hinaus bietet das Land <strong>NRW</strong> unterschiedliche<br />
Förderansätze, die im Wesentlichen<br />
auf arbeitslose Jugendliche, behinderte Menschen,<br />
ältere Menschen sowie Migrantinnen<br />
und Migranten fokussieren und eher im speziellen<br />
Einzelfall für Integrierte Arbeitsmarktprojekte<br />
geeignet sind.<br />
Bauen und Dienstleistungen/Betrieb, Träger<br />
und Akteure des Arbeitsmarkts<br />
Neben den eher klassischen Einsatzfeldern wie<br />
Brachflächensanierung, Abriss / Rückbau, Garten-<br />
und Landschaftsbau, Grünpflege, partiell<br />
auch Hochbau sind seit geraumer Zeit auch<br />
Dienstleistungen in unterschiedlichen Konstellationen<br />
Gegenstand arbeitsmarktpolitischer<br />
Förderprogramme, über deren Entwicklung und<br />
marktorientierter Ausrichtung die Schaffung
von Dauerarbeitsplätzen mittel- und langfristig<br />
seitens der Fördergeber angestrebt wird.<br />
Durchgängig ist bei allen Förderinstrumenten,<br />
dass die angebotenen Fördersätze im Verlauf<br />
der letzten Jahre massiv zurückgenommen<br />
wurden. Dies bedeutet für die Träger arbeitsmarktpolitischer<br />
Maßnahmen, dass die erforderlichen<br />
Restkosten (Personal-, Verwaltungs-<br />
und Sachkosten) durch steigende produktive<br />
Leistungsanteile der Maßnahmeteilnehmer<br />
„erwirtschaftet“ werden müssen. Für die Praxis<br />
heißt das, dass arbeitsmarktpolitische Maßnahmen<br />
nur in Projektkonstellationen einbezogen<br />
werden sollten, in denen sichergestellt<br />
werden kann, dass die durch „Vermittlungshemmnisse“<br />
bedingten Minderleistungen der<br />
Teilnehmer nicht größer sind als der Ausgleich<br />
durch den öffentliche Zuschuss. Die Träger arbeitsmarktpolitischer<br />
Maßnahmen dürfen<br />
grundsätzlich nur ihre maßnahmebedingten<br />
„ungedeckten Kosten“ über die produktiven<br />
Anteile des Integrierten Arbeitsmarktprojektes<br />
finanzieren; darüber hinaus gehende Überschüsse<br />
müssen an die ARGEn zurückgezahlt<br />
werden. Aus diesen Gründen ist eine enge und<br />
vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen<br />
Projektträger und ARGE unerlässlich.<br />
Kammern und Verbände achten als Interessensvertreter<br />
ihrer Mitgliedsunternehmen auf Aspekte<br />
der Wettbewerbsverzerrung und der Einhaltung<br />
von Vergaberichtlinien. Hinsichtlich<br />
der Vergabe bieten die VOB und die VOL Lösungen,<br />
die jedoch im „Tagesgeschäft“ von Kommunen,<br />
Kammern und Verbänden selten zum<br />
Tragen kommen und deshalb nicht immer sofort<br />
präsent sind; nicht zuletzt aus diesem<br />
Grund ist es ratsam, frühzeitig vergaberechtliches<br />
Know-How extern einzuwerben. In diesem<br />
Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass<br />
arbeitsmarktpolitische Maßnahmen im Rahmen<br />
von „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ auf bürgerschaftliche<br />
Aspekte fokussieren, die teilwirtschaftlich<br />
ausgerichtet sind und ihren Schwerpunkt nicht<br />
im kommerziellen Handeln suchen. Bei Arbeitsmarktprojekten<br />
bezieht sich öffentliche Förderung<br />
auf den Ausgleich von Minderleistungen<br />
der Teilnehmer sowie auf eine Behebung von<br />
Qualifizierungsdefiziten, die die Teilnehmer<br />
hinsichtlich eines Einsatzes auf dem ersten Arbeitsmarkt<br />
vorbereiten. Die Bereitschaft der<br />
Kammern und Verbände, bürgerschaftliche<br />
Projekte sowie arbeitsmarktpolitische Maßnahmen<br />
zu tolerieren, ist regional sehr unterschiedlich<br />
ausgeprägt. Ratsam ist es jedoch in<br />
jedem Fall, möglichst früh Kontakt zu suchen<br />
und Vertrauen durch Transparenz und Dialog<br />
zu schaffen.<br />
„Integrierte Arbeitsmarktprojekte“ und<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
Bis 2004 waren die Förderung von Arbeitsmarktmaßnahmen<br />
und die Städtebauförderung<br />
eng miteinander verzahnt. Auch unter<br />
den veränderten Bedingungen ist die Nutzung<br />
arbeitsmarktpolitischer Instrumente in „Integrierten<br />
Arbeitsmarktprojekten“ für die Stadterneuerung<br />
weiterhin möglich und sinnvoll. Sie<br />
stützen den regionalen Arbeitsmarkt, sie bieten<br />
gerade jüngeren Leuten Perspektiven und<br />
sie entlasten die kommunalen Haushalte. Dieser<br />
dreifache Nutzen ist dazu geeignet, die Projekte<br />
im Programm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ in der<br />
öffentlichen Wahrnehmung noch besser zu positionieren.<br />
Für die Projekte können u.U. Personalressourcen<br />
aus dem direkten Umfeld der<br />
Projekte erschlossen werden.<br />
Bewährt hat sich der Einsatz Integrierter Arbeitsmarktansätze<br />
insbesondere für die Bauphase,<br />
um beschäftigungspolitische Aspekte<br />
sowie Aspekte der Stabilisierung und beruflichen<br />
Qualifizierung arbeitsloser Menschen zu<br />
unterstützen. Öffentliche Förderprogramme,<br />
insbesondere der Bundesagentur für Arbeit, z.T.<br />
auch die des Europäischen Sozialfonds, sind in<br />
der Regel für eine solide mittel- und langfristige<br />
Betriebsplanung bei „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-<br />
Projekten nur bedingt nutzbar.<br />
Arbeitsmarktmaßnahmen beim Bauen müssen<br />
sich wie bei allen öffentlich finanzierten Maßnahmen<br />
