Extrapyramidales Syndrom
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Dr. Andrea Maria Sahler<br />
<strong>Extrapyramidales</strong> <strong>Syndrom</strong><br />
Definition<br />
Der 1912 von S.A.K. Wilson geprägte Begriff extrapyramidales System<br />
beschreibt einen Teil des Zentralnervensystems, die sogenannten<br />
Stammganglien im Zwischen- und Mittelhirn. Sie sind für die Regulierung<br />
der Muskelspannung (Tonus), der Bewegung, der Körperhaltung, des<br />
Gleichgewichtes und der Ausdrucks- und Abwehrbewegungen<br />
verantwortlich.<br />
Das extrapyramidale <strong>Syndrom</strong> beschreibt Störungen der menschlichen<br />
Bewegungsabläufe. Schädigung oder Erkrankung erfolgen an den Basal-<br />
ganglien. Sie bestehen im engeren Sinne aus dem corpus striatum (Stria-<br />
tum) und dem globus pallidus (Pallidum) als Teilstrukturen des extrapy-<br />
ramidal-motorischen Systems. Die Störungen führen zu einer Zunahme<br />
(Hyperkinese) oder zu einer Abnahme (Hypokinese) der Bewegungsge-<br />
schwindigkeiten. Hyperkinesen sind zum Beispiel Athetosen (bizarr ge-<br />
schraubte Bewegung der Hände und Füße), Chorea (Veitstanz) und Tor-<br />
sionsspasmen. Diese Bewegungsanomalien sind mit einem erhöhten<br />
Spannungszustand (Rigor) oder mit einem erniedrigtem Spannungszu-<br />
stand (Hypotonus) der Muskulatur kombiniert. Bei einem Morbus Parkin-<br />
son kommen Rigor und Hyperkinese zum Beispiel als Zittern zusammen<br />
vor.<br />
Ursache / Entstehung<br />
Das extrapyramidale <strong>Syndrom</strong> zeigt sich neben Morbus Parkinson Patien-<br />
ten und Chorea Huntington Patienten auch bei Menschen mit Hirntumo-<br />
ren oder Schlaganfällen infolge einer Schädigung des Neostriatums. Wei-<br />
terhin kann das extrapyramidale <strong>Syndrom</strong> auch als Medikamentenne-<br />
benwirkung auftreten, zum Beispiel häufig bei der Einnahme von Neuro-<br />
lepika.<br />
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Dr. Andrea Maria Sahler<br />
Pathologische Veränderungen<br />
Eine Störung der unter physiologischen Bedingungen ausgewogenen Ba-<br />
lance entweder zugunsten der Förderung oder zugunsten der Inhibition<br />
von Neuronen, die dem Thalamus nachgeschaltet sind führt je nach<br />
Schädigung oder Ausfall bestimmter Strukturanteile der Basalganglien zu<br />
charakteristischen motorischen Störungen.<br />
Die extrapyramidalmotorischen Nebenwirkungen werden in Frühkinesien,<br />
Akathisie (Unruhe), Parkinson-<strong>Syndrom</strong> sowie Spätdyskinesien unterteilt.<br />
Frühkinesien wie das Zungenschnalzen oder eine unmotivierte Grimas-<br />
sierung treten zu Behandlungsbeginn auf. Dagegen treten Spätdyskine-<br />
sien erst nach längerer hochdosierter Behandlung auf. Das Parkinson-<br />
<strong>Syndrom</strong> (hierbei handelt es sich nur um die Symptome der Krankheit<br />
nicht um diese selbst) ist durch eine Verlangsamung der Bewegungen,<br />
starre Gesichtszüge und eine Zittern der Hände und Finger gekennzeich-<br />
net. Die Akathisie und das Parkinson-<strong>Syndrom</strong> treten meist nach den<br />
Frühkinesien auf.<br />
Therapiemöglichkeiten<br />
Es werden vielfältige Ansätze in der medikamentösen Therapie der Hun-<br />
tington-Krankheit verfolgt, die sich aber bisher noch im Experimentalsta-<br />
dium befinden. Eine kausale Therapie, also eine Therapie der Ursache<br />
der Erkrankung, existiert bisher nicht. Eine symptomatische Behandlung<br />
ist nur begrenzt möglich, das Voranschreiten der Erkrankung ist damit<br />
nicht zu verhindern. Die medikamentöse symptomatische Therapie sollte<br />
unbedingt durch einen Neurologen erfolgen, da fast alle derzeit bei der<br />
Therapie der Huntington-Krankheit gebräuchlichen Medikamente auch<br />
einen ungünstige Wirkungen haben können. Neben der medikamentösen<br />
Therapie ist Krankengymnastik außerordentlich wichtig. Dazu gehört auch<br />
ein logopädisches Training, um Sprechstörungen entgegenzuwirken.<br />
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Dr. Andrea Maria Sahler<br />
Wenn auch bei Morbus Parkinson eine vollständige Heilung bislang nicht<br />
möglich ist, bestehen inzwischen so gute Behandlungsmöglichkeiten,<br />
dass die Lebenserwartung des betroffenen Patienten nicht beeinträchtigt<br />
wird.<br />
Wichtig ist vor allem, dass die medikamentöse Therapie individuell auf<br />
den Patienten abgestimmt wird, da sehr verschiedene Verläufe der<br />
Krankheit und unterschiedliche Verträglichkeiten bei Betroffenen beste-<br />
hen. Zur Verfügung stehen Wirkstoffe, die das Gleichgewicht der Boten-<br />
stoffe im Gehirn wieder herstellen können, wie L-Dopa-Präparate und<br />
