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Einführung in die Erziehungswissenschaft

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<strong>Erziehungswissenschaft</strong>C 1014


2 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong><strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Das Skript zur Vorlesung „<strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>“von Prof. Dr. JUNGKUNZ beruht auf me<strong>in</strong>en Mitschrieben im WS1995/96. In das hier nun <strong>in</strong> der 2. Auflage vorliegende Skript habe ich<strong>die</strong> Mitschriebe von Sab<strong>in</strong>e Hess aus dem WS 1996/97e<strong>in</strong>gearbeitet. Außerdem be<strong>in</strong>haltet das Skript ger<strong>in</strong>gfügigeErgänzungen aus erziehungswissenschaftlichen Lehrbüchern(<strong>in</strong>sbesondere GUDJONS, Herbert: Pädagogisches Grundwissen:Überblick – Kompendium – Stu<strong>die</strong>nbuch. 4., überarbeitete underweiterte Aufl., Bad Heilbrunn: Kl<strong>in</strong>khardt, 1995). Das Skript ist nichtautorisiert und kann ke<strong>in</strong>en Ersatz zum Besuch der Vorlesungdarstellen! Vielmehr soll Euch mit <strong>die</strong>sem Skript <strong>die</strong> Möglichkeitgegeben werden, der Vorlesung besser folgen zu können, <strong>in</strong>demEuch e<strong>in</strong> Teil der Schreibarbeit abgenommen wird.Friedrich Trautwe<strong>in</strong>Juni 1998Ich freue mich über Verbesserungsvorschläge. H<strong>in</strong>weise bitte an mich persönlich oder e-mail:trautwei@uni-hohenheim.de mit Angabe von Skriptname und Seitenzahl.


Inhaltsverzeichnis 3Inhaltsverzeichnis1 EINFÜHRUNG .............................................................................................. 71.1 EIN BEISPIEL AUS DER FORSCHUNG ............................................................... 71.2 STRUKTUR DER ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT ................................................ 182 HAUPTSTRÖMUNGEN DER ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT ................. 242.1 GEISTESWISSENSCHAFTLICHE PÄDAGOGIK ................................................... 242.2 EMPIRISCH-ANALYTISCHE ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT ................................. 302.3 KRITISCHE ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT ....................................................... 433 METHODEN DER ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT .................................. 483.1 HERMENEUTIK ........................................................................................... 483.2 QUANTITATIVE VERFAHREN ......................................................................... 573.3 QUALITATIVE VERFAHREN ........................................................................... 744 ZUR GESCHICHTE DER ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT ....................... 774.1 AUFKLÄRUNG UND DEUTSCHE KLASSIK ......................................................... 774.2 VON DER REFORMPÄDAGOGIK ZUR GEGENWART .......................................... 835 PÄDAGOGISCHE ANTHROPOLOGIE ...................................................... 855.1 ERZIEHUNG ............................................................................................... 865.2 BILDUNG ................................................................................................... 936 SOZIALISATION......................................................................................... 976.1 AUSGEWÄHLTE THEORIEANSÄTZE ................................................................ 976.2 SCHICHTSPEZIFISCHE UND GESCHLECHTSSPEZIFISCHE SOZIALISATION ......... 1077 LERNEN ................................................................................................... 1097.1 LERNTHEORIEN ........................................................................................ 1097.2 KLASSISCHES KONDITIONIEREN UND OPERANTES LERNEN ........................... 1107.3 KOGNITIVE VERARBEITUNG VON INFORMATIONEN ........................................ 1137.4 SOZIALES LERNEN .................................................................................... 1178 KINDHEIT UND JUGEND ......................................................................... 121


4 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>8.1 KINDHEIT ................................................................................................. 1218.2 JUGEND ................................................................................................... 121


Literaturangaben 5Literaturangaben zur Vorlesung im WS 1995/961. BENNER, Dietrich: Hauptströmungen der <strong>Erziehungswissenschaft</strong>. 3. Aufl.,We<strong>in</strong>heim: Beltz, 1991 (ZB: Pd 180)2. DIETRICH, Theo: Zeit- und Grundfragen der Pädagogik. 7. Aufl., BadHeilbrunn: Kl<strong>in</strong>khardt, 1992 (ZB: DF 1000 D566)3. GAGE, Nathaniel L.; BERLINER, David C.: Pädagogische Psychologie. 4.Aufl., We<strong>in</strong>heim: Beltz, 1986 (ZB: Pd 122.4)4. GIESECKE, Hermann: <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> Pädagogik. 2. Aufl. derNeuausgabe, We<strong>in</strong>heim: Juventa, 1991 (ZB: Pd 145)5. GUDJONS, Herbert: Pädagogisches Grundwissen: Überblick – Kompendium– Stu<strong>die</strong>nbuch. Bad Heilbrunn: Kl<strong>in</strong>khardt, 1993 (ZB: DF 1000 G922)6. KAISER, Arm<strong>in</strong>; KAISER, Ruth: Stu<strong>die</strong>nbuch Pädagogik: Grund- undPrüfungswissen. 6. Aufl., Frankfurt/Ma<strong>in</strong>: Scriptor, 1992 (ZB: DF 1000 K13)7. LENZEN, Dieter (Hrsg.): Pädagogische Grundbegriffe. Re<strong>in</strong>bek: Rowohlt,1989 (Institut)8. KRON, Friedrich W.: Grundwissen Pädagogik. 3. Aufl., München: Re<strong>in</strong>hardt,1991 (ZB: DP 1000 K89)9. WULF, Christoph: Theorien und Konzepte der <strong>Erziehungswissenschaft</strong>. 3.Aufl., München: Juventa, 1983 (ZB: 142.23)


6 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Außerdem:10. BREZINKA, Wolfgang: Grundbegriffe der <strong>Erziehungswissenschaft</strong>. München:Re<strong>in</strong>hardt, UTB 197411. BUNK, Gerhard: <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> Arbeits-, Berufs- und Wirtschaftspolitik.Heidelberg: Quelle & Meyer, 198212. EIGLER, Gunther u.a.: Grundkurs Lehren und Lernen. 4. Auflage, We<strong>in</strong>heim:Beltz, 197913. GROSKURTH, Peter (Hrsg.): Arbeit und Persönlichkeit. Re<strong>in</strong>bek: Rowohlt197914. RÜCKRIEM, G.M.: Der gesellschaftliche Zusammenhang der Erziehung. In:KLAFKI, Wolfgang et al.: Funk-Kolleg <strong>Erziehungswissenschaft</strong> (Band 1).Frankfurt a.M.: Fischer, 1970, S. 257-322Anm.: Die meisten Bücher s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> verschiedenen Bibliotheken verfügbar. Wegender Möglichkeit zum Entleihen oder, falls das Buch zum Präsenzbestand gehört,der relativ bequemen Möglichkeit zum Kopieren, gebe ich dabei primär <strong>die</strong>Signatur der ZB an.Institut: Institut für Berufs- und WirtschaftspädagogikZB: Zentralbibliothek


<strong>E<strong>in</strong>führung</strong> 71 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong>1.1 E<strong>in</strong> Beispiel aus der Forschung1.1.1 ProblemstellungBsp.: Motivationale Merkmale des Unterrichts und der Unterrichtszufriedenheitgemessen an der Leistung der Schüler.Gestellte Frage an Azubis: Seid ihr mit eurer Ausbildung zufrieden?Aber was muß man unter Zufriedenheit verstehen? Man kann nicht e<strong>in</strong>fach nachZufriedenheit fragen, das ist nicht präzise unwissenschaftlich.Problemstellung: 70-90% der Auszubildenden s<strong>in</strong>d mit ihrer Ausbildungzufrieden. Mögliche Gründe, Thesen, Annahmen, was zur Zufriedenheit derAzubis geführt hat:Zufriedenheit ist e<strong>in</strong> Wert an sich führt zu besserer Leistung <strong>in</strong> der Schule bzw. dem Ausbildungsbetrieb ist Indikator für <strong>die</strong> Unterrichtsqualität, guten Unterricht.


8 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>1.1.2 Theoretischer Rahmen1.1.2.1 Normative Zielkategorien und Zieldimensionen der beruflichenBildungZielkategorienZieldimensionenbetriebsbezogenberufsbezogenBerufliche TüchtigkeitprüfungsbezogenschulbezogenBerufliche MündigkeitAnspruchweiterbildungsbezogendemokratiebezogenpersönlichkeitsbezogenBerufliche Mündigkeit ist ohne berufliche Tüchtigkeit nicht möglich.Grundsatz: Immer erst berufliche Tüchtigkeit, dann berufliche Mündigkeit.


<strong>E<strong>in</strong>führung</strong> 91.1.2.2 Schulleistungsmessung und -beurteilung:1. Bezugsnorm(problematik): Soziale Bezugsnorm:E<strong>in</strong> Lehrer schaut nach e<strong>in</strong>er Klassenarbeit danach, daß der Klassenschnittz.B. 3,5 ist. Daran richtet er dann <strong>die</strong> Noten aus. Daraus ergibt sich dasProblem der Vergleichbarkeit zu anderen Klassen. Insbesondereallgeme<strong>in</strong>bildende Schulen richten sich, weil andere Kriterien fehlen, amsozialen Schema aus. Problem: Kommt e<strong>in</strong> objektiv leistungsschwacherSchüler <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e noch leistungsschwächere Klasse, bekommt er trotzdem guteNoten. Wie sähe es aus, wenn er Pech hat, und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e leistungsstarkeKlasse käme? Kriteriale Bezugsnorm:Das Beurteilungskriterium wird vom Lehrer festgelegt, bevor <strong>die</strong> Arbeitgeschrieben wird. E<strong>in</strong>e bestimmte Anzahl gelöster Aufgaben ergibt e<strong>in</strong>ebestimmte Note (Daran s<strong>in</strong>d z.B. <strong>die</strong> IHK-Prüfungen orientiert). Ke<strong>in</strong>Zusammenhang zwischen Schulnote und Berufsabschlußzeugnis, d.h., daßSchüler, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>en schlechten Hauptschulabschluß haben, oft gute Noten <strong>in</strong>der Berufsschule haben. Sollte e<strong>in</strong>em zu denken geben! In derBerufsschule werden <strong>die</strong> Noten nach kriterialen Maßstäben vergeben. Notenhaben e<strong>in</strong>e qualitative Bedeutung. Individuelle Bezugsnorm:Am Schüler und dessen <strong>in</strong>dividuellem Fortschritt orientiert. Nicht realisierbar,wäre aber sehr motivationsfördernd. D.h. man schaut, wie e<strong>in</strong> Schüler amJahresanfang war und welche Fortschritte er machte.


10 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>2. Gütekriterien: Objektivitätd.h., <strong>die</strong> Leistung e<strong>in</strong>es Schülers, z.B. Klausur, führt unabhängig vom Lehrerzum gleichen Ergebnis. Subjektive E<strong>in</strong>flüsse sollen möglichst vermiedenwerden. Dazu ist es notwendig, daß <strong>die</strong> zur Leistungsmessung und –beurteilung verwendeten Kriterien festgelegt werden.- Durchführungsobjektivität: Beispielsweise gleiche Rahmenbed<strong>in</strong>gungender Prüfung.- Auswertungsobjektivität: Es wird festgelegt, wie e<strong>in</strong>e Untersuchungausgewertet werden muß, wofür Punkte vergeben werden. Frage:Inwiefern ist e<strong>in</strong>e Leistung (Deutsch – Mathe) quantifizierbar?.- Interpretationsobjektivität: Wie <strong>in</strong>terpretiert man 30 erreichte Punkte?. Reliabilität oder Zuverlässigkeit e<strong>in</strong>er der MessungDie Reliabilität bezeichnet das Ausmaß, <strong>in</strong> dem wiederholte Messungen mite<strong>in</strong>em Meß<strong>in</strong>strument <strong>die</strong> gleichen Werte liefern. Um Zufallse<strong>in</strong>flüsse(Rasenmäher, Ärger gehabt) auszuschließen oder zu relativieren, werden <strong>in</strong>der Schule mehrere Arbeiten geschrieben. Dabei kann zwischenverschiedenen Reliabilitäten unterschieden werden:Retestreliabilität: E<strong>in</strong>e Messung wird beim gleichen Objekt mit dem gleichenInstrument wiederholt. Die Frage ist, ob bei e<strong>in</strong>er Wiederholung das Ergebnisgleich ausfällt. Problem: Lerneffekte oder andere Veränderungen zwischenden beiden Messungen. In der Schule schreibt man mehrere verschiedeneArbeiten.Paralleltestreliabiliät: Messung des gleichen Merkmals mit e<strong>in</strong>em anderenäquivalenten Instrument zum selben Zeitpunkt. Das Ergebnis sollte gleichausfallen.Interne Konsistenz: Dabei werden <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zelnen Items e<strong>in</strong>es Tests alsunabhängige Meßwiederholungen angesehen und überprüft, <strong>in</strong>wiefern sie zudemselben Ergebnis kommen. Es wird untersucht, <strong>in</strong>wiefern der Test <strong>in</strong> sichstimmig ist. Bei der split-half-Methode wird das Instrument <strong>in</strong> zwei gleicheHälften geteilt. Die Korrelation zwischen den Ergebnissen der zwei Teile ist


<strong>E<strong>in</strong>führung</strong> 11e<strong>in</strong> Ausdruck für <strong>die</strong> Reliabilität. Besser ist allerd<strong>in</strong>gs CRONBACHs Alpha-Koeffizient. Dieses Alpha entspricht dem Mittelwert aller split-half-Koeffizienten. Validität, d.h. GültigkeitUnter der Validität e<strong>in</strong>es Meß<strong>in</strong>struments versteht man das Ausmaß, <strong>in</strong> demdas Meß<strong>in</strong>strument tatsächlich das mißt, was es messen sollte. Wenn <strong>in</strong>e<strong>in</strong>er 3. Klasse <strong>in</strong> Mathematik Textaufgaben gestellt werden, wird<strong>in</strong>sbesondere das Sprachvermögen und nicht das mathematische Könnengetestet. Prüfungsangst.Die prognostische Validität (Vorhersagevalidität) gibt an, ob man auf Basisdes Ergebnisses Vorhersagen treffen kann (Hauptschulnoten besitzen ke<strong>in</strong>eprognostische Validität). Bei heterogenen Gruppen (z.B. Intelligenz) fällt e<strong>in</strong>ePrognose (z.B. Schulerfolg) e<strong>in</strong>facher als bei homogenen Gruppen. Beifehlender Streuung kann man methodisch ke<strong>in</strong>en Zusammenhang feststellen.Die Übere<strong>in</strong>stimmungsvalidität versucht das, was man gemessen hat, mite<strong>in</strong>em Außenkriterium zu vergleichen. Beispielsweise e<strong>in</strong>em andersgemessenen empirischen Kriterium. Dies geschieht im Gegensatz zurprognostischen Validität zum selben Zeitpunkt. Ist es s<strong>in</strong>nvoll, Schulnoten mite<strong>in</strong>em Intelligenztest zu vergleichen? Damit s<strong>in</strong>d sowohl prognostischeValidität als auch Übere<strong>in</strong>stimmungsvalidität Teilaspekte derKriteriumsvalidität.Inhaltsvalidität/Kontentvalidität: E<strong>in</strong>e Messung wird als <strong>in</strong>haltsvalidebezeichnet, wenn sie den zu erfassenden Merkmalsbereich <strong>in</strong>haltlichrepräsentiert.Die ökologische Validität besagt, ob e<strong>in</strong>e Übertragung beispielsweise aufden Berufsalltag möglich ist.Die Konstruktvalidität besagt, ob e<strong>in</strong> auf theoretischer Ebeneangenommener Zusammenhang auch empirisch gefunden wird. Dies setztdrei Arbeitsschritte voraus: Zunächst müssen <strong>die</strong> theoretischen Beziehungenzwischen den Konstrukten festgestellt werden, dann <strong>die</strong> empirischenzwischen den Operationalisierungen der Konstrukte und zuletzt muß


12 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>überprüft werden, ob <strong>die</strong> empirisch festgestellten Zusammenhänge <strong>die</strong>theoretisch vermuteten stützen oder nicht.Wenn man versucht, <strong>die</strong>se Kriterien zu erfüllen, bleibt e<strong>in</strong> anspruchsvoller,guter Unterricht auf der Strecke.Bei Berufsschulen gelten <strong>die</strong>se Kriterien, anders als bei allgeme<strong>in</strong>bildendenSchulen, <strong>in</strong> hohem Maße. Vor allem <strong>die</strong> Noten der Hauptschule s<strong>in</strong>d nichtaussagefähig.Validität setzt Reliabilität voraus, nicht aber umgekehrt. E<strong>in</strong> Instrument ist um soreliabler, je weniger zufällige Fehler <strong>die</strong> Messung bee<strong>in</strong>flussen, es ist um sovalider, je weniger systematische Fehler <strong>die</strong> Messung bee<strong>in</strong>flussen.Skalen: Nom<strong>in</strong>alskala (qualitativ): Gibt nur an, ob e<strong>in</strong> Merkmal identisch ist oder nicht,ohne jedoch zu werten, z.B. Farben, Geschlecht, Religion. Ord<strong>in</strong>alskala (komparativ): Ordnung, d.h. Reihenfolge, z.B. Schulnoten,Bildungsabschluß. Intervallskala (quantitativ): Differenzen, z.B. Temperatur <strong>in</strong> °C. Verhältnisskala (quantitativ): Verhältnisse, es kann gerechnet werden, z.B.E<strong>in</strong>kommen.


<strong>E<strong>in</strong>führung</strong> 131.1.2.3 Motivationale UnterrichtsmerkmaleMotivationale Unterrichtsmerkmale nach BOLTE (BOLTE-Kriterien)BOLTE behauptete, daß <strong>die</strong> Schulleistung um so besser ist, je stärker <strong>die</strong>Ausprägung der Kriterien s<strong>in</strong>d. Dies konnte bei Untersuchungen nicht bestätigtwerden.Motivationale Merkmale des Unterrichts von Auszubildendenkaufmännischer Ausbildungsberufe:1. Anforderungsprofilz.B. Ich verstehe den Unterrichtsstoff immer.2. Klassenmitarbeitz.B. Unsere Klasse strengt sich im Unterricht sehr an.3. Partizipationsmöglichkeitz.B. Unsere Berufsschullehrer berücksichtigen unsere Vorschläge.4. Partizipationsbereitschaftz.B. Ich versuche sehr oft, mich zu beteiligen.5. Thematische Relevanzz.B. Die Themen im Berufsschulunterricht f<strong>in</strong>de ich sehr <strong>in</strong>teressant.6. Allgeme<strong>in</strong>e Unterrichtszufriedenheitz.B. Mit me<strong>in</strong>em Berufsschulunterricht b<strong>in</strong> ich sehr zufrieden.Bed<strong>in</strong>gungen der Allgeme<strong>in</strong>en Unterrichtszufriedenheit:1. Zufriedenheit mit dem Leistungs- und VertrauensthemaZ.B. Ich b<strong>in</strong> damit zufrieden, wie me<strong>in</strong>e Berufsschullehrer mir den Stoffvermitteln (wie mir der Stoff zur Aneignung angeboten wird).2. UnterrichtserwartungszufriedenheitZ.B. Ich b<strong>in</strong> damit zufrieden, wie me<strong>in</strong> Berufsschulunterricht me<strong>in</strong>ebetriebliche Ausbildung ergänzt.


14 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Bei Erfüllung der Merkmale wird gute Schulleistung und e<strong>in</strong> größerer Lernerfolgvermutet.Behauptungen: Diese Kriterien haben mit der Zufriedenheit, nicht aber mit derLeistung zu tun. Diese Kriterien sagen <strong>in</strong> der Berufsschule nichts über <strong>die</strong>Schulleistung (Noten) aus.Modell für <strong>die</strong> empirische Prüfung struktureller Zusammenhänge:BerufsschuleAusbildungsjahrGeschlechtAlterSchulischeVorbildungKlassenmitarbeitZufriedenheit mitdem LeistungsundVertrauensthemaBerufsschulklassePartizipationsmöglichkeitPartizipationsbereitschaftAnforderungsprofilUnterrichtserwartungszufriedenheitAllgeme<strong>in</strong>eUnterrichtszufriedenheitSchulnotenZufriedenheitmit derBerufswahlThematischeRelevanz


<strong>E<strong>in</strong>führung</strong> 15Unterrichtszufriedenheit, Lehrerbild des Schülers und allgeme<strong>in</strong>eUnterrichtserwartungen:Was muß e<strong>in</strong> Lehrer tun, um bei se<strong>in</strong>en Schülern beliebt zu se<strong>in</strong>?(Unterrichtszufriedenheit)Unterrichtszufriedenheit alskognitiv-evaluative E<strong>in</strong>stellungzur SchulsituationWahrnehmung und Beurteilungdes LehrersAllgeme<strong>in</strong>eUnterrichtserwartungenLeistungsthemaVertrauensthemaPrüfungsvorbereitungErgänzungder betriebl.AusbildungLeistungsthema: Fachliche Kompetenz Didaktische Kompetenz Diszipl<strong>in</strong>/DurchsetzungsvermögenSchüler bemerken Unsicherheit beim Lehrer Es ist besser, Unsicherheitenzuzugeben.Vertrauensthema: Wärme Empathie/E<strong>in</strong>fühlungsvermögen Wunscherfüllung


16 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Unterrichtszufriedenheit als Vergleich zwischen unterrichtlichenMerkmalen und <strong>in</strong>dividuellen Erwartungen:UnterrichtszufriedenheitBestimmte Merkmaledes UnterrichtsErwartungen„Standards“LeistungsthemaVertrauensthemaPrüfungsvorberitungErgänzungder betriebl.AusbildungGrundsätzlich s<strong>in</strong>d immer zwischen 60 und 80% der Leute zufrieden. Zu hoheAnsprüche hält man nicht durch.


<strong>E<strong>in</strong>führung</strong> 171.1.3 Empirische ÜberprüfungEmpirisch struktureller Zusammenhang der erhobenen Variablen mit(ausgewählten) aufgeklärten Variablen (> 15%)Allg. UnterrichtszufriedenheitSchulnoten20,5 %15,7 %23,2 %Zufriedenheit mit dem Leistungs-und VertrauensthemaUnterrichtserwartungszufriedenheitSchulischeVorbildung30,2 %Partizipationsmöglichkeit26,3 %Thematische Relevanz21 %19,9 %BerufsschuleBerufsschulklasseErgebnis der Untersuchung: Die Schulnoten hängen von der schulischen Vorbildung ab. Motivationale Merkmale führen zur Zufriedenheit, nicht aber zu gutenLeistungen. Motivation + Zufriedenheit Schulleistung <strong>in</strong> der Berufsschule. Allgeme<strong>in</strong>e Unterrichtszufriedenheit hängt vom Leistungs- undVertrauensthema und der Unterrichtserwartungszufriedenheit ab.


18 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Mögliche Interpretationen:1. Unterrichtszufriedenheit ist Wert an sich.2. Es besteht ke<strong>in</strong> Zusammenhang zwischen Zufriedenheit und Leistung.3. Unterrichtszufriedenheit hat nichts (bloß über Umweg) zu tun mit BOLTE-Kriterien.Anm.: Zwischen Intelligenz und Motivation besteht ke<strong>in</strong> Zusammenhang.1.2 Struktur der <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Seit Mitte der 60er Jahre heißt es <strong>Erziehungswissenschaft</strong> statt Pädagogik.Pädagogik und <strong>Erziehungswissenschaft</strong> werden identisch verwendet, wobei<strong>Erziehungswissenschaft</strong> nach dem 2. WK e<strong>in</strong> offensiv verwendeter Begriff war(Wissenschaftscharakter), der sich mehr und mehr durchsetzt. Frage nach demVerhältnis von Wissenschaft und Praxis.1.2.1 Gliederung der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> (nach DIETRICH)Pädagogik/<strong>Erziehungswissenschaft</strong>Allgeme<strong>in</strong>e Pädagogik(mit Päd. Anthropologie,Philosophie der Erziehung,Erziehungstheorie,BildungspolitikBesonderePädagogikenVergleichendePädagogikHistorischePädagogikVorschulpädagogikSchulpädagogikFamilienpädagogikSozialpädagogikBetriebspädagogikusw.Theorie derSchule undSchulorganisationTheorie des Lehrplans(Curriculumstheorie)Theorie desUnterrichts


<strong>E<strong>in</strong>führung</strong> 19Allgeme<strong>in</strong>e Pädagogik: Grundlegende Begriffe: Bildung, Erziehung, Lernen, Sozialisation, K<strong>in</strong>dheit,Jugend. Pädagogische Anthropologie fragt nach dem Menschenbild. Behaviorismusoder genetisches Erbe. Allerd<strong>in</strong>gs: Mensch muß lernfähig se<strong>in</strong>, sonst nutztPädagogik nichts. Philosophie der <strong>Erziehungswissenschaft</strong>: Normative Fragen, Erziehungs- undBildungsziele. Erziehungstheorie: Interaktionsprozess (face to face) oderReproduktionsprozess der Gesellschaft. Selbsttätigkeit: Schüler muß sichStoff selbst aneignen. Bildungspolitik: z.B. Gesamtschule.Vergleichende Pädagogik: Schulsystem <strong>in</strong> verschiedenen Ländern Bildungsökonomie: Input/Output. Bildungssoziologie: Bevorzugung/Benachteiligung von Volksgruppen. Bildungspolitik: Wie werden <strong>die</strong> theoretischen Ansätze durch politischesHandeln umgesetzt.Historische Pädagogik: Geschichte des Bildungs- und Erziehungswesens. Z.B. gibt es den BegriffJugend erst ab Ende des 18. Jahrhunderts. Gesamtschulen auch <strong>in</strong> der Weimarer Republik.Besondere Pädagogiken: Vorschulpädagogik:Von der Geburt bis zum Schule<strong>in</strong>tritt oder vom 3. Lebensjahr bis zumSchule<strong>in</strong>tritt. Gegenstände: K<strong>in</strong>dergarten, Schulk<strong>in</strong>dergarten,Sonderk<strong>in</strong>dergarten, K<strong>in</strong>dergrippen, Säugl<strong>in</strong>gs- und K<strong>in</strong>derheime (BegriffK<strong>in</strong>dergarten geht auf FRÖBEL zurück, der 1836 ersten K<strong>in</strong>dergartene<strong>in</strong>richtete, Namen durch Vergleich mit Gärtner).


