<strong>Das</strong> <strong>Dokument</strong> <strong>des</strong> <strong>Grauens</strong>noch Frankenstein (20??, III) in der Schublade, welcher unter der Regie der HorrorlegendeGuillermo del Toro entstehen soll - vielversprechender Gedanke, allerdingshaben geplante Produktionen mit Guillermo del Toro oftmals die Angewohnheit, nierealisiert zu werden.Aber wenden wir uns nun Frankensteins wichtigsten Kollegen zu, die wir eingangsbereits namentlich erwähnt haben. Als nächstes steht der archetypische Selbstversuchin der Warteschlange.Arzt und Dämon: Dr. Jekyll und Mr. HydeDr. Jekyll, den Robert Louis Stevenson in The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr.Hyde ersann, entwickelte sich völlig anders als Mary Shelleys Figur Frankensteins.Um genauer zu sein: Dr. Jekyll entwickelte sich fast gar nicht weiter. So etwas wie einLebenslauf lässt sich aus den vielen Filmen kaum generieren. Dr. Jekyll war anscheinendbereits in seiner originalen Form durchgedreht genug, um eine weitere Evolution<strong>des</strong> Charakters als nicht notwendig erscheinen zu lassen. In der Tat handelt es sichbei der Vielzahl von Verfilmungen - und Dr. Jekyll hat die umfangreichste Filmografiealler mad scientists auf dem Konto - meistens um eine Nacherzählung von StevensonsRoman, um eine Schilderung der Geschehnisse aus einem alternativen Blickwinkel,oder um mindere Qualität. Daher ist es sinnfrei, um Dr. Jekylls Figur einen Lebenslaufzu ranken. Wir beschränken uns statt<strong>des</strong>sen auf eine Erwähnung der wichtigsten Filme,in welchen Dr. Jekyll den Dreh- und Angelpunkt darstellt.Frühe Stummfilme, welche Dr. Jekyll zeigten, gab es in großer Menge, bis in dasJahr 1925 deutlich über ein Dutzend. Etwa die Hälfte hiervon tangierte das Horrorgenre,unter Ihnen die Verfilmungen aus den Jahren 1908, 1910, 1912, 1914, zwei ausdem Jahr 1920 und noch eine weitere, welche 1925 entstand und die alle den Titel Dr.Jekyll and Mr. Hyde tragen. Aber auch etwas mehr oder weniger freie Verfilmungenwie Ein seltsamer Fall (1914), Der Januskopf (1920) und Stan Laurels Dr. Pyckleand Mr. Pryde (1925) befinden sich darunter, ebenso wie Den skæbnesvangre opfindelse(1909), der Kriminalfilm The Duality of Man (1910), in welchem Dr. Jekylleinen Geldbetrag klaut und sich am Ende aus Angst vor der Polizei vergiftet, die deutscheProduktion Der Andere (1913), die harmlose Slapstick-Komödie Dr. Jekyll andMr. Hyde, Doing to a Frazzle (1914) oder auch der melodramatische und weitgehendhorrorfreie Faust-Verschnitt Miss Jekyll and Madame Hyde (1915), der mit StevensonsRoman nicht das geringste zu tun hatte, aber so genannt wurde, weil man hiermitmehr Zuschauer in die Kinos zu locken hoffte. <strong>Die</strong> Liste von Filmen, welche sich anStevensons Werk mehr oder weniger anlehnten, überstieg bereits die Zahl von 20, alsmit Dr. Jekyll and Mr. Hyde (1920,I) die erste umfassende Adaption <strong>des</strong> Romans indie Kinos kam.278
10. <strong>Die</strong> <strong>Mythen</strong>: Im Labor <strong>des</strong> WahnsinnsIn Dr. Jekyll and Mr. Hyde (1920,I) etablierte John Barrymore bereits die Standardversion<strong>des</strong> Wissenschaftlers, <strong>des</strong>sen Euphorie und Siegeswille ihn zu einem Selbstversuchtreiben, welcher temporär sein stets unterdrücktes bösartiges Ich über seine guteund rechtschaffene Hälfte dominieren lässt. Doch es bleibt nicht nur bei dem einenSelbstversuch, welcher dem Zwecke einer Beweisführung <strong>des</strong> Erfolges dienen würde.<strong>Die</strong> Flucht in das Alter Ego Mr. Hyde, welches tun und lassen kann, wovon der braveDr. Jekyll stets unbewusst träumte, wird zunehmend zu einer Sucht, welche schließlichfatal endet.<strong>Die</strong> Darstellung <strong>des</strong> schizophrenenWissenschaftlers ist in erster Linie eineCharakterrolle mit einer HandvollSchauwerten in Form der Maske <strong>des</strong>diabolischen Mr. Hyde. Hierin unterscheidensich die meisten Verfilmungenam stärksten voneinander. Bereits Barrymoregriff hier in die Vollen, docher übertrieb etwas. Barrymore verlängerteseinen Kopf ein wenig, arbeitete mitSchminke und überließ den Rest seinenverzerrten Gesichtszügen - eine durchausgelungene Lösung, aber leider aucheine Spur zu grotesk. Barrymore, seinerzeitder bestbezahlteste Theatermimeund Shakespeare-Darsteller, hatte auchleichte Probleme damit, sich auf das Medium<strong>des</strong> Films einzulassen. Er agiertevor der Kamera, als stünde er auf einerBühne, statisch und nur auf sein Schauspielkonzentriert. Und dies mit allenKonsequenzen - in einer Szene sieht manAbbildung 10.71: Filmplakat, USA 1920sogar einen von Barrymores falschenFingernägeln davonfliegen, wenn man genau hinsieht - und mit der Folge, dass derFilm, abgesehen von den Szenen mit Spezialeffekten, stark an ein abgefilmtes Bühnenstückerinnert.Nichts<strong>des</strong>totrotz war der Film erfolgreich, Barrymores Stern schoss noch weiter in dieHöhe und auch Barrymore war mit sich selbst höchste zufrieden. So zufrieden, dass erseine Maske <strong>des</strong> Dr. Hyde in der Moby Dick-Verfilmung The Sea Beast (1926) erneutverwendete.Durch den Erfolg von Dr. Jekyll and Mr. Hyde (1920,I) angestachelt, schob LouisB. Mayer, der spätere Präsident von MGM, umgehend Dr. Jekyll and Mr. Hyde279