Farbräume In konsequenter Weiterführung ihrer künstlerischen Entwicklung sucht <strong>Barbara</strong> <strong>Kruttke</strong> zwei der zentralen Polaritäten der klassischen Tafelmalerei, die Illusion des Raumes wie die der Bewegung, auf die zweidimensionale Fläche zu bannen. Raum in der Malerei galt immer schon als der Tiefenraum des Bildes selbst wie auch als das Handlungsfeld zwischen Bild und Betrachter; und Bewegung war immer eine zum momentanen Darstellungsmotiv erstarrte Geschichte als auch die direkte Widerspiegelung der künstlerischen Emotionalität auf der Leinwand. <strong>Barbara</strong> <strong>Kruttke</strong> hat sich auf den Weg gemacht, in ihren Arbeiten für beide Positionen eine Aussage zu finden, welche sie miteinander in Verbindung bringt und ihnen zugleich ein künstlerisches Eigenleben zuweist. In ihren jüngsten Arbeiten von 2007 ist sie, ausgehend von den früheren geschichteten Glasbildern, zu einer neuen Form des Diptychons gelangt: Es besteht meist aus der streng horizontal ausgerichteten Zusammenstellung einer schmaleren Glasplatte mit gleichmäßigmonochromem rückseitigem Farbauftrag und einem breiteren Leinwandbild, auf welchem in großzügigen, sich überlagernden Farbbahnen wieder ein dynamischer Malprozess, eine kräftige Spur der künstlerischen Aktion sichtbar gemacht ist. Zwischen beiden Bildelementen kommt es zu mehrfachen Verdichtungen und Verschränkungen. Räumlich verbunden oder differenziert sind sie gleich auf vierfache Weise: Leinwand- und Glasbild liegen hinsichtlich ihrer Oberfläche faktisch auf der gleichen Ebene; im gemalten, tiefenräumlich wirkenden Leinwandbild entsteht ein imaginärer Bildraum, während das Glas sich entsprechender Tiefe verweigert; Tiefenraum entsteht dort aber in dem Luftraum zwischen Wand und Glasfläche, wo ohne feste Begrenzung eine farbige Abstrahlung hervorschimmert. Als letztes schafft die spiegelnde Glasfläche einen weiteren Raumbezug, der sich nach außen, in das Umfeld des Betrachters hinein richtet. In diesem Moment kommt das Bewegungselement zum Tragen: einerseits durch die körperliche Selbstbewegung des Betrachters, der die sich wandelnde Raumsituation durch sich selbst kreiert und wahrnimmt, andererseits aber durch eine innere Bewegung, wenn er sich der gestischen Formensprache des Leinwandbildes nähert und von der emotionalen Spannung ergriffen wird. <strong>Barbara</strong> <strong>Kruttke</strong> hat hier die neutrale Distanz geometrischer Konstruktion zugunsten einer sinnlich betonten Malerei überhöht: Breite, kräftige Farbbahnen schieben sich, überlagernd oder gegeneinander arbeitend, von den Rändern her in die Mitte des Bildes hinein, scheinen sich über dem Tiefenraum aufzurichten oder ihn teilweise zu überdecken; aber dennoch sind sie ganz eingebunden in ein durchgehendes Farbkonzept, welches sich nach früheren hellen Tönen nunmehr bevorzugt in Übergangstönen von Dunkelgrün und -blau, Violett, Ocker oder Braun bewegt – mit einer dunkel schimmernden, aufglühenden Farbigkeit, welche aus der Verwendung besonderer pigmentgesättigter und oft mit den Händen eingeriebener Farben herrührt und welche unter einer fast samtenen Oberfläche einen geheimnisvollen Tiefensog erzeugt. In einem letzten, meditativen Arbeitsschritt findet <strong>Barbara</strong> <strong>Kruttke</strong> zu einer Conclusio: „Die Farbe des Glases bestimmt den Charakter des Bildes“. In <strong>Kruttke</strong>s neuen Gemälden vollzieht sich letztlich ein Schritt ins Spirituelle: Während das Glas nicht mehr als einen Ausschnitt des gespiegelten Realraumes wiedergeben kann, entfaltet das gemalte Bild das Potenzial eines übergeordneten Raumes, in den jeder Betrachter einzutauchen bzw. seinen „Seelenraum“ (B.K.) zu finden vermag – oder allgemeiner gesagt: zur Erkenntnis gelangen kann, dass sich jenseits der gespiegelten Alltagserfahrung ein höherer geistig-seelischer Raum öffnen kann, zu dessen Entdeckung gerade die Kunst einen Weg anbietet. Adam C. Oellers Impressum: Herausgeber <strong>Kunstforum</strong> <strong>Markert</strong>-Gruppe · Hamburg 2008 · Auflage 1.000 Layout <strong>Barbara</strong> <strong>Kruttke</strong> · Fotos Andreas Sott · Text Dr. Adam C. Oellers (stv. Direktor der Museen der Stadt Aachen) · Druck Storck Verlag Konzept und Organisation Agentur Kunstraum Franziska Neubecker · Tel. (0171) 912 47 66 · www.agentur-kunstraum.de Ausstellung vom 22. Februar bis 5. April 2008 · Galerie Renate Kammer · Münzplatz 11 · 20095 Hamburg
„K. A. 9“, 2007, Acryl auf Nessel und Lack hinter Glas, 110 x 140 + 110 x 70 cm