20 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Schulpädagogik:- Theorie der Schule und Schulorganisation: Z.B. Vor- und Nachteile desdreigliedrigen Schulsystems. Aufgaben: Qualifikation, Selektion,Integration <strong>in</strong> <strong>die</strong> Gesellschaft.- Theorie des Lehrplans: Curriculumtheorie. Ob offen (nur Gerüstvorgegeben, Handlungsspielraum des Lehrers) oder geschlossen (allesvorgegeben, Vorteil: Vergleichbarkeit). Welche Freiheiten hat e<strong>in</strong> Lehrer(Zeitlich, Leistungsbewertung, ...).- Theorie des Unterrichts: Bed<strong>in</strong>gungen/Faktoren für guten Unterricht. Wasist guter Unterricht, wie wird er gestaltet. Didaktische Modelle(Unterrichtsplanung, -durchführung, -bewertung).Familienpädagogik:- Historische Entwicklung- Aktuell: Kle<strong>in</strong>familie, Scheidungsrate, schichtspezifisch (soziale Herkunftbestimmt Schulfähigkeit und Schulreife, z.B. <strong>die</strong> Sprachfähigkeit).Sozialpädagogik:Greift auf, was Familie und Schule nicht mehr leisten.- Sozialhilfe- Jugendhilfe- Schulische SozialarbeitBetriebspädagogik (berufsbildende Schulen):Betriebliche Ausbildung: Berufs- und Wirtschaftspädagogik (gewerblichtechnisch,kaufmännisch-verwaltend)


<strong>E<strong>in</strong>führung</strong> 21Bsp.: Problem <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> Gesamtschule Allgeme<strong>in</strong>e Pädagogik: Z.B. Bildungsbegriff Schulpädagogik: Lehrpläne, Organisation Vergleichende Pädagogik: Andere Länder Historische Pädagogik: Welche Erfahrungen gibt es aus der Vergangenheit.1.2.2 Struktur der Pädagogik (nach LENZEN 1989)1. Ebene der Subdiszipl<strong>in</strong>enEs bestehen <strong>in</strong> allen Bereichen elaborierte Theorien mit Fachvertretern(Institute und Lehrstühle).- Allgeme<strong>in</strong>e/Systematische Pädagogik- Sozialpädagogik- Berufs- und Wirtschaftspädagogik- Vergleichende Pädagogik- Schulpädagogik/Unterrichtswissenschaft- Erwachsenenpädagogik (VHS)- Sonderpädagogik- Vorschulpädagogik2. Ebene der FachrichtungenNoch ke<strong>in</strong> wissenschaftliches Fach.- Ausländerpädagogik- Freizeitpädagogik- Me<strong>die</strong>npädagogik (Bee<strong>in</strong>flussung durch Werbung. Lila Pause K<strong>in</strong>derme<strong>in</strong>en, daß Kühe lila s<strong>in</strong>d)- Museumspädagogik- Betriebspädagogik (betriebliche Ausbildung)- Verkehrspädagogik- Umweltpädagogik


22 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>- Friedenspädagogik- Sexualpädagogik3. Ebene der Praxisfelder („xy-Erziehung“)- Friedenserziehung- Gesundheitserziehung- Schule- Verkehrserziehung- Sexualerziehung- UmwelterziehungVon <strong>die</strong>sen drei Ebenen der Struktur s<strong>in</strong>d zu unterscheiden:4. Bezugswissenschaften- Psychologie (pädagogische Psychologie Lernen, denken, Motivation)- Soziologie (pädagogische Soziologie Bevorzugung undBenachteiligung im Bildungswesen, z.B. „katholisches Arbeitermädchenvom Lande“ als Gruppe, <strong>die</strong> benachteiligt ist; Sputnik Osten läuft demWesten davon, entsprechende Ausbildung)- Recht (Recht der Jugend und des Bildungswesens: Schulrecht, Privatrecht)5. Hauptströmungen, Metatheorien- Geisteswissenschaftliche Pädagogik- Empirisch-analytische <strong>Erziehungswissenschaft</strong> (Erfahrungswissenschaft)- Kritische <strong>Erziehungswissenschaft</strong> (Kritisch-gesellschaftlicher Bezug)6. Pädagogische „Lehren“Ke<strong>in</strong> Status e<strong>in</strong>er Wissenschaft.- Montessoripädagogik (1. K<strong>in</strong>derhaus Rom 1907)- Waldorfpädagogik (Anthroposophie von STEINER)- Antiautoritäre Pädagogik


<strong>E<strong>in</strong>führung</strong> 23- Sozialistische PädagogikLernkontrollfragen: Skizzieren oder beschreiben Sie <strong>die</strong> Struktur der <strong>Erziehungswissenschaft</strong>nach DIETRICH. Vergleichen Sie <strong>die</strong> Struktur der Pädagogik nach DIETRICH und LENZEN.


24 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>2 Hauptströmungen der <strong>Erziehungswissenschaft</strong>(Metatheorien der <strong>Erziehungswissenschaft</strong>)TheorienObjekttheorienMetatheorien1. Objekttheorien:Theorien von den Gegenständen e<strong>in</strong>es Bereiches, z.B. Familienpädagogik,Theorie der Schule. Welche Vorstellung hat e<strong>in</strong> Forscher von e<strong>in</strong>emGegenstand. Objekttheorien begründen noch ke<strong>in</strong>e unterschiedlichenRichtungen.2. Metatheorien:Wissenschaftstheorien (Theorie über Theorie), was ist <strong>Erziehungswissenschaft</strong>?Paradigmata (Grundmuster) wissenschaftlichen Denkens und Forschens.Geisteswissenschaftliche PädagogikEmpirsch-analytische <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Kritische <strong>Erziehungswissenschaft</strong>2.1 Geisteswissenschaftliche PädagogikDom<strong>in</strong>ant <strong>in</strong> der Zeit von Weimar bis 1933 und von 1945 bis Mitte der 60erJahre.


Hauptströmungen der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 25Führende Vertreter: Hermann NOHL (1879-1960) Theodor LITT (1880-1962) Eduard SPRANGER (1882-1965) Wilhelm FLITNER (1889-1990) Erich WENIGER (1894-1961)Wichtige Vertreter heute: KLAFKI, BLANKERTZ.Geme<strong>in</strong>samer Bezugsrahmen ist <strong>die</strong> Philosophie Wilhelm DILTHEYs (1833-1914)Gliederung der Wissenschaften nach Wilhelm DILTHEY:Dilthey ist der Vater der modernen geisteswissenschaftlichen Pädagogik. Erzählte <strong>die</strong> Pädagogik nicht zu den normativen Wissenschaften, nicht zu denNaturwissenschaften, nicht zu den Formalwissenschaften, sondern zu denGeisteswissenschaften. Geisteswissenschaften geht es um das Verstehen, nichtum das Erklären (im S<strong>in</strong>ne experimentell überprüfbarer mathematischformulierbarer Gesetzmäßigkeiten). „E<strong>in</strong>gehen auf den E<strong>in</strong>zelnen“. Verstehen alsmethodischer Grundbegriff. Normative Wissenschaften (Theologie, Philosophie, Ethik) Geisteswissenschaften (Pädagogik, BWL, VWL) Naturwissenschaften (Physik, Chemie. Ziel: Phänomene erklären) Formalwissenschaften (Mathematik)Aus heutiger Sicht ist <strong>die</strong>se E<strong>in</strong>teilung nicht mehr ganz aktuell. Teilt man <strong>die</strong>Wissenschaften <strong>in</strong> Real- und Formalwissenschaften e<strong>in</strong>, so gehört <strong>die</strong> Pädagogikals Sozialwissenschaft zu den Realwissenschaften.


Hauptströmungen der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 273. Hermeneutische VerfahrenVerstehen gilt als methodischer Grundbegriff der geisteswissenschaftlichenPädagogik. Dabei geht es der Hermeneutik sowohl um <strong>die</strong> historischeRekonstruktion und geschichtliche Deutung als auch um <strong>die</strong> unmittelbareverstehende S<strong>in</strong>ndeutung der Erziehungswirklichkeit. Die Hermeneutik hat damite<strong>in</strong>e doppelte Aufgabe. Wieso ist e<strong>in</strong> Schüler unkonzentriert? ZahlreicheAspekte.BeziehungenEigenes SituationsverständisLebensgeschichteKonflikteUnkonzentrierterSchülerLebenskontextAndereFaktoren4. Relative Autonomie der Pädagogik:Zwar hat <strong>die</strong> Pädagogik ihre hermeneutischen Verfahren mit anderenWissenschaften geme<strong>in</strong>, aber ihr Gegenstandsbereich (<strong>die</strong> Erziehung derK<strong>in</strong>der) begründet zugleich e<strong>in</strong>e eigene Wissenschaft. Dieses Kultursystem derErziehung und Bildung macht <strong>die</strong> Konstituierung e<strong>in</strong>er Wissenschaft möglich underforderlich. DILTHEY und NOHL g<strong>in</strong>g es zudem darum, <strong>die</strong> Pädagogik aus ihrerAbhängigkeit von Ethik und Psychologie zu befreien.Die Pädagogik hat e<strong>in</strong>e eigenständige Funktion im Zusammenspiel dergesellschaftlichen und kulturellen Mächte zu erfüllen und dabei das Eigenrechtdes K<strong>in</strong>des gegenüber den Erwachsenen und gegenüber gesellschaftlichenGruppen zu behaupten. Aufgrund der Fülle erzieherischer Objektivationen iste<strong>in</strong>e systematische Pädagogik als übergreifende Diszipl<strong>in</strong> für <strong>die</strong> Vielzahlpädagogischer E<strong>in</strong>richtungen gefordert.


30 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>2.2 Empirisch-analytische <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Die Bezeichnung ist ebenfalls une<strong>in</strong>heitlich, andere Namen s<strong>in</strong>d: Empirische<strong>Erziehungswissenschaft</strong>, Kritisch-rationale <strong>Erziehungswissenschaft</strong>,positivistische <strong>Erziehungswissenschaft</strong>. Der empirisch-analytischen<strong>Erziehungswissenschaft</strong> liegt der kritische Rationalismus zugrunde. Sie wendetsich gegen „<strong>die</strong> methodische Naivität der geisteswissenschaftlichen Pädagogikim H<strong>in</strong>blick auf <strong>die</strong> Erfassung der jeweiligen gegenwärtigenErziehungswirklichkeit“ (KLAFKI).Typen pädagogischer Theorien (nach BREZINKA 1971):1. <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Wissenschaftliche Wissen: nomologisches (gesetzmäßig)erziehungstechnologisches Wissen über Kausalzusammenhänge (Ursache -Wirkung) und Zweck-Mittel-Relation. Kausalzusammenhänge gibt es <strong>in</strong> derPädagogik selten. <strong>Erziehungswissenschaft</strong> unterscheidet sich damit von derPädagogik. Alle normativen Sätze werden ausgeklammert. Der Mensch wirdzum Zweck. Hermeneutik gehört für BREZINKA nicht zur<strong>Erziehungswissenschaft</strong>.2. Philosophie der ErziehungPhilosophisches Wissen: Zielfragen, Moralfragen, Historiographie(Geschichte der Pädagogik). Normativ. Nach BREZINKA s<strong>in</strong>d normativeFragen nicht wissenschaftlich. Tatsächlich s<strong>in</strong>d sie es aber auch. Diepädagogische Verantwortung darf bei der Forschung nicht ausgeklammertwerden. Wenn man z.B. Unterrichtszufriedenheit untersucht, kommt man an<strong>die</strong>sen Fragen nicht vorbei.3. Praktische PädagogikPraktisches Wissen: „e<strong>in</strong>e für das Handeln taugliche oder e<strong>in</strong>e zum Handelnbefähigende normative Theorie der Erziehung“. Nach BREZINKA nichtwissenschaftlich, tatsächlich aber doch auch wissenschaftlich. Z.B. das


Hauptströmungen der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 31Referendariat nach dem Studium. Wie plane ich Unterricht, wie führe ich ihndurch und wie werte ich ihn aus? BREZINKA beschränkt <strong>Erziehungswissenschaft</strong> auf 1., <strong>die</strong>s ist nicht richtig.Es ist bedenklich, wenn ich mir ke<strong>in</strong>e Gedanken darüber mache, wieso ichetwas tue (vgl. 2.). BREZINKA <strong>in</strong>teressiert nur derBegründungszusammenhang. Als Professor muß man sich überlegen,welche Konsequenzen, welchen S<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>e Vorlesung hat, <strong>in</strong> unserem Fall,was sie uns für <strong>die</strong> Schulpraxis br<strong>in</strong>gt.Forschungslogischer Ablauf empirischer Untersuchungen (nachFRIEDRICHS):EntdeckungszusammenhangBegründungszusammenhangVerwertungs- undWirkungszusammenhanga) EntdeckungszusammenhangWie komme ich (als Forscher) auf <strong>die</strong> Problemstellung. Dies ist idealtypischauch heute noch Gegenstand der geisteswissenschaftlichen Pädagogik. Wiekomme ich beispielsweise dazu, Zufriedenheit von Schülern zu untersuchen?Dies ist für BREZINKA un<strong>in</strong>teressant. Die Gründe und Motive s<strong>in</strong>d vielfältig:Neugierde, e<strong>in</strong> drängendes soziales Problem, e<strong>in</strong>e Theorie, <strong>die</strong> getestetwerden soll, e<strong>in</strong> Forschungsauftrag, ...b) BegründungszusammenhangUntersuchung im engeren S<strong>in</strong>ne, Hypothesen Formulierung. Man stellt


Hauptströmungen der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 33Explanans: Gesetzesaussagen:G1: Für alle Schüler gilt <strong>in</strong> der Berufsschule: Je höher <strong>die</strong> Test<strong>in</strong>telligenz,desto ger<strong>in</strong>ger ist <strong>die</strong> Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit des Prüfungsversagens.G2: Je höher <strong>die</strong> schulische Leistungsmotivation, desto ger<strong>in</strong>ger ist <strong>die</strong>Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit des Schulversagens (wenn alle Schüler über <strong>die</strong> gleicheIntelligenz verfügen). Randbed<strong>in</strong>gungen/Antezedenzbed<strong>in</strong>gung:A1: Schüler hat niedrige Intelligenz.A2: Schüler verfügt über e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Leistungsmotivation.Ziel ist es, Schulversagen zu erklären.Bestimmte Aussagen kann man auch prognostizieren, solange dasExplanandum noch nicht e<strong>in</strong>getreten ist. Schüler X wird versagen.Das H-O-Schema liefert nur Wahrsche<strong>in</strong>lichkeitsaussagen.Anliegen der empirisch-analytische <strong>Erziehungswissenschaft</strong> ist also zu erklärenund zu prognostizieren.A 1 .......A nG 1 ......G n(Antezendenzbed<strong>in</strong>gung)(Gesetzesaussagen)ExplanansE(Ereignis)ExplanandumDie geisteswissenschaftliche Pädagogik würde dagegen eher versuchen, denSchüler zu verstehen, z.B. auf <strong>die</strong> Familie, den Betrieb, ... schauen.Theoriebegriff des kritischen Rationalismus (ALBERT 1973)


Hauptströmungen der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 35c. Das Explanans muß e<strong>in</strong>en empirischen Gehalt besitzen, d.h. empirischerfaßbar se<strong>in</strong>.d. Gesetze, aus denen das Explanans besteht, müssen „wahr“ se<strong>in</strong>.4. Induktiv-statistische ErklärungVom Speziellen (Stichprobe) zum Allgeme<strong>in</strong>en. Signifikanter Zusammenhangerfordert teils große Stichproben. Beispiel: Gesetz: Für 90% aller Fälle gilt:Wenn Personen e<strong>in</strong> Monatse<strong>in</strong>kommen von über 3.000 DM haben, besuchensie regelmäßig <strong>die</strong> Oper. Randbed<strong>in</strong>gung: Person X hat e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>kommen von3.200 DM. Explanandum: Person X besucht regelmäßig <strong>die</strong> Oper. DasExplanandum läßt sich vernünftigerweise erwarten, aber es ist weder logischdeduzierbar noch mit Sicherheit prognostizierbar.Auch für 1. und 3. ist <strong>die</strong> Praxis/Realität allerd<strong>in</strong>gs Voraussetzung, da ihreAussagen ja irgende<strong>in</strong>e Grundlage brauchen. Prognose und Technologienmüssen korrekterweise nach Systematik unterschieden werden.Def<strong>in</strong>itionen und Sätze der empirisch-analytischen<strong>Erziehungswissenschaft</strong> Nom<strong>in</strong>ale Def<strong>in</strong>itionNom<strong>in</strong>ale Def<strong>in</strong>itionen sagen, was der Fall se<strong>in</strong> sollte, nicht was tatsächlichder Fall ist. Sie können weder wahr noch falsch se<strong>in</strong>, nur brauchbar oderunbrauchbar. Es s<strong>in</strong>d Konventionen auf re<strong>in</strong> sprachlicher Ebene. Sie gebenalso an, was se<strong>in</strong> soll. Wahrheit gibt es <strong>in</strong> den Sozialwissenschaften nicht.Nom<strong>in</strong>ale Def<strong>in</strong>itionen kommen <strong>in</strong> den Sozialwissenschaften häufig vor. Dieempirisch-analytische Forschungslogik läßt nur <strong>die</strong>se Art Def<strong>in</strong>ition zu.Beispiel: Unter e<strong>in</strong>er sozialen Gruppe wollen wir e<strong>in</strong>e Personenmehrheitverstehen, <strong>die</strong> mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> Interaktion steht. Oder: E<strong>in</strong>e Großstadt hatmehr als 100.000 E<strong>in</strong>wohner. Nom<strong>in</strong>ale Def<strong>in</strong>itionen beruhen auf Konsens,man gibt D<strong>in</strong>gen, auf <strong>die</strong> man sich gee<strong>in</strong>igt hat, e<strong>in</strong>en Namen. E<strong>in</strong> Begriff wirddurch e<strong>in</strong>en anderen Begriff abgrenzt. Reale Def<strong>in</strong>ition


36 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Wie sieht es <strong>in</strong> der Realität unabhängig von unterschiedlichen Me<strong>in</strong>ungenaus, was ist tatsächlich der Fall. Was ist e<strong>in</strong> Hörsaal? Reale Def<strong>in</strong>itionenkönnen wahr oder falsch se<strong>in</strong>. Oft schwer: Z.B. Intelligenz: Jeder weiß, wases ist, aber was ist es real? In der Sozialforschung s<strong>in</strong>d nur nom<strong>in</strong>aleDef<strong>in</strong>itionen möglich. E<strong>in</strong> Begriff wird durch Wesensmerkmale (onthologisch)bestimmt.Operationale Def<strong>in</strong>itionE<strong>in</strong> Intelligenztest ist das, was e<strong>in</strong> Intelligenztest mißt (zirkulär theoretischkaum brauchbar. Sagt <strong>in</strong>haltlich nichts). Von <strong>die</strong>ser Def<strong>in</strong>ition wird verlangt,daß <strong>die</strong> Operation mit angegeben wird. Vorschrift, wie e<strong>in</strong> Gegenstandgemessen wird. Z.B.: Intelligenz ist das, was e<strong>in</strong>e Intelligenztest mißt. Aber:Es gibt verschiedene Intelligenzkonzepte. Angeboren? KulturfreieTestverfahren ohne Sprache und Mathematik „culture free“. Was ist e<strong>in</strong>schlechter Schüler? Gebräuchliche, operationale Antwort zieht <strong>die</strong> Noten(Abschlußnote) heran (hier z.B. Noten 4, 5, 6). E<strong>in</strong> wird mit Hilfebeobachtbarer Eigenschaften erklärt.Deskriptive Sätze beschreiben: Protokollsätze: S<strong>in</strong>guläre Fälle, z.B. jemand hat e<strong>in</strong>e Flasche umgeworfen. Allaussagen: Viele Fälle, z.B. <strong>in</strong> allen Hörsälen wird randaliert. Gelten füre<strong>in</strong>e Vielzahl von Fällen.


Hauptströmungen der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 37 Normative SätzeGeben Auskunft über e<strong>in</strong>e Norm: Z.B. berufliche Tüchtigkeit und Tüchtigkeitals Ziel <strong>in</strong> der Berufsausbildung. Haben wir oft <strong>in</strong> der Pädagogik. Wer Late<strong>in</strong>kann, ist gebildet. Präskriptive SätzeSagen, was zu tun ist, um etwas zu erreichen. Schreiben etwas vor. Didaktik:Wende e<strong>in</strong>e bestimmte Methode an, dann ... Didaktik ist oft präskriptiv. Hypothesen s<strong>in</strong>d Aussagen, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>en Zusammenhang zwischen m<strong>in</strong>destenszwei Eigenschaften (oder Variablen) postulieren. Gesetze s<strong>in</strong>d ihrer Struktur nach identisch mit Hypothesen. Man verwendetden Gesetzesbegriff jedoch vor allem dann, wenn sich <strong>die</strong> entsprechendeAussage bereits häufig an der Realität „bewährt“ hat. E<strong>in</strong>e Theorie ist e<strong>in</strong> ganzes Aussagensystem, das mehrere Hypothesen oderGesetze umfaßt. Operationalisierung bedeutet <strong>die</strong> Angabe e<strong>in</strong>er Anweisung, wie e<strong>in</strong>emtheoretischen Begriff beobachtbare Indikatoren zugeordnet werden. Variablen könne als zusammenfassender Begriff für verschiedeneAusprägungen e<strong>in</strong>er Eigenschaft angesehen werden (manifest, latent). Indikatoren s<strong>in</strong>d direkt beobachtbare (manifeste) Variablen.Konkret:- Gebildet ist, wer <strong>die</strong> und <strong>die</strong> Merkmale aufweist. Deskriptiv.- Wer Mathe, Physik und Französisch kann, ist gebildet. Normativ.- Gehe aufs Gymnasium, dann wirst du gebildet. Präskriptiv.- E<strong>in</strong> Chirurg kennt <strong>die</strong> Niere weder vom Aussehen noch von der Lage. Erentfernt e<strong>in</strong> Organ. Nach der Operation: Natürlich habe er <strong>die</strong> Niereentfernt, es sei schließlich e<strong>in</strong>e Nierenoperation gewesen. Dies ist e<strong>in</strong>eoperationale Def<strong>in</strong>ition im zirkulären S<strong>in</strong>ne.Wichtig: Es ist bei Aussagen stets zu prüfen, welches Verständnis zugrundeliegt.


38 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Der kritische Rationalismus fordert, daß Def<strong>in</strong>itionen nicht zirkulär s<strong>in</strong>d, sie sollennicht negativ formuliert se<strong>in</strong> und <strong>die</strong> zur Erklärung verwendeten Begriffe sollenmöglichst präzise se<strong>in</strong> und e<strong>in</strong>heitlich verwendet werden.


Hauptströmungen der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 39Begründungszusammenhang: Wie geht man im e<strong>in</strong>zelnen vor?Theorie- Welches Verständnis habe ich davon? Dannversucht man Begriffe abzuleiten, um Hypothesenaufzustellen.BegriffBegriff- Ableitungslogik? Def<strong>in</strong>itionen?IndikatorenVariablen=ausprägungHypotheseHypothesenMethodeStichprobeDatenerhebungAuswertungPrüfungInterpretationVariablenSkalen=qualität- Motivation ist nur dann wesentlich für Erfolg,wenn ähnliche kognitive Fähigkeiten vorhandens<strong>in</strong>d.- Auswahl und theoretische Begründung/Validität. Was z.B. zeigt an, daß Intelligenzvorliegt? Intelligenztest ist Indikator undOperation gleichzeitig.- Informationsgehalt? Beziehung? Wenn Schülerbestimmte Leistung <strong>in</strong> Intelligenztest, dann<strong>die</strong>ser oder jener Erfolg. Welche Ursache kannes haben, wenn Intelligenztest Schulerfolg.Z.B. an Intelligenztest, an der Intelligenzdef., ander Lehrerbeurteilung- Angemessenheit an Problemstellung (z.B.Beobachtung)- Angemessenheit:a) Gut - Schlecht (grob); IQ 80, 81, ... (fe<strong>in</strong>),Meßfehler.b) Gewöhnlich ke<strong>in</strong> absoluter Nullpunkt. IQ 140 doppelt so schlau IQ 70. Unterschied Note 1 und2 4 und 5. Intervalle ungleich (BestenfallsOrd<strong>in</strong>alskala, ke<strong>in</strong>e Intervallskala).- Repräsentativität (Alltag oft n = 1) Am Besten,wenn jedes Element der GrundgesamtheitChance hat, <strong>in</strong> <strong>die</strong> Stichprobe zu kommen.- Systemat. Fehler? Wie wurden Daten erfaßt?Fachleute, kurz e<strong>in</strong>gewiesene Laien?Beobachtungsfehler: Man schließt von Kleidernauf Intelligenz. Quatsch.- Numerische Modelle? Wichtig: Median istrichtig, nicht das arithmetische Mittel, das bei unsbei Klausuren verwendet wird.- Beschreibung, Analyse, Erklärung. Erstnachdenken, dann <strong>in</strong>terpretieren. Es gibt nichtspraktischeres als e<strong>in</strong>e gute Theorie


40 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Anmerkungen: E<strong>in</strong>e Theorie gibt an, welchen theoretischen H<strong>in</strong>tergrund ich habe. Sie ist derAusgangspunkt der Untersuchung. Man braucht e<strong>in</strong>e gute Theorie fürempirische Untersuchungen, da man sonst <strong>die</strong> Ergebnisse nicht<strong>in</strong>terpretieren kann. E<strong>in</strong> erheblicher Teil der Arbeit <strong>in</strong> der Phase derTheoriebildung besteht aus der Literaturanalyse, also der Sichtung undBewertung der zum Thema existierenden Fachliteratur. Die Theorie mußexplizit se<strong>in</strong>. Also ke<strong>in</strong>e naiv-implizite Alltagstheorie. E<strong>in</strong>e Theorie braucht klare Begriffe. Daher müssen <strong>die</strong> Begriffe def<strong>in</strong>iertwerden. Theorien können verschiedene Begriffe mite<strong>in</strong>ander verb<strong>in</strong>den. Hypothese: Je mehr für Schüler das Vertrauens- und Leistungsthema erfülltist, desto höher ist <strong>die</strong> Unterrichtszufriedenheit. Man muß Hypothesenaufstellen. Indikatoren und Variablen <strong>die</strong>nen dazu anzuzeigen, ob bestimmteMerkmale/Verhaltensweisen, ... vorliegen. Die Variablen müssen dabeiunterschiedliche Größen annehmen können. Ist e<strong>in</strong> Merkmal nicht variabel,kann ich es auch nicht untersuchen. Es ist dann un<strong>in</strong>teressant. Aufgrund der Indikatoren und Variablen stellt man e<strong>in</strong>e neue Hypothese auf,<strong>die</strong> nun nicht mehr re<strong>in</strong> theoretisch ist. Immer als Nullhypothese. Die Methode wird <strong>in</strong> <strong>in</strong>haltlicher Abhängigkeit von obiger Theorie gewählt,z.B. Beobachtung, Fragebogen. Sie muß für das Problem angemessen se<strong>in</strong>.Erst wenn ich das Problem theoretisch geklärt habe, kann ich mir über <strong>die</strong>Methode Gedanken machen. Frage nach der Variablenausprägung, Skalenqualität (vgl. 1.1.2.2). BeiSchulnoten kann man ke<strong>in</strong> arithmetisches Mittel berechnen. DieDifferenzierung der Variablen muß <strong>in</strong> Abhängigkeit vom Problem gewähltwerden. Stichprobe: Ist <strong>die</strong>se repräsentativ und ausreichend? Datenerhebung: z.B. Fragebögen austeilen. Treten systematische Fehlerauf? Zufällige Fehler können immer passieren. Auswertung, statistische Prüfung: Welches numerische Modell wende ichan? Bei Schulnoten Median und nicht das arithmetische Mittel berechnen.