auch bei Projekten der Stadterneuerung<br />
in das Vergaberecht einordnen. Dabei wird<br />
in der Praxis mit zwei Optionen gearbeitet:<br />
Bei der Aufstellung des Leistungsverzeichnisses<br />
im Rahmen der Kostenberechnung nach DIN<br />
276 werden die vollständigen Gewerke /<br />
Teilgewerke im Vorfeld einer Ausschreibung<br />
definiert, die über Arbeitsmarktmaßnahmen<br />
und anerkannte Beschäftigungsträger ausgeführt<br />
werden sollen. Diese Gewerke können<br />
dann freihändig vergeben werden; eine Ausschreibung<br />
entfällt. Voraussetzung für dieses<br />
Integration von Arbeitsmarktinstrumenten<br />
oben: das Projekt Müllestumpe in Bonn,<br />
hier beim Richtfest und beim Spatenstich<br />
111
Integration von Arbeitsmarktinstrumenten<br />
oben: Isometrie der Schiffsbrücke Wuppermündung<br />
112<br />
Verfahren ist, dass die eingebundenen Beschäftigungsträger<br />
bereit sein müssen, ihre internen<br />
Trägerkosten nachvollziehbar zu belegen<br />
(z. B. ungedeckte Teilnehmerkosten, Anleiter,<br />
Verwaltung, Mieten). Hieraus ergeben sich<br />
dann abschließend die „ungedeckte Maßnahmekosten“,<br />
die nach Abschluss der Arbeiten<br />
und Abnahme der Gewerke aus dem Baubudget<br />
vergütet werden. Es ist auszuschließen,<br />
dass der Träger bei der Durchführung des Auftrags<br />
Gewinne erzielt. Die Teilproduktivität der<br />
Teilnehmerstunden wird als Kalkulationsgröße<br />
berücksichtig und fließt in die Gesamtkalkulation<br />
mit ein. Die Kostenobergrenze bilden die<br />
in der Kostenberechnung nach DIN 276 ermittelten<br />
Kosten.<br />
Die LEG Arbeitsmarkt- und Strukturentwicklung<br />
GmbH (LEG AS) übernimmt als „Generalübernehmer“<br />
(GÜ) das gesamte Baupaket für<br />
den Projektträger und ordnet für alle Beteiligten<br />
die Arbeitsmarktmaßnahmen optimal und<br />
regel-/förderkonform ein. Dabei werden die<br />
Gewerke, die von Beschäftigungsträgern realisiert<br />
werden können freihändig an diese vergeben;<br />
alle anderen Aufträge werden von der LEG<br />
AS öffentlich ausgeschrieben. Das wirtschaftliche<br />
Risiko liegt dabei beim GÜ.<br />
Der Einsatz von Arbeitsmarktinstrumenten bei<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-Projekten sei im Folgenden<br />
an zwei konkreten Beispielen beschrieben.<br />
Haus am Müllestumpe, Bonn<br />
Projekthintergrund: In einem Park mit schönem<br />
alten Baumbestand im Norden von Bonn liegt<br />
die „Königin-Juliana-Schule“, eine ehemalige<br />
Förderschule für Kinder mit geistiger Behinderung.<br />
Nach dem Umzug der Schule 2002 entwickelten<br />
die Eltern der Schüler gemeinsam mit<br />
BürgerInnen der benachbarten Stadtteile Auerberg<br />
und Graurheindorf das Konzept „Haus am<br />
Müllestumpe – miteinander leben und gestalten“:<br />
Bürger- und Kulturzentrum mit einer<br />
Gastronomie, Ausflugsort mit einfacher Übernachtungsmöglichkeit<br />
(„Bed&Bike-Hotel“). Impulsgeber<br />
ist der Verein „Haus am Müllestumpe<br />
- miteinander leben und gestalten e. V.“, der<br />
Betrieb wird von einer gemeinnützigen GmbH<br />
sichergestellt. Ziel ist die Schaffung eines öffentlichen<br />
Orts, wo sich Menschen mit und ohne<br />
Behinderung aus der ganzen Region treffen<br />
können. Die Betreibergesellschaft wird als Integrationsunternehmen<br />
Menschen mit Behinderungen<br />
in wirtschaftlichen Zweckbetrieben<br />
beschäftigen. Parallel zum Bürgerzentrum werden<br />
12 Wohnungen gebaut, in denen behinderte<br />
Menschen selbständig leben und im Bedarfsfall<br />
Hilfe anfordern können. Weiterhin<br />
entstehen Werkstätten, in denen behinderte<br />
und nicht behinderte Menschen, Vereine, Kindergärten<br />
und Schulen künstlerisch tätig sein<br />
können, Kurse anbieten und Aktionen durchführen,<br />
die die Philosophie des Projektes vermitteln.<br />
Zur Integration von Arbeitsmarktmaßnahmen<br />
im Haus am Müllestumpe: Die Abbruch- und<br />
Entkernungsarbeiten wurden freihändig an die<br />
Diakonischen Wirtschaftsbetriebe Bonn vergeben,<br />
unter der Voraussetzung, dass die Arbeiten<br />
präzise definiert und im Vorfeld nicht ausgeschrieben<br />
wurden. Die Diakonischen Wirt-<br />
schaftsbetriebe haben diese Arbeiten nach<br />
Offenlegung ihrer ungedeckten Kosten mit ca.<br />
15 Personen (finanziert über Arbeitsgelegenheiten<br />
(AGH) der ARGE Bonn) durchgeführt. Die<br />
Kosten des Trägers und die Produktivität der<br />
Teilnehmer wurden auf der Grundlage der<br />
Bautagebücher geprüft und anerkannt. Auf<br />
dieser Grundlage wurde die Leistung der Diakonischen<br />
Wirtschaftsbetriebe nach Abnahme<br />
der Arbeiten vergütet. Die von den Architekten<br />
im Rahmen der Kostenberechnung nach DIN<br />
276 ermittelten Kosten für das Gewerk wurden<br />
dabei nicht überschritten.<br />
Eine erfolgreiche Umsetzung dieses Verfahrens<br />
setzt voraus, dass ein leistungsfähiger Träger<br />
wie die Diakonischen Wirtschaftsbetriebe vor<br />
Ort vorhanden ist, der sowohl über ausreichendes<br />
Fachpersonal verfügt als auch über geeignete<br />
„Teilnehmerkapazitäten“, um bei überdurchschnittlichen<br />
Fehlzeiten oder anderen<br />
nicht kalkulierbaren Engpässen weitere Teilnehmer<br />
ohne Zeitverzug einsetzen zu können,<br />
