Kritik von Wolfram Schütte Der Erlöser ruft oder ... - Filmportal.de
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<strong>Kritik</strong> <strong>von</strong> <strong>Wolfram</strong> <strong>Schütte</strong><strong>Der</strong> <strong>Erlöser</strong> <strong>ruft</strong> <strong>o<strong>de</strong>r</strong>: Parzival sucht BayreuthHans Jürgen Syberbergs siebenstündiger "Hitler – ein Film aus Deutschland"<strong>Wolfram</strong> <strong>Schütte</strong>, Frankfurter Rundschau, 16.06.1978In London wur<strong>de</strong> er im letzten Herbst uraufgeführt (um die bun<strong>de</strong>s<strong>de</strong>utsche <strong>Kritik</strong> zubestrafen), in Cannes nun <strong>de</strong>r "Internationalen Presse" gezeigt (um die heimische zu<strong>de</strong>mütigen), und wer zufällig in Paris lebt, ist gegenüber <strong>de</strong>n störrischenBun<strong>de</strong>s<strong>de</strong>utschen privilegiert, sich das mehr als siebenstündige Werk nun anzusehen.Die Re<strong>de</strong> ist <strong>von</strong> Hans Jürgen Syberbergs "Hitler – ein Film aus Deutschland", <strong>de</strong>r nach<strong>de</strong>m Willen <strong>de</strong>s Regisseurs vorerst noch nicht in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik laufen soll. Da dasFernsehen <strong>de</strong>s WDR ihn mitproduziert hat, wird er spätestens in drei, vier Jahren überdie Bildschirme flimmern, falls Syberberg ihn nicht doch noch zuvor in die Kinos bringt,sofern er welche dafür fin<strong>de</strong>t, was – um es gleich vornweg zu sagen – nicht gegen <strong>de</strong>nFilm, son<strong>de</strong>rn allein gegen unsere Kino-Situation spricht.Um keinem Film, <strong>de</strong>r bei uns entstan<strong>de</strong>n ist, wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r letzten Zeit mehr Wind &Wirbel gemacht als um diesen; und zwar <strong>von</strong> seinem Drehbuchautor und Regisseur inPersonalunion. Daß Syberberg dazu neigt, sein Licht unter <strong>de</strong>n Scheffel zu stellen,könnten auch seine glühendsten Verehrer nicht behaupten. Offenbar genügen ihm (abervor allem ausländische) Bewun<strong>de</strong>rer nicht, er braucht einheimische "Fein<strong>de</strong>", um sich sorecht erst als <strong>de</strong>r Prophet zu fühlen, <strong>de</strong>r im eigenen Lan<strong>de</strong> nichts gilt. Denn nach allem,was er in einem "Filmbuch" in einer eigenen Ästhetik, in seitenlangen Anschreiben anChefredakteure und in Offenen-Brief-Sua<strong>de</strong>n über sich und die bun<strong>de</strong>s<strong>de</strong>utscheFilmkritik geäußert hat, muß man – ob nun als Betroffener <strong>o<strong>de</strong>r</strong> bloß als Unbeteiligterbetroffen – annehmen, daß zumin<strong>de</strong>st er sich für das magische Universalgenie <strong>de</strong>rDeutschen hält, das uns heute noch gefehlt hat.Mit <strong>de</strong>n bevorzugten Objekten seiner Filme, <strong>de</strong>m Bayernkönig "Ludwig", "Karl May" undAdolf "Hitler" teilt Syberberg nicht nur <strong>de</strong>ren Großmannssüchte und Gigantomanien,son<strong>de</strong>rn (wie mit <strong>de</strong>m vierten Säulenheiligen seiner Kunstreligion: Richard Wagner) einaggressives Sendungsbewußtsein und die Larmoyanz einer Märtyrergesinnung, an<strong>de</strong>ren (bei uns weitgehend ausgebliebenen) Anerkenntnis, so wünscht und predigt er,wenn nicht gar die Welt, so doch zumin<strong>de</strong>st Deutschland genesen könnte. Jemand, <strong>de</strong>rschon sein fünfstündigesFilminterview mit Winifried Wagner als "Meine Trauerarbeit für Bayreuth" empfand,betrachtet nun erst recht <strong>de</strong>n siebenstündigen "Hitler" als seine Trauerarbeit fürDeutschland. Wenn wir nur bereit seien – d. h. kritiklos genug – uns in seineMammutsitzung zu