Hauptströmungen der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 41 Interpretation: Man braucht e<strong>in</strong>e Theorie. Hat man zu Beg<strong>in</strong>n nicht richtignachgedacht, kann man nun das Ergebnis nicht <strong>in</strong>terpretieren. Konnte <strong>die</strong> Hypothese nicht falsifiziert werden, gilt sie als vorläufig gesichert,konnte sie falsifiziert werden, beg<strong>in</strong>nt man mit e<strong>in</strong>er neuer Hypothese. So differenziert, wie man sich das vorgestellt hat, fallen <strong>die</strong> Ergebnisse fastnie aus.Je nachdem ob <strong>die</strong> Ergebnisse mit der Theorie übere<strong>in</strong>stimmen, kann man <strong>die</strong>Theorie als vorläufig bestätigt ansehen, oder man muß neue Hypothesenaufstellen. Der Forschungsprozeß beg<strong>in</strong>nt dann von neuem.Kritik am Kritischen Rationalismus (und damit der empirisch-analytischen<strong>Erziehungswissenschaft</strong>):Vorgetragen nicht nur von <strong>Erziehungswissenschaft</strong>lern, sondern auch von denWissenschaftlern der „Frankfurter Schule“ (HORKHEIMER, MARCUSE,ADORNO, HABERMAS). Die „Frankfurter Schule“ ist <strong>die</strong> Grundlage für <strong>die</strong>kritische <strong>Erziehungswissenschaft</strong>.1. Fehlende theoretische Fun<strong>die</strong>rung der ForschungspraxisBeim Kritischer Rationalismus liegt <strong>die</strong> Betonung zu sehr auf derForschungspraxis, auf der Empirie. Z.B. Zufriedenheit gut festzustellen, aberwas bedeutet der Begriff Zufriedenheit; Daten<strong>in</strong>terpretation;„Fliegenbe<strong>in</strong>zählerei“. D.h. daß <strong>die</strong> Praxis zwar wichtig ist, gleiches aber auchfür <strong>die</strong> Theorie gilt. Vorab wird nicht <strong>in</strong>tensiv genug theoretisch nachgedacht.Man betreibt Forschung mit viel Mühe, nutzt Forschungs<strong>in</strong>strumente, ohnesich über den S<strong>in</strong>n Gedanken zu machen. Was br<strong>in</strong>gt mir daswissenschaftliche Ergebnis „der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“?2. ReduktionismusAuf Zielfragen wird verzichtet. Wichtig: Erst muß man das Ziel festlegen,dann <strong>die</strong> Methoden, <strong>die</strong> zum Ziel führen, den Weg zum Ziel. Es werdenpädagogische Zielfragen ausgeklammert. Komplexe pädagogische Probleme


42 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>werden unzulässig grob vere<strong>in</strong>facht, beispielsweise wird lediglich erfaßt, wieoft Schüler sprechen. Forschung <strong>in</strong> der Form des Kritischen Rationalismusneigt zu e<strong>in</strong>er relativ e<strong>in</strong>fachen Modellbildung, bei der man sich auf wenigeMerkmale beschränken muß. Dies wird der Komplexität der Realität nichtgerecht. Wobei <strong>in</strong> gewissem Maße stets e<strong>in</strong>e Reduktion nötig ist. Aber: OhneModelle geht es nicht. Man darf nur nicht unzulässig vere<strong>in</strong>fachen.3. VerantwortungslosigkeitAnalytische Forscher kümmern sich nicht darum, was aus ihren Ergebnissenwird, welche Folgen sie haben. Gleichgültigkeit gegenüberVerwertungszusammenhang (auch <strong>die</strong>ser gehört zur Wissenschaft).Entdeckungszusammenhang spielt ebenfalls ke<strong>in</strong>e Rolle.4. Determ<strong>in</strong>istisches ErziehungsverständnisDas K<strong>in</strong>d wird als Objekt der Erziehungstechnologien (Objekt technischerManipulation) betrachtet (technokratisches Verständnis). Dem E<strong>in</strong>zelnen wirdman dabei nicht mehr gerecht. Gewöhnlich bestehen korrelativeZusammenhänge, bei denen man Ursache und Wirkung nicht e<strong>in</strong>deutigbestimmen kann. Kausalpr<strong>in</strong>zip (wenn dann). Tatsächlich bestehen aberoft nicht kausale Zusammenhänge (Schuhgröße Körpergröße ist nichtkausal). Determ<strong>in</strong>istisches Erziehungsverständnis. Schüler wird komplett zumObjekt gemacht. Tatsächlich aber muß e<strong>in</strong> Lehrer se<strong>in</strong>e Schüler als Subjekt(Individuum, E<strong>in</strong>zelnen) sehen.5. Fehlender kritischer Gesellschaftsbezug (entscheidender Punkt)Erziehung hat auch gesellschaftlichen Bezug (z.B. historisch), <strong>die</strong>svernachlässigen sowohl geisteswissenschaftliche Pädagogik als auchempirisch-analytische <strong>Erziehungswissenschaft</strong>. „Elfenbe<strong>in</strong>turm“. Es wird z.B.nicht berücksichtigt, <strong>in</strong> welchem Umfeld unterrichtet wird. Dies hängt mit 3.zusammen. Aufgrund des Postulats der Wertfreiheit ist der KritischeRationalismus nicht gesellschaftskritisch.Die Bildungsreform der 70er Jahre baute auf <strong>die</strong> empirisch-analytische<strong>Erziehungswissenschaft</strong>. Die Bildungsreformen sollten empirisch abgesichertwerden.


Hauptströmungen der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 432.3 Kritische <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Die kritische <strong>Erziehungswissenschaft</strong> wendet sich gegen <strong>die</strong> traditionellenMetatheorien (geisteswissenschaftliche Pädagogik und empirisch-analytische<strong>Erziehungswissenschaft</strong>), da <strong>die</strong>sen der kritische Gesellschaftsbezug fehle. Derfehlende kritische Gesellschaftsbezug ist damit der Anknüpfungspunkt derkritischen <strong>Erziehungswissenschaft</strong>.ADORNO, Theodor: Erziehung nach Auschwitz„Die Forderung daß Auschwitz nicht noch e<strong>in</strong>mal sei, ist <strong>die</strong> allererste anErziehung. [...] Jede Debatte über Erziehungsideale ist nichtig und gleichgültig<strong>die</strong>sem e<strong>in</strong>en gegenüber, daß Auschwitz sich nicht wiederhole. Es war Barberei,gegen <strong>die</strong> alle Erziehung geht. Man spricht vom drohenden Rückfall <strong>in</strong> <strong>die</strong>Barberei. Aber er droht nicht, Auschwitz war er. Barberei besteht fort, so langeBed<strong>in</strong>gungen, <strong>die</strong> jenen Rückfall zeitigten, wesentlich fortdauern.“Stellvertretend für <strong>die</strong> kritische <strong>Erziehungswissenschaft</strong> enthält <strong>die</strong>se Aussagee<strong>in</strong>en normativen Teil (1. Satz) und es geht um den kritischenGesellschaftsbezug.Kritische <strong>Erziehungswissenschaft</strong> und kritische Argumente gegenüber dertraditionellen Theorie (Fragen/kritische Argumente der kritischen<strong>Erziehungswissenschaft</strong>, über <strong>die</strong> nachgedacht werden muß):1. Frage nach der Legitimation der PositivaWer entscheidet über <strong>die</strong> Legitimation des Gegebenen? Man muß dasGegebene (<strong>die</strong> Positiva/den Gegenstand) h<strong>in</strong>terfragen und ihn nichtgedankenlos akzeptieren. Positivismusstreit Mitte der 60er Jahre. Z.B. ist dasSchulsystem vorgegeben. Empirisch-analytische <strong>Erziehungswissenschaft</strong>verzichtet auf <strong>die</strong> Legitimation des gegebenen Schulsystems. LernschwacheSchüler werden über Intelligenztest ermittelt. Wann ist e<strong>in</strong> Schüler


44 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>lernschwach, bei welcher Zahl, was ist eigentlich bedeutend (Late<strong>in</strong>, Deutsch,...)?2. Frage nach der Subjekt (Forscher) - Objekt (Erforschte) TrennungKann man zwischen Forschern und Probanden trennen? Empirischanalytische<strong>Erziehungswissenschaft</strong> ( geisteswissenschaftliche Pädagogik)betrachtet ihren Gegenstand als bloßes Objekt. Je nach Standort geht manunterschiedlich an e<strong>in</strong>e Sache heran. Man kann nicht wertfrei se<strong>in</strong>. Es gibtke<strong>in</strong>e Wahrheit. D.h., je nachdem, wie das Subjekt (Forscher) <strong>in</strong> das Felde<strong>in</strong>greift, verändert sich <strong>die</strong>ses, d.h. wiederum, daß bei unterschiedlichemE<strong>in</strong>griff das Ergebnis unterschiedlich se<strong>in</strong> wird. Man kann nicht e<strong>in</strong>fachtrennen, sondern man muß den Schüler als Subjekt sehen. E<strong>in</strong>e strikteTrennung ist nicht möglich.3. Frage nach technologischer Rationalität und impliziter Parte<strong>in</strong>ahmeForscher hat Vorverständnis implizite Parte<strong>in</strong>ahme, d.h. das Postulat derWertfreiheit läßt sich nicht aufrechterhalten. Wissenschaft um derWissenschaft willen geht nicht (technologische Rationalität). Als Wert an sichnicht möglich. Rede von „Sachzwängen“ verschleiert das. Jeder hat e<strong>in</strong>eeigene Position/Me<strong>in</strong>ung Parte<strong>in</strong>ahme. Darüber muß der ForscherRechenschaft ablegen. Schon alle<strong>in</strong> <strong>die</strong> Forderung nach Wertfreiheit stelltselbst e<strong>in</strong>e Wertung dar.4. Frage nach dem (dogmatischen) WissenschaftsverständnisEmpirisch-analytische <strong>Erziehungswissenschaft</strong> ( geisteswissenschaftlichePädagogik) sagt: Nur was empirisch erforschbar ist, darf Gegenstand vonWissenschaft se<strong>in</strong> dogmatisches (enges) Wissenschaftsverständnis. Z.B.wäre Theologie ke<strong>in</strong>e Wissenschaft mehr. Dagegen wendet sich <strong>die</strong> kritische<strong>Erziehungswissenschaft</strong>. Empirisch-analytische <strong>Erziehungswissenschaft</strong>verwendet Qualifikation statt Bildung, da ke<strong>in</strong> empirisches Äquivalent fürBildung vorhanden ist das Menschenbild der empirisch-analytischen<strong>Erziehungswissenschaft</strong> ist kritisch zu h<strong>in</strong>terfragen.5. Frage nach dem (konservativen) Wirklichkeitss<strong>in</strong>nDieser liegt beiden traditionellen Metatheorien zugrunde. E<strong>in</strong> utopischerMöglichkeitss<strong>in</strong>n wird gegenüber dem konservativen Wirklichkeitss<strong>in</strong>n


Hauptströmungen der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 45konsequent vernachlässigt. Die bisherigen Theorien fragen also nicht, wie siesich <strong>die</strong> optimale Schule vorstellen.6. Frage nach der Angemessenheit nomothetischer ForschungsansätzeNomothetisch: Generalisierbar, gesetzmäßig, Ansätze, <strong>die</strong> auf Allgeme<strong>in</strong>eszielen. Dagegen zielen ideographische Forschungsansätze auf dasIndividuelle, das Besondere, <strong>die</strong> S<strong>in</strong>gularität. Es ist nicht möglich,nomothetisch zu sagen, wieso e<strong>in</strong> konkreter Betrieb Konkurs machte. E<strong>in</strong>eKomb<strong>in</strong>ation aus beiden wäre nicht schlecht. Der Mensch bleibt Individuum.Die empirisch-analytische <strong>Erziehungswissenschaft</strong> vernachlässigt das.Außerdem:7. Frage nach der „relativen Autonomie“ der Pädagogik.Die „relative Autonomie“ ist e<strong>in</strong>e geisteswissenschaftliche Vorstellung. NachAnsicht der kritische <strong>Erziehungswissenschaft</strong> kann das Geschehen desUnterrichts nicht losgelöst von sozialen Bed<strong>in</strong>gungen gesehen werden. Damitist <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong> nicht autonom.8. Frage nach den Voraussetzungen von Hermeneutik und Empirie.Geisteswissenschaft geht von der Hermeneutik aus. Über Empirie kann mannur feststellen, was ist und nicht was se<strong>in</strong> sollte. Kritische Theorie sagt, esgibt ke<strong>in</strong>e Objektivität (im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er absoluten Wahrheit), sondern nurSubjektivität. Damit s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Voraussetzungen von Empirie (statistischeErhebungsverfahren) und Hermeneutik theorielos.9. Frage nach technokratischer Verfügungsgewalt und ihrer ideologischenRechtfertigung.Dabei geht es um <strong>die</strong> Frage nach dem Verwertungszusammenhang. Wie wirdetwas <strong>in</strong>terpretiert.10. Frage nach dem Erkenntnis<strong>in</strong>teresse von Wissenschaft.Welche Ziele verfolgen wir mit Wissenschaft? Kritische Theorie hat sehr starkdas Ziel der Emanzipation geprägt. Erkenntnisswissenschaft soll denMenschen von äußeren Zwängen befreien und so emanzipieren.


46 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Gegenüberstellung aus KAISER/KAISER: Stu<strong>die</strong>nbuch PädagogikTraditionelle TheorieKritische TheorieVerfahren Erklären bzw. Verstehen GesellschaftskritikAufgabe vonWissenschaftRe<strong>in</strong>e Erkenntnis, d.h. Erklärungum der Erklärung willen. Anm.:Diese Aussage ist falsch, da <strong>die</strong>Veränderung derWirklichkeit, derGesellschaft.geisteswissenschaftliche Pädagogikvom Primat der Praxis ausgeht.Ziel vonWissenschaftWahrheit Anm.: Das trifft für beidenicht zu. Empirisch-analytische<strong>Erziehungswissenschaft</strong> willfalsifizieren.Emanzipation, d.h.Befreiung des Menschenaus gesellschaftlichenZwängen.An <strong>die</strong>sem Beispiel zeigt sich, daß auch das, was <strong>in</strong> Büchern steht, nichtunbed<strong>in</strong>gt richtig ist. Man muß das Gelesene kritisch reflektieren!Anm.: Objekt ist immer e<strong>in</strong> Stück weit auch Subjekt.


Hauptströmungen der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 47Entdeckungszusammenhang: Geisteswissenschaftliche Pädagogik.Begründungszusammenhang: Empirisch-analytische <strong>Erziehungswissenschaft</strong>.Verwertungszusammenhang: Kritische <strong>Erziehungswissenschaft</strong>.Worum geht es der kritischen <strong>Erziehungswissenschaft</strong>? Die Erziehungspraxis ist durch <strong>die</strong> Gesellschaft bed<strong>in</strong>gt. Auch <strong>die</strong> Wissenschaft selbst ist durch <strong>die</strong> Gesellschaft bed<strong>in</strong>gt, muß kritischreflektiert werden. Emanzipation als Leitbegriff, Selbstbestimmung der Subjekte muß gefördertwerden. Kritische <strong>Erziehungswissenschaft</strong> wird auch emanzipatorische<strong>Erziehungswissenschaft</strong> genannt.Kritische <strong>Erziehungswissenschaft</strong> hat normative Basis, es geht um Aufklärung,Vernunft, Emanzipation, Selbstbestimmung. Bildung muß als gesellschaftlicherProzeß verstanden werden. Ideologiekritik als Methode.Kritik: Alles gesellschaftlich erklären zu wollen, führt zu e<strong>in</strong>er Verengung derInterpretationsperspektive. Ist kritische <strong>Erziehungswissenschaft</strong> mehr als <strong>die</strong>Negation des Bestehenden, von Herrschaft?


48 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>3 Methoden der <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Den verschiedenen Metatheorien liegen entsprechende Forschungsmethodenzugrunde. Frage/Problem: Woher wissen wir das, was wir wissen? Wie kommte<strong>in</strong> Wissenschaftler zu se<strong>in</strong>er Erkenntnis? Man muß den Weg (<strong>die</strong> Methode)angeben, der zu e<strong>in</strong>er Erkenntnis (Aussage) geführt hat. Dabei greifengeisteswissenschaftliche Pädagogik und kritische <strong>Erziehungswissenschaft</strong> aufqualitative Verfahren zurück, <strong>die</strong> empirisch-analytische <strong>Erziehungswissenschaft</strong>auf quantitative Verfahren.3.1 HermeneutikHermeneutische Verfahren s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Hauptmethode dergeisteswissenschaftlichen Pädagogik. Bis weit <strong>in</strong> <strong>die</strong> 60er Jahre herrschte siefast ausschließlich vor (u.a. LANGEVELD). Ziel ist das Verstehen. Ursprünglichg<strong>in</strong>g es der Hermeneutik um <strong>die</strong> Auslegung biblischer Texte. Beispielsweisedarum, was Geist ist, ... Neben literarischen Texten beschäftigt sich <strong>die</strong>Hermeneutik heute auch mit Filmen,...Mit Hilfe der Hermeneutik möchte der wissenschaftliche Leser mehr erfahren, alssich dem naiven Lesen von selbst erschließt. Neben das verstehen von Texten(engere Def<strong>in</strong>ition) kann das gesamte Verstehen der Erziehungswirklichkeit <strong>in</strong>der Hermeneutik zusammengefaßt werden. Sie ist damit <strong>die</strong> Theorie von derAuslegung und Interpretation. Ziel ist e<strong>in</strong>e wissenschaftliche Ause<strong>in</strong>andersetzungbeispielsweise mit Texten, d.h. <strong>in</strong> <strong>in</strong>tersubjektiv überprüfbarer Form. Damit s<strong>in</strong>dhermeneutische Verfahren wissenschaftliche Verfahren, <strong>die</strong> auf e<strong>in</strong>e rationale,methodisch durchdachte und überprüfbare Auswertung von s<strong>in</strong>nhaftenDokumenten, <strong>in</strong>sbesondere Texten, abzielen.Def<strong>in</strong>ition Verstehen (DANNER 1979)


Methoden der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 49Verstehen ist das Erkennen von etwas als etwas (Menschliches) und gleichzeitigdas Erfassen se<strong>in</strong>er Bedeutung.Geht nur, wenn der Beobachtende Vorverständnis für beobachteten Sachverhaltmitbr<strong>in</strong>gt (Bayerischer Bauer <strong>in</strong> Hamburger Gesamtschule). Der „Versteher“ mußgleiches kulturelles Vorverständnis haben, wie der Verfasser. Es muß e<strong>in</strong>geme<strong>in</strong>sames Symbolverständnis von Beobachter und Beobachtetem vorhandense<strong>in</strong>. Wie verstehe ich Prüfl<strong>in</strong>g? So wie ich selbst Prüfungen erlebte. Bekommtder Prüfl<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>en We<strong>in</strong>krampf, so ordnet man <strong>die</strong>sem Zeichen e<strong>in</strong>e bestimmteBedeutung zu. Verstehen bezieht sich gewöhnlich auf den E<strong>in</strong>zelfall erklären.Z.B. We<strong>in</strong>krampf <strong>in</strong> Prüfung: nicht nomothetisch ke<strong>in</strong>e Regel E<strong>in</strong>zelfall verstehen wenn ich e<strong>in</strong>en verstehe, verstehe ich noch lange nicht alle. Mitallgeme<strong>in</strong>en Gesetzen kann ich den We<strong>in</strong>krampf nicht erklären.Interpret Zeichen BedeutungDer Interpret nimmt e<strong>in</strong> Zeichen wahr. Er versucht e<strong>in</strong>e Auslegung derBedeutung e<strong>in</strong>es Zeichens.Hermeneutische Verfahren haben ihren Platz im Prozeß der Hypothesenbildung,bei der Interpretation der Ergebnisse und beim Versuch, e<strong>in</strong>en Konsens unterWissenschaftlern zu schaffen. Fragestellungen und Thesen empirischerUntersuchungen können durch hermeneutische Analyse gewonnen werden,umgekehrt müssen hermeneutisch ermittelte Aussagen über <strong>die</strong> Realität durchempirische Verfahren überprüft werden, bevor sie als wissenschaftlichabgesichert gelten können.


50 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Regeln der Auslegung (nach KLAFKI):Die Regeln sollen helfen, beim Verstehen regelgeleitet vorzugehen. KLAFKInennt sie Arbeitsschritte (Kursiv KLAFKI wörtlich). Die Bedeutung dere<strong>in</strong>zelnen Arbeitsschritte verdeutlicht KLAFKI anhand e<strong>in</strong>es Textes vonHUMBOLDT.1. Explikation des VorverständnissesWelches Vorverständnis hat der Interpret. Dies darzustellen ist wichtig, damitdas Herangehen e<strong>in</strong>es Forschers (se<strong>in</strong>e Problemstellung) an e<strong>in</strong>e Sache fürandere verständlich wird. E<strong>in</strong> Forscher geht stets entsprechend se<strong>in</strong>emVorverständnis an e<strong>in</strong>e Sache heran. Damit se<strong>in</strong>e Ergebnisse <strong>in</strong>tersubjektivüberprüfbar s<strong>in</strong>d, muß se<strong>in</strong> Vorverständnis bekannt se<strong>in</strong>.Text<strong>in</strong>terpretation erfolgt immer unter bestimmten Fragestellungen, und <strong>in</strong> derFragestellung drückt sich e<strong>in</strong> bestimmtes Vorverständnis des zuuntersuchenden Zusammenhanges aus. Der Interpret verfährt unreflektiert,wenn er sich das <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Fragestellung steckende Vorverständnis nichtbewußt macht. Dieses Vorverständnis ist jedoch nicht etwa e<strong>in</strong> bedauerlicherStörfaktor für das Auslegungsverfahren, so als wäre das voraussetzungsloseHerangehen an e<strong>in</strong>en Text <strong>die</strong> anzustrebende Idealform; vielmehr ist <strong>die</strong>Fragestellung und das dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>geschlossene Vorverständnis <strong>die</strong>Voraussetzung dafür, daß e<strong>in</strong> Text überhaupt <strong>in</strong>terpretiert werden kann.Damit <strong>die</strong> Aussagen des Interpreten aber von anderen überprüft werdenkönnen, muß der Interpret se<strong>in</strong>e Fragestellung und se<strong>in</strong> Vorverständnisformulieren.2. Ständige Überprüfung des Vorverständnisses (der Fragestellung)Während der Fall<strong>in</strong>terpretation ist stets zu prüfen, ob man se<strong>in</strong>Vorverständnis aufrechterhalten kann oder ob sich der Blickw<strong>in</strong>kel geänderthat. Offenheit. Versuch „Vorurteil“ zu widerlegen. Falsifikationspr<strong>in</strong>zip. DieAnalyse des Textes kann auf <strong>die</strong> ursprüngliche Fragestellung und das dar<strong>in</strong>steckende Vorverständnis zurückwirken. Vgl. auch hermeneutischer Zirkel alsallgeme<strong>in</strong>es Kennzeichen hermeneutischer Verfahren.


Methoden der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 51Die vorgängige Fragestellung und das dar<strong>in</strong> sich ausdrückendeVorverständnis müssen am Text bzw. an den Texten selbst immer wiederüberprüft und ggf. geändert werden.3. Quellen- beziehungsweise TextkritikWer, was protokolliert. Quelle kritisch betrachten. Ist <strong>die</strong> Quelle authentisch,z.B. abschreiben von e<strong>in</strong>em Abschreibenden Fehlerkette. In welcherEpoche ist e<strong>in</strong>e Quelle entstanden? Was für e<strong>in</strong>e Quelle liegt vor?E<strong>in</strong>e der wichtigsten Voraussetzungen für e<strong>in</strong>e wissenschaftlicheAuse<strong>in</strong>andersetzung mit Texten ist <strong>die</strong> Quellen- bzw. Textkritik.4. Begriffsbedeutungen (semantischer Aspekt)Was genau bedeuten <strong>die</strong> verwendeten Begriffe? Z.B. Klasse als Schulklasseoder als Gesellschaftsklasse. „Klasse von Menschen“ ist für HUMBOLDTetwas anderes als für MARX. Häufig redet man ane<strong>in</strong>ander vorbei. Dahermuß <strong>die</strong> Bedeutung der Begriffe geklärt werden. Insbesondere machenBegriffe häufig e<strong>in</strong>en geschichtlichen Bedeutungswandel durch.E<strong>in</strong> notwendiges Moment der Interpretation ist <strong>die</strong> Frage nach der Bedeutunge<strong>in</strong>zelner Worte oder Formen e<strong>in</strong>es Textes. Mit dem Fachterm<strong>in</strong>usausgedrückt: es handelt sich um den semantischen Aspekt, d.h. also den auf<strong>die</strong> Wortbedeutung gerichteten Aspekt der Interpretation.5. Entstehungskontext des TextesIn welchem Zusammenhang und aus welchem Grund ist der Text entstanden.Autoren, Zeitpunkt, freiwillig oder nach Aufforderung, Streitschrift oderwissenschaftliche Abhandlung.Pädagogische Texte entstehen häufig als Stellungnahmen imZusammenhang mit Kontroversen, sie ergreifen Partei, s<strong>in</strong>d Ausdruck e<strong>in</strong>espraktischen Engagements, nicht e<strong>in</strong>es re<strong>in</strong> theoretischen Erkenntnisstrebens;folglich können sie nur verstanden werden, wenn auch <strong>die</strong> jeweiligenGegenspieler <strong>in</strong> <strong>die</strong> Interpretation mit e<strong>in</strong>bezogen werden.6. Notwendigkeit weiterer QuellenZum besseren Verständnis kann es erforderlich se<strong>in</strong>, über den immanentenZusammenhang h<strong>in</strong>auszugehen und weitere Quellen/Texte heranzuziehen.


