Download PDF / 353 KB - Gerhard Meyer - Universität Bremen
Download PDF / 353 KB - Gerhard Meyer - Universität Bremen
Download PDF / 353 KB - Gerhard Meyer - Universität Bremen
Verwandeln Sie Ihre PDFs in ePaper und steigern Sie Ihre Umsätze!
Nutzen Sie SEO-optimierte ePaper, starke Backlinks und multimediale Inhalte, um Ihre Produkte professionell zu präsentieren und Ihre Reichweite signifikant zu maximieren.
Zusammenfassung · Abstractneben beobachtbaren Verhaltenskriterienauch nicht beobachtbare Merkmale miteinschließen. Zu den 4 wichtigsten Warnhinweisenzählen ungewöhnliche Methodender Geldbeschaffung, auffällige Verhaltensmuster(Anzeichen von Unruhe,Reizbarkeit), Besorgnis von Familienmitgliedernsowie die Spieldauer. Inwieferndiese Merkmale tatsächlich von vorrangigerBedeutung bei der Identifikation desproblematischen Spielverhaltens gegenüberden weiteren Nennungen der Expertensind, lässt sich nicht abschließend beantworten.Ebenfalls hinsichtlich ihrer Prioritätgeordnet sind die 20 Kriterien der Checkliste„Früherkennung“ aus den Sozialkonzeptstandards(Version 1.1) des SchweizerCasinoverbandes [17]. In Abhängigkeitihrer Einstufung haben die Kriterien verschiedenartigeInterventionen durch dasCasinopersonal wie Notfallmaßnahmen,ein Gespräch zum Spielverhalten und zurfinanziellen Situation oder eine gezielteBeobachtung zur Folge. Im Notfall, wieer durch die Mord-/Selbstmorddrohungeines Gastes gegeben ist, wird ein sofortigesHandeln erforderlich. Erfüllt derSpieler mindestens ein A-Kriterium, führtdies zu einem Gespräch über das Spielverhaltenund die finanzielle Situation. Ähnlichwie bei Allcock [1] besteht die Listeder A-Kriterien aus Merkmalen, die sichum die Art der Geldbeschaffung drehenoder sich auf belegte, glaubhafte HinweiseDritter beziehen. Daneben finden sichaber auch Anzeichen, die bei Allcock [1]nicht zu den Top-4-Nennungen zählen,wie das offenkundige Vernachlässigenvon Menschen/Tieren, bzw. überhauptnicht aufgeführt werden, wie der Verkaufvon persönlichen Gegenständen. DesWeiteren kommt es beim Vorliegen vonmindestens einem der 12 B-Kriterien zueiner gezielten Beobachtung anhand derCheckliste, die um differenzierte Angabenzur Besuchsfrequenz und Spieldauer ergänztwird. Ab 3 Kriterien sollen Mitarbeiterbei der nächsten Gelegenheit das Gesprächmit dem Gast zu seinem Spielverhaltensuchen. Trotz seiner Anwendungin der Praxis wurde die Güte dieses abgestuftenKriterienkatalogs bisher nicht empirischuntermauert oder aber Versucheunternommen, diese Vorgehensweise anhandvon Forschungsbefunden zu opti-Präv Gesundheitsf 2008 DOI 10.1007/s11553-008-0101-9© Springer Medizin Verlag 2008G. <strong>Meyer</strong> · T. HayerDie Identifikation von Problemspielern in SpielstättenZusammenfassungHintergrund. Es existiert ein wachsenderBedarf an Programmen zur Bekämpfung derSpielsucht. Eine zentrale Maßnahme effektiverPrävention besteht in der Früherkennungvon Problemspielern.Methode. Ausgehend von einer systematischenLiteraturrecherche verfolgt der Beitragdas Ziel, vorhandene Bemühungen zur frühzeitigenIdentifikation glücksspielbezogenerProbleme aufzuzeigen und zu bewerten.Ergebnisse. Neben Erkennungsmerkmalenvon Problemspielern in Spielstätten, dieauf Erfahrungswerten verschiedener Expertengruppenberuhen, und Ergebnissen derValidierung eines Screeninginstruments findensich Forschungsansätze, die die auf einerKundenkarte oder im Internet gespeichertenDaten des Spielverhaltens zur Früherkennungnutzen. Erste empirische Befunde deutenden Nutzen dieser Maßnahmen an.Schlussfolgerung. Im Interesse des Spielerschutzesgilt es, den vorherrschenden Mangelan praxisfreundlichen, validen und reliablenMethoden möglichst zeitnah zu beheben.SchlüsselwörterPrävention · ProblematischesSpielverhalten · Spielsucht ·Früherkennung · VerantwortungsbewusstesGlücksspielangebotIdentification of problem gamblers in gambling venuesAbstractBackground. There is a growing need forprevention programs to fight gambling addiction.A central measure of effective preventionis early detection of problem gamblers.Method. A systematic literature review aimsat summarizing and evaluating the existingapproaches of early identification of gambling-relatedproblems.Results. Apart from the identification ofproblem gamblers in gambling venues basedon the experiences of different expert groups,as well as preliminary results of the empiricalvalidation of a screening instrument, researchstrategies could be found that use data regardinggambling behavior saved on players’cards or while gambling on the Internet.Preliminary evidence suggests the utility ofthese measures.Conclusion. In the interest of protecting thegamblers, it is recommended to provide practical,valid, and reliable methods as soon aspossible.KeywordsPrevention · Problem gambling ·Gambling addiction · Early identification ·Responsible gamingPrävention und Gesundheitsförderung 2008 |
Bericht aus der PraxisTab. 1Erkennungsmerkmale problematischen Spielverhaltens in SpielstättenQuelle Methode Erkennungsmerkmale<strong>Meyer</strong> u.Bachmann[12]Gespräche mit Spielbankenpersonal,eigene Beobachtungen– Wiederholtes Warten vor der Öffnung des Casinos, Unruhe vor dem Einlass– Veränderungen im Spielverhalten: höhere Einsätze, längere Spieldauer, hektischeresSpielen, häufigere Besuche, Verlusten hinterherjagen (Erhöhung der Einsätze nachVerlusten), Reduzierung der Einsätze– Veränderungen im Erscheinungsbild– Geldborgen von Mitspielern, Ausbleiben der Rückzahlungen, Verwendung vonReisedarlehen– Unterbrechung des Spiels um Geld zu holen, mehrfache Nutzung des EC-Cash-Automaten bei einem Besuch, kein Geldbezug aus EC-Cash-Automaten möglich– depressive Stimmung während des Spiels, fehlendes Interesse am Gewinn, geistigeAbwesenheit, verzerrte Wahrnehmung („Andere gewinnen immer, ich nie“)– Gefühlsausbrüche, Aggressivität– Aberglaube und Rituale als Teil der Spielaktivitäten– Suchen eines Gesprächspartners (Rechtfertigungen, Fixierungen auf das Spiel,Berichte über häufige Gewinne, Prahlen, Verleugnung der Spielintensität)– Schuldzuweisungen an die Croupiers oder „die Kugel“– Verbleiben im Casino ohne zu spielen, Einnahme einer Beraterrolle, Verlassen desCasinos bei Schließung nur auf Druck– Bespielen mehrerer Automaten gleichzeitig– Reden, Fluchen mit dem Automaten– Gewaltanwendung gegen den Automaten– Streicheln des Automaten– sich häufende Falschmeldungen, Streitfälle, Manipulationen– Informationen durch Angehörige, Medien (z. B. Konkurse)Allcock [1] Expertenbefragung Top-4-Nennungen– Geldbeschaffung (wiederholte Abhebung aus Geldautomaten, Geldleihen, Einlösenvon Schecks)– auffälliges Verhalten/Zeichen von Unruhe, Reizbarkeit (Gewalt gegen Automaten,Jammern und Verbergen des Kopfes in den Händen, laute Kritik gegenüber denAutomaten und der Glücksspielindustrie)– Besorgnis von Familienmitgliedern (Erkundigungen durch Familienmitglieder,Anzeichen von Stress in der Familie)– Spieldauer (5- bis 6-stündige Spielsessions, v. a. in Kombination mit einer höherenBesuchsfrequenz)Weitere Nennungen– Anzahl der Casinobesuche pro Woche (ein- oder mehrmals pro Woche)– Alkoholintoxikation– Kinder werden unbeaufsichtigt zurückgelassen– Spieler ist erster und letzter Gast im Casino– Aussagen von Spielern über Verluste oder Familienprobleme– Unterbrechungen des Spiels nur im Eiltempo– Verweilen im Casino, obwohl Freunde gegangen sind– gleichzeitiges Bespielen von zwei oder mehr Automatenmieren. Zudem wäre zu hinterfragen, inwieweitdie Differenzen zwischen den beidenMerkmalslisten bei Allcock [1] sowiedes Schweizer Casinoverbandes [17] willkürlicherArt sind oder