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11 I-VI 08 - MDZ-Moskau

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<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 18 (241) September 20<strong>08</strong>Politik03„Die OSZE wurde marginalisiert“Horst Teltschik begrüßt Russlands Vorstoß für eine neue Sicherheitsordnung in EuropaUm die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ist es, nach den jüngstenEntwicklungen zu urteilen, nicht zum Besten bestellt. Dabei gibt es eigenseine Organisation, die ihre Zuständigkeit in diesen Fragen schon im Namenträgt: die OSZE. Nun fordert Russland eine „neue Sicherheitsarchitektur“für Europa, wie es Präsident Dmitrij Medwedew nennt, nicht erst seit derEskalation um Georgiens abtrünnige Republiken, doch inzwischen mitimmer mehr Nachdruck. Die bisherigen Strukturen hätten darin versagt,Kriege zu verhindern, sowohl auf dem Balkan als auch im Kaukasus. <strong>MDZ</strong>-Redakteur Tino Künzel befragte Horst Teltschik (68), von 1999 bis 20<strong>08</strong>Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz und ehemaliger außenpolitischerBerater von Helmut Kohl, zu seiner Bewertung der Initiative.Haben Sie verstanden, was Medwedewmeint?Ich fühlte mich an ein Dokumenterinnert, das alle Mitgliedsstaatender KSZE, der heutigen OSZE,im November 1990 unterzeichnethaben: die Charta von Parisfür ein neues Europa. Ihr lag dieIdee einer gesamteuropäischenFriedens- und Sicherheitsordnungzu Grunde. Das umfasst sowohlpolitische, wirtschaftliche als auchsicherheitspolitische Ziele. Ich habeimmer bedauert, dass diese Chartanicht mit Nachdruck weiterverfolgtworden ist.Warum nicht?Man hat die OSZE, die ja derRahmen dafür wäre, marginalisiertund auf Themen wie Wahlbeobachtungund Menschenrechtereduziert. Vieles andere, auch dieSicherheit, wurde ausgeklammert.Das kritisiert Russland zu Recht.Wünschenswert sind neue Initiativen,in denen die Sicherheitsinteressenaller berücksichtigt werden.Ich begrüße es deshalb sehr, dassPräsident Medwedew inhaltlich andie Charta von 1990 anknüpft. SolcheAnstöße braucht es jetzt. Realistischbetrachtet, können sie abererst verwirklicht werden, wenn dernächste US-Präsident im Amt ist.Was wären konkrete Schritte?Aus meiner Sicht sollte man einOSZE-Gipfeltreffen einberufen unddiskutieren, wie diese europäischeOrdnung aussehen könnte, sowohlinhaltlich als auch institutionell.Das wäre in der zweiten Hälfte desnächsten Jahres denkbar.Neue Strukturen in Europa heißt dieAuflösung von bisherigen?Man muss einen für Russland sehrernsten Punkt festhalten: Das Ganzewird nur eine Chance haben, wennes nicht gegen die Nato gerichtetist. Wenn damit die Nato inFrage gestellt wird, muss es scheitern,denn dem werden die Mitgliedsländernie zustimmen. Manmuss realistisch bleiben. Ich habeden Eindruck, dass Medwedew dasauch weiß, indem er von einemgemeinsamen euro-atlantischenRaum spricht, der „von Vancouverbis Wladiwostok“ reicht, das heißtunter Einbeziehung der USA undKanadas.Können Sie nachvollziehen, dassRussland die Ausdehnung der Natobis an seine Grenzen als Bedrohungansieht?Die Nato ist keine Bedrohungfür Russland, das müssen auch dieRussen endlich begreifen. Sie hatim Kalten Krieg den Frieden gesichertund nicht gefährdet. Unddie Zusammenarbeit zwischenRussland und der Nato ist ja vielintensiver, als öffentlich bekannt.Ich bedaue re, dass der Nato-Russland-Ratin einer Situation wie derjetzigen auf Eis liegt. Das halte ichfür einen großen Fehler. Denn