52 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Handelt es sich um den Text e<strong>in</strong>er Prüfungssituation, könnte es erforderlichse<strong>in</strong>, <strong>die</strong> Prüfungsordnung zu lesen.Zur Interpretation e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zelnen Textes ist es häufig notwendig, über denimmanenten Zusammenhang h<strong>in</strong>auszugehen und weitere Quellenh<strong>in</strong>zuzuziehen. Da umgekehrt aber auch <strong>die</strong> textimmanenten Informationenzur Klärung textübergreifender Zusammenhänge beitragen können, kannman pr<strong>in</strong>zipiell von e<strong>in</strong>em Verhältnis wechselseitiger Erklärungtextimmanenter und textübergreifender Zusammenhänge sprechen.7. Bedeutung syntaktischer MittelWie s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zelnen Sequenzen/Sätze konstruiert und mite<strong>in</strong>anderverbunden, z.B. „aber“, „und“. Welche syntaktischen Mittel werden e<strong>in</strong>gesetzt.Gerade für <strong>die</strong> Ermittlung des Argumentationszusammenhangs haben <strong>die</strong>syntaktischen Mittel, <strong>die</strong> Sätze oder Satzteile mite<strong>in</strong>ander verb<strong>in</strong>den, großeBedeutung.Für <strong>die</strong> Ermittlung des Argumentationszusammenhanges e<strong>in</strong>es Textes haben<strong>die</strong> syntaktischen Mittel, <strong>die</strong> Sätze oder Satzteile mite<strong>in</strong>ander verb<strong>in</strong>den,große Bedeutung. Wissenschaftliche Interpretation muß folglich <strong>die</strong>semAspekt der Syntax e<strong>in</strong>es Textes besondere Aufmerksamkeit schenken.8. Gedankliche Gliederung des TextesE<strong>in</strong>leitung, Schluß, Struktur. Haupt- und Nebengedanken, Hypothesen,Erläuterungen, Beispiele. Die gedankliche Gliederung muß herausgearbeitetwerden. Dies kann evtl. auch visualisiert und graphisch dargestellt werden.Was <strong>die</strong> Ermittlung der syntaktischen Beziehungen zwischen den Sätzen undSatzteilen im kle<strong>in</strong>en zu leisten vermag, muß vom Interpreten auch für denganzen Text systematisch geleistet werden. Die gedankliche Gliederung mußübersichtlich herausgearbeitet werden: Hauptthesen, Begründungen,Erläuterungen, Beispiele, Nebengedanken, Exkurse usf. s<strong>in</strong>d durchInterpretation vone<strong>in</strong>ander abzuheben und nach Möglichkeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emdifferenzierten Gliederungsschema zusammenzufassen. Diese Aufgabe istdann besonders dr<strong>in</strong>glich, wenn e<strong>in</strong> Autor se<strong>in</strong>en Text nicht selbstausdrücklich detailliert gegliedert hat und sofern er se<strong>in</strong>e Gliederung nichtselbst kommentiert.


Methoden der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 539. Logischer Aufbau des TextesS<strong>in</strong>d Problemstellung und Schluß angemessen? Ist der Text <strong>in</strong> sichwiderspruchsfrei und logisch str<strong>in</strong>gent oder gibt es Brüche? Als Interpret mußman <strong>die</strong> Begründungen, Folgerungen, Herleitungen nicht nur mitvollziehen,sondern kritisch h<strong>in</strong>terfragen.Soweit es sich bei zu <strong>in</strong>terpretierenden Texten umArgumentationszusammenhänge handelt, ist der Gesichtspunkt der <strong>in</strong>nerenWiderspruchsfreiheit, der logischen Str<strong>in</strong>genz e<strong>in</strong> entscheidenderAuslegungspunkt. Der Interpret muß <strong>die</strong> Begründungen, Folgerungen,Herleitungen des Autors nicht nur mitvollziehen, sondern kritisch überprüfen.Er muß pr<strong>in</strong>zipiell unterstellen, daß dem Autor logische Fehler unterlaufense<strong>in</strong> können.10. Hermeneutischer Zirkel (Spirale)Jedes Verstehen ist an Voraussetzungen gebunden, von denen es se<strong>in</strong>enAusgangspunkt nimmt und zu denen es wieder zurückkehrt. Niemand gehtohne Voraussetzungen (Vorverständnis) an e<strong>in</strong>e Interpretation heran. Manversteht das ganze aus dem e<strong>in</strong>zelnen und umgekehrt. Daher ist e<strong>in</strong>hermeneutisches Verstehen nie abgeschlossen, sondern hatProzeßcharakter.Interpretation bewegt sich ständig im sogenannten „hermeneutischen Zirkel“:Die e<strong>in</strong>zelne Aussage und ihre sprachlichen Elemente werden im Gang derInterpretation immer wieder im Zusammenhang größererAussagenzusammenhänge ausgelegt usf.; später <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Text auftretendeAussagen wirken ergänzend und verändernd auf das Verständnis des früherGesagten zurück. Zugleich gilt aber auch: der jeweils umfassendereZusammenhang kann nicht ohne se<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zelnen Elemente verstandenwerden.Diese wechselseitige Erläuterungsvorgang zwischen E<strong>in</strong>zelelementen undgrößeren Zusammenhängen sowie zwischen den Fragestellungen desInterpreten und der konkreten Textanalyse ist mit dem Begriff des„hermeneutischen Zirkels“ geme<strong>in</strong>t. – Dieser Begriff sche<strong>in</strong>t mir allerd<strong>in</strong>gsmißverständlich zu se<strong>in</strong>: Man bewegt sich ja eigentlich nicht im Kreise,


54 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>sondern dr<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> dem geme<strong>in</strong>ten Prozeß zu besserem oder, wie wir bildlichzu sagen pflegen, zu tieferem Verständnis von Texten vor. Insofern wäre esangemessener, von der „hermeneutischen Spirale“ zu sprechen.PräzisierungVeränderung derFragestellungVorverständnisFragestellungVergleich mitdem „Text“Neuer TextbefundErweitertesVerständnisKontexte<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dungV2 V1 V T T1 T2T TextverständnisT1 ... erweitertes TextverständnisV VorverständnisV1 ... erweitertes Vorverständnis11. Ideologiekritischer Aspekt


Methoden der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 55Die Gesellschaft prägt das Bewußtse<strong>in</strong>, beispielsweise das sozialeKlassenbewußtse<strong>in</strong>. Es ist daher kritisch zu reflektieren, welchen E<strong>in</strong>fluß <strong>die</strong>Gesellschaft auf <strong>die</strong> Entstehung des Textes hatte. Wer lehnt den Text warumab oder stimmt zu? Wie schlägt sich <strong>die</strong> biographische Erfahrung e<strong>in</strong>esAutors <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Text nieder? Frage nach der gesellschaftlichen Lage undbiographischen Erfahrung des Autors (<strong>die</strong>s spielt beim Entstehen e<strong>in</strong>e Rolle).Es ist grundsätzlich immer möglich, daß <strong>die</strong> Auffassungen, Zielsetzungen,Thesen, Argumentationen, <strong>die</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Text bzw. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Texten vone<strong>in</strong>em Autor geäußert werden, entscheidend durch <strong>die</strong> gesellschaftlichSituation oder Position, <strong>in</strong> der sich der Autor bef<strong>in</strong>det, bestimmt s<strong>in</strong>d, m.a.W.:durch se<strong>in</strong>e gesellschaftlichen Interessen, ohne daß sich der Autor <strong>die</strong>sesZusammenhangs überhaupt oder <strong>in</strong> vollem Umfang bewußt ist. Daher muße<strong>in</strong>e konsequente Text<strong>in</strong>terpretation, <strong>die</strong> der heute erreichtenmethodologischen Erkenntnis entspricht, immer auch <strong>die</strong> ideologiekritischeFrage stellen, d.h. <strong>die</strong> Frage nach dem Zusammenhang zwischengesellschaftlicher Lage und Bewußtse<strong>in</strong>.Dieser erste Aspekt muß durch e<strong>in</strong>e zweiten ergänzt werden, sobald nachder Wirkung e<strong>in</strong>es Textes, se<strong>in</strong>er Aufnahme, Umdeutung oder Ablehnungdurch bestimmte Lesergruppen gefragt wird oder nach dem Auftreten vonNachfolge- und Gegenschriften. Positive oder negative Reaktionen auf e<strong>in</strong>eText können selbst wiederum ideologisch, d.h.: durch undurchschautegesellschaftliche Interessen der Menschen oder Menschengruppen, <strong>die</strong>Stellung nehmen, bestimmt se<strong>in</strong>.Damit ist Text<strong>in</strong>terpretation ke<strong>in</strong> Geschäft des gefühlsmäßigen „Sich-H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>versetzens <strong>in</strong> den Autor“ oder subjektiver Me<strong>in</strong>ungsbildung, sondern –jedenfalls wo sie wissenschaftlich kritisch betrieben wird – e<strong>in</strong> strengmethodisches, überprüfbares Verfahren.Kritik am Verstehen als Methode:


56 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>1. Verstehen ist willkürlich, spekulativ, subjektiv, empirisch nicht nachprüfbar.Trotz gewisser Regeln seien unterschiedliche Deutungen möglich. Verstehensei e<strong>in</strong>e Methode der Intuition. Dieser E<strong>in</strong>wand ist nur zum Teil berechtigt.2. Verstehen ist traditionalistisch bis konservativ. Verstehen selbst kannnicht konstruktiv werden. Verstehen ist auf Vorgegebenes angewiesen, daherkönne sie nicht produktiv se<strong>in</strong>. Berechtigter E<strong>in</strong>wand.3. Zur Planung und Analyse des Makrobereichs von Bildung und Erziehungist Verstehen völlig ungeeignet. Berechtigter E<strong>in</strong>wand. In den 60er Jahrebestand Bedarf zur Bildungsplanung. Dafür war <strong>die</strong> Hermeneutik ungeeignet,nötig waren vielmehr quantitative Methoden, Soziologie und Psychologie. Esgibt <strong>in</strong> der geisteswissenschaftlichen Pädagogik ke<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>gültigenErkenntnisse.Geisteswissenschaftliche Pädagogik hat sich zur kritischen Pädagogikweiterentwickelt (KLAFKI). (Vergleiche Funkkolleg <strong>Erziehungswissenschaft</strong>)KLAFKI war zuerst Geisteswissenschaftler und hat sich dann der kritischenPädagogik zugewandt.


Methoden der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 573.2 Quantitative VerfahrenSie waren <strong>in</strong> den 70er, 80er Jahren auf dem Vormarsch und gehören zu denempirischen Verfahren.E<strong>in</strong> Sachverhalt soll gemessen, quantifiziert werden. Abhängigkeiten sollenerklärt werden. Quantitative Verfahren werden angewandt, um Hypothesen <strong>in</strong>der Wirklichkeit zu überprüfen. Hypothesen müssen dazu operational def<strong>in</strong>iertwerden.Grundlegende Begriffe: Def<strong>in</strong>itionen siehe 2.2 Variablenarten1. Abhängige Variablen (AV): Gibt an, was man erklären, erforschen möchte,z.B. <strong>die</strong> Leistung der Schüler im Rechnen operationalisieren derSchulleistung.2. Intervenierende Variablen (IV): E<strong>in</strong>fluß des Lehrers als E<strong>in</strong>flußfaktorzwischen UV und AV, z.B. Didaktik. D.h., daß <strong>die</strong> UV nicht unmittelbar auf<strong>die</strong> AV wirkt, dazwischen liegt z.B. der E<strong>in</strong>fluß des Lehrers.3. Unabhängige Variablen (UV): Z.B. <strong>die</strong> kognitiven Fähigkeiten, dasElternhaus. Variable, von der <strong>die</strong> Schulleistung abhängt.Erforderlich ist auf jeden Fall e<strong>in</strong>e UV und AV. In der Erziehungswirklichkeithat man es stets auch mit IV zu tun.UV (z.B. Intelligenz) IV (z.B. Lehrer) AV (z.B. Schulerfolg)HypothesenartenNullhypothese: Zwischen zwei Merkmalen besteht ke<strong>in</strong> Zusammenhang. Diesentspricht dem Falsifikationspr<strong>in</strong>zip, d.h. Ziel ist <strong>die</strong> Widerlegung, da ke<strong>in</strong>eWahrheit existiert. Z.B.: Nullhypothese: Zwischen Test<strong>in</strong>telligenz undSchulnoten besteht ke<strong>in</strong> Zusammenhang. Die Theorie des kritischenRationalismus erwartet <strong>die</strong> Aufstellung von Nullhypothesen.


58 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Alternativhypothese: Zwischen zwei Merkmalen besteht e<strong>in</strong> Zusammenhang. Satzarten Siehe 2.2 GütekriterienObjektivität, Reliabilität, Validität. Wenn man versucht, <strong>die</strong>se Kriterien zuerfüllen, bleibt e<strong>in</strong> anspruchsvoller, guter Unterricht auf der Strecke.Messen und Skalierung: Meßniveau- Nom<strong>in</strong>al: Geschlecht. Merkmal männlich, weiblich. Auch mehrfacheAusprägungen können vorhanden se<strong>in</strong>, von denen nur e<strong>in</strong>e zutrifft, z.B.Schularten.- Ord<strong>in</strong>al: Rangreihe der Schulleistung. Z.B. Schüler A besser als B, Bbesser als C, geme<strong>in</strong>sames Merkmal ist <strong>die</strong> Leistung. Abischnitt rechnenist wissenschaftstheoretisch völlig unhaltbar, da der Abstand zwischen 1und 2 sowie 5 und 6 nicht gleich ist.


Methoden der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 59Frage: Kann man verschiedene Schultypen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Rangreihe br<strong>in</strong>gen(HS, RS, G)? Zusammenhang zwischen Schultyp-Besuch und kognitivenFähigkeiten.SchulartenGNegativerZusammenhang, d.h. jebesser der Test, destoeher wird HS besucht.Das wäre absurd.x x xKorrelationskoeffizientY= von –1 über 0 bis 1.0 bedeutet, daß ke<strong>in</strong>Zusammenhang besteht.RSx x xPositiver ZusammenhangHSx x x80 90 100 110 120Kognitive Fähigkeiten.Wie gut Schüler imIntelligenztestabschneidenFür jeden Schüler wird e<strong>in</strong> Punkt <strong>in</strong> das Koord<strong>in</strong>atensystem gezeichnet.Wissenschaftstheoretisch darf man ke<strong>in</strong>en Mittelwert oder Korrelationskoeffizientenberechnen. Dies wird <strong>in</strong> der Praxis dennoch gemacht.- Intervallskala: Abstände zwischen Meßpunkten s<strong>in</strong>d exakt gleich.Intelligenzskala. Man br<strong>in</strong>gt nicht nur etwas <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Rangreihe, sondernsagt auch etwas über <strong>die</strong> Abstände aus. Schulnoten s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Intervallskala.- Ratioskala/Verhältnisskala: Es gibt e<strong>in</strong>en absoluten Nullpunkt, so daß manmit Verhältnisse angeben kann. Dies ist <strong>in</strong> den Sozialwissenschaftenkaum der Fall.Daten können immer nur herunter transformiert werden, z.B. Schüler stattRangreihe nur noch leistungsstark und leistungsschwach.


60 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Bsp.: Ich b<strong>in</strong> mit dem Lehrer zufrieden als ord<strong>in</strong>ale Frage mit z.B. 5 Antwortmöglichkeiten.Um nun e<strong>in</strong>en Schnitt rechnen zu können, tut <strong>die</strong> Wissenschaftso, als handle es sich um e<strong>in</strong>e Intervallskala.Rat<strong>in</strong>g und SkalierungSchätzverfahren. Die Reliabilität der obigen Frage ist begrenzt. ausdifferierender Frage, nicht e<strong>in</strong> Item, sondern mehrere auf etwa das gleicheProblem bezogen Skalierung (Verrechnung).Empirische Forschungsmethoden:- Verfahren der Forschungsplanung- Verfahren der Datenerhebung- Verfahren der DatenauswertungForschungsplanung und Stichprobenkonstruktion: Vier Ebenen der Forschungsplanung1. Ebene der Theorie- und Modellbildung: Möglichst operationale Begriffe,Entstehungszusammenhang. Die drei Variablenarten angeben und def<strong>in</strong>ieren.Theoriebezogene Entwicklung von Hypothesen und deren forschungsbezogeneOperationalisierung. Es ist sehr wichtig, e<strong>in</strong> gutesModell über den Forschungsgegenstand zu haben, bei dem UV und AV <strong>in</strong>Zusammenhang gebracht werden. Das Modell muß den Forschungsgegenstandabbilden und modellieren.2. Ebene der Datenerhebung: Messung, z.B. Rat<strong>in</strong>g/Skalierung, kompatibelzu Modell (Schüler beobachten oder Lehrer befragen).3. Ebene der Datenauswertung, Datenaufbereitung: Kompatibel zuErhebung; Rangskala ke<strong>in</strong> arithmetisches Mittel bilden.4. Ebene der Daten<strong>in</strong>terpretation: Bloß möglich, wenn guter theoretischerH<strong>in</strong>tergrund, gutes Modell.


Methoden der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 61Untersuchungsmethoden/Forschungsstrategien- Längsschnitt: Aufwendigste Methode. Kosten<strong>in</strong>tensiv. Nur <strong>die</strong>se läßtAussagen über <strong>die</strong> Entwicklung von Menschen zu. Die Meßzeitpunkteerstrecken sich über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum bei gleichbleibenderGruppe. E<strong>in</strong> simulierter Längsschnitt wird durchgeführt, wenn man z.B.über 20 Jahre das Wissensniveau der jeweiligen Berufsanfänger untersucht.Nur mit <strong>die</strong>ser Methode können Entwicklungstendenzen desMenschen untersucht werden. Aus Zeit- und Kostengründen wird <strong>die</strong>seMethode <strong>in</strong> der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> nur selten realisiert.- Querschnitt: E<strong>in</strong> Meßzeitpunkt. Z.B. gleichzeitig Schüler aller Klassenstufen.Ke<strong>in</strong>e Aussage über Entwicklung möglich.- Prätest (Pretest): Vortesten e<strong>in</strong>es Instrumentes, z.B. e<strong>in</strong>es Fragebogens.Geht der eigentlichen Untersuchung voraus. Dazu da, um zu prüfen, obe<strong>in</strong>e Erhebungs<strong>in</strong>strument geeignet ist, „technisches“ Interesse.- Exploration: Vorstu<strong>die</strong> aus fachlichen Gründen, weitgehend unsystematisch,erste Annäherung an den Untersuchungsgegenstand, Prüfung ob<strong>die</strong> eigene, subjektive, private Theorie stimmen könnte, sukzessiveSystematisierung. Vorbereitungsstu<strong>die</strong>, wenn man noch nicht viel überden Forschungsgegenstand weiß.- Labor-/Felduntersuchung: Laboruntersuchung ist künstlich, <strong>in</strong> sichstimmig, Experiment. Alle Variablen s<strong>in</strong>d bekannt. Es ist e<strong>in</strong> sehr genauerBegründungszusammenhang möglich. Aber <strong>die</strong> Übertragung auf <strong>die</strong>Realität ist fraglich. Hohe <strong>in</strong>terne Validität, aber ger<strong>in</strong>ge externe Validität.Z.B. Milgram Experiment mit Stromstößen. Felduntersuchung: Situation istbereits vorhanden, man geht <strong>in</strong> das erziehungswissenschaftliche Feld(Schule, Klasse). Hier kann man nicht mehr alle Variablen kontrollieren.Ethisch problematisch.- Ex-post-facto-Untersuchung: Das ist problematisch. Es wird versucht,etwas nachträglich zu erklären, das schon geschehen ist. Die Variablenkönnen nicht mehr kontrolliert werden.- Kontrollgruppen: Man braucht Kontrollgruppen, um Kausalzusammenhangfeststellen zu können. Problematisch.


62 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Grundgesamtheit und Stichprobe:Gewöhnlich besteht das Interesse, aus e<strong>in</strong>er Stichprobe auf <strong>die</strong> Gesamtheitzu schließen, Aussagen zu verallgeme<strong>in</strong>ern. Aus e<strong>in</strong>er möglichst repräsentativenZufallsstichprobe sollen Rückschlüsse auf <strong>die</strong> Grundgesamtheitgezogen werden.Erhebungsverfahren:1. BeobachtungsverfahrenSelelektionsproblemea. Selektive Zuwendung: Wir sehen sehr viel, können uns aber nurbestimmten D<strong>in</strong>gen zuwenden. Wo möchte ich Schüler beobachten: WG,Berufsschule, ...b. Selektive Wahrnehmung: Die beobachteten Gegenstände können bloßausschnittsweise wahrgenommen werden Man braucht Beobachtungskategorien.c. Selektive Er<strong>in</strong>nerung: Wir können uns nicht an alles er<strong>in</strong>nern, was wirwahrgenommen haben Man braucht Beobachtungsbögen.Jedes wissenschaftliche Ergebnis ist nur unter Beachtung der Erhebungsmethodezu beurteilen und zu bewerten.BeobachtungsvariantenNicht teilnehmendTeilnehmendVerdeckt Offen Verdeckt OffenSystematisch 1 2 5 6Unsystematisch 3 4 7 8


Methoden der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 63Probleme:Wenn man als Beobachter bekannt ist, dann orientiert sich <strong>die</strong> Lehrer-SchülerInteraktion daran. Sie geben sich nicht natürlich. Bei teilnehmenderBeobachtung besteht das Problem der Interaktion. Bei e<strong>in</strong>erunsystematischen Beobachtung hat man Probleme bei der Auswertung.2. Befragungsmethode- Mündlich (auch telefonisch, großer Aufwand)/schriftlich (bessereAuswertung).- Standardisiert/teilstandardisiert/nicht standardisiert. Inwiefern ist me<strong>in</strong>Instrument für alle e<strong>in</strong>heitlich? Stelle ich allen <strong>die</strong>selben Fragen? Beistandardisierten Befragungen s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Fragen von vornhere<strong>in</strong> festgelegt,bei nicht standardisierten Befragungen nur <strong>die</strong> Themenkomplexe.Standardisierte Befragungen <strong>die</strong>nen beispielsweise dazu, quantitativeZusammenhänge zwischen Variablen festzustellen. Nicht-standardisierteBefragungen werden h<strong>in</strong>gegen vor allem <strong>in</strong> der Explorationsphasee<strong>in</strong>gesetzt. Teilstandardisiert Leitfadengespräch.- Hypothesen prüfen standardisiert.- Exploration nicht standardisiert.Fragen:- Offene (vorwiegend bei teil- und nicht standardisiert)/geschlosseneFragen (z.B. nur ja/ne<strong>in</strong>).- Faktfragen (harte Daten)- Me<strong>in</strong>ungsfragen (stimme zu – stimme nicht zu)- Alternativfragen (je niedriger das Schulwissen, desto eherAlternativfragen)- Katalogfragen (mehrere Fragen zum selben Gegenstand)- Mehrfachauswahlfragen (mehrere Antworten gleichzeitig)- Skalenfragen (z.B. 1 - 6 Rat<strong>in</strong>g)


64 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>- E<strong>in</strong>zelbefragung (explorativ, <strong>in</strong> <strong>die</strong> Tiefe gehen)/Gruppenbefragung (manfragt e<strong>in</strong>e ganze Klasse zusammen. Dazu muß man schon viel über denUntersuchungsgegenstand wissen)Die Methode muß <strong>in</strong> Beziehung zur Theorie stehen, sonst schafft man e<strong>in</strong>künstliches Artefakt:Beobachtung (Storchennest) stimmt Zusammen bilden sie e<strong>in</strong> Artefakt,Beobachtung (K<strong>in</strong>dergeburt) stimmt da <strong>die</strong> Theorie dah<strong>in</strong>ter nicht stimmtWenn ich mich für <strong>die</strong> Lehrer-Schüler Interaktion <strong>in</strong>teressiere, spricht vielesfür e<strong>in</strong>e Beobachtung. Wenn ich <strong>die</strong> Me<strong>in</strong>ung der Klasse wissen über <strong>die</strong>Zufriedenheit mit dem Unterricht oder über ihre Motivation wissen will, sogeht <strong>die</strong>s nur über e<strong>in</strong>e Befragung.Wichtig: Genauigkeit und Verständlichkeit der Fragen. Außerdem muß <strong>die</strong>Ermüdungstendenz der Befragten und <strong>die</strong> Neigung, Extreme zu vermeiden,beachtet werden.Schriftliche standardisierte und geschlossene Fragen erlauben e<strong>in</strong> hohesMaß an Objektivität und Reliabilität. E<strong>in</strong>e hohe Validität ist damit allerd<strong>in</strong>gsnicht gewährleistet, da mit den Fragen evtl. etwas ganz anderes als gewollterfaßt wird.Je niedriger <strong>die</strong> schulische Bildung, bzw. das kognitive Niveau, destoundifferenzierter ist <strong>in</strong> der Regel <strong>die</strong> Antwort. Auf <strong>die</strong> Frage nach derZufriedenheit mit dem Lehrer lautet <strong>die</strong> undifferenzierte Antwort e<strong>in</strong>esSchülers mit niedrigem kognitiven Niveau „ja/ne<strong>in</strong>“, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>es Schülers mithohem kognitiven Niveau, „ja/ne<strong>in</strong>, aber ...“Weiß man über e<strong>in</strong>en Gegenstand wenig, so ist es besser ja/ne<strong>in</strong> Fragen zustellen.Man hat es immer mit Subjekten zu tun, daher kann z.B. <strong>die</strong> Schulleistungnicht zu 100% erklärt werden. 100% würden bedeuten, daß Lehrerüberflüssig s<strong>in</strong>d. Bei 100% wären alle Variablen bekannt.3. Experimentelle Verfahren


Methoden der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 65(Gehört hier eigentlich nicht dazu. Das Experiment ist eher e<strong>in</strong>e Strategie. ImExperiment ist offen, welche der anderen Methoden (Beobachtung, Test)verwendet wird)Ziel s<strong>in</strong>d Aussagen über kausale Zusammenhänge. Dies ist sonst bei ke<strong>in</strong>erErhebungsmethode möglich. UV: Unterricht, IV: Motivation, AV:Schulleistung. Das kann man experimentell untersuchen. Nicht h<strong>in</strong>gegen denZusammenhang von UV: Intelligenz und AV: Schulleistung, weil sichIntelligenz nicht systematisch manipulieren läßt.Ursache WirkungGrund FolgeDas (ideale) Experiment läßt sich als wiederholbare Beobachtung unterkontrollierten Bed<strong>in</strong>gungen beschreiben, wobei e<strong>in</strong>e oder mehrere UV (muß ichkennen und systematisch manipulieren) derart manipuliert wird (werden), daß e<strong>in</strong>eÜberprüfungsmöglichkeit der zugrunde liegenden Hypothese (Beobachtunge<strong>in</strong>es Kausalzusammenhangs) <strong>in</strong> unterschiedlichen Situationen gegeben ist,d.h.- Vorliegen e<strong>in</strong>es Wenn-Dann-Zusammenhangs, also nicht: Je ... desto ...- Willkürliche Herstellung und Variation der UV durch den/<strong>die</strong>Versuchsleiter.- Gewährleistung der Wiederholbarkeit. Jeder muß <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong>, dasExperiment zu wiederholen.- Kontrolle der Störvariablen (z.B. soziale Herkunft, regionalerE<strong>in</strong>zugsbereich, bei Lehrern (Pygmalion-Effekt): Alter). Dabei gibt esmehrere Möglichkeiten:a. Konstanthalten der Störvariablen, z.B. desUntersuchungszeitpunkts, ob morgens oder abends, Montag oderFreitag.b. Parallelisierung der Versuchsobjekte: In beiden Gruppen Personenmit gleichen Merkmalen, dazu muß ich Störvariablen kennen. Z.B.gleiches Geschlechtsverhältnis, gleiche soziale Herkunft.Experimental- und Kontrollgruppe.


