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11 I-VI 08 - MDZ-Moskau

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02<strong>Moskau</strong>erPOLITIK„Russland hat eine rote Linie gezogen“Alexander Rahr zum Treffen des „Valdai-Clubs” mit der russischen FührungDeutsche Zeitung Nr. 18 (241) September 20<strong>08</strong>Foto: RIA NowostiEinmal im Jahr lädt Russlands politisches Establishment diplomierteMeinungsmacher aus aller Welt zu sich ein: Politologen, Experten fürinternationale Beziehungen, Wissenschaftler. Sie kommen im Rahmen desso genannten „Valdai-Clubs“ zusammen, den die russische NachrichtenagenturRIA Nowosti 2004 initiiert hat. Bei der fünften Auflage wurdendie rund 80 Gäste aus 14 Ländern Mitte September von Präsident DmitrijMedwedew in <strong>Moskau</strong>, von Premier Wladimir Putin in Sotschi und vonTschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow in Grosnyj empfangen. Dazugab es Treffen mit weiteren Spitzenpolitikern, mit den Präsidenten vonAbchasien und Südossetien, Sergej Bagapsch und Eduard Kokojty, sowiemit Fundamentalkritiker Garri Kasparow. <strong>MDZ</strong>-Redakteur Tino Künzelunterhielt sich mit dem Berliner Politologen Alexander Rahr von der DeutschenGesellschaft für Auswärtige Politik über den Gesprächsmarathonhinter verschlossenen Türen.Foto: DGAPWelchen Eindruck hatten Sie von derdiesjährigen Runde?Ich fand das sehr produktiv. Es warauf jeden Fall keine Propagandaveranstaltung.Eigentlich könntensich andere eine Scheibe abschneidendavon. Wo ist es schon möglich,dass Experten jeweils drei, vierStunden mit dem Staatspräsidenten,dem Premier, dem Außenministerreden? Sehr schade, dass die deutschenRusslandkorrespondentendas in ihrer Berichterstattung alseinzige fast komplett ignorieren.Die Diskussionen standen im Zeichendes Kaukasuskonflikts und seinerFolgen. Ist der Ton der russischenFührung schärfer geworden?Sie hat sehr harte, ungewöhnlichharte Worte gewählt. Aber manmuss auch sehen, dass ein dritterWeltkrieg ganz schnell da ist.Diesmal standen sich die Armeenim Abstand von fünf Kilometerngegenüber. Das darf nicht noch einmalpassieren. Russland hat jetztklare Signale an den Westen gesendetund eine rote Linie gezogen: Bishierhin und keinen Meter weiter.Was wollen die Russen denn ausIhrer Sicht?Ich kann Ihnen sagen, was sie nichtwollen: Eine unipolare Welt, in derdie Amerikaner tun und lassen können,was sie für richtig halten. Aberden Russen ist auch nicht an einemneuen Kalten Krieg gelegen. Zumalschon eine gewisse Nervosität zuspüren war in Bezug auf die wirtschaftlicheEntwicklung. Natürlichbraucht Russland den Westen alsModernisierungspartner und beimTechnologietransfer, diese Zusammenarbeitwill auch niemand aufsSpiel setzen. Für mich war einer derwichtigsten Sätze von Medwedewbei unserem Treffen: „Wir machenjetzt einen dicken Punkt und dannkommt Business as usual.“In Russland wird die Kritik ameigenen Vorgehen im Kaukasus alsAusdruck der Doppelmoral des Westensgewertet.Die Russen gelten ja bei uns gernals irrational. Aber sie untermauernihre Position mit Argumenten.Russland war nicht Auslöser diesesKonflikts. Jedes andere Land hättegenauso gehandelt. Ich glaube nichtan den russischen Neoimperialismus.Russland will sich nicht Georgienund die Ukraine einverleiben.Im Idealfall wünscht es sich Nachbarnwie Finnland, das kein Nato-Mitglied ist und von dem selbst imKalten Krieg aus russischer Sichtkeine Bedrohung ausging.Warum war die Reaktion auf denKrieg so einseitig gegen Russlandgerichtet, sogar in den Medien?Ich habe nicht den Eindruck, dassdie