charakteristisch waren, doch würde das für dieses Kapitell nicht zutreffen. Die deutsche Bauplastikdieser Zeit ist vor allem eine Kunst des Meisseis. Hier aber haben wir ein Werk vor uns,an dem vorwiegend Bohrer gearbeitet haben. Damals, in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts,triumphierte in Deutschland eine der kraftvollsten und eigentümlichsten Schöpfungen deutschenBaudenkens, das Würfelkapitell, in allen Variationen seines Formenvermögens. Davon ist ander eher trapezoiden Grundform des Kapitells von St. Boris und Gleb nichts zu bemerken. Gewisswaren die Abwandlungen des romanischen Kapitells und seiner Flächenverzierung inDeutschland damals ausserordentlich vielfältig, aber gerade das labyrinthartige Schmuckwerkund die figürliche Belebung nach der Art des Cernihiver Schaftfragmentes waren damals inDeutschland noch nicht charakteristische Merkmale der skulpierten Stütze. Dazu sollte es erstin einer Zeit kommen, in der St. Boris und Gleb schon fertig stand: St. Godehard und etwasspäter Hamersleben31) machen den Anfang. Noch später erst ist volle Geltung erreicht32),dann aber ist sie von solcher Virulenz, dass sie dort, wo sie in der Ferne auftrat wie imskandinavischen Norden oder im lombardischen Süden, wirkliche neue Stilstufen prägenkann. Sie beschränkt sich nicht auf vereinzelte Erscheinungen, wie es in Russland dasKapitell von St. Boris und Gleb ist, und sie hätte auch dort mehr als eine zufällige Einzelheithervorgerufen.Die St. Boris- und Gleb-Kirche hat in Cernihiv zwei Vorgängerinnen. Die eine, bestimmt vor1116 erbaut, ist die Kirche der Heiligen Praxedis vom Kreuzweg (Paraskjova-Pjatnica)33), dieandere die Kathedrale des Entschlafens der Gottesmutter (Koimesis), die zu dem seit dem17. Jahrhundert „Oelbaum“ -(Jeleckij)-Kloster“ genannten Konvent (Abb. 4) gehört. DavidsVater hat sie im Jahre 1060 errichtet. Ihre heutige Gestalt erhielt sie durch den polnischen MagnatenDunin-Borkowski im Jahre 167134). Sie hat ähnliche Korbkapitelle wie St. Boris undGleb, aber noch ohne labyrinthische Ornamente, einen Bogenfries in zwei Dritteln der Höhedreier Schauseiten und an der Nord- und Südfront Halbsäulen, die auf die Schäfte von Pilasternaufgelegt sind. Das hat sich übrigens an der nicht mehr vorhandenen Kirche des Dorfes Scekavicy(anscheinend unweit Cernihivs gelegen) wiederholt35). An St. Praxedis tritt überdieseine bemerkenswerte Reihung von hängenden kleinen Pilastern unter den Gesimsen der Apsidenauf (Abb. 5). Das sind Merkmale einer speziellen Byzantinik, die sich seit den ersten Jahrzehntendes 11. Jahrhunderts über ganz Südeuropa ausbreitet und in langer Wirksamkeit allmählichauch über die Alpen vordringt. Jene besonderen Halbsäulen erscheinen für unsereKenntnis erstmalig am Myreleion (Bodrum Cami) in Konstantinopel (vor 944) und kehrenan S. Abbondio in Como wieder37) 38). Sie sind dort kurz vor 1095, also etwa gleichzeitig mitunserer Koimesis in Cernihiv anzusetzen. Das an St. Praxedis beobachtete Motiv der hängendenkleinen Pilaster kehrt im 13. und 14. Jahrhundert an St. Pantokrator in Mesenvria wieder39) 40).Da die mesenvriensischen Kirchen dieser Zeit stark von den Kreuzkuppelbasiliken des makedonischenund kommenischen Konstantinopels abhängig sind, kann angenommen werden, dassvon einer derselben, die ja nur zu einem Teil erhalten sind, auch dieses Motiv übernommen ist31) W eigert wie Anm . 20 S. 23.33) O. Gaul, Die romanische Baukunst u. Bauornam entik in Sachsen. K öln 1932.33) Ainalov, wie Anm . 13, S. 38. V . Sicynskyj, Architektura staroknjazivskoi d oby (Die Baukunst der Zeit deralten K njazy) Prag 1926. S. 18.34) ebenda (Sicynskyj) S. 21.36) Ja. Sm irnov, Risunki K ieva 1651 g. knjazja Jana R adzivila (Zeichnungen des Fürsten J. Radziwill von Kiewaus dem Jahre 1651). Trudy X I I I archeologiceskago s-ezda II 1908.37) A. Kingsley Porter, Lom bard architecture. Nw. H aven 1915 ff. I 138, II 304, 311 f.38) Frankl, wie Anm . 24, S. 122.39) B. Filov, Geschichte der altbulgarischen Kunst. Bln. 1932. S. 56 u. 59 f.40) J. Ebersolt, Monuments d’ architecture byzantine. Paris 1934 T f. X X I I .62