66 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>c. Randomisierung: Zufallsverteilung von 60 Schülern auf zwei Klassen.Zufallsverteilung auf Experimental- und Kontrollgruppe. Störvariablenunsystematisch verteilen.- Arten von Experimenten:a. Exploratives Experiment: Ziel s<strong>in</strong>d ist es, zu gesicherten Hypothesenzu gelangen.b. Entscheidungsexperiment: Dabei soll e<strong>in</strong>e Hypothese falsifiziert oderverifiziert werden, man will sich für e<strong>in</strong>e Hypothese entscheiden.c. Anwendungsexperiment: Umsetzen e<strong>in</strong>es Experiments <strong>in</strong> <strong>die</strong>Wirklichkeit.Frage: Kann man das Experiment tatsächlich als eigene Datenerhebungsartbezeichnen, <strong>die</strong> von den anderen sechs Verfahren abgrenzbar ist? Nichtabgrenzbar, da man für e<strong>in</strong> Experiment bestimmte Verfahren (Befragung, ...braucht). Experiment ist eher e<strong>in</strong>e Strategie.4. TestverfahrenDer Test ist e<strong>in</strong> wissenschaftliches Rout<strong>in</strong>everfahren zur Untersuchung e<strong>in</strong>eroder mehrerer empirisch abgrenzbarer Merkmale (man muß sich also hüten,sich nur auf Test zu verlassen, da es Merkmale gibt, <strong>die</strong> über den Test h<strong>in</strong>ausgehen, d.h.nicht empirisch abgrenzbar s<strong>in</strong>d) der Persönlichkeit. Das Ziel ist e<strong>in</strong>e möglichstquantitative Aussage über <strong>in</strong>dividuelle Merkmalsausprägungen machen zukönnen. Test muß normiert se<strong>in</strong> sozial repräsentative Bezugsnorm.Tests s<strong>in</strong>d nützlich und gut, man muß aber mit der nötigen Skepsis an sieherangehen. Gauß'sche Normalverteilung mit wenigen Personen an denRändern (Intelligenz ist nicht normalverteilt)


Methoden der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 67Vorgehensweise:1. Theoretische Vorüberlegungen, z.B. Intelligenz ist das, was e<strong>in</strong>Intelligenztest mißt. Diese theoretische Vorüberlegung ist allerd<strong>in</strong>gscirculär und br<strong>in</strong>gt damit e<strong>in</strong>e gewisse Hilflosigkeit zum Ausdruck.2. Testentwurf: Items/Aufgaben sammeln, <strong>die</strong> geeignet s<strong>in</strong>d, das betrachteteMerkmal zu erforschen.3. Itemanalyse (Schwierigkeits- und Trennschärfe<strong>in</strong>dex: Forderung:Schwierigkeits<strong>in</strong>dex sollte bei 50% liegen, d.h. 50% der Probanden solltenItem richtig lösen können. Es müssen aber nicht unbed<strong>in</strong>gt 50% se<strong>in</strong>.Wenn 100% der Probanden e<strong>in</strong> Item lösen, br<strong>in</strong>gt es nichts. Bsp.: Itemdas angibt, ob jemand ängstlich ist oder nicht). Im S<strong>in</strong>ne der Testtheories<strong>in</strong>d Items zu entfernen, <strong>die</strong> zu gute oder zu schlechte Ergebnisseerbr<strong>in</strong>gen, z.B. zu gute oder zu schlechte Klassenarbeitsschnitte. Dies istkritisch, da <strong>die</strong> Testtheorie e<strong>in</strong>e künstlich erzeugte Wirklichkeit im Augehat.4. Überprüfung der Gütekriterien, also Objektivität , Reliabilität, Validität.5. Standardisierung/Normierung, evtl. Tonbandgerät statt vorlesen. Dies iste<strong>in</strong> Unterschied zu Untersuchungen von JUNGKUNZ (Befragung), beidenen ke<strong>in</strong>e Normalverteilung vorausgesetzt wird.5. SoziometrieUnter Soziometrie ist e<strong>in</strong>e Reihe von Verfahren zu verstehen, <strong>die</strong>zwischenmenschlichen Beziehungen der Mitglieder e<strong>in</strong>er Gruppe, <strong>die</strong>B<strong>in</strong>nenstruktur e<strong>in</strong>er Gruppe, quantitativ zu ermitteln. Speziell wichtig beie<strong>in</strong>er Schulklasse, wobei sich vor allem kle<strong>in</strong>ere Klassen eigenen, wenn manannimmt, daß etwas nicht <strong>in</strong> Ordnung ist. Geschieht <strong>in</strong> der Regel durchWahlen (Beobachtung schwierig).Die Soziometrie liefert Auskünfte über <strong>die</strong> Struktur e<strong>in</strong>er (Kle<strong>in</strong>-)Gruppe (1),<strong>die</strong> Stellung e<strong>in</strong>zelner <strong>in</strong> der Gruppe (2) und <strong>die</strong> <strong>in</strong>formelle Struktur vonGruppen (3) (Paare, Star/Führer, Cliquen, Isolierte). Sie geht auf MORENO(1967) zurück.


68 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Forschungsdimension:1. Sympathie - Antipathie (wollen): Mit wem möchtest du am liebsten ...2. E<strong>in</strong>stellung – Verhalten: Mit welchem Gruppenmitglied wollen Siezusammenarbeiten? Mit wem hast du schon etwas unternommen?3. Kriterium: Zusammen Urlaub verbr<strong>in</strong>gen, zusammen lernen, zusammensitzen.4. Wahrnehmung: Richtung der Wahrnehmung. Wer glaubst du, wird dichwählen, Fremdwahrnehmung. Wählt man e<strong>in</strong>e Person oder lehnt mane<strong>in</strong>e Person ab?5. Art der Wahlen- positiv (ich möchte mit) - negativ (ich möchte nicht mit)- Zahl der Wahlen (Wieviel Wahlen darf jeder abgeben)- Rangfolge der Wahlen (Rangplätze).6. Ergänzungen: An <strong>die</strong> Wahlen können sich Interviews anschließen, <strong>in</strong>denen nach den Gründen der Wahl/Ablehnung gefragt wird. Über <strong>die</strong>Ergebnisse kann mit unterschiedlicher Zielsetzung h<strong>in</strong>terher diskutiertwerden.7. Eher selten außerdem: Intra-Extra-Gruppe. Die Wahlen können auch aufNichtmitglieder ausgedehnt werden.


Methoden der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 69Grafische Auswertung (grafisch):- SoziomatrixWählerGewählterA B C D E F G HA + +B + +C + +D + +E + +F + +G + +H + + 1 2 0 3 1 2 5 2- SoziogrammBAHFGDECBefunde:Gruppenbildung DHE RestG ist am Beliebtesten (bei positiven Pfeilen)C ist am Unbeliebtesten (bei positiven Pfeilen)


70 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>- ZielscheibensoziogrammABFCGDDHEEs gibt ke<strong>in</strong>e verb<strong>in</strong>dlichen Regeln, wie man den Schülern e<strong>in</strong> Ergebniszurückmeldet, es ihnen vermittelt.Häufig angewandtes Verfahren.6. GruppendiskussionsverfahrenBei <strong>die</strong>sem Verfahren wird e<strong>in</strong>e durch den Forscher zusammengestellteGruppe gebeten, über e<strong>in</strong> festgelegtes Thema, <strong>in</strong> der Regel aufgrund e<strong>in</strong>es„Stimulus“, unter Betreuung e<strong>in</strong>es der Gruppe nicht angehörigenDiskussionsleiters, zu diskutieren.


Methoden der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 71Stimulus: z.B. Film, Text. Regel: Der Lehrer darf nicht aktiv e<strong>in</strong>greifen. E<strong>in</strong>Lehrer am WG könnte z.B. provokante These br<strong>in</strong>gen, daß <strong>die</strong> Absolventendes WG nicht <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong> Studium ordnungsgemäß abzuschließen.Annahmen:1. Das Medium der Me<strong>in</strong>ungsbildung ist das alltägliche <strong>in</strong>formelle Gesprächzwischen Menschen wesentlich gleicher Situation, z.B. Oberschule. Bei<strong>die</strong>ser Def<strong>in</strong>ition fehlen <strong>die</strong> Massenme<strong>die</strong>n.2. Dieser Prozeß der Me<strong>in</strong>ungsbildung wird <strong>in</strong> der Gruppendiskussionweitgehend abgedeckt. Dies läßt sich im Zeitalter der Massenme<strong>die</strong>nnicht mehr aufrechterhalten falsch.3. Durch <strong>die</strong> Gruppendiskussion erhält man E<strong>in</strong>sichten <strong>in</strong> <strong>die</strong> Struktur undProzesse der <strong>in</strong>dividuellen und kollektiven Stellungnahme zu sozialen,politischen und familiären Ereignissen.Diskussion mit Tonband aufnehmen und anschließend transkribieren, alsoverschriftlichen. Problem bei 10 - 15 teilnehmenden Personen ist, daß 4-5Personen viel sagen, 2-3 Personen wenig sagen und der Rest gar nichts. DieAnwendung f<strong>in</strong>det primär zur Exploration statt, also zu Beg<strong>in</strong>n der Forschung.Das Gruppendiskussionsverfahren ist zur Hypothesenprüfung nicht geeignet.Man kann ke<strong>in</strong>e repräsentativen/quantitativen Ergebnisse gew<strong>in</strong>nen.7. InhaltsanalyseDie Inhaltsanalyse ist e<strong>in</strong>e Methode, „um Aussagen zu gew<strong>in</strong>nen, <strong>in</strong> demman systematisch und objektiv (d.h. verschiedene Forscher kommen zum gleichenErgebnis) zuvor festgelegte Merkmale von Inhalten erfaßt“ (HOLSTI 1968).Beispielsweise Werbespots, Frauenzeitschriften oder Schulbücher(<strong>in</strong>teressant, wenn e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>teressiert, wie e<strong>in</strong> bestimmter Inhalt dargestelltwird) analysieren. Bei Unterrichtszufriedenheit könnte man z.B.Schüleraufsätze mit dem Thema „Wie erleben ich me<strong>in</strong>en Unterricht“analysieren. Die Inhaltsanalyse ist e<strong>in</strong> nonreaktive Methode, d.h. es f<strong>in</strong>detke<strong>in</strong>e Verzerrung durch <strong>die</strong> Erhebung statt.Leitfragen:


72 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>1. Wer? Klärung der Autorenschaft, z.B. bei TV oft unklar. Wo wird e<strong>in</strong>Schulbuch e<strong>in</strong>gesetzt.2. (sagt) Was? Beschreibung <strong>in</strong>haltlicher Trends/Vergleich der Inhalte mitzuvor festgelegten Kriterien/Inhaltskategorien.3. Zu wem? Beziehung bekannter Merkmale des Empfängers auf <strong>die</strong> für ihnproduzierte Mitteilung. Adressatenkreis: N<strong>in</strong>tendo Werbung RTL zwischen15 und 17 Uhr. Schulbuch: Leistungsstarke Schüler, z.B. WG oderleistungsschwache Schüler, z.B. Wirtschaftsschule.4. Wie? Analyse von Techniken/Stilen mit denen versucht wird, <strong>die</strong> Botschaftzu transportieren. N<strong>in</strong>tendo und Barbiepuppen andere Art desTransportes.5. Warum? Rückschlüsse auf Vorgänge vor der Mitteilung/dem Inhalt.Warum schreibt man e<strong>in</strong> neues Wirtschaftskundebuch? PolitischerWechsel oder ökonomische Gründe des Verlages. Ideologische Färbung?Qualitativ und quantitativ analysieren.6. Mit welchem Effekt? Rückschlüsse auf Effekte der Mitteilung/des Inhalts.Ist e<strong>in</strong> bestimmtes Wirtschaftskundebuch überhaupt geeignet, um denSchülern Anregungen zur Aneignung bestimmter Inhalte zu geben.Vorzug: Verb<strong>in</strong>dung von qualitativen (vorher festgelegte Inhalte) undquantitativen (man kann <strong>die</strong> vorher festgelegten Aspekte quantifizieren)Aspekten. Das Verfahren hat Ähnlichkeit mit dem hermeneutischen Vorgehenvon KLAFKI. Die Kluft zwischen qualitativen und quantitativen Verfahren istoft kle<strong>in</strong>er als behauptet.Aufgabe: Beschreiben Sie den Ablauf e<strong>in</strong>er Inhaltsanalyse anhand e<strong>in</strong>erSchulbuchanalyse. Je nach Bundesland kann <strong>die</strong> Analyse zuunterschiedlichen Ergebnissen führen.Fazit:Jedes wissenschaftliche Ergebnis ist nur unter Beachtung derErhebungsmethode zu beurteilen und zu bewerten. Es ist verdächtig, wenn mane<strong>in</strong> Testergebnis nicht auch durch Beobachtung überprüfen kann (künstliches


Methoden der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 73Artefakt). E<strong>in</strong> guter Lehrer versucht Ergebnisse auf verschiedene Arten zuerhalten oder zu bestätigen.Berichterstattung: Formulierung des Problems, d.h. Klarheit der Formulierung, Bedeutsamkeitdes Problems, Literaturbezug. Beschreibung der Methode, d.h. Angemessenheit der Methode,Angemessenheit der Stichprobe/des Feldes, Replizierbarkeit. Darstellung der Ergebnisse, d.h. Vollständigkeit, Verständlichkeit, Ertrag. Interpretation, d.h. Exaktheit, ke<strong>in</strong>e Verzerrung, Nützlichkeit.Ebenen der Datenauswertung:1. Univariate EbeneE<strong>in</strong> isoliertes Merkmal, das untersucht und ausgewertet wird. Mittelwerte. DaSchulnoten ord<strong>in</strong>al gemessen werden, darf man wissenschaftstheoretischke<strong>in</strong>e Durchschnittsnote berechnen.2. Bivariate EbeneZwei Merkmale <strong>in</strong> Zusammenhang setzen. Gute Note <strong>in</strong> Deutsch gleichzeitiggute Note <strong>in</strong> Mathe? Korrelation zwischen z.B. Test<strong>in</strong>telligenz und Schulnote?Schulleistung 2,5 3,5IQ 110 100Kann man aus <strong>die</strong>sen Informationen e<strong>in</strong>en Zusammenhang entnehmen?Geht nicht! Das ist also ke<strong>in</strong>e Korrelation. Mittelwerten ist <strong>die</strong>serZusammenhang nicht anzusehen. E<strong>in</strong>zelwerte nötig! Man muß jedene<strong>in</strong>zelnen Schüler messen!3. Multivariate EbeneZ.B. Dreieck: Schulleistung (abhängige Variable), IQ, Motivation. IQ undMotivation s<strong>in</strong>d unabhängige Variablen, <strong>die</strong> aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zusammenhangstehen, da sie beide <strong>die</strong> Schulleistung bee<strong>in</strong>flussen. Deshalb muß <strong>die</strong>serZusammenhang ausgegrenzt werden. Je mehr Variablen, destowissenschaftlicher.


74 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>SchulleistungIntelligenzquotientMotivation3.3 Qualitative Verfahrenknüpfen kritisch an das „Verstehen“ an. Hermeneutische Verfahren.Zentrale Annahmen der qualitativen Forschung (nach WEITZ 1995):1. Kernaufgabe: Möglichst ganzheitliche Erfassung, Analyse und Darstellungdes Forschungsgegenstandes (Anm.: Da <strong>die</strong>sen Satz jeder sagen kann,ersche<strong>in</strong>t es eher Zweifelhaft, ob das <strong>die</strong> Kernaufgabe se<strong>in</strong> kann). Fiktion,denn man ist auf Modellbildung angewiesen ke<strong>in</strong> Unterschied zuquantitativem Vorgehen.2. Formative Gestaltung des Forschungsprozesses. Forschungsprozeß istpr<strong>in</strong>zipiell offen, es werden alle an ihm Beteiligten e<strong>in</strong>bezogen. Hypothesenkönnen während der Forschung verändert werden.Formative Evaluation (Handlungsforschung): Versuch hermeneutische undempirische Verfahren zu verb<strong>in</strong>den. Sie will als Forschung (und nicht erstnach vollzogenem Forschungsprozeß) <strong>die</strong> Praxis verändern. BestimmteIdeen, aber ke<strong>in</strong>e festen Methoden. Im Prozeß des Forschens kann dasPraxisfeld verändert werden. Auch <strong>die</strong> Fragestellung kann sich im Verlauf derForschung ändern. Es wird e<strong>in</strong> gleichberechtigtes Subjekt zu SubjektVerhältnis angestrebt. Die Subjekt-Objekt-Trennung soll aufgehoben werden.Aber: Man kann nicht e<strong>in</strong>mal über sich selbst nachdenken, ohne sich selbstzum Objekt zu machen. Die Gleichberechtigung ist daher e<strong>in</strong>e Fiktion, <strong>die</strong> nurbegrenzt realisierbar ist. Sogar Selbsterkenntnis ist nur möglich, wenn ichmich selbst zum Objekt mache.


Methoden der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 75Beispiel: Man untersucht Schulleistungsunterschiede und versucht siegleichzeitig zu vermeiden.Exkurs: Demgegenüber summative Evaluation:Die Thesen oder e<strong>in</strong> Plan stehen vor dem Modellversuch fest (Subjekt -Objekt). Man schaut nur auf das Ergebnis. Alles ist zu Beg<strong>in</strong>n festgelegt. Soverläuft <strong>die</strong> klassische Forschung. Ziel ist es, beispielsweise Hypothesen ander Realität scheitern zu lassen.Aspekte zur Gestaltung der qualitativen Forschung (nach WEITZ 1995):1. Offenheit <strong>in</strong> theoretischer und methodischer H<strong>in</strong>sicht. Forschungsdesign istoffen.2. Mehrperspektivität, d.h. man fragt nach der Perspektive aller Beteiligten Ganzheitlichkeit. Neben der Fremdwahrnehmung zieht man beispielsweiseauch <strong>die</strong> Selbstwahrnehmung heran. Man befragt Lehrer und Schüler.3. Kommunikation (Subjekt - Subjekt Relation), Interaktion. Dies ist zwarerstrebenswert, aber e<strong>in</strong>e Fiktion. Wenn man über e<strong>in</strong>en Schüler nachdenkt,wird <strong>die</strong>ser zum Objekt.4. Objektivität: Dabei geht es um <strong>die</strong> Nachvollziehbarkeit derErkenntnisgew<strong>in</strong>nung. Dies würde zu ellenlangen Protokolle täglich führenund ist daher <strong>in</strong> der Realität kaum realisierbar. Exakte Beschreibung desErfassungs- und Analyseweges.5. Multi<strong>in</strong>strumentalität, d.h. es sollten mehrere sich gegenseitig ergänzendeAuswertungs<strong>in</strong>strumente e<strong>in</strong>gesetzt werden. Die Verwendung verschiedenerInstrumente führt zur Verr<strong>in</strong>gerung von Fehlern.6. Pädagogische und wissenschaftliche Kompetenz des Forschers.7. Prozessual entwickelnde Analyse, d.h. kommunikative Vali<strong>die</strong>rung vonAuswertungskategorien. Sehr problematisch: Mehrere Wissenschaftlerverständigen sich darauf, daß e<strong>in</strong> Ergebnis valide/gültig ist. Lehrer und Elterne<strong>in</strong>igen sich auf Note. Theoretische Prämissen müssen bekannt se<strong>in</strong>.Problem der Konsensbildung.


76 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>1., 4., 5., 6. s<strong>in</strong>d Punkte, <strong>die</strong> auch bei quantitativen Verfahren gelten (sollten). Injüngster Zeit gew<strong>in</strong>nen qualitative Forschungsansätze an Gewicht. Es wurdeerkannt, daß Wissenschaft ke<strong>in</strong>eswegs „<strong>die</strong> Wirklichkeit“ abbildet und erklärt,sondern sich jeder <strong>in</strong> der Wahrnehmung bereits se<strong>in</strong>e eigene Wirklichkeit„konstruiert“ (Konstruktivismus).WEITZ ist Fachdidaktiker.Anm.: Als Vorstu<strong>die</strong> bietet sich qualitative Forschung an. Um <strong>die</strong> Gütekriterien zugewährleisten ist qualitative Forschung nicht ausreichend. Dies ist aber skeptischzu betrachten, da es sich bei qualitativer und quantitativer Forschung teils nurum e<strong>in</strong>en sche<strong>in</strong>baren Widerspruch handelt, der faktisch nicht vorhanden ist.Siehe dazu Modelltheorie.


Zur Geschichte der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 774 Zur Geschichte der <strong>Erziehungswissenschaft</strong>4.1 Aufklärung und deutsche KlassikErziehung als eigentliche Aufgabe gibt es erst seit der Renaissance. Der Begriffder Erziehung gibt es erst seit der Aufklärung.4.1.1 Auf dem Wege zur Aufklärung (17. Jahrhundert)(Der Umbruch vom Mittelalter zur Moderne)Voraussetzungen für Erziehung (Diese wurden <strong>in</strong> der Renaissancegeschaffen):1. Mensch und Welt werden als Produkt eigener Praxis gesehen (nicht alle<strong>in</strong>mythologisch).2. Differenzierung zwischen Gelehrten (Wissenschaftlern) und Klerikern,zwischen Wissen und Glauben.3. Erziehung als eigener Tra<strong>die</strong>rungsmechanismus von Lebensformen, nebenReligion und Tradition.Johann Amos COMENIUS (1592-1670)Urvater der <strong>Erziehungswissenschaft</strong>. Er war zur Zeit des 30jährigen KriegesBischof der böhmischen Brüdergeme<strong>in</strong>den. In se<strong>in</strong>em von den Wirren des30jährigen Krieges geprägten Lebens kam er durch ganz Europa. Es galt „alle(reich, arm, Knecht, Herr, Mädchen, Junge) alles (vollständiges Weltbild)gründlich (auf alle Weise, nicht nur verbal, sondern anschaulich) zu lehren“.Late<strong>in</strong>: Omnes omnia omn<strong>in</strong>o.Er schrieb zwei Bücher: Orbis sensualium pictus: Didaktisches Bilderbuch. Didactica Magna: Enthält Aussagen wie z.B. vom Leichten zum Schweren,vom Nahen zum Fernen. Statt E<strong>in</strong>zelunterricht, wo der Lehrer sich stets nure<strong>in</strong>em Schüler widmete, während <strong>die</strong> anderen beschäftigt wurden, nunKlassenunterricht. Das ist <strong>die</strong> Geburtsstunde des Frontalunterrichts und desSystems altersgleicher Klassen. Comenius dachte an bis zu 100 Schüler.