Medienberichterstattung wirklichso einseitig war. Aber generelltrifft es das Wort „Reflex“ wahrscheinlicham besten. Der KalteKrieg steckt noch in den Köpfender Eliten drin. Die Politik ist besessenvon dem Gedanken, ein neoimperialesRussland eindämmen zumüssen. Im Westen hat man sicheigentlich immer auf die Seite desrussischen Gegners gestellt, sogarim Gaskonflikt mit der Ukraine undmit Weißrussland. Offenbar flößtder große Nachbar im Osten nachwie vor vielen Angst ein, besondersseit er wieder stärker wird.Wobei der Westen immer betont hat,ein schwaches Russland sei nicht inseinem Interesse.Als Russland schwach war, Endeder 80er, Anfang der 90er Jahre,waren die Sympathien eindeutiggrößer.Worin sehen Sie die Ursachen derAngst, von der Sie gesprochenhaben?Selbst vor 100, 200 Jahren, alsRussland ein relativ normalereuropäischer Staat war und nichtder Nachfolger der Sowjetunion,war man mit Vorverurteilungenund Eindämmungspolitik schnellbei der Hand. Eigentlich ist dasunbegreiflich, denn es waren jadie Russen, die immer wiederangegriffen worden sind: von denSchweden, den Polen, von Napoleonund dann von den Deutschenim Ersten und Zweiten Weltkrieg.In diesem Sinne ist vieles an derwestlichen Geschichtsschreibungunverständlich. Aber die Instinktesind Jahrhunderte alt. Und jetztsind sie wieder an die Oberflächegespült worden.Nahm kein Blatt vor den Mund: Wladimir Putin beim Treffen mit den Mitgliedern des„Valdai-Clubs“ in Sotschi.Foto: RIA NowostiEin Foto aus besseren Zeiten: Vitalij Tschurkin (rechts) mit Javier Solana, hoherRepräsentant der EU, und dem russischen Außenminister Sergej Lawrow (links).Stimme RusslandsDer nette Herr Tschurkin ist eine harte NussUNO-Botschafter gehören nicht zumpolitischen Nachwuchs ihres Landes,aber auch nicht zur ersten Reihe.Von der Öffentlichkeit werden sieleicht übersehen. Doch der Kaukasuskonfliktgab dem russischenBevollmächtigten Vitalij Tschurkinnun die Gelegenheit, sich als Russlandsgrößtes diplomatisches Talentzu empfehlen. Wieder einmal.Von Tino KünzelWenn sich jemand in der Umgangssprache„diplomatisch ausdrückt“,dann sagt er, was er wirklich meint.In so einem Ruf stehen Diplomaten.Sie maskieren ihre Worte, sie spielenmit verdeckten Karten und könneneigentlich nur von ihresgleichen verstandenwerden. Ein ganz eigenesGenre. Umso erstaunlicher, wennsolche Silberzungen plötzlich in allerMunde sind, wenn das Fernsehen siezitiert und Interviews mit ihnen inTageszeitungen fürs Volk erscheinen.Als in den Vereinten Nationen nachdem Kriegsausbruch in Südossetien diediplomatische Front eröffnet wurde,machte mit Vitalij Tschurkin ein Mannauf sich aufmerksam, der auch vielenRussen bis dahin kein Begriff gewesenwar, obwohl er schon zwei JahreRusslands Stimme bei der UNO ist.Der 56-Jährige lieferte sich mit denwestlichen Vertretern im Sicherheitsratbissige Rededuelle und wirkte dabeinicht nur aufgeräumt, sondern trugseine bisweilen geradezu schöngeistigenRepliken auch noch betontlustvoll vor. Seitdem gilt er der Heimatals Partisan im Feindesland.Tschurkin ist ein Kind der sowjetischenKaderschule. 