kulturelle Einflüssebzw. Unterschiede der jeweiligen Spielsettingswiderspiegeln.Darüber hinaus finden sich in der Literatur3 weitere Veröffentlichungen mit explizitemForschungsbezug. So verfolgtenHäfeli u. Schneider [9] das Ziel, ein Screeninginstrumentzur Identifikation vonProblemspielern im Casino zu entwickeln.Hierfür wurden Leitfadeninterviews mitverschiedenen Fokusgruppen (Casinopersonal,Problemspieler und Stammgäste)durchgeführt. Aus den Ergebnissen derqualitativen Befragungen konnten Kategoriengeneriert werden, die als zuverlässigePrädiktoren zur Diskriminierungvon Problem- und Nichtproblemspielernerscheinen. Die Kategorien führten zurFormulierung einfacher und leicht verständlicherItems. Jedoch steht die empirischeValidierung dieser Items an geeignetenStichproben noch aus.Weiterführend legten Schellinck u.Schrans [15] erstmalig empirische Datenzur Identifikation von Problemspielernauf der Basis beobachtbarer oder leichtzugänglicher Warnsignale vor. Kombinationenvon Verhaltensdaten (lange Spielsessions,Aufhören mit dem Spielen nurbei Schließung der Spielstätte, gleichzeitigesBespielen mehrerer Automaten),physiologische (Magenschmerzen, Kopfschmerzen,Schweißausbrüche) und emotionale(Depressionen, Frustrationen, Ärger)Reaktionen auf das Glücksspiel solltenauf ihre Zuverlässigkeit als Indikatorenproblematischen Spielverhaltens überprüftwerden. Eine Stichprobe von 711 regelmäßigenSpielern an Video-Lottery-Terminalsin Kanada wurde in Form von Selbstberichtennach Anzeichen glücksspielbe- | Prävention und Gesundheitsförderung 2008
Tab. 1Erkennungsmerkmale problematischen Spielverhaltens in Spielstätten . FortsetzungQuelle Methode ErkennungsmerkmaleSchweizerCasinoverband[17]Häfeli u.Schneider[9]Schellinck u.Schrans [15]Delfabbroet al. [6]Erstellung von Sozialkonzeptstandards aufder Grundlage von ExpertenmeinungenLeitfadeninterviews mit verschiedenenFokusgruppen (Casinopersonal,Problemspieler, Stammgäste) zur Erstellungeines ScreeninginstrumentsEmpirische Validierung durch eine Befragungvon 711 regelmäßigen Spielern an Video-Lottery-Terminals in KanadaErstellung einer Indikatorenliste für bestimmteSpielstätten (Hotels, Clubs, Casinos) auf derGrundlage eines multimethodalen Vorgehensbestehend aus Befragungen von Mitarbeiternaus Spielstätten und Beratungsstellen,Befragung von 680 regelmäßigen Spielern(zumeist Automatenspielen) sowie teilnehmendenBeobachtungen in SpielstättenNotfall– Mord-/SelbstmorddrohungA-Kriterien– Gast verkauft persönliche Gegenstände/prostituiert sich– Gast macht negative Aussagen über seine finanzielle Situation– Gast bittet um Geld bei Casinomitarbeitern/anderen Gästen (Darlehen, Kredit,Gewinnbeteiligung)– Gast sagt, er habe die Kontrolle über sein Spielverhalten verloren– Gast sagt, er habe wegen des Spielens persönliche oder soziale Probleme– Gast vernachlässigt offenkundig Menschen/Tiere– belegte, glaubhafte Hinweise DritterB-Kriterien– Gast versucht, seinen Verlust wieder einzuspielen (Chasing)– Gast spielt wiederholt, bis er offensichtlich kein Geld mehr hat– auffällige Veränderung der Spieldauer– auffällige Veränderung der Anzahl der Besuche– auffällige Veränderung der Einsätze– Gast spielt gleichzeitig exzessiv an mehreren Automaten/Tischen– Gast erscheint regelmäßig lange vor Öffnung und kann Öffnung kaum erwarten– Gast verlässt das Casino bei Betriebsschließung oder Totalverlust nur auf Druck– Gast versucht erfolglos, die Casinobesuche einzustellen oder zu reduzieren– Gast zeigt heftige emotionale Ausbrüche (aggressives oder unkontrolliertes Verhaltenwie Schreien, Weinen, Beschimpfen des Croupiers/des Casinos etc.)– Gast zeigt auffällige Veränderungen von Verhalten und Erscheinungsbild (Kleidung,Körperpflege, Sozialverhalten etc.)