78 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Gestuftes Schulwesen für alle K<strong>in</strong>der nach COMENIUS:1. Stufe: „Mutterschule“ (bis 6. LJ) Erziehung Zuhause.2. Stufe: Grundschule (6. -12. LJ) heute: 6. -10. LJ.3. Stufe: Late<strong>in</strong>schule (12. -18. LJ)4. Stufe: Universität (18. - 24. LJ)Diese vier Stufen bildeten e<strong>in</strong>en Gesamtplan für e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>heitsschulsystem. Damitgilt COMENIUS als e<strong>in</strong> früher Vertreter gesamtschulartiger Pr<strong>in</strong>zipien. Erstesmodernes Curriculum.4.1.2 Die Aufklärung oder das „Pädagogische Jahrhundert“ (1700 - 1800)John LOCKE (1632 - 1704)„Tabula rasa“, d.h. er geht davon aus, daß der Mensch wie e<strong>in</strong>e leeres,unbeschriebenes Blatt ist. Buch: Gedanken über Erziehung. Milieutheorie(Behaviorismus). Mensch wird von außen geprägt (Kultur, Milieu, Bildung).E<strong>in</strong>zig und alle<strong>in</strong> <strong>die</strong> Erziehung und Umwelt s<strong>in</strong>d dafür verantwortlich, was ause<strong>in</strong>em Menschen wird. Mensch soll vernunftgemäß, sittlich, ... gefüllt werden. BeiLOCKE ist e<strong>in</strong> grenzenloser erzieherischer Optimismus spürbar.Immanuel KANT (1724 - 1804)„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus se<strong>in</strong>er selbstverschuldetenUnmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich se<strong>in</strong>es Verstandes ohne<strong>die</strong> Leitung e<strong>in</strong>es anderen zu be<strong>die</strong>nen. Selbstverschuldet ist <strong>die</strong>seUnmündigkeit, wenn <strong>die</strong> Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes,sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich se<strong>in</strong>er ohne Leitung e<strong>in</strong>esanderen zu be<strong>die</strong>nen. Sapere aude! Habe den Mut, dich de<strong>in</strong>es Verstandes zube<strong>die</strong>nen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Faulheit und Feigheit s<strong>in</strong>d <strong>die</strong>Ursachen, warum e<strong>in</strong> so großer Teil der Menschen, nachdem sie <strong>die</strong> Naturlängst von fremder Leitung freigesprochen, dennoch gern zeitlebens unmündig


Zur Geschichte der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 79bleiben, und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündernaufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu se<strong>in</strong> ...“Grundgedanken der Aufklärung nach BLANKERTZ:1. Erziehung liegt <strong>in</strong> der Hand des Menschen.2. Erziehung führt <strong>in</strong>s wirkliche Leben und ist für <strong>die</strong>ses unabd<strong>in</strong>gbar.3. Es gibt <strong>die</strong> Methode der richtigen Erziehung.4. Erziehung kann das K<strong>in</strong>d als K<strong>in</strong>d sehen. Eigenrecht des K<strong>in</strong>des.5. Die Erziehungsbedürftigkeit des Menschen verlangt nach allgeme<strong>in</strong>erSchulpflicht.6. Die Schule muß frei se<strong>in</strong> von der Bevormundung durch <strong>die</strong> Kirche(Autonomieanspruch).Jean-Jaques ROUSSEAU (1712 - 1778)Handwerker, Philosoph, Musiker, Schriftsteller, <strong>in</strong>tellektueller Wegbereiter derfranzösischen Revolution. Se<strong>in</strong>e eigenen fünf K<strong>in</strong>der br<strong>in</strong>gt es <strong>in</strong>s F<strong>in</strong>delhaus.Se<strong>in</strong> Leben war voller Widersprüche.„Alles was aus den Händen des Schöpfers kommt, ist gut; alles entartet unterden Händen der Menschen.“ So beg<strong>in</strong>nt se<strong>in</strong> Roman Erziehungsroman „Emile“.Und an anderer Stelle: „Der Mensch ist von Natur aus gut, alle<strong>in</strong> <strong>die</strong> Institutionen(Milieue<strong>in</strong>flüsse) machen ihn böse“. Außerdem: „Glücklich vermag nur der zuse<strong>in</strong>, dessen Wünsche nicht größer s<strong>in</strong>d als se<strong>in</strong> Können.“ Das Glück des K<strong>in</strong>deszu sichern, ist für ROUSSEAU das Pr<strong>in</strong>zip von Erziehung überhaupt.Pr<strong>in</strong>zipien: Pr<strong>in</strong>zip der „negativen Erziehung“. Der Erzieher soll sich zurückhalten undmöglichst wenig e<strong>in</strong>greifen. Am besten ist natürliche Strafe, wenn z.B. <strong>die</strong>Fensterscheibe demoliert wurde, läßt man das K<strong>in</strong>d im kalten Raum schlafen Erkältung. Der Erzieher greift nur <strong>in</strong>direkt <strong>in</strong> den Erziehungsprozeß e<strong>in</strong>. Pr<strong>in</strong>zip des „Verhütens, daß etwas getan wird“. Erzieher soll wenig aktiv tun.Dies ist besser auf dem Land als <strong>in</strong> der Stadt möglich. Schon der Ort kannverh<strong>in</strong>dern, daß etwas getan werden muß.


80 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>These vom Eigenrecht des K<strong>in</strong>des. Zuvor waren es stets kle<strong>in</strong>eErwachsene, Recht des K<strong>in</strong>des auf eigene Zeit. K<strong>in</strong>dheit als eigene Phase.Sie soll dem K<strong>in</strong>de <strong>die</strong>nen und nicht der Gesellschaft. K<strong>in</strong>der werden vomObjekt zum Subjekt der Erziehung.Erziehung <strong>die</strong>nt genu<strong>in</strong> (ausschließlich) pädagogischen Zwecken.Johann He<strong>in</strong>rich PESTALOZZI (1746 - 1827)G<strong>in</strong>g vorzeitig von der Schule, scheitert als Landwirt, zehrt das Vermögen se<strong>in</strong>erFrau auf. Mit se<strong>in</strong>em epilepsiekranken K<strong>in</strong>d ist PESTALOZZI gescheitert.Grabste<strong>in</strong>:Retter der Armen auf Neuhof,Kaufte sich Gut, ökologischer Anbau von Farbstoff, nahm arme K<strong>in</strong>derauf, BankrottPrediger des Volkes<strong>in</strong> Lienhard und Gertrud,Erziehungsroman, für das H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen der K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> <strong>die</strong> Gesellschaft:Schule. Die Schule ist nötig, um den K<strong>in</strong>dern von Armen dasgesellschaftlich notwendige Wissen zur Aneignung anzubieten.zu Stanz Vater der WeisenGründet <strong>in</strong> der Schweiz e<strong>in</strong> Waisenhaus, <strong>in</strong> dem er verwahrloste K<strong>in</strong>deraufnahm. Nicht etwas sagen, sondern Vorleben. Se<strong>in</strong> Stanzer Brief gilt alsDokument für realisiertes erzieherisches Ethos schlechth<strong>in</strong>.Zu Burgdorf und MünchenbuchseeGründer der neuen VolksschuleIn Iferten Erzieher der Menschheit,Mensch, Christ, BürgerGott ist dort, wo sich Menschen Liebe erweisenAlles für Andere, für sich nichts!Segen se<strong>in</strong>em Namen!Vater der Sozial- und Sonderpädagogik.


Zur Geschichte der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 81Philanthropen: BASEDOW, SALZMANN, ROCHOW, CAMPE.4.1.3 Die Deutsche Klassik (1800 - 1900)Erziehung und Bildung <strong>in</strong> der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft.Daniel SCHLEIERMACHERVorlesung über Pädagogik (1820/21 und 1826). Er schafft e<strong>in</strong>e umfassendepädagogische Theorie. Die Praxis der Erziehung ist älter als <strong>die</strong> Theorie davon.Von ihm und DILTHEY nimmt <strong>die</strong> geisteswissenschaftliche Pädagogik ihrenAusgang.Friedrich FRÖBEL (1782 - 1852)„Menschenerziehung“ (1826). Gründer des K<strong>in</strong>dergartens, romantischeVorstellung von K<strong>in</strong>dererziehung „Gärtner“. Erster K<strong>in</strong>dergarten 1837, nenntsich ab 1840 K<strong>in</strong>dergarten.Wilhelm von HUMBOLDT (1767 - 1835)Bildung war für HUMBOLDT der Weg des Individuums zu sich selbst. Dahersollte Bildung zunächst dem Individuum und nicht dem Interesse des Staates<strong>die</strong>nen. „Der wahre Zweck des Menschen ... ist <strong>die</strong> höchste undproportionierlichste Bildung se<strong>in</strong>er Kräfte zu e<strong>in</strong>em Ganzen.“Menschliche Bildung ist bestimmt durch Individualität (Innerlichkeit der eigenen Subjektivität) Totalität (nicht bloß e<strong>in</strong>seitig geistig bilden, Bildung zu e<strong>in</strong>em Ganzen, stattFüllung mit Stoffen) Universalität (Griechisch für Tischler und umgekehrt für Gelehrten, sich vieleverschiedene Bereiche aneignen)Grundsätze der HUMBOLDT-SÜVERNSCHEN Reform:


82 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>1. Vorrang der allgeme<strong>in</strong>en Menschenbildung vor aller besonderenBerufsbildung. Zuerst allgeme<strong>in</strong>e Bildung, dann berufliche Bildung.Disqualifizierung letzterer ist e<strong>in</strong> Mißverständnis. Trennung von Berufs- undAllgeme<strong>in</strong>bildung, da sonst <strong>die</strong> Bildung unre<strong>in</strong> wird.2. Schulwesen als horizontal gegliedertes E<strong>in</strong>heitsschulsystem. Drei Stufen:Elementarunterricht, Schulunterricht, Universität. Nicht als Gesamtschule zuverstehen.3. Zurückdrängung des staatlichen E<strong>in</strong>flusses <strong>in</strong> der Zuständigkeit für Erziehungund Bildung. Bildung soll primär der <strong>in</strong>dividuellen Selbstentfaltung <strong>die</strong>nen.4. Kampf gegen <strong>die</strong> Untertanenmentalität. Bildung sollte den Menschen zurSelbstbestimmung befähigen.1809 Gründung der Berl<strong>in</strong>er Universität. Zugang nicht aufgrund der Abstammung(Adelsprivileg), sondern aufgrund der allgeme<strong>in</strong>en Reifeprüfung. DerGeburtssche<strong>in</strong> wurde durch den Befähigungsnachweis ersetzt (auch für denStaats<strong>die</strong>nst). E<strong>in</strong>heit von Forschung und Lehre sowie relative Unabhängigkeitder Universitäten vom Staat.Johann Friedrich HERBART (1776 – 1841)Didaktische Formalstufen des Unterrichts:1. Stufe der Klarheit (aufnehmen): Schüler muß zunächst <strong>die</strong> neuenVorstellungen klar erfassen, vertiefen, verstehen, worum es geht. Man sprichtüber den Apfel und nicht über Ernährung <strong>in</strong>sgesamt, Apfel zerlegen undse<strong>in</strong>e Bestandteile klären.2. Stufe der Assoziation (denken): Die zunächst isolierten E<strong>in</strong>zelteile werdenmite<strong>in</strong>ander verbunden, mite<strong>in</strong>ander assoziiert. Schale, Fleisch, ... des Apfelswird mit ähnlichen Teilen anderer Obstsorten assoziiert.3. Stufe des Systems (verarbeiten): Das neu Aufgenommene wird mit bereitsvorhandenen Vorstellungen verbunden, d.h. systematisiert. Der Apfel wirddem Kernobst zugeordnet, e<strong>in</strong>geordnet.4. Stufe der Methode (anwenden): Der Lerngew<strong>in</strong>n wird angewendet. Das amBeispiel des Apfels Gelernte wird auf andere Gewächse übertragen.


Zur Geschichte der <strong>Erziehungswissenschaft</strong> 83Bis 1900 war <strong>die</strong>s <strong>die</strong> Didaktik aller Lehrer. Artikulation von Unterricht. Das führtedazu, daß man mit der Schule und dem Unterricht unzufrieden wurde.Anm.: Qualifikation ist objektiv, Bildung ist subjektiv.4.2 Von der Reformpädagogik zur Gegenwart4.2.1 Reformpädagogik 1900 - 1933Gehört auch zur geisteswissenschaftlichen Pädagogik. Ausdruck des Protestsgegen den Schematismus, den besonderes HERBARTs Schüler <strong>in</strong> dessenDenken brachten. Dem Nationalsozialismus konnte <strong>die</strong> Reformpädagogik nichtsentgegensetzen, da ihr der kritische Gesellschaftsbezug fehlte. Sie folgte bl<strong>in</strong>d. Julius LANGBEHN: „Kulturkritik“, „Der Professor ist <strong>die</strong> deutscheNationalkrankheit“. Hermann NOHL: Vater der Sozialpädagogik. Helene LANGE/ Gertrud BÄUMER: Frauenbewegung (Wahl, Mädchenbildung). Jungendbewegung: Gegen Bevormundung. Georg KERSCHENSTEINER (1854 - 1932): Arbeitsschulbewegung, Vaterder Berufsschule, Projektarbeit, Theorie und Praxis, DEWEY (Vater derProjektmethode): learn<strong>in</strong>g by do<strong>in</strong>g. Bekanntes Beispiel: Bau e<strong>in</strong>esStarenkastens, wor<strong>in</strong> sich wichtige Pr<strong>in</strong>zipien se<strong>in</strong>er Pädagogik vere<strong>in</strong>en:Selbsttätigkeit, praktisches Tun und geistige Leistungen, Lernen an derSache, Selbstüberprüfung des Erfolges statt sachfremder Zensuren, ethischeZiele wie Sorgfalt und kooperatives Lernen. Alfred LICHTWARK (1852 - 1914): Kunsterziehungsbewegung. GegenÜberbetonung des Verstandes. Hermann LIETZ/Paul GEHEEB (Odenwaldschule)/Paul HAHN (Salem) u.a.Landerziehungsbewegung, da Stadt negativen E<strong>in</strong>fluß.


84 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Wilhelm FLITNER: VHS Gründung.Peter PETERSEN: Jena-Plan-Schule: Jahrgangsübergreifende Klassen,Wochenarbeitsplan, Lebens-Geme<strong>in</strong>schaftsschule, Helfersystem vonSchülern, Gruppenarbeit.Maria MONTESSORI: Hilf mir, es selbst zu tun. Förderung der Aktivität schonim Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dalter.4.2.2 NationalsozialismusErnst KRIEG, Alfred BÄUMLERAdolf Hitler:„Der völkische Staat hat (...) se<strong>in</strong>e gesamte Erziehungsarbeit <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie nichtauf das E<strong>in</strong>pumpen bloßen Wissens e<strong>in</strong>zustellen, sondern auf dasHeranzüchten kerngesunder Körper. Erst <strong>in</strong> zweiter L<strong>in</strong>ie kommt dann <strong>die</strong>Ausbildung der geistigen Fähigkeiten. Hier aber wieder an der Spitze <strong>die</strong>Entwicklung des Charakters (...) Der Staat hat <strong>die</strong> Verpflichtung, mit äußersterSorgfalt und Genauigkeit aus der Gesamtzahl der Volksgenossen das von Naturaus ersichtlich befähigte Menschenmaterial herauszusieben und im Dienste derAllgeme<strong>in</strong>heit zu verwenden.“Primäres Ziel ist also <strong>die</strong> Züchtung kerngesunder Körper, <strong>die</strong> geistigenFähigkeiten s<strong>in</strong>d sekundär. Außerdem muß der Staat geeignete Menschenherausfiltern.


Pädagogische Anthropologie 855 Pädagogische Anthropologie(Erziehung und Bildung)Es geht hierbei um <strong>die</strong> Erziehungsbedürftigkeit ( Lernbedürftigkeit) desMenschen. Weshalb ist der Mensch auf Erziehung angewiesen? Mängel ausbiologischer und philosophischer Sicht führen zur Erziehungsbedürftigkeit.Aspekte aus der Biologie: A. GEHLEN: Der Mensch ist e<strong>in</strong> Mängelwesen. Er hat ke<strong>in</strong>everhaltensleitende Inst<strong>in</strong>ktausstattung, dafür aber e<strong>in</strong>e hohe Lernfähigkeit.Mensch ist auf Erziehung angewiesen. A. PORTMANN: Physiologische Frühgeburt Extra uter<strong>in</strong>es Früh-Jahr. DerMensch kommt im Verhältnis zum Tier e<strong>in</strong> Jahr zu früh zur Welt. Der Menschist weltoffen und entscheidungsfrei. Das Tier ist umweltgebunden und<strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktgesichert.Aspekte aus der Philosophie: KANT: „Der Mensch kann nur zum Menschen werden durch Erziehung. Er istnichts, als was <strong>die</strong> Erziehung aus ihm macht.“ PLESSNER: Der Mensch ist reflexives Wesen, das sich selbst betrachtenund „ich“ sagen kann. Nur der Mensch kann sich selbst zum Objekt (sichselbst betrachten) machen, das unterscheidet ihn vom Tier.


86 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Gesellschaft (vgl. GUDJONS 1995, S. 178)Enkulturation (= Erwerb kultureller Basisfähigkeiten)Sozialisation (= „sozial werden“)Erziehung (= „sozial machen“)Individuation(=e<strong>in</strong>zigartiges Individuumwerden)Enkulturation: Lesen, schreiben, rechnen.Sozialisation: Übernahme von Normen und Werten.Erziehung: Intentional. Mit der Absicht, dem Erziehungsziel, das jemandsozial wird.Individuation: Mensch gew<strong>in</strong>nt se<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>guläre, e<strong>in</strong>zigartige Individualität.5.1 ErziehungVoraussetzung für Erziehung ist <strong>die</strong> Bildsamkeit und Selbsttätigkeit (Motivation)der zu Erziehenden, sonst ist jede Erziehung s<strong>in</strong>nlos.


Pädagogische Anthropologie 87Zwei Grundverständnisse von Erziehung:1. Erziehung als „herstellendes Machen“ (Bildhauer). Der Erzieher gleicht e<strong>in</strong>emHandwerker, der e<strong>in</strong>en angestrebten Zweck mit Hilfe bestimmter Mittel undMethoden handelnd anstrebt. Technizismus. LOCKE: „tabula rasa“. Heute:Behaviorismus, Reiz-Reaktions-Mechanismus2. Begleitendes „Wachsen lassen“. Der Erzieher gleicht e<strong>in</strong>em Gärtner, derpflegend und schützend bei e<strong>in</strong>em Entwicklungsprozeß hilft, der als e<strong>in</strong>natürlicher, von selbst geschieht. Naturalismus.ROUSSEAU: Natürliche Erziehung.FRÖBEL: K<strong>in</strong>dergarten.Entschulung der Gesellschaft, Abschaffung der Pädagogik. Wird heute imRahmen der antiautoritären Pädagogik diskutiert.Beide Grundverständnisse haben historische Wurzeln, werden aber auch heutenoch diskutiert. Wenn von Erziehung <strong>die</strong> Rede ist, muß man erst prüfen, welcheBedeutungsvariante geme<strong>in</strong>t ist. Litt fordert, beides zu verb<strong>in</strong>den. LITT: Führenoder Wachsenlassen, dar<strong>in</strong> kommt <strong>die</strong> dialektische Verschränkung/Verb<strong>in</strong>dungvon beiden zum Ausdruck. Erziehung alle<strong>in</strong> als Wachsenlassen hebt sich selbstauf, Erziehung alle<strong>in</strong> als Führen schafft ke<strong>in</strong>e Mündigkeit und wird totalitär.Begriff ErziehungBedeutung des Begriffes (nach BREZINKA) Prozeßbedeutung (Zeitablauf) versus Produktbedeutung (Ergebnis).Frage: Ist das Ergebnis wirklich durch Erziehung determ<strong>in</strong>iert/entstanden?Me<strong>in</strong>e ich Erziehung als Prozeß oder als Produkt? Deskriptiver (Beschreibung, beobachtend, wertfrei, was passiert) versuspräskriptiver (Normen, Werte, es wird e<strong>in</strong> bestimmtes Ergebnis angestrebt)Begriffsgebrauch. Absichtsbegriffe (Die Absicht/Intention ist entscheidend. Verfolge ich e<strong>in</strong>bestimmtes Ziel <strong>in</strong> der Erziehung) versus Wirkungsbegriffe (Produkt, Erfolgentscheidend, Wirkung der Erziehung). Problem: Zuordnung vonDeterm<strong>in</strong>anten zur e<strong>in</strong>getretenen Wirkung sehr schwer.


88 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong> Handlungsbegriffe (Intentional, Klasse von Handlungen, <strong>die</strong> Förderabsichthaben) versus Geschehensbegriffe (Man geht davon aus, daß etwasgeschieht. Teilmenge menschlicher Aktionen, <strong>die</strong> E<strong>in</strong>fluß auf andereMenschen nehmen)Def<strong>in</strong>ition Erziehung (BREZINKA 1974, S. 95):Unter Erziehung werden soziale Handlungen verstanden, durch <strong>die</strong> Menschenversuchen, das Gefüge der psychischen Dispositionen anderer Menschen <strong>in</strong>irgende<strong>in</strong>er H<strong>in</strong>sicht dauerhaft zu verbessern oder se<strong>in</strong>e als wertvoll beurteiltenKomponenten zu erhalten.Kurz: Als Erziehung werden Handlungen bezeichnet, durch <strong>die</strong> Menschenversuchen, <strong>die</strong> Persönlichkeit anderer Menschen <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er H<strong>in</strong>sicht zufördern.Merkmale der Def<strong>in</strong>ition:1. <strong>in</strong>tentionale, bewußte Handlungen2. soziale Handlungen, d.h. auf andere bezogene, zielgerichtete Handlungen (Selbsterziehung)3. psychische Disposition, d.h. nicht nur vorübergehend4. verbessern/erhalten, e<strong>in</strong>em Sollzustand wird vom Erziehenden e<strong>in</strong> Wertzugeschrieben5. versuchen kann gel<strong>in</strong>gen/mißl<strong>in</strong>gen6. Erziehende s<strong>in</strong>d Menschen7. Förderungsabsicht gemäß den für wertvoll erachteten Normen, also ke<strong>in</strong>eHandlungen, <strong>die</strong> das Dispositionsgefüge ändern, ohne zu fördern8. Adressaten s<strong>in</strong>d Menschen jeden Alters9. Auch Schüler können erziehen, also Subjekte der Erziehung se<strong>in</strong>


Pädagogische Anthropologie 89Erziehendeversuchenmit sozialenHandlungenpsychischeDispositionzu verbessernzu erhaltenzu beseitigenVon Erziehung darf man nur sprechen, wenn <strong>die</strong> Handlungen <strong>in</strong>tentionalerfolgen. Es gibt e<strong>in</strong> Generationengefälle zwischen Älteren und Jüngeren.Umgangssprachlich: Die Mutter erzieht ihr K<strong>in</strong>d.Kritik an der Def<strong>in</strong>ition:1. Zu allgeme<strong>in</strong>, zu formal, d.h. es fällt alles darunter. Auch <strong>die</strong> Erziehung zukrim<strong>in</strong>ellen Handlungen wäre mit <strong>die</strong>ser Def<strong>in</strong>ition vorstellbar.2. Erziehung wird bloß als Versuch angesehen, ohne auf den Erfolge<strong>in</strong>zugehen. Wenn Erziehung nur als Versuch gelten kann, dann ist fraglich,wie das Aufdecken von Kausalbeziehungen (nomologisches Wissen im S<strong>in</strong>neder Gesetzmäßigkeit von E<strong>in</strong>wirkung und Erfolg) als wissenschaftlicheAufgabe möglich ist. E<strong>in</strong>erseits Forderung von nomologischen Aussagen,andererseits <strong>die</strong> Aussage, es gebe bloß probabilistische (ke<strong>in</strong>edeterm<strong>in</strong>istischen) Aussagen. Dann ist das Aufdecken von Kausalbeziehungenals wissenschaftliche Aufgabe nicht möglich.3. Geschichtslose Auffassung von Erziehung. Man muß aber stets denhistorischen Kontext auch berücksichtigen.4. Der Adressat der pädagogischen E<strong>in</strong>wirkung ist primär Objekt fremdenWollens.5. Auch Erwachsene können nach <strong>die</strong>ser Def<strong>in</strong>ition Erwachsene erziehen. Dasist aber fraglich. Tendenziell Erwachsene - K<strong>in</strong>der.


90 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Def<strong>in</strong>ition Berufserziehung (BUNK 1982, S. 15)Als Berufserziehung werden solche sozialen Handlungen verstanden, durch <strong>die</strong>Menschen versuchen, das physio-psychologische Gefüge anderer Menschen(positiv) im H<strong>in</strong>blick auf Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten/Haltungen[schränkt e<strong>in</strong>: Heute: Berufliche Handlungskompetenz viel weitgehender] sowie aufArbeitskomb<strong>in</strong>ationen für e<strong>in</strong>en Ausbildungsberuf zu verändern bzw. <strong>die</strong> alswertvoll beurteilten Komponenten zu erhalten.Wer stellt fest, was wertvoll ist? Der Ausbildungsbetrieb, der Prüfer, <strong>die</strong> Schule?Auch das Individuum muß gefragt werden.Problem des Wortes Schlüsselqualifikation: Bildung ist immer subjektiv, währendQualifikation zu messen ist objektiv. Bildung ist Maßstab für pädagogischesHandeln.Bildung ist im Gegensatz zu Erziehung e<strong>in</strong> lebenslanger Prozeß.Ziele, Normen und Werte <strong>in</strong> der Erziehung Ziele im engeren S<strong>in</strong>ne <strong>die</strong>nen konkreten Zwecken und beschreibenpraktische Handlungs<strong>in</strong>tentionen. Z.B. Erziehung zur Friedfertigkeit. DieseZiele müssen nicht für alle Subkulturen gelten, z.B. Mittelschicht eherErziehung zur Selbständigkeit, Unterschicht eher zu Gehorsam. Normen s<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>ter den Zielen liegende Überzeugungen/Sollvorstellungen,<strong>die</strong> sich <strong>in</strong> längeren Zeitabschnitten entwickelt haben und für e<strong>in</strong>en größerenKulturkreis gelten, Menschenrechte, <strong>die</strong> 10 Gebote. Norm: „Du sollst nichttöten“. (Grund-)Werte liegen den Normen zugrunde (Grundwerte). EntscheidendesMerkmal ist der Akt des Be-wertens. Wert: Ehrfurcht vor dem Leben.Z.B. hohe Bildung (Ziel) zukunftsreicher Beruf möglich (Norm) denn vielGeld und Zufriedenheit ist das Wichtigste im Leben (Wert).


Pädagogische Anthropologie 91Anm.: Ist das Nachdenken über Normen, Werte, Ziele nach der kritischrationalen<strong>Erziehungswissenschaft</strong> (BREZINKA) noch Aufgabe der<strong>Erziehungswissenschaft</strong>? Das gehört zur kritischen Theorie. Erziehung ist aufZiele angewiesen, aber das Nachdenken darüber gehört nicht zur Erziehung.Lehrer braucht Theorie (Zweck-Mittel-Zusammenhänge), wenn er z.B.Maßnahmen ergreifen muß, e<strong>in</strong>en störenden Schüler <strong>in</strong> <strong>die</strong> Klasse zu<strong>in</strong>tegrieren. Er könnte z.B. versuchen, daß <strong>die</strong>ser Klassensprecher wird.Auch nötig: Erziehungsmittel: Lob, Tadel, Gebäude, Bücher, ...Unterschicht sanktioniert <strong>die</strong> Scherben, Mittelschicht <strong>die</strong> Absicht, d.h. ob e<strong>in</strong>eVase aus versehen h<strong>in</strong>untergeworfen wurde oder mit Absicht.Lehrerverhalten:Lehrer präferieren unterschiedliche Erziehungsstile1. Autoritär/autokratischBefehl und Gehorsam. So wird <strong>in</strong> der „Schule der Nation“ verfahren. Lehrerweiß immer alles besser. Frontalunterricht.2. Demokratisch, sozial <strong>in</strong>tegrativPartnerschaftliches Mite<strong>in</strong>ander, optimaler Erziehungsstil.3. Laissez-faireErziehungsverhalten schwankend, nicht genau bestimmbar, willkürlich,widersprüchlich. Hat ke<strong>in</strong> klares Unterrichtskonzept, planloses Vorgehen. DieFolgen s<strong>in</strong>d für den Schüler nicht abschätzbar. So darf man ke<strong>in</strong>esfallsunterrichten. Schlimmster Fall.Wenn man e<strong>in</strong>en Stoff für s<strong>in</strong>nlos hält, soll man das se<strong>in</strong>en Schülern auchsagen. „Das gefällt mir auch nicht, aber wir müssen es halt machen“.