1974 schloss erdie <strong>Moskau</strong>er DiplomatenschmiedeMGIMO ab und arbeitete sich innerhalbweniger Jahre im System hoch.Von 1982 bis 1987 an der Sowjetbotschaftin den USA tätig, beeindruckteder junge Sekretär den BotschafterAnatolij Dobrynin dermaßen, dassder ihn mit zurück nach <strong>Moskau</strong>nahm und Außenminister EduardSchewardnadse ans Herz legte, dessenPressesprecher Tschurkin 1989wurde.In der Karriereleiter ging es immerweiter nach oben. AußenministerAndrej Kosyrew machte Tschurkin1992 zu seinem Vize. Und der verdientesich gleich seine ersten Lorbeeren,indem er regelmäßige Briefingsfür ausländische Journalisten einführte– ein Novum für den diplomatischenBetrieb am Smolensker Platz,dem Sitz des Außenministeriums. Anqualifiziertem Personal hatte es auchzu Sowjetzeiten nie gemangelt, dochin der Disziplin Rede und Gegenrede,bei der öffentlichen Argumentationeigener Standpunkte, punkteten meistdie anderen. Das mag an den diplomatischenFähigkeiten der Diplomatengelegen haben oder an denStandpunkten – bei der UNO wurdendie Sowjets jedenfalls als notorischeNeinsager abgestempelt.Tschurkin umgibt sich gern mitJournalisten. Und die Journalistensparen hin und wieder nicht mitAnerkennung. So beschrieb die ZEIT1994 den damaligen Sonderbevollmächtigtenvon Präsident Boris Jelzinauf dem Balkan als „ehrlichen Makler“und „höchst engagiert“. Mit „Charmeund ironischer Distanz“, „offen undzugänglich“ habe er alle anderenVermittler im Bosnienkrieg „in denSchatten gestellt“.Im Sicherheitsrat fuhr Tschurkinzuletzt den „lieben Kollegen“ in dieParade und nahm aufs Korn, wasRussland als Doppelzüngigkeit inFragen des Völkerrechts empfindet.Würde ein Außerirdischer derTagung beiwohnen, hob er an wiezu einem arglosen Toast, wäre dernichts ahnende Gast stolz auf so viel„Prinzipientreue“. Solche Auftrittezielen offenbar auf das große Fernsehpublikum.Doch der Unterhaltungswertmacht seinen Opponenten dieAufgabe nur schwerer: Für sie ist er,was auch die alten Sowjetdiplomatenwaren – ein zäher Knochen.HerausgeberHeinrich MartensRedaktionJochen Stappenbeck, ChefredakteurOlga SilantjewaStellv. ChefredakteurinLarissa Chudikowa(Moskowskaja Nemezkaja Gaseta)Anne Wäschle(Gesellschaft, Zeitgeschehen, Regionen,Leben in <strong>Moskau</strong>)Tino Künzel(Politik, Fotoreportage, Lebenin <strong>Moskau</strong>, Letzte Seite)Alexander Heinrich(Wirtschaft, Feuilleton, Letzte Seite)KorrekturNina BotschkarjowaRaissa KraptschinaComputersatzAndrej MorenkoDesignentwurf:Hans Winkler<strong>MDZ</strong>-Online (www.mdz-moskau.eu)Tino Künzelimpressum„Martens. Verlag & Consulting“ AGGeschäftsführende GesellschafterinOlga MartensAnzeigenTel.: (499) 245 6757werbung@martens.ruVertriebTel.: (499) 246 4051Fax: (499) 766 4876mdz-abo@martens.ruVerlagsvertretung DeutschlandWolfram Löbnitzwloebnitz@pro-tempre.deTatjana Borina (Vertrieb)tborina@martens.ruAdresseRussland, <strong>11</strong>9435 <strong>Moskau</strong>,Deutsch-Russisches Haus,Ul. Malaja Pirogowskaja 5, Office 54.Tel.: (495) 937 6544Fax: (499) 766 4876E-Mail: redaktion@martens.ruZwei Redakteure wer den durch dasIn sti tut für Aus lands be zie hun gen e.V.aus Mit teln des Aus wär ti gen Am tes derBun des re pub lik Deutsch land ge för dert.Die Redaktion übernimmt keineHaftung für den Inhalt der veröffentlichtenAnzeigen.Namentlich gekennzeichnete Artikelgeben nicht unbedingt die Meinung derRedaktion wieder.Nachdruck nur mit Quellenangabemöglich.Registriert bei Roskompetschat.Registriernummer 017576Redaktionsschluss: 23. September 20<strong>08</strong>.Gedruckt in der Druckerei „Pressa“.Auflage 25 000 Expl.Номер заказа 810918.Газета в розницуне распространяется.Zahlen bitte!31... Prozent der Russen befürworten nacheiner neuen Umfrage des MeinungsforschungsinstitutsWZIOM die Unabhängigkeitdes Kosovo. Noch im Märzwaren es nur 15 Prozent. Die Zahl derGegner einer Anerkennung sank gleichzeitigvon 41 auf 28 Prozent. Expertenwerten das als Ausdruck dessen, dass dieRussen das Kosovo als Präzendenzfall fürAbchasien und Südossetien ansehen.

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