– nicht belegte/nicht glaubhafte Hinweise Dritter– Besuchshäufigkeit und -dauer (2 Items)– Geldbeschaffung (5 Items)– Einsatzverhalten (7 Items)– Sozialverhalten (4 Items)– (Spiel-)Verhalten und Reaktionen beim Spielen (20 Items: allgemeine Verhaltensweisensowie Verhaltensweisen bezogen auf das Automatenspiel/Tischspiele)– äußeres Erscheinungsbild (1 Item)– Nutzung von Kreditkarten zur Finanzierung des Glücksspiels– Einlösen von Schecks oder Leihen von Geld von Freunden– Anzeichen von Unruhe/Erregung und gestörtes Verhalten wie Gewaltanwendungengegenüber den Automaten– lange Spielsessions– Spielen bis zur Schließung der Spielstätte– gleichzeitiges Bespielen von 2 Automaten– Spielhäufigkeit, -dauer und -intensität (12 Indikatoren)– Verlust der Handlungskontrolle (5 Indikatoren)– soziale Verhaltensweisen (8 Indikatoren)– Geldbeschaffung/Hinterherjagen von Verlusten (9 Indikatoren)– emotionale Reaktionen (11 Indikatoren)– sonstige Verhaltensweisen (3 Indikatoren)– irrationale Attributionen/Verhaltensweisen (4 Indikatoren)zogener Probleme und der Auftretenshäufigkeitderartiger Warnsignale befragt. UnterAnwendung des statistischen Verfahrensder Assoziationsanalyse konnte eineReihe zuverlässiger Kombinationen vonIndikatoren ermittelt werden, die bis zu86,3% der Problemspieler identifizierten.Warnsignale mit der höchsten Zuverlässigkeitumfassen finanzielle Parameter(Kreditkartennutzung, Einlösen vonSchecks oder das Leihen von Geld) sowieausgewählte Parameter des Spielverhaltens(Anzeichen von Unruhe/Erregung und gestörtesVerhalten, lange Spielsessions, Spielenbis zur Schließung der Spielstätte sowiedas gleichzeitige Bespielen von 2 Automaten).Ob diese Variablen ohne Weiteresauf andere Populationen oder Glücksspielsektorenzu übertragen sind, müssen zukünftigeForschungsaktivitäten klären.Die bislang umfangreichste Liste mitIndikatoren problematischen Spielverhaltenslegten Delfabbro et al. [6] vor. Abgesehenvon einem ausführlichen Literaturstudiumzeichnet sich der empirische Teildes Forschungsberichts durch 3 Komponentenaus:F Befragungen von Mitarbeitern ausSpielstätten und Beratungsstellen,F Befragung von 680 regelmäßigen Spielern(zumeist Automatenspieler) undF teilnehmende Beobachtungen innerhalbausgewählter Spielstätten.Prävention und Gesundheitsförderung 2008 |
Bericht aus der PraxisDer Gültigkeitsanspruch der erstellten Erkennungsmerkmalebezieht sich nur aufSpielstätten, in denen „an Ort und Stelle“gespielt wird bzw. ein dichtes Glücksspielangebotvorherrscht (Hotels, Clubs undCasinos).Die Ergebnisse zeigen, dass Mitarbeiteraus Spielstätten grundsätzlich zuversichtlichsind, problematische Verhaltensmustervor Ort in reliabler und valider Weiseerkennen zu können. Dennoch mangeltes an Schulungen, die sich gezielt aufangemessene Interventionstechniken beiVerdachtsmomenten beziehen. Auch sollteder Fokus eher auf Veränderungen desSpielverhaltens bzw. auf Veränderungenbestimmter Erlebens- und Verhaltensweisengelegt werden, als auf rein statische Indikatoren.Hauptbestandteil der Spielerbefragungwar die Vorgabe einer Liste mit 41Problemanzeichen. Tatsächlich berichtetenProblemspieler ausnahmslos häufigervon diesen Merkmalen als Nichtproblemspieler.Dysfunktionale emotionale Reaktionen,unangemessene soziale Verhaltensweisenund auffällige Methoden derGeldbeschaffung scheinen am Ehestengeeignet zu sein, zwischen Problemspielernund anderen Spielergruppen zu differenzieren.Logistische Regressionsanalysenbestätigen, dass die korrekte Einschätzungeines problematischen Spielverhaltensbeim Vorliegen mehrerer Indikatorenmit einer hohen Trefferwahrscheinlichkeitmöglich ist. Für Männerzählen Variablen wie das kontinuierlicheSpielen ohne Pause (mindestens 3 h), heftigesSchwitzen während der Spielteilnahme,Probleme mit dem Aufhören beiSchließung der Spielstätte und das Erlebenvon Ärger zu den verlässlichsten