92 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Bestimmungsziele erzieherischen Handelns:(Merksätze: Merkmale von Erziehungstheorien. Komb<strong>in</strong>ation verschiedenerModellvorstellung, weicht von BREZINKA ab.)1. Erziehung ist <strong>in</strong>tentional und darauf gerichtet, sich selbst aufzuheben (sichselbst überflüssig zu machen). Erziehung ohne Ziele und Bewußtse<strong>in</strong> gibt esnicht.2. Das Erziehungsgeschehen ist e<strong>in</strong> Interaktionsprozeß, d.h. nicht e<strong>in</strong>seitig. Esf<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>e wechselseitige Bee<strong>in</strong>flussung statt (unterschiedlich je nachRollendef<strong>in</strong>ition <strong>in</strong> unterschiedlichen Bildungse<strong>in</strong>richtungen Grundschule,Gymnasium, Universität).3. Erziehung als „Herstellen“ ist nicht denkbar (LOCKE, Behaviorismus).Unabd<strong>in</strong>gbar ist <strong>die</strong> Selbsttätigkeit des Educandus. Die bei der Erziehungauftretenden Prozesse s<strong>in</strong>d methodisch organisiert.4. Erziehung ist e<strong>in</strong>gebunden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en historisch gesellschaftlichen Kontext.Damit unterliegt sie Wandlungen. „Die“ Erziehung gibt es nicht (Kritikpunkt anBREZINKA).5. Erziehung erfolgt <strong>in</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzung mit Inhalten, Gegenständen,Themen, ..., welche <strong>die</strong> kognitive (geistig, <strong>in</strong>tellektuelle, Wissen), affektive(emotional, E<strong>in</strong>stellungen) und/oder psychomotorische (Tätigkeit,Fertigkeiten) Ebene <strong>in</strong> wechselseitigem Zusammenhang betreffen.PESTALOZZI: Kopf, Herz, Hand. Erziehung im <strong>in</strong>haltsfreien Raum gibt esnicht.


Pädagogische Anthropologie 93Strukturmodell von Erziehung (GUDJONS 1994, S. 196):Gesellschaftlich-historisch-sozialer LebenskontextInstitutionen der Erziehung (z.B. Schule, Familie“)ErzieherInteraktionKompetenzgefälleRollenZu ErziehenderInten<strong>die</strong>rtesmethodischesHandelnGegenständeThemenErziehungsziele(Normen, Werte)5.2 Bildung Bildung ist e<strong>in</strong> genu<strong>in</strong> deutscher Begriff, er existiert erst ab dem 18.Jahrhundert. Bildung zielt auf E<strong>in</strong>zigartigkeit ab, etwas Subjektives. Vormoderne bis zur Renaissance, Moderne ab der Renaissance (demAufkommen der Wissenschaft). Die überlieferte Tradition reichte nun nichtmehr aus, um den Aufgaben von morgen gerecht zu werden Bildung. Heute: Schlüsselqualifikationen, re<strong>in</strong>es Wissen br<strong>in</strong>gt wenig, da es zu schnellveraltet nicht primär Wissensvermittlung. Comenius war zur Zeit des 30jährigen Krieges der erste, der über Bildungnachdachte.


94 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Unterscheidung des Bildungsbegriffs:BildungNormativ(Produkt)Deskriptiv(Prozeß)material formal SelbsttätigkeitRezeptivität(Akkomodation)Spontanität(Assimilation)GesellschaftIndividuumObjektivitätSubjektivitätNormativ (Produkt, Output)- Material, z.B. Gymnasium Fächerkomb<strong>in</strong>ation, also festgemacht an ganzbestimmten Fächern. Vorstellung davon, daß e<strong>in</strong>e Person über ganzbestimmte Inhalte verfügen muß, um gebildet zu se<strong>in</strong>.- Formal, d.h. beruflich tüchtig (extern gestellten Anforderungen ohnekritisches H<strong>in</strong>terfragen gerecht werden) und mündig (Kritik, H<strong>in</strong>terfragen).Welche Fächer/Inhalte ist egal.Deskriptiv (Prozeß) Selbsttätigkeit (Schüler müssen selbst tätig werden).- Rezeptivität. Akkomodation nach Piaget, d.h. Anpassung an <strong>die</strong> Umwelt.Unabhängig vom Individuum, ohne Personenspezifisches (beruflicheTüchtigkeit)- Spontanität. Assimilation, d.h. Individuum wirkt auf <strong>die</strong> Umwelt (DasIndividuum paßt <strong>die</strong> Umwelt an <strong>die</strong> eigenen Schemata an) Assimilation


Pädagogische Anthropologie 95muß vom Subjekt ausgehen. Selbsttätigkeit. Verweist auf beruflicheMündigkeit.Wird über Bildung geredet, muß man sich stets klar machen, <strong>in</strong> welcherBedeutung der Bildungsbegriff verwendet wird:1. Normativ oder deskriptiv, also Produkt oder Prozeß?2. Material oder formal?3. Rezeptivität oder Spontanität?E<strong>in</strong>e Def<strong>in</strong>ition von Bildung muß normative Elemente (berufliche Tüchtigkeit undMündigkeit) be<strong>in</strong>halten, da es ohne Normen nicht geht. Gleichzeitig ist Bildunge<strong>in</strong> Prozeß im Spannungsfeld von Gesellschaft und Individuum [führen (objektiv)und wachsen lassen (subjektiv)]. Man kann Bildung heute nicht mehrnormativ/material def<strong>in</strong>ieren, da sich <strong>die</strong> Welt zu schnell ändert! Spontanität istunverzichtbar.Bildungsbegriff heute:BLANKERTZ versuchte <strong>in</strong> NRW mit der Kollegschule allgeme<strong>in</strong>e Bildung undBerufsbildung zu verb<strong>in</strong>den, oder anders ausgedrückt, <strong>die</strong> Trennung von beidenzu überw<strong>in</strong>den. Bildung war <strong>die</strong> theoretische Prämisse des Kollegschulversuchs.Bildungstheoretische Prämissen des Kollegschulversuchs:1. „Die Ansicht, <strong>die</strong> Aneignung [Selbsttätigkeit] ganz bestimmter Inhalte machee<strong>in</strong>en Menschen zum ‘Gebildeten’, (ist) bildungstheoretisch unhaltbar.“ Materialer Bildungsbegriff ist unhaltbar.Anm.: These: Bildung läßt sich nicht vermeiden. Individuation, re<strong>in</strong> deskriptiv,macht das S<strong>in</strong>n? Ist nicht haltbar?2. Bildung ist nur über „spezifische Inhalte“ (also auch beruflich) zu erwerben,<strong>die</strong> „sich aus den Anforderungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Gesellschaft an Schule undUnterricht stellt“, ergeben. „Sie entspr<strong>in</strong>gen ke<strong>in</strong>er bildungstheoretischenAbleitung (...).“


96 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Anm.: Spezifische Inhalte ergeben sich aus den Anforderungen derGesellschaft, haben aber nichts mit dem Bildungsbegriff zu tun.Anm.: Jedes allgeme<strong>in</strong>e Lernen ist auch berufliches Lernen und umgekehrt.Ausnahmen s<strong>in</strong>d bestenfalls <strong>die</strong> allgeme<strong>in</strong>en Kulturtechniken lesen,schreiben, rechnen.Anm.: Besser allgeme<strong>in</strong>e Schulen statt allgeme<strong>in</strong>bildende Schulen, besserberufliche Schule statt berufsbildende Schule. Denn was ist bildend?3. „Von bildungstheoretischer Bedeutung ist aber <strong>die</strong> Frage nach denallgeme<strong>in</strong>en Lernzielen (...), weil sie <strong>die</strong> gesellschaftliche Funktionstüchtigkeitim Interesse des Subjekts überschreiten.“Anm.: Während sich <strong>die</strong> besonderen Lernziele (Fachdidaktik) auf Ansprücheder Gesellschaft beziehen, gehen <strong>die</strong> allgeme<strong>in</strong>en Lernziele, z.B. beruflicheMündigkeit, über <strong>die</strong> Ansprüche der Gesellschaft h<strong>in</strong>aus.4. Die „allgeme<strong>in</strong>en Lernziele vertreten gegenüber den fachlichen Lernzielene<strong>in</strong>e kritische Funktion“. Die allgeme<strong>in</strong>en Lernziele verweisena. auf <strong>die</strong> „Wissenschaftsorientiertheit des Lernens“ undb. auf das „Pr<strong>in</strong>zip der Kritik“.Was man lernt sollte wissenschaftstheoretisch fun<strong>die</strong>rt se<strong>in</strong>. Gleichzeitigsollte man das fachlich angeeignete kritisch betrachten. Ohne Kritik gäbe eske<strong>in</strong>en Fortschritt.Z.B. fachlich: Doppelte Buchführung. Wissenschaftstheoretisch: Wiesodoppelt zu viele Fehler bei der e<strong>in</strong>fachen Buchführung, doppelt genügt zurFehlerbeseitigung.


Sozialisation 976 SozialisationDen Begriff führt DURKHEIM (1907) e<strong>in</strong>. Er umfaßt den Begriff der Erziehungund Bildung.Def<strong>in</strong>ition Sozialisation:Gesamtheit der gesellschaftlichen E<strong>in</strong>flüsse auf <strong>die</strong> Persönlichkeitsentwicklungdes Menschen (Prägung). Vorgang der Vergesellschaftung des Menschen.Der Sozialisationsbegriff wendet sicha. gegen e<strong>in</strong>seitig biologische Auffassungen. Die menschliche Entwicklung istnicht e<strong>in</strong>zig und alle<strong>in</strong> auf Genetik und Anlagefaktoren zurückzuführenb. gegen e<strong>in</strong>e idealistische und <strong>in</strong>dividualistische Auffassung, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>enimmanenten Reifungsprozeß für <strong>die</strong> Genese der Persönlichkeit annimmtc. gegen e<strong>in</strong>e pädagogisch reduzierte Perspektive. Pädagogik (<strong>in</strong>tentionalerE<strong>in</strong>fluß) alle<strong>in</strong> langt nicht.6.1 Ausgewählte Theorieansätze6.1.1 Psychologische Theorien6.1.1.1 Lern- und VerhaltenspsychologieKlassischer BehaviorismusLernen besteht aus Reiz-Reaktionsmechanismen. Verhalten des Menschenist stets Reaktion auf Impulse der Umwelt tabula rasa (Locke). Nur wasman beobachten kann, ist Gegenstand von Wissenschaft. Der Mensch ist„Black Box“, was <strong>in</strong> ihm vor sich geht und man daher nicht beobachten kann<strong>in</strong>teressiert nicht.Weiterentwicklung zum Modellernen


98 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Nachahmungslernen (BANDURA). Beobachten Nachmachen. Lernen anFilmen. Im Umgang mit Menschen (sozialen Modellen) bauen wir kognitiveSchemata und Regelsysteme auf Der Mensch muß selbst aktiv werden.6.1.1.2 PsychoanalyseSigmund FREUD. Das Unbewußte ist entscheidend für das Handeln. „Es“ Triebausstattung des Menschen, <strong>die</strong> ihm von Geburt an mitgegeben ist.Physiologische Bedürfnisse/Triebe (Sexualität/Aggression). Diese Triebemüssen überformt werden. „Ich“ Wahrnehmung und Willensbildung. Entscheidung, ob physiologischeBedürfnisse realisiert oder aufgeschoben werden. „Über-Ich“ Internalisierung/Ver<strong>in</strong>nerlichung von elterlichen/gesellschaftlichenNormen (entscheidend für Sozialisation, wichtig hierfür ist Identifikation, z.B.mit den Eltern).Konflikt zwischen Es und Realität, bei dem das Es (Triebe) gesellschaftlichüberformt wird. Dies geschieht im Prozeß der Sozialisation. Die neuerePsychoanalyse hat <strong>die</strong> grundlegenden Entwürfe FREUDS erheblich korrigiert,erweitert und variiert.6.1.1.3 Kognitive EntwicklungspsychologiePIAGET (Schweizer Entwicklungspsychologe). 1+1=2. Wie ist der Mensch zurErkenntnis fähig? Subjekt verhält sich aktiv! Also nicht nur Trieb, nicht nurGenetik, nicht nur soziale Determ<strong>in</strong>anten. Der Mensch verhält sich aktivaneignend (ist aber nicht ganz frei). Akkomodation bedeutet, daß das Schemaan den Gegenstand angepaßt wird, Assimilation bedeutet <strong>die</strong> Anpassung derUmwelt an das eigene Schema.Kritisch: Wie <strong>die</strong> soziale Umgebung aussieht, spielt bei Piaget ke<strong>in</strong>e Rolle.


Sozialisation 99Versuch: Zwei gleiche Gläser enthalten gleich viel Flüssigkeit. E<strong>in</strong>es wirdumgeschüttet <strong>in</strong> e<strong>in</strong> höheres und schmaleres Glas. K<strong>in</strong>der me<strong>in</strong>en nun, es seiunterschiedlich viel Flüssigkeit (Saft) <strong>in</strong> beiden Gläsern.6.1.2 Soziologische Theorien6.1.2.1 Struktur-funktionale TheoriePARSONS (1902-1979) Makrosicht (also mit Blick auf <strong>die</strong> ganze Gesellschaft) Struktur: Statischer Aspekt des Systems, wie ist es organisiert, wie es imMoment ist.Funktional: Dynamischer Aspekt. Frage nach den Bed<strong>in</strong>gungen für <strong>die</strong> Stabilität sozialer Systeme, welchenBeitrag leisten Subsysteme für <strong>die</strong> Stabilität des Gesamtsystems. Sozialisation bedeutet <strong>die</strong> Integration <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Gesellschaftssystem beiKonformität mit den dort geltenden Wertmustern. Internalisierung bedeutet<strong>die</strong> Übernahme der Wertmuster durch das Individuum. Das Individuumver<strong>in</strong>nerlicht <strong>die</strong> Wertsetzungen und Normen der sozialen Umwelt über e<strong>in</strong>ewachsende und immer differenzierter werdende Zahl von Rollen. DasH<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Gesellschaft geschieht also durch das Erlernen vonRollen. Wenn Ziele/Normen/Werte vom Individuum übernommen werden,dann ist der Sozialisationsprozeß erfolgreich.Der Vorgang der Sozialisation ist geprägt durch den Wechsel von Leistungund Sanktion. Leistungen s<strong>in</strong>d Handlungen, <strong>die</strong> vom Handelnden als Teil derErfüllung von Rollenerwartungen gedacht s<strong>in</strong>d und von den Beobachterndanach beurteilt werden, wie sie zum Funktionieren des Teilsystemsbeitragen. Sanktionen s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> auf Leistung bezogenen bewertendenHandlungen anderer Handelnder.Sozialisation und Internalisierung (KAISER/KAISER 1991, S. 118):


100 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>InternalisierungGesellschaftLeistung/SanktionIndividuumSozialisationFunktionale Gebote für SozialsystemeZu e<strong>in</strong>em sozialen System gehört stets Individuum, das z.B. <strong>in</strong> Schule, Betrieb<strong>in</strong>tegriert ist.Jedes soziale System strebt nach: StrukturbewahrungJedes Sozialsystem strebt nach Erhaltung. Es möchte sich gegen Wandelund Zerstörung schützen. ZielverwirklichungJedes Sozialsystem strebt danach, <strong>in</strong> der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit derUmwelt se<strong>in</strong>e Ziele zu verwirklichen. AdaptionJedes Sozialsystem ist bemüht, <strong>die</strong> zur Zielverwirklichung notwendigen Mittelaufzubr<strong>in</strong>gen und bereitzustellen. IntegrationSoll das System wirksam funktionieren, so s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zelnen Elemente zue<strong>in</strong>em Ganzen zu <strong>in</strong>tegrieren.Funktionale Gebote für Sozialsysteme (KAISER/KAISER 1991, S. 118):


Sozialisation 101ZielverwirklichungSozialesIntegrationIndividuumSystemStrukturbewahrungAdaption


102 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Gesellschaftliche Funktionen der Schule:(Integration des Bildungssystems <strong>in</strong> <strong>die</strong> Gesellschaft)GesellschaftBildungssystemBeschäftigungs-systemQualifikationsfunktionUnterricht/UnterweisungGesellschaftsstruktur„Herrschaftsverhältnisse“PolitischesSystemSelektionsfunktionIntegrationsfunktionPrüfungenBerechtigungenAbschlüsse„Schulleben“ Qualifikationsfunktion: Rechnen, Schreiben, Kenntnisse (funktionaleQualifikation), Pünktlichkeit, Ordnung, Fleiß (extrafunktionale Qualifikation). Selektions- und Allokationsfunktion: Sortierung von Schülern <strong>in</strong>Schullaufbahnen, Zuweisung zu beruflichen Positionen. Integrationsfunktion: Durch Inhalte und Themen, „heimlichen Lehrplan“ Außerdem Kulturüberlieferung: Tra<strong>die</strong>rung und Entwicklung der Kultur.Schule ist heute notwendig, da das Elternhaus, <strong>die</strong> Familie nicht mehr alleerforderlichen Fähigkeiten an <strong>die</strong> nachkommende Generation weitergeben kann.An Stelle der heute durch <strong>die</strong> Schule ausgeübten Selektion stand früher <strong>die</strong>Geburt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Stand.


Sozialisation 103Def<strong>in</strong>ition Sozialisation (RÜCKRIEM 1970, S. 270):Mit Sozialisation bezeichnet man e<strong>in</strong>en Prozeß, <strong>in</strong> welchem das Individuum <strong>die</strong>Normen und Werte sowie Rollen und Positionen derjenigen Gesellschaftübernimmt, der es angehört. Dabei handelt es sich um <strong>die</strong>jenigen Rollen undNormen, <strong>die</strong> für das Funktionieren der Gesellschaft notwendig s<strong>in</strong>d. DieserLernprozeß dauert an, solange das Individuum Rollen und Positionenübernimmt, also das ganze Leben h<strong>in</strong>durch. Mit <strong>die</strong>sem Prozeß sorgt <strong>die</strong>Gesellschaft, vertreten durch ihre Agenturen beziehungsweise Instanzen, für ihreeigene Stabilisierung und Reproduktion.Kritik an den funktionalen Geboten: E<strong>in</strong>seitige Vergesellschaftung. Das Individuum gestaltet nicht <strong>die</strong> Umwelt, sondern es ist der Umweltausgeliefert.Wenn alles, was funktionalen Geboten widerspricht, dysfunktional ist, dann gäbees ke<strong>in</strong>en Fortschritt. Der gesellschaftliche Wandel kann so nur sehr schwererklärt werden. Die Gesellschaft könnte sich nicht mehr weiterentwickeln Esmuß auch abweichendes Verhalten geben.Die Def<strong>in</strong>ition geht von der Makroebene aus. Die Rollen s<strong>in</strong>d weitgehendfestgelegte Muster, bei MEAD erfolgt das Rollenhandeln dagegen <strong>in</strong>terpretativ.


104 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Def<strong>in</strong>ition Berufliche Sozialisation (GROSKURTH 1979, S. 7 und S. 10):Mit beruflicher Integration me<strong>in</strong>t man „geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> jene Phase, <strong>in</strong> welcher <strong>die</strong>Integration der Person <strong>in</strong> <strong>die</strong> Berufswelt stattf<strong>in</strong>det, das heißt, <strong>in</strong> welcherberufsspezifische Fertigkeiten und Kenntnisse angeeignet werden und <strong>in</strong>welcher allgeme<strong>in</strong>e „Arbeitstugenden“ und allgeme<strong>in</strong>e ideologischeÜberzeugungen im H<strong>in</strong>blick auf <strong>die</strong> grundlegenden betrieblichen Verhältnissee<strong>in</strong>geübt bzw. übernommen werden ...Berufliche Sozialisation ist der permanente Prozeß der Ausbildung vonPersönlichkeitsstrukturen <strong>in</strong> der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den sich aus demProduktionsprozeß ableitenden (zum Teil widersprüchlichen) Anforderungen.6.1.2.2 Symbolischer InteraktionismusG. H. MEAD (von z.B. HABERMAS aufgegriffen):Subjekte stehen im Mittelpunkt. Mikroebene. Es werden e<strong>in</strong>zelne Subjektebetrachtet, <strong>die</strong> alltägliche Interaktion.Prämissen:1. Jeder Gegenstand hat für Menschen e<strong>in</strong>e Bedeutung, und gemäß <strong>die</strong>serBedeutung handeln Menschen ihnen gegenüber. Bsp.: Vor und nach e<strong>in</strong>emSchulpraktikum sieht man <strong>die</strong> Vorlesungen aus e<strong>in</strong>er anderen Perspektive,hat <strong>die</strong>se e<strong>in</strong>e andere Bedeutung.2. Der Ursprung <strong>die</strong>ser Bedeutungen liegt <strong>in</strong> der sozialen Interaktion, das heißt,daß Bedeutungen soziale Produkte s<strong>in</strong>d, <strong>die</strong> durch def<strong>in</strong>ierende Aktivitätender mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong>teragierenden Personen hervorgebracht werden.Deutungen müssen <strong>in</strong> Interaktionen erworben werden.


Sozialisation 1053. Der Gebrauch <strong>die</strong>ser Bedeutungen ist nicht festgelegt, d.h. der e<strong>in</strong>zelnenimmt <strong>in</strong> der Interaktion mit sich selbst und anderen Umformungen undNeu<strong>in</strong>terpretationen <strong>die</strong>ser Bedeutungen vor.Der symbolische Interaktionismus ist e<strong>in</strong> handlungstheoretisches Konzept derSozialisation, das davon ausgeht, daß der Mensch kreativ und produktiv se<strong>in</strong>eUmwelt gestaltet. Es f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong> Wechselspiel von Vergesellschaftung undIndividuation statt. Personen handeln nicht danach, wie e<strong>in</strong>e Situation objektivist, sondern wie sie von den Handelnden <strong>in</strong>terpretiert/gedeutet wird.Symbolisch vermittelte Interaktion:Altersignificant otherEGOAlterGeneralotherIMEAltersignificant otherPersonaleIdentitätSozialeIdentitätIch-IdentitätBalanceEgo = Self = eigene PersonAlter = andere PersonI = Individuum, SubjektivitätMe = Von Gesellschaft bestimmtZwischen Alter und Ego werden signifikante Signale ausgetauscht. Ego mußPerspektive Alter annehmen, antizipieren und umgekehrt. Das nennt sich Roletak<strong>in</strong>g (Antizipation von Verhalten), Perspektivübernahme.


106 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Besteht Ich-Identität, so ist <strong>die</strong> Sozialisation gelungen. Hat jemand nur sozialeIdentität, so ist er extrem angepaßt, besitzt er nur personale Identität, so ist ere<strong>in</strong> Außenseiter. Wichtig ist <strong>die</strong> Balance zwischen sozialer Identität undpersonaler Identität.Wahrnehmungsperspektiven:1. Direkte Perspektive: Wie sieht mich wohl der andere?2. Meta-Perspektive: Wie me<strong>in</strong>t der andere, daß ich ihn sehe?3. Meta-meta-Perspektive: ...Role mak<strong>in</strong>g: Mit personaler Identität möglich, eigene Rolle gestalten.Frage: Wer bist du?a. Karl Müller personale Identitätb. Student soziale Identitätgut wäre: Der Student Karl Müller beides.Zusammenspiel von I, Me und Self <strong>in</strong> der symbolischen InteraktionLehrerSchülerSelfIMe„Setz Dich“„Jaja, gleich...“MeISelf


Sozialisation 107Sozialisations<strong>in</strong>stanzen:1. Primäre Sozialisation: Familie (geschlechtsspezifische Sozialisation),Achtung: Massenme<strong>die</strong>n.2. Sekundäre Sozialisation: Schule ab 6./7. LJ.3. Tertiäre Sozialisation: Beruf.Traditionelle Gesellschaften haben nur <strong>die</strong> Familie als Sozialisations<strong>in</strong>stanz, beiuns ist das nicht mehr ausreichend, um <strong>die</strong> gesellschaftlichen Anforderungen zuerfüllen.6.2 Schichtspezifische und geschlechtsspezifische SozialisationDie Aussagen s<strong>in</strong>d stets idealtypisch und stellen e<strong>in</strong>e statistischeVerallgeme<strong>in</strong>erung dar! Sie sollen <strong>die</strong> wichtigsten Kennzeichen der beidenSchichten po<strong>in</strong>tiert wiedergeben.Unterschicht: Arbeiter, Facharbeiter, kle<strong>in</strong>e AngestellteMittelschicht: Mittlere Beamte aufwärts, ProfessorenOberschicht: GroßkapitalDer Schicht<strong>in</strong>dex be<strong>in</strong>haltet drei Komponenten:1. E<strong>in</strong>kommen2. Schulbildung3. Beruf(Mädchen aus der Unterschicht stu<strong>die</strong>ren selten Kunstgeschichte.Nachhilfeunterricht ist typisch für <strong>die</strong> Mittelschicht)


108 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>MittelschichtUnterschichtBeruflichUmgang mit Symbolen (Schrift, Sprache) Repetitiver ArbeitsablaufLeistungs- und Aufstiegsorientierung Vorankommen als Erwerb materiellerGüterAktive E<strong>in</strong>stellung gegenüber Umwelt, Passiv-resignativer Fatalismus, d.h. manz.B. bei Übertritt aus der Grundschule fügt sich den Verhältnisseneigene PositionErziehungsverhaltenK<strong>in</strong>dorientiertElternorientiertAnstreben e<strong>in</strong>es hohen Bildungsniveaus Beteiligung der K<strong>in</strong>der am materiellenReproduktionsprozeß der Familie.Ausbildung soll nicht so lange dauern.K<strong>in</strong>der erlernen den Beruf der Eltern(früher: Ruhrgebiet Bergbau)„Deffered gratification pattern“, d.h. Tendenz zu unmittelbarerVerhaltensmuster der aufgeschobenen Bedürfnisbefriedigung LangfristigeBefriedigung Studium: Man kann sich Zeitperspektive fehlt Ausbildungerst später etwas leisten.kürzer. Schon im K<strong>in</strong>desalterbeobachtbar.Selbständigkeitserziehung, Liebesentzug Unmittelbare Diszipl<strong>in</strong>ierung, expressivesals Sanktion. Es wird gefragt, wie etwas Verhalten (schimpfen, Schläge) alspassiert ist. Absicht wir sanktioniert. Sanktion, Handlung. Es ist egal, wie dasFenster kaputt gegangen ist.Die Mittelschicht verwendet e<strong>in</strong>e formale (elaborierte, differenzierte) Sprachewährend <strong>in</strong> der Unterschicht e<strong>in</strong>e öffentliche (restr<strong>in</strong>gierte, begrenzte,e<strong>in</strong>geengte) Sprache vorherrscht. Da <strong>in</strong> der Schule <strong>die</strong> formale Sprachevorherrscht, führt <strong>die</strong>s zu e<strong>in</strong>er Benachteiligung von Unterschichtk<strong>in</strong>dern.