begeben, so brächte uns dieser kinematografische Massentherapeut<strong>de</strong>r Nation schon "die Fähigkeit zu trauern" (Mitscherlich) bei, daß uns Hören und Sehenund vor allem "die naßforsche Gier <strong>de</strong>r Rationalisten" vergeht. Denn er wolle mit seinemFilm <strong>de</strong>n "Hitler in uns" (ursprünglicher Titel) austreiben, <strong>de</strong>r allerdings offenbar nach <strong>de</strong>sRegisseurs Vorstellung neben seinem Wirken in <strong>de</strong>n Spalten <strong>de</strong>s SED-Zentralorgans"Neues Deutschland" vornehmlich in alle jene bun<strong>de</strong>s<strong>de</strong>utschen Filmkritiker gefahren ist,die das sacrificium intellectus und <strong>de</strong>n Kniefall rückhaltloser Bewun<strong>de</strong>rung vor Syberbergbisher verweigert haben. Deshalb hat er die Sün<strong>de</strong>r – unter <strong>de</strong>nen auch ich firmiere –namentlich auf einer Schultafel in seinem Film aus Deutschland" nie<strong>de</strong>rgeschrieben.www.filmportal.<strong>de</strong> 1
Diese sowohl mittelalterliche als auch schulmeisterliche öffentliche Anprangerung (auspersönlicher Ranküne), welche Syberbergs egozentrische Infamie in nächste Nähe zuhistorischen Dokumenten (Ausbürgerungslisten und Bücherverbrennungen <strong>de</strong>r Nazis)setzt, ohne daß er in seiner erschrecken<strong>de</strong>n Naivität bemerkt, daß er es ist, <strong>de</strong>r durchsolche Auflistungen <strong>de</strong>m "Hitler in sich" freien Lauf gelassen hat, ist nicht <strong>de</strong>r einzigeAugenblick, in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Film durch <strong>de</strong>s Autors fanatisches Sendungsbewußtsein undseinen Haß auf <strong>Kritik</strong> in ein bizarres Bühnenweihfestspiel zur eigenen Parzival-Ehreumkippt.Für manche mag es befremdlich genug sein, daß da einer seine Privatfeh<strong>de</strong>n, mit einem<strong>de</strong>rart makabren Gegenstand wie Hitler und <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Faschismus vermengt; aber<strong>de</strong>r bloß sittsame Empörung signalisieren<strong>de</strong> Begriff <strong>de</strong>r "Geschmacklosigkeit" griffe, wieso oft, auch für dieses Phänomen zu kurz. Denn die I<strong>de</strong>ntifikation Syberbergs mit seinemWerk – ein grundsätzlich keineswegs problematischer Vorgang im Bereich <strong>de</strong>r Kunst –hat sich in zeitlich aufsteigen<strong>de</strong>r Linie <strong>von</strong> "Ludwig – Requiem für einen jungfräulichenKönig" (1972) über "Karl May" (1974) bis nun zu seinem "Hitler", wo sie offen immerwie<strong>de</strong>r angesprochen wird, verstärkt. Da wird <strong>de</strong>m Filmomanen Hitler großeAufmerksamkeit gewidmet und ihm allen Ernstes als eine seiner großen Sün<strong>de</strong>n wi<strong>de</strong>r<strong>de</strong>n Geist vorgeworfen, daß er "die UFA zerstört" habe, so daß es "zwanzig Jahre"gebraucht habe, bis in Deutschland wie<strong>de</strong>r be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Filme (offenbar vornehmlich dieSyberbergschen) gemacht wer<strong>de</strong>n konnten.Daß dieser "Film aus Deutschland"' nicht nur einer "für" das Land sein soll, son<strong>de</strong>rn aucheiner über das Filmemachen in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik – speziell über <strong>de</strong>ssenSyberbergsche Art – also über das Kino, das er wagner-nietzescheanisch als "Musik <strong>de</strong>rZukunft", als "Projektion <strong>de</strong>r Innenwelt", als "Fortsetzung und Steigerung <strong>de</strong>s Lebens mitan<strong>de</strong>ren Mitteln" beschwärmt –, das hat seinen Grund in einem exaltierter Werk- &Künstlerbegriff, <strong>de</strong>r u. a. gera<strong>de</strong> <strong>von</strong> jenen historischen Figuren (Dilettanten