Erkennungsmerkmalen.Bei Frauen reichenbereits zwei Variablen – auf den Automateneintreten und Nervosität/körperlicheUnruhe – aus, um mit einer Wahrscheinlichkeitvon 90% als Problemspielereingestuft zu werden.Zu beachten ist, dass bestimmte Verhaltensweisennur selten vorkommen(z. B. das Leihen von Geld bei anderenGästen), trotzdem aber wichtige Hinweiseauf ein potentielles Problemverhalten darstellen.Andere Verhaltensweisen, wie dasSpielen über einen längeren Zeitraum ohneUnterbrechung, lassen sich zwar relativhäufig in den Spielstätten beobachten, geltenbei isolierter Betrachtung jedoch nichtzwangsläufig als trennscharfe Kriterienfür ein problematisches Spielverhalten.Ihre Bedeutung kommt erst zum Tragen,wenn zugleich auch andere Erkennungsmerkmalevorhanden sind. Schließlichverweisen die Erfahrungen der teilnehmendenBeobachtung auf die Praxistauglichkeitder Indikatoren, da eine Vielzahlbereits während kurzer Beobachtungseinheitenim realen Setting wahrzunehmensind. Aus der Gesamtwürdigung der Befundekonnte eine Liste mit insgesamt 52Indikatoren erstellt werden (. Tab. 1).Analyse von SpielverhaltensdatenNeben den aufgezeigten Beobachtungskriterienim Rahmen der Erstellung vonScreeninginstrumenten setzt ein zweiterForschungsansatz an der Analyse derDaten des Spielverhaltens an, um gefährdeteSpieler zu identifizieren. Schellincku. Schrans [16] führten die notwendigeGrundlagenforschung durch, um auf derBasis der Daten der Playerscard (Kundenkartefür Automatenspieler) eines Casinobetreibersin Kanada (Saskatchewan) Algorithmenzur Identifizierung und Klassifizierungvon Problemspielern bestimmenzu können. Die Playerscard wird beiSpielbeginn in den Spielautomaten eingeführtund dient in erster Linie der Kundenbindung.Aus den auf der Karte erfasstenDaten zum Spielverhalten wie Einsätze,Gewinne und Spieldauer wurden neueVariablen konzipiert, wie durchschnittlicheEinsatzhöhe pro Stunde, Anzahlder bespielten Automaten oder Prozentsatzder Spielsessions am Wochenende.Zusätzlich zu den insgesamt ca. 160 Variablenwurden von einer Stichprobe vonAutomatenspielern Symptome problematischenSpielverhaltens mit Hilfe des „CanadianProblem Gambling Index“ (CPGI)erfasst [8]. Die Bestimmung bedeutsamerKombinationen an Vorhersagevariablenfür ein problematisches Spielverhalten erfolgteunter Anwendung der statistischenAssoziationsanalyse. Die Ergebnisse führtenzur Entwicklung eines Softwareprogramms(„Intelligent Gaming MegamindIndex“, igMind), das effektiv zur frühzeitigenIdentifizierung von Problemspielerngenutzt werden kann. Es ermöglicht denEinsatz proaktiv ausgerichteter Maßnahmen,einschließlich entsprechender Rückmeldungenan die Spieler.Davis [3, 4] berichtet erstmalig überErfahrungen mit diesem Programm inden Casinos von Saskatchewan. Rund 52%der Gäste nutzen dort eine Playerscard. In2006 wurden anhand der Datenanalyse67% der Automatenspieler als unproblematischeSpieler, 16% als gefährdete Spieler(at risk), 10% als Spieler mit moderatenund 7% mit schweren Problemen klassifiziert.Erste Analysen der Auswirkungenfrühzeitiger Interventionen durch das Casinopersonal(Gespräche über Glücksspieleim Allgemeinen, Weitergabe von Informationenüber Hilfemöglichkeiten) belegenbei der Spielergruppe mit moderatenProblemen eine signifikante Veränderungdes Risikostatus: So ließen sich nachDurchführung der Interventionen bei einergeringeren Anzahl von Spielern einhöheres Risikolevel bzw. bei einer größerenAnzahl von Spielern ein niedrigeresRisikolevel ermitteln [5].In ähnlicher Weise wollen LaBrie etal. [11] im Rahmen einer prospektivenLängsschnittuntersuchung von 40.499Sportwettern im Internet (Neukundenvon Bwin im Februar 2005) aus Datendes Wettverhaltens, wie Anzahl der Wettenpro Tag, Einsätze, Gewinne und Verluste,objektive und valide Informationenzu potentiellen