und Byzanz also auch in diesem Falle das Urbild ebenso für Bulgarien wie für Russland gelieferthat. Im 13. Jahrhundert treffen wir diese Architektur, heute noch in Spuren erhalten, amRiesentor des Wiener Stefansdom wieder41) (Abb. 6). In einer langen Entwicklung hat es sichalso bis über die Alpen fortgepflanzt und unter der Hand deutscher Steinmetzen verfeinert.In der Mitte des 12. Jahrhunderts bereits ist es bekanntlich eines der kennzeichnenden Merkmaleder Baukunst von Wladimir und Suzdal geworden.Eines ist nun deutlich zu sehen: die Quellen der neuen Anregungen sind die von Byzanz irgendwieerreichten Landschaften, die R u!, Süditalien, Ostsizilien, dieselben, in denen sich seit derMitte des 10. Jahrhunderts auch ein Aufschwung des Basilianertums vollzieht42) 43). Von hiergreifen konzentrische Wellenbewegungen aus. Sie erreichen die nördlich davon gelegenen Gebiete,die landeinwärts sich an die R u! anschliessenden Fürstentümer der Runkiden von Cernihiv,später Suzdal’ und Wladimir, von Süditalien aus lombardische Städte und Südfrankreich,zuletzt auch Nordfrankreich und Deutschland44). In der beweglicheren Kunst der Buchmalereigeschieht dieser Vorgang rascher als in der auf das Hergebrachte stärker angewiesenen Bauplastik.Eine Probe der Anwendung von Schlingwerk in der rurikidischen Buchmalerei bringtAbb. 6. Der Izbornik Svjatoslav, von dem dort Einzelheiten abgebildet sind, ist im Auftragdes Vaters des Erbauers der Boris- und Gleb-Kirche entstanden.In der südeuropäischen Bauplastik aber ist gerade das von Schlingwerk bedeckte Kelch- oderTrapezkapitell das wichtigste Signal jener Vorstösse spezieller Byzantinik geworden. Das istes, was die schon angeführten Beispiele aus Südfrankreich bezeugen. Für Italien wäre an Einzelheitendes Domes zu Pisa (1063 ff.) zu denken. Im näheren lombardischen Bereich habenwir ähnliche Beispiele, wie S. Pietro zu Brusasco bei Turin (um 1050 oder erst um 1130.) ),ein Kapitell im Atrium von S. Ambrogio in Mailand (vor 1098)4«), einzelne Stücke im Kreuzgangdes Domes zu Ivrea (nach 1100)47), einen Säulenkopf aus St. Giovanni in Pieve Trebbiobei Modena (um 1108?)48) und noch einen Vorrat weiterer Fälle, deren Qualität jedoch schwankt.Die Motive unseres Cernihiver Schaftornamentes kehren wieder in der Krypta unter S. Pietrodi Civate bei Como®) und auch in Mittelfrankreich: Cravant (Dep. Indre et Loire) ). UberS. Pietro in Villanova bei Verona (2. Hälfte des 8. Jahrhunderts)«1) und das Altarrelief von S. Abbondiobei Como (735)52) lässt sich diese Linie bis in frühbyzantinische Zeit zurück verfolgen.Der für den Norden ohnehin nicht neue Gedanke vermählt sich in Deutschland mit dort eigenständigerwachsenen Gattungen des Kapitells und feiert in neuen Variationen höhere Triumpheals je in seinen Ursprungsländern. Das uralte Verständnis der germanischen Völker für denZauber des Knotens — Zauber im magischen und ästhetischen Sinne — hat sich für dieseWelt geheimnisvoll verschlungener Formen hervorragend empfänglich und schöpferisch erwiesen,und so ist also das Kapitell von St. Boris und Gleb doch mehr als einer der vielen Belegevorstossenden byzantinischen Formenwillens. Es steht in einem besonderen Zusammenhangmit dem Ereignis verwandter Angriffe des gleichen Formenwillens im nördüchen, germanisch41) F. N ow otny, Rom anische Bauplastik in Österreich. W ien 1930. S. 23 u. A bb. 29.42) H. H elm olt, W eltgeschichte. V Lpzg. u. W ien 1905. S. 61.43) G. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates. München 1940. S. 202.44) K . Porter, wie Anm . 37 I 203. G. D ehio, Geschichte der deutschen Kunst. Bln. u. Lpzg. 1923. S. 103.45) K . Porter wie Anm . 37 T f. 37; 5 — II 225 f.48) ebenda, T f. 120, 4 — II, 475.47) ebenda Tf. 101; 4 — II 475.“ ) ebenda Tf. 187; 4 — I I I 282 u. 284.49) ebenda Tf. 57; 4 — III 101.o°) ebenda T f. 198; 2.61) ebenda T f. 24; 1 — I 199, III 574 f.6a) ebenda Tf. 59; 4 — I 197.63
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