Lernen 1097 LernenKlassische Def<strong>in</strong>ition Lernen (EIGLER 1979, S. 27):Lernen ist der Prozeß, durch den Verhalten aufgrund von Interaktionen mit derUmwelt oder Reaktionen auf <strong>die</strong> Situation relativ dauerhaft entsteht oderverändert wird, wobei auszuschließen ist, daß <strong>die</strong>se Änderung durchangeborene Reaktionsweisen, Reifungsvorgänge oder vorübergehendeZustände des Organismus (Ermüdung, Rausch, o.ä.) bed<strong>in</strong>gt s<strong>in</strong>d.Diese Def<strong>in</strong>ition hat Ähnlichkeiten mit den Reiz-Reaktionsmechanismen desBehaviorismus. Was <strong>in</strong>tern vor sich geht bleibt unberücksichtigt. Durch das Wort„Verhalten“ kommt zum Ausdruck, daß sich lernen auf beobachtbaresÄnderungen zwischen zwei Zeitpunkten bezieht. Als Lernen muß tatsächlichaber auch bezeichnet werden, wenn sich jemand bemüht, se<strong>in</strong>e Person zuverändern. Dauerhaft nicht nur vorübergehend. Es kommt immer auf <strong>die</strong>Perspektive an. Lernen heißt Erfahrungen machen, Fertigkeiten erwerben.Erziehung zielt auf Ges<strong>in</strong>nungen/Haltungen. Lernen kann auch e<strong>in</strong> Tier,Erziehung macht <strong>die</strong> Menschlichkeit aus. Der Schwerpunkt des Lernens liegtbeim Lernenden.7.1 Lerntheorien(Überblick)1. Behavioristische oder assoziationistische Lerntheorien (BesondersPAWLOW, SKINNER, THORNDIKE):Konzentration auf direkt beobachtbares, wahrnehmbares Verhalten e<strong>in</strong>esOrganismus. Kognition (Interpretationsleistung) wird ausgeschlossen.


110 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>- Klassisches Konditionieren (PAWLOW)- Operantes Lernen/Konditionieren (SKINNER)2. Theorie der kognitiven OrganisationDirekt beobachtbares Verhalten als H<strong>in</strong>weis dafür, was im Kopf stattf<strong>in</strong>det.- Die Lernhierarchie nach GAGNE.- Lernen als Informationsverarbeitung- Problemlösen3. Soziales Lernen. Lernen am Modell.Lernen ist – anders als Erziehung – e<strong>in</strong> wertneutraler Begriff. Es um <strong>die</strong>Kennzeichnung von Änderungen (nicht wie beim Erziehungsbegriff umVerbesserungen) menschlicher Verhaltensdispositionen, <strong>die</strong> durch <strong>die</strong>Verarbeitung von Erfahrung erklärt werden können.7.2 Klassisches Konditionieren und operantes Lernen(Behavioristische oder assoziationistische Lerntheorien)7.2.1 Klassisches Konditionieren (PAWLOW)Schema des KonditionierensNeutraler Reiz (Glocke)Ke<strong>in</strong>e oderirrelevante ReaktionUS (Fleischpulver)UR (Speichelfluß)CS (Glocke)US (Fleischpulver)UR (Speichelfluß)CS (Glocke)CR (Speichelfluß)US = unkonditionierter Stimulus


Lernen 111UR = Unkonditionierte ReaktionCS = Konditionierter StimulusCR = Konditionierte ReaktionBacardi Werbung:1. Tropische Gefilde (US) sozial erworbene Assoziation: hell, freundlich,sonnig (UR).2. Tropische Gefilde + Bacardi UR3. Bacardi (CS) hell, freundlich, sonnig (CR)Gleiches gilt für Werbung ganz allgeme<strong>in</strong>, z.B. Marlboro.Ebenso: K<strong>in</strong>d, Arzt, weißer Kittel.Es werden D<strong>in</strong>ge zusammengebracht, <strong>die</strong> nicht zusammen gehören. Aus e<strong>in</strong>emursprünglich neutralen Reiz wird e<strong>in</strong> CS mit CR. Es hat konditioniertes Lernenstattgefunden.PAWLOWReizReaktiondagegen SKINNERVerhalten (zufällig) Verstärkung Reaktion(erhöhteAuftrittswahrsche<strong>in</strong>lichkeit)


112 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>7.2.2 Operantes (<strong>in</strong>strumentelles) Lernen (Konditionieren) (SKINNER)Verhalten wird systematisch verstärkt.F<strong>in</strong>det <strong>in</strong> den 60er/70er Jahren E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> den Unterricht. ProgrammiertesLernen, programmierter Unterricht basieren auf operantem Lernen.Sachverhalte müssen auf kle<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heiten/Lernschritte reduziert werden, <strong>die</strong>so lange wiederholt werden, bis sich begriffen wurden. Dann geht es weiter.Problem: Zu vere<strong>in</strong>fachend, man kann vieles nicht derart reduzieren. Wiekann man Klasse führen? Geht nicht so e<strong>in</strong>fach mit verstärken und ignorierenvon Verhalten.Katze im Käfig f<strong>in</strong>det nach dem Pr<strong>in</strong>zip „trial and error“ Hebel, der ihr Freiheitbietet. Nach ca. 80 Versuchen klappt es sofort, zunächst war das Verhaltenzufällig.Was macht e<strong>in</strong> Lehrer, wenn e<strong>in</strong> Schüler stets zu spät kommt? Bestrafen?Z.B. mit dem Abschließen der Türe? Er könnte ihn auch loben, wenn erpünktlich ist. (Beachte aber auch: Kognitives lernen! Schüler <strong>in</strong>terpretierendas Lob des Lehrers und richten ihr Handeln danach aus).S<strong>in</strong>nvoll ist es, nur ab und zu positives Verhalten zu loben (z.B. Spieler amSpielautomat). Also <strong>in</strong>termittierende Verstärkung.Negatives Verhalten kann durch ignorieren langfristig geändert werden (z.B.zu spät kommen, schlägern, um aufzufallen. Klassenclown ignorieren).SKINNER konditionierte z.B. im 2. Weltkrieg Hunde so, daß sie mit M<strong>in</strong>en aufdem Rücken unter fe<strong>in</strong>dliche Panzer krochen.Problem: Symptomverschiebung.Nahrung ist primärer Verstärker, Geld ist generalisierter Verstärker, Liebe,Achtung, Ansehen s<strong>in</strong>d soziale Verstärker.Bestrafung ist ke<strong>in</strong> Verstärker, sondern führt zur Unterdrückung desVerhaltens. Nicht-Bekräftigung e<strong>in</strong>es Verhaltens führt zur Löschung. E<strong>in</strong>Lehrer sollte versuchen, positives Verhalten zu verstärken undunerwünschtes Verhalten zu ignorieren. Dies ist schwierig, aber das e<strong>in</strong>zig


Lernen 113wirksame Mittel, da durch Sanktion ke<strong>in</strong> Lernen stattf<strong>in</strong>det. Geht das wirklich?Kognitive Prozesse berücksichtigt?Kritik an <strong>die</strong>sen Modellen: Black Box Annahme. Beschränkung auf beobachtbares Verhalten. Überbetonung des reaktiven Moments. Vernachlässigung des aktivenMoments. Der Mensch hat e<strong>in</strong>en Willen und Motive, <strong>die</strong> hier ausgeklammertwerden. Übertragung Tier – Mensch. Ke<strong>in</strong>e Beachtung der Selbstreflexivität des Menschen. Der Mensch denktüber Verstärker nach, <strong>in</strong> den Modellen spielt <strong>die</strong> Selbstreflexivität aber ke<strong>in</strong>eRolle.7.3 Kognitive Verarbeitung von InformationenGAGNE: (USA) Ende 60er Jahre („kognitive Wende“). GAGNE wollte über <strong>die</strong>ersten beiden (elementaren) Stufen h<strong>in</strong>auskommen, was ihm nicht ganzgelungen ist. Das ganze ist mehr als <strong>die</strong> Summe se<strong>in</strong>er Teile. Daher denktGAGNE darüber nach, was <strong>in</strong>tern passiert, wie <strong>die</strong> Umwelt <strong>in</strong>tern repräsentiertwird.Lernhierarchie:1. Signallernen= klassische Konditionierung (Glocke - Speichelfluß).2. Reiz-Reaktions-Lernen= operante Konditionierung (positive Verstärkung, Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d lernt „Papa“sagen, wenn es Vater sieht).


114 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>3. Motorische KettenbildungSchwimmen, radfahren (bis 6. LJ) Schreiben lernen mehrere Buchstabenh<strong>in</strong>tere<strong>in</strong>ander, kle<strong>in</strong>e Lerne<strong>in</strong>heiten zu Ketten. Psychomotorisch fraglich.4. Sprachliche Kettenbildung= Assoziation, Vokabel lernen, Worte s<strong>in</strong>nvoll ane<strong>in</strong>ander reihen.Mechanisches Lernen. Kann man noch auf operantes Konditionierenzurückführen.5. Multiple Diskrim<strong>in</strong>ation (Unterscheidung)Def<strong>in</strong>ition: Die Bestimmung der e<strong>in</strong>zelnen Elemente e<strong>in</strong>er Menge <strong>in</strong> ihrerUnterschiedlichkeit, z.B. Automarken ause<strong>in</strong>ander halten, Hunde e<strong>in</strong>erHunderasse zuordnen. Dies ist der entscheidende Schritt h<strong>in</strong> zu kognitivemVerarbeiten. Bei 5. Und 6. Beg<strong>in</strong>nen Denkprozesse, also das kognitiveLernen. Motivationale Aspekte.6. BegriffslernenBestimmen der Geme<strong>in</strong>samkeiten von Elementen e<strong>in</strong>er Menge, was istgleich? Nelken, Rosen, Schneeglöckchen Blumen.7. RegellernenVerknüpfung von Begriffen über sprachliche, <strong>in</strong>haltliche Aspekte, also demVerständnis nach (Sonst wie 4.!). „Runde D<strong>in</strong>ge rollen“ als Regel, als Pr<strong>in</strong>zip.Wer bloß <strong>die</strong> Begriffe kennt, ist bei 4. sprachliche Kettenbildung. E<strong>in</strong> Bruchwird divi<strong>die</strong>rt, <strong>in</strong>dem man mit dem Kehrwert multipliziert. Alle<strong>in</strong> <strong>die</strong>se Regel ists<strong>in</strong>nlos, man muß sie verstehen. Dies ist über operantes Lernen nichtmöglich.8. ProblemlösenF<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>er Regel höherer Ordnung (z.B. zwei Regeln zusammenfassen),ausdenken e<strong>in</strong>er Regel für e<strong>in</strong> bislang unbekanntes Problem. Z.B. 9-Punkte-Problem. Hier ist kreatives und divergentes Denken erforderlich.


Lernen 1159-Punkte-Problem: Wie verb<strong>in</strong>det man 9 Punkte, ohne den Stift abzusetzen, mitvier L<strong>in</strong>ien? (Lösung vgl. letzte Seite) Diese Regeln bauen hierarchisch aufe<strong>in</strong>ander auf. Die vorangehende e<strong>in</strong>facheremuß jeweils beherrscht werden, bevor man an <strong>die</strong> komplexere herangehen kann.Was fehlt? Mit welcher Unterstellung arbeitet das Modell?Prozesse der Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung, wie es <strong>in</strong>ternkognitiv läuft, fehlen.Informationsverarbeitung nach dem Computermodell:Lernen als Informationsverarbeitung (vgl. GUDJONS 1994, S. 219)KontrollprozesseZiele, MotiveInnereWiederholungKurzzeitgedächtnisLangzeitgedächtnisStimulusInputTransferMustererkennungKo<strong>die</strong>rungAufmerksamkeitGedächniscodeGedächnisstrukturenFakten undVerfahrenVergessenVerloreneInformationFalscheSuchstrategie


116 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Reize bewirken nicht direkt Verhalten, sondern werden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kompliziertenProzeß verarbeitet, umgestaltet und verändert (<strong>in</strong> obigem Modell vere<strong>in</strong>facht).Sensorischer Speicher (ca. 0,3 Sekunden, e<strong>in</strong>gegebener Stimulus wird alsMuster erkannt). E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Teil des Wahrgenommenen wird <strong>in</strong> dasKurzzeitgedächtnis (Arbeitsspeicher, fungiert als Flaschenhals) weitergegeben.Wird <strong>die</strong>se reduzierte Information wiederholt und erneut vergegenwärtigt (z.B.Telefonnummer) so bleibt sie für etwa 10 Sekunden im Kurzzeitgedächtnis. Falls<strong>die</strong> Information als dauerhaft behaltenswert erachtet wird, folgt der Transfer <strong>in</strong>sLangzeitgedächtnis. Dort erfolgt <strong>die</strong> Integration <strong>in</strong> <strong>die</strong> Gedächnisstrukturen.Was im Langzeitgedächtnis ist, kann eigentlich nicht mehr vergessen werden,man kann nur <strong>die</strong> falsche Suchstrategie anwenden. Wichtig ist, daß man Neuesmit schon Vorhandenem <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung br<strong>in</strong>gen, assoziieren kann.Reize werden <strong>in</strong>tern kognitiv verarbeitet und bewirken e<strong>in</strong>e Reaktion.Beim Lernen ist es daher wichtig, nicht mechanisch auswendig zu lernen,sondern den Lernstoff richtig zu verankern. Wichtig ist es zunächst, Neues mitAssoziationen anzureichern. Logische Ordnungen fördern nachweislich <strong>die</strong>Er<strong>in</strong>nerungsleistung. Abgesehen von der <strong>in</strong> der Schule überwiegendensprachlich-symbolischen Handlungsebene wäre handlungsorientiertes Lernengefragt.Das alles gehört für PAWLOW/SKINNER <strong>in</strong> <strong>die</strong> Black Box. Genau hier aberunterscheiden sich Menschen! Anknüpfen an kognitive Strukturen.


Lernen 117Problemlösen:Beim Problem hat man e<strong>in</strong> Ziel, und weiß nicht, wie man es erreichen kann. Manhat also e<strong>in</strong>en1. unerwünschten Ausgangszustand, e<strong>in</strong>en2. erwünschten Zielzustand und dazwischenliegende3. Barrieren.Im Gegensatz zu e<strong>in</strong>em Problem ist bei Aufgaben der Algorithmus, der zurLösung der Aufgabe erforderlich ist, bekannt. Man verfügt über das nötige Knowhowund Wissen.Problemlöseschemata:1. Trial and error, Versuch und Irrtum (würfeln, bl<strong>in</strong>d, ohne Plan), so sollte esnicht se<strong>in</strong>, z.B. Examensarbeit.2. Umstrukturieren des Problems, Idee zuerst <strong>die</strong> L<strong>in</strong>ien zu ziehen, und dann<strong>die</strong> Punkte h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zuzeichnen.3. Plan, systematisches Vorgehen, anwenden von Strategien.4. Systemdenken. Bei komplexen Problemen ist e<strong>in</strong> l<strong>in</strong>eares Denken <strong>in</strong>Ursache-Wirkungszusammenhängen nicht ausreichend. Hier ist komplexesDenken <strong>in</strong> Netzen erforderlich.5. Kreativität. Ideenfülle und orig<strong>in</strong>elle E<strong>in</strong>fälle, divergentes Denken. Man kannauch das Problem nicht als solches akzeptieren und damit <strong>in</strong> Frage stellen.Stets erforderlich ist Motivation.7.4 Soziales LernenModellernen. Wenn sich der Lernende Verhaltensweisen angeeignet hat, <strong>die</strong> erbei anderen gesehen hat. Der Lernende ist der Beobachter, der Beobachtete dasModell.


118 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>BANDURA (USA) Ende der 60er Jahre.Klassisches und kognitives Lernen komb<strong>in</strong>iert.= Beobachtungslernen= Nachahmungslernen= ImmitationslernenBsp.: Die K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>dergarten werden <strong>in</strong> fünf Experimentgruppen unterteilt:1. Gruppe: Bekommt reales Agressionsmodell zu sehen, d.h. e<strong>in</strong> realer Manntritt e<strong>in</strong>e Puppe, schlägt sie, beschimpft sie verbal.2. Gruppe: Das Gleiche, nur als Film. Also nicht mehr so nah an der Realität.3. Gruppe: Agressionsmodell ist e<strong>in</strong> Zeichentrickfilm.4. Gruppe: Kontrollgruppe, ke<strong>in</strong> Modell, nichts gemacht.5. Gruppe: Nicht-aggressives Modell, Mann kümmert sich liebevoll um <strong>die</strong>Puppe.Frage: Wie verhalten sich <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der, wenn sie anschließend <strong>in</strong> den Raum mitder Puppe kommen?K<strong>in</strong>der <strong>die</strong> aggressives Verhalten zeigen <strong>in</strong> %100806040200Gruppe 1-3Gruppe 4Gruppe 5


Lernen 119Ergebnis:Die K<strong>in</strong>der ahmen das Verhalten nach soziales Lernen durch Beobachten.Man muß sich überlegen, was <strong>in</strong> den Köpfen der K<strong>in</strong>der passiert.Variationsmöglichkeiten: Bestrafung, Belohnung im Modell. Je ähnlicher Modell und Beobachter s<strong>in</strong>d, desto eher wird das Verhaltenübernommen.Wird im Fernsehen gesehene Gewalt nachgeahmt? Kann se<strong>in</strong>, wichtig ist, ob e<strong>in</strong>K<strong>in</strong>d Fernsehen von der Realität unterscheiden kann, ob <strong>in</strong> der Familie auchGewalt vorkommt, ob über den Film gesprochen wird. Zwischen der Anregungdurch e<strong>in</strong> Modell und der Ausführung des Verhaltens durch den Beobachterliegen erhebliche kognitive Verarbeitungsprozesse.Vier Phasen beim Lernen am Modell:Nach KAISER/KAISERNach GUDJONS(Beobachtungsreize)1. Aufmerksamkeitsprozesse 1. Aufmerksamkeitszuwendung2. Gedankliche Prozesse 2. Behaltensphase3. Motorische Prozesse 3. Reproduktionsphase4. Verstärkungsprozesse 4. Motivationale Phase(Nachbildung)Beispiel: Filmgeschehen (Zigarette bei Delon)1. Männlicher Beobachter schaut aufmerksam zu.2. Speichern der Wahrnehmung mit Hilfe von Vorstellungen oder sprachlichenSymbolen.3. Beobachter übt <strong>die</strong> Handlung.4. Beobachter wird verstärkt <strong>in</strong>dem er zusehends e<strong>in</strong>en Erfolg sieht und an <strong>die</strong>Bewunderung se<strong>in</strong>er Freunde denkt.


120 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong> Beobachter führt <strong>die</strong> Handlung aus.In der motivationalen Phase wird der Effekt des Verhaltens ausgewertet undentschieden, ob das Verhalten wiederholt wird.Soziales Lernen ist nicht bloß mechanisches Lernen, sondern auch kognitiv(Symbole), um Verhalten nachahmen zu können.E<strong>in</strong> Modell ist besonders dann wirksam, wenn man (der Beobachter) sich mit ihmidentifizieren kann und das Modell sozial hoch bewertete Merkmale/Attributebesitzt.


K<strong>in</strong>dheit und Jugend 1218 K<strong>in</strong>dheit und Jugend8.1 K<strong>in</strong>dheit1. Säugl<strong>in</strong>gsalter (bis 1. LJ)2. K<strong>in</strong>desaltera. frühe K<strong>in</strong>dheit (1. - 6. LJ)b. mittlere K<strong>in</strong>dheit (6. - 10. LJ)c. späte K<strong>in</strong>dheit (10. - 12. LJ)3. Jugendalter (12. - 18. LJ oder länger, Postadoleszenz)4. Erwachsenenalter5. Alter (evtl. könnte man sagen: ab Pensionierung)Entwicklung: Aufgrund der Kle<strong>in</strong>- und Teilfamilien kommt es gegenüber frühererzu e<strong>in</strong>er erheblichen Reduktion der Beziehungserfahrungen. Dem steht e<strong>in</strong>eIntensivierung der Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung gegenüber. Außerdem hat <strong>die</strong>hochgradige Technisierung der modernen Haushalte und Wohnungen(Zentralheizung statt Feuer machen, ...) zu e<strong>in</strong>er Reduktion s<strong>in</strong>nlichunmittelbarerErfahrungsmöglichkeiten im Umgang mit D<strong>in</strong>gen und Menschengeführt. Die Kulturaneignung geschieht zunehmend über elektronische Me<strong>die</strong>n.„Erfahrungen aus zweiter Hand“ überlagern zunehmend Primärerfahrungen.8.2 JugendE<strong>in</strong>leitung mit alten Zitaten über Jugend. Jede Generation schimpft über nachfolgende Generation.„Die“ Jugend gibt es nicht, man darf nicht pauschalieren.Wann ist man erwachsen: Wenn man verheiratet ist, Berufsausbildung hat undK<strong>in</strong>d?


122 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Entwicklungsaufgaben des Jugendalters (BAAKE): Akzeptieren der eigenen körperlichen Ersche<strong>in</strong>ung und effektive Nutzung desKörpers. Erwerb der männlichen bzw. weiblichen Rolle. Erwerb neuer und reiferer Beziehungen zu Altersgenossen beiderleiGeschlechts. Gew<strong>in</strong>nung emotionaler Unabhängigkeit von den Eltern und anderenErwachsenen. Vorbereitung auf e<strong>in</strong>e berufliche Karriere. 1950 waren 70% der 15-17jährigen berufstätig, 1990 waren es 15%. Vorbereitung auf Heirat und Familienleben. Gew<strong>in</strong>nung e<strong>in</strong>es sozial verantwortlichen Verhaltens. Aufbau e<strong>in</strong>es Wertesystems und e<strong>in</strong>es ethischen Bewußtse<strong>in</strong>s alsRichtschnur für eigenes Verhalten (moralische Entwicklung). Kaum jemand mit 25 Jahren kann demnach sagen, er sei erwachsen.„Postadoleszenz“.Begriff Jugend:Den Begriff gibt es erst seit dem Ersche<strong>in</strong>en von Rousseaus Emile im Jahr 1767.Zeitgleich wurde <strong>die</strong> Dampfmasch<strong>in</strong>e entwickelt und <strong>in</strong> England begann <strong>die</strong>Industrialisierung. Bis zur Zeit der Weimarer Republik war der BegriffJugendlicher abwertend, wurde mit proletarisch und verwerflich assoziiert. ImBürgertum wurde h<strong>in</strong>gegen der Begriff „Jüngl<strong>in</strong>g“ verwendet. Der Begriff Jugendwurde erst langsam wertneutral.In primitiven Gesellschaften gibt es ke<strong>in</strong>e Jugend. Hier ist <strong>die</strong> K<strong>in</strong>dheit relativlang Ritus Erwachsener. Die Jugend ist e<strong>in</strong>e Erf<strong>in</strong>dung unsererarbeitsteiligen Gesellschaft.Früher wollten <strong>die</strong> Jugendlichen erwachsen werden. Erst dann wurden ihnengewünschte Rechte und Pflichten zugestanden. Heute wollen sie nicht


K<strong>in</strong>dheit und Jugend 123erwachsen werden. Sie leben gern im psychosozialen Moratorium. In <strong>die</strong>serPhase kann man ohne große Verantwortung experimentieren (Schule Beruf).Diese Möglichkeit haben v.a. K<strong>in</strong>der höherer sozialer Schichten. Man hat Angst,erwachsen zu se<strong>in</strong>, Verantwortung zu übernehmen. So kann man feststellen,daß Lehramtsstudenten erst mit Beg<strong>in</strong>n des Referendariats „richtig“ erwachsens<strong>in</strong>d. Es gibt ke<strong>in</strong>en Gererationenkonflikt mehr (Fragt man allgeme<strong>in</strong>, soantworten <strong>die</strong> meisten Jugendlichen, es gebe ihn, fragt man, ob sie persönliche<strong>in</strong>en Generationenkonflikt erleben, dann sagen <strong>die</strong> meisten ne<strong>in</strong>). DieJugendlichen von heute haben <strong>die</strong> Rechte, <strong>die</strong> Freiheiten, <strong>die</strong> sie wollen. Vor 20,vor 30 Jahren wollten alle beim Studium möglichst schnell und weit von zuHause weg, heute bleibt man zu Hause. Warum auch nicht? Der Freund/<strong>die</strong>Freund<strong>in</strong> darf ja bei e<strong>in</strong>em zu Hause übernachten.60 % der Jugendlichen haben e<strong>in</strong> pessimistisches Zukunftsbild. Und zwar um sopessimistischer, je älter sie s<strong>in</strong>d, je besser <strong>die</strong> Schulbildung, je höher <strong>die</strong> sozialeHerkunft. Optimismus geht nicht konform mit Wissen, sondern mit Emotionen.E<strong>in</strong> rechtsradikales Potential gibt es nicht, während sich 50 % mit Hausbesetzernidentifizieren können.Eltern s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> wichtigsten „significant others“, also Bezugspersonen beifundamentalen, d.h. langfristigen Entscheidungen (z.B. Beruf). Und das <strong>in</strong> allensozialen Schichten. Gleichaltrige, „peer-groups“, s<strong>in</strong>d bei alltäglichen D<strong>in</strong>genAnsprechpartner.Während der Jugendzeit ist <strong>die</strong> Gew<strong>in</strong>nung e<strong>in</strong>er eigenen Identität wichtig.


124 <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Lösung des 9-Punkte-Problems:

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