Problemspielern generieren.Vorläufige Ergebnisse charakterisierendas Wettverhalten einer Gruppe starkinvolvierter Sportwetter im Verlauf von8 Monaten. In einem weiteren Schritt sollenaufbauend auf den gewonnenen ErkenntnissenPräventionsmaßnahmen entwickeltund evaluiert werden.DiskussionAusgehend von der Ausweitung vorhandenerGlücksspielangebote und den gesetzlichenRahmenbedingungen besteht– auch in Deutschland – ein wachsenderBedarf an einfachen und praxisfreundlichenMethoden der Früherkennung vonProblemspielern. In Forschung und Praxissind erste Ansätze erkennbar, dieserHerausforderung gerecht zu werden. SowohlBeobachtungskriterien, die auf dasVerhalten in der Spielstätte abzielen alsauch Softwarealgorithmen für die Analyseder auf einer Kundenkarte oder im In- | Prävention und Gesundheitsförderung 2008
ternet gespeicherten Daten des Spielverhaltenssollen eine frühzeitige Identifizierungermöglichen.Beide Ansätze werfen jedoch eine Reiheoffener Fragen und Problembereicheauf. So mangelt es in erster Linie an einerangemessenen empirischen Validierungder Listen mit den unterschiedlichenProblemindikatoren. Abgesehen von derValidität und Reliabilität sollten Screeninginstrumenteimmer auch hinsichtlichihrer Praktikabilität geprüft und gegebenenfallsoptimiert werden. Erst wenndie Übersetzung komplexer wissenschaftlicherDaten in ein einfach handhabbaresErhebungsinstrument gelingt, sind dieVoraussetzungen für eine effektive Sekundärpräventiongeschaffen.Weiterhin erfordert die Identifikationüber Beobachtungskriterien trainierte undkompetente Mitarbeiter, denen die notwendigen(zeitlichen) Ressourcen für derartigeMaßnahmen im Arbeitsablauf zurVerfügung stehen müssen. Schon alleindie Zuordnung von Beobachtungen zu Personen,die namentlich nicht bekannt sind,ist mit erheblichem Aufwand verbunden.Vor allem aber spielt die Motivation beider Umsetzung und Effektivität des Konzepteseine entscheidende Rolle. Der Angstvor Gehaltskürzungen und dem Verlust desArbeitsplatzes infolge derartiger Maßnahmensollte ebenso begegnet werden wieden Bedenken gegenüber dem generellenNutzen, wenn – wie zur Zeit – nur einzelneAnbieter und Glücksspielsegmente entsprechendvorgehen. Die staatlich konzessioniertenAnbieter müssen sich darüberhinaus der Gratwanderung zwischenGewinnstreben und sozialer Verantwortungstellen und eine glaubhafte Auflösungdieses Spannungsfeldes gegenüber der Öffentlichkeitund den Mitarbeitern vertreten.Bisher geschehen Interventionen – wennüberhaupt – nur in Fällen zweifelsfrei erkennbarempathologischen Spielverhalten.Die Ausweitung der Zielgruppe auf gefährdete,problematische Spieler dürfte mit erheblichenUnsicherheiten verbunden sein.Folglich sollten Personalschulungen nichtnur die Vermittlung von Sach- und Handlungswissenumfassen, sondern auch explizitBezug nehmen auf die Sinnhaftigkeitvon Maßnahmen des Spielerschutzes alsintegraler Bestandteil des eigenen Glücksspielangebotes[10].Bezüglich der Nutzung von Kundenkartenerscheinen v. a. die Befunde vonDavis u. Zhao [5] vielversprechend, daerstmals die Wirksamkeit von Maßnahmender Früherkennung und Frühinterventionnachgewiesen und bei einem bedeutsamenAnteil von Spielern eine Verhaltensänderungerzielt werden konnte.Bei der Speicherung und Verwertungder Informationen auf der Kundenkartesowie der Spieldaten aus dem Internetstellen sich in der Praxis allerdings spezifischeProbleme. Insbesondere bedarf esder Abklärung mit den Vorgaben des Datenschutzes.Das bisher praktizierte Vorgehenbasiert auf dem freiwilligen Gebrauchder Karte durch Automatenspieler.Hier ist die Einbeziehung aller Gästedurch die Verpflichtung zum Einsatz derKarte ebenso anzustreben wie die Ausweitungauf das Angebot an Tischspielen. Außerdemhängt die Anzahl frühzeitig identifizierterProblemspieler über gespeicherteDaten des