und so einen durchgängigen Bauablauf gewährleisten<br />
kann.<br />
Darüber hinaus konnten im Projekt Mülle -<br />
s tum pe weitergehende Regelungen vereinbart<br />
werden. So wurden alle ausgeschriebenen Gewerke<br />
mit dem Zusatz versehen, dass die Unternehmen,<br />
die sich um die Aufträge bewerben,<br />
bereit sein müssen, arbeitslose Menschen,
vorwiegend Jugendliche und junge Erwachsene,<br />
bei der Durchführung der Arbeiten zu beschäftigen<br />
und zu qualifizieren. Eine erforderliche<br />
Begleitung und Betreuung sicherten die<br />
Diakonischen Wirtschaftsbetriebe zu.<br />
Über eine zeitnahe Kostenkontrolle kann bereits<br />
vor Abschluss der Bauarbeiten am Altbau<br />
festgestellt werden, dass durch die Einbindung<br />
arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen keine<br />
Mehr kosten für das Projekt entstanden sind.<br />
Durch die direkte Nähe der Teilnehmer zu den<br />
Unternehmen konnte zudem erreicht werden,<br />
dass über Vermittlung der Diakonischen Wirtschaftsbetriebe<br />
vier Jugendliche eine Ausbildungs-<br />
bzw. einen Arbeitsplatz bekamen. Des<br />
Weiteren wird die „Haus am Müllestumpe<br />
gGmbH“ mindestens einen Mitarbeiter aus<br />
den Maßnahmen einstellen.<br />
Schiffsbrücke Leverkusen<br />
Projekthintergrund: BürgerInnen aus Leverkusen<br />
setzen sich seit langem für das Unikum einer<br />
historischen Schiffsbrücke ein, die seit 1912<br />
über die Mündung der Wupper in den Rhein<br />
führt. Der „Förderverein Schiffsbrücke Wuppermündung<br />
e. V.“ übernahm die Verantwortung<br />
für die Schiffe und die Schiffsbrücke Mitte der<br />
90er Jahre, um dieses überregional bedeutsame<br />
Denkmal zu retten. 1996 ging die Schiffsbrücke<br />
in den Besitz des Fördervereins über. Er<br />
ließ die Schiffskörper auf einer holländischen<br />
Spezialwerft mit Mitteln des Vereins, einiger<br />
großer Stiftungen und der Wirtschaft technisch<br />
sanieren. Seit 2004 arbeiten viele Partner<br />
an einem langfristig tragfähigen Gesamtprojekt<br />
(Ausbau der Schiffe als Ausflugsziel und<br />
als Bürger- und Kulturzentrum, Integration eines<br />
Pontonschiffs, feste Steganlage über den<br />
Altarm der Wupper, Anschluss an das Rad- und<br />
Wegenetz, Andocken eines Seglers für Einzelaktion<br />
und Fahrten auf dem Rhein).<br />
Zur Integration von Arbeitsmarktmaßnahmen<br />
in das Projekt. Der Innenausbau der Schiffskörper,<br />
der Bau des Pontons und der Ausbau des<br />
Seglers werden – soweit die Einhaltung fachlicher<br />
Standards dies ermöglichen – unter Einbeziehung<br />
Integrierter Arbeitsmarktprojekte<br />
durchgeführt. Bis zu 10 Auszubildende des<br />
überbetrieblichen Ausbildungsträgers Wuppermann<br />
Bildungswerk werden gemeinsam<br />
mit Ausbildungsbetrieben Arbeiten (zunächst<br />
vor allem im Stahlbereich) durchführen.<br />
Die Einbindung von Auszubildenden, überbetrieblichen<br />
Ausbildungsträgern und ihren Betrieben<br />
im Stahlbereich ergibt sich aus dem<br />
Umstand, dass im Fall der Schiffsbrücke überwiegend<br />
fachlich anspruchsvolle Gewerke zum<br />
Tragen kommen und weniger sogenannte „Helferarbeiten“.<br />
Grundsätzlich muss festgestellt<br />
werden, dass „klassische“ Arbeitsmarktprojekte<br />
insbesondere dann sinnvoll sind, wenn rein<br />
„händische“ Arbeiten im Vordergrund stehen,<br />
deren Inhalte ein unteres bis mittleres Anforderungsprofil<br />
beschreiben.<br />
Es ist beabsichtigt, bei weiteren Leistungen<br />
(beim Innenausbau der Schiffe) ortansässige<br />
Träger für Beschäftigung und Qualifizierung<br />
mit max. 10 TeilnehmerInnen einzubinden<br />
(analog zum Projekt Müllestumpe).<br />
Schlussbemerkung<br />
Die Verbindung von arbeitsmarktpolitischen<br />
Maßnahmen mit Projekten der Stadt- und<br />
Strukturentwicklung, der Grünflächenentwicklung<br />
etc. hat sich im Verlauf der letzten 15 Jahre<br />
bewährt. Es ist deutlich geworden, dass diese<br />
Verbindung arbeitsmarkt- und sozialpolitische<br />
Effekte hat und dies in einem angemessenen<br />
Kostenrahmen sichergestellt werden kann.<br />
Angesichts der sozial- und arbeitsmarktpolitischen<br />
Anpassungsprozesse, des demografischen<br />
Wandels bis hin zu der immer größer<br />
werdenden Schere zwischen „arm“ und „reich“<br />
werden zukünftig bürgerschaftliche und (sozial-)unternehmerische<br />
I<strong>nitiative</strong>n eine zentrale<br />
Rolle spielen. Bei einer Vernetzung unterschiedlicher<br />
Politikfelder wird die Arbeitsmarkt-<br />
und Sozialpolitik dabei eine wichtige<br />
Rolle spielen müssen.<br />
Integration von Arbeitsmarktinstrumenten<br />
oben: das Projekt Müllestumpe in Bonn<br />
beim Richtfest<br />
113
114
Stiftungen und Bürgerstiftungen in <strong>NRW</strong> –<br />
Kooperationspartner für „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
von Kerstin Bohnsack<br />
Das Land Nordrhein-Westfalen (<strong>NRW</strong>) unterstützt<br />
im Rahmen von „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
seit 1996/1997 bürgerschaftlich getragene<br />
Projekte im Rahmen der Stadterneuerung. Aus<br />
der Sicht des Landes sind zwei Aspekte in den<br />
letzten Jahren immer bedeutender geworden:<br />
erstens die Einbindung in Strukturpolitik und<br />
