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Texte über Kunst und Kultur - Kunst & Wort

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Schriftsteller. Trotz der extremen Zensur entstanden indieser Zeit wichtige literarische Werke, wie GabrielaAdamesteanu’s „Verlorener Morgen“ (in französischerÜbersetzung erschienen in 2005 bei Gallimard), Werke derso genannten Targoviste School (Mircea Horia Simionescu,Radu Petrescu, Costache Olareanu, Tudor Topa u. a.),Radu Cosasu’s „Überleben”, Norman Manea’s „SchwarzerBriefumschlag” <strong>und</strong> „Oktober, acht Uhr“, einige Romane<strong>und</strong> Erzählungen der damals jungen Gruppe „80erGeneration” <strong>und</strong> einige andere, wie Constantin Toiu’s„Galerie des wilden Weins“ oder George Balaita’s „Die Weltin zwei Tagen“ <strong>und</strong> „Schlechte Körper“ von Sonia Larian.Diese Schriftsteller konnten allerdings nicht offen <strong>und</strong>direkt über die kommunistische Realität schreiben. DerRealismus galt damals als staatsfeindlich. Aus diesemGr<strong>und</strong> ließen große Romane über die kommunistische Zeitauch direkt nach 1990 weiter auf sich warten.Zeitgenössische rumänische Literatur steht vor einemunlösbaren Problem: Ihr Realismus wendet sich derVergangenheit zu, der Art <strong>und</strong> Weise, wie die Geschichtemenschliche Schicksale zerrüttete. Beispiele dafür sindRomane wie „Die russische Puppe“ (2004) von GheorgheCraciun, dem vielleicht ausdrucksvollsten Text über dastägliche Inferno von Menschen, die zur immerwährendenGefangenschaft <strong>und</strong> Manipulation verurteilt waren. PetreBarbu’s Roman „Sorglosigkeit“ (2004) wagt sich an dasThema der tiefen Wirkung, die der Mangel an Freiheit aufdie menschliche Mentalität <strong>und</strong> das Verhalten auch nochJahre nach dem Zusammenbruch des Regimes hat,während Matei <strong>und</strong> Filip Florian in ihrem „Die Jungs ausBaiut“ (2006) eine typische Kindheit während desKommunismus aus der kindlichen Perspektive beschreiben,indem sie auf eine atemberaubende Art Naivität <strong>und</strong>Ideologie vereinen. Gabriela Adamesteanu’s „Begegnung“,publiziert 2003, erzählt die Geschichte eines altenExilanten, der nach über 20 Jahren nach Rumänienzurückkehrt. Das Buch ist das Bekenntnis einer verlorenenIdentität <strong>und</strong> es zeigt die Unmöglichkeit, unsereVergangenheit zurückzugewinnen oder unsere altenBindungen wiederzubeleben. Mit denselben Aspekten vonAbwesenheit, Gedächtnis <strong>und</strong> Vergessen beschäftigt sichauch Milan K<strong>und</strong>era in seiner „Ignoranz“. „Schleudern“, IonManolescu’s neuester Roman, ist ein typischespostmodernes Werk an der Grenze zwischen Realismus<strong>und</strong> Fantasie, das seinen Leser irreführt, mit einemheterogenen, ironischen Erzähler, der zwischenverschiedenen Zeiten <strong>und</strong> Identitäten springt. Eine Autorin,die als eine Entdeckung gilt, ist Florina Ilis. Ihre Romane„Kinderkreuzzug“ <strong>und</strong> „Fünf farbige Wolken auf demöstlichen Himmel“, erschienen in den letzten zwei Jahren,gewannen Anerkennung der Kritik <strong>und</strong> der Lesergleichermaßen. Der „Kinderkreuzzug“ widmet sich demThema der gewaltsamen Veränderungen, während sich„Fünf farbige Wolken auf dem östlichen Himmel“ mit derMacht der Imagination beschäftigt, die das menschlicheSchicksal beeinflussen kann. Florina Ilis ist eine begabteErzählerin, die ihre fiktiven Welten sehr sicher kreiert <strong>und</strong>beherrscht.Werke von Norman Manea’s and Radu Cosasu’s brechenthematisch mit der langjährigen Tradition der rumänischenProsa in zweierlei Hinsicht: ethnisch <strong>und</strong> politisch. „DieRückkehr des Hooligan“ [auf Deutsch erschienen im CarlHanser Verlag, München] <strong>und</strong> „Überleben“ thematisierenSelbstverletzung <strong>und</strong> die Abhängigkeit des Einzelnen vonder Gruppe in einer Welt, in der die menschlichenSchicksale