Spielverhaltens nicht zuletztvon den festgelegten Grenzwerten ab, derenBestimmung auf einer transparentenwissenschaftlichen Basis erfolgen sollte.Insgesamt mangelt es beiden Konzeptenim derzeitigen Entwicklungsstadiumjedoch noch an einer hinreichendenempirischen Validierung. Erst die Evaluationvon validen Indikatoren kann klären,ob eine effektive Früherkennung durch diebeiden Konzepte oder – soweit realisierbar– eine Kombination der beiden Ansätzemöglich ist. In Abhängigkeit von denstrukturellen Merkmalen der verschiedenenGlücksspielformen bestehen Präferenzenfür eines der beiden Konzepte.Die eingeschränkten Beobachtungsfensterund Gelegenheiten zur Kommunikationbeim Automatenspiel sowie die technischenOptionen dieser Spielform lassendie Früherkennung über Parameterdes Spielverhaltens als erste Wahl erscheinen.Gleiches gilt für das Internet, das sichdurch eine mangelnde soziale Kontrolleaufgrund der anonymen Spielteilnahmeauszeichnet. Der Lebend- bzw. Tischspielbereich(Roulette, Black Jack etc.) isthingegen durch eine ausgeprägtere sozialeInteraktion gekennzeichnet, sodasshier Beobachtungskriterien eine größereRolle spielen könnten. Eine systematischeErfassung des Spielverhaltens wärein diesem Bereich zwar mit einem höherenAufwand verbunden, technischaber machbar.Ferner stellt sich die Frage, ob beideKonzepte auch an Orten greifen, an denensich Spielteilnehmer in der Regel nurkurzfristig aufhalten (z. B. bei der Scheinabgabein einer Lottoannahmestelle). Aufgrundder weitgehend fehlenden Möglichkeitzur Beobachtung und Interaktionist eine Adaptation der dargestellten Problemindikatorenan diese Rahmenbedingungenzwingend erforderlich. Darüberhinaus bietet die vom Deutschen LottoundTotoblock ab 2008 flächendeckendeingeführte Kundenkarte einen Ansatzpunktfür Maßnahmen der Sekundärprävention.Auch wenn die Implementierungder Kundenkarte zur Erfüllung gesetzlicherAuflagen erfolgte (Aufbau einesSperrsystems, Ausschluss Minderjährigervom Spielbetrieb etc.) und Spieldaten bislangnur im begrenzten Umfang und nurfür bestimmte Spielformen (Oddset, Toto,Keno) festgehalten werden, sollte dieErfassung zusätzlicher Daten des Spielverhaltensund die Bestimmung von Risikoparameternproblemlos möglich sein.Vor dem Hintergrund des Gefahrenpotentialsvon Glücksspielen, der aktuellenGesetzgebung und jüngsten Urteilen zurHaftbarkeit von Spielbanken bei Verlustenvon Spielsüchtigen (z. B. in Deutschlandoder Österreich) sowie nicht zuletztder sozialen Verantwortung von Glücksspielanbieterngibt es keine Alternative zuder proaktiven, zielgerichteten Früherkennungvon Problemspielern. Ohne dieUmsetzung derartiger präventiver Maßnahmengeht die gesellschaftliche Akzeptanzfür die Veranstalter verloren, die zugleichauch den Entzug der Konzessionriskieren. Vielmehr bietet dieser Ansatzder Schadensminimierung die Chance,eine Vorreiterrolle im Rahmen der Umsetzungeines verantwortungsbewusstenGlücksspielangebots zu spielen.Bilanzierend ist anzunehmen, dassdie aufgezeigte Notwendigkeit der Fortentwicklungder beiden Identifikationsansätzees in Zukunft ermöglichen wird,durch geeignete Maßnahmen wie Rückmeldungenzum Spielverhalten, Besuchsbeschränkungenund Sperroptionen sowiedie Anbindung an Beratungs- und Behandlungsstelleneiner Verschärfung derProblematik rechtzeitig und mit größerenPrävention und Gesundheitsförderung 2008 |