allesamt) fürsich reklamiert, gelebt und schließlich auf <strong>de</strong>n Hund gebracht wor<strong>de</strong>n ist, <strong>de</strong>nenSyberberg seine Trilogie gewidmet hat: Ludwig II., Karl-May, Wagner und Hitler.Karl May hatte sich seine verdrängten Sehnsüchte und Wünsche in <strong>de</strong>rKolportageliteratur seiner phantastischen Abenteuerromane und allegorischen Spätwerkeerfüllt; <strong>de</strong>r Bayernkönig sich seine Fluchtburgen <strong>de</strong>s i<strong>de</strong>alen Scheins wi<strong>de</strong>r die häßlicheRealität in Neuschwanstein und Herrenchiemsee errichtet und schönheits- &to<strong>de</strong>strunken in Wagners Musikdramen geschwelgt. Hitler schließlich, ein Liebhaber KarlMays und Richard Wagners, ein Möchtegern-Künster, hat einen ganzen Erdteil nachseinen Wunschträumen umgemo<strong>de</strong>lt.Syberberg, <strong>de</strong>r diese Symbolfiguren einer bestimmten <strong>de</strong>utschen Wirklichkeitsflucht in<strong>de</strong>n Mittelpunkt seiner gleichnamigen Filme stellte, betrachtet sein eigenes Werk und<strong>de</strong>ssen vermeintliche Krönung mit "Hitler – ein Film aus Deutschland" als die summaoptima et ultima aller dieser voraufgegangenen zuerst bloß literarisch undarchitektonischen, endlich dann blutig-politischen Alpträume <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Geschichte<strong>de</strong>r letzten Jahrhun<strong>de</strong>rte. Wie Hitler ihm Vollen<strong>de</strong>r und Liquidator dieser geistigenTradition dünkt, so möchte sein Film alle diese Ten<strong>de</strong>nzen zusammenfassen und damitaufheben. Vollen<strong>de</strong>r und Fortsetzung: ja; aber Liquidator? Die mehr als sieben Stun<strong>de</strong>n<strong>von</strong> "Hitler – ein. Film aus Deutschland" (mit einem Etat <strong>von</strong> 1 Mio. DM in 20 Tagenhergestellt) zerfallen in vier etwa gleich lange Teile, <strong>de</strong>ren assoziative Form wenigKonsistenz in sich entwickelt. Ebensogut könnte man sich noch zwei <strong>o<strong>de</strong>r</strong> drei weiterewww.filmportal.<strong>de</strong> 2
Teile vorstellen, als nur eben "<strong>Der</strong> Gral", "Ein <strong>de</strong>utscher Traum", "Das En<strong>de</strong> einesWintermärchens" und "Wir, Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Hölle".<strong>Der</strong> pathetische Tonfall dieser Titel, <strong>de</strong>ren nationales Tremolo in <strong>de</strong>r aufgesteiltenLarmoyanz <strong>de</strong>s Schlusses kulminiert, wo "die Schuld" (<strong>o<strong>de</strong>r</strong> ist es "die Demokratie"?),nämlich ein kleines Mädchen in Schwarz, mit <strong>de</strong>m Kopftuch <strong>de</strong>r Maria, am En<strong>de</strong> ihrerWan<strong>de</strong>rschaft durch die vier Teile in einer riesigen Träne sitzt und ihre Hän<strong>de</strong> zu einemGebet faltet, während Beethoven/Schillers "Überm Sternenzelt muß ein lieber Vaterwohnen" ertönt — solche Pathetik und Mystizismus bestimmen auch die Grundhaltung<strong>de</strong>s Films insgesamt.Syberberg geht es, wie schon in "Ludwig" und "Karl May", an keiner Stelle um einedokumentarische Rekonstruktion, son<strong>de</strong>rn um eine aus allen Ecken und En<strong>de</strong>nherbeigetragene Sammlung meist geistesgeschichtlichen Materials, ausgestreut im freienFall eines subjektiven Kaleidoskops. Wo sein Film reichlich Gebrauch macht <strong>von</strong> BildundTondokumenten aus <strong>de</strong>r Nazizeit – etwa <strong>von</strong> jener Weihnachtskonferenzschaltung,bei <strong>de</strong>r an allen (Kriegs-)Fronten "Stille Nacht, heilige Nacht" gesungen wird <strong>o<strong>de</strong>r</strong> <strong>von</strong> <strong>de</strong>rTotenehrung für "die Gefallenen <strong>de</strong>r Bewegung", die immer