der Beliebigkeit der historischen Ereignisseausgeliefert sind. Es gibt darüber hinaus sozialorientierteLiteratur, die aus dem postmodernistisch abgefärbtenrealistischen Diskurs entstanden ist: Dan Lungu mit seinem„Hühnerparadies” oder „Ich bin eine kommunistische alteHexe“, Lucian Dan Teodorovici, Florin Lazarescu, CosminManolache <strong>und</strong> vor allem Sorin Stoica (verstorben imvergangenen Jahr mit 27 Jahren), deren <strong>Texte</strong> ein genauesAbbild der alltäglichen Sprache <strong>und</strong> Aktivitätengewöhnlicher Menschen sind.Ein anderer Trend in der zeitgenössischen rumänischenLiteratur ist Fantasy. Die hiesigen Schriftsteller scheinenfasziniert von der verlockernden Kraft, die von der Fantasyausgeht, wobei sie ihr eine bedeutungsvolle sozialeDimension verleihen. Romane wie „Kleine Teodosie“ vonRazvan Radulescu, „Kleine Finger” von Filip Florian (das2008 in den USA erscheinen soll) oder „ChristinaDomestica <strong>und</strong> die Seelenjäger” von Petru Cimpoesubeschreiben eine Welt, in der weder die Konventionen nochdie Sprache der Realität gelten. Allerdings wären sieisoliert von der realen Welt unverständlich – dieser Bezugist für einen Prosaautor der Weg, der ihn zu eineruniversalen Dimension der sozialen <strong>und</strong> politischen Realität<strong>und</strong> der sich in ihr abspielenden Schicksale führen kann.Diese Bücher scheinen eine Abwandlung der heutigensozialen Bedingungen zu sein, die zunehmend hybrid <strong>und</strong>verwirrt ist. Sie parodieren große Erzählungen, sindkomplex <strong>und</strong> appellieren an das historische Gewissen derLeser.Zum Schluss kann ich der Verlockung nicht entgehen, diePräferenz vieler junger Autoren für eine sehr persönliche<strong>und</strong> intime Erzählweise zu erwähnen, die sich auf diefranzösische autofiction bezieht. Serge Doubrovsky hatdiesen Begriff als Erster benutzt, um die sehr besondereArt der Erzählung zu kennzeichnen, die man auch „dieFiktion über sich selbst“ nennen könnte: Sie vermischtImagination <strong>und</strong> Realität <strong>und</strong> fokussiert auf das eigeneLeben <strong>und</strong> die Gedanken des Autors selbst. Ionut Chiva,Adrian Schiop, Dragos Bucurenci, Adrian Buz, IoanaBaetica sind nur einige wenige dieser jungen Schriftsteller.Lyrik, die Brücke zwischen uns <strong>und</strong> mirWenn man die große Anzahl der Gedichtbände betrachtet,die einige der wichtigsten Verlage ausgeben, muss maneine große Beliebtheit der Poesie bei den heutigen Lesernfeststellen. Schon vor dem Fall des Kommunismus warenAutoren wie Nichita Stănescu, Ana Blandiana, MarinSorescu oder Mircea Dinescu sehr populär <strong>und</strong> von einerspeziellen Aura umgeben. Auf Gr<strong>und</strong> dieser Aura lehntenAna Blandiana <strong>und</strong> Mircea Dinescu öffentlich das Regimeab. In der letzten Dekade des Kommunismus <strong>und</strong> in den90er Jahren kamen viele neue Namen dazu. Die sogenannte „postmodernistische Generation der 80erJahre“ – sehr aktiv auch in der Prosa, Literaturkritik <strong>und</strong>Literaturtheorie – war zutiefst beeinflusst von deramerikanischen Poesie. Viele der Dichter, die in der Zeitkurz vor 1989 debütierten, haben die Erwartungen derKritiker <strong>und</strong> Leser auch nach 1990 erfüllt.Es gibt zwei wichtige Strömungen in der zeitgenössischenPoesie in Rumänien, die beide ihren Ursprung imPostmodernismus haben. Eine nutzt die Ironie, Parodie <strong>und</strong>tendiert zur Erzählung (die Autoren dieser Richtung sind:Mircea Ivănescu, Mircea Cărtărescu, Florin Iaru), dieandere schaut nach innen, auf das Ich <strong>und</strong> seineWandlungen. Anders gesagt: Es gibt eine nach außengerichtete Poesie, die sich direkt mit der grotesken <strong>und</strong>enttäuschenden Realität befasst (Alexandru Muşina,<strong>Kunst</strong> & <strong>Wort</strong>, Frühling2007 7

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