Bericht aus der PraxisErfolgsaussichten entgegenzuwirken. Somitstellt die Identifikation von Problemspielerneine zentrale Säule des Spielerschutzesdar, um die mit dem Glücksspielverbundenen Gefahren zu minimierenund möglichst frühzeitig fehlangepasstenEntwicklungsverläufen vorzubeugen.Eine Einbettung von Früherkennungsmaßnahmenin ein konsistentes und kohärentesPräventionsprogramm ist ausder Perspektive der Suchtprävention unerlässlich.Fazit für die PraxisF Die Früherkennung problematischenSpielverhaltens ist eine effektive präventiveMaßnahme und sollte als einezentrale Säule des Spielerschutzesverstanden werden.F Es mangelt bislang an empirisch validierten,praxisfreundlichen Verfahren.F Die frühzeitige Identifikation über Beobachtungskriterienerfordert trainierteund motivierte Mitarbeiter.F Die spezifischen Veranstaltungsmerkmaleder verschiedenen Glücksspielformenimplizieren die Wahl der Methode(Screeninginstrumente und/oder Spielverhaltensdaten/Softwarealgorithmen).F Eine Stärkung des Spielerschutzes fördertdie gesellschaftliche Akzeptanzdes Glücksspiels.F Spielerschutz bedeutet für die Anbietervon Glücksspielen eine Gratwanderungzwischen Gewinnstreben undsozialer Verantwortung.KorrespondenzadresseProf. Dr. rer. nat. G. <strong>Meyer</strong>Institut für Psychologieund Kognitionsforschung,Universität <strong>Bremen</strong>,Grazer Straße 4, 28359 <strong>Bremen</strong>gerhard.meyer@uni-bremen.deInteressenkonflikt. Der korrespondierende Autorgibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.Literatur1. Allcock CC (2002) Overview of discussion papers.In: Australian Gaming Council (Ed.) Current issues.Australian Gaming Council, Melbourne, S 2–72. Australian Gaming Council (2002) Current issues:Related to identifying the problem gambler in thegambling venue. Australian Gambling Council,Melbourne3. Davis B (2007) iCare: Integrating responsible gaminginto casino operations. Int J Med Health Add5: 307–3104. Davis B (2007) Integrating responsible gaming intocasino operations. Paper presented at the 21stAnnual Conference on Problem Gambling, Prevention,Treatment, Research and Recovery, Kansas City,USA5. Davis B, Zhao, Y. (2007) Integrating responsible gaminginto casino operations. Paper presented atthe 8th Annual NCRG Conference on Gamblingand Addiction, Las Vegas, USA6. Delfabbro P, Osborn A, Nevile M, Skelt L, McMillanJ (2007) Identifying problem gamblers in gamblingvenues. Gambling Research Australia, Melbourne7. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (2007) DHSverabschiedet Memorandum zur Prävention derGlücksspielsucht. Sucht 53: 188–1898. Ferris J, Wynne A (2001) The Canadian ProblemGambling Index: Final report. Canadian Centre ofSubstance Abuse, Ottawa9. Häfeli J, Schneider C (2005) Identifikation von Problemspielernim Kasino – Ein Screeninginstrument(JD-PS). Hochschule für Soziale Arbeit, Luzern10. Hayer T, <strong>Meyer</strong> G (2004) Die Prävention problematischenSpielverhaltens: Eine multidimensionaleHerausforderung. Z Gesundheitswissenschaften12: 293–30311. LaBrie R A, LaPlante D A, Nelson S E, SchumannA, Shaffer H J (2007) Assessing the playing field: Aprospective longitudinal study of internet sportsgambling behavior. J Gambling Studies 23: 347–36212. <strong>Meyer</strong> G, Bachmann M (2005) Spielsucht – Ursachenund Therapie, 2. Aufl. Springer, Berlin HeidelbergNew York13. <strong>Meyer</strong> G, Hayer T (2007) Die Spielsperre desGlücksspielers – Eine Bestandsaufnahme. Sucht53: 160–16814. Petticrew M, Roberts H (2006) Systematic reviewsin the social sciences: A practical guide. Blackwell,Malden15. Schellinck T, Schrans T (2004) Identifying problemgamblers at the gambling venue: Finding combinationsof high confidence indicators. GamblingRes 16: 8–2416. Schellinck T, Schrans T (2006) Raising the bar:Using loyalty data to manage risk. Paper presentedat the 13th International Conference on Gamblingand Risk Taking, Lake Tahoe, USA17. Schweizer Casinoverband (2007) SozialkonzeptStandards, Version 1.1. Schweizer Casinoverband,Bern18. Symond P (2002) Problem gambling behavioursand staff training. In: Australian Gambling Council(ed) Current issues. Australian Gambling Council,Melbourne, S 39–41 | Prävention und Gesundheitsförderung 2008