langfristige Perspektiven der Stadtentwicklung<br />
sowie zweitens die Einbindung in öffentlichprivate<br />
Partnerschaften (ÖPP) bei der Finanzierung<br />
und dem Betrieb von Projekten. Vor diesem<br />
Hintergrund binden immer mehr Projekte<br />
von „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ neben den Kommunen<br />
zunehmend Stiftungen sowie andere<br />
„Drittförderer“ ein. Immer häufiger ergeben<br />
sich Mischfinanzierungen bei der Erstinvestition<br />
aus der Städtebauförderung (hier „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“), kommunalen Eigenanteilen, Beiträgen<br />
der bürgerschaftlichen Projektträger<br />
(u.a. bauliche Selbsthilfe, gespendete Unternehmerleistungen,<br />
Barmittel aus Mitgliedsbeiträgen<br />
und Kleinspenden), Spenden aus der lokalen<br />
oder regionalen Wirtschaft (meist in<br />
gemeinsamer Anstrengung von bürgerschaftlichen<br />
Projektträgern und Bürgermeistern) sowie<br />
lokal, regional, landes- oder bundesweit<br />
agierenden einschlägigen Stiftungen.<br />
Aktive Kommunalpolitiker, Dezernenten und<br />
Bürgermeister sind auf der lokalen bzw. kommunalen<br />
Ebene dabei, „Quellen des Ersatzes“<br />
von Eigenanteilen zu erschließen. Klassischerweise<br />
werden die Sparkassen und Ortsbanken<br />
und ihre jeweiligen Stiftungen, die Energieversorger<br />
und die Stadtwerke angesprochen. Eine<br />
„strategische Bündelung“ ist dabei selten zu<br />
erkennen, vielmehr werden Einzelfallentscheidungen<br />
getroffen. Dies wird je nach örtlicher<br />
Situation um die Akquisition von Beiträgen aus<br />
der privaten lokalen Wirtschaft ergänzt.<br />
Darüber hinaus wächst auch in der Bürgerschaft<br />
und der lokal verwurzelten Wirtschaft<br />
die Erkenntnis, ergänzende Unterstützungsstrukturen<br />
jenseits von Staat und Kommunen<br />
zu initiieren. Hierzu gehören z.B. Bürgerstiftungen<br />
und andere kleinere Stiftungen, deren Zahl<br />
und Vielfalt in den letzten Jahren deutlich zugenommen<br />
hat und weiter zunimmt. Die Rotarier<br />
oder Lions-Clubs gehören ebenso dazu wie<br />
die in Teilen von Unternehmerschaft und Wirtschaft<br />
diskutierten Ansätze der Corporate Social<br />
Responsibility (CSR) als Teil neuer Unterneh-<br />
mensphilosophien. Örtlich kommen aber die<br />
in Projekten organisierten Bürgergruppen<br />
nicht immer mit den Wirkungskreisen von Unternehmen<br />
und „Wohlhabenden“ zusammen.<br />
Hier eine stärkere Transparenz herzustellen<br />
oder auch Methoden der Erschließung von<br />
Geldquellen anzubieten, ist eine Chance für<br />
viele „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-Projektträger.<br />
Da sich „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ auch in Zukunft<br />
stärker auf Ansätze solcher Mischfinanzierungen<br />
ausrichten muss, ist es umso wichtiger, ein<br />
Unterstützungsnetzwerk für bürgerschaftliches<br />
Engagement in der Stadterneuerung in<br />
<strong>NRW</strong> aufzubauen. Hierbei spielt die Stiftungslandschaft<br />
eine wichtige Rolle. Vor diesem Hintergrund<br />
sollen im Folgenden Potenziale aufgezeigt<br />
und ein Überblick über diejenigen<br />
Stiftungen in <strong>NRW</strong> gegeben werden, die für<br />
„I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ und die Realisierung von<br />
Projekten eine Relevanz haben (können).<br />
Überregionale Stiftungen als Kooperationspartner<br />
für „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
Trotz der Vielzahl der Stiftungen, die eine gewisse<br />
Größenordnung und eine überregionale<br />
Bedeutung haben, zeigen diese oftmals keine<br />
klaren Bezüge und keine thematische Nähe zu<br />
Anliegen der <strong>NRW</strong>-Städtebauförderung auf.<br />
Darüber hinaus richten nur wenige überregionale<br />
Stiftungen einen „klaren“ Fokus auf das<br />
Thema bürgerschaftliches Engagement (in der<br />
Stadterneuerung), was wiederum das Kernanliegen<br />
des Programms „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ ist.<br />
Nahe an den Interessen und Zielsetzungen der<br />
Städtebauförderung sind vor allem die Nordrhein-<br />
Westfalen-Stiftung Naturschutz, Heimat-<br />
und Kulturpflege (<strong>NRW</strong>-Stiftung; www.<br />
nrw-stiftung.de) sowie die Deutsche Stiftung<br />
Denkmalschutz (www.denkmalschutz.de). Die<br />
eine in <strong>NRW</strong> und die andere in ganz Deutschland<br />
tätig, sind zu „Sammelbecken“ für die Unterstützung<br />
von Anliegen des Natur- und Heimatschutzes,<br />
des Denkmalschutzes sowie an<br />
der Schnittstelle zum bürgerschaftlichen Engagement<br />
geworden.<br />
Die durch ihre Satzungen festgelegten inhaltlichen<br />
Ausrichtungen können in der Regel nur<br />
Teilunterstützungen von „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-<br />
Projekten ermöglichen. Darüber hinaus können<br />
Kerstin Bohnsack ist Mitarbeiterin bei<br />
startklar.projekt.kommunikation in<br />
Dortmund. Sie ist mitverantwortlich für<br />
das Management „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ und<br />
setzt sich in diesem Zusammenhang mit<br />
dem Aufbau eines Unterstützungswerks<br />
für bürgerschaftliches Engagement in der<br />
Stadterneuerung auseinander.<br />