wozugibt es solch einen Rat, wenn er inder Krise nicht zusammenkommt?Im Übrigen gab es schon unterClinton den Vorschlag an Russland,Mitglied der Nato zu werden. Clintonhat mir erzählt, Jelzin habeihm damals geantwortet, dafür seies noch zu früh. Aber ich könntemir heute zumindest ein Kooperationsabkommenvorstellen. Ichpersönlich bin strikt dagegen, dassman jetzt in großer Eile versucht,die Ukraine und Georgien in dieNato aufzunehmen. Erst gilt es, dieBeziehungen zwischen Russlandund der Nato weiterzuentwickeln.Dann kann man im Rahmen einergesamteuropäischen Sicherheitsordnungauch über die Ukraine undGeorgien nachdenken.Wie lassen sich aktuell die verhärtetenFronten aufbrechen?Zunächst einmal muss umgesetztwerden, was in der Vereinbarungzwischen der EU und Russlandsteht. Ich hoffe, dass gleichzeitigGespräche auf verschiedenen Ebenenfortgeführt werden. Das neuePartnerschafts- und Kooperationsabkommenist wichtiger denn je.Nur sollte es dabei nicht nur umWirtschaft gehen und um Kultur,sondern auch um Sicherheit. Allesprechen von einer strategischenSicherheitspartnerschaft. Der deutscheAußenminister Steinmeierredet von einer bilateralen Modernisierungspartnerschaft.Aber dassind alles Worthülsen. Jetzt mussSubstanz dazu.Hat Deutschland im Kaukasuskonflikteine konstruktive Rolle gespielt?Ich erinnere daran, dass Steinmeierim Juli in Abchasien, in Georgienund Russland war, um zu vermitteln.Aber das war eher eine isolierteAktion. Man hätte schon diegesamte EU mit einspannen müssen,um solchen Initiativen mehrGewicht zu verleihen. Und auch,um Saakaschwili stärker zu bremsen.Wie sollte sich die Weltgemeinschaftin Bezug auf abtrünnige Regionen verhalten,die unter keinen Umständenmehr in den bisherigen Staatsverbundzurückkehren wollen? Der Westenhat das Kosovo mehrheitlich in seinenUnabhängigkeitsbestrebungengegenüber Serbien unterstützt, beiAbchasien und Südossetien betonter jedoch die territoriale IntegritätGeorgiens.Wenn ich ein Patentrezept hätte,würde ich es Ihnen gern sagen. Ausmeiner Sicht kann man nur einestun: die Zusammenarbeit mit allenStaaten intensivieren, damit nichtThemen wie Armut und Existenzkampfzu Nationalitätenkonfliktenausarten. Und dann muss man aufdie Völker einwirken, ihre Konflikteeinvernehmlich zu lösen. Mankann dabei auch auf die innereuropäischenGrenzen verweisen, dieja immer offener werden. Jahrhundertelangwurden Kriege um Territoriengeführt, zum Beispiel umElsass-Lothringen. Heute leben dortviele Deutsche, umgekehrt arbeitenviele Franzosen in Deutschland. Dasist gar kein Problem. Warum solltedas nicht auch dort möglich sein, woes heute noch eingefrorene Konfliktegibt? Die Perspektive muss sein, dieinternationale Ordnung so zu gestalten,dass sich jeder sicherfühlt.Auf dem Balkan und im Kaukasushaben die verschiedenen Völkerbis zum Zusammenbruch derkommunistischen Regime auchfriedlich zusammengelebt. Aberdas war unter den Bedingungeneines Obrigkeitsstaates, der ihrNationalbewusstsein bewusst ausgeblendethat. Muss die Lehre darausnicht lauten, Konflikte rechtzeitigzu entschärfen und nicht überJahrzehnte zu verschleppen, weilsie sich sonst mit umso größererWucht entladen, so wie es heute zube obachten ist?Ich habe dem serbischen PräsidentenTadic einmal gesagt: ImPrinzip zahlt ihr jetzt den Preis fürdie Politik seit Tito. Die Kosovo-Albanerwurden immer unter drückt,wirtschaftlich benachteiligt, hattennie eine kulturelle Autonomie.Und als sie die Chance bekamen,sich davon zu befreien, haben siedie genutzt. Meine