wie<strong>de</strong>rkehrt – dienen sie ihmals motivische Embleme, welche zusammen mit einem großen Arsenal an<strong>de</strong>rer formalerMittel <strong>de</strong>n Gegenstand – Hitler, <strong>de</strong>utsche Geschichte und Kultur – in die Hermetik einesmythologisch abgedichteten Kunstgegenstan<strong>de</strong>s überführen. Zu <strong>de</strong>r gewißfaszinieren<strong>de</strong>n Vielfalt <strong>de</strong>r Darbietungsmodi, die Syberberg zur Verfügung stehen,gehören neben einer Atelierlandschaft mit allerlei Prospekten, allegorischenGegenstän<strong>de</strong>n und symbolischen Tableaux, Puppen-und Bauchrednernummern,wabern<strong>de</strong> Nebelschwa<strong>de</strong>n und Kunstschneeflocken; weiterhin zwei monogolisieren<strong>de</strong>Erzähler (Harry Baer und André Heller), welche <strong>de</strong>n Kud<strong>de</strong>lmud<strong>de</strong>l angelesenerBildungsfrüchte zum Thema langatmig ausstreuen; zwei (<strong>von</strong> Peter Kern, <strong>de</strong>r auch malLorres Triebmör<strong>de</strong>r-Credo aus Fritz Langs "M" rezitiert, und Hellmut Lange) dargestellteKammerdiener Hitlers, die über <strong>de</strong>ssen Unterhosen, Zeitungslektüre undHun<strong>de</strong>liebhabereien sich auslassen; schließlich Heinz Schubert, <strong>de</strong>r im ersten Teil alsZirkusdirektor "die größte Schau <strong>de</strong>r Welt" aus<strong>ruft</strong> (um "Hitler eine Chance zu geben"),dann als <strong>de</strong>r leibhaftige Teufel, in <strong>de</strong>r Maske <strong>de</strong>s Führers aus <strong>de</strong>m Grab RichardWagners aufsteigt und über Hitlers insgeheimen Sieg überall auf <strong>de</strong>r Welt räsonniert -und Schubert als Himmler, <strong>de</strong>r unter <strong>de</strong>n kneten<strong>de</strong>n, streicheln<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n seinesMasseurs (Martin Sperr) sich über die "historische Aufgabe <strong>de</strong>r SS", über Buddhismusund die Astrologie äußert.Die Kammerdiener, <strong>de</strong>ren Schlüsselloch-Perspektiven auf Hitler Syberberg viel Raumund Zeit einräumt, bewegen sich (wie an<strong>de</strong>re Figuren auch), vor jenenRückprojektionsflächen, die für Syberbergs Ästhetik so wichtig sind. Mit ihnen hatten <strong>de</strong>rRegisseur und sein Kameramann Dietrich Lohmann schon in "Ludwig" und "Karl May"operiert, um reale (Schauspieler-)Personen in je<strong>de</strong>s nur gewünschte Dekor stellen zukönnen. Aus solchen Konfrontationen, welche die Personen in wechseln<strong>de</strong> Etuis stecken,zieht Syberbergs Kino einen großen Teil seiner überraschen<strong>de</strong>n Bizarrerien, beson<strong>de</strong>rsnun im "Hitler". Es ist Syberbergs Drapeurs- und Arrangeurskunst, die mit <strong>de</strong>m "MagicCircus" <strong>de</strong>r Pariser Unterhaltungsscene nicht nur formal, son<strong>de</strong>rn auch thematisch mehrzu tun hat, als mit <strong>de</strong>m <strong>von</strong> ihm epigonenhaft anvisierten Wagnerschen"Gesamtkunstwerk", welche hier ihre spektakulären Triumphe feiert inDoppelbelichtungen, Bild- & Ton-Parallelismen & -Kontrasten und <strong>de</strong>ren wie<strong>de</strong>rholterMotiv- <strong>o<strong>de</strong>r</strong> Emblemzitierung, <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Syberberg in einer Einfalt, die über allewww.filmportal.<strong>de</strong> 3