oben: Hof Wessels in Trägerschaft der<br />
Bürgerstiftung Herten<br />
linke Seite: Becker & Funck Düren in Trägerschaft<br />
der gleichnamigen Stiftung<br />
115
Stiftungen und Bürgerstiftungen in <strong>NRW</strong><br />
Seiten 116119: Bürgerstiftungsbeispiele<br />
bei I<strong>nitiative</strong> ergreifen: Rohrmeisterei<br />
Schwerte, Hof Wessels Herten, Alte Drahtzieherei<br />
Wipperfürth<br />
116<br />
beide Stiftungen trotz ihrer Größe nicht immer<br />
baulich investive Projekte vollständig aus eigener<br />
Kraft auf den Weg bringen. Damit verstehen<br />
sie sich in der Regel als Unterstützer von<br />
Projektbausteinen bzw. als Förderer, wo sonstige<br />
staatliche Förderprogramme nicht ausreichend<br />
greifen können.<br />
Potenzielle Kooperation mit der <strong>NRW</strong>-Stiftung<br />
Zum Beispiel bietet sich für die <strong>NRW</strong>-Stiftung<br />
eine Kooperation mit „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ zum<br />
einen wegen der thematischen Nähe und der<br />
Fördersynergien an, aber auch weil „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“ mit der Unterstützung beim Aufbau<br />
und bei der Stabilisierung eines bürgerschaftlich<br />
getragenen Betriebs Erfahrungen einbringt.<br />
Vor diesem Hintergrund gibt es in den<br />
letzten Jahren immer mehr gemeinsame Projekte<br />
zwischen der <strong>NRW</strong>-Stiftung und „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“. Inzwischen ist daraus ein Kooperationsansatz<br />
entstanden mit dem Ziel, sich im<br />
Vorfeld von Förderentscheidungen projektbezogen<br />
zu informieren und abzustimmen sowie<br />
Synergien zu nutzen, um durch Bündelung der<br />
Kräfte die Chance zur Realisierung von Gesamtprojekten<br />
zu erhöhen.<br />
Prinzipiell macht es somit viel Sinn, dass sich<br />
derartige überregionale Stiftungen mit Programmen<br />
wie „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ stärker und<br />
bei Projektanfragen frühzeitiger vernetzen, abstimmen<br />
und Ressourcen bündeln. Derartige<br />
Kooperationen sollen demnach auch mit weiteren<br />
Stiftungspartnern in den nächsten Jahren<br />
angegangen werden.<br />
Bürgerstiftungen in <strong>NRW</strong> – eine Chance<br />
für „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
Entwicklung von Bürgerstiftungen<br />
Im Jahr 1996 wurde mit der „Stadt Stiftung Gütersloh“<br />
die bundesweit erste Bürgerstiftung<br />
gegründet. Seither wächst das Interesse an diesem<br />
neuartigen Stiftungstyp in Deutschland<br />
kontinuierlich und stellt in vielen Regionen<br />
und Kommunen einen zunehmend wichtigen<br />
Akteur im Zusammenspiel von Staat, Wirtschaft<br />
und Bürgergesellschaft dar. Seit 2004 /<br />
2005 gibt es einen regelrechten Gründungsboom,<br />
der aktuell anhält. 2007 konnten bereits<br />
über 55 Bürgerstiftungen in allen Regionen von<br />
<strong>NRW</strong> festgestellt werden, die den 10 Merkmalen<br />
einer Bürgerstiftung und damit dem Güte-
siegel des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen<br />
entsprechen (siehe 10 Merkmale einer<br />
Bürger stiftung am Ende dieses Artikels). Auch<br />
wenn nur wenige Bürgerstiftungen „vermögend“<br />
sind und Bürgerstiftungen mit einem<br />
Stiftungskapital von mehreren hunderttausend<br />
Euro noch die absolute Ausnahme darstellen,<br />
sind sie dazu geeignet, komplementär<br />
zur öffentlichen Hand tätig zu werden und eine<br />
neue Form der Netzwerkunterstützung auf<br />
regionaler und insbesondere auf lokaler Ebene<br />
zu bilden. Ein breitenwirksamer (finanzieller)<br />
Fördereffekt ist allerdings erst mittel- bis langfristig<br />
zu erwarten (vgl. hierzu auch den Artikel<br />
zum Thema „Bürgerstiftungen“ von Nährlich<br />
und Hellmann in diesem Buch).<br />
Gründungsmotive von Bürgerstiftungen<br />
Anlässe und Motive zur Gründung von Bürgerstiftungen<br />
sind in der Regel konkrete Bürgerprojekte<br />
(u.a. auch einige „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“-<br />
Projekte), I<strong>nitiative</strong>n lokalen Gemeinsinns (u.a.<br />
Soziales, Kinder, Bildung, Kunst und Kultur) sowie<br />
„Förderstiftungen“ (u.a. Sparkassen, Städte,<br />
kommunale Unternehmen). Unter den konkreten<br />
Bürgerprojekten befinden sich auch „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“-Projekte wie die Rohrmeisterei<br />
in Schwerte, der Bauerhof Wessels in Herten,<br />
die Alte Drahtzieherei in Wipperfürth und das<br />
Fischereimuseum in Troisdorf-Bergheim. Bürgerstiftungen,<br />
die sich in bestimmten Themenfeldern<br />
für lokalen Gemeinsinn engagieren,<br />
sind punktuell Partner über die Projektträger<br />
bei „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“; sie helfen mit sehr<br />
überschaubaren Beträgen z.B. bei der Ausstattung<br />
oder im Betrieb eines Projektes. In den<br />
letzten Jahren sind zunehmend Bürgerstiftungen<br />
als „Sammelbecken“ von privaten Geldern<br />
für lokale oder regionale Anliegen hinzugekommen<br />
(z.B. die Sparkassen- Bürgerstiftungen).<br />
Merkmale von und Schnittstellen zu<br />
Bürgerstiftungen<br />
Die <strong>NRW</strong>-Bürgerstiftungen verfolgen mit einem<br />
breiten Stiftungszweck vielfältige Ziele<br />