Antwort lautet:Warum hat man nicht den Mut,nationalen Minderheiten – nichtnur auf dem Balkan oder im Kaukasus– eine gewisse Selbstständigkeitzuzugestehen? Warum ist manso darauf bedacht, alles immerFoto: ArchivHorst Teltschikgilt als erfahrenerSicherheitsexperte undgehörte zu den führendenKöpfen der CDU inder Zeit der deutschenWiedervereinigung.Danach war er inder Wirtschaft tätigund ist seit 2003Honorarprofessor an derTU München.zentral regeln zu wollen?Sie haben den Kalten Krieg in politischerVerantwortung miterlebt.Fühlen Sie sich im Moment in dieseZeiten zurückversetzt?Diese Diskussion halte ich fürabsolut blödsinnig. Ich habe eherden Eindruck, einige würden einenneuen Kalten Krieg gern herbeireden.Das macht die Weltsichteinfacher. Viele vergessen dabei,wie gefährlich die Konfrontationdamals wirklich war. Wir habenja die Erfahrung gehabt, standenwirklich ein, zweimal vor einemneuen Weltkrieg. Das entscheidendeProblem ist doch, dass alleum die Frozen Conflicts wussten,aber man scheinbar geglaubt hat,der Frieden in Europa sei fürimmer gesichert. Nur gibt es ebenaußer dem Iran oder Sim babweauch noch Krisenherde vor unsererHaustür. Das hat man 20 Jahrelang verdrängt. Und da muss sichEuropa nun verdammt nochmalkümmern.NachrichtenKurz u n d KnappKrim fürAnerkennungDas Parlament der Krim hat sich füreine Anerkennung von Südossetienund Abchasien durch die Ukraine ausgesprochen.Ein entsprechender Appellan die Rada, das ukrainische Parlament,wurde Mitte September mit79 von 90 Stimmen verabschiedet.Acht Abgeordnete votierten da gegen.In dem Appell heißt es, das Parlamentder autonomen Republik Krim unterstützedie Völker Südossetiens undAbchasiens in ihrem „Recht auf Selbstbestimmung“und die Politik Russlandszur „Gewährleistung der Sicherheit“ inder Region. Zuvor hatte der ukrainischePräsident Viktor Juschtschenkoeine Anerkennung von Südossetienund Abchasien ausgeschlossen unddie territoriale Integrität Georgiensbetont. In der Rada war der Kaukasuskonfliktsogar der Anfang vom Endeder orangenen Koalition. Die Parteivon Ministerpräsidentin Julia Timotschenkoweigerte sich, der Einschätzungder Präsidentenpartei „UnsereUkraine“ zu folgen und das „aggressiveVorgehen Russlands gegen Georgien“zu verurteilen.Chodorkowskijzeigt VerständnisDer inhaftierte Ex-Oligarch MichailChodorkowskij hat die militärischeIntervention Russlands im Südkaukasusgegen Kritik aus dem liberalenLager verteidigt. In einer Erklärungschreibt der frühere Yukos-Chef, dass„Präsident Medwedew keine andereWahl besaß“ und angesichts derSituation am 8. August die „einzigrichtige Entscheidung getroffen“habe. Georgiens Staatschef MichailSaakaschwili hat nach Auffassungvon Chodorkowskij die „Chancen aufUnterstützung seines empörendenHandelns überschätzt“.BeistandspaktunterschriebenRussland, Abchasien und Südossetienhaben in <strong>Moskau</strong> einen Freundschafts-und Beistandspakt fürzunächst zehn Jahre abgeschlossen.Damit über nimmt Russland auchjuristische Garantien für die Sicherheitder Regionen, deren Unabhängigkeites Ende August anerkannthatte. Das Abkommen sieht vor, dieGrenzen der Republiken gemeinsammit russischen Verbänden zu überwachen.Außerdem stationiert Russlandin Abchasien und Südossetien je 3 800Soldaten. Noch in diesem Jahr sollenrussische Botschaften in Suchumi undZchinwali eröffnet werden. In einerweiteren Vereinbarung will Russlandden Einwohnern eine doppelteStaatsbürgerschaft zusichern.

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