(selbstkritische) Vernunft geht, meint, er habe damit die Wagnersche Leitmotivtechnikgetroffen. Dabei hat er nur allegorisch (und grobschlächtig) das Äußerlichste amPsychologismus Wagners imitiert: nämlich die thematische Wie<strong>de</strong>rkehr fixierter(musikalischer) Motive.Wie die Ästhetik Syberbergs – läßt man einmal seine wolkigen teutonischenAbsichtserklärungen beiseite – zum einen Teil aus <strong>de</strong>m Zirkus, <strong>de</strong>m Jahrmarkt, <strong>de</strong>rLaterna-Magica, <strong>de</strong>r Schau und <strong>de</strong>m Cabaret-Theater herkommt, so stammt ihr an<strong>de</strong>rerTeil aus <strong>de</strong>m Lichtbil<strong>de</strong>rvortrag einer christlich-abendländlerisch angehauchtenVolkshochschule, wo man mit ehrfürchtigen "Ohos" und "Ahas" die wie<strong>de</strong>rerkanntenZitate und Anspielungen quittiert, aus <strong>de</strong>ren Kompilage die salbungsvoll und tiefsinnigvorgetragenen Ausführungen <strong>de</strong>s melancholischen Redners im Wesentlichen bestehen.André Heller, <strong>de</strong>r im letzten Teil endlose Passagen aus <strong>de</strong>m Drehbuch vorliest, treibt dieRolle <strong>de</strong>s Narrators bis über die Grenze zur unfreiwillig komischen Selbstparodie.Nun wären die raffinierten technischen Tricks <strong>von</strong> Syberberg/Lohmanns gewißfaszinationsstarkem Arsenal kinematografischer Montagemöglichkeiten durchausproduktiv zu verwen<strong>de</strong>n gewesen. Wenn nämlich das jetzt tief & ernst gemeinte Kabarett(das eben keines ist, weil es auf sentimentale Art tief & ernst gemeint ist) erst dadurchernst gewor<strong>de</strong>n wäre, daß Syberberg die zuhan<strong>de</strong>nen satirisch-jokosen, burleskkarnevalistischenMittel mit einer anti-mythologischen, analytischen Methodik verwen<strong>de</strong>tund dieses Knäuel falscher, pathetisch-überhöhter, verqualmter Nazi-Mythologemeaufgesprengt und gera<strong>de</strong> dadurch wirklich "verabschie<strong>de</strong>t" hätte.Jedoch eine solche sardonisch-swiftsche "Höllenfahrt", wie sie Surrealisten etwa <strong>von</strong> <strong>de</strong>rIntelligenz und Phantasiekraft Buñuels zu inszenieren vermochten, fin<strong>de</strong>t hier nicht statt.Im Gegenteil: das Avancement <strong>de</strong>r technischen Mittel <strong>de</strong>r Reproduktion wird einerÄsthetik eingebun<strong>de</strong>n, welche das Avancement eben jener antirealistischen,mythologisieren<strong>de</strong>n Kunstreligion zum Ziel hat, <strong>de</strong>ren Fall <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Höhe <strong>de</strong>r Romantikerzur Tiefe Hitlers <strong>de</strong>r Gegenstand <strong>de</strong>r <strong>Kritik</strong> sein sollte. Wiewohl "Hitler – ein Film ausDeutschland" nichts an<strong>de</strong>res praktiziert, als eine immense Fülle <strong>von</strong> Materialunterschiedlicher Herkunft und Wertigkeit miteinan<strong>de</strong>r zu. kombinieren, unterschei<strong>de</strong>tsich Syberbergs Montage grundlegend etwa <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Kluges. Statt Ironie herrscht bei ihmRelativität, statt Wi<strong>de</strong>rsprüchlichkeit Ambiguität, statt Transparenz einmythologisieren<strong>de</strong>s Ineinan<strong>de</strong>r, statt einer die Phantasie entbin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n, provozieren<strong>de</strong>nAnalytik <strong>de</strong>r vielfältige Versuch, <strong>de</strong>n Zuschauer durch rauschhafte Steigerungen,mysteriösen Arrangements & Zeichen und durch sentimentalisierte Tiefsinnigkeiten überGott und die Welt, Hollywood und das Universum in Bann zu schlagen.Das ist erklärte Absicht <strong>de</strong>s Autors, <strong>de</strong>r <strong>von</strong> seinem Film als "Requiem und Oratorium"spricht und geschrieben hat: "Hitler kann nur durch Richard Wagner geschlagen wer<strong>de</strong>n"(als <strong>de</strong>ssen Nachfolger und Statthalter Syberberg sich fühlt) – also <strong>de</strong>r Teufel nur durch<strong>de</strong>n Belzebub, <strong>de</strong>r Irrationalismus könne nur durch <strong>de</strong>n Irrationalismus exorziert wer<strong>de</strong>n?Es ist diese fatale, so verführerisch einfach klingen<strong>de</strong> These, mit <strong>de</strong>r augenblicklich <strong>von</strong>verschie<strong>de</strong>nen Seiten gegen ein rationalistisches Verfahren <strong>de</strong>r Aufklärung polemisiertwird. Auch Joachim C. Fest hatte schon die unreflektierte Verwendung faschistischenBild- & Tonmaterials in seinem Film "Hitler – eine Karriere" damit begrün<strong>de</strong>t, daß esnotwendig sei, sich gegen <strong>de</strong>n faschistischen Rausch zu immunisieren, in<strong>de</strong>m man sichwww.filmportal.<strong>de</strong> 4
ihm aussetze. So unterschiedlich sich Fest und Syberberg mit Hitler beschäftigen – aufeine quasi dokumentarische Weise, die blind ist gegenüber <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ologie <strong>de</strong>svermeintlichen Dokuments; und durch ein total inszeniertes Spiel mit spezifischenHighlights (Dokumenten, nachempfun<strong>de</strong>nen Tableaus, Musik etc.) im Geiste einesspätromantischen Mystizismus – das Bild, das sie <strong>von</strong> ihrem negativen Hel<strong>de</strong>nentwerfen, ähnelt sich sehr und enthält nichts, was nicht schon bekannt wäre und vorallem konservativen Empfin<strong>de</strong>n entspricht: Hitler erscheint als <strong>de</strong>r unausweichlicheErfüller <strong>de</strong>utscher (wenn nicht europäischer) Geschichte und geistiger Traditionen, <strong>de</strong>rdie Welt <strong>von</strong> Grund auf verän<strong>de</strong>rt und ihr die Unschuld geraubt hat. Mythologische,geistesgeschichtliche, auf das große Subjekt gerichtete Geschichtsbetrachtung.Wie sehr sich Syberbergs "Hitler – ein Film aus Deutschland" direkt aus einemkonservativen Denken nährt, das er zu Unrecht durch Hitler diskreditiert sieht (eben dasist <strong>de</strong>r Grund seiner monströsen "Trauermusik), wird an zahllosen Bemerkungen <strong>de</strong>utlich,die er teils Hitler, teils seinen Erzählern in <strong>de</strong>n Mund gelegt hat: Hitler habe "<strong>de</strong>ninfernalischen Sieg <strong>de</strong>r quantitativen Demokratie" herbeigeführt, die "alten <strong>de</strong>utschenWerte trivalisiert", die "Sprache zerstört", sei verantwortlich für <strong>de</strong>n "Sieg <strong>de</strong>sMaterialismus" und <strong>de</strong>n "Verlust <strong>de</strong>s Paradieses" – was auch wie immer verschwommendamit alles gemeint sein mag: <strong>de</strong>nn im Pauschalieren ist Syberberg so groß wie er sichals Genie fühlt, das für seinen "Hitler", nach einem Bericht <strong>de</strong>r "Zeit" augenblicklich ein"Bayreuth" sucht, wohin pilgern müßte, wer <strong>de</strong>n Film sehen will – wie weiland die JüngerWagners, um in <strong>de</strong>n Genuß <strong>de</strong>s "Parzival" zu gelangen.Daß <strong>de</strong>r Film das Ziel hat, <strong>de</strong>n Zuschauer zum Glauben Syberbergs zu führen, "Hitlerund <strong>de</strong>r ganze I<strong>de</strong>alismus seiner fehlgeleiteten Anhänger ist nur mit <strong>de</strong>m Herzen zubesiegen" und sich "an seinem (<strong>de</strong>s Films) En<strong>de</strong>, wenn man will, Aufklärung ein(stellt):eine Erkenntnis nämlich über die Ohnmacht(!) <strong>de</strong>r starken Männer und ihre großeGefährlichkeit. Eine Erkenntnis ohne Aggression und – wie es heute möglich ist – auseigener Distanz und auch mit etwas Mitleid“ – das scheint mir <strong>de</strong>nn nun schließlich vollauf das Naivitätskonto eines I<strong>de</strong>alisten hehrster <strong>de</strong>utscher Tradition zu gehen: weltfremd,geschichts- und gegenwartsfern, selbstversponnen in seiner <strong>Erlöser</strong>-& Erretter-I<strong>de</strong>ologievernarrt. Syberberg – ein Film aus Deutschland.www.filmportal.<strong>de</strong> 5