sogenannte Dopaminagonisten. Ein weiterer wichtiger Bestandteil bei der<br />
Behandlung der Parkinson´schen Krankheit ist die Bewegungstherapie.<br />
Regelmäßige krankengymnastische Übungen können den Verlauf der<br />
Krankheit positiv beeinflussen und sorgen für eine erhöhte Lebensqualität<br />
des Patienten durch verbesserte Mobilität. Außerdem werden sprach- und<br />
psychotherapeutische Maßnahmen in der Behandlung eingesetzt.<br />
Bemerkungen / Besonderheiten<br />
Im folgenden werden drei typische Krankheitsbilder vorgestellt, deren Äti-<br />
ologie nur zum Teil, deren Folgen jedoch verhältnismäßig gut aufgeklärt<br />
sind. Daneben gibt es weitere extrapyramidale <strong>Syndrom</strong>e, bei denen der<br />
Ort des Ausfalls jedoch nicht geklärt ist.<br />
1) (Hemi-) Ballismus<br />
Bei diesem Krankheitsbild kommt es zu unfreiwilliger Aktivierung haupt-<br />
sächlich proximaler Muskeln, was zu Schleuderbewegungen in den Ex-<br />
tremitäten führt, die nicht selten mit korrespondierenden Verletzungen<br />
verbunden sind. Diese Hyperkinesie verschwindet im Schlaf. Der Grund<br />
für diese Erkrankung ist indirekt der Wegfall der Glutamat-vermittelten<br />
Förderung auf Zellen des globus pallidus, pars interna. Der Ausfall dieser<br />
Projektion bewirkt insgesamt eine verstärkte Disinhibition thalamischer<br />
Zellen über den indirekten Weg, was in der Summe zu einer Störung der<br />
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Dr. Andrea Maria Sahler<br />
physiologischen Balance zugunsten einer Fascilitation (Disinhibition) der<br />
dem Thalamus nachgeschalteten Zielzellen entspricht.<br />
2) Chorea Huntington<br />
Die Häufigkeit der Huntington-Krankheit wird mit 5 bis 10 auf 100 000<br />
Menschen angegeben. Sie gehört damit zu den häufigsten genetisch be-<br />
dingten neurologischen Erkrankungen. Männer und Frauen sind glei-<br />
chermaßen betroffen. Das Krankheitsbild wurde erstmals von George<br />
Huntington (1872) beschrieben. Das Manifestationsalter liegt in der 3. und<br />
5. Lebensdekade. Die Bezeichnung ist vom Griechischen –choreia herge-<br />
leitet und bedeutet Tanz.<br />
Das klinische Bild ist gekennzeichnet durch ein hyperkinetisches, hypoto-<br />
nes <strong>Syndrom</strong>, bei dem die langsame Komponente der Bewegung fehlt.<br />
Trotz der charakteristischen Hypotonie kommt es zu einer unfreiwilligen<br />
Hyperaktivität, die auch als Veitstanz bezeichnet wird. Charakteristisch<br />
sind weiter rasche Bewegungen der Extremitäten, der Mimik und der<br />
Kaumuskulatur (Grimassierung, Schmatzen). Grund für diese Erkrankung<br />
ist die Degeneration striataler Zellen. Die Folge ist der Untergang GA-<br />
BAerger (und Cholinerger) Syteme innerhalb des Striatums, was im indi-<br />
rekten Weg zum Wegfall der GABA-vermittelten Hemmung auf Zellen des<br />
globus pallidus, pars externa, führt. Der Ausfall dieser Projektion bewirkt<br />
insgesamt eine verstärkte Disinhibition thalamischer Zellen über den indi-<br />
rekten Weg, was in der Summe zu einer Störung der physiologischen Ba-<br />
lance zugunsten einer Fascilitation (Disinhibition) der dem Thalamus<br />
nachgeschalteten Zielzellen entspricht.<br />
3) Morbus Parkinson<br />
Die Parkinson-Krankheit ist eine der häufigsten Erkrankungen des Ner-<br />
vensystems. Die Häufigkeit ist je nach Land und Region unterschiedlich<br />
und liegt zwischen 18 und 190 Patienten pro 100.000 Einwohner. Das<br />
Krankheitsbild wurde erstmals von James Parkinson (London, 1817) be-<br />
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Dr. Andrea Maria Sahler<br />
schrieben und ist heute der Prototyp der Basalganglien-Erkrankungen.<br />
Das Manifestationsalter liegt bei 58 Jahren, die Häufigkeit ist mit 5% aller<br />
über 60-jährigen verhältnismäßig hoch.<br />
Das klinische Bild ist charakterisiert durch ein hypokinetisches, hyperto-<br />
nes <strong>Syndrom</strong>, mit Tremor, Rigor, Akinesie, und Bradykinesie (Bewe-<br />
gungsarmut, maskenhaftes Gesicht). Grund für diese Erkrankung ist die<br />
Degeneration der Zellen der substantia nigra, die zum Untergang der<br />
DOPAMINergen Projektion zu Zellen des Striatums führt. Der Ausfall der<br />
Dopaminergen Projektion bewirkt insgesamt eine verminderte Disinhibiti-<br />
on thalamischer Zellen über den direkten Weg, und eine verstärkte Inhibi-<br />
tion thalamischer Zellen über den indirekten Weg, was in der Summe zu<br />
einer Störung der physiologischen Balance zugunsten einer Inhibition<br />
(Disfacilitation) der dem Thalamus nachgeschalteten Zielzellen entspricht.<br />
Dr. Andrea Maria Sahler<br />
Königsdorf, Novembre 2003<br />
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