und beschränken sich dabei in der Regel auf eine<br />
konkrete Stadt, zum Teil auch auf eine Region.<br />
Dabei ist zwischen den langfristigen Zielen<br />
von Bürgerstiftungen und ihren gemeinnützigkeits-<br />
und steuerrechtlich begründeten Satzungszwecken<br />
auf der einen Seite und dem aktuellen<br />
pragmatischen Handeln und Vorgehen<br />
auf der anderen Seite zu unterscheiden. Die<br />
Vielfalt der Aufgaben und der organisatorischen<br />
Strukturen sind genauso mannigfaltig<br />
wie die jeweils eigene Ausgangssituation für<br />
die jeweiligen Bürgerstiftungen. Aber eben diese<br />
Breite der Stiftungszwecke ermöglicht den<br />
Bürgerstiftungen eine auf lokale Anforderungen<br />
und Entwicklungen angepasste Tätigkeit,<br />
sei es durch eigene Projekte und/oder die Förderung<br />
weiterer I<strong>nitiative</strong>n.<br />
Bürgerstiftungen sind damit lokale, auf einer<br />
breiten Basis stehende bürgerschaftliche Vernetzungen.<br />
Dies ist eine neue Qualität, weil<br />
sich hierüber viele Bürger engagieren und für<br />
lokalen Gemeinsinn einsetzen. Dabei werden<br />
nicht nur die Bürger als Unterstützer angesprochen,<br />
sondern auch Unternehmen, gemeinnützige<br />
Organisationen und Kommunen.<br />
Nicht wenige <strong>NRW</strong>-Bürgerstiftungen kooperieren<br />
beispielsweise mit den Geldinstituten, wie<br />
den Sparkassen oder Volks- und Raiffeisenbanken<br />
vor Ort (nicht zu verwechseln mit den eigenen<br />
Stiftungen dieser Geldinstitute). Auch pflegen<br />
die Bürgerstiftungen im Allgemeinen eine<br />
gute Kooperation mit ihren Kommunen und<br />
verfügen oft über breit angelegte lokale Kooperationsnetzwerke.<br />
Aus dieser breiten Anlage resultieren vielfältige<br />
Anknüpfungspunkte für „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“,<br />
wie Projektanstöße und Projektträgerschaften<br />
über Bürgerstiftungen, die Ein bin-<br />
dung thematischer Bürgerstiftungen in Netz-<br />
werke um Projekte, der Aufbau von lokalen<br />
Plattformen für Gemeinsinn in der Stadtentwicklung<br />
und Stadterneuerung sowie Bürgerstiftungen<br />
als lokale bzw. regionale „Geldsammelstellen“<br />
außerhalb öffentlicher Haushalte.<br />
Zur Strukturierung eines gezielten, systematischen<br />
und vollständigen Zugangs zu Bürgerstiftungen<br />
in <strong>NRW</strong> sind insbesondere die datenbankbezogene<br />
Internetseiten der Aktiven<br />
Bürgerschaft (www.buergerstiftungen.info) sowie<br />
die der Bertelsmann Stiftung (www.buergerstiftungen.de)<br />
von Interesse.<br />
Die Aktive Bürgerschaft als potenzieller Kooperationspartner<br />
für „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
Die Aktive Bürgerschaft unterstützt als „Kompetenzzentrum<br />
für Bürgerengagement“ der Volks-<br />
und Raiffeisenbanken das Bürgerstiftungsengagement<br />
der Genossenschaftsbanken in<br />
Stiftungen und Bürgerstiftungen in <strong>NRW</strong><br />
117
Stiftungen und Bürgerstiftungen in <strong>NRW</strong><br />
118<br />
Deutschland. Da es im Rahmen von „I<strong>nitiative</strong><br />
ergreifen“ mehrere beispielhafte Pro jekte gibt,<br />
die unmittelbare Schnittstellen zu Bürgerstiftungen<br />
und den Aktivitäten der Aktiven Bürgerschaft<br />
aufweisen und darüber hinaus einzelne<br />
Projekte direkt über die Volks- und Raiffeisenbanken<br />
unterstützt werden, wurde analog zur<br />
<strong>NRW</strong>-Stiftung zunächst eine informelle Zusammenarbeit<br />
zwischen der Aktiven Bür gerschaft<br />
und „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ besprochen.<br />
Regionale Stiftungsverbünde in <strong>NRW</strong><br />
<strong>NRW</strong> ist reich an Stiftungen. Den besten Überblick<br />
zu der Vielzahl der Stiftungen in <strong>NRW</strong><br />
bietet der Stiftungsindex bzw. die Stiftungsdatenbank<br />
des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen<br />
(www.Stiftungen.org/stiftungsindex).<br />
Ein Online-Suchdienst kann Projektträgern einen<br />
ersten räumlichen und thematischen<br />
Überblick geben. Die frei zugänglichen Informationen<br />
zu Stiftungen etwa bei den jeweiligen<br />
Bezirksregierungen oder beim Innenministerium<br />
<strong>NRW</strong> (www.im.nrw.de/stiftungsverzeichnis<br />
/suche.jsp) gehen nicht darüber hinaus. Auch<br />
die Banken (u.a. Sparkassen mit ihren regionalen<br />
Stiftungsverbünden) verfügen derzeit über<br />
keine geeigneten, auf das bürgerschaftliche<br />
Engagement ausgerichteten regionalen Stiftungsdatenbanken.<br />
Die vorhandenen Stiftungsdatenbanken geben<br />
grundsätzlich nur einen unzureichenden Einblick<br />
in den „Stiftungsdschungel“. Dies wird<br />
durch den „Stiftungsboom“ der letzten Jahre<br />
noch verstärkt. Aus diesem Grunde haben sich<br />
inzwischen einige regionale I<strong>nitiative</strong>n von<br />
Stiftungsverbünden in <strong>NRW</strong> das Ziel gesetzt,<br />
regionale Netwerke aufzubauen sowie gebündelte<br />
Informationen über die Stiftungslandschaft<br />
weiterzugeben und darüber bürgerschaftliches<br />
Engagement zu unterstützen.<br />
Beispielhaft seien genannt:<br />
• der Stiftungsverbund Westfalen-Lippe in<br />
Münster (www.stiftungsverbund-westfalenlippe.de),<br />
• der Kompetenzkreis Stiftungen Ostwestfalen-Lippe<br />
in Detmold (www.lippeimpuls.de),<br />
• der Initiativkreis Kölner Stiftertag ( www.koeln.de/stiftungstag).<br />
Potenzielle Kooperationsansätze von Stiftungsverbünden<br />
und „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
Von Interesse für eine potenzielle Vernetzung<br />
mit „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ ist der Stiftungsverbund<br />
Westfalen-Lippe in Münster, der über eine<br />
umfangreiche Stiftungsdatenbank mit<br />
mehr als 1.000 Stiftungen verfügt. Dieser Verbund<br />
verfolgt das Ziel, die reale Vernetzung der<br />
ansässigen Stiftungen in Westfalen-Lippe<br />
(Schwerpunkt: Münsterland) maßgeblich zu<br />
unterstützen. Er erhält seine Impulse einerseits<br />
aus der Stiftung Westfalen-I<strong>nitiative</strong> und andererseits<br />
aus einem sich seit Jahren an der Westfälischen<br />
Wilhelms-Universität Münster entwickelnden<br />
Bereich des Non-Profit-Managements.<br />
Diese Kombination ist insofern interessant,<br />
weil sich hieraus stärkere Öffnungen der Stiftungen<br />
für Projekte und Kommunen ergeben,<br />
vor allem aber aktiv Zugänge von Projekten zu<br />
Stiftern geschaffen werden können. Dem großen<br />
Nachteil der für Projekti<strong>nitiative</strong>n so großen<br />
Unübersichtlichkeit der Stiftungslandschaft<br />
kann so mittel- und langfristig gezielt<br />
begegnet werden. Hieraus lassen sich Chancen<br />
gerade auch für „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ herausarbeiten.<br />
Analog zu bestehenden I<strong>nitiative</strong>n z.B. in Düsseldorf,<br />
Frankfurt und der Region Hannover<br />
wurde der „Kompetenzkreis Stiftungen OWL“<br />
als Netzwerk von Stiftungen in Ostwestfalen-<br />
Lippe (OWL) gegründet. Die Bezirksregierung<br />
Detmold und die „Stiftung Lippe Impuls“ haben<br />
den Anstoß zum Aufbau dieses Stiftungsnetzwerks<br />
in Ostwestfalen-Lippe gegeben.<br />
Das Grundprinzip des Netzwerkes liegt in der<br />
Selbst organisation. Es handelt sich damit um<br />
einen losen Zusammenschluss interessierter<br />
Stiftungen aus OWL, in dem u.a. auch die Sparkassenstiftungen,<br />
Bürgerstiftungen sowie zahlreiche<br />
lokal bzw. regional tätige Stiftungen<br />
vertreten sind. Der Kompetenzkreis Stiftungen<br />
OWL hat sich zum Ziel gesetzt, ein regionales<br />
Netzwerk aufzubauen, einen Überblick über<br />
die Stiftungslandschaft zu geben, den Erfahrungsaustausch<br />
sowie die aktive Förderung regionalen<br />
bürgerschaftlichen Engagements zu<br />
unterstützen und die Vermittlung von Fördermöglichkeiten<br />
für gemeinnützige Vorhaben<br />
voranzubringen. Auch mit dem Kompetenzkreis<br />
Stiftungen OWL ist zunächst eine informelle<br />
stärkere Vernetzung mit „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
abgesprochen, die sich gegebenenfalls
auch mit den regionalen strukturpolitischen<br />
Aktivitäten der Ostwestfalen-Marketing GmbH<br />
verknüpfen lässt.<br />
Resümee<br />
Beim Aufbau struktureller Kooperationen zwischen<br />
unterschiedlich agierenden Stiftungen<br />
in <strong>NRW</strong> und „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“ kann im<br />
Ergebnis festgehalten werden, dass sich inzwischen<br />
einige Vernetzungsansätze klar herauskristallisieren<br />
und zukünftig verstärkt für die<br />
Einbindung in das Programm „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
genutzt werden sollen. Gerade durch die<br />
Einbindung von Stiftungen, der Initiierung<br />
von mehr öffentlich-privaten Partnerschaften<br />
sowie durch eine gezielte Ergänzung des vorhandenen<br />
Beratungs- und Unterstützungsangebotes<br />
bei der Bündelung kommunaler Spendenakquisition<br />
für bürgerschaftliche Projekte,<br />
kann dadurch ein Mehrwert für „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
erzielt werden.<br />
10 Merkmale einer Bürgerstiftung<br />
Verabschiedet vom Arbeitskreis Bürgerstiftungen des<br />
Bundesverbandes Deutscher Stiftungen im Rahmen der<br />
56. Jahrestagung im Mai 2000<br />
Eine Bürgerstiftung ist eine unabhängige, autonom<br />
handelnde, gemeinnützige Stiftung von Bürgern für Bürger<br />
mit möglichst breitem Stiftungszweck. Sie engagiert<br />
sich nachhaltig und dauerhaft für das Gemeinwesen in<br />
einem geographisch begrenzten Raum und ist in der Regel<br />
fördernd und operativ für alle Bürger ihres definierten<br />
Einzugsgebietes tätig. Sie unterstützt mit ihrer Arbeit<br />
bürgerschaftliches Engagement.<br />
1. Eine Bürgerstiftung ist gemeinnützig und will das<br />
Gemeinwesen stärken. Sie versteht sich als Element einer<br />
selbstbestimmten Bürgergesellschaft.<br />
2. Eine Bürgerstiftung wird in der Regel von mehreren Stiftern<br />
errichtet. Eine I<strong>nitiative</strong> zu ihrer Errichtung kann auch<br />
von Einzelpersonen oder einzelnen Institutionen ausgehen.<br />
3. Eine Bürgerstiftung ist wirtschaftlich und politisch<br />
unabhängig. Sie ist konfessionell und parteipolitisch<br />
nicht gebunden. Eine Dominanz einzelner Stifter, Parteien,<br />
Unternehmen wird abgelehnt. Politische Gremien und<br />
Verwaltungsspitzen dürfen keinen bestimmenden Einfluss<br />
auf Entscheidungen nehmen.<br />
4. Das Aktionsgebiet einer Bürgerstiftung ist geographisch<br />
ausgerichtet: auf eine Stadt, einen Landkreis, eine Region.<br />
5. Eine Bürgerstiftung baut kontinuierlich Stiftungskapital<br />
auf. Dabei gibt sie allen Bürgern, die sich einer bestimmten<br />
Stadt oder Region verbunden fühlen und die Stiftungsziele<br />
bejahen, die Möglichkeit einer Zustiftung. Sie sammelt<br />
darüber hinaus Projektspenden und kann Unterstiftungen<br />
und Fonds einrichten, die einzelne der in der Satzung<br />
aufgeführten Zwecke verfolgen oder auch regionale Teilgebiete<br />
fördern.<br />
6. Eine Bürgerstiftung wirkt in einem breiten Spektrum des<br />
städtischen oder regionalen Lebens, dessen Förderung für<br />
sie im Vordergrund steht. Ihr Stiftungszweck ist daher breit.<br />
Er umfasst in der Regel den kulturellen Sektor, Jugend und<br />
Soziales, das Bildungswesen, Natur und Umwelt und den<br />
Denkmalschutz. Sie ist fördernd und/oder operativ tätig<br />
und sollte innovativ tätig sein.<br />
7. Eine Bürgerstiftung fördert Projekte, die von bürgerschaftlichem<br />
Engagement getragen sind oder Hilfe zur<br />
Selbsthilfe leisten. Dabei bemüht sie sich um neue Formen<br />
des gesellschaftlichen Engagements.<br />
8. Eine Bürgerstiftung macht ihre Projekte öffentlich und<br />
betreibt eine ausgeprägte Öffentlichkeitsarbeit, um allen<br />
Bürgern ihrer Region die Möglichkeit zu geben, sich an den<br />
Projekten zu beteiligen.<br />
9. Eine Bürgerstiftung kann ein lokales Netzwerk innerhalb<br />
verschiedener gemeinnütziger Organisationen einer Stadt<br />
oder Region koordinieren.<br />
10. Die interne Arbeit einer Bürgerstiftung ist durch Partizipation<br />
und Transparenz geprägt. Eine Bürgerstiftung<br />
hat mehrere Gremien (Vorstand und Kontrollorgan), in<br />
denen Bürger für Bürger ausführende und kontrollierende<br />
Funktionen innehaben.<br />
Stiftungen und Bürgerstiftungen in <strong>NRW</strong><br />
119
120
Abbildungsverzeichnis<br />
Umschlag<br />
Titelfoto<br />
Manfred Vollmer, Essen<br />
Innenseiten<br />
alle Fotos Manfred Vollmer, Essen<br />
bis auf:<br />
S. 19 startklar.projekt.kommunikation, Dortmund<br />
S.25 unten: Bürgerstiftung „Wir Wipperfürther“,<br />
Wipperfürth<br />
S. 49 Bürgerstiftung „Wir Wipperfürther“, Wipperfürth<br />
S. 50–53 alle Fotos: Cornelia Suhan, Dortmund<br />
bis auf:<br />
S. 51 rechts oben: domicil e.V., Dortmund<br />
S. 53 rechts unten: domicil e.V., Dortmund<br />
S. 61 rechts oben: startklar.projekt.kommunikation,<br />
Dortmund<br />
rechts unten: Stiftung Becker & Funck, Düren<br />
S. 62-65 alle Fotos: Canyon Chorweiler, Köln<br />
S. 72 startklar.projekt.kommunikation, Dortmund<br />
S. 74-75 alle Fotos: startklar.projekt.kommunikation,<br />
Dortmund<br />
bis auf:<br />
S. 75 rechts oben: Kultur für Werl e.V., Werl<br />
S. 76-77 alle Fotos: startklar.projekt.kommunikation<br />
bis auf:<br />
S. 77 oben: Frauenkommunikationszentrum e.V.,<br />
Herzogenrath<br />
S. 78-81 alle Fotos: Norbert Kuntz, Stadtoasen<br />
e.V., Aachen<br />
S. 88 oben: Cornelia Suhan, Dortmund<br />
S. 91 oben links: Fischerei-Bruderschaft zu Bergheim<br />
an der Sieg, Troisdorf-Bergheim<br />
oben rechts: Fischerei-Bruderschaft zu Bergheim<br />
an der Sieg, Troisdorf-Bergheim<br />
S. 98 Canyon Chorweiler, Köln<br />
S. 99 Lewitzky & Kleinen, Aachen<br />
S. 101 Norbert Kuntz, Stadtoasen e.V., Aachen<br />
S. 102 oben: Fischerei-Bruderschaft zu Bergheim<br />
an der Sieg, Troisdorf-Bergheim<br />
unten: hks Architekten, Aachen<br />
S. 103 startklar.projekt.kommunikation, Dortmund<br />
S. 106 startklar.projekt.kommunikation, Dortmund<br />
S. 107 oben: Trägerverein Mariaweiler, Düren<br />
unten: startklar.projekt.kommunikation, Dortmund<br />
S. 108 startklar.projekt.kommunikation, Dortmund<br />
S. 111 startklar.projekt.kommunikation, Dortmund<br />
S. 112 Meinolf Hehmann, Leverkusen<br />
S. 113 startklar.projekt.kommunikation, Dortmund<br />
121
122<br />
Impressum<br />
I<strong>nitiative</strong> ergreifen<br />
Bürger machen Stadt<br />
von<br />
startklar.projekt.kommunikation<br />
Management „I<strong>nitiative</strong> ergreifen“<br />
in Zusammenarbeit mit dem<br />
Ministerium für Bauen und Verkehr (MBV)<br />
des Landes Nordrhein-Westfalen<br />
herausgegeben von<br />
Kerstin Bohnsack, Joachim Boll, Anja Ganster<br />
Achim Dahlheimer, Rainer Klenner<br />
ISBN 978-3-00-025901-2<br />
Konzept und Redaktion<br />
Kerstin Bohnsack, Joachim Boll, Anja Ganster<br />
grafische Gestaltung<br />
FKK-design, Wuppertal<br />
Druck<br />
Limberg Druck GmbH, Kaarst<br />
© 2008<br />
startklar.projekt.kommunikation, Dortmund<br />
Ministerium für Bauen und Verkehr (MBV)<br />
des Landes Nordrhein-Westfalen<br />
Auflage: 1.500<br />
Vertrieb<br />
Gemeinnützige Werkstätten Neuss GmbH<br />
Am Henselsgraben 3<br />
41 470 Neuss<br />
SB-158<br />
Telefon: 02131 . 923 46 99<br />
e-mail: mbv@gwn-neuss.de<br />
startklar.projekt.kommunikation<br />
Immermannstraße 39a, 44 147 Dortmund<br />
Telefon: 0 231 . 880 85 93-0 (Fax -9)<br />
e-mail: kontakt@startklar-prokom.de<br />
www.startklar-prokom.de<br />
www.i<strong>nitiative</